Otto Stoessl
Menschendämmerung
Otto Stoessl

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II

Unter seinen Schülern und Anhängern war einer der treuesten ein gewisser Altrogge, der auch ein junges Mädchen mitbrachte, Marianne Schmeil, das er liebte und zum Weibe begehrte. Sie aber entzog sich seiner Werbung und lebte mühselig als Weißnäherin von ihrer Hände Arbeit, trotzdem ihr Altrogge einen bescheidenen Wohlstand hätte bieten können. Hingegen hatte sie schon beim ersten Anblick eine schwärmerische Hinneigung zu Schönherr gefaßt, hing an seinen Lippen, nahm, was er sagte, auch nur bildlich gemeinte Ausdrücke, wörtlich und kannte nichts als seinen Wunsch und Willen. Sie war wohl beschränkten Geistes, auch nicht eigentlich schön, aber durch die Reinheit und hilflose Demut ihres Wesens anziehend. Ihre rührende Treue und ganz in sich versunkene Gläubigkeit bestärkte die übrigen weltlicheren Anhänger und übte auch auf Schönherr selbst ihre Wirkung, der bisher mit Frauen nichts zu tun gehabt hatte und nun zum erstenmal die Liebe eines weiblichen Wesens empfand. Der weltfremde und einfältige, seiner Natur bedenkenlos folgende Mann wärmte sich an diesem Feuer und fand daran Trost, Stärkung seines Selbstgefühls, Zuversicht auf seine Sendung. Aber er war so weit entfernt, das wahre Gefühl des Mädchens zu erkennen, geschweige zu teilen, daß er ihre leidenschaftliche Anhänglichkeit durchaus nur als geistliche, als opferwilliges Bekenntnis zu seiner Lehre deutete und nicht im mindesten irdisch nehmen oder auf sich als Mann beziehen mochte, wie er sich selbst ja auch nicht als Sterblichen und den irdischen Begierden Verfallenen, sondern als unberührbaren, höheren Geist ansah.

Altrogge, der die Hoffnung bewahrte, das junge Mädchen doch noch zu gewinnen, und dabei Schönherrn aufrichtig ergeben war, sah das eigentümliche Verhältnis mit Stolz und Beruhigung an, denn gerade diese unbefangene, rein geistliche Zuneigung des Meisters schien neben der unirdischen Gemeinschaft der beiden doch für ihn wenigstens die Möglichkeit der ersehnten weltlichen Verbindung mit der Widerstrebenden offen zu lassen.

Nicht nur dieses Paar, sondern auch die Lebensverhältnisse anderer Personen seines Kreises und seine eigenen Denkwege brachten Schönherr dazu, über die Verbindung der Geschlechter und über das sinnliche Leben von Mann und Weib zu lehren, was er für wichtig hielt. Wenn er die Wiedergeburt eines wahrhaft vollseligen Menschentums für möglich erachtete und seinerseits zu erwirken hoffte, wie hätte er die Tatsachen der irdischen Menschwerdung verschweigen oder übersehen dürfen! Daß er sich selbst für den wiedergeborenen Mittler hielt, verkündete er jetzt nicht mehr, sei es aus Vorsicht, oder weil er selbst zur Zeit davon abgekommen war. Das aber durfte er sagen und so viel höhere Bedeutung vor seinen Anhängern für sich in Anspruch nehmen, daß er berufen sei, als erster jene Vollseligkeit zu erreichen, die die Geburt eines wahren Menschensohnes bedinge und verbürge. Der in der Offenbarung Johannis verheißene Wiederkommende könne nur durch Vermittelung eines Mannes von einem Weibe geboren werden, das völlig rein und unschuldig in Erkenntnis der Wahrheit lebe. Höchste Ausbildung in dieser Erkenntnis und Unschuld und Jungfräulichkeit seien die Bedingungen dieser Wiederkunft. Er ließ mehr ahnen, als er etwa unverhohlen aussprach, daß er sich als Mann, Marianne Schmeil als Weib für fähig halte, diese Ausbildung zu erwerben.

