Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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7. Mannheim

»Die Absicht der Reise, und zwar die notwendige Absicht war, ist und muß sein, einen Dienst zu bekommen oder Geld zu erwerben.« Diese Worte, die Leopold Mozart einige Monate nach der Abreise seinem Sohn schrieb, drücken klar des Vaters Lebenspläne aus.

An eine der damals üblichen Bildungsreisen hat dieser keinen Augenblick gedacht; selbst wenn er die Mittel dafür gehabt hätte, hätte er eine solche nicht für nötig gehalten. Leopold Mozart war ein ausgezeichneter Musikpädagoge und ein guter Kenner der zeitgenössischen Musik. Aber über die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung derselben gerade nach der Seite hin, wie sie sich vollzog, also nach der mehr geistigen, tiefer aus dem Erlebten heraus schöpfenden, hat er nicht gedacht. Vielleicht wäre ihm sonst doch wohl der Gedanke gekommen, daß sein Sohn noch keineswegs vollkommen reif war für die Welt, daß diesem Sohne bisher alle Berührung, jede Gelegenheit zur selbständigen Auseinandersetzung mit dieser Welt gefehlt hatte. Nein, in der Hinsicht war Vater Mozart keinerlei neuen Gedanken zugänglich. Von der Genieperiode, die um diese Zeit für die Literatur schon lange in Blüte stand, hatte er entweder in dem abgelegenen Salzburg nichts erfahren; oder, wenn es doch der Fall gewesen, hatte es sicher nur dazu gedient, ihn in seinen soliden Lebensanschauungen zu bestärken.

An eine soziale Revolution des Künstlerstandes, an eine Wandlung des Verhältnisses des Kunstschöpfers zur Welt, wie sie sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts für die Dichtung unaufhaltsam vollzogen hatte, dachte der Musiker noch nicht. Leopold Mozart wußte, daß sein Sohn gelernt hatte, was zu lernen war. Als Virtuose genügt das eigentlich zu allen Zeiten. Bei einer mehr formalen Kunstauffassung mußte es auch für einen Komponisten ausreichen. So mußte ihm also sein Sohn aufs trefflichste vorbereitet erscheinen, um eine Stellung zu verdienen. Diese feste Anstellung, wenn möglich bei einem Hofe, war aber das Höchste, was der Musiker sich wünschen konnte. In der Tat bot bei den damaligen Verhältnissen diese Stellung auch die mannigfachste Gelegenheit zur künstlerischen Betätigung als Komponist. Je mehr das musikalische Schaffen als ein – gewiß nicht nur sinnreiches und technisch vollendetes, sondern auch von schöner Empfindung belebtes – Spiel mit Formen erschien, um so mehr mußte man auch die stete Schaffensbereitschaft des Künstlers annehmen. Um so höher war dann eine Stellung zu bewerten, die immer Gelegenheit zu dieser Produktion bot. Im übrigen müssen wir noch bedenken, daß es eine Virtuosenlaufbahn im heutigen Sinne des Wortes damals eigentlich nur für den Sänger gab. Instrumentalisten, auch wenn sie vom Erfolg begünstigt waren, haftete als reisenden Künstlern doch leicht etwas Abenteuerhaftes an; und es war auch des Virtuosen sehnlichster Wunsch, sich den Rückhalt der sicheren Stellung eines festen Dienstverhältnisses zu schaffen.

Nun aber war es für Vater und Sohn von jeher klar gewesen, daß Mozarts höhere Bedeutung in der Komposition lag. Diese konnte aber überhaupt nicht anders zum Lebenserwerb dienen, als wenn man zu Aufträgen gelangte. Solche aber waren wieder mit einer Stellung verbunden. Gerade für das dramatische Schaffen hat sich um jene Zeit langsam die Wandlung im Verhältnis des Komponisten zur Bühne vorbereitet. Wir haben eines der frühesten Zeugnisse dafür gerade in den Erlebnissen, die Wolfgang in den nächsten Monaten bevorstanden. Als er hoffte, an der neugegründeten Singspielbühne in Wien eine Kapellmeisterstellung oder doch wenigstens den Auftrag zu einer Oper zu erhalten, schrieb der Wiener Vertrauensmann des Vaters, Heufeld, am 23. Januar 1778, daß auf diesem Wege nichts zu machen sei: »Hiegegen bleibet guten Talenten ein anderer, rühmlicherer und sicherer Weg offen, wodurch sie ihr Glück machen können, nämlich ihre Produzierung, wozu jeder gern gelassen wird. Will der Sohn sich die Mühe nehmen, zu irgendeiner guten deutschen Oper die Musik zu setzen, solche einschicken, sein Werk dem allerhöchsten Wohlgefallen anheimstellen und dann die Entscheidung abwarten, so kann es ihm geraten, wenn das Werk Beifall findet, anzukommen.« Abgesehen davon, daß hier der Kaiser die Entscheidung fällte, ist das Verhältnis dem ähnlich, das wir heute gewohnt sind. Aber daß Wolfgang diese Zumutung, wie ein Anfänger eine komische Oper »gerad auf ungewiß, auf Glück und Dreck« zu schreiben, als schwere Kränkung empfand, ist beredt genug, daß man in den musikalischen Verhältnissen noch lange nicht so weit war wie etwa für das literarische Drama, wo diese Art des künstlerischen Angebots bereits vorherrschte.

Aber auch Wolfgangs Charakteranlage und bisheriger Entwicklungsgang mußten dem Vater das möglichst baldige Unterbringen seines Sohnes in einer festen Stellung als das Wünschenswerteste erscheinen lassen. Es ist gewiß wahr, daß nur ein sorgloses Gemüt, wie es Wolfgang beschieden war, daß nur ein Mensch, dem angesichts seiner Kunst aller irdische Vorteil völlig aus den Augen schwand, daß eben überhaupt nur ein Mensch, den alles Materielle nicht berührte, zu einer so wunderbar apollinischen Heiterkeit der Kunst gelangen konnte. Dazu muß man völlig unberührt bleiben von aller Notdurft des Lebens, die ihn doch in Wirklichkeit arg bedrängte, der aber auch der materiell Sichergestellte niemals entgehen kann, wenn sie etwa in Gestalt von Krankheit oder sonstiger Not an ihn herantritt. Aber es ist ebenso leicht verständlich, daß der fürsorgliche Vater seinem Sohne ein anderes, von materiellen Sorgen möglichst freies Leben wünschte. Und da war bei der Art Wolfgangs nirgendwo anders die Rettung, als in einer festen, sicheren Stellung. Wie oft hat es ihm der Vater vorgehalten, daß er zu vertrauensselig sei, daß er jedem aufs Wort glaube und nirgendwo seinen Vorteil im Auge behalte, wenn er nur komponieren könne. Man hat darüber oft dem Vater einen Vorwurf gemacht. In der Tat ist seine Fürsorge zu einer Bevormundung des Sohnes geworden. Der hätte sicher mit den Geldsorten Bescheid gewußt, wenn er in Salzburg Geld unter die Finger bekommen hätte. Aber abgesehen davon, daß den Vater nur die beste Absicht leitete, ist es doch leicht denkbar, daß Mozart eben jegliche Anlage zum praktischen Menschen fehlte. Auch gab sich der selber so schön und stattlich gewachsene Vater sicher keiner Täuschung darüber hin, daß Wolfgangs allzu zierliche, fast knabenhaft wirkende Erscheinung ihm für ein Fortkommen in der doch sehr stark auf körperliche Kultur haltenden Rokokogesellschaft, vor allem aber an den Höfen ein schweres Hemmnis sein mußte. Daher die steten Ermahnungen zu einem würdigen und gesetzten Auftreten.

Weniger verwies er ihm leider eine andere, vom Vater selbst ererbte Eigenschaft, die dem letzteren bei seiner großen Vorsicht und ausgezeichneten Menschenkenntnis wenig schadete, dem Sohn aber sicher manches Hemmnis in den Weg gelegt hat. Die Mozarts waren nach ihrem eigenen Ausdruck »schlimm«. Gewiß ist das zumeist nur Mutwille geblieben; aber sie hatten alle einen sehr scharfen Blick für die Schwächen anderer und eine spitze Junge, ihre Beobachtungen ausdrücken zu können. Wolfgang saß nun nicht bloß das Herz, sondern auch der Geist auf der Junge, und arglos, wie er war, in dem Bewußtsein auch, gegenüber aller Welt voll echten Wohlwollens zu sein, legte er sich da keine Zügel an. So hatte er in Gesellschaft die Lacher immer auf seiner Seite, aber für Zwischenträgereien war dann auch reichlich Stoff geboten.

