Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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2.

Die Unterhaltung wurde durch das Blasen des Thürmers unterbrochen, welcher mit diesem Zeichen die Ankunft neuer Fremden ankündigte, und nicht lange darauf sahen die Beiden einen schwerbepackten Reisewagen, von vier Pferden mühsam gezogen, auf das Badehaus zufahren.

»Mich soll es sehr freuen,« sagte Müllersdorf, dadurch vom Gegenstand des Gesprächs abgezogen, »wenn es hier in diesem kleinen Paradiese recht lebendig wird. Durch eine Anzahl ungebundner Leute, die alle steifen Formen und alle drückenden Verhältnisse daheim gelassen haben, wird das Leben des Einzelnen erst in jene bunten Regenbogenfarben der Sorglosigkeit und Heiterkeit getaucht, von denen es ganz durchdrungen seyn muß, wenn es nicht schaal werden soll; und wahrlich! ich habe mir vorgenommen, mich hier ein Mal, ledig alles lästigen Zwanges, der mir in W. wie ein Joch auf dem Nacken liegt, munter und fröhlich zu bewegen, wie ein Fisch im Wasser.«

31 Reinecke machte ein mißbilligendes Gesicht und wollte etwas sagen, Müllersdorf ließ ihn aber gar nicht zum Worte kommen, sondern rief, ihn fortziehend: »Und zum Beweis sehen Sie gleich meine Neugierde, zu erfahren, welche Gestalten jenem wandernden Hause wohl entsteigen werden. Vielleicht ein guter ehrwürdiger Mann aus der alten Zeit, mit Perrücke und Zopf, mit langem goldbeschlagnen spanischen Rohre und Klappenstiefeln oder Schnallenschuhen, mit einer Bratenweste und einem dreieckigen Hute; oder ein zarter Seladon der neuern Zeit, ein Hofmann, der sich in allen Moden gefällt, und deshalb das alte Erbstück von Wagen nicht abgeschafft hat; oder auch ein ehrlicher Landedelmann in bester Qualität; ein wohlconditionirter Kaufmann; ein spindeldürrer Oberbeamter, dem die Niederträchtigkeit an der Stirne steht, oder ein hochnasiger Aristokrat, der sich ärgert, daß der liebe Herrgott auch der bürgerlichen Canaille gewogen zu seyn versprochen hat und sich von derselben so gemein behandeln, ja sogar dutzen läßt«

»Abscheulich! Ganz unwürdig und plebey!« 32 murmelte Reinecke halb verständig und mit unterdrücktem Aerger, den er nicht auslassen konnte, weil der Wagen heran gekommen war und ein dienstfertiger Kellner bereits den Schlag geöffnet hatte. Ein langer, sehr einfach in einen blauen Ueberrock gekleideter Mann stieg mit Hülfe des Kellners zuerst heraus; ihm folgten zwei rothwangige artige Mädchen, die mit jener unbehülflichen Grazie dem Wagen enthüpften, wie man sie wohl bei Landschönen zu finden pflegt, an welche sie auch durch ihren etwas bunten und überladnen Putz – am Reiseanzuge um so auffallender – erinnerten. Den Schluß des Zugs machte ein hübscher bleicher Mann, der sorgfältig modern gekleidet war, das eiserne Kreuz trug und an einem Krückenstocke mühsam ging. Reinecke wandte sich bei seinem Anblicke rasch um, und kehrte ihm den Rücken zu.

Der alte lange Herr war kaum zum Wagen heraus, als er sich auch mit dem freundlichsten Gesicht an Müllersdorf wandte, grüßend an die kleine Filzmütze griff und dem jungen Manne, der, an den breiten Stamm einer Kastanie 33 gelehnt, seinen Betrachtungen über die Aussteigenden nachhing, mit lachender Geberde eine Prise Tabak aus einer ungeheuern Muscheldose darbot, ihn dann auf die Schulter klopfte und zutraulich sagte: »Nun, junger Herr, was sagen Sie zu den verwetterten demagogischen Umtrieben? Was die Teufelsjungen auf den Universitäten doch Alles aushecken! Die ***sche Regierung fühlt ihnen aber gut auf den Zahn. Ich denke, sie haben's eingebrockt, werden's wohl auch auslöffeln müssen. 's ist ihnen platterdings nicht zu helfen. Was? –«

