Adolf Stoltze
Vinzenz Fettmilch
Adolf Stoltze

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Vierter Aufzug.

Allee von knorrigen Weiden und alten Bäumen. Im Hintergrund die fernen Höhen des Taunus. Im Vordergrund rohgezimmerte Bank. Es ist Abend, die Sonne eben untergegangen.

Erster Auftritt.

Hans, Wenzel, Kraft, Dietrich, Leschhorn.

Hans (mit einem Reif spielend, springt voran). Vatter, Vatter! eil dich, ewe geht die Sonn unner.

Wenzel. Laß se geh, des tut se jeden Dag.

Knabe. Awwer nit in der Rawunzelgass', da is se noch nie unnergange.

Wenzel. Renn nit so.

Knabe. Ich will haam. Der Altgesell hat merr was versproche mitzebrenge, wann err heint in der Gass nachplinnern deet.

Wenzel. Ich meen, der Allmei hätt genug. Zwo paar Stiwwel, finf Bettdicher un enn silwerne Leuchter.

Knabe. Die annern Geselle hätte noch mehr mitgenomme. Gell, Vatterche, wann ich groß bin, derf ich aach plinnern geh?

Wenzel. Daß de der Mutter nit verzehlst, wieviel Becher ich getrunke habb.

Knabe. Wer mich hiete, da deest de mich ja nit mehr mitnemme. (Ab.)

Wenzel. Is des e gescheiter Bub!

Leschhorn. Der schlegt dir emal nit nach.

Wenzel. Giftschmus! Was meent err, vorgestern hat err sogar bei dem Krawall mit in die Juddegaß gewollt.

Kraft. Da is es bees zugange, was se nit kaputtgeschmisse hawwe, hawwe se mitgeh haaße.

Dietrich. Dem Fettmilch sei klaane Kinner solle aach geplinnert hawwe.

Leschhorn. Klaane Kinner in dem Tumuld; sowas kann mer emm Wasserkopp weißmache, enn verniftige Mensch nit.

Dietrich. Ich schwer kaan Eid druff, es is ja aach verzehlt warn, der Fettmilch hätt den Juddekerchhof beschitzt, damit sich die flichtende Judde dort hätte versteckele kenne.

Wenzel. Dem trau ich des schon zu, ich hätts nit gedaa.

Kraft. Ich aach nit; die hawwe unsern Herr Heiland gekreuzigt – also!

Leschhorn. Ihr kreuzigt enn jede Dag mit euerm boshafte Geschwätz!

Kraft. Geh haam un laß dich beschneide!

Leschhorn. Ich glaab mehr als fufzehhunnert Mensche hawwe se von Haus un Hof verjagt, selbst Familje, die schon hunnert Jahr hier ansässig warn. Nadirlich gab's aach Berjer, die Vertriwwene uffgenomme hawwe.

Kraft. Schann genug! Der Fettmilch hätt viel weiter geh misse.

Leschhorn. E Glick, daß err nit de Dränger gefolgt hat, die hinnerm gestanne hawwe.

Dietrich. Die ganz Berjerschaft hat hinnerm gestanne.

Kraft. Ewe dessentwege; wie lang werds dauern, komme se widder – als fort mit enn!

Leschhorn. Mich steern se nit.

Wenzel. Awwer mich. Der Fettmilch hätt mache kenne, was emm beliebt; kaa Mensch kann emm was aahawwe, aach der Kaiser nit, dann der hat den Schadlosbrief der Zinft im Sack,

Dietrich. Un die Welsche hawwem e Prachtgewand spendiert, da soll err wie e Ferscht drei ausseh.

Leschhorn. Des hawwe se doch nit wege dem Storm uff die Juddegass gedaa, sonnern weil err iwwerall for die Reformierte eigetrete is.

Wenzel. Ich mecht nortz wisse, was err itzt vorhat. Der Rat sitzt noch gefange im Remer, un die Dorn sin noch gesperrt.

Leschhorn. Verbrech derr doch dein Kopp nit iwwer sein Kopp; der werds schon mache; der hat den nedige Gritz dazu.

Kraft. Krieh die Krenk! kimmt err nit da unne uff den Schütt eruffgestiche? Ganz allaans, was mag dann den hierherfihrn?

Wenzel. Wie mer iwwer Leut sich streit, komme se, des soll von der Aaziehungskraft der Erd herrihrn. (Sehr laut). Scheener Awend heint Awend.

Dietrich. Schadd, daß merr haam misse.

Zweiter Auftritt.

Vorige. Fettmilch.

Fettmilch. Grüß Gott, Bürger! Schon auf dem Heimweg?

Wenzel. Ich habb mein Klaane bei merr, der muß bei Zeite ins Bett.

Kraft. Merr hawwe den Dag ausgenutzt, weils Wetter gar zu schee war.

Leschhorn. Wann's euch nach emm Becher gute Wei gelist, kann ich euch den Strohhecker verrate, der zappt enn Troppe, den hat Gott gesegend, mir hawwe'n gekost. Lauter scheene Leut dort, die sich sonst beim Hecker rar halte.

Fettmilch. Ich danke euch für euren guten Rat, lieber Leschhorn, doch heute dürstet mich nach Ruhe, nicht nach Wein; ich habe drum den stillen Pfad gewählt, um mich zu retten vor des Tags Getümmel. Die jüngsten Wochen lasten schwer auf mir.

Leschhorn. Glaabs euch gern, schont euch der Berjerschaft zulieb.

Fettmilch. Nur in der Stille wachsen die Gedanken; verzeiht mir drum, wenn ich allein itzt meine Straße ziehe.

Leschhorn. Geleit euch Gott!

Kraft. Uff baldig Widderseh!

