Otto Stoessl
Egon und Danitza
Otto Stoessl

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II

In diesem verheißungsvollen Frühjahre hatte Mama de Alamor mit ihrem Sohne eine 21 bemerkenswerte Auseinandersetzung. Die Krankheit des Vaters, dessen ehrenvolle Bestattung unter einem marmornen Leichenmal, die vorgeschriebenen Trauerkleider hatten beträchtliche Kosten verursacht, die bei dem verringerten Witweneinkommen nichts weniger als Deckung fanden. Gleichwohl hielt es die Dame für unangebracht, ihren Lebensfuß irgendwie zu beschränken, da sie sich nichts nachsagen lassen mochte. Nun kam noch Egons einjährige Suche nach einem neuen Leben hinzu, ihre gemeinsame Lage fragwürdig und schwierig zu machen. So war Mama de Alamor in einen ansehnlichen Schuldenstand geraten, der sie schließlich veranlaßte, für ihren Sohn das bewußte Beamtenpöstchen zu erbitten. Auch für ihre Tochter mußte sie sich nach einem Beruf umsehen. Zwar dünkte sie die Arbeit für ein zur Schönheit geborenes und bestimmtes Geschlecht durchaus unwürdig, aber völlig unmöglich für ihr eigenes standesmäßiges Alter. Daher mußte sie das geringere Übel wählen, daß ihre Tochter vorläufig zum gemeinsamen Unterhalt beitrug. Es gelang ihr auch, der Siebzehnjährigen eine Stelle als Schreiberin bei dem Baumeister zu erwirken, in dessen Hause sie wohnte und den Zins schuldig blieb. Auf die strenge Mahnung bat sie unter 22 Tränen und flehenden Augen, denen noch immer ein gewisser Glanz innewohnte, ihr das Leben doch durch die Beschäftigung ihrer geschickten Tochter einigermaßen zu erleichtern, worauf denn der Mietsherr notgedrungen einging. So konnte sie ihre bürgerlich prunkhafte Wohnung als Vorstandsadjunktenswitwe behalten und ihren schönen weißen Seidenpinscher nach wie vor auf seinem Kissen im Salon sitzen haben, denn seinen oder den Verlust der vertrauten Möbel hätte sie nicht überdauern zu können geglaubt.

Egon hatte soeben sein erstes Monatsgehalt stolz eingestrichen und dachte an vielerlei Ausgaben, zu denen er allmählich befähigt werden würde. An weitere stattliche Kleidung, Krawatten, Schmuckstücke, an ein leise klirrendes Zweirad, mit welchem er einem gewissen Drang nach der Ferne so lange halbwegs zu befriedigen hoffte, bis er einmal irgendwie zu einem Automobil komme, was bei dem Fortschritte der Technik und der Bedürfnisse nur eine Frage der Entwicklung schien. Auch wollte er sich in der schönen Welt der Weiblichkeit nunmehr begehrenswerter, männlich freigebiger und darum des Empfangens würdiger umtun. Die anmutigsten Vorstellungen spielten vor seinen Augen, die nicht umsonst vom 23 lieben Herrgott recht nach aller Herrlichkeit der Dinge langend geformt waren.

Anstatt vom Amt geradeswegs heimzukehren, hatte er sich zunächst in einem Kaffeehause bei den illustrierten Zeitungen und duftenden Ala-Zigaretten aufgehalten, dann in der Kärntnerstraße einige Besorgungen geleistet, wodurch seine Barschaft um etliches verringert worden. Nun eilte er, zierlich und den von Natur offenen Mund zu einem vergnügten Pfeifen gespitzt, über die Treppe und freute sich, an der Tür das treue Bellen des Pintschers zu vernehmen, gespannt, welches Nachtmahl sich etwa durch seinen besonderen Wohlgeruch ankündigen und die wahrhaft erlesene mütterliche Kochkunst auch an diesem Weihetage nach der ernsten Arbeit eines Monats bezeugen wolle.

Die Mama saß indes, eine Stickerei auf dem Schoße, in der Dämmerung des Salons und empfing ihn stumm, ohne irgend ein Zeichen festlicher Verheißung. Erst als er einen Schwall begeisterter Worte losgelassen über die Annehmlichkeit des Frühjahrs, die staunenswerte Billigkeit mancher vornehmer Geschäfte und dergleichen mehr, fragte sie ihn mit einer dumpfen Stimme, deren unheilverkündenden Ton er 24 leider kannte: »Nun, mein Kind, was ist es mit deinem Gehalt?« Egon stotterte verlegen. Sie rechnete ihm auf den Kreuzer vor, was er bekommen haben müsse, und obzwar er, geistesgegenwärtig genug, sofort etliche Abzüge für Wohlfahrtszwecke, angebliche Kranken-Versicherung, Trinkgelder und dergleichen mehr in Abschlag brachte, konnte er die verbleibenden Abgänge nicht anders als durch eine Beichte seiner heutigen Einkäufe erklären und mußte schließlich den Rest auf den Tisch zählen. Er wollte ihn freilich wieder sogleich an sich nehmen, doch wehrte die Mama mit zarter Entschiedenheit: »Für diesen Monat, mein Egon, will ich allerdings mit der geringen Summe vorlieb nehmen, bin ich es doch leider gewöhnt, mich nach der Decke zu strecken, aber in Hinkunft wirst du schon dein ganzes Gehalt abliefern müssen, denn wie soll ich dieses Haus und das gute Essen bestreiten, auf welches du so viel hältst, ohne das notwendige Geld. Auch müssen wir alle, da wir uns ordentlich anstrengen, uns auch kräftig nähren. Du hast mich genug gekostet, bis ich dich so weit gebracht habe, daß du nun freilich nur den geringsten Teil abstatten kannst, um die Sorgen deiner schwergeprüften Mutter ein wenig zu erleichtern.«

