Otto Stoessl
Egon und Danitza
Otto Stoessl

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I

In das kommerzielle Bureau einer der großen österreichischen Privatbahnen wurde ein junger Mann als Hilfskraft aufgenommen. Eine gewisse Aureole von Hoffnungen und Interesse breitete sich um ihn, noch bevor er erschien. Sein Vater hatte dreißig Jahre lang ein eingesessenes Rundleder in demselben Zimmer ehrsam gedrückt, wo der Sohn nun zu gleichem Dienst mit gleichen mageren Hoffnungen und sorglich aufrecht zu haltendem Standesbewußtsein eintreten sollte. Eben war für den Vater, nachdem er fleißig Akten über Akten mit dem umständlichen Ernst papierener Wohlredenheit vom Stapel gelassen und 6 dabei unverwandt Absterben, Dienstmüdigkeit oder Versetzung von Vordermännern im Auge behalten, die Stunde einer wohlverdienten Erhöhung angebrochen. Es winkte ihm nämlich der Posten eines Vorstandes. Dem oft und mancherlei in seinen »Voten«, »pro domo-Bemerkungen«, »Vorträgen« und »Expeditionen« von höherer Hand ausgebessert worden, sollten nun endlich mit dem Amt auch so viel Verstand, Geschmack und Ansehen zuwachsen, daß er selber die Perioden Untergebener nach Bedarf stutzen oder erweitern und an die Redensarten fremder Konzepte die höchst persönlichen Schnörkel eigener stilistischer Schmucksachen anhängen durfte, ein gebieterisches »Sie wollen ehetunlich«, oder ein sanftes »baldgefällig«, ein schmeichlerisches »geehrt und wohllöblich«, oder ein kurzangebundenes »sonach wird nicht stattgegeben«. Mitten aus dieser Umschau über ein weites Land dienstlicher Verheißung nahm ihn der Herr aller Ämter vor der Zeit hinweg, er starb und streckte sich mühselig aus wie ein reichliches, zerknittertes Geschäftsstück, das endlich, nach langem Sträuben, kurzerhand ad acta geschrieben wird. Schon war aber sein Sohn erwachsen genug, um dort beginnen zu können, wo der Vater aufgehört hatte. Egon de Alamor, der Erbe 7 seines ohne zureichenden Grund vornehm klingenden Namens, ging gerade in die siebente Gymnasialklasse und benutzte die infolge des plötzlichen Todesfalles eingetretene Verwirrung der häuslichen Zustände, um vorerst in der Schule durchzufallen, was ihm auch kraft seines angeborenen Widerwillens gegen die Bildung nicht schwer gefallen wäre, aber dank dem schmerzlichen Anlaß noch wesentlich erleichtert wurde. Mit allem Anstand konnte das Fehlschlagen seiner Studien dem geduldigen Vater wie einem unglücklich geratenen Vorakte zugeschoben werden. Mit der raschen Entschlußkraft, die ihn auszeichnete, ergriff Egon de Alamor die Gelegenheit, der Schule gleich auch ganz den Rücken zu kehren, er trat aus und erklärte der Mutter, oder vielmehr der Mama, er könnte es nicht über sich bringen, ihr bei der mageren Witwenpension und dem geringen Erziehungsbeitrage die Kosten seines brotlosen Studiums aufzubürden. Er werde »zu Hause« und auf eigene Faust die noch fehlenden zwei Gymnasialklassen nachholen, die Maturitätsprüfung ablegen und dabei selbst etwas zu verdienen und durch Beschäftigungen aller Art sich das nötige Taschen- oder Kleidergeld zu erwerben trachten. Bewundernd billigte Mama de Alamor die ritterliche 8 Haltung ihres Sohnes. Damit begann für Egon eine ebenso interessante wie genußreiche Suche nach Beschäftigung. Er trieb sich in Kaffeehäusern herum, wo bekanntlich allerhand überraschende Stellungen und Aussichten sich im liebenswürdigsten Gespräche darbieten. So gewann er die Freundschaft eines hoffnungsvollen Kunstgewerbeschülers der neueren Richtung und flugs auch infolge seiner ziemlichen Handfertigkeit wie durch eine geistige Ansteckung die Fähigkeit, alle schmückenden Quadrate, Kreise und Dreiecke, mit welchen der Geschmack dieser jungen Meister verschwenderisch gesegnet ist, aus dem Gelenk hinzuwerfen und mit dem nötigen Schmiß aufzureißen. Wozu sonst ehrbarer Fleiß, bescheidenes Studium der Natur, alle Tugenden eines klaren Auges und reinen Geistes gehören, nämlich um bei solider Zeichnerei mit der Natur sich demütig zu befassen, das besorgten diese kühnen Jünglinge kraft eines dreist erfundenen Ersatzmittels im Handumdrehen, freilich ohne, ja gegen die Natur. Wer kein einfachstes Ding da draußen, etwa einen Apfel, oder die zarte Linie einer am Stiel sanft und sicher aufruhenden Blüte, oder die hohe Regelmäßigkeit und wieder unsagbare Vielfältigkeit eines Baumblattes, noch weniger die 9 eigentümliche Verschiebung der benachbarten Erscheinungen im Luftraume auch nur ehrerbietig zu ahnen, geschweige denn nachzubilden vermochte, der bekam mit dieser flinken Schablone eine großartige Hilfe, ähnlich wie papierne Scheine für bares Geld und konnte gleicherweise eine kahle Wand, einen Majolikatopf, einen Sessel, ein Schmuckstück dekorieren, daß es eine Art hatte. Welche Lust, nach diesem Schema »Kunst ist keine Hexerei« zu komponieren! Ein Knabe, der selbst noch nicht wußte, wie man ordentlich steht und sitzt, konnte nun Stühle entwerfen, und wer den Gebrauch von Gabel und Messer verwechselte, zweckvolle Geräte angeben. Egon de Alamor graste fröhlich in diesem papiernen Garten der modernen Kunst, er zeichnete Ansichtskarten wie nur einer und bedeckte große reinliche Blätter mit Plänen zu Einrichtungen, die man über kurz oder lang zweifellos bei ihm bestellen würde. Denn der ganze Osten, von Jassy, Tarnów und Sofia bis zur Wiener Leopoldstadt war von dem Taumel dieser Ornamentik bezaubert und »richtete sich ein«.