Unter Männern brauchte er die gröbsten Ausdrücke, um den bloßen Lustzweck des geschlechtlichen Verkehrs zu verdammen als das zusammengedrängte Gleichnis aller Hölle, Sündigkeit und hoffnungslosen Verderbens der Menschheit. Der wahre Zweck der ehelichen Gemeinschaft sei Kindererzeugung, aber im Geiste der Wahrheit, des Lichtes, der Vollseligkeit.

Diese Lehren, die einerseits hohe Forderungen an das sittliche Bestreben seiner Anhänger stellten, andererseits eine Befriedigung des Selbstgefühls gewährten, machten Schönherr angesehen, seinen Kreis auf eine gewisse Weise sogar vornehm. Die Leute hingen an seinen Worten und Winken wie Falter am Lichte. Und er rechtfertigte wiederum ihr Vertrauen, indem er bescheiden, innig versunken seiner Lehre lebte und keinen Wunsch zu kennen schien, als sie und mit ihr das Menschengeschlecht selbst zu fördern.

Wenn aber innerhalb dieser Gemeinschaft Friede und gegenseitiges Vertrauen herrschten, wurde durch die eigentümlichen Grundsätze doch das Leben derer beeinflußt, die ihrerseits zwar außerhalb standen, aber mit Mitgliedern Berührung hatten. Da waren Töchter, die ihren Vätern und Müttern, Söhne, die dem Elternhaus, Gattinnen, die den Männern entzogen, von dem neuen Geiste erfüllt wurden und im gemeinen Leben unwillkürlich dessen Sinn und Gehalt spüren ließen, zur Anwendung brachten, oder sich doch so äußerten und gebärdeten, wie sie gelehrt worden waren zu denken. Schönherrs Worte über die Ehe, als über eine ruchlose, sündlich weltliche Einrichtung mußten, in grober Nacherzählung weiterverbreitet und entstellt, Verdacht, Zorn, Haß und Furcht erregen. Viele Klagen liefen bei den Kirchenbehörden gegen den gefährlichen Irrlehrer ein, dem man von Amts wegen das Handwerk legen solle. Ein ruhig denkender Oberer erkundigte sich über Schönherr und beantwortete die Beschwerden damit, daß man einen Menschen unbehelligt lassen wolle, der selbst glaube, was er sage, und durchaus harmlos sei. Als König Friedrich Wilhelm III. zu einem Besuche nach Königsberg kam, trachtete man sogar, ihn gegen den bescheidenen Mann aufzubringen und erzählte allerhand Fürchterliches über Schönherr, was aber nur zur Folge hatte, daß der hohe Herr seinen theologischen Gewährsmann, den berühmten Schleiermacher, mit Erkundigungen beauftragte, die schließlich ein königliches Reskript erwirkten, des Inhalts, man möge dem armen Prediger Ruhe geben, dessen Absichten gut und dessen Lehren ungefährlich seien.

In dieser Zeit stand Schönherr auf seiner Höhe, lebte aber still und getrost in seiner unbekümmerten Dürftigkeit und suchte durch nichts anderes als durch Unterweisung, Beispiel und Liebe Macht zu gewinnen.