25 »Aber, liebe Mama, wie soll ich dann leben? Ich brauche ja Kleider, allerhand andere Dinge, ich will doch auch von der Plage etwas haben, einmal ins Theater gehen oder in ein Gasthaus.« – »Darum bist du eben ein Mann, der Geld verdienen kann durch einen Nebenerwerb oder sonstwie. Das wird deine Sache sein. Du bist mein Stolz und mein Glück auf der Welt, Egon. Hätte ich nicht euch Kinder, so wäre mein Leben wahrlich nichts wert und ich würfe es am liebsten weg. Brachte es mir doch nie etwas anderes, als Kummer und Sorge. Dein seliger Papa hat es wahrlich nicht verstanden, mir eine würdige Existenz zu bereiten, all die schönsten Jahre sind in peinlicher Angst um das Notwendige verstrichen und ich stehe nun da als alte Frau, wenngleich man es mir ja nicht ansieht, und ohne das geringste Vermögen. Andere Männer sorgen für ihre Gattinnen, nichts ist ihnen zu teuer, sie häufen Luxus um ihre Frauen und erwerben ihnen ein stattliches Gut. Ich hingegen mußte meine Mitgift einbrocken und mich bescheiden lernen, obgleich mir andere Schicksale in der Wiege gesungen waren, aber ihr merktet freilich nichts von meinen Sorgen, ich hielt euch immer nett und nobel an Kleidung und Kost und Unterricht, wir 26 haben uns für eure Erziehung aufgeopfert. Käme doch die Zeit endlich, wo ihr es der armen Mutter vergelten wolltet und könntet.« Egon, der leicht gerührt war und überdies auch die Opferung seines Monatsgehaltes als gerechten Anlaß zu Tränen empfand, weinte leise vor sich hin.

Frau de Alamor schlang um den recht schlaff dasitzenden Sohn, dessen Antlitz nun den schlotterigen Ausdruck zeigte, den er wohl vom guten Papa überkommen haben mochte, ihre energischen Arme, küßte ihn zärtlich wiederholt auf Stirn und Mund und Wangen und tröstete ihn: »Damit du wenigstens für den Anfang nicht allzuviel entbehrst, magst du zehn Gulden für das Nötigste behalten. Das weitere wird sich finden. Dein Diurnum deckt ohnedies nicht meine Kosten. Rechne dir nur einmal aus, welche Summen ich in den einundzwanzig Jahren, seit du auf der Welt bist, für dich geopfert habe. Aber ein Bursche wie du ist ein Kapital, das sich ordentlich verzinst, wenn man vernünftig bleibt. Du wirst reich heiraten und deine Mutter nicht durch Dummheiten enttäuschen, so daß du hoffentlich bald in die Lage kommst, deine Schwester aus ihrer Sklaverei zu erlösen, denn es schickt sich doch wahrlich nicht, daß meine Anna einem gemeinen 27 Baumeister Schreibdienste tut. Was wollen wir aber bis dahin machen? Mir bleibt nichts übrig, als einen Zimmerherrn ins Haus zu nehmen.« Egon schrie entsetzt auf. Sie erwiderte leise: »Es muß sein, sei stark mein Kind. Du siehst, ich selber füge mich, der es noch viel schwerer fällt. Dein Zimmer eignet sich am besten fürs Vermieten, es hat separierten Eingang, ist angemessen möbliert, du kannst schließlich im Salon wohnen, ein junger Mann wie du bleibt ohnehin nicht viel zu Hause, soll auch in seiner freien Zeit lieber unter Leute gehen, als stubenhocken. Wenn ich einen Mieter, und am Ende gar in ganze Pension bekomme, dürfen wir aufatmen. Ich weiß, du wirst mich ja bald befreien und mir eine vornehme Existenz ermöglichen, du mein Stolz und meine Zuversicht, aber vorläufig muß ich eben die Zähne zusammenbeißen. Ich atme ja nur für euch, meine Kinder.«

Es läßt sich denken, daß Egon diesen stolzen Tag demütig endete: statt ein Wohlleben zu beginnen, mußte er sein eigenes Zimmer hergeben, sein Gehalt bar aufopfern und in der freien Zeit dafür sich unter Menschen umtun, ohne zu wissen womit, dazu war ihm eine plötzliche heldenhafte Sorge um Mutter und Schwester auferlegt, der 28 er sich nicht gewachsen fühlte. Doch nahm er die zarten Andeutungen der Mama über seine eigenen männlichen Möglichkeiten sich immerhin zu Herzen und schöpfte bald aus diesem Teile der Ansprache Trost. Wie es nun einmal seine glückliche Art war, feuerte er sich in solchen Hoffnungen immer mächtiger an und beschloß, seiner Zukunft jedes Opfer zu bringen. Daß dies mittels der Weiblichkeit und für diese geschehen sollte, gefiel seinem leckeren Geschmacke, und wieder war es seine willensstarke, verehrte Mama, welcher er das neue Leitmotiv seines Lebens schuldete. Dieser Königsgedanke bestätigte alle seine natürlichen Neigungen und dünkte ihn schon aus diesem Grunde schicksalsnotwendig und einzig. Daß er dabei noch ein Erlösungswerk an einer so edlen Mutter, an einer verheißungsvoll heranreifenden Schwester sozusagen nebenher verrichten könne, war ein gewissermaßen sittlicher Ansporn für sein bewegliches Gemüt.

Daher hob sich auch in den nächsten Tagen seine Zuversicht ebenso rasch, wie sie vordem gesunken war. Wir sehen ihn eines Tages nach glücklich überstandener Arbeitszeit in seiner eleganten Kleidung, den Zylinder unternehmend aufs Haupt gesetzt, einen schwarzen Stock mit 29 silberner Krücke, ein Erbstück des Vaters, in der Hand, aufrechter Haltung und seine gestielten Augen nach allen Seiten wendend durch die Straßen spazieren, welche von geputzten und vornehmen Leuten wimmeln. Wenn ein schönes junges Frauenzimmer in rauschenden Seidenröcken und den Hals aus Spitzen oder Federn neigend, zierlich an ihm vorüberwandelt, schnuppert er unwillkürlich nach dem leise wehenden Wohlgeruch und fragt sein unruhiges Herz: ist es diese, oder welche wird das Schicksal sein? und berechnet alle möglichen Mitgiften und Glückszufälle, und wie er sich je nach dem Gegebenen einrichten und lassen würde. Edel setzt er der Schwester eine Morgengabe, der Mutter eine anständige Rente aus, bestimmt für sich ein Automobil, einen kleinen alljährlichen Aufenthalt an der Riviera, ein gelegentliches Spielchen in Monte Carlo und dergleichen.