Als der Sprecher aus dem Stillschweigen des Angeredeten dessen Erstaunen merkte, fuhr er lachend fort: »Na, nichts für ungut, junger Herr! Ich bin so ein alter ehrlicher deutscher Degenknopf und liebe das alte Gleis, wenn's auch nicht immer ganz eben geht – 's thuts ein Mal nicht in dieser unvollkommnen Welt – und Sie sind vielleicht auch Einer von den jungen tollen Weltverbesserern; ich kann's nicht wissen. Sehen Sie, ich unterhalte mich gern mit Leuten, die etwas verstehen, und Sie sehen mir gerade so 34 aus. Viel Zeremonien sind nicht meine Sache; deshalb mach' ich mich gern an jedem Orte, wohin ich komme, sogleich mit den Leuten bekannt, und wenn Ihnen das nicht unangenehm ist, so lassen Sie mich hier im schönen L. in Ihnen gleich den Ersten finden, zwischen dem und mir alles Fremdthun aufhört. Uebrigens mögen Sie ein Demagog seyn oder ein Fürstendiener, es gilt mir gleich; denn mit Voltaire sage ich auch: Alle Arten sind gut, die Langweiligen ausgenommen. Was? –«

»Unstreitig muß ich es mir als ein sehr glückliches Ereigniß anrechnen,« versetzte Müllersdorf, »das mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft so schnell verschafft, und ich bin nie gesonnen, die Hand zurückzuweisen, die mir ein braver Mann zum nähern Vereine bietet, zumal, wenn er weit älter ist, als ich, und so würdig, so gastlich, so freundlich aussieht, wie Sie, mein werther Herr.«

»Allerliebst gesprochen, mein lieber junger Freund!« rief der Fremde, und hätte den neuen Bekannten in der Freude seines Herzens fast umhalst. »Hier ist meine Hand! Mein Herz hängt 35 dran. Wir werden gute Freunde, das seh' ich schon. Ich bin der Baron von Hohmannsdorf, Gutsbesitzer in der preußischen Provinz Sachsen; die beiden Blitzmädels da sind meine Töchter; die dort in der Thüre steht, ist die älteste, Charlotte, und Braut des jungen Mannes, des Lieutenants von Wittenbach, der das eiserne Kreuz auf der Brust sitzen hat, ein braver Kerl ist und von einem Streifschuß ein Bischen hinkt.« Hier unterbrach er sich selbst, indem er dem Postknecht, welcher mit dem Bedienten den Wagen abpackte, zurief: »Schwager, nehm' er sich in Acht, daß er mir von meinen Gläsern keines zerschlägt. Sie sind zwar gut eingepackt, aber solch unwirsche Hände zerbrechen wohl Stein und Stahl. Die Hutschachtel nicht so herumgeworfen! Potz Wetter! ich kenn' euch schon, ihr Sakramenter! Ihr behandelt Alles, wie euer Pferdegeschirr.« – Dann wandte er sich wieder zu Müllersdorf und fuhr mit der vorigen Freundlichkeit fort: »Ja, lieber junger Freund, mit Leuten dieses Schlags hat man seine Müh' und Noth. Solch Volk fängt Alles dumm und verkehrt an, und macht 36 dabei doch, Gott weiß! was für Ansprüche. Die alten französischen Narrenspossen von Freiheit und Gleichheit rumoren den Burschen immer noch im Kopfe. Die Franzosen haben doch stets nur Unheil in der Welt angerichtet. Was hat ihnen all der alberne Lärm geholfen? Jetzt sind sie heilfroh, daß ein Bourbon nur wieder auf dem Throne und der Adel der dummen Canaille wieder auf dem Dache sitzt. Wahrhaftig, es ist nicht zu bestreiten, was das alte goldne Sprichwort sagt – und die alten Sprichwörter soll man in Ehren halten –: auf ein grobes Klotz gehört allzeit ein grober Keil. Was?«

»I nun,« versetzte Müllersdorf, »es wäre vom lieben Herrgott recht schön, wenn er alle Nichtadligen und Armen zu groben Klötzen gemacht hätte, fürwahr, dann hätte der Adel ein unbestrittnes Recht, grobe Keile zu seyn. Nun ist aber, meiner bescheidnen Lebenserfahrung nach, die Sache gar oft umgekehrt, die Klötze sind unter den Adligen und die Keile, grobe und feine, unter den Bürgerlichen. Ich finde aber nöthig, zu dieser Bemerkung hinzuzusetzen, daß ich der 37 altadligen Familie von Müllersdorf entsprossen und kaiserlich östreichischer Offizier bin.«

»Müllersdorf!« rief Herr von Hochmannsdorf, machte große Augen und zog das Maul schief, eh' er aber dasselbe zum Sprechen aufthat, drängte sich Reinecke zwischen beide und sagte mit geläufiger Zunge:

»Es ist nicht zu läugnen, in der rohen Natur liegen die Elemente chaotisch durch einander, und dies ungeordnete Verhältniß ist sich gleich im Reiche der Materie, wie der Idee. Aber der Mensch hat seinen Verstand dazu, daß er ordne, klassificire und sich des rohen Stoffes so bemeistere, daß er unter seiner Hand ein ganz andrer wird. So entsteht die Kultur. Es ist heilige Pflicht, diese Ordnung beizubehalten und nicht zuzulassen, daß die Welt wieder in das alte Chaos zurückstürze. Lassen Sie mich ein Beispiel vom Ackerbau brauchen. Die Natur hat die Erde geschaffen, hier Land, dort Meer, dort Felsen &c.; auf dem Lande wachsen Kräuter, Sträuche, Bäume, alles bunt durch einander. Allein nichts bringt rechten Nutzen; es ist keine Ordnung, keine 38 Klassification in der Natur. Nun kommt der Ackermann, der reutet und pflügt und vertilgt alle Sträuche, Blumen, Bäume auf seinem Acker, um allein die ihm nützliche Saat darauf zu gewinnen. Damit ist ja keineswegs gesagt, daß die Sträuche, Kräuter &c. zu nichts tauglich wären. Denn nun kommt der Gärtner und pflanzt Obstbäume, Gemüse, Heilkräuter, der Lustgärtner legt den Blumengarten an, der Jäger den Wald, und jedes Gewächs wird an seinen Ort verwiesen. Die Natur hat Alles hervorgebracht, des Menschen Verstand aber erst Ordnung geschaffen. Ganz dasselbe Verhältniß ist in der geistigen Welt des Menschen. Die Natur schafft die Menschen ohne Unterschied, das ist nicht zu läugnen; des Menschen Verstand hat aber die Klassen gemacht, zum Heil der Menschen selbst. Da ist der Adel, der Bürger, der Bauernstand, da ist das Militair, die Priesterschaft; und über allen der Fürst. Die höhern Stände sind ihrer Natur nach die Gebildeten; damit ist nicht behauptet, daß unter den Menschen der andern Stände nicht manche witzige Köpfe sich vorfinden. Allein das Gesetz 39 der menschlichen Ordnung hat sie von vorn herein aller der Rechte beraubt, welche die höhern Stände, gemäß diesem Gesetze, genießen und es ist der strafbarste Frevel, solche Rechte vernichten zu wollen.«

»Aber ist es nicht ein noch weit ungeheuerer Frevel, den Schöpfer also zu hofmeistern!« rief Müllersdorf in seinem heiligen Zorne; Reinecke warf ihm aber einen vorwurfsvollen Blick zu, und er schwieg ferner.

»Ich glaube Sie ganz begriffen zu haben, mein werther Herr,« wandte sich Hochmannsdorf zu Reinecke. »Sehen Sie, ich sage immer, der Mensch hat die allergrößte Aehnlichkeit mit dem Hunde, das Menschengeschlecht mit dem Hundegeschlecht. Es ist dort ein großer Unterschied, wie hier. Zum Beweis: es gibt englische Doggen, Bullenbeißer, Fleischerhunde, Wind- und Jagdhunde, Hühnerhunde, Pudel, Schäfer- und Hirtenhunde, Hofhunde, Haushunde, als Dächse, Möpse &c., Schooshunde, Staatshunde. Na, da dächt' ich, sähe man doch den Unterschied klar und deutlich. Hunde sind sie alle; aber liebster 40 Himmel! welch ein Unterschied ist doch zwischen einer edlen Dogge und einem miserabeln Schäferhund? Wie lebt ein Bologneserhündchen herrlich und in Freuden, während der arme Hofhund an der Kette in der Hundehütte liegt und Frost und Hitze, Hunger und Durst ertragen muß! Ebenso ist's mit den Menschen. Menschen sind wir alle; aber es ist ebenfalls ein großer Unterschied. Der Adel ist die Race der Doggen und Bullenbeißer –«

»Und Fleischerhunde!« fiel Müllersdorf ein. »Ihr Vergleich ist vortrefflich, Herr von Hochmannsdorf!«