Bei diesen und anderen heiter ungebundenen Beschäftigungen war ein Jahr vergangen, ohne daß er dem zweck- und brotlosen Studium des Lateinischen und Griechischen, der Mathematik 10 und anderer Bildungsvorurteile mehr als seine Verachtung zugewendet hatte. Ohne zum mütterlichen Einkommen durch eigene Arbeit das Geringste beizutragen, knöpfte er ihm vielmehr manches muntere Sümmchen mit Liebe und Schmeichelei für seine verschiedenen Bedürfnisse ab, bis endlich die Mama eines Tages ihre schönsten Trauerkleider, einen großartigen ernsten Hut mit wallendem Kreppschleier anlegte und sich zum Generaldirektor jener Bahn begab, der ihr seliger Gemahl seine treuen Dienste gewidmet hatte. Sie erbat für ihren Sohn die Aufnahme, welcher mangels der nötigen Zeugnisse freilich keine Stellung als vollgültiger Beamter beanspruchen, sondern nur als Hilfskraft, als sogenannter Diurnist, unterkommen konnte.

War er fleißig und sittlich geartet, wie man gütig voraussetzte, so konnte er in der freien Zeit die unterbrochenen Studien wieder aufnehmen und die Maturitätsprüfung nunmehr vielleicht doch noch ablegen, oder er konnte binnen zwei Jahren zwei vorgeschriebene Fachexamina bestehen, deren guter Erfolg ihm den Aufstieg zur wirklichen dauernden Beamtenschaft verbürgte. Kurz, es würde ihrem Egon nicht fehlen. In der Tat zeigte sich die Direktion gnädig, und eines 11 Morgens fand Herr de Alamor neben seinem Frühstückskaffee, den ihm die sorgliche Mama etwa um zehn Uhr vormittags auf das Kästchen vor sein Bett stellte – denn er pflegte von den künstlerischen Anregungen des Nachtlebens lange auszuruhen – ein in knappen Worten abgefaßtes Einberufungsschreiben der Anstalt. Zum ersten Male reflektierte ein Machthaber auf seine Leistungen.