Auf der anderen Seite ist es nur zu begreiflich, daß Wolfgang jetzt vor allem nur die längst ersehnte Freiheit fühlte. »Ich bin immer in meinem schönsten Humor, mir ist so federleicht, seitdem ich von dieser Schikane weg bin«, jubelte er von München aus, und als sichtlichsten Beweis seines Wohlergehens kann er hinzufügen, daß er auch schon »fetter« sei. Seine Briefe, die von jetzt ab eine fortlaufende Chronik seiner Erlebnisse bilden,Ich kann jedem Leser nur dringend raten, Mozarts Briefe neben jeder Lebensbeschreibung, die sich ja immer in ausgiebigem Maße auf diese Dokumente stützen muß, als geschlossene Lektüre sich zu gönnen. Diese Briefe bereiten in ihrer Frische und Lebendigkeit einen ungetrübten Genuß. Neben der von Ludwig Rohl besorgten Gesamtausgabe der Briefe (2. Aufl., Leipzig 1877) kommt vor allem für die Musikliebhaber die Auswahl in Betracht, die ich für die »Bücher der Weisheit und Schönheit« (Stuttgart, Greiner & Pfeiffer) bearbeitet habe. zeigen auf jeder Seite diese gehobene Stimmung des endlich der Hofschikane, aber doch auch der andauernden Schulmeistern des Vaters Entronnenen. Der Vater mochte sich natürlich jetzt nicht sagen, daß seine strenge Weltauffassung, seine bei aller inneren Güte nach außen ablehnende oder doch abwartende Haltung den Menschen gegenüber das Erzeugnis seines ungemein mühseligen Aufkommens in der Jugend war; also gerade die Folge von Lebenserfahrungen, die er Wolfgang mit allen Mitteln bislang erspart hatte. Da mußten dem bisher so sorgsam gehegten Jüngling die Lehren und Mahnungen seines ja noch immer über alles verehrten und aufs innigste geliebten Vaters doch oft als pedantisch und überängstlich erscheinen oder auch von ihm gar nicht verstanden werden. Man wird den Eindruck nicht los, daß es bei der vortrefflichen sittlichen Anlage Wolfgangs gut gewesen wäre, wenn man ihn jetzt einmal völlig auf sich selbst gestellt hätte. Davon aber war bei dem Vater kein Gedanke. Da es ihm nun einmal nicht möglich war, seinen Sohn auf dieser Reise zu begleiten, einfach weil er nicht das sichere Brot in der Heimat preisgeben konnte, so tat er doch alles mögliche, um keinen Augenblick die Leitung des Zweiundzwanzigjährigen aus der Hand zu geben. Die Mutter mußte ihn begleiten, und er forderte von den Reisenden genaueste Rechenschaftsberichte. Auch das war wesentlich Fürsorge und vielleicht auch Notwehr gegenüber den Lebensverhältnissen. Denn Vater Mozart war jetzt ein Mann von 58 Jahren. Die Ersparnisse, die man gemacht hatte, waren in den knappen Salzburger Jahren aufgezehrt worden. Man kann es sich vorstellen, was es für den so peinlich ehrenhaften Mann bedeutete, daß er jetzt Schulden eingehen mußte, um dem Jüngling die Reise zu ermöglichen. Es war kein Gedanke dran, daß Leopold Mozart von seinen Einkünften diese Schulden jemals wieder würde tilgen können. Es ist rührend, wenn wir vernehmen, daß der Vater, der seit vielen Jahren alle Privatstunden aufgegeben hatte, sich jetzt wieder um solche bemühte, daß auch die Schwester alle Kräfte zusammennahm, um etwas für den Haushalt zu verdienen, der ohnehin so knapp wie möglich gehalten wurde. Der Vater hatte jetzt schon ein Recht, von seinem Sohne zu verlangen, daß er alle Kräfte aufwendete, um ihm zu vergelten, daß er seit zwei Jahrzehnten fast nur seiner Ausbildung gelebt hatte. Wolfgang hatte an sich gewiß den allerbesten Willen, seines Vaters Wünsche zu befriedigen; aber es lag notwendigerweise in seiner Künstlernatur, daß er vom Leben allzu großzügig dachte. Schließlich aber waren es doch nur die widrigen Verhältnisse, daß die Reise in praktischer Hinsicht so gänzlich erfolglos blieb. Doch wir wollen nicht vorgreifen.

Als Wolfgang am 2. September 1777 in der Frühe mit seiner Mutter in der eigenen Chaise – hinten in Koffern wohl verpackt das sauber abgeschriebene Notenmaterial und alles, was zum würdigen Auftreten vor der Welt nötig war – aus dem Salzburger Tor hinausfuhr, war er voll fröhlicher Zuversicht. Er hat sicher nicht geahnt, daß der Vater daheim nach dem Abschied matt über die Stiege hinaufging und, vom Trennungsschmerz überwältigt, sich auf den Sessel niederwarf. » Viviamo come i principi, uns geht nichts ab als der Papa; je nun, Gott will es so haben, es wird noch alles gut gehen. Ich hoffe, der Papa wird wohl auf sein und so vergnügt wie ich; ich gebe mich ganz gut drein. Ich bin der andere Papa; ich gib auf alles acht. Ich habe mir auch gleich ausgebeten, die Postillione auszuzahlen, denn ich kann doch mit die Kerls besser sprechen als die Mama. – Der Papa soll Achtung geben auf seine Gesundheit – und gedenken, daß der Mufti H(ieronymus) C(olloredo ) ein Schwanz, Gott aber mitleidig, barmherzig und liebreich seie.«

Nun war man in München. Der Vater hegte wenig Erwartungen vom bayerischen Hofe; immerhin mußte man es erst in der Nähe versuchen, bevor man in die Ferne ging. Wolfgang sah alles im rosigsten Lichte. Aber der Vater behielt natürlich recht. Trotz aller Fürsprache blieb der Kurfürst dabei, daß Mozart zu jung sei. Auch sei »keine Vakatur« da. Gewiß hegten manche Kunstfreunde den Wunsch, den jungen Komponisten in München festzuhalten; aber der Theaterintendant Graf Seeau kam auch über die platonische Bewunderung nicht hinaus, und was andere versuchten, blieb beim guten Willen. Wolfgang sehnte sich nur nach Betätigung. »Daß doch die Herren einem jeden glauben und nichts untersuchen wollen! Ja, das ist allzeit so! – Ich lasse es auf eine Probe ankommen; er soll alle Komponisten von München herkommen lassen, er kann auch einige von Italien und Frankreich, Deutschland, England und Spanien verschreiben, ich traue mir mit einem jeden zu schreiben.« –

Auch in München regte sich der nationale Geist. Man suchte sich von der Alleinherrschaft der italienischen Oper freizumachen. Schon gab man deutsche Singspiele, wenn auch zumeist nur Übersetzungen. »Eine deutsche Opera seria möchten sie auch bald geben – – und man wünschte, daß ich sie komponierte.« Wolfgang war natürlich glücklich, wenn er nur so etwas aussprechen hörte. »Ich darf nur von einer Opera reden hören, ich darf nur im Theater sein, Stimmen hören – so bin ich schon ganz außer mir.« Er hätte sich gern dazu verstanden, ohne alle sichere Anstellung in München zu bleiben, nur um komponieren zu können. »Für mich allein wäre es nicht unmöglich, mich durchzudringen, denn von Graf Seeau wollte ich wenigstens 300 fl. bekommen. Für das Essen dürfte ich mich nicht sorgen, denn ich wäre immer eingeladen, und wäre ich nicht eingeladen, so machte sich Albert eine Freude, mich bei sich zu Tisch zu haben. Ich esse wenig, trinke Wasser, auf die Letzt zur Frucht ein Glas Wein. Ich würde den Kontrakt mit Graf Seeau (alles auf Anraten meiner guten Freunde) so machen: alle Jahre vier deutsche Opern, teils buffe und serie, zu liefern; da hätte ich von einer jeden eine Sera oder Einnahme für mich, das ist schon so der Brauch. Das würde mir allein wenigstens 500 fl. tragen, das wäre mit meinem Gehalt schon 800 fl. – aber gewiß mehr; denn der Reiner, Komödiant und Sänger, nahm in seiner Sera 200 fl. ein, und ich bin hier sehr beliebt. Und wie würde ich erst beliebt werden, wenn ich der deutschen Nationalbühne in der Musik emporhälfe! – Und das würde durch mich gewiß geschehen, denn ich war schon voll Begierde, zu schreiben, als ich das deutsche Singspiel hörte.« (2. Okt.)

Aber bald erkannte er doch, daß in München nichts zu machen sei. Um so glücklicher war er, als ihm der Opernkomponist Joseph Misliweczeck, der den Mozarts von Italien her befreundet war, jetzt aber schwerer Krankheit verfallen in München hinsiechte, die Hoffnung weckte, eine Oper für Italien zu schreiben. »Es ist wahr, man bekommt nicht viel, aber doch etwas, und man macht sich dadurch mehr Ehre und Kredit, als wenn man hundert Konzerte in Deutschland gibt, und ich bin vergnügter, weil ich zu komponieren habe, welches doch meine einzige Freude und Passion ist. Nun, bekomme ich wo Dienste oder habe ich wo Hoffnung, anzukommen, so rekommandiert mich die Skrittura viel und macht Aufsehen und noch viel schätzbarer. Doch ich rede nur, ich rede so, wie es mir ums Herz ist. Wenn ich vom Papa durch Gründe überzeugt werde, daß ich unrecht habe, nun so werde ich mich, obwohl ungern, drein geben.« (11. Okt.) Der Vater wollte zwar nichts von der Hand weisen, bestand aber auf der Durchführung des Reiseplanes. So verließen unsere Reisenden am 11. Oktober München und kamen abends in Augsburg an.

Vater Mozart hat seine Heimatstadt so gern Wielands »Abdera« verglichen, daß er sicher Erwartungen künstlerischer Art an den dortigen Aufenthalt nicht knüpfte. Begreiflich ist's trotzdem, daß er gern vielen daheim mit der herrlichen Künstlerschaft seines Sohnes Eindruck machen wollte. Vielleicht hegte er auch die Hoffnung, daß es zwischen Wolfgang und seiner Base Marianne zu einem ernsteren Herzensbunde kommen würde. Die Aufnahme im Hause des Oheims war überaus freundlich, und die beiden jungen Leute fanden in der Tat auch Gefallen aneinander. Wolfgang allerdings nur für ein mutwilliges Spiel, während das Mädchen doch wohl mehr davon erwartet hatte. Wir haben die Briefe Wolfgangs an diese Base. Sie gehören zu jenen schriftlichen Zeugnissen von ihm, die in ihren besseren Teilen von kindlicher Frohlaune zeugen, sonst aber doch mehr läppisch, ja für den heutigen Geschmack nicht ganz unbedenklich wirken. Zur letzteren Meinung kommt aber eben nur der heutige Geschmack. In damaliger Zeit war man in der Rede von geschlechtlichen Dingen viel freier als heute, und was in der vornehmen Gesellschaft mit viel Esprit umkleidet wurde, kam bei den Bürgersleuten derb heraus. In Wirklichkeit war Wolfgang eine durchaus lautere Natur, und für das Spielerische in seinem Wesen haben wir ja auch schon die Erklärung gefunden, daß es das natürliche Gegengewicht gegen die übermäßige künstlerische Tätigkeit bildete.

