Theodor Storm
Zur Chronik von Grieshuus
Theodor Storm

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In der Woche vor dem vierten Sonntage Epiphanias standen die zwei Leichen oben in dem großen Saale aufgebahret, und es war der Tag, an welchem die Beisetzung geschehen sollte, denn auch der Wildmeister sollte in die Gruft derer von Grieshuus; so, hieß es, hatte der Oberst es verordnet, weil er sein Leben um den letzten Sohn des Hauses zugesetzet.

Als ich am Vormittage in den Hof kam, fand ich selbigen von Bauern ganz erfüllet, alt und jung, mit ihren Weibern, Kindern und Gesinde; der Oberst, sagte mir einer, habe sie herbestellt. Ich drängte in meinem langen Priesterrocke mich hindurch und trat in das Haus, wo auf dem Flur ein Rauchwerkdüften mir entgegendrang. »Wo ist der Herr Oberst?« frug ich eine Magd.

»In seinem Zimmer«, sprach sie; »aber die alte Matten ist bei ihm; er wünschet ungestört zu bleiben.«

So stieg ich die Stufen der breiten Treppe hinauf und öffnete die Tür des großen Saales. Da waren nur die beiden Toten. Hohe Wachskerzen auf silbernen Kandelabern brannten an ihren Särgen, so mit einem Zwischenraume nebeneinanderstanden, und die Flammen knisterten leise, als müsse doch irgend etwas sich hier regen; hinter ihnen hingen lange Leilaken vor den hohen Fenstern. Und da ich stand und mein Auge nicht von den Leichen wenden konnte, deren Angesichter zu mir gewendet waren, vernahm ich ein Rauschen wie von Weiberkleidern an des Junkers Sarge, und eine dunkle Gestalt, die lautlos dort gelegen, richtete sich empor. Es war Abel, und ich ging zu ihr, reichte ihr die Hand und sagte: »Hat Sie ihn denn so sehr geliebet, Jungfer?«

Sie neigte nur das Haupt und sprach: »Es hat ihm nichts genützet.«

Aber mein Herz erzürnte sich wegen ihrer Trauer für den armen Knaben. »Gottes Barmherzigkeit«, sprach ich hart, »wird alles ihm ersetzen.«

Da sahen ihre dunklen Augen fast gottlos in die meinen, als wollten sie mich lehren, daß nur ein Weib, nicht unser Herrgott selber, was er verloren, ihm ersetzen könne. Mir aber erschien in diesem Augenblick das Schweigen der Toten so ungeheuer, daß auch mein Mund verstummte. Ich blickte auf das starre Angesicht des Knaben, und eine Falte zwischen den fest geschlossenen Augen, so der Tod nicht ausgeglättet, deuchte mir zu sagen, daß er noch itzo seinem Schöpfer zürne, der ihn also früh berufen habe.

Da hatte sich die Tür geöffnet, und unser Herr in voller schwedischer Obristenuniform, den Hut mit Federn auf dem Haupt, war eingetreten; aber seine Wangen waren schlaff und seine Augen müde; ihm folgeten die alte Matten und der Vetter mit der Tante Adelheid, welche der Tod des Knaben von ihrem Bette aufgetrieben hatte.

Nachdem der Oberst zwischen die Särge hineingegangen war, kam es auch draußen die Treppenstufen herauf, und die Leute, so auf dem Hofe gestanden hatten, fülleten nun den ganzen Saal, ja standen überdem noch draußen vor den offenen Türen auf dem Gange.