Fettmilch. Glück und Heil daheim und Grüße euren Frauen! (Wenzel, Leschhorn, Dietrich und Kraft ab. Man hört sie in weiter Entfernung singen.)

Fettmilch (allein). Ihr Glücklichen, die nur die eigenen Sorgen drücken; fast neide ich euch um euren frohen Sinn. (Läßt sich auf die Bank nieder. Abendröte.) Erquickung spendet dieser stille Ort; – vor mir des Altkings sanftgeschweifte Höhen, die abschiednehmend noch der Tag umglüht. Ein milder West kühlt mir die heiße Stirne und gibt dem Körper neuen frischen Schwung. Ist's doch, als zög mein ganzes Leben in diesem Augenblick an mir vorüber, belastend und versöhnend mein Gewissen . . . . Tief senkte sich die Schale des Erfolges an meiner Lebenswage, doch ob ihr Zünglein niemals schwankend wird, ist eine Frage, die die Zeit nur löst . . . . Schon steigen dunkle Schatten auf vor meiner Seele und bange Ahnungen umschleichen mein Gehirn . . . . Zum Teufel, Fettmilch, bist du noch der alte?! der Mann der Tat, den kein Bedenken schreckt? Der Zweifel ist des Handelns größter Feind, er drängt dich in das Nebelmeer der Schwäche. Beklagenswert sind auch für mich die Opfer meiner Taten, doch fühle ich frei mich von der Schuld, die sie geboren. Wär ich ein schwacher Mann gewesen, hätte ich der Bürger Gunst schon längst verscherzt. Zusammenfassen mußte ich die Leidenschaften des wild erregten Volkes und Richtung geben ihr nach einem Ziel. Ich mußte handeln wie ich es getan, das Urteil überlasse ich dem ewigen Richter, der sicher gnädig sein Verzeihen spricht. Bei Gott, ich lieb' mein Weib und meine Kinder, doch höher noch steht mir das Wohl der Stadt und seiner Bürger. Schon in der Jugend zog's mich mächtig zu ihr hin, in ihr erbaute ich den eigenen Herd und fand die neue Heimat, die mir lieb und teuer. Auf Rosen war ich wahrlich nicht gebettet, und bitterschwer ward mir der Kampf ums Brot. Doch habe niemals mit gekrümmtem Rücken nach Amt und Würde ich geäugt, für die Befähigung mir ein Anrecht gaben. Ein offen Wert ist meines Daseins Atem. Ich fand das Recht gebeugt durch einen Adel, der in dem freien Bürger Untertanen sah. – Mit Gleichgesinnten schloß ich mich zusammen zum Schutz der Freiheit und der heiligen Rechte. (Stützt den Kopf müde in die Hand.) Der Sonne letzter Strahl verglüht und mahnt zur Heimkehr und zu – neuen Sorgen.

Dritter Auftritt.

Fettmilch. Stauch.

Stauch (kommt, legt seine Hand auf Fettmilchs Schulter). Wahrhaftig, Vinzenz! Schnaufst de dich aus von Arweit un Verdruß?

Fettmilch. Beinah getroffen, Theobald. Was führte dich den stillen Pfad herauf, den abends nur zum Stelldichein Verliebte suchen?

Stauch. Abhole wollt ich dich derrhaam in deiner Klaus, doch du warst ausgefloge, un niemand konnt merr sage, wohie. Aamal im Trapp kam merr der Schopp un Gerngroß in die Quer, merr sin selbander dann der Windmihl zugewannert. Die Unnerhaltung hat sich nor um dich gedreht un um dei Plen, de Ratsherrn gegeniwwer.

Fettmilch. Sie sind dem Ausschuß kein Geheimnis mehr.

Stauch. Grad dessentwege wollte mehr se wisse, – sie dachte, weil merr Freund sin zuenanner, deet ich enn beichte. So enn Awerglawe. Was hatte die die Mäuler uffgerisse im Rahmhof, als wann se den Patorn verschlucke wollte, un itzt sin se ganz klaalaut un bedugt. Des is awwer immer so, Vinzenz, wann der Kummernsalat drunne is, komme die Leibweh.

Fettmilch. Sei außer Sorge, wir verdauen ihn.

Stauch. Der eigesperrte Rat geht enn im Kopp erum, un for so Sache is ihr Hern zu klaa. No freilich, mer kann nie nit wisse –

Fettmilch. Die schlimmsten Taten sind die halbvollbrachten; den Kampf, den wir für unser Recht begonnen, müssen wir zu Ende führen mit allen seinen Folgen. Hie Bürgerschaft, hie Rat! Entscheidung muß schon morgen fallen, wenn die vereinten Zünfte vor den Römer ziehen und Antwort heischen auf des Volks Beschwer.

Stauch. Was bleibt enn annerschter iwwerig, wie sich fige? Bei dere Hitz im Ratssaal eingefercht zu hocke, is nit nach dem Geschmack der edele Geschlechter. Nor fercht ich, daß se speter uff neue Ränk ehrn ganze Scharfsinn richte.

Fettmilch. Das später schreckt mich nicht, itzt gilt's, den Augenblick zu unseren Gunsten nützen. Gott gebe, daß der jahrelange Zwist sein Ende findet. Wir reichen zur Versöhnung gern dem Rat die Hand, wenn er bereit sich zeigt, vereint mit uns den Hochverrätern die Larve vom Gesicht zu reißen und unseren Forderungen ein verständig Ohr zu leihen.

Stauch. Die Berjerschaft erwart von dir des Beste.

Fettmilch. Das muß die Eintracht bringen, wenn sie geschlossen hinter ihrem Führer steht. – Du kamst allein, wo sind die Weggenossen?