Im allgemeinen ist es ein recht trübes Bild deutschen Lebens, in das uns Wolfgangs Augsburger Erlebnisse blicken lassen. Von der alten Herrlichkeit deutscher Reichsstädte war nur die Karikatur übriggeblieben. Ein lächerlicher Standeshochmut trennte die Patriziergeschlechter von den Bürgern. Die konfessionellen Gegensätze hatten sich zu arger Gehässigkeit gesteigert. Das ganze Leben war kleinlich, in allen Geldangelegenheiten geradezu schmutzig. Wolfgang wußte, wo es durchaus nötig war, gehörig aufzutrumpfen und wehrte sich mit scharfer Junge gegen den Spott, den der kleine »Cavaliere vom goldenen Sporn« erdulden mußte. Aber dann ließ er sich in seiner Gutmütigkeit wieder allzu leicht versöhnen. Bei den künstlerisch Verständigen und Empfänglichen gewann er als Spieler auf Klavier und Orgel natürlich den größten Erfolg. Am wichtigsten war seine Begegnung mit dem berühmten Klavierbauer Georg Andreas Stein (1728–1792), dessen Instrumente des Künstlers helle Begeisterung weckten. Dagegen hatte er gegenüber dem Klavierspiel des Augsburger Wunderkindes, Steins Tochter Maria Anna (geboren 1769), viele Bedenken. Wir geben den Brief an dieser Stelle wieder. Dem Andenken des Mädchens, das später als treffliche Frau Nanette Streicher Beethovens guter Hausgeist wurde, schadet dieser Brief nichts, weil ja ihre Fähigkeiten darin anerkannt sind. Aber er gibt einerseits ein gutes Beispiel für Wolfgangs »schlimme« Art, andererseits zeigt er den hohen Ernst, der den Klavierspieler Mozart auszeichnete. »Wer sie spielen sieht und hört und nicht lachen muß, der muß von Stein wie ihr Vater sein. Es wird völlig gegen den Diskant hinaufgesessen, beileibe nicht mitten, damit man mehr Gelegenheit hat, sich zu bewegen und Grimassen zu machen. Die Augen werden verdreht, es wird geschmutzt; wenn eine Sache zweimal kommt, so wird sie das zweitemal langsamer gespielt; kommt sie dreimal, wieder langsamer. Der Arm muß in alle Höhe, wenn man eine Passage macht, und wie die Passage markiert wird, so muß es der Arm, nicht die Finger, und das recht mit allem Fleiß schwer und ungeschickt tun. Das Schönste aber ist das, wenn in einer Passage (die fortfließen soll wie Öl) notwendigerweise die Finger gewechselt werden müssen, so braucht's nicht viel acht zu geben, sondern wenn es Zeit ist, so läßt man aus, hebt die Hand auf und fängt ganz kommod wieder an. Durch das hat man auch eher Hoffnung, einen falschen Ton zu erwischen, und das macht oft einen kuriosen Effekt. Ich schreibe dieses nur, um dem Papa einen Begriff von Klavierspielen und Instruieren zu geben, damit der Papa seinerzeit einen Nutzen daraus ziehen kann. Herr Stein ist völlig in seine Tochter vernarrt. Sie ist 8 Jahr alt, sie lernt nur alles auswendig. Sie kann was werden, sie hat Genie! aber auf diese Art wird sie nichts, sie wird niemals viel Geschwindigkeit bekommen, weil sie sich völlig befleißt, die Hand schwer zu machen. Sie wird das Notwendigste und Härteste und die Hauptsache in der Musik niemals bekommen, nämlich das Tempo, weil sie sich von Jugend auf völlig beflissen hat, nicht auf den Takt zu spielen. Herr Stein und ich haben gewiß zwei Stunden miteinander über diesen Punkt gesprochen. Ich habe ihn aber schon ziemlich bekehrt, er fragt mich jetzt in allem um Rat. Er war in den Beecké (1730–1803, berühmter Klavierspieler. D. V.) völlig vernarrt; nun sieht und hört er, daß ich mehr spiele als Beecké, daß ich keine Grimassen mache und doch so expressiv spiele, daß noch keiner, nach seinem Bekenntnis, seine Pianofortes so gut zu traktieren gewußt hat. Daß ich immer akkurat im Takt bleibe, über das verwundern sie sich alle. Das tempo rubato in einem Adagio, daß die linke Hand nichts darum weiß, können sie gar nicht begreifen. Bei ihnen gibt die linke Hand nach.« (23. Okt.)

Am 26. Oktober verließen sie Augsburg und trafen am 30. in

Mannheim

ein. Der Aufenthalt in der kurpfälzischen Residenzstadt sollte über jede Erwartung lange dauern und wurde für Mozart als Künstler und Mensch von größter Bedeutung.

»Nach Mannheim muß ich, denn ich will und muß einmal in meinem Leben mich recht an Musik ersättigen, und wann oder wo werde ich jemals dazu bessere Gelegenheit finden.« Also Wieland in einem Briefe an Merck. Mannheim war damals zweifellos der beste Platz für einen jungen Musiker in Deutschland. Es hatte überhaupt die Bedeutung eines Kulturzentrums. Kurfürst Karl Theodor (1724–99), der 1743 die Regierung angetreten hatte, war vielleicht der einzige deutsche Fürst jener Zeit, der mit der Bewunderung des auch von ihm eifrig nachgeahmten Gehabens der französischen Könige ernste Fürsorge für Kunst und Wissenschaft und obendrein ein gewisses Nationalbewußtsein verband. Wenn er sein Lustschloß Schwetzingen zu einem kleinen Versailles zu machen strebte und auch im Verhältnis zum weiblichen Geschlecht das Beispiel des Sonnenkönigs allzu treu befolgte, so schuf er auf der anderen Seite eine tüchtige Akademie der Wissenschaften, legte eine ausgezeichnete Kunstsammlung an und suchte nach Möglichkeit Anschluß an die aufstrebende deutsche Literaturbewegung. Man hatte Männer von literarischem Ruf an Ort und Stelle – Gemmingen, Klein, Dalberg, Maler Müller –, gewann den Besuch Klopstocks, suchte Fühlung mit Lessing und wußte Wieland später häufiger hinzubringen. Die Gründung eines deutschen Schauspiels an Stelle des sonst an Höfen üblichen französischen wurde mit Eifer und unter Aufwendung großer Mittel betrieben. Das schöne neugebaute Nationaltheater erhielt allerdings erst wenige Jahre später durch Schillers Genius die Weihe, doch besaß die Bühne schon damals ein gutes Schauspielensemble.

Der künstlerische Schwerpunkt Mannheims lag aber in der Musik. Die ganze Bedeutung Mannheims nach dieser Richtung ist erst neuerdings wieder, vor allem durch die Forschungen Hugo Niemanns ins rechte Licht gesetzt worden. Man hat ja schon immer von einer »Mannheimer Komponistenschule« gesprochen, aber durch die unvergleichlichen Leistungen der deutschen Musik in den Jahrzehnten um 1800 wurde die vorangehende Arbeit verdunkelt. Heute wissen wir, daß die Umwandlung des gesamten Orchesterstils, durch die die große deutsche Orchestertechnik überhaupt erst ermöglicht wurde, von Mannheim ausging. 1742 war hierhin der Böhme Johann Stamitz (1717–57) als Kammervirtuose gekommen. Er erzog sich dann jenes Orchester, von dem man rühmte, daß es in Europa seinesgleichen nicht habe. Selber ein gefeierter Violinvirtuose, das Haupt der deutschen Violinistenschule, führte er das dynamisch nuancierte Spiel ( Crescendo und Diminuendo) im Orchester ein. Das mag heute geringfügig erscheinen. Aber Reichardt erzählt, daß sich die Zuhörer, als sie zum ersten Male das allmähliche Anwachsen des Orchesterklanges vernahmen, allesamt langsam von den Sitzen erhoben und erst beim Diminuendo wieder Luft schöpften und merkten, daß ihnen der Atem ausgeblieben sei. Er erzog die Geiger zu gleichmäßiger Bogenführung und erneuerte die ganze Art der Orchesterzusammensetzung. Der Basso continuo wurde abgeschafft, die Bläser wurden selbständig gegenüber dem Streichkörper verwertet, die Klarinette eingeführt, überhaupt die Bedeutung der Blasinstrumente für das Orchester erst recht erkannt. Es war natürlich Vorbedingung für sein Wirken, daß Stamitz als Komponist diese Neuerungen durchzusetzen vermochte. Als solcher hat er denn auch an die »Stelle des konventionellen, feierlichen, breiten Stils der Epoche Corelli-Abaco-Bach-Händel den buntgestaltigen individualistischen Stil gesetzt, der – von Haydn, Mozart und Beethoven übernommen – der Stil der modernen Musik überhaupt wurde«. Stamitz' zahlreiche Orchestertrios, Symphonien und Konzerte, die auch im Druck erschienen, erregten das größte Aufsehen und wurden überall nachgeahmt. In seiner Musik steht mit einem Mal der Stil Haydn-Mozart fertig da. »Seine epochemachende Bedeutung wurde sogleich von den Zeitgenossen erkannt und durch die hervorragendsten Musikschriftsteller des 18. Jahrhunderts bestätigt... Daß sein Name und Ruhm nach 1800 in fast gänzliche Vergessenheit geriet, ist in erster Linie durch die erdrückende Größe des Genies der Wiener Meister Haydn, Mozart und Beethoven zu erklären; doch fällt auch der Umstand stark ins Gewicht, daß man früh Johann Stamitz mit seinem überaus fruchtbaren, aber der Originalität entbehrenden Sohne Karl (gest. 1801 als Universitätsmusikdirektor in Jena) verwechselte bzw. identifizierte, wodurch im Gemeinbewußtsein die Würdigung des Umstandes schwand, daß Haynds erste Symphonie zwei Jahre nach Stamitz' Tode geschrieben ist (1759) und Mozart erst ein Jahr alt war, als Stamitz starb.« (Niemann.)