Für diese erträumten Süßigkeiten gedachte er sich eine wirkliche und wohlfeilere als Vorausbezahlung zu vergönnen, da er seit früher Jugend zu naschen gewohnt war. So trat er auch heute in ein wohlbekanntes Schokoladengeschäft und suchte in allen Fächern nach den beliebtesten Gegenständen, nach sammetweichen Katzenzungen, 30 nach Fondants, die wie der Vorgeschmack der Seligkeit im Munde zerflossen, nach herben gebrannten Mandeln oder Likörbonbons. Bald hatte er ein ansehnliches Tütchen beisammen, welches die geduldige Verkäuferin bereithielt, der er manchen angenehmen Blick vergönnte, da sie hübsch war und die ständige Kundschaft des stattlichen jungen Mannes zu schätzen wußte. Hierauf begab er sich zur Kasse, um zu zahlen. Und da traf ihn der Blitz seines Schicksals aus den wehmütigsten, sanftesten Augen, die er je geschaut, aus braunen, groß offenen Augen, deren Blick wie ein üppiges Schokoladefondant in ihn eindrang und auf geheimen Nervenpfaden gar wollüstig durch den Körper bebte, so daß der ganze Egon de Alamor vom Kopf bis zu den Zehenspitzen mit brauner Sehnsucht erfüllt war. Gefaßt und entschlossen, wie immer, wenn es sich um seine Leidenschaften handelte, verbeugte er sich sofort vor der jungen Kassiererin mit den Worten: »Fräulein sind neu im Geschäfte, ich habe noch nicht die Ehre gehabt, Sie zu sehen, wann war ich doch zum letzten Male hier?« Die Kassiererin lächelte leise, wobei der Rosenglanz der Heiterkeit von ihren Wangen, ihrem Munde und ihren Augen auf Herrn de Alamor zurückstrahlte, der 31 seinerseits glücklich zu lachen begann. Dies tat er vorsichtig, gleichsam fragend, ob es auch erlaubt sei, um sofort, als sie es herzhafter erwiderte, nun wie im seligsten Einverständnis mit lauter Stimme und vollem Angesicht dem Hochgenuß vereinter Heiterkeit sich zu ergeben. Da keine Kunden im Geschäft waren und Egon als häufiger Besucher des Ladens einiges Vertrauen der bediensteten Mädchen genoß, verbreitete sich das begonnene Gespräch über das ganze anwesende weibliche Personal, und Egon erfuhr, die Kassiererin sei erst unlängst eingetreten und habe den wichtigen Posten gegen Erlag einer nicht unbeträchtlichen Kaution erhalten. Sie sei eine Serbin, lachten die Jungfern. Als Egon darüber erstaunte, berichtigte das Fräulein, über und über errötend, er möchte das nicht wörtlich verstehen, denn schon als Kind sei sie nach Wien gekommen, stamme allerdings von serbischen Eltern ab und sei zeitlebens immerhin zu den Sitten der Heimat angehalten worden. Das fand nun Egon äußerst interessant und erlaubte sich bei dieser Gelegenheit vorzustellen, wobei er versicherte, auch sein Name deute auf fremdländische Herkunft, wenn er gleich noch nicht zu ermitteln versucht habe, ob seine Ahnen aus Ungarn oder Griechenland, 32 Spanien oder Italien stammten. Doch sei er ein echtes Wiener Kind, was er von der Dame trotz allem wünschen, ja voraussetzen zu dürfen hoffe. Nun sollte auch sie von Rechts wegen ihren Namen verraten. Statt dessen errötete sie neuerdings wie eine Erdbeere und beugte ihr schönes, rundliches Gesicht mit dem schwarzen, gelockten Haar tief über das Kassabuch, bis die Mädchen lachend riefen: »Danitza heißt sie«. Egon war vollends entzückt und erbat sich die Ehre, das Fräulein heimbegleiten zu dürfen. Nun schämte sich die sogenannte Danitza, da sie sich binnen kurzer Zeit schon so oft errötend geschämt hatte, sich nun auch dieses Antrages zu schämen, zumal alle ihre Kolleginnen recht vertraute Begleiter nach dem Geschäftsschluß vorfanden. So sagte sie denn in aller Scham nicht nein, sondern schwieg, die Augenlider senkend. Alamor empfahl sich mit einer Verbeugung, in welche er alle Zuversicht legte, und spazierte draußen, ein Bonbon um das andere genießend, vor dem Laden auf und nieder, bis das Geschäft geschlossen wurde und Danitza als die letzte, zierlich, schlank und beschämt herausschlüpfte. Egon begrüßte sie voll inniger Ehrerbietung und blieb mit langen Schritten neben der Eilenden, die vorerst noch kein Wort sagte, 33 sondern nur möglichst schnell den Blicken und Nachreden der Gefährtinnen zu entgehen suchte, denn jetzt schämte sie sich erst recht, daß sie sich nicht auch diesmal gut genug geschämt hatte, die Begleitung des jungen Herrn gebieterisch zurückzuweisen. Erst als sie aus den belebten Straßen in stillere traten und Egon unablässig redete und fragte, bekam er einsilbige Antworten. Und an diese wußte er wieder neue Fragen zu knüpfen, durch welche das scheue Mädchen schließlich doch in ein Netz von Rede und Gegenrede gefangen wurde, bis sie dann ganz munter und immer zuversichtlicher plauderte, gelegentlich ihren Begleiter von der Seite her mit einem raschen Blicke streifte und hie und da lächelte, um wieder in den ihr eigenen schwermütigen Ernst, wie in den dunklen Schutz einer dämmernden Natur zurückzuflüchten. Egon erfuhr, daß sie bei ihrer Mutter, einer Witwe, lebe und eigentlich nur, um nicht müßig zu bleiben, sowie um der üblen Laune, Herrschsucht und Unverträglichkeit der kränklichen Frau tagsüber zu entrinnen, ihre Stellung gesucht und angenommen habe. Die Mutter sei täglich über diesen schlecht angebrachten Eifer ihres Kindes empört, welches unbewacht allen Versuchungen der Großstadt geradezu entgegengehe, statt sie zu Hause sittsam zu vermeiden. »Da hat sie's nun«, lachte Danitza und errötete gleich auch und schämte sich wieder, während Egon vergnügt diese Bestätigung seiner großstädtischen Gefährlichkeit begrüßte. Damit war eingestanden und bezeugt daß er in eine unbewachte schöne Mädchenseele Einlaß gefunden, woraus sich wieder viel Weiteres ergab. Zufrieden tröstete er das Fräulein, es werde ihr nichts Übles passieren, vielmehr möchte sie sich von ihm nur der edelsten Gefühle und Handlungen versichert halten. »Das ist alles recht schön und ich will es Ihnen gern glauben, ich kann mich ja auch jeder Ungebühr erwehren, aber jetzt lassen Sie mich allein weitergehen, denn wir sind bereits in der Nähe meiner Wohnung. Ich möchte hier nicht mit einem Herrn gesehen werden. Also adieu!« Und damit eilte sie auch schon davon, so daß Egon, ehe er sich noch recht besonnen, ihre schlanke Figur über die Gasse ins Dunkel verschwinden sah. Obgleich er dergestalt seinen Sieg nicht, wie er gewünscht hätte, ausnützen, weder um ein neuerliches Zusammentreffen ersuchen, noch seine Huldigungen deutlicher erklären konnte, war er dennoch recht erhoben und zuversichtlich. Er wußte genug: dort war ihr Schokoladengeschäft, hier die Wohnung. 35 Bereits am nächsten Tage trat er, seinen Hut ehrerbietig lüftend, an die Seite Danitzas, als sie ihren Laden verließ. Und, welch glückverheißendes Zeichen! Sie grüßte ihn freundlich, nicht fremd, ja sie lächelte sogar und zürnte nicht.