Stauch. Die hawwe sich beim Hecker aagesiedelt, um dort ihr Rednergawe zu verwerte. Mich rief die Pflicht nach Haus, doch dacht ich mir, ich kennt vielleicht dich doch noch treffe, wann ich enn klaane Umweg mache deet; un richdig, so wie merrs geahnt, so is es komme.

Fettmilch. Wenn du so groß im Ahnen bist, so ahnst du sicher auch, daß unsere Weiber uns daheim erwarten.

Stauch. Du gehst mit merr; die Christel is bei uns; vielleicht is ääch dei Eheliebste da. Sie hat uns ihrn Besuch schonn längst versproche.

Fettmilch. Topp! Durch die Faulpumpe ist der nächste Weg. (Beide ab).

Vierter Auftritt.

Erster, zweiter Söldner.

Erster Söldner. Es werd schon duster, Kamerad, mer kann von hier kaum mehr den Galje erkenne.

Zweiter Söldner. Des kimmt vom Dunst nach so me haaße Dag wie heut. Ich mecht nortz wisse, was an unserm Feldwebel seim Gebabbel is, der behaubt, Soldate deete sich in Hanau vor de Dorn braat maache.

Erster Söldner. Die derfe des, der Landgraf is kaa Schinner.

Zweiter Söldner. Wann aach, die Sach leiht trotzdem diefer, Kamerad, wie du maanst. Du mußt nortz alles genau iwwerlege. Die Judde sin vertriwwe warn und hawwe sich nach Hechst un Hanau hiegeflicht, nach Hanau, merkst de was? der Rat is abgesetzt, die Dorn gesperrt; mir hawwe uff de Wäll die Rund, un wie der Herr Parrer Stark am Sonndag in der Kerch gepredigt hat, sieht's aach im Reich drauß mehr wie dreckig aus. Verdammt, ich glaab, es leiht was in der Luft!

Erster Söldner. Was kimmerts uns? mir hawwe unsern Sold, mehr brauch mer nit, um sich als Mensch zu fihle. Gehts los, dann häägt mer druff un fillt den Beutel sich. Krieg is Krieg; des Weibsmensch steht aam frei, un duht se nit zu unserm Wille sei, dann zwingt mer se dazu. Der Bauer muß uns for die Atzung sorje, sonst setze merr'm den rote Hahn uffs Dach. Was is dann e Soldat heint ohne Krieg? E Besemstiel, dem alle Borschte fehle! (Beide ab. Der Mond ist aufgegangen und scheint durch die Zweige der Bäume. Kleine Pause.)

Fünfter Auftritt.

Christel, Rudolf (kommen von der Stadt).

Christel (durch ein dunkles Tuch halb verschleiert). Nicht weiter Rudolf, itzt erweitert sich der Weg, der helle Mond kann zum Verräter werden.

Rudolf. So laß uns hier auf Augenblicke weilen, mit ein paar Schritten bist du wieder in der Stadt. (Abendläuten.)

Christel. Es läutet schon neun Uhr! die Got wird mich vermissen, von der ich heimlich mich hinweggestohlen. Mir ist so bang, so bange wie noch nie.

Rudolf. Hier droht dir kein Erkennen, süßer Schatz.

Christel. Sonst war ich mutig, wenn ich wo dich traf; doch eben ist mir aller Mut genommen, ich sehe von Gefahren mich umlauert. Dein Briefchen selbst erschreckte mich, bist du des Boten sicher, daß er niemals plaudert?

Rudolf. Er ist mein Freund, mehr brauche ich nicht zu sagen.

Christel. Verstellungskünste waren sonst mir fremd, heute muß ich sie üben, damit der Schleier unserer Liebe sich nicht lüftet und Argwohn nicht des Vaters Herz beschleicht. Selbst das Getuschel unserer Nachbarschaft läßt mich erbeben. Ich habe das Gefühl, als schliche man mir auf allen Wegen nach.

Rudolf. Das ist ein Widerhall der schlimmen Zeit, in der wir leben. O Christellieb, was habe ich dir so viel zu sagen, so viel was mir in tiefster Seele brennt.

Christel (in seinen Armen). Ein jedes Wert von dir ist mir Musik.

Rudolf. Sieh dort den mondbeglänzten Pfad, auf dem wir uns im Herbst gestanden, was unsere Herzen ineinander wob.

Christel. Ein süßes Geheimnis wird es bleiben müssen, solange das Leben uns beschieden ist. Vom Schützenfest, wo wir zum erstenmal uns sahen, erreichten plaudernd wir den Weg hierher, und mich beglückte hier dein erster Kuß. Rudolf, Rudolf! mein Herz befahl, die Überlegung schlief.

Rudolf. Das klingt, als reute dein Geständnis dich.

Christel. Nie wird mein Herz in seiner Liebe zu dir wanken, auch dann nicht, wenn du ferne von mir bist. Verlaß mich nicht in dieser schweren Zeit, mein Trauter!

Rudolf. Mich zwingen die Verhältnisse, ich muß! Geschändet ist der Name meines Ohms, der auch der meine ist. Der Hochverräter gellt mir in den Ohren. Soll jeder Bursche, der meine Wege kreuzt, verachtend auf mich niederblicken? Lieber tot, als so ein schmachvoll Sein! Ich schüttele den Staub von meinen Füßen und lasse dich als höchstes Gut zurück.

Christel. Wie soll die Trennung ich ertragen, wenn ich nicht weiß, bis wann du wiederkommst?

Rudolf. Die Sehnsucht führt mich an dein Herz zurück, sobald ich hier in Ehren leben kann. Nicht ich, dein Vater treibt den Keil in unsere Liebe.

Christel. Sage das nicht, Rudolf, er tat nur, was ihm seine Pflicht gebot, wenn er der Bürger Rechte wahrte.