Neben diesem bedeutenden Symphoniker wirkte ebenfalls in Mannheim Franz Xaver Richter (1709–89); in der Schreibweise etwas altertümlich, ist seine Melodik von einer unverkennbaren Ähnlichkeit mit der Sangeskunst Mozarts. Stamitz fand dann den besten Nachfolger in dem in Mannheim geborenen Christian Cannabich (1731–98), unter dem der Ruf des Orchesters seinen Höhepunkt erreichte. Dieser gründete sich nicht nur auf die sonst unerhörte Zucht des Ganzen, sondern auch auf die Mitgliedschaft ganz hervorragender Einzelkünstler. Die Geiger Toeschl, Cramer, Franzi genossen weithin Ruf. Der Flötist Wendling, der Oboist Ramm, der Fagottspieler Ritter und der Hornist Lang gehörten zu den ersten Virtuosen ihrer Zeit. Wo hätte Mozart für seine Entwicklung als Symphoniker wertvollere Eindrücke gewinnen können?!

Aber auch für die stärkste Neigung seiner Künstlerschaft, die Oper, fand Mozart hier reichliche Anregung. Nirgendwo suchte man dem Wunsche nach einer vaterländischen oder doch deutschen Oper nachdrücklicher Erfüllung zu schaffen als hier. Mußte man sich zunächst mit Übersetzungen italienischer Opern und französischer Singspiele begnügen, so ging das Verlangen doch auf deutsche Originalwerke. Wielands von Anton Schweitzer (1737–87) komponierte »Alceste« wurde 1775, zwei Jahre später als in der Verfasser Wirkungsorte Weimar, glänzend aufgeführt: eine deutsche Oper, von einem Deutschen gedichtet, einem Deutschen komponiert, von Deutschen gesungen. Obwohl man mit Recht gegen die »Alceste« viele Einwände erhob, erhielt Wieland doch den Auftrag zu einer neuen Dichtung, die wieder von Schweitzer komponiert werden sollte. Aber der Kurfürst wollte sogar ausgesprochen vaterländische Opern. Des Professors Anton Klein Dichtung »Günther von Schwarzburg«, zu der der Mannheimer Komponist Ignaz Holzbauer (1711–83) die Musik geschrieben hatte, die der junge Mozart als »sehr schön, voll Geist und Feuer« rühmte, hatte als erstes derartiges Werk lebhaften Anklang gefunden. Aber selbst wenn für den heutigen Beurteiler diese Kompositionen nicht viel bedeuten, es blieb bereits eine nationale Tat, daß Sänger und Orchestermitglieder durchweg Deutsche waren. Auch die Oper verfügte über erlesene Kräfte. Der weltberühmte Tenorist Anton Raaff (1714–97) war zwar über die Blütezeit seiner Stimme hinaus, bot aber noch immer das vollendetste Beispiel italienischen Schöngesangs. Von den weiblichen Mitgliedern war das bekannteste, Franziska Danzi, während Mozarts Anwesenheit auf Urlaub. Am so engeren Verkehr gewann er mit Dorothea Wendlina, die nach Wielands Urteil selbst die Mara übertraf, und ihrer Schwägerin Elisabeth Wendling.

Dem Ansehen der Kunst entsprach auch die Stellung der Künstler. Überhaupt war das gesellschaftliche Leben hier auf einen anderen Ton eingestimmt als in Salzburg. Die Morgenluft der deutschen Sturm- und Drangliteratur wehte den Rhein entlang, und von Frankreich drang die freiere Gesinnung und die frische Stimmung der Vorrevolutionsperiode herüber. Besonders war hier das Selbstbewußtsein des Künstlers, der in Deutschland vor allen anderen Träger des Freiheitsgedankens und des Bewußtseins der Menschenrechte war, lebhaft geweckt. Hier mutete man ihm nicht mehr eine Lakaienstellung zu wie in Salzburg. Die Mannheimer Musiker waren gut bezahlt und lebten in angesehener sozialer Stellung. Die Lebensführung war frei. Mit offenen Händen spendete man, was man scheinbar mühelos gewann. Die Gastfreundschaft stand in höchster Blüte, und wie an den künstlerischen, ließ man auch an den materiellen Genüssen gern jeden teilnehmen, der für ein solches Leben Verständnis mitbrachte. Freilich war diese Lebensführung reichlich locker, und das Treiben bei Hofe unterstützte die laxe Moralanschauung, die über die Künstlerkreise hinaus auch das Bürgertum erfaßt hatte. Aber für eine so reine Seele wie Mozarts barg das kaum eine Gefahr in sich. Die Kunst besaß so sein ganzes Sein, daß nur auf dem Wege über sie der Zugang zu seinem Kerzen möglich war. Da konnte es ja freilich zu einer Verirrung kommen, zu kurzer Ablenkung vom großen Lebensziel; aber etwas wirklich Unmoralisches, etwas Niedriges kam nicht an ihn heran. So hatte er von diesen Lebensverhältnissen, die er übrigens, was die leichte Moral betraf, von Kindheit an in Salzburg gewohnt war, nur das Gute eines ausgiebigen Genusses im freien Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht. Wolfgang war leicht empfänglich für Frauenschönheit und bekündete einen guten Geschmack. Aber der bald Zweiundzwanzigjährige, der dem Vater feierlich die Mitteilung von dem wichtigen Ereignis machte, daß ihm jetzt zum erstenmal der Bart habe geschnitten werden müssen, kam auch hier über eine harmlose Unterhaltung nicht hinaus. Die dreizehnjährige, frühreife und künstlerisch reich veranlagte Rosa Cannabich erschien auch ihm als ein »sehr schönes, artiges Mädel«, deren Anmut ihn so begeisterte, daß er das Andante einer ihr gewidmeten Sonate ganz in ihrer Art schuf. »Amoroso«, gewiß, aber doch mehr süßes Getändel, jedenfalls nicht von aufgewühlter Leidenschaft. Gerade weil die Briefe an das Augsburger Bäschen so manche Derbheit, ja Anzüglichkeit enthalten, ist es gut zu sehen, daß Mozarts geschlechtliche Sinnlichkeit noch kaum erregt war. Auguste Wendling, eine große Künstlerin des Gesanges, war von Wieland einer Madonna Raffaels oder Dolces so ähnlich gefunden worden, »daß man sich kaum erwehren könne, ihr ein Salve Regina zu adressieren«, und Heinse verglich sie einer hundertblättrigen Rose. Als unser Wolfgang sie, die als ehemalige Mätresse des Kurfürsten doch gewiß auch die Reize der Pikanterie spielen ließ, zum Lohne für sein wunderbares Improvisieren küssen sollte, meinte er, es sei ihm gar nicht schwer gefallen, »denn sie ist gar kein Hund«. Also eigentlich der Ton derb-gesunder Flegeljahre. Bald sollte es freilich in dieser Hinsicht ganz anders werden. Aber zunächst sehen wir auch sonst – und wenigstens mich freut das nach dem anstrengenden Bildungsgange in der Jugendzeit – etwas wie freies Burschentum in ihm sich regen mit lachender Unbekümmertheit, zuversichtlicher Lebensfülle und auch vollem Verständnis für den Reiz des Unsinns. Zeugnis dafür sei die Beichte, die Wolfgang seinem Vater am 14. November 1777 ablegte: »Ich Johannes Chrisostomus Amadeus Wolfgangus Sigismundus Mozart gebe mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Ahr nach Haus gekommen bin, und daß ich von 10 Uhr an bis zur benenneten Stund beim Cannabich in Gegenwart und en compagnie des Cannabich, seiner Gemahlin und Tochter, Herrn Schatzmeister, Ramm und Lang, oft und nicht schwer, sondern ganz leichtweg gereimet habe, und zwar lauter Sauereien, und zwar mit Gedanken, Worten und – – aber nicht mit Werken. Ich hätte mich aber nicht so gottlos aufgeführt, wenn nicht die Rädelführerin, nämlich die sogenannte Liesel, mich gar so sehr dazu animieret und aufgehetzt hätte; und ich muß bekennen, daß ich ordentlich Freude daran hatte. Ich bekenne alle diese meine Sünden und Vergehungen von Grund meines Herzens, und in Hoffnung, sie öfter bekennen zu dürfen, nimm ich mir kräftig vor, mein angefangenes sündiges Leben noch immer zu verbessern. Darum bitte ich um Dispensation, wenn es leicht sein kann; wo nicht, so gilt es mir gleich, denn das Spiel hat doch seinen Fortgang, lusus enim suum habet ambitum spricht der selige Sänger Meißner, Kap. 9 p. 24, weiters auch der heilige Aszenditor, Patron des brennsuppigen Coffe, der schimmelichten Limonade, der Mandlmichel ohne Mandeln und insonderheitlich des Erdbeer-Gefrornen voll Eisbrocken, weil er selbst ein großer Kenner und Künstler in gefrornen Sachen war.«

Diese Zeit sorgloser Lustigkeit war ja kurz bemessen. Denn die Briefe des Vaters, der übrigens seinem Wolfgang das Atmen in der künstlerisch heiteren Luft Mannheims von Herzen gönnte, sorgte dafür, daß das Hauptziel der Reise nicht aus den Augen verloren wurde.