In der Dienstabteilung, für welche er bestimmt war, hatte sich die Kunde von dem Einrücken des jungen Mannes längst verbreitet. Egon de Alamor warf sozusagen schon seinen Schatten voraus, hatten ihn doch alle die älteren Beamten noch als Knäblein gekannt, wie er täglich mit dem Papa im Stadtpark lustwandelnd, aus einer Düte den Schwänen im Teich Semmelstückchen zugeworfen hatte. Und später erfuhren sie aus den väterlichen Berichten von seinen heranwachsenden Tugenden, bekamen Schriftproben anzuschauen, an deren Schnörkeln der Vaterstolz eine gewisse Verwandtschaft mit der eigenen Art schätzte, denn auch die Buchstaben pflegen, wie eben gelegentlich das Antlitz eines Kindes, durch den und jenen Zug dem erkenntlichen Erzeuger seine Eigenschaft als solcher zu bestätigen. So 12 betrachtete man den jungen Egon recht als Schützling; Zuneigung, Neugierde und Erwartung hießen ihn willkommen.

Seine äußere Erscheinung war ganz danach angetan, diese günstige Stimmung zu bestärken, denn ein hochgewachsener, überaus sorgfältig, ja geradezu elegant gekleideter Jüngling mit streng gebügelten Hosen, einem leicht sitzenden, seidenausgeschlagenen dunklen Sommerüberzieher, von dessen erstem Knopfloch eine schimmernde Tuberose grüßte, einen ziervoll geschweiften, neunmal spiegelnden Zylinder auf dem Haupte, trat Egon an einem strahlenden Märztage, welcher ganz der Heiterkeit und Zuversicht seines eigenen Innern und Aeußern glich, in das Bureau. Er benahm sich bescheiden und sicher wie das Kind im Hause, kannte er doch etliche der älteren Herren als Freunde seines seligen Vaters und durfte, mit wohlgesetzter Ansprache auf diesen Umstand innig hinweisend, ihre besondere Gunst, ihre wertvolle Unterstützung und heilsame Belehrung erbitten. Hingegen gewann er die jüngeren Männer, einige unter dem Papierberge noch nicht ganz plattgedrückte und versteifte Juristen, durch seine Lebensgewandtheit und Sorglosigkeit. Als er vollends den Überzieher und Zylinder an den Haken 13 hängte und in einem tadellosen Gehrock mit hohem Stehkragen und kardinalvioletter Halsbinde dastand, begrüßten sie in dem kleinen Diurnisten fast einen Gleichgesinnten und jungen Mann von Welt.

Einer der Doktoren sagte beim Mittagstische, der die ledigen Beamten im Bahnhofsrestaurant vereinigte: »Wissen Sie, meine Herren, der junge Mann erinnert mich an einen feinen Flötenspieler in einem fürstlichen Hausorchester.« Ein anderer meinte: »Es ist etwas Richtiges an dem Vergleich, aber er hat eben darum oder trotzdem ein vollkommenes Schafsgesicht, gestielte graue Rollaugen und über seinem standesgemäßen Doppelkinn ein aus naschhaften Bubenzeiten offen stehengebliebenes verblödetes Leckermaul. Er trägt sich gut, das muß man ihm lassen. Woher der Bursch das Geld dazu nimmt? Hat der alte Alamor ein Vermögen hinterlassen, oder ist die Frau reich? Übrigens, der Vater war, mir scheint, auch kein Lumen, aber fleißig.«