Um diese Zeit starb ein Oheim Egons, der Bruder seiner Mutter und Besitzer eines Weingutes in einem kleinen niederösterreichischen Orte. Von dieser Abstammung aus altansässigem Bauerngeschlechte und dem kleinen Erbe aus dem Erlös verkaufter Rieden leitete eben der Stolz der Mama jenes hohe Wiegenlied her, das bei ihrer Geburt angeblich erklungen.

Egon de Alamor erfüllte das Bureau mit der hoffnungsvollen Nachricht einer angefallenen Erbschaft, welche neuerliche, wohlbekannte Anleihe-Unternehmungen rechtfertigte. Denn ein Mann, der erbt, hat allerhand unvorhergesehene Auslagen und kostspielige Förmlichkeiten, von der Anschaffung geziemender Trauerkleider bis zur Fürsorge um eine gedeihliche Abwicklung verwirrter Rechtsgeschäfte. Und da man nun schon so viel Geld in die Hoffnungen des jungen Mannes hineingesteckt hatte, mußte man wohl oder übel immer mehr nachschießen, um die Angelschnur mählich zu verlängern, mit welcher man 36 die Beute schließlich dennoch hervorzuziehen gedachte, die man selber in den Brunnen geworfen. Der Brunnen aber ließ vorderhand leider noch gar keinen Grund spüren. Der willkommene Todesfall bot weiter auch den Anlaß zu wiederholten Urlaubstagen. Keine Woche verging, wo den Egon nicht eine gerichtliche Tagsatzung, eine Erbenkonvokation oder Einvernahme ins Weinland beriefen, bei welchen seine Gegenwart unerläßlich war. Von diesen Ausflügen kehrte er immer neubelebt zurück, das Gesicht vom Genusse der besten Trunksorten, die im Keller des dahingeschiedenen Oheims lagerten, gerötet, und die ohnehin bewegliche Zunge ganz gelöst, so daß sie sich in tausenderlei Scherzen, Erzählungen, Andeutungen erging und vor den Amtsbrüdern ein schönes Luftschloß von Erbhoffnungen aufrichtete, welches zwar mit den notwendigen Hypotheken belastet, aber doch in ungeminderter Pracht dastand.

Egon de Alamor hatte mehrere Eisen im Feuer. Erbte er doch nicht bloß, sondern liebte auch, liebte glücklich, wie er nicht ohne Stolz bekannte, liebte ein Wesen, das seiner würdig war, ein schönes Mädchen, welches ein Vermögen besaß und mehr noch zu erwarten hatte. Es war bloß 37 eine Frage der Zeit, bei Egon war alles nur diese Frage, daß er sie von der widerstrebenden Mutter gewann und mit der Braut deren gutes Zubehör. Es war nur eine Frage der Zeit, daß er aus dem schwülen Engpaß seines derzeit leider mißlichen Standes treten und wie der volle Mond im Lichte wahrhaftigen Silbers über die Höhen des Daseins erglänzend wandeln werde. Auch zu Hause bereitete sich eine glückverheißende Wendung vor, wie er entdeckte. Auf Grund dieser vielseitigen, nur vom Verlaufe der Zeit bedingten Glücksfälle steigerte er seinen Lebensstand, er besuchte die Theater, namentlich Operetten, deren leichtfaßliche Melodien er vor sich hinträllerte und nahm die Anregungen der Kunst an der Seite eines geliebten Wesens auf. Um zehn Uhr vormittags brachte der Kanzleidiener dem jungen Manne ein wohlduftendes Gabelfrühstück, welches mit einem Krügel frischen Bieres begossen wurde. Nach hochherziger Überlassung des Kleingeldrestes an den Diener erfreute sich Egon etlicher seiner Zigaretten, während seine Gönner und Geldgeber ernst und still über ihre Akten gebeugt, Amtsveranlassungen bewerkstelligten und mit Summen rechneten, die von dem Fabeltier: Eisenbahn verdient wurden, 38 das ihnen ein dürftiges Monatsgehalt auswarf wie ein Stößchen geringfügigen Rauches, der in der Luft verweht.

Inmitten des Sommers nahm Egon einen achttägigen Urlaub. Er wollte ihn in einem schlesischen Waldorte verbringen, wo die Mutter seiner Braut ein stattliches Anwesen besaß.

In der Tat waren die Liebesumstände des Jünglings wohlgediehen. Das Mädchen, unerfahren und eben mannbar, überließ sich mit der Kraft eines zuversichtlichen Lebenswillens der Freude, geliebt und begehrt zu werden, sonnte sich an ihrem eigenen Feuer und suchte, vaterlos, voll Trotz und Verlangen nach Freiheit, in der Heimlichkeit eines täglich erneuten Abenteuers, was ihr vom Argwohn einer törichten, boshaften Mutter verwehrt wurde. Jede List schien erlaubt und zugleich ein Spaß mehr. Wird doch dem jungen Blut der sogenannte Ernst des Lebens sein eigentliches Hauptvergnügen. Zudem schien, was sie tat, auch dem strengsten Gewissen zulässig. War Egon nicht ein anständiger, ein hübscher, ein junger Mensch und verheißungsvoll genug für einen Gemahl als wohlbestallter Beamter, der einer gesicherten Zukunft entgegenging? Wer etwas von Herzen begehrt, der ist um tausend Gründe 39 nicht verlegen, wenn ihm schon der einzige nicht genügt: ich will. So genoß sie denn die schönen Frühlingsabende an Egons Seite, heute auf verschwiegenen Straßen lustwandelnd, morgen im Theater bei einer munteren Musik, an Sonn- und Feiertagen auf Wegen über Land durch den schattenfreundlichen Wienerwald, mit Rasten in Gasthäusern auf weitschauenden Höhen an buntgedeckten Tischen, umgeben von ähnlichen Schicksalspärchen. Die ganze Welt warf als ein gefälliger Spiegel dies eine Bild gesellter Neigung zurück und Danitza nahm es wieder als Aufforderung entgegen, sich selbst als hübsche Hälfte einer solchen gesetzmäßigen Zweiheit zu behagen.