Sein Schicksal nahm, ohne daß er es aber auch nur ahnte, die traurige Wendung alles willkürlichen Prophetendaseins zu Vereinsamung und Enttäuschung, zu Verbitterung und stillem Absterben, als sich ein junger leidenschaftlicher Mensch ihm näherte, dessen weltliche Kraft, Ehrgeiz und innere Bewegung die freundliche Zufriedenheit der übrigen unterbrachen: Johannes Wilhelm Ebel, ein Studiosus der Theologie, der aus einer alten Pastorenfamilie stammte. Sein Großvater war wegen ähnlicher Ideen über die Fleischwerdung des Paraklet aus dem Amte gejagt worden, wie sie der Enkel nachmals zu den seinigen machte. Der junge Ebel hatte unter dürftigen Verhältnissen seine Studien in Königsberg betrieben, sich aber gleichwohl ehrbar in den Sitten und im strengen Bibelglauben seines Hauses gehalten und noch als Jüngling ein gewisses Ansehen und hohe Gönner erlangt. Anders als Schönherr bestimmte ihn eine wohlausgebildete und bewahrte feinere Lebensart zu einem bescheidenen, aber sicheren weltlichen Auftreten. Er wußte sich auch in der besten Gesellschaft unaufdringlich mit Anmut zu bewegen und bei aller Bescheidenheit zur Geltung zu bringen; Frömmigkeit schien zwar sein ganzes Wesen zu durchdringen, aber sie machte ihn darum nicht ungeschickt oder fanatisch, er suchte den Verkehr, auch mit ganz anders Gesinnten, die er mehr durch allgemeine Liebenswürdigkeit für sich einzunehmen, als durch Beweise umzustimmen trachtete. Was bei Schönherr ein rein geistiger Ehrgeiz war, durch eine ursprüngliche Anschauung sein Selbst zu erheben und herrschend zu machen, war bei dem jungen Ebel vorerst weltliches Streben nach Macht und Geltung unter den Mächtigen. Der Sohn einer alten, aber armen Pastorenfamilie, deren Verbindungen mit den Pfarrkindern, mit Gutsherren des hohen reichbegüterten ostpreußischen Adels die eigenen unzulänglichen Verhältnisse so recht ins Licht setzen, mag unwillkürlich den stärksten Wunsch nähren, nicht als untergeordneter Vermittler der Verbindungen dieser hohen Herrschaften mit Gott, sondern als anerkannter Verwalter der Gnade neben, ja über ihnen zu stehen und sie kraft geistiger Überlegenheit zu beherrschen. Dabei brauchte eine wahre innere Frömmigkeit, ein stetes Bedürfnis nach geistlichem Lichte nicht Schaden zu leiden. Beides, den Weg zu äußeren Ehren und zu geistlicher Vertiefung, wußte er sich zu sichern. Er kam als Hauslehrer zu den Söhnen des Grafen zu Dohna-Schlodien, der als Haupt einer mediatisierten deutschen Fürstenfamilie an der Spitze der Gesellschaft Königsbergs stand. Damit war Ebels weltlicher Erfolg angebahnt.

So trat er, schon eine Hoffnung seiner Kirche und ein Stolz seiner Gönner, Schönherr näher. Die in der Familie bewahrte scheue Anhänglichkeit für die überlieferten Lehren des Großvaters, die den Mann ums Amt gebracht hatten, war bei dem Enkel zu einem unabweislichen mystischen Drang gesteigert und näherte ihn den Schriften der ersten Kirchenväter, stellte ihm das herbe Leben der frühen Heiligen, die Spekulationen Taulers und Susos vor Augen. Diese Anlage ließ ihn, bevor er ihn auch nur gesehen hatte, von Schönherr die irdische Verwirklichung solchen inneren Lebens erwarten. Überhaupt wirkte in dem jungen Manne eine tiefe Ungeduld, die manchen Menschen zeitlebens vorwärts jagt, als müsse sich in jedem Augenblick das Endliche, Höchste, Äußerste erfüllen. Wer von Natur gläubig und mystisch veranlagt ist, wird diese Erfüllung unwillkürlich aufs Geistliche übertragen und darin suchen, er wird sie vom Leben erzwingen wollen, auch wenn es am gemeinsten sich anläßt und gerade dann, er wird alle Lehren und sinnbildlichen Ereignisse der heiligen Schriften vor sich erwachsen lassen mit der ungeheueren Inständigkeit des Wunsches, daß sie jetzt und jetzt die Tore der Welt sprengen sollen. Und was der Buchstabe nicht vermag, wird er aus eigenem beibringen und sich selbst zur Axt der Verwirklichung machen, so daß Weissagung und Ausgang in der Glut seines Willens plötzlich in Eins verschmelzen und der innig Betrachtende sich in seinem Fieber zum Handelnden erhebt, ferne Offenbarungen schließlich auf sich bezieht, der sie allein erfüllen kann und zu vollstrecken meint.