Übrigens hätte auch ein weniger optimistisches Gemüt als Wolfgang hier allen Grund zu guter Hoffnung gehabt. Bei den Musikern war er schnell beliebt. In Cannabichs Hause war er wie daheim. Bald übernahm er auch den Klavierunterricht der schönen Rosa. Auch mit Wendlings war er innig befreundet und komponierte den Damen Lieder. Der Oboist Ramm erhielt ein Konzert. Überhaupt konnte Wolfgang gar nichts willkommener sein, als wenn er für so treffliche Künstler komponieren durfte. Diese fühlten aber auch in vollem Maße seine Bedeutung und erkannten ihn vor allem auch als Orgel- und Klavierspieler an. »Der Wolfgang«, berichtet die Mutter am 28. Dezember, »wird überall hochgeschätzt; er spielt aber viel anders als zu Salzburg, denn hier sind überall Pianoforte, und diese kann er so unvergleichlich traktieren, daß man es noch niemals so gehört hat: mit einem Wort, jedermann sagt, der ihn hört, daß seinesgleichen nicht zu finden sei. Obwohl hier Beecké gewesen, sowie auch Schubart, so sagen doch alle, daß er weit darüber ist in der Schönheit und Gusto und Feinigkeit; auch daß er aus dem Kopf spielt und was man ihm vorlegt, das bewundern sie alle aufs höchste.«

Es war ehrliche Freundschaft, die Mozart in diesen Künstlerkreisen entgegengebracht wurde, und ehrlich war der Wunsch aller, daß er in Mannheim eine Stellung finde. Er kam ja übrigens auch keinem von ihnen in die Quere und konnte als Klavierspieler und Komponist höchstens die Stellung des ihnen allen verhaßten Abbé Vogler untergraben. G. J. Vogler (1749-1814) war 1771 nach Mannheim gekommen, hatte alsbald die Gunst des Kurfürsten gewonnen und war dann vier Jahre in Italien gewesen, wo er den strengen Unterricht des Padre Martini sehr schnell aufgab und hernach in Padua Musik und in Rom Theologie studierte. Als er 1775 nach Mannheim zurückgekommen war, errichtete er hier dank der Gunst des Kurfürsten eine Tonschule und gewann bald weithin großes Ansehen als Klavierspieler und Lehrer, andererseits den Haß schier aller Mannheimer Musiker. Mozart hat über ihn sehr absprechende Urteile gefällt. Sicher hat dazu die Abneigung seiner Freunde beigetragen. Aber als Komponist hatte Vogler in der Tat nichts zu bedeuten, und seine Verdienste als Lehrer beruhen hauptsächlich in der Beseitigung manches alten Zopfes. Als Spieler entrüstete er Mozart aber hauptsächlich durch sein allzu äußerliches Gehaben und die lediglich auf Blendung der Zuhörer ausgehende Schnelligkeitsvirtuosität. Ferner empörte sich in Mozart der Komponist gegen die Mißhandlung des Notentextes, die bei diesem wilden Primavistaspiel ja unvermeidlich war. Insofern sind diese absprechenden Urteile über Vogler auch für Mozarts Stellung zum Virtuosentum wichtig. Hier kündigt sich doch überall die neue Zeit an, bei der sich der Komponist nicht mehr so willig den Forderungen des Virtuosen beugt. Hinzu kam, daß eine so echte Schöpfernatur wie Mozart, der immer aus dem Vollen gab, gegen einen Mann einen inneren Widerwillen empfinden mußte, der lediglich mit den Mitteln des Kunstverstandes arbeitete, also auch naturgemäß nur Werke der Scheinkunst zutage förderte. Bei Mozarts Charakter ist es wahrscheinlich, daß er mit seinen Urteilen über Vogler nicht zurückgehalten hat, und so ist es wohl möglich, daß dieser ihm in seinen Bemühungen, eine Stellung zu erlangen, hinderlich gewesen ist. Man kann darauf schließen, weil Peter von Winter, der einzige Freund, den Vogler unter den Mannheimer Musikern hatte, Mozart später mit seinem Hasse verfolgte.

Wenn man solche Gegeneinflüsse nicht annimmt, so ist es eigentlich schwer zu begreifen, weshalb der Kurfürst gegen seine Gewohnheit sich gerade in diesem Falle durch eine immerhin kleine Ausgabe, wie sie die Besoldung Mozarts bedeutete, hätte zurückhalten lassen, wenn er von der künstlerischen Bedeutung eines Mannes überzeugt war. Und das war er bei Mozart. Ja er kam ihm zunächst mit unverkennbarem Wohlwollen entgegen, führte ihn bei seinen natürlichen Kindern ein, ließ wiederholt durchblicken, daß er sein Verbleiben in Mannheim voraussetze und zog ihn auch zum Vorspielen vor einer Hofgesellschaft hinzu, wo er ihm versicherte, daß sein Klavierspiel unvergleichlich sei. Nachher aber konnte er sich doch nicht »resolvieren«, und am 10. Dezember erhielt Wolfgang den Bescheid, daß »dermalen nichts mit dem Kurfürsten sei«. So war eigentlich der ganze Gewinn eine goldene Uhr, die man auf zwanzig Karolin schätzte, während ihm die Hälfte in bar lieber gewesen wäre. »Nun habe ich mit Dero Erlaubnis 5 Uhren; ich habe auch kräftig im Sinne, mir an jeder Hose noch ein Uhrtäschl machen zu lassen und, wenn ich zu einem großen Herrn komme, zwei Uhren zu tragen (wie es ohnehin jetzt Mode ist), damit nur keinem mehr einfällt, mir eine Uhr zu verehren.«

So hatte der Vater wieder einmal recht behalten, wenn er in die Hoffnungen nicht so begeistert eingestimmt und immer wieder gemahnt hatte, nicht in Mannheim die ganze Zeit zu vertrödeln. Andererseits konnte auch er nicht bestreiten, daß in den nahegelegenen deutschen Städten nicht viel zu machen sei, gab auch die Hoffnung auf Mannheim noch nicht ganz verloren, wie daraus hervorgeht, daß er vom Padre Martini ein Zeugnis für seinen Sohn erbat. So konnte er nicht viel dagegen einwenden, als Wolfgang fürs erste noch in Mannheim bleiben wollte, zumal die Mannheimer Freunde, die durch den abschlägigen Bescheid selber überrascht und entrüstet waren, sich alle Mühe gaben, die finanzielle Unterlage für den Aufenthalt zu verschaffen. Außerdem winkte, wie man dem Vater am 3. Dezember mitgeteilt hatte, die Aussicht auf einen ziemlich sicheren Geldverdienst in Paris, wohin Mozart »in den Fasten en compagnie mit Herrn Wendling, Ramm, Oboist, welcher sehr schön bläst, Herrn Ballettmeister Lauchery« gehen sollte. »Herr Wendling versichert mich, daß es mich nicht gereuen wird, er war zweimal in Paris, er ist erst zurückgekommen. Er sagt: ›Das ist noch der einzige Ort, wo man Geld und sich recht Ehre machen kann. Sie sind ja ein Mann, der alles imstande ist, ich will Ihnen schon den rechten Weg zeigen. Sie müssen opera seria, comique, oratoire und alles machen. Wer ein paar Opern in Paris gemacht hat, bekommt etwas Gewisses das Jahr. Hernach ist das Concert spirituel, Academie des amateurs, wo man für eine Sinfonie fünf Louisdors bekommt. Wenn man eine Lektion gibt, so ist der Brauch für zwölf Lektionen drei Louisdors. Man läßt hernach Sonaten, Trios, Quatuors stechen per souscription. Der Cannabich, Toeschi, die schicken viel von ihrer Musik nach Paris.‹ – Der Wendling ist ein Mann, der das Reisen versteht. Schreiben Sie mir Ihre Meinung darüber, ich bitte Sie. Nützlich und klug scheint es mir. Ich reise mit einem Mann, der Paris (wie es jetzt ist) in- und auswendig kennt, denn es hat sich viel verändert. Ich gebe noch so wenig aus, ja ich glaube, daß ich nicht halb so viel depensiere, weil ich nur für mich zu bezahlen habe, indem meine Mama hier bleiben würde und glaublicher Weise bei Wendling im Hause ... Die Ersten und Besten von der Musik hier haben mich sehr lieb und eine wahre Achtung. Man nennt mich nie anders als Herr Kapellmeister.«

Der Vater hatte gegen den Plan nichts einzuwenden, weil ja auch in der Abwesenheit von guten Freunden für seinen Sohn in Mannheim gesorgt werden konnte. So war also nur für die Zeit bis zur Abreise zu sorgen. Die ganze Künstlergesellschaft bemühte sich Rat zu schaffen. Ein reicher Holländer, Dejean, wollte für drei kleine Konzerte und ein paar Flötenquartette 200 fl. geben. Cannabich wollte Schüler besorgen; außerdem boten die Musiker volle Gastfreundschaft. Die letztere brauchte nicht in dem Maße angenommen zu werden, denn beim Hofkammerrat Serrarius fanden Mutter und Sohn Wohnung, Holz und Licht, wofür Wolfgang die Tochter zu unterrichten hatte. So konnte die Mutter ihrem Mann schreiben (20. Dez.): »Der Wolfgang hat so viel zu tun mit Komponieren und Lektiongeben, er hat nicht Zeit, jemand eine Visite zu machen. Du siehst also, daß wir diesen Winter kommod hier verbleiben.«

Im musikalischen Leben stand als großes Ereignis für den 11. Januar 1778 die Aufführung von Wielands »Rosamunde« in Schweitzers Vertonung bevor. Anfang Dezember begannen unter des Komponisten Leitung die Proben, an denen gelegentlich auch Wolfgang Anteil nahm. In dem Werke gefielen ihm nur Einzelheiten; im allgemeinen fand er es übertrieben im Ausdruck, unnatürlich, vor allem aber: »Unglücklich der Sänger oder die Sängerin, die in die Hände eines Schweitzer fällt, denn der wird sein Lebtag nicht das singbare Schreiben lernen.« Auch Wieland folgte der Einladung, an der Aufführung teilzunehmen. Die allgemeine Verehrung, in der der Dichter stand, hinderte Mozart nicht, ihn in seinem Gehaben recht »schlimm« zu kritisieren.