Rudolf. Laß uns nicht über solche Dinge streiten; mir ist der Ohm und dir der Vater wert.

Christel. Drum kann ich nimmer dulden, daß man ihn verkennt; du würdest anders reden, wenn du wüßtest, wie innig er den Seinen zugetan. Er darbte oft, damit wir satt geworden, denn Schmalhans war bei uns der Küchenmeister. Er hätt' es besser haben können, glaube mir, wenn er, wie hunderte, den Mantel nach dem Wind gehängt, er aber blieb sich treu und seiner Überzeugung. (Stolz.) Ein armer, aber stets ein freier Mann!

Rudolf. Dein Urteil ehrt dich, weil sein Kind du bist; doch wirst du es begreiflich finden, daß ich dir hier nicht folgen kann. Gefährlich ist sein Spiel, das er itzt spielt, wenn er's verliert, kanns ihm verderblich werden.

Christel. Nicht ganz versteh ich dich. – Sei offen, Rudolf, gegen mich!

Rudolf. Bin ich es nicht in jedem meiner Worte? Der Haß des Adels und der Judenschaft ist nicht so leicht zu tragen, wie dein Vater meint.

Christel. So fürchtest du, daß ihm Verderben droht?

Rudolf. Verzeih, wenn dich ein unvorsichtig Wort von mir erschreckte, Gedanken eilen oftmals in die Ferne und malen uns die tollsten Bilder vor.

Christel. Ich danke dir, daß du sie warnend mir enthüllt, denn allzu arglos floß mein Leben hin. Der Vater in Gefahr, und ich sein Kind umstrickt von Liebeslust und Glück in deinen Armen! O, wie schwach und elend komme ich da mir vor!

Rudolf. Um Himmelswillen, lasse die Grübeleien der überhitzten Phantasie.

Christel. Die Sorge, einmal wachgerufen, schläft nimmer ein; ich fühle die Kluft, die uns bis heute hat getrennt, sich täglich mehr und mehr erweitern.

Rudolf. Die Liebe überbrückt sie wieder, Christellieb!

Christel. Doch scheucht sie nicht den Kummer um den Vater! Schon einmal hat die feige Niedertracht den Dolch gezückt, und nur ein Wunder war es, daß sie sein Haupt nicht traf.

Rudolf. Heute wird die Freveltat kein zweiter wagen, denn er steht auf dem Gipfel seiner Macht.

Christel. Wer hoch steht, stürzt am schnellsten in die Tiefe. Kein Sonnenblick zeigt meiner Seele sich, der schönste Traum zerrinnt in Nichts und schale Wirklichkeit grinst mir entgegen. Laß uns in Freundschaft auseinander gehen. (Will ihm die Hand reichen.)

Rudolf (leidenschaftlich). Fällt dir's so leicht, dich von mir abzuwenden?

Christel. Verkenne mich nicht, die Not treibt mich von dir und das Gefühl, uns beide zu verderben.

Rudolf. So soll ich ohne Händedruck und Kuß von dannen ziehen?

Christel. Mach mir nicht allzuschwer das Abschiednehmen. (Küßt ihn, wendet sich um und weint.) Geh, geh! und Gott sei dein Begleiter.

Rudolf. Wir sehen uns wieder, das gelob' ich dir!

Christel. Vielleicht dort oben wo die Sterne wandeln. Laß mich allein den Weg nach Hause gehen.

Rudolf. Ich folge dir.

Christel Nein, bleib zurück! Es drängt die Zeit, und Angst beflügelt meine Schritte. – Leb' wohl; leb' wohl! (Stürmt ab.)

Rudolf. Christel! Christel!

Der Vorhang fällt.

Verwandlung.

Römerberg zu Frankfurt am Main. Rechts: Eckhaus der Wedelgasse, daneben der Römer mit praktikabelem Balkon. Links: Eingang zur Kräme. Auf der Mitte des Platzes der Gerechtigkeitsbrunnen, im Hintergrund Nikolaikirche und Fahrtor. Die Bühne ist beim Aufziehen des Vorhangs noch wenig belebt, nach und nach kommen Männer, Frauen und Kinder von den Seitengassen und stellen sich an erhöhten Plätzen auf. Zünfte mit Fahnen und Handwerkszeichen erscheinen und gruppieren sich mit der Front nach dem Römer und der Kräme. Patrizierfrauen mit ihren Mägden, die Speisen für den gefangenen Rat tragen, drängen sich durch die Römertüren, vor denen Söldner Wache halten. Es ist sonniger Tag.

Erster Auftritt.

Eckhard (am Brunnen beschäftigt), Frau Eckhard (hält Gemüse am Eingang der Kräme feil). Kraft, Schecker (gehen im Gespräch an Frau Eckhard vorüber).

Frau Eckhard. No, no, no! scheppbaanige Schinneeser! Habbt err kaa Aage in eure Klotzkepp, daß err uff mei Gewerzel tret?

Schecker. Verkaaf se ihr Zeug uff dem Schoß, da tret err kaaner druff.

Frau Eckhard. Haww ich nit nedig, verstanne? Gieht haam un schafft was, des is gescheiter wie hie Maulaffe feil halte!

Kraft. Geww err kaa Antwort, es is e Sachsehäusern, die hat e Privileg uff e bees Maul.

Frau Eckhard. Hat se aach, verstanne, ihr Dagdieb! Zieht Pantoffele aa odder butzt euer Fiß wenigstens ab, wann err aam uff sei Sach trete wollt! Alle Schlag e Versammlung uff dem Samsdagsberg. – Warum geht err nit uff den Heumark odder in den Rahmhof?

Schecker. Weil dort kaa Remer is.

Frau Eckhard. Da laßt euch aan hiebaue, verstanne?