Bei einem Besuche im Vaterhause erzählte ein Bekannter, in Königsberg – wisse denn der junge Studiosus nichts von ihm? – lebe ein Mann, dem es möglich geworden sei, die Aussprüche der Bibel und ihren ganzen Inhalt wörtlich mit Vernunftbeweisen in Einklang zu bringen und gegen jede logische Anfechtung zu verteidigen. – So sah Ebel Schönherr als sein Schicksal und seinen Meister an, da er bloß von ihm hörte.

Obgleich besser durchgebildet als Schönherr, fand der Begeisterte an der vernunftmäßigen Bedenklichkeit des Systems nichts zu zweifeln, er war als Wunsch und Traumesmensch überhaupt dazu außerstande. Der Glaube lebt in einer hohen Luft der Überzeugung, Gewißheit und Wörtlichkeit, so führte Ebel, wie sein Meister, wo die Schlüssigkeit aufhörte, die Bildlichkeit ein, während er alles Gleichnishafte vermöge der Inständigkeit seiner Anschauung wirklich sah.

Die Beziehungen zu Schönherr blieben bestehen, als Ebel dank dem Grafen Dohna eine Stelle als Pastor in Hernsdorf erhielt, wo er heiratete und ein glückliches Familienleben begann, sie wurden noch verstärkt, als er nach Königsberg als Prediger ans Collegium Fridericianum zurückgelangte.

War seine Einbildungskraft und sein mystisches Bedürfnis durch die Freundschaft mit Schönherr in diesen Jahren ausgefüllt, so wuchsen sein Ehrgeiz und Selbstgefühl durch das Ansehen, das er sich in so jungen Jahren mit seinen Predigten erwarb. Er war schlank, schwarzhaarig, schwärmerischen Blickes, und sein Auftreten, der Reiz seiner zugleich ursprünglichen und zarten, aber leidenschaftlichen, jünglingshaften Anmut ergänzte den Sinn seiner Worte durch eine überstrahlende Gemütsmacht und gab ihnen jenen leuchtenden Hintergrund, der insbesondere die frommen Mädchen und Frauen des Auditoriums unwiderstehlich umfing. Dieser Erfolg steigerte wiederum seinen Eifer und bestärkte ihn nur noch in seiner mystischen Richtung, als die Untersuchung gegen Schönherr auch sein, Ebels, Verhalten in ihre Prüfung einbezog. Mit Mut und Treue erklärte er sich als Schönherrs Anhänger und triumphierte über die Widersacher, als das Verfahren eingestellt wurde.

Noch war die sogenannte Bewegung um diese Zeit friedlich und sich selbst überlassen. Der Sturm der Ereignisse fuhr damals mächtig über Deutschland hin, aber nichts davon ist bekannt, daß diese furchtbare Erregung auf Schönherr und Ebel oder auf ihre Leute sonderlich übergegriffen habe, deren Sinn kaum nach den Dingen des gemeinen Geschehens stand. Erscheinungen, die gar wohl wie Zeugnisse und verwandte Zeichen einer Weltoffenbarung und Apokalypse hätten gedeutet werden mögen, die Rückkehr einer zerbrochenen, zerlumpten, von Gottes Hand geschlagenen Armee aus dem russischen Winter, Napoleons Abstieg und Ende, die Erhöhung und Befreiung des Volkes in Deutschland, alles das zog über diese Gemeinde hin wie wilde Jagd in den Wolken über das stille Gras, das weiterwuchs und einfältig grünte.

Als aber die Erhebung abgeschlossen, der Friede wieder hergestellt war, als nun die ungeheure Zerstörung und Neuordnung den Acker der deutschen Seelen um- und umgegraben hatte, war er für allerhand Samen geistlichen Sinnens bereitet, der denn auch überall reichlicher aufging. Wiederum wurde Ebel mehr durch die Ereignisse selbst bestimmt, als daß er sie planvoll betrieb. Nach der furchtbaren Erderschütterung war ein Geschlecht zurückgeblieben, das gewaltiger innerer Erregungen bedurfte, um sein Schicksal und seine höhere Eignung durch heilige Tatsachen zu bestätigen. Der deutsche Adel dieser Zeit sieht seine angestammte Gläubigkeit und fromme Überzeugung durch Gottes Weltgericht wunderbar anerkannt. Und Gottes Wiederkunft, die in den Ereignissen Tatsache geworden ist, muß sich in der Lehre erneuern.