Indessen kam es gar nicht zu der erwarteten Festaufführung, denn am 30. Dezember starb der Kurfürst Maximilian, und Karl Theodor entschloß sich zur sofortigen Abreise nach München, um dort seine Erbfolgerechte persönlich zu vertreten. Für Mannheim erhob sich damit die Befürchtung, daß nun auch der Hof nach München übersiedeln werde.

Wolfgang schuf inzwischen mit wenig Freude die dem Holländer versprochenen Kompositionen. Allerdings wurden, da ihm die Arbeit nicht lag, nur zwei der Quartette und ein Konzert fertig, so daß der Besteller später zur schweren Enttäuschung des Vaters nicht einmal ganz die Hälfte des Honorars zahlte. Die Kompositionen sind leicht für die Ausführung und an Gehalt; bezeichnend aber für Mozarts Verhältnis zu den Instrumenten ist, daß, trotzdem er die Flöte nicht leiden mochte, die ihr zugedachte Stimme mit vollkommener Kenntnis der Flötentechnik und günstigster Ausnutzung ihrer Fähigkeiten geschrieben ist.

Viel wertvoller ist eine Arie » Si el labro mio non credi«, mit der Wolfgang dem trefflichen Tenoristen Raaff ein Konzertstück schuf, das dem »Sänger so akkurat angemessen war wie ein gut gemachtes Kleid«. Für Mozart war die Verbindung mit dem Sänger jetzt um so wichtiger, als Padre Martini diesen mit der Empfehlung seines früheren Schülers beim Kurfürsten betraut hatte. Was in Mannheim nicht zustande gekommen war, konnte ja in München gelingen. Auch mit Wien, wo Kaiser Joseph eine deutsche komische Oper gründen wollte, hielt man enge Fühlung. Freilich schien auch hier zunächst wenig Aussicht vorhanden.

Um so wichtiger erschien Vater Mozart unter diesen Umständen die Pariser Reise, zu der die Zeit jetzt angerückt war. Da hatte denn der Vater viel zu sorgen und zu raten. Den Brief, den er am 5. Februar an den Sohn richtete, hielt er wohl für den letzten vor der Pariser Abfahrt. Er ist ernst und eindringlich; denn von dem bisherigen Gang der Reise war der Vater begreiflicherweise nicht besonders befriedigt. Aber zum Schluß heißt es dann doch: »Ich will Dir keinen Vorwurf machen. Ich weiß, daß Du mich nicht allein als Deinen Vater, sondern als Deinen gewissen und sichersten Freund liebst, daß Du weißt und einsiehst, daß unser Glück und Unglück, ja mein längeres Leben und auch mein baldiger Tod, nächst Gott, sozusagen, in Deinen Händen ist. Wenn ich Dich kenne, so habe ich nichts als Vergnügen zu hoffen, welches mich in Deiner Abwesenheit, da ich der väterlichen Freude, Dich zu hören, zu sehen und zu umarmen, beraubt bin, allein trösten muß.«

Aber dieses Mal hatte sich der Vater in seinem Sohne getäuscht. Am Tage bevor des Vaters Brief abgegangen war, hatte Wolfgang einen Brief geschrieben, durch den er seinem Vater zum erstenmal einen tiefen Herzenskummer bereitete. Es heißt da unterm 4. Februar: »Nun kommt etwas Notwendiges, wo ich mir gleich eine Antwort darauf bitte. Meine Mama und ich haben uns unterredet und sind übereinkommen, daß uns das Wendlingische Leben gar nicht gefällt. Der Wendling ist ein grundehrlicher und sehr guter Mann, aber leider ohne alle Religion, und so das ganze Haus. Es ist ja genug gesagt, daß seine Tochter Mätresse war. Der Ramm ist ein braver Mensch, aber ein Libertin. Ich kenne mich, ich weiß, daß ich so viel Religion habe, daß ich gewiß niemals etwas tun werde, was ich nicht imstande wäre, vor der ganzen Welt zu tun; aber nur der Gedanke allein, nur auf der Reise mit Leuten in Gesellschaft zu sein, deren Denkungsart sehr von der meinigen (und aller ehrlichen Leute ihrer) unterschieden ist, schreckt mich; übrigens können sie tun, was sie tun. Ich habe das Herz nicht, mit ihnen zu reisen, ich hätte keine vergnügte Stunde, ich wüßte nicht, was ich reden sollte; denn mit einem Wort, ich habe kein rechtes Vertrauen auf sie. Freunde, die keine Religion haben, sind von keiner Dauer.«

Es war Wolfgang aber, trotzdem die immer nachgiebige Mutter in seinem Sinne geschrieben, mit der Aufgabe der Reise doch nicht wohl zumute. So suchte er seinen Entschluß am 8. Februar weiter zu begründen. »Die Hauptursache, warum ich mit den Leuten nicht nach Paris gehe, habe ich schon im vorigen Brief geschrieben. Die zweite ist, weil ich recht nachgedacht habe, was ich in Paris zu tun habe. Ich könnte mich mit nichts recht fortbringen als mit Skolaren, und zu der Arbeit bin ich nicht geboren. Ich habe hier ein lebendiges Beispiel. Ich hätte zwei Skolaren haben können; ich bin zu jedem dreimal gegangen, dann habe ich einen nicht angetroffen, mithin bin ich ausgeblieben. Aus Gefälligkeit will ich gern Lektion geben, besonders wenn ich sehe, daß eins Genie, Freude und Lust zum Lernen hat. Aber zu einer gewissen Stunde in ein Haus gehen müssen oder zu Haus auf einen warten müssen, das kann ich nicht, und sollte es mir noch so viel eintragen; das ist mir unmöglich, das lasse ich Leuten über, die selbst nichts können als Klavier spielen. Ich bin ein Komponist und bin zu einem Kapellmeister geboren; ich darf und kann mein Talent im Komponieren, welches mir der gütige Gott so reichlich gegeben hat (ich darf ohne Hochmut so sagen, denn ich fühle es nun mehr als jemals), nicht so vergraben, und das würde ich durch die vielen Skolaren; denn das ist ein sehr unruhiges Metier, ich wollte lieber sozusagen das Klavier als die Komposition negligieren. Denn das Klavier ist nur meine Nebensache, aber Gott sei Dank, eine sehr starke Nebensache. – Die dritte Ursache dann ist, weil ich nicht gewiß weiß, ob unser Freund Grimm zu Paris ist. Wenn der zu Paris ist, so kann ich noch allzeit auf dem Postwagen nachkommen, denn es geht ein charmanter Postwagen von hier über Straßburg nach Paris. Wir wären allzeit so gereist. Sie gehen auch so. Der Herr Wendling ist untröstlich, daß ich nicht mitgehe; ich glaube aber, daß die Sache mehr Interesse als Freundschaft ist. Ich habe ihm nebst der Ursache, die ich im letzten Brief geschrieben habe (nämlich, daß ich seit meiner Abwesenheit drei Briefe bekommen hätte), auch diese wegen den Skolaren gesagt und ihn gebeten, er möchte mir etwas Gewisses zuwege bringen, so würde ich, wie ich anders kann, mit Freuden nachkommen, absonderlich, wenn es eine Oper wäre. Das Opernschreiben steckt mir halt stark im Kopf, französisch lieber als deutsch, italienisch aber lieber als deutsch und französisch. Beim Wendling sind sie alle der Meinung, daß meine Komposition außerordentlich in Paris gefallen würde. Das ist gewiß, daß mir gar nicht bang wäre, denn ich kann so ziemlich, wie Sie wissen, aller Art und Stil von Kompositionen annehmen und nachahmen.«

Am 9. Februar hatte Wolfgang dann des Vaters Brief vom 5. erhalten, aus dem er ersah, wie große Bedeutung dieser der Pariser Reise zuerkannte. Da heißt es dann viel kleinlauter: »Wenn ich wüßte, daß es Sie sehr verdrießt, wenn ich nicht auch mit ihnen nach Paris bin, so würde es mich reuen, daß ich hier geblieben bin; ich hoffe es aber nicht. Der Weg nach Paris ist mir ja nicht vergraben.«