Herr Egon bekam allerhand Kopierarbeiten, denn der Herr Amtsvorstand, ein fleißiger und genauer Mann, der jedes Stück zehnmal nach allen Seiten untersuchte, ehe er es laufen ließ, liebte ansehnliche Ausfertigungen, zu denen sich 14 der frisch gefangene Diurnist trefflich eignete, denn er hatte eine geschickte Hand und exzellierte geradezu in den vielfältigsten Schriftgattungen, mit welchen er die feinsten Unterschiede des Inhalts und der Bedeutung durch die Wahl der Farbe, durch die Art der Lettern, durch Verzierungen und Liniierung trefflich hervorhob. In den ersten Tagen sah man ihn denn auch ein ganzes Arsenal von Schreibwerkzeugen zurichten, welches er auf seinem Tische zur allgemeinen Bewunderung ausbreitete. Da waren in allen Farben und Härtegraden Stifte, mit deren Zuspitzen er sich eine volle Stunde angelegentlich beschäftigte, ferner Tintenfläschchen mit blauem, grünem, rotem, gelbem Inhalt, von der gewöhnlichen schwarzen ganz zu schweigen, dann harte, mittlere, weiche Bleistifte in Schraubminen, wie auch in Zedernholz, pfahldicke und halmdünne Federstiele, in einem Büchschen verwahrte er die zugehörigen Federn aller Art, die er wie glänzende Fischchen gelb, blau und silbern glitzernd aufschüttete, bevor er eine für den Anlaß passende wählte, zärtlich befeuchtete und ansteckte. Auf einer Lacktasse befanden sich Radiergummi von verschiedener Größe und Schärfe, sowie zur Beseitigung von Tintenspuren eine chemische Flüssigkeit, deren 15 Vorzüge er den einzelnen Zimmerkollegen bewies, indem er auf ihren Aktenstücken, hast du nicht gesehen, an der wichtigsten Stelle einen Klecks anbrachte, um ihn sofort tadellos zu entfernen. Aber er verwaltete auch ein ganzes Besteck von Radierklingen, stählernen Linealen, geschwungenen Flachhölzern, kurz das reichlichste Waffenzeug eines Schreibkünstlers. Wenn er an der Arbeit saß, hielt er den Kopf zärtlich geneigt, während seine Zungenspitze aus dem halb offenen Munde lecker hervorschaute und dem Zug der Zeilen zugleich mit dem Blicke der gestielten Augen zu folgen schien. Sah er bei den Amtsbrüdern irgend ein neu aufgekommenes Schreibgerät oder sonst eine anmutende Sache, so jauchzte er vergnügt auf, betrachtete fachmännisch das Objekt, erbat es zur Probe, erörterte seine Vorzüge, erkundigte sich um die Bezugsquelle und flehte schließlich, man möchte es auch ihm beschaffen. So mußte ihm einer, der nach Breslau reiste, von dort eines der vielgerühmten deutschen Messerfabrikate mitbringen, ein anderer wieder aus Mailand eine italienische Seidenkrawatte, wobei es anfangs nicht weiter auffiel, wie er für solche Besorgungen zwar den heißesten Dank bezeugte, aber sich niemals um den Preis erkundigte, so daß er diese 16 Kleinigkeiten eigentlich zum Geschenk bekam, welches er erbat und annahm, gleich einem Knaben, dem man nichts verweigert und der solche Gaben als sein gutes Recht ansieht. Da das Bureau auf Vornehmheit hielt, überging man diese Vorkommnisse mit Stillschweigen.

Der Vorstand zeigte sich von Egons kalligraphischen Leistungen recht erbaut und sagte jedem, der es hören mochte, er wolle den anstelligen Burschen schon aus einem verwöhnten Muttersöhnchen zu einem brauchbaren Beamten erziehen. Die jungen Herren wieder nahmen sich auf ihre Weise seiner an, namentlich ein weltläufiger, gutmütiger und eleganter Konzipist ließ sich angelegentlich von dem Zutraulichen über dessen Lebensumstände unterrichten. In den nächsten Wochen schien Egons Maientag etwas verdüstert. Er saß untätig in seinem Stuhle zurückgelehnt und kaute an einem Federkiel, wie sein Mund in früheren Zeiten etwa das kindische Veilchenholz verkostet hatte, wobei seine Augen schmachtend in die Ferne reichten, ohne das vor ihm liegende Schriftstück näher zu würdigen. Dann erhob er sich, flüsterte dem Konzipisten zu: »auf ein Wort, verehrter Herr Doktor, wenn ich bitten darf«, und die beiden verschwanden. Man hörte ihre Schritte auf 17 dem mit Steinfliesen belegten Gange eine gute Weile auf und nieder wandeln, und draußen suchte der Gönner, freundlich seine Hand auf die Schulter des Schützlings gelegt, diesen zu trösten und ihm Mut zuzusprechen. Auch andere Herren beehrte der junge Alamor zu anderer Zeit mit seinem Vertrauen.

Im Spätfrühling, als der Geschäftsgang nachließ und die beginnende Hitze alle Arbeitslust einschläferte, fiel es nicht weiter auf, daß der Jüngling gelegentlich sich einen freien Tag ausbat, oder sich einem fernhindämmernden Nichtstun ergab, welches nur durch allerhand Fragen und Meinungen über Zeitereignisse unterbrochen wurde. Die einzelnen Herren hatten Urlaubssorgen, nicht ohne vor Antritt ihrer Reise eine Verständigung mit Alamor zu suchen, doch fand sich dieser merkwürdigerweise nicht leicht zu sprechen, indem er gerade, wenn jemand ihn zu finden wünschte, zufällig abwesend, zu einem dringenden Privatweg beurlaubt oder beim Magistrat vorgeladen, oder für seine Frau Mama mit einer unaufschieblichen Besorgung befaßt war. Da diese Angelegenheiten jedoch diskret verborgen gehalten wurden, spürte man nur, es herrsche um Egon eine gewisse Bewegung, ohne zu erraten, was es damit für eine Bewandtnis hatte.