Kraft. Verstauch se sich ihr Schlagzung nit. – Die sollt mei Fraa sei, die deet ich jeden Dag e paarmal zwiwwele.

Frau Eckhard. Des sollt euch iwwel uffstoße. (Ruft Eckhard zu.) Eckhard, heer emol! Der Olbch da segt, wann ich sei Fraa wer, deet err mich jeden Dag e paarmal zwiwwele.

Eckhard. Schadde kennt's nix!

Frau Eckhard. Aafalt! (Laut, indem sie auf die Patrizierfrauen deutet.) Guckt emol do de eigesperrte Ratsherrn ihr Weiwer, wie se ihr Männer fittern geh!

Kraft. Sollte se se hungern lasse? Im Remer is kaa Garkich, da muß sich jeder selbst verpflege.

Frau Eckhard. Maant err ich wißt, was heint widder los is?

Schecker. Sollt mer's for meglich halte, daß aa so dumm is? Der Berjerausschuß verhannelt mit de Herrn vom Haus Limborg.

Frau Eckhard. Es haaßt doch, der Rat deet abdanke.

Schecker. Wann der Fettmilch druff eigange weer, der leßt sich odder so leicht nix vormache.

Frau Eckhard. Hat err recht, hat err recht, ich laß merr aach nix vormache.

Schecker. Der waaß was err will.

Frau Eckhard. Mei Mann leßt enn sich aach nit schenne, wann err nor sein Name heert, kreischt err schon: Vivat Fettmilch!

Zweiter Auftritt.

Vorige. Leschhorn, Wenzel.

Wenzel (tritt mit Leschhorn auf die Gruppe zu.) Merr dachte schon, merr keme zu spet.

Schecker. Des geht beim Berjerausschuß nit so eilig; der hat aach noch emal bei de kaiserliche Kommissarn vorgesproche.

Kraft. Die solle ja gestern der Stadt mit der Acht gedroht hawwe. Der kaiserliche Arm is lang un hat spitze Kralle.

Wenzel. Ich maan, merr sollte uns danewe uff die Trappe salviern, da sieht merr alles, was vorgeht, un kann de Weiwer in den Brustlatz gucke.

Leschhorn. Der hat doch nix wie Weiwer in seim dicke Kopp; uns fihrn ganz annere Gedanke her.

Wenzel. Mich aach, doch wann ich wo e speckig Jumfer seh, mach ich die Aage nit verlege zu. (Stellen sich an erhöhter Stelle auf und reden leise miteinander. Die Szene belebt sich mehr und mehr.)

Dritter Auftritt.

Vorige. Ruger. Weitz.

Ruger (im Gespräch mit Weitz, kommen vom Hintergrund). Ihr wißt, ich bin kein Judenfreund, doch weiter konnte Fettmilch nimmer gehen, wenn er nicht den Zorn des Kaisers auf sich laden wollte.

Weitz. Im Gegenteil, er mußte tabula rasa machen, den letzten Juden von der Scholle treiben; auf reinen Tischen läßt sich's gut servieren. Ihr werdet noch erleben, daß die Zurückgebliebenen euch mehr zu schaffen machen werden, als die Flüchtigen.

Ruger. Mein lieber Syndikus, glaubt mir, wir werden uns die Leute genauer ansehen als seither und jeden Wucher kräftig unterdrücken.

Weitz. Dann müßt ihr hundert Augen haben statt nur zwei. Mit unsichtbaren Fäden umspinnen sie das Recht und bahnen Wege sich aus ihrer Stättigkeit. Schlauköpfe sind sie ja von je gewesen.

Ruger. Das ist für uns kein großes Kompliment. Die Wütigsten von ihren Gegnern waren immer ihre Schuldner.

Weitz. Ihr spielt, so scheint es, auf gewisse Kreise an. (Verlieren sich unter der Masse).

Vierter Auftritt.

Vorige. Gerngroß, Schopp.

Gerngroß (kommen aus einer Seitengasse). Renn nit so, mir geht der Atem aus, ich bin kaa achtzeh Jahr mehr.

Schopp. Merr hätte nit so lang beim Frihstick hocke derfe.

Gerngroß. Dei Schuld! du bist ja nit aus dem Werttshaus erauszubrenge.

Schopp. Des kimmt vom Dorscht, merr komme doch noch recht.

Gerngroß. Bei Ehrenämtern muß mer pinktlich sei.

Schopp. Ehrenämter? ich hätt die lieb Brieh davo. Mer babbelt sich in de Zunftstuwwe un beim Wei den Bart vom Maul eweck, un was is es? Hast de schonn emal aan rufe heern, Gerngroß odder Schopp, hoch? des gibt's nit. Fettmilch, Fettmilch, un noch emal Fettmilch!

Gerngroß. Ich bin deßwege nit neidig, er hat den Schadlosbrief im Sack un kann ganz annerschter ufftrete als mir.

Schopp. Nadirlich, er kann ja aach ladeinisch babbele, des is wahr, awwer was err im Kopp hat, hawwe mir aach drei, kenne's nor nit so erausbrenge. (Es schlägt elf auf dem Pfarrturm.)

Gerngroß. Elf! da hätte merr uns nit zu hatze brauche. (Mit Schopp ab nach der Kräme. Ferne Musik. Die Zünfte nehmen Aufstellung nach dem Römer.)

Fünfter Auftritt.

Vorige. Frau Stauch, Christel.

Christel (kommt mit Frau Stauch). Ich bitte dich, Got, lasse uns nicht in der ersten Reihe stehen.

Frau Stauch. Warum nit? es werd dein Vatter freue, wann err dich da sieht.

Christel. Ich wollte, alles wäre vorüber und wir wieder daheim in unserem Stübchen.

Frau Stauch. Kind, ich versteh dich nit!