Inzwischen war – bei der etwa fünftägigen Beförderungsdauer – Wolfgangs erster Brief vom 4. Februar in des Vaters Hände gelangt und hatte eine geradezu niederschmetternde Wirkung auf den braven Mann ausgeübt. Eine so arge Enttäuschung die Änderung des Reiseplanes aber auch bedeutete, die tiefste Sorge machte ihm doch der Vorschlag, den der Sohn an die Stelle der alten wohl erwogenen Pläne setzte. Er wollte nämlich zunächst »ganz kommode« die bestellte Musik vollenden: »Unter dieser Zeit wird sich Herr Weber bemühen, sich wo auf Konzerte mit mir zu engagieren. Da wollen wir miteinander reisen. Wenn ich mit ihm reise, so ist es just so viel, als wenn ich mit Ihnen reiste. Deswegen habe ich ihn gar so lieb, weil er, das Äußerliche ausgenommen, ganz Ihnen gleicht und ganz Ihren Charakter und Denkungsart hat ... Ich habe diese bedrückte Familie so lieb, daß ich nichts mehr wünsche, als daß ich sie glücklich machen könnte, und vielleicht kann ich es auch. Mein Rat ist, daß sie nach Italien gehen sollten. Da wollte ich Sie also bitten, daß Sie, je eher je lieber, an unsern guten Freund Lugiati schreiben möchten und sich erkundigen, wieviel und was das meiste ist, was man einer Primadonna in Verona gibt. – Je mehr, je besser, herab kann man allezeit. – Vielleicht könnte man auch die Aszensa in Venedig bekommen. Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben, daß sie mir gewiß Ehre macht. Sie hat schon die kurze Zeit von mir viel profitiert und was wird sie erst bis dahin profitieren? Wegen der Aktion ist mir auch nicht bange. Wenn das geschieht, so werden wir, Mr. Weber, seine zwei Töchter und ich, die Ehre haben, meinen lieben Papa und meine liebe Schwester im Durchreisen auf 14 Tage zu besuchen. Meine Schwester wird an der Mademoiselle Weber eine Freundin und Kameradin finden, denn sie steht hier im Ruf, wie meine Schwester in Salzburg, wegen ihrer guten Aufführung, der Vater wie meiner, und die ganze Familie wie die Mozartische. Es gibt freilich Neider wie bei uns; aber wenn es dazu kommt, so müssen sie halt doch die Wahrheit sagen. Redlich währt am längsten. Ich kann sagen, daß ich mich völlig freue, wenn ich mit ihnen nach Salzburg kommen sollte, nur damit Sie sie hören. Meine Arien von der De Amicis, sowohl die bravura aria als Parto m'affreto und dalla sponda tenebrosa singt sie superb. Ich bitte Sie, machen Sie Ihr mögliches, daß wir nach Italien kommen. Sie wissen, mein größtes Anliegen – Opern zu schreiben.

In Verona will ich gern die Oper um 30 Zechinen schreiben, nur damit sie sich Ruhm macht; denn wenn ich sie nicht schreibe, so wird sie, fürchte ich, sakrifiziert. Bis dahin werde ich schon durch andere Reisen, die wir miteinander machen wollen, so viel Geld machen, daß es mir nicht zu wehe tut. Ich glaube, wir werden in die Schweiz gehen, vielleicht auch nach Holland, schreiben Sie mir nur bald darüber. – Wenn wir uns wo lange aufhalten, so taugt uns die älteste Tochter, welche die Älteste ist, gar zu gut; denn wir können eigene Hauswirtschaft führen, weil sie auch kocht.

Geben Sie mir bald Antwort, das bitte ich Sie. Vergessen Sie meinen Wunsch nicht, Opern zu schreiben! Ich bin einem jeden neidig, der eine schreibt; ich möchte ordentlich vor Verdruß weinen, wenn ich eine Arie höre oder sehe. Aber italienisch, nicht deutsch, eine seria, nicht buffa! – Nun habe ich alles geschrieben, wie mir ums Herz ist, meine Mutter ist mit meiner Denkungsart zufrieden.«

Wir haben den Brief, den der Vater seinem Sohne auf diese Eröffnungen hin schrieb und darin den besten Ausdruck für die Empfindungen, die in ihm dieses unbesonnene Schreiben auslöste, das würdigste Zeugnis auch für die ungewöhnliche Tüchtigkeit und gediegene Denkart des Mannes. Er hätte nicht der kluge Menschenkenner und insbesondere der genaue Beobachter seines Sohnes sein dürfen, wenn er nicht gleich erkannt hätte, »daß die Tochter die Hauptperson des zwischen deiner eigenen und dieser Familie vorzustellenden Trauerspiels« war.

In der Tat: Wolfgang war verliebt. Zum erstenmal wirklich verliebt; nicht wie sonst bloß zu übermütigem Spiel oder halb sinniger, halb kindischer Tändelei angeregt. Eine tiefe Leidenschaft hatte ihn ergriffen, ihm die ruhige Erwägung geraubt, andererseits den sonst so Offenherzigen zu einem kleinen Diplomaten gemacht, wo es das Ziel galt, seiner »geliebten Weberin« nahe zu sein. Wer diese Lage kennt, wird verzeihendes Verständnis für die unschöne Art finden, wie in dem mitgeteilten Briefe der gute Freund Wendling abgetan wird, kann es auch begreifen, daß die vorher manchmal hervorgetretene Liebe zu einer deutschen Oper jetzt wieder völlig hinter der zur italienischen zurücktritt. Denn in Italien erwartete er ja für seine Geliebte und damit auch für sich den baldigen Erfolg.

In das Haus Weber war Mozart wohl zuerst gekommen, um sich Noten abschreiben zu lassen. Denn in dieser untergeordneten Stellung als Kopist und Souffleur beim Theater lebte Fridolin von Weber. Er hatte bessere Tage gekannt. Als Sproß einer geadelten Gelehrtenfamilie 1733 geboren, hatte er Jura studiert und den theologischen Doktorhut gewonnen. Aber wie sein Bruder Franz Anton, der Vater des Komponisten Karl Maria von Weber, hatte auch Fridolin einen phantastischen Hang zum Theater, von dem er sich aus seinem schönen Amte locken ließ. Erst ein brauchbarer Schauspieler und tüchtiger Sänger, geriet er nachher auch durch schlechte Hauswirtschaft in immer trübere Verhältnisse. Als Mozart ihn kennen lernte, bezog er 450 Gulden Gehalt und hatte dabei sechs Kinder. »Er hat eine Tochter, die vortrefflich singt und eine schöne reine Stimme hat und erst 15 Jahre alt ist. Es geht ihr nichts als die Aktion ab, dann kann sie auf jedem Theater die Primadonna machen.« Diese Stelle in einem Briefe vom 17. Januar 1778 ist die erste Erwähnung Aloysia Webers. Doch war damals die Bekanntschaft schon älter, denn im gleichen Briefe kündigt Wolfgang eine kleine Kunstreise nach Kirchheim-Bolanden zu der Prinzessin von Oranien an, wo die Weberin Arien von ihm singen sollte. Verheißungsvolle Schönheit, ungewöhnliche musikalische Begabung und dazu Verhältnisse, die sein Mitgefühl aufs tiefste weckten – es wäre überraschend, wenn der leicht entzündliche Wolfgang hier standgehalten hätte. Die gemeinsame Kunstreise wird das Aufblühen der Liebe noch begünstigt haben; nach der Heimkehr widmete Wolfgang seine ganze Zeit der Ausbildung des Mädchens, das glänzende Fortschritte machte. Bald komponierte er ihr auch eine Arie. Obwohl die Dichtung: » Non sò d'onde viene quel tenero affetto« (»Ich weiß es nicht, woher mir diese süße Zuneigung erwächst«) in Metastasios »Olimpiade« in einem ganz andern Zusammenhange steht, entsprach sie doch ganz und gar Mozarts eigener Stimmung. Der Ansturm starker, bisher ungekannter Gefühle, ein Hin und Her der Stimmungen, ein Hingezogensein, das durch Mitleid allein nicht zu erklären war: das war es ja, was Wolfgang diesem Mädchen gegenüber empfand. Kein Wunder, daß ihm hier ein so ausdrucksvoller Sang gelang, wie er ihn bisher noch kaum geschaffen. Bis in die letzte Einzelheit ausgearbeitet, in der stimmungsvollen Begleitung eines vielstimmigen Orchesters – die geliebte Klarinette steht neben Flöte, Horn und Fagott und den ganz selbständig geführten Streichinstrumenten – ist der ganze Gesang voll jener melodiegesättigten Adagioruhe, in der Mozart unvergleichlich ist, die wir doppelt genießen, weil sie durch ein kurzes Allegro agitato unterbrochen wird. »Als ich sie fertig hatte, so sagte ich zur Mlle. Weber: Lernen Sie die Arie von sich selbst, singen Sie sie nach Ihrem Gusto; dann lassen Sie mir sie hören und ich will Ihnen hernach aufrichtig sagen, was mir gefällt und was mir nicht gefällt. Nach zwei Tagen komme ich hin, und da sang sie mir's und akkompagnierte sich selbst. Da habe ich aber gestehen müssen, daß sie's akkurat so gesungen hat, wie ich es gewünscht habe und wie ich es ihr hab' lernen wollen. Das ist nun ihre beste Arie, die sie hat; mit dieser macht sie sich gewiß überall Ehre, wo sie hinkommt.«

Man sieht, die beiden verstanden sich; und Ehre gewann die Sängerin mit dieser Arie sich und dem Komponisten bei allen Mannheimer Musikern. Für den Vater aber hatten diese Berichte einen gar schlechten Klang. Er erkannte, daß, selbst wenn sich Wolfgang durch seine Liebe über die künstlerischen Fähigkeiten des Mädchens nicht täuschen ließ, die Verhältnisse für des Sohnes künstlerische und menschliche Entwicklung schwere Gefahren in sich bargen. So galt es, hier rasch und entschieden einzugreifen. Es konnte nur eine schriftliche Ermahnung sein; wir begreifen aber, daß selbst der abgekanzelte Sohn nachher sich wieder zu seinem Kinderwort bekannte: »Nach Gott kommt gleich der Papa.«