Mit der Einladung Egons nach dem schlesischen Sommersitz hatte es seine eigene Bewandtnis. Danitza besaß eine Schwester namens Zorka und einen Bruder Mirko, die besser als sie die Mutter zu lenken und für ihre Zwecke auszunutzen verstanden. Mirko war ein sogenannter Jurist und Reserveleutnant, welcher seinen studentischen Beruf mit dem militärischen in der Weise vereinigte, daß er akademische Unterhaltungen in seinem Waffenrocke besuchte und tagsüber seinen Katzenjammer auf dem Sofa im endlosen Zigarettenrauch philosophisch ausdämmerte, um 40 abends von der Mutter die nötige Barschaft zu neuen Unternehmungen zu erheben. In Bewunderung und Wertschätzung seines Standes und Berufes gab sie willen- und wehrlos das Geforderte ab. Zorka aber war es gelungen, sich trotz aller grimmigen Beaufsichtigung erfolgreich in einen Postassistenten zu verlieben, welcher sich einer ansehnlichen Uniform und einer hohen, der Offiziersmütze getreulich nachgebildeten Dienstkappe erfreute. Aus einiger Entfernung konnte er mit seinem Galanteriedegen, seinem Flottenrock und der lichten Hose beinahe für einen Leutnant angesehen werden. Als die Alte diesem Verlöbnis auf die Spur gekommen war, hatte sie zuerst vor Wut über die Eigenmächtigkeit der Tochter geschnaubt. Doch zog Zorka bei der leidenschaftlichen Auseinandersetzung, unverschämt wie sie war, ohne weiteres einen großen, alten, mit Silber und Elfenbein ausgelegten Revolver, ein Prachtstück des serbischen Vaters, von seinen Ahnen wahrscheinlich aus ihren Beutezügen im roten Gürtel getragen, aus dem Schrank hervor, streckte ihn mit großer Gebärde vor sich hin und drohte, jeden, der sie an ihrem Glücke hinderte, und dann sich selbst niederzuschießen. Nicht so sehr dies untaugliche Mittel, als ein geheimes 41 Zauberwort bewog die Mutter, schließlich der Verlobung zuzustimmen: der Liebhaber war – Beamter. Vor diesem Stand empfand die Alte eine geheime, unbegrenzte Verehrung, indem er nach ihrer Vorstellung die Untertanen aus tausend Röhrchen gesetzmäßig aussaugen und strenge beherrschen durfte, um höchst stattlich dabei zu gedeihen und mit Würden, Titeln, Orden belohnt zu werden. Nachdem sie sich von der Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit der Stellung des Postassistenten überzeugt hatte, konnte sie nicht nein sagen. So durfte Zorka auf dem Lande ihre Verlobung feiern.

Bei dieser Gelegenheit dachte Danitza ihre ähnlichen Pläne zu fördern, denn auch Egon de Alamor war ja Beamter und folgerichtig gegen ihn ebenfalls nichts ernstlich einzuwenden. Der Heimlichkeit müde, wollte sie endlich ein paar Tage in allen Ehren, doch vor der ganzen Welt ihren erklärten Liebhaber bei sich begrüßen, mit dem eleganten Jüngling Staat machen, ein ehrenvolles Verlöbnis herbeiführen, kurz es ebenso gut haben wie die Schwester. Egon sollte, gleichsam eingeschmuggelt, auf einmal im Garten in der Gesellschaft auftauchen, und das weitere würde sich finden. Er war zu allem bereit. Danitza 42 trat also den ihr vom Geschäft zugestandenen Urlaub an, fuhr mit ihrer Familie nach Schlesien voraus, Egon sollte ihr folgen.

Er tat dies in seiner ansehnlichsten Sommerausrüstung und langte denn auch am Abend eines heißen Julitages an. Er trug einen, eben auf Kredit unter Zusicherung pünktlicher Ratenzahlungen angeschafften photographischen Apparat an einem Riemen um die Schulter, denn er gedachte, die Braut und seine künftigen Anverwandten und sich selbst in mehreren Aufnahmen festzuhalten, wie es sich bei Verlobungen schickt. In zugleich gehobener und ängstlicher Gemütsverfassung bangte er den Ereignissen entgegen. Danitza erwartete ihn auf dem Bahnhofe in entzückender ländlicher Kleidung, wie eine Bäuerin, mit rot geblümtem Rock und Mieder und weißem, blühendem Hemde, aus dessen Krause und weiten Ärmeln eine gebräunte Haut hervorsah, in welcher die empfangene Sonne selbst zu schimmern schien. Ihre Wangen, glühend vor Hitze, Freude, Erregung, glichen zart beflaumten Pfirsichen und legten sich rund und kräftig in seine Hand, als er sie streichelte. Mutig umarmte sie den Egon ohneweiters im Angesichte der ganzen Station, als gedächte sie hiermit einen 43 unwiderruflichen Zustand herbeizuführen und feierlich zu erklären. Diese ihre Gebärde hatte eine solche Reife und Erhabenheit, daß der magere, fast schlotternde Knabe dabei wie ein beherrschtes Kind, sie selbst aber als ein mütterliches Frauenzimmer erschien, das sie ja wie jedes Weib, im Stande der Zärtlichkeit von Natur aus dem Manne überlegen, auch wirklich war. Indem sie den Erstaunten, der auf dieses unerwartete Übermaß von Empfangsleidenschaft um so weniger gefaßt war, als sie ihn bisher in derlei Annehmlichkeiten recht kurz gehalten hatte, so fest an die Brust gedrückt hielt, daß ihm der Atem ausging, sagte sie in ihrer Weise, die gelegentlich noch ein wenig fremd klang und das freilich entwöhnte Kind einer andern Sprachmutter verriet: »Ach, Egon, wie hab ich dich viel lieb.« Dann zog sie seinen Arm unter den ihrigen und schritt mit ihrem Verlobten wie mit einem schönen Kriegsgefangenen an den aufmerksam beobachtenden Stationsbeamten und dem sonstigen Publikum vorbei, die Straße nach dem Dorf entlang.