Der Oberst hob seinen Hut vom Haupte: »Ich habe euch herbestellet«, begann er mühsam; »ich mußte es, denn mein Mund ist der letzte, der hier noch reden kann. – So höret es! Nicht ich und nicht mein Sohn, den mir der Herr genommen – der Greis hier in dem zweiten Sarge« – und er legte seine Hand sanft auf die des Toten – »ist euer Herr gewesen bis an sein Ende. Aber ihr sahet ihn nicht, und da er kam als ein Dienender, habet ihr ihn nicht erkannt; unstet und flüchtig blieb er nach dem Fluch der Schrift ein langes Leben durch; denn seinen Zwillingsbruder hat er im jähen Zorn erschlagen. Aber nicht wie Kain den Abel: der Bruder hatte ihm sein Glück, sein junges Weib, getötet; und da zwang er ihn zum Kampf und erschlug ihn.« Und der Oberst legte die Faust auf seine Brust, daß die Spangen an dem Degenriemen klirrten: »Beim ewigen Gott! Ich hätt' ihn auch erschlagen!«

Nach einer Pause sprach er dann noch einmal: »Das habe ich euch sagen müssen, um der Ehre des Toten und um der Wahrheit willen. – Und nun, ihr Alten, die ihr mit ihm jung gewesen, sehet ihn noch einmal an, ob ihr den Junker Hinrich von Grieshuus erkennen möchtet! Und fürchtet euch nicht, denn in seinem Angesicht ist Frieden.«

Da lösete sich eine Reihe alter Leute aus dem Haufen, und sie traten langsam, gar einige auf Krücken oder von einem Kinde geführet, zu dem Sarge und blickten gierig und doch mit Scheu in des Toten Angesicht, das auf all ihr Schauen keine Miene regete. Bald aber erhob sich eine oder die andre Hand und strich liebkosend über das Leichenhemde oder gar an die Wange des Leichnams selber, und ich hörete: »Ach ja, der Junker! Unser Junker Hinrich!« Eine Stimme aber rief laut: »Mein Herr! Mein guter Herr! Nun hast du deine Bärbe wieder!« Das war der alte Hans Christoph aus dem Dorfe.

Der Oberst hatte sich zu seinem Sohn gewendet; er faßte das schöne tote Haupt in seine Hände und küßte es zu vielen Malen. »Rolf«, sprach er leise; »mein Kind! Mein Kind! Vor den Wölfen hat er dich bewahren können; der Wille Gottes ist für ihn zu stark gewesen!«

Die alte Matten stand auf ihren Stock gelehnet und horchete und hielt die Hand ans Ohr und nickte dann, als ob nun alles gut sei. Es war totenstill geworden, die alten Leute lagen schweigend am Sarge ihres alten Herrn.

»Und nun gehet hinaus«, sprach er Oberst wieder, »und lasset mich ein Weilchen noch bei unsern Toten; dann wollen wir die Letzten ihres Stammes in der Gruft zur Ruhe setzen.«

Abel mit ihrem dunklen und doch bleichen Antlitz stand zu Häupten des Junkers Sarge; als auch sie hinaus wollte, faßte der Oberst ihre Hand: »Nein, bleibe, Kind; und auch Er, Magister; denn die Stütze meines Lebens ist gefallen.«

 

Die Toten waren beigesetzet, und als hernach die kupfernen Kisten kamen, ich nicht welche ihre Särge eingesenket wurden, da ließ der Oberst die Kapellengruft vermauern, wie sie noch itzo ist. Ihn selbst aber hatte die Sippe seines Weibes vor Gericht gezogen; denn es war unerweisbar, wer zuerst gestorben, ob der Junker Hinrich, ob sein Enkel Rolf; war es der letztere, so hatte dessen Vater kein Erbrecht, weder an Grieshuus noch an den Meierhof. Da es aber bei unterschiedlichen Gerichten gelegen, haben sie endlich sich zu gütlichem Ausgleich hergelassen, und der Oberst hat den Hof gelassen und ist nach Stockholm hingezogen. Die Tante ist mit ihm dahin gegangen; der Vetter aber hatte inzwischen wieder Mut gewonnen, er ging zu einem andern Vetter, bei welchem er sich auch hier im Land zu nähren dachte. »Ehrwürden«, sagte er mir bei seinem Abschied, »wir wären alle hiergeblieben, wäre ich in jener Nacht auf Grieshuus statt auf dem Meierhof gewesen!« – Sie sind wohl itzo alle nicht mehr hienieden; denn außer zween Schreiben des Herrn Obersten, bald nach ihrem Abgang, habe ich von keinem etwas mehr vernommen.