»Nicht wahr!« lachte dieser selbstgefällig. »Nun sehen Sie, wie so ein tüchtiger Bullenbeißer und Fleischerhund keine Umstände macht mit einem kneffigen Mops, einem dürren hungrigen Schäferhund, einem wedelnden Pinscher, also soll ein braver Edelmann auch wenig Umstände mit solchem Volke machen.« – Er deutete auf Postillon und Bedienten. »Da ist der Lieutenant, mein Schwiegersohn, der versteht's aus dem Fundament, mit dem Gelichter gehörig umzugehen. Flüche und Schimpfworte hat er gleich 41 eine ganze Schwadron bei der Hand, und wenn das nicht gleich zieht, so liegt der Bestie der Knittel auf dem Buckel. Auf diese Weise und mit seiner großen Thätigkeit hat er mir auch meine Güter alle in die schönste Ordnung gebracht und mir die Oekonomie wieder herrlich eingerichtet. Ich und meine selige Frau – Gott sey ihr gnädig! sie war eine excellente Frau, aber von der Wirthschaft verstand sie so wenig, wie ich vom Griechischen – wir hatten mehr Schulden, als Haare auf dem Kopfe; da nahm mir der liebe Gott die Frau und schickte mir dafür meinen braven Schwiegersohn zu; nun steht bei mir Alles im schönsten Flor und Niemand in der Welt kann sagen, daß ich ihm einen Groschen schuldig bin. Was?«

In diesem Augenblick trat der Lieutenant aus der Thüre des Badehauses und rief: »Aber zum Donnerwetter! Schwiegervater, wo bleiben Sie denn? Lottchen läßt Ihnen sagen, Sie möchten doch ein Mal aufhören zu schwatzen. Der Postknecht will ja sein Trinkgeld haben.«

»Herrgott!« rief der Alte fortspringend, 42 »das hätt' ich über dem Plaudern schier vergessen. Ei, ei, wie werden die Kinder böse seyn! Nun auf baldiges Wiedersehen, Ihr lieben Herren!« Mit langen Sätzen eilte er in's Haus.

Lachend brach nun Müllersdorf heraus: »O Narrheit und kein Ende! Und doch in dieser Narrheit, Verschrobenheit und Verkehrtheit ein frischer Lebenskern durchschimmernd, eine unverdorbene, biedre Natur, ein Herz ohne Falsch. Das Bild ging gut und schön aus des Schöpfers Hand hervor, die Menschen haben es aber mit ihrem Schmutz überzogen und schier unkenntlich gemacht.«

»Der Mann hat allerdings viel Abgeschmacktes und Lächerliches an sich,« sagte Reinecke, »aber selbst das, was Sie den Schmutz der Menschen nennen, ist keineswegs so schlimm, als Sie es schildern. Als Edelmann hat Herr von Hochmannsdorf sehr viel Ehrwürdiges für mich. Ich möchte jetzt nicht den Streit wieder aufgreifen; denn ich habe mich überzeugt, daß Sie, wie mir Ihr Herr Vater schreibt, von ganz falschen Grundprincipien erfüllt sind. Sie scheinen viel Sinn 43 für Poesie zu haben; ich werde Ihnen dieser Tage noch die Werke eines Friedrich Schlegel, eines Ludwig Tieck, Adam Müller zu verschaffen wissen, um Sie durch diese großen und hochgefeierten Dichter von der gemein schwärmerischen Lebensansicht abzubringen, die Ihnen inne wohnt und Sie am Verständniß der ersten Lehren der Staatskunst hindert.«

»Sie werden einen schlimmen Schüler an mir haben,« lachte Müllersdorf, »und mein Vater hätte mich lieber einen Oekonomen werden lassen sollen, wie ich wünschte, als einen Diplomaten. Doch ich bin sein einziger Sohn, und es ziemt mir, seinen heißen Wunsch zu erfüllen.«

»Aber erklären Sie mir das Räthsel, daß der einzige Sohn eines so ausgezeichneten Staatsmanns so wenig Neigung zu der glänzenden Carriere haben kann, die ihm die Geburt schon öffnete und die Andre mit ungeheurer Mühe sich erst eröffnen müssen.«

»Das Räthsel ist leicht gelöst,« versetzte Müllersdorf: »ich hatte eine gute, fromme, sanfte, brave Mutter; sie war ein edles Weib in der 44 edelsten Bedeutung des Wortes, aber sie war der Macht der Verhältnisse unterlegen und hatte meinen Vater heirathen müssen. Sie war Protestantin. Die Fülle ihrer ganzen Liebe trug sie auf mich über, die bis zu meiner Geburt in ihrer Brust vergraben gewesen. Ich glaube, sie hatte früher einen andern Mann geliebt. Nie hab' ich etwas Bestimmtes darüber erfahren. Diese Frau hat mich erzogen und mir ihre Grundsätze eingeprägt. Ist Ihnen mein Wesen nun noch ein Räthsel?«