Christel. Weil du nicht weißt, was mich bewegt.

Frau Stauch. Baß emal uff, wie enn die Zinfte begrieße, besonnerscht heint in seim festliche Gewand.

Christel. Ein kugelsicherer Wams wäre mir lieber gewesen.

Frau Stauch. Was mechst de derr for Sorje ohne Grund.

Christel. Glaubst du, daß seine Feinde nicht auf Rache sinnen? Ich sehe den Vater ständig in Gefahr.

Frau Stauch. Des hat derr sicher aans ins Ohr gebischbelt.

Christel. Nein, eine bange Ahnung sagt es mir.

Frau Stauch. Ahnung, des bildst de derr ei. In deine Jahrn sieht mer vieles annerscht aa, wie's werklich is.

Christel. Die letzten Nächte brachte ich schlaflos zu.

Frau Stauch. Da hast d'es ja! Wie ich noch jung war, ging merr's eweso, bis mich mei Vatter dem Stauch versproche hat; da war uff aamal alle Brast vorbei, wie eweckgeblase. So werd derrsch aach noch geh.

Christel. Laß uns von anderen Dingen reden, liebe Got.

Frau Stauch. Warum? du hast des Alter um verliebt zu sei.

Christel. Ich bitte dich, mein Herz denkt nicht daran.

Frau Stauch. Des kimmt schon mit derr Zeit. Du werscht doch kaa alt Jumfer wern wolle? Ich waaß derr aan, der ganz verschosse is in dich, e scheener Mensch un aach kaa armer Tropp; ich wollt schon lengst emal mit deim Vatter redde.

Christel (heftig erschrocken). Wenn du mich in den Tod willst treiben, tu's.

Frau Stauch. Um Gotteswille! is derr des so gram? ich wer mich hiete, druff zurick zu komme. Du zitterst, Kind, is derr's am End nit gut?

Christel. Mache dir keine Sorgen.

Frau Stauch. Heerst de? Musik! Ich glaab, sie komme dort die Kräm erunner.

Christel. Der Himmel gebe, daß es glücklich ende.

Frau Stauch. Was soll dann itzt bassiern? Des Volk tregt ja dein Vatter uff de Händ; – heer nor den Juwel, der bis hierher schallt! (Ruft.) Hoch, Fettmilch, hoch! Sie komme schon, dei Vatter an der Spitz, stolz wie e Kenig un aach so aagezoge. (Ruft.) Hoch Fettmilch! Da kreisch doch mit, wann's aach deim Vatter gilt. Hoch Fettmilch! (Begeisterter Jubel. Große Bewegung. Alle versuchen nach dem Vordergrund zu drängen.)

Sechster Auftritt.

Vorige. Fettmilch (im Prunkkostüm), Stauch, Gerngroß, Schopp, Ebel, Geiß, de Neufville, du Fay und zahlreiche Mitglieder des Bürgerausschußes. Sauer.

(Bei dem Vorbeimarsch nach dem Römer schwingen die Zünfte ihre Fahnen, auch an den Fenstern werden Fahnen sichtbar. Die Musikanten nehmen Aufstellung in der Nähe des Römers.)

Leschhorn (und seine Gruppe drängen vor). Der werd geehrt, wie mer enn Herrscher ehrt.

Wenzel. Die Krischer mache sich besonnerscht braat.

Frau Stauch. Gleich hinnerm Vinzenz kimmt mei Ehherr, der Schopp un Gerngroß, un sogar de Welsche ihr Leut. Guck, ewe steht dei Vatter uff der Trepp. No, siehste, es is nix bassiert. Er winkt, er will gewiß was sage.

Stimmen. Ruhe! Ruhe! Still! (Allmählich tritt Ruhe ein.)

Fettmilch. Bürger, Zunftgenossen! Beim Geläute aller Glocken, dem Jubel des gesamten Volkes feierten wir vor anderthalb Jahren den unter Mitwirkung kaiserlicher Kommissare abgeschlossenen Bürgervertrag.

Die Gevatterschaftsregierung unfähiger Patrizier war durch den mächtigen Ansturm empörter Bürger zusammengebrochen. Nicht länger sollten ein verschmitzter Advokat und ein hinterlistiger Stadtschreiber die Geschicke Frankfurts lenken, nicht länger unerschwingliche Schatzungen den fleißigen Handwerker bedrücken und zu Grunde richten, nicht länger geldgierige Schelme das städtische Vermögen beräubern und nicht länger Willkür und brutale Gewalt die heiligsten Rechte des Volkes mit Füßen treten. Eine neue Zeit sollte für Frankfurt anbrechen und dauernd dem alten Zwist ein Ende machen, eine Zeit allgemeinen Wohlstandes, eine Zeit der Gleichberechtigung aller Stände, eine Zeit der Gerechtigkeit und der Freiheit!

Volkshaufen. Bravo! Hoch!

Fettmilch. Neue Kräfte zogen in den Römer, berufen den Augiasstall zu reinigen, die Schuldigen zu entlarven und an den Pranger zu stellen.

So hofften wir alle vertrauensvoll, in eine klare Zukunft zu schauen; aber unser Hoffen ging in die Brüche und die Zukunft trübte bald stickiger Nebel. Die Bürgerrechte wurden nicht nach Gebühr geschützt, die Schatzungen erhöht statt vermindert. Der Zuzug fremder Juden nicht unterbunden, die schuldigen Strauchdiebe an dem Ruin der Stadt nicht ermittelt und zur Verantwortung gezogen. So schwand das Vertrauen zu den neuen Kräften im Rathaus und sie gerieten in den Verdacht, mit dem volksfeindlichen alten Rat unter einer Decke zu spielen. Etwas ward allerdings ermittelt, – daß die ehemals so reiche Stadt Frankfurt heute zehn Tonnen Gold Schulden hat.