18 Als aber zu Ende des Sommers das ganze Bureau wieder versammelt und der Mittagstisch vollzählig war, kam alles durch einen Stoßseufzer des eleganten Konzipisten ans Licht, und mit einem Male erlösten sich die bedrückten Gemüter von ihrem Geheimnis. Der Konzipist berichtete: »Mir hat er leid getan, er hält doch etwas auf anständiges Auftreten, man muß einen jungen Menschen gerade darin bestärken, ich habe ihm meinen Schneider angegeben, er wählte mit richtigem Geschmack die besten englischen Stoffe und ließ sich auf meine Empfehlung hin von Kopf bis zu Fuß equipieren. Neulich will ich mir selbst einen Anzug machen lassen, der Schneider benimmt sich auffallend kühl und schickt mir noch vor der Lieferung die Rechnung. Wegen dieses übel angebrachten Mißtrauens stellte ich gleich den Lümmel zur Rede. Sagt er, ich möchte um Gottes willen verzeihen, aber er sei wahrhaft in Verlegenheit, denn der Herr von Alamor, dem er auf meine Rekommandation um etwa zweihundert Gulden Kleidungsstücke nach Maß und vom besten Material und Schnitt angefertigt, habe seit einem halben Jahre nichts von sich hören lassen, keinen Kreuzer abbezahlt, sondern wandle vielmehr auf der Straße an ihm vorüber, ohne 19 ihn auch nur zu erkennen. Das Ärgste aber sei, daß er den jungen Herrn allerjüngst in einem neuen Anzug stolzieren gesehen, der aus anderer Quelle stammte, so daß ihm Egon offenkundig sogar mit den Schulden weitergegangen sei.« »Ei, so steht die Sache,« lachte schmerzvoll ein Zweiter. »Deshalb konnte ich vor meinem Urlaub kein Geld von ihm bekommen. Er hatte mir funfzig Gulden ausgebettelt: für die Mama, sagte er und klagte, sie hätten zu Hause nicht auf Brot, der Zins stünde bevor, sie müßten die Ausmietung gewärtigen. Zwar bin ich selber kein reicher Mann, aber man kann doch die Witwe eines Kollegen nicht im Stiche lassen, so habe ich ihm denn die Summe gegeben. Sie fehlte mir recht dringend vor meiner Reise. Ich zögerte bis zum letzten Augenblick, ihn zu mahnen, hatte er mir doch bei seiner Seele Seligkeit geschworen, rechtzeitig den Betrag zu erstatten. Als ich ihn am Tage meiner Abreise suchte, war er krank gemeldet.« »Das ist noch das Schlimmste nicht,« unterbrach ihn der Vorredner, der Konzipist, »als er mich wegen eines tüchtigen Schneiders befragte, seufzte er, ihm sei leider mit dem schönsten Anzug nicht geholfen, vielmehr müsse er sicherlich bald elend zugrunde gehen, und weinte 20 und äugelte schamvoll. Ich sprach ihm Trost und Mut zu und bekam schließlich zu hören, er laboriere schon seit einiger Zeit an einem geheimen, hartnäckigen Übel, er werde wohl nie wieder gesund und so weiter. Da schickte ich ihn zu einem befreundeten, tüchtigen Arzte, der ihn gründlich in Behandlung nahm und den wehleidigen Jungen mit Ach und Krach wieder auf Gleich brachte. Aber auch dem hat er keinen Heller gezahlt; was blieb mir nun übrig, als die Rechnung für ihn zu ebnen, denn ich kann mich doch vor einem Bekannten nicht bloßstellen und mir nachsagen lassen, meine Empfehlungen seien faul?«

So hatte jeder auf seine Weise für Egons Nöte sorgen und beitragen müssen, welcher ein recht geschicktes, auf der wechselseitigen Diskretion der Amtsgenossen aufgebautes Besteuerungssystem ins Werk gesetzt und dabei alle einbezogen hatte, die irgend an den gemeinsamen Geschäften beteiligt waren. Wie sich binnen kurzem herausstellte, figurierte sogar der Amtsvorstand mit einem erklecklichen Beitrage an der Spitze seiner Gönner.


   weiter >>