Sie hatten eine gute halbe Stunde Weges vor sich, die Danitza verwenden mußte, Egon allerhand Verhaltungsmaßregeln einzuschärfen. Zu seinem Entsetzen erfuhr er, daß Danitzas Mutter 44 ganz und gar nicht auf die kommenden Ereignisse, also auf den kommenden Bräutigam der Tochter, vorbereitet sei. Danitza aber lachte mit furchtbarer Entschlossenheit über alle seine Bedenken und Einwände und preßte seinen Arm heftig an ihre Brust, als wollte sie ihn selbst an einem Gedanken des Zurückweichens verhindern. So langten sie denn vor dem Landgut an, das sich bei näherer Betrachtung als ein kleines, weißes, freundliches Parterrehäuschen mit Schindeldach erwies, von einem mäßigen Obstgarten umgeben, der an weite offene Wiesen und Äcker grenzte, die aber nicht mehr zum Besitze gehörten.

Durch eine Holzgittertür eintretend, fanden sie sich in einem dichten Gebüsche von Flieder, Hollunder und Stachelbeersträuchern, von wo sie unbemerkt eine Aussicht auf den Vorplatz des Häuschens hatten. Unter einem auf vier Pfählen übergebauten Holzdache, das von wildem Wein überwachsen, eine sogenannte Veranda darstellte, war die ganze Gesellschaft versammelt.

In der Mitte vor einem runden Tische auf einem Rohrfauteuil thronte die Mutter, wie eine Herrscherin ihren Kreis überschauend und beleibt, wie sie war, gleichsam von der weisen Natur selbst zum Gebieten in sitzender Stellung 45 bestimmt. Ein großes breites Gesicht, mit Brillen bewehrt, blickte streng unter wirrem, weißem Haar hervor, welches aus einer bunten Mütze quoll. Ein langer Hals konnte sich gewandt hierhin und dorthin kehren, wo es etwas zu befehlen gab. So brauchte sie bei ihrer lauten Stimme sich mit dem übrigen Körper gar nicht zu rühren, da sie mit Hilfe des beweglichen Halses und Hauptes ihr Gesichtsfeld durchaus beherrschte und mit ihrer Rede sehr wohl unterwarf. Auf ihrem Busen, dessen Masse in einem buntgeblümten Morgenrocke über alle Gebühr zur Geltung kam, hob und senkte sich wie ein Schifflein auf bewegter See ein schwarzes griechisches Emailkreuz, das Zeichen ihres angestammten Glaubens. Mit den beiden feisten, beringten Händen wühlte sie in einer Schüssel Erbsen, die sie offenbar fürs Abendessen auslöste, wobei ihr die schlanke Zorka half, welche neben dem grün gefüllten Gefäß auf dem Tische saß, während ihre Beine die Schultern des Postassistenten berührten. Dieser hockte nämlich auf einem Schemel, so recht ein Sinnbild ehrbarer Unterwürfigkeit. Mirko aber, in einer schmutzigen Offiziersbluse, einen roten Fez auf dem Kopfe und einen langen Tschibuk im Munde, spazierte auf und nieder, langte 46 zuweilen in die Schüssel und aß die leckeren Erbsen, um mit der enthülsten Schote dann entweder die Mutter oder die Schwester oder den zukünftigen Schwager zu bewerfen. Die Mama schlug, so oft sie getroffen wurde, eine behaglich zornige, grunzende Lache auf, Zorka schrie halb geärgert, halb freundlich, der Postassistent lächelte verbindlich. Danitza und Egon hatten nicht lange Zeit, dieses Gemälde ländlichen Familienfriedens zu betrachten, denn mit einem Male drehte die Alte das Haupt nach allen Seiten und fragte: »Wo bleibt denn die Danitza eigentlich? Ist sie denn noch nicht mit dem Anziehen fertig, sie sollte uns doch helfen.« – »Sie hat wieder lang geschlafen nach Mittag,« gähnte Mirko hinter einer blauen Wolke her.

»Danitza,« schrie die Mutter und wiederholte dreimal den Ruf.

»Da bin ich,« antwortete die Vermißte und trat. Egon nach sich ziehend, aus dem schützenden Gebüsche hervor; »und sieh, wen ich mitgebracht habe.«

Hiermit waren auch schon beide unwiderruflich vor dem Tische.

Die Mutter saß da, das Haupt in regungslosem Staunen vorgebeugt, Zorka war vom Tisch 47 herabgesprungen und stand, der Postassistent hatte sich vom Schemel erhoben, nur Mirko paffte ruhig weiter und ging auf und ab, ohne sonderliche Neugierde.

»Wer sind Sie, wer ist das, was will er?« fragte die Alte. – »Herr Egon de Alamor, Mama, ein guter Bekannter aus Wien, der so liebenswürdig war, meiner Einladung hierher zu folgen. Soeben hab ich ihn von der Bahn abgeholt.«

»Die gnädige Frau entschuldigen schon, ich bin so frei, ich war so kühn.«

»Wie kommen Sie, was hast du, wie kann man?« keuchte Frau Milena Bozdarevich.

»Ich mag zu meinem Urlaub auch meine Gesellschaft und Unterhaltung haben, wie Zorka, und da wir uns neulich verlobten, wollte ich meinen Bräutigam auch gleich mit euch bekannt machen. Da ist er also.«

Der Postassistent schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich förmlich vor Egon, welcher »sehr erfreut« stammelnd, entgeistert seinen Namen murmelte.

»Bräutigam? Was soll das heißen? Verlobt? Warum heiratest du nicht auch gleich, warum gehst du nicht auf und davon, warum 48 lebst du nicht auf Tisch und Bett so geschwind, wie du bist, Ungeratene, Verfluchte, und bringst deine graue Mutter mit Schande ins Grab. Ich werde noch sterben, bei Gott.«

»Sieht der Egon so aus, als ob er mir oder gar dir was antun könnte? Aber wenn's dir nicht recht ist, können wir ja gleich auch fort. In einer Stunde geht der Zug nach Wien. Wir kommen zurecht, wenn wir uns beeilen. Mußt's nur sagen. Aber es ist besser, du richtest ein Abendessen für ihn, denn er wird hungrig sein und du magst wohl die Gastfreundschaft nicht verletzen.«

Da zuckte ein heiliger Schmerz über das trauervolle Gesicht der Serbenmutter.