Ebel lernte im Jahre 1815 den Grafen Kanitz kennen, der, aus den Freiheitskriegen heimgekehrt, zu Königsberg als Tribunalrat ein Richteramt annahm und sich in einer Freundschaft an den jungen Prediger schloß, die durch nichts getrübt werden konnte und über alle dunklen Ereignisse der späteren Zeit hinaus bis zu seinem Tode dauerte. Der Graf war ein Mann von vollkommener religiöser Überzeugung, dabei eine romantische Natur, von den angestammten unmittelbaren Beziehungen der Gottheit zum Menschen, zu erlesenen Familien vor allem, durchdrungen, bestimmt zu Schwert und Glauben, nicht zu Wort und Vernunft; wem er sein Herz schenkte, dem gab er es bedingungslos und lieferte sich ganz aus. So nahm er Ebel, mit dem ihn eine Freundschaft auf den ersten Blick verbunden hatte, als Herrn seines Verstandes und Gemütes an, was dieser sagte und tat, war wohlgesagt und -getan, weil von einem Menschen, den der Graf ehrte; Prüfungen und Zweifel hätte er mit seiner Selbstachtung nicht vereinbaren können. Er hatte zuviel Leid und Blut und Untergang mit angesehen und Sieg, der mit dem Aufgeben alles Glückes erkauft war, als daß er auf das bloße äußere Leben sonderlich mehr hätte achten mögen Er hatte einen Kriegskameraden bei Groß-Görschen neben sich selbst im Sturm vom Säbelhieb eines Franzosen niederfallen sehen, den Grafen Wilhelm von der Groben, mit dem ihn eine alte Freundschaft verbunden hatte, die er nun, herrenlos, auf Ebel übertrug.

Diese Verbindung näherte den Geistlichen noch enger dem höchsten Adel des Landes, und Kanitz war es, der Ebel der Familie des Landhofmeisters von Auerswald, des mächtigsten Mannes, empfahl, dessen älteste Tochter, Ida, die Witwe eben jenes verstorbenen jungen Helden Wilhelm von der Groben, sich in der Einsamkeit ihres schlesischen Gutes trostlos von der Welt abschloß.

Ebel konfirmierte eine jüngere Tochter Auerswalds, und Kanitz bezeichnete ihn als den einzigen, der die Witwe von dem Trübsinn ihrer Verzweiflung durch seine Lehre und seinen Zuspruch retten und dem höheren Leben im Geiste wiedergewinnen könne.

Der Landhofmeister von Auerswald erwirkte die Bestellung Ebels zum Diakon der Altstädtischen Kirche, die in Königsberg als die ehrwürdigste Glaubensstätte angesehen war, weil sie das Grab eines Sohnes Martin Luthers beherbergte.

Auf Bitten Auerswalds sollte der Diakonus Ebel die Gräfin Ida von der Groben in Schlesien aufsuchen und ihrer Verzweiflung entreißen. Bevor er sich zu diesem Gang entschloß, der ihm verantwortlich und gefährlich erschien, wollte er sich mit Schönherr beraten. Er traf ihn eben in einer geistlichen Erörterung im Kreise seiner Anhänger und zögerte, ihm diese, nach seinem Dafürhalten notwendig geheime Mitteilung zu machen. Ohne sich, wie sonst, an der Wechselrede der Anwesenden zu beteiligen, blieb er still in der Ecke des Zimmers, bis ihn Schönherr, der solche Fremdheit des bedeutendsten seiner Jünger weder gewohnt war, noch dulden mochte, in seiner heiter-derben Art anrief, warum er so betrübt dastehe, ob ihm denn die Vögel das Brot weggefressen hätten. Als Ebel die Antwort bis zu besserer Gelegenheit vertagen zu wollen erklärte, wurde der Meister grob, er könne diese Geheimniskrämerei und dieses Zagtun nicht leiden, ob der Herr Diakon denn den Kindern Gottes mißtraue, die hier versammelt seien und voreinander, wie vor ihm selbst, nie ein Arg gehabt hätten. Ihrer aller Seelen weideten unter einem Lichte.