Volkshaufen (wütend). Gauner! Banditen! Schufte!

Fettmilch. Zehn Tonnen Gold, die aus dem hungernden Bürger herausgepreßt werden müssen.

Volkshaufen. An den Galje mit de Spitzbuwe!

Fettmilch. Bürger, Freunde, Gesinnungsgenossen! So ward der feierlich beschworene Vertrag zu einer Narrenposse, zu einem Netz, Gimpel darin zu fangen, zu einem Netz, durch dessen lose Maschen die Sendboten der Verleumdung und des Verrates schlüpften, um die Bürgerschaft des Treubruches bei den Reichsständen zu verdächtigen, sie als Aufwiegler zu brandmarken und als herrschsüchtiges Gesindel herabzuwürdigen.

Volkshaufen. Pfui! Schändlich! Niedertracht!

Fettmilch. Bis zu des Kaisers Thron wagten hochverräterische Patrizier ihre Wühlereien auszudehnen und die Wiederherstellung ihrer Herrenrechte zu betreiben. Kein Mittel war ihnen verächtlich genug, uns ins Unrecht zu setzen, und wir ahnen es heute schon, sie fanden ein williges Ohr. Der Adel steht dem Throne näher als der schlichte Bürger, der beide erhalten und ernähren soll.

Volkshaufen (allgemeine Zustimmung). Von jeher!

Fettmilch. So mußte der Kampf kommen, den wir siegreich geführt haben. Hie Adel, hie Bürger! Gewalt gegen Gewalt war die Losung. Nun gilt es, unsere Errungenschaften zu sichern, bevor kaiserliche Perücken unsere Forderungen im Keim ersticken. Seit gestern verhandeln wir mit dem widerspenstigen Rat über die Reform des Vertrages, über die Erweiterung unserer Rechte und die Beantwortung früher gestellter Fragen. Der Ausschuß wird sich würdig eures Vertrauens zeigen; er wird den Herren vom Haus Limpurg klar machen, daß unser Wahlspruch ist und bleibt: »Durch Freiheit zur Gerechtigkeit!« Gott mit unserer Sache! (Ab mit dem Ausschuß in den Römer. Großer Jubel des Volkes).

Leschhorn. So sollt Frankfurt lauter Leut hawwe, dann weer uns geholfe.

Sauer. Er is e bisse weit gange.

Kraft. Des sagt ihr, friher habbt err annerscht geredd.

Sauer. Friher haww ich nit jed Wort uff die Wagschal gelegt. Heut haaßt's: »Halt des Maul zur rechte Zeit un du sparst derr vieles Leid.«

Leschhorn. Des waaßt de aach ehrscht, seitdem se dich des letztemal geknast hawwe.

Siebenter Auftritt.

Vorige. Wachtmeister Euler.

Euler (kommt atemlos von der Wedelgasse her). Habbt err den Oberstrichter Ruger geseh?

Sauer. Was vorgefalle?

Euler. Daß ich's euch uff die Nas heng – Amtsgeheimnis! Wo is err?

Sauer. Dort beim Syndikus Weitz.

Euler (zieht Ruger näher). Große Dinge im Werk, der Deiwel waaß was se zu bedeute hawwe.

Ruger. Halt ers Maul, wann er mir was zu sagen hat.

Euler. Mit Verlaub, Fettmilch hat befohle die Dorn zu sperrn; itzt is awwer e kaiserlicher Herold mit emm Trupp landgräflicher Reiter erschiene un hat Einlaß begehrt. Was duh?

Ruger. Kaiserlicher Herold! Einlaß begehrt – –

Euler. Im Name des Kaisers.

Ruger. Tore öffnen, Einfalt, wenn seine Majestät befiehlt.

Euler. Un Fettmilch? – –

Ruger. Fettmilch – – erst der Kaiser, dann der Fettmilch.

Euler. Itzt waaß ich Bescheid. (Eilig ab).

Frau Stauch. Der Stauch meent, daß die Verhannlung nit lang dauern deet, weil alle Punkte schon dorchgesproche weern.

Christel. Ich danke Gott, wenn es vorüber ist.

Frau Stauch. Is derr's dann noch nit besser?

Christel. Doch, doch – allein – –

Frau Stauch. Guck, dei Vatter! (Deutet nach dem Römerbalkon).

Achter Auftritt.

Vorige. Fettmilch.

Fettmilch (auf dem Balkon). Bürger, Zunftgenossen! (Es tritt Stille ein). Der Rat hat seinen Widerstand gegen unsere Forderungen aufgegeben. Der Bürgerzwist ist zu Ende, das Recht hat gesiegt, die Freiheit schwingt ihr Banner über unsere Stadt! (Großer Jubel). Bürger, Zunftgenossen, Meister und Gesellen, euer Ausschuß hat seine Schuldigkeit getan; an euch liegt es, das Errungene zu befestigen und auszubauen, daß endlich Friede werde in unserer guten Stadt. »Durch Freiheit zur Gerechtigkeit!« (Schwingt seinen Hut. Ab. – Allgemeine Begeisterung, Fahnenschwenken, Hochrufe.)

Frau Stauch (begeistert). Hoch Fettmilch! Christel, bist du e glicklich Kind, so enn gefeierte Vatter zu hawwe. (Trompeten ganz in der Nähe). Trompete! Seh nor die Mensche was se nach der Wedelgass' streme.

Neunter Auftritt.

Vorige. Euler, zwei Trompeter, Herold (zu Pferde).

Euler. Platz, Platz! for den kaiserliche Herold!

Ruger (stürmt herbei). Horcht auf, was des Kaisers Majestät uns künden läßt.