»Die Weiber sind zu vielem zu gebrauchen,« docirte Reinecke; »aber die meisten leben nur in einer phantastischen Gefühlswelt, und man ist albern genug, gerade diese, die am schlimmsten mit dieser Geisteskrankheit befallen sind, die Edelsten, Vortrefflichsten zu nennen, weil sie die Leidendsten, Weinerlichsten sind, und solch' Wesen wieder die Schwäche eines falschen Mitleids mit seinem widrigen Gefolge in andrer Menschen Brust erweckt. Das sogenannte Gefühl hat uns die Welt verdorben und der Verstand hat vielleicht nun Jahrhunderte zu thun, um wieder 45 aufzubauen, was das Gefühl seit funfzig Jahren blindlings über den Haufen geworfen hat. Es ist schier nicht anders, als wäre die ganze Generation angesteckt. Zur Zeit des glorreichen Ludwigs des Vierzehnten war von dieser Krankheit noch nichts in der Welt; die unübertrefflichen Meisterwerke der französischen Literatur aus jenem goldnen Zeitalter sind rein von diesem trüben Wuste. Die Welt wurde mit Verstand verständig regiert; die Diplomatie war die Meisterin der Erde, und es fiel Niemandem ein, ihr dies wohlerworbne uralte Recht streitig machen zu wollen. Die Weiber waren von ganz anderm Schlag. Jetzt will Alles philosophiren, moralisiren, meistern; die Weiber fühlen und wollen mit ihrem Gefühl den Verstand zurechtweisen. Sie stecken die Männer an und erziehen zum Unglück der Welt Kinder, wie Sie, mein Freund, dessen herrliche Anlagen wahrlich eine bessre Bildung verdient hätten.«

»O wie dank' ich meiner Mutter diese Erziehung!« rief Müllersdorf; »und hat sie mich auch nicht zu einem Diplomaten gebildet, so bin ich 46 doch durch sie ein Mensch geworden. Ihnen aber rathe ich, auf die zweite, wahrscheinlich noch vacante Tochter des Herrn von Hochmannsdorf zu speculiren, denn sicherlich ist diese nicht von der Gefühlskrankheit angesteckt.«

Reinecke erwiederte lachend: »Da können Sie recht haben. Aber mögen in diesem Hause die Verhältnisse noch so wunderlich seyn, eine bestimmte Ordnung ist doch darin. Und das bestätigt wieder meinen Lehrsatz: Das Einzelne muß dem Ganzen geopfert werden, die Ausnahme muß in der Regel untergehen. Wenn nur Ordnung und Gesetz bestehen und – sey aus Furcht oder Ehrfurcht – anerkannt werden, so ist's gut; wie sie bestehen, das muß uns einerlei seyn. So scheint es, kommandirt in diesem Hause der Schwiegersohn den Vater; die Braut befehligt dem Liebhaber, sie selbst wird vielleicht von der jüngern Schwester regiert, die sonach das Pantoffelregiment von unten herauf über Alle ausübt, und doch herrscht scheinbar der Vater; denn er hat die ausübende Gewalt in den Händen: das Geld, und Alle sind hinsichtlich dessen an 47 ihn gewiesen, der sogar die acht Groschen Trinkgeld für den Postillon auszahlen muß. Ist es in unserm Staatsleben nicht eben so? Der Diplomat herrscht und lenkt vielleicht von einer untern Stufe die feinen Fäden der Maschine mit geschickter Hand. Der Fürst scheint zu herrschen; er besitzt die Gewalt. Und also besteht die Ordnung, und durch sie die Welt.«

»Ein schöner Wirrwarr in der Familie, im Staat, in der Welt, wenn Trägheit, Schwäche, Dummheit, Gutmüthigkeit und Furcht vor der Gewalt nicht Alles wieder ausglichen! So bin ich überzeugt, setzt es zuweilen einen kleinen Zank unter dem Völkchen dieser Familie; allein die Gutmüthigkeit des Alten und der Pantoffel der Jungen stellt bald die alte Ordnung wieder her, und der consequente Despotismus der häuslichen Diplomatie waltet dann wieder wie früher über dem Ganzen. Doch lassen wir die guten Landfräulein mit dem ehrlichen aristokratischen Herrn Papa und dem fluchenden Schwiegersohne, und sehen wir uns lieber nach der reizenden Polin um; denn an ihrer Bekanntschaft liegt mir mehr 48 als an der von hundert Hochmannsdorfen mit Töchtern und Schwiegersöhnen.«

Reinecke folgte; doch sprach sein Gesicht offenbaren Unwillen über die Denk- und Handlungsweise des Jünglings aus.

 


 


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