»Du Schlaue, Brot und Salz muß ich ihm freilich bieten.«

»Getrost, hoffentlich noch mehr,« lachte Danitza.

»Aber du bist eine Schamlose. Was wird sich der Herr von dir denken, gemeines Mädchen? Was sagt man? Mirko, was sagst du? Zorka und du? Und Sie, Herr Assistent?«

Mirko pfiff durch die Zähne.

In der Folge bemühte sich Egon, seine eigentümliche Lage zu erklären, seinen Stand als 49 Beamter zu betonen, wobei er sich jedesmal stolz und schlank aufrichtete. Die alte Serbin maß ihn recht ingrimmig und fragte ihn über diesen Punkt sehr eindringlich aus. Schon seine Jugend und Zivilkleidung machten sie mißtrauisch, denn sie konnte sich einen Beamten nur eben als Diener des Staates in einer Uniform und mit dem Degen an der Seite vorstellen, wie den Herrn Postassistenten, eine Privatbahn und deren Leute fand sie von vornherein verdächtig. Gab es denn so etwas? Danitza mochte ihr noch so eifrig zureden, aber auf dem Bahnhofe war immer ein Stationsvorstand mit roter Kappe und zwei Rosetten auf dem Kragen zu sehen, also doch in Uniform. Egon sagte, im Verwaltungsdienste, welchem er anzugehören die Ehre habe, sei es nicht üblich, die Uniform zu tragen. Sie schüttelte den Kopf und glaubte nichts. Dann sprach Egon von seinem seligen Vater, welcher als Vorstandsadjunkt beinahe an die Spitze eines Dienstzweiges getreten wäre und manches anerkennende Dekret besaß, das sie zu Hause unter Glas und Rahmen verwahrten. Und er sprach von seiner Mama, die aus vornehmer Familie stammte, deren letzter männlicher Sproß jüngst das Zeitliche gesegnet, wonach es in 50 Erbschaftsangelegenheiten manche Tagfahrt zu besuchen galt. Die alte Serbin schüttelte den Kopf: wo es Bargeld gibt, braucht man kein Gericht. Aber was sei er eigentlich, wie heiße er, was bedeute das: de Alamor, was habe er für einen Titel und Gehalt und Pensionsanspruch und Aussichten? Egon fühlte in diesem Augenblicke die ganze Schwierigkeit, wie ein Menschenkind sich selbst erklären und rechtfertigen soll. Was heißt das: Egon? Was heißt das: ich bin? Was heißt de Alamor? Und Diurnist? Und sein Monatsgehalt? Wie konnte man von einem solchen Bezuge sprechen? Er gebrauchte in dieser Qual, wie ein Fisch auf dem Trockenen den Mund weit öffnend, mancherlei ausgeholte Redensarten, um seine alles in allem höchst vorläufige Stellung und Persönlichkeit zu erläutern. Er habe noch zwei Fachprüfungen vor sich, genieße aber schon zurzeit alle Rechte eines wirklichen Beamten, so dürfe er zum Beispiel in der zweiten Klasse fahren, und was dergleichen Auszeichnungen mehr waren. Während dieses Examens, das der Jüngling nur mit einigem Stammeln und unter fortgesetzten Beteuerungen seiner Zukunft, Berufungen auf seine Mama und seinen gottseligen Papa und die eigene unbefleckte Ehre, auch eingeschüchtert von 51 Mirkos spöttischem Vorsichhinpfeifen und des Postassistenten fragenden Blicken keineswegs genügend bestand, hatten die beiden Mädchen im Hause das Essen zugerichtet und deckten endlich den Tisch, so daß ein doppelt ersehntes Nachtmahl die mißliche Untersuchung erfreulich zu unterbrechen verhieß. Die Alte lud endlich mit hoheitsvoller Gelassenheit auch Egon ein, Platz zu nehmen. Die reichlichen Speisen, das kühle Bier, die schöne Abendluft, deren letzter roter Glanz über dem Garten lag, in welchem ein paar zutrauliche Vogelstimmen gleichsam schüchterne Verabredungen für die Sternennacht trafen, machten das Beisammensein versöhnlicher, wenigstens die jungen Leute vertrugen sich heiter, nur die Alte nährte still ihren Groll mit dem Imbiß und warf zuweilen einen prüfenden Blick auf Egon, dem der Jüngling auswich, weil sie ihm das Essen mit ihrem bitterbösen Anschauen vergiftete. Nachher zog ein schöner bleicher Vollmond auf, und Zorka ergriff den Arm des Postassistenten, während Danitza ihrem Verlobten einen leisen Wink gab und ebenfalls aufstand. Der junge Mann verbeugte sich ehrerbietig vor der strengen künftigen Schwiegermama, küßte ihre fleischige Rechte und dankte ergebenst für die 52 unvergeßliche Gastfreundschaft, konnte aber die Antwort gar nicht abwarten, denn Danitza zog ihn am Arme in den Garten fort. Mirko streckte die Beine auf einen zweiten Stuhl aus und blieb bei der Alten sitzen, die den Kopf schüttelte, als ob ihm schließlich doch eine rechte Eingebung für die unselige Sache entfallen müßte.

Zorka und der Postassistent gingen, zärtlich die Arme ineinander verschränkt, über die Gartenwege und verloren sich in den Büschen. Danitza und Egon wandelten in der entgegengesetzten Richtung und getrauten sich nicht, ein Gleiches zu tun, um der Mutter keinen Anlaß zum Einschreiten zu geben. Sie berieten flüsternd. Die Familienbegegnung war doch recht zweifelhaft verlaufen, und der Ausgang blieb mehr als ungewiß, da die alte Serbin so unbeugsam dasaß. Was sollte Egon tun, wo schlafen? Danitza suchte ihn zu trösten, aber er blieb bekümmert, denn die Alte hatte ihn eigentlich beleidigt, er bedurfte einer Genugtuung, konnte sie aber bei der gegebenen Sachlage nicht wohl verlangen, sondern nur sich schämen. Egon hätte ganz gut in einem Bodenkämmerchen nächtigen können, das für einen Gast leicht zuzurichten war. Aber dies würde die Alte wohl unter keinen Umständen 53 erlauben. In ihrer Verlegenheit umfaßte Danitza schließlich, helle Tränen im Auge, doch noch ihren Liebhaber, blieb unbekümmert im vollsten Mondlicht auf dem Wege mit ihm stehen, beide Arme um seinen Hals gelegt, und näherte gerade ihre schmerzlich geöffneten Lippen den seinen, als von der Veranda her laut und bitterböse die mütterliche Stimme scholl. Erschrocken ließen die beiden gleich die Arme sinken und kehrten beschämt zurück. Die Mutter sagte strenge, sie habe dem Fremdling ihre Gastfreundschaft nicht verwehrt, aber der gute Ruf ihres Hauses und der Töchter verbiete, daß er zu so später Stunde hier verweile. Der Herr möchte sich also in Gottesnamen empfehlen und anderswo Quartier suchen. Auch der Postassistent schlafe im Wirtshause, wo sich wohl noch ein Lager würde finden lassen. Damit rief sie auch Zorka und deren Bräutigam herbei und erlaubte Danitza, Egon wenigstens nach dem Dorfe zu begleiten, wenn Mirko, der Bruder, zur Aufsicht mitginge. Brummend erklärte sich dieser bereit, und nach einer verlegenen Begrüßung machte sich die junge Gesellschaft auf den Weg, während die Serbin, die bunte Mütze auf dem Haupte, bei dem einsamen flackernden Windlicht in arges Grübeln versunken sitzen blieb.