»Deinen Brief vom 4. habe mit Verwunderung und Schrecken durchgelesen. Ich fange auch an, ihn heute, den 11. zu beantworten, indem ich die ganze Nacht nicht habe schlafen können, und so matt bin, daß ich ganz langsam Wort für Wort schreiben und ihn nach und nach zu Ende bringen muß. Ich war gottlob jetzt immer wohlauf; allein dieser Brief, an dem ich meinen Sohn an nichts anderm mehr erkenne, als an dem Fehler, daß er allen Leuten auf das erste Wort glaubt, sein zu gutes Herz durch Schmeicheleien und gute, schöne Worte jedermann bloßstellt, sich von jedem auf alle ihm gemachten Vorstellungen nach Belieben hin und her lenken läßt und durch Einfälle und grundlose, nicht genug überlegte, in der Einbildung tunliche Aussichten sich dahin bringen läßt, dem Nutzen fremder Leute seinen eigenen Ruhm und Nutzen, und sogar den Nutzen und die seinen alten, ehrlichen Eltern schuldige Hilfe aufzuopfern, dieser Brief hat mich um so mehr niedergeschlagen, als ich mir vernünftige Hoffnung machte, daß Dich einige Dir schon begegnete Umstände und meine hier mündlich und Dir schriftlich gemachten Erinnerungen hätten überzeugen sollen, daß man, um sein Glück sowohl als auch sein nur gemeines Fortkommen in der Welt zu suchen und unter der so verschiedenen Art guter, böser, glücklicher und unglücklicher Menschen endlich das gesuchte Ziel zu erreichen, sein gutes Herz mit der größten Zurückhaltung verwahren, nichts ohne die größte Überlegung unternehmen und sich von enthusiastischen Einbildungen und ungefähren blinden Einfällen niemals hinreißen lassen müsse. Ich bitte Dich, mein lieber Sohn, lese diesen Brief mit Bedacht, nehme Dir die Zeit, solchen mit Überlegung zu lesen – großer, gütiger Gott, die für mich vergnügten Augenblicke sind vorbei, wo Du als Kind und Knabe nicht schlafen gingst, ohne auf dem Stuhl stehend mir das oragnia figataxa vorzusingen, mich öfters und am Ende auf das Nasenspitzel zu küssen und mir zu sagen, daß, wenn ich alt sein werde, Du mich in einer Kapsel, wo ein Glas vor, vor aller Luft bewahren wolltest, um mich immer bei Dir und in Ehren zu halten. Höre mich demnach mit Geduld!

Unsere Salzburger Bedrückungen sind Dir vollkommen bekannt, Du weißt mein schlechtes Auskommen und endlich, warum ich Dir mein Versprechen gehalten, Dich weitergehen zu lassen, und alle meine Drangsale. Die Absicht Deiner Reise waren zwei Ursachen: oder einen beständigen guten Dienst zu suchen, oder wenn dieses mißlingt, sich an einen großen Platz zu begeben, wo große Verdienste sind. Beides ging auf die Absicht, Deinen Eltern beizustehen und Deiner lieben Schwester fortzuhelfen, vor allem aber Dir Ruhm und Ehre in der Welt zu machen, welches auch teils in Deiner Kindheit schon geschehen, teils in Deinen Jünglingsjahren, und jetzt nur ganz alleine auf Dich ankommt, in eins der größten Ansehen, die jemals ein Tonkünstler erreicht hat, Dich nach und nach zu erheben. Das bist Du deinem von dem gütigsten Gott erhaltenen außerordentlichen Talente schuldig, und es kommt nur auf Deine Vernunft und Lebensart an, ob Du als ein gemeiner Tonkünstler, auf den die Welt vergißt, oder als ein berühmter Kapellmeister, von dem die Nachwelt noch in Büchern liest – ob Du von einem Weibsbild etwa eingeschläfert mit einer Stube voll notleidender Kinder auf einem Strohsack oder nach einem christlich hingebrachten Leben mit Vergnügen, Ehre und Reichtum, mit allem für Deine Familie wohl versehen, bei aller Welt in Ansehen sterben willst?«

Nun verweist er auf den bisherigen Verlauf der Reise, auf die vielfachen Enttäuschungen, die Wolfgang bei seinen Überschwenglichkeiten erlebt hatte, auf seine schnell erwachte, aber auch rasch erloschene Begeisterung für verschiedene Personen, um ihm nun mit genauester Sachkenntnis klarzumachen, daß er sich auch mit Aloysia Weber ganz törichten Hoffnungen hingebe, wenn er sich einrede, daß sie so bald, ohne längere Vorbereitung, in Italien würde Erfolge gewinnen können. »Doch Du weißt alles selbst, wenn Du nachdenken willst; ich weiß, die scharfe Überlegung alles dieses wird Dich überzeugen, daß Dein Einfall zwar von gutem Herzen kommt, aber seine Zeit und große Vorbereitung braucht, und ganz ein anderer Weg muß genommen werden, solchen nach einer längeren Zeit auszuführen ...

Dein Vorschlag (ich kann kaum schreiben, wenn ich daran denke), der Vorschlag, mit Herrn Weber und NB. zwei Töchtern herumzureisen, hätte mich beinahe um meine Vernunft gebracht. Liebster Sohn! wie kannst Du Dich von einem so abscheulichen Dir zugebrachten Gedanken auch nur auf eine Stunde einnehmen lassen! Dein Brief ist nicht anders als wie ein Roman geschrieben. – – Und Du könntest Dich wirklich entschließen, mit fremden Leuten in der Welt herumzuziehen? Deinen Ruhm, Deine alten Eltern, Deine liebe Schwester auf die Seite zu setzen? mich dem Fürsten und der ganzen Stadt, die Dich liebt, dem Spott und dem Gelächter auszusetzen? ja dem Spott, und Dich der Verachtung auszusetzen, da ich aller Welt, die mich immer fragte, sagen mußte, daß Du nach Paris gehen wirst, und am Ende wolltest Du mit fremden Personen aufs Geratewohl herumziehen? Nein, das kannst Du nach einem bißchen Überlegung nicht einmal mehr gedenken.« Wie gering sei ihre Überlegung, gerade jetzt in der schlimmsten Zeit, wo an allen Ecken Kriegsgefahr drohe, reisen zu wollen. Wie unrecht sei es, so wenig Vertrauen zu ihm, der doch bisher noch immer recht behalten habe, zu hegen, daß ihm alles zu spät mitgeteilt werde.

» Fort mit Dir nach Paris, und das bald, setze Dich großen Leuten an die Seite – aut Caesar aut nihil! Der einzige Gedanke, Paris zu sehen, hätte Dich vor allen fliegenden Einfällen bewahren sollen. Von Paris aus geht der Ruhm und Name eines Mannes von großem Talente durch die Welt; da behandelt der Adel Leute von Genie mit der größten Herablassung, Hochschätzung und Höflichkeit; da sieht man eine schöne Lebensart, die ganz erstaunlich absticht gegen die Grobheit unserer deutschen Kavaliers und Damen, und da machst Du Dich in französischer Sprache fest.« Und dann nochmals ein Anruf an das Herz des Sohnes, der ihn doch immer mehr als aufrichtigen Freund denn als strengen Vater angesehen habe.

Das mußte auch Wolfgang fühlen, daß in diesem Briefe nicht nur ein strenger, sondern vor allem ein liebevoll besorgter Vater gesprochen und ein aufrichtiger Freund geraten hatte. So hart die Selbstüberwindung war – wurde Wolfgang doch mehrere Tage krank – sie wurde vollbracht. Der Plan mit Italien war widerspruchslos aufgegeben, die Reise nach Paris nun das selbstverständliche Ziel. In seinen folgenden Briefen sucht Wolfgang nur sein Beginnen begreiflich zu machen und hält vor allem mit unbedingter Sicherheit fest an der hohen Künstlerschaft seiner Aloysia, für die er seines Vaters Sorge in Anspruch nimmt. Die versprach dieser natürlich gern, aber noch galt es mehrfache Aufklärung, bis endlich Wolfgang die aus begreiflicher Scham aufrechterhaltene Rechthaberei aufgibt und in herzgewinnender Weise die alte Tonart zurückgewinnt: »Aus den vorigen Briefen werden Sie alles ersehen haben, wie es ist und wie es gemeint war. Ich bitte Sie, lassen Sie sich nicht öfter den Gedanken in den Kopf kommen, daß ich auf Sie vergessen werde! – Denn ich kann ihn nicht ertragen. Meine Hauptabsicht war und wird immer sein, mich zu bestreben, daß wir bald zusammenkommen, und glücklich. – – Aber da heißt es Geduld. Sie wissen selbst besser als ich, wie die Sachen oft quer gehen, – doch wird es schon noch gerade gehen. Nur Geduld. Hoffen wir auf Gott, der wird uns nicht verlassen. An mir wird es nicht fehlen, wie können Sie doch an mir zweifeln? – – Liegt denn mir nicht selbst daran, daß ich nach allen Kräften arbeite, damit ich je eher je lieber das Vergnügen habe, meinen besten und liebsten Vater von ganzem Herzen zu umarmen? – – – – – – Ich habe auf drei Freunde mein Vertrauen, und das sind starke und unüberwindliche Freunde, nämlich auf Gott, auf Ihren Kopf und auf meinen Kopf. Unsere Köpfe sind freilich unterschieden, doch jeder in seinem Fach sehr gut, brauchbar und nützlich, und mit der Zeit, hoffe ich, wird mein Kopf mit dem Ihrigen in dem Fach, wo er jetzt den meinigen überwieget, doch auch nach und nach beikommen. Nun leben Sie wohl. Seien Sie lustig und aufgeräumt. Denken Sie, daß Sie einen Sohn haben, der seine kindliche Pflicht gegen Sie wissentlich gewiß nie vergessen hat und der sich bemühen wird, eines so guten Vaters immer würdiger zu werden


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