Nach dem Begräbnisse aber war das Gerede von den schlimmen Tagen wieder aufgekommen: der Nachtspuk des Erschlagenen habe dem Junker Hinrich nun doch das Genick gebrochen und also ihn und sein Geschlecht vernichtet. Ich aber sage heut wie vormals: Das sind nugae, und es passet nicht zu des Allweisen Güte; das Pferd wird vor dem hellen Stein gescheuet haben, und so ein altes Leben findet bald ein Ende. Doch will ich eines nicht verschweigen.

Am Tage nach der Beisetzung ist ein Bauer auf den Hof gekommen, der hat die Falada am Stricke hinter sich gezogen und gefraget, ob das Tier nicht hier zu Haus gehöre. Eine Meile unterhalb der Brücke habe es am Fluß gestanden, mit gesenktem Kopfe in das Wasser schauend, gleich als wenn es sich besinne und sich nicht einige werden könne, ob es hinüberschwimmen solle oder nicht; aber da er näher gegangen, sei es noch immer so gestanden und habe auch weder um- noch aufgeschauet; der Nachtmahr oder sonst was müsse es geritten haben.

Die Knechte kamen und auch der Herr und besahen das Pferd, das sich nicht rührete, und sagten: ja, das sei freilich die Falada; aber es sei vordem ein feueriges und gar kluges Tier gewesen.

Und da es erschrecklich mager war, meineten sie, es müsse nur erst wieder Kräfte sammeln, und führeten es in den Stall, wo es lange Zeit mit Fürsicht gut gefüttert wurde. Aber es blieb dasselbe noch nach Wochen, auch nach Monden; denn die schöne feurige Falada war hintersinnig worden u zu keinem Ding auf Erden noch was nütze. Da hat der Oberst sich erbarmet und ihr selbst die Kugel durch den Kopf geschossen.

Die alte Matten hatte ich in mein Haus genommen, und da ich sie eines mondhellen Abends holete, ist sie, wie sie mir sagte, gern mit mir gegangen. Als wir auf dem Steige über dem Kirchhofe wanderten, nickte sie nur nach der Kapellenmauer und murmelte wie für sich selber: »Gute Nacht, ihr Christenseelen alle! Gute Nacht auch, Junker Hinrich und du kleiner Rolf! Bei Gott ist Rat und Tat!«

Und ein paar Jahre hat sie dann noch in Frieden unter meinem Dache gelebt.

In dieser Zeit aber ist aus dem großen Unglück der vornehmen Leute mein allergrößtes Glück erwachsen; denn Abel ist mein ehelich Weib geworden und eure Mutter, du, mein Kaspar, und du, meine Maria! Manchen holden Tag hat sie mir gemacht, und die Frommen haben sie geliebt; aber den »König Enzio« hat sie nimmer doch vergessen können. Da haben wir unsre Liebe für den Toten zusammengetan und die weißen und die roten Rosen an der Mauer seiner Gruft gepflanzt und allezeit gepfleget. Und fast ein Menschenleben hat der Allgütige mir mein Glück gelassen; itzt ruhet auch sie unter Rosen, die meine Hand allein gepflanzet. Es ist geworden, wie einst Matten sagte: ich habe alle überlebt. Und nicht nur die Menschen; denn Grieshuus ist abgebrochen worden, nur noch Mauertrümmer ragen aus der Erde; die Wälder werden Jahr für Jahr geschlagen, daß bis in unser Dorf hinunter der Sturz der Rieseneichen schallet. So ist es, wie der Dichter singt:

Auf Erden stehet nichts, es muß vorüberfliegen;
Es kommt der Tod daher, du kannst ihn nicht besiegen.
Ein Weilchen weiß vielleicht noch wer, was du gewesen;
Dann wird das weggekehrt, und weiter fegt der Besen.


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