Trompeter (treten vor und blasen eine Fanfare. Das Volk drängt näher. Bange Stille).

Herold (liest mit weithin schallender Stimme aus einem Dokument). Wir, Mathias, von Gottes Gnaden, erwählter römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien, zu Hungarn, Böheimb, Dalmatien, Croatien und Slavonien, König, Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgundy, Steyer, Kandre, Crain und Württembergk, Graf zu Tyrol, tun kund und zu wissen, dir Vinzenz Fettmilch, Conrad Gerngroß und Conraden Schopp, daß wir bei Vermeidung unserer höchsten Ungnade, auch unausbleiblicher Leib- und Lebensstraf, dazu Verlust aller und jeder Privilegien befohlen hatten, den alten Rat zu Frankfurt und seine von uns genehmigten Ergänzungen bis zu unserer Entscheidung unbehelligt zu lassen. Insbesondere auch den Rat und seine Diener nicht itzt schon für den Niedergang der Stadt freventlich verantwortlich zu machen. Wir vernehmen aber mit besonderer Beschwer und ganz ungnädigem Mißfallen, daß insbesondere du, Vinzenz Fettmilch, fünfunddreißig Zünfte für deine hochsträflichen Absichten verführt, die Bürger aufgestachelt und unseren Kommissaren den schuldigen Gehorsam verweigert hast; ja dich in deinem Mutwillen hast gelüsten lassen, wiederholt gewaltsam in den Römer einzudringen, um deine widerrechtliche Forderung unter Bedrohung des Rates mit Hilfe übel beratner Bürger und gemeinen Volkes durchzusetzen. Sintemal also dies alles wider uns als regierenden römischen Kaiser, gegen unsere Hoheit gerichtete frevle Anmaßungen und Verbrechen sind, die sich weder entschuldigen noch beschönigen lassen, und deren Ahndung und Bestrafung zum Exempel anderer Verruchter erfolgen muß, haben wir beschlossen und zu Recht erkannt, wider dich Vinzenz Fettmilch und deine Spießgesellen, Rädelsführer, Beipflichter, Aufwiegler und Antreiber unsere und des Reiches Acht zu verhängen und öffentlich bekannt zu geben, daß wir euch aus dem Frieden in den Unfrieden setzen, auch euer Leib, Hab und Güter jedmänniglich erlauben.

Christel (stößt einen gellenden Schrei aus). Allmächtiger Gott!

Herold (zu Ruger). Schlagts an die Römertüren an. (Reicht ihm die Rolle. Das Volk, das die Verlesung mit steigendem Murren und wachsendem Grimm angehört hat, bricht unter tobendem Lärm in wilde Verwünschungen aus und versucht, auf den Herold einzudringen).

Eckard (stürmt herbei und reißt Ruger das Manifest aus der Hand). Her, mit dem Arschwisch! Mir sin freie Berjer un lasse unsern Fettmilch nit beschimpfe! (Springt auf den Rand des Gerechtigkeitsbrunnen). Zum Deiwel mit dem Schandbabier! (Zerreißt das Dokument und wirft die Schnitzel unter das Volk). Lest euch die Fetze uff, Parierer, un schickt se hie nach Prag!

Leschhorn. Vernunft, Vernunft! Eckhard, ihr babbelt euch um euern Hals!

Eckhard. Eh mich der Bittel hat, hat mich der Maa! Hoch Fettmilch! (Die erregte Menge stimmt in den Ruf ein).

Zehnter Auftritt.

Vorige. Gerngroß, Schopp. Fettmilch und Ausschußmitglieder (kommen aus dem Römer).

Gerngroß (stürmt auf dem Römer, schreit). Acht, die Acht?! Mei Weib, mei Weib! Weh, mei arme Kinner! Barmherzigkeit! Barmherzigkeit! (Ab unter das Volk, das ihm scheu Platz macht).

Fettmilch (zu seinen Begleitern). Ein Mann verliert den Kopf nicht in der Not.

Christel (fällt ihm zitternd um den Hals). Vater, ich lasse dich nicht, kann dich nicht lassen! Was dir geschieht, das soll auch mir geschehen.

Fettmilch. Fasse dich, mein Kind, und zeig' von wem du stammst; tröste Mutter und Geschwister, die daheim sich grämen; es kann sich alles noch zum Guten wenden. Geh, geh, mein Liebling, geh! Gehorsam ist des Kindes schönste Pflicht – Geh!

Christel. Ich gehe, Gott mit dir! (wendet sich in höchster Erregung an das Volk). Verlaßt den Vater nicht, um Gotteswillen! Verlaßt ihn nicht, der für euch alles gab. Verlaßt ihn nicht!

Frau Stauch. Komm Christel, komm, auch dir droht noch Verderwe! (Führt sie fast gewaltsam fort. Beide ab).

Stimmen (aus dem Volk). Erunner von dem Gaul mit dem Halunk! Schlagt enn dod! Wer waaß, ob's kaa verklaader Herold is! (Die Menge bedroht den Herold und versucht, ihn vom Pferd herunterzureißen; der Herold hat zur Abwehr sein Schwert gezogen).

Fettmilch (tritt zwischen die erregten Massen). Hort Bürger mich! Bin ich noch euer alter Fettmilch, und habt ihr Treue mir bewahrt trotz kaiserlicher Acht, so hört mich an und folget meinen Worten. Laßt von dem Mann, der nur befolgt, was höherer Befehl ihm aufgetragen. Itzt steht er unter meinem Schutz, kein braver Bürger soll ein Haar ihm krümmen. – Herr Herold, steckt das Schwert in seine Scheide, ich führ' das Roß und geb' euch das Geleite! (Das Volk weicht betroffen zurück, Fettmilch führt das Pferd nach der Kräme ab).

Der Vorhang fällt.


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