Da mußte Ebel denn wohl oder übel den Antrag berichten, der ihm gemacht worden war und die Meinung des Meisters vor der ganzen Gesellschaft erbitten. Schönherr, durch das vorige Zögern gereizt, nahm die Angelegenheit zuerst nicht eben wohlwollend auf, warum sich denn der Schüler immer an die Reichen und Vornehmen halte, denen der Geist ja doch nur als eine Zerstreuung, nicht als innerer Gebieter gelte und der Geistliche stets als ein Gefäß, worein sie sich ihrer Sünden, Zweifel und Gemeinheiten entledigten, um es gleich erleichtert beiseite zu stellen, damit sie von neuem schwelgen könnten. Vollends hier erkenne man doch deutlich die Absicht, ihn zu einem weltlichen Geschäfte zu verwenden. Ebel solle sich vor diesen Grafen und Gräfinnen hüten, vor diesen überfeinen Weibern: »Du bist ein Levit, und alle Leviten sind den Weibern untertan. Hängst du dich an diese Weiberröcke, so werden sie dich in den Staub ziehen!«

Ebel entgegnete besonnen, er kenne Schönherrs Art in solchen Reden nicht wieder, er hätte nicht erwartet, Menschen geschmäht zu hören, die voll Vertrauen die Hilfe eines Priesters begehrten, der ja dazu allein bestimmt sei. Wem sollten sie sich denn eröffnen, und wer anders vermöchte sie zu trösten und zu befreien? Wenn sein Beistand nicht jedem zugänglich bleibe, der ihn erbitte, wie sollte er die Welt erlösen können? Es sei dem Lichte keine Wahl gegeben, sich zu versagen.

Aber er müsse sich einzelnen verschließen, um sich der größeren ärmeren Gemeinschaft zu erhalten.

Nein, es komme auf den Zustand an, der zu heilen sei, hier in der Heimat stehe er, Ebel, inmitten einer wohlbehüteten und einigen Glaubensschar, dort in der Fremde ringe ein einsames und verlassenes Weib mit ihren Zweifeln und Qualen. Hier wirke sein Ruf fort, auch wenn er selbst fern sei, dort gelte es, eine verirrte Seele vom sicheren Abgrund wegzureißen.

Schönherr zögerte. Er fürchtete für Ebel. Der lächelte, seiner könne er gewiß sein. »Wie aber, wenn du strauchelst, wenn du anstatt eine Verzweifelte eine Verhärtete findest und unterliegst?« – »So komm du selbst mit mir!« – »Nein, bleibe bei uns! Bleib, geh nicht!« schrie Marianne Schmeil entsetzt. Schönherr sah sie erstaunt an: »Marianne, sei getrost!« Ebel redete ihm zu, schon längst hätte Schönherr andere ernste Männer in Deutschland aufsuchen sollen, um seiner Lehre die Anerkennung der Besten zu verschaffen und sie weiter wirksam zu machen, das Verharren in diesem engsten Winkel sei seines Wertes unwürdig, und wenn er nicht den Versuch mache, auch nur einen Fernstehenden durch die Kraft heranzuziehen, sondern mit dem Zustreben derer sich begnüge, die schwach und bedürftig jeden erreichbaren Seelentrost aufsuchten, bewiese er sich und der Welt niemals den wahren Gewinn. Jetzt sei die Stunde da, ihn, den Erweckten, zu wecken, und nicht er, Ebel allein, sondern der Meister sei berufen.

»Geh nicht,« weinte Marianne vor sich hin. Schönherr sagte: »Ihr habt allezeit Arme bei Euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.« Als aber das Mädchen ihn unschlüssig stehen sah, faßte es nach seinem Mantel, um ihn zurückzuhalten, da entzog er sich ihr, jedoch mit Sanftheit und sprach ihr zu: »Warum bist du so furchtsam?« Zu Ebel aber nickte er flüsternd: »Ich komme!«


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