54 Betrübt hängte sich Danitza in Egon ein, dem der photographische Apparat drückend, unbenutzt und an die Vergeblichkeit aller menschlichen Pläne und Voraussicht mahnend, an der Seite baumelte. Das Mädchen entschuldigte sich zärtlich, solches Mißgeschick verschuldet zu haben, Egon tröstete sie bekümmert. Hinter den beiden Pärchen murrte Mirko wie ein strenger Schäferhund. Zorka schäkerte und lachte mit ihrem Postassistenten ohne Arg zum Neide der unglücklichen Schwester, die still neben Egon einherging, ratlos, was nun zu beginnen sei. Plötzlich lächelte Egon selig: er hatte einen Einfall. Er wollte seiner Mama telegraphieren. Die würde alles in der schönsten Weise ebnen und taktvoll ordnen. Welche herrliche Frau war sie, vornehm klug, gütig, o, Danitza müsse sie kennen und lieben lernen! Das war das Richtige! Und eilig nahm er Abschied, um spornstreichs auf die Bahnstation zu rennen und dort das Telegramm aufzugeben, womit seine Mutter zur Schlichtung alles Streites entboten werden sollte. Nachdem er dies besorgt, wandelte er beruhigt und getröstet, eine späte Zigarette genießend, ins Dorf und fand im Gasthof noch ein Quartier.

Am anderen Morgen stand Danitza vor 55 seinem Fenster und rief ihn durch das verabredete Pfeifen einer beliebten Operettenmelodie herab. Egon trat denn auch in aller Zierlichkeit binnen Kürze hervor, nach gutem Schlaf wieder heiter und zuversichtlich. Danitza dagegen berichtete eingeschüchtert, wie sie gestern, mit Zorka und ihrem Bruder spät abends heimgekehrt, die Mutter nicht mehr wach angetroffen habe. Heute beim Frühstück hätte diese ein unglückverheißendes Gesicht von verschlossenem Ingrimm gezeigt und kein Wort gesprochen. Aber die Böse möge sich hüten, denn sie, Danitza, sei gar wohl imstande, ihr auf und davon zu gehen, nach Wien zurückzukehren, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken, sich irgendwo einzumieten und auf eigene Faust nach ihrem Wohlgefallen zu leben. Egon beruhigte die aufgeregte Braut. Nun war es an ihm, sich als Mann und überlegen zu erweisen, die Geliebte vor unklugen Schritten zu bewahren, um ihren Ruf besorgt, alle peinlichen Übereilungen zu vermeiden. Seine Mama würde ja mit dem nächsten Zuge in ihre Arme eilen und dann müsse sich alles zum Besten fügen. Danitza fragte errötend, ob seine Mama denn von ihr und dem Verlöbnis wisse. Egon lächelte, halb verlegen, halb eitel und antwortete, vor einer 56 solchen Frau habe er kein Geheimnis. Schließlich erwartete das junge Mädchen die Friedensstifterin hier vor dem Gasthofe, während er zur Bahn eilte, um die Mutter abzuholen. Die entstieg prompt dem Zuge, in hochelegantester schwarzer Seidenkleidung, einen weitläufigen Krepphut mit Schleier, Jettperlen und dergleichen auf dem wohlfrisierten Kopfe, mit geröteten Wangen, blitzenden Augen und sich in einer Weise darstellend, welche sowohl ihre ernste Fraueneinsamkeit, als die Würde ihres gesellschaftlichen Standes und eine dauernde Anmut zur Geltung brachte, ein umfängliches, klirrendes Réticule nebst einem Sonnenschirm in der Hand. Sie umarmte Egon voll Rührung und berichtete, wie sie beim Empfange des unerwarteten Telegrammes auf den Tod erschrocken, sich doch gleich, da es dem geliebten Sohn zu helfen galt, gefaßt habe, um hierher zu eilen. Durch Egon von allen Vorfällen unterrichtet, zeigte sie sich entsetzt über so viel Unbildung und Roheit. Nicht ohne bedenkliches Kopfschütteln und scharf betonte Frage gab sie Egon zu verstehen, ob er denn in der Tat und nach allen Richtungen erwogen habe, in welches Bett er sich legen wolle, denn auf solchen Nesseln einer schwiegermütterlichen Ungüte sei 57 schwer zu schlafen, und es möchte ihn am Ende seiner Haut gereuen. Ob denn die alte Serbin wirklich auch reich sei. Egon, durch ihre Anwesenheit allein schon beruhigt und von aller Sorge befreit, übersprudelte von Schilderungen und Beweisen des sicheren Vermögens und Glückes. Da er verliebt war, sah er nicht nur die Reize des angebeteten Mädchens, sondern auch ihre Lebensumstände höchst ansehnlich, sozusagen feuervergoldet. Jeder Zweifel verwandelte sich unter seinen Blicken in die kostbarste Gewißheit, zeugte doch die Strenge und Grausamkeit der Alten von dem unfehlbar mächtigen Schatze, auf welchem sie als ein hütender Drache saß. Wohl oder übel mußte ihm denn auch die Dame de Alamor glauben, welche mit Tränen der Rührung und Zärtlichkeit der angstvoll wartenden Danitza entgegenkam, sie in ihre Arme schloß, auf beide Wangen küßte, dann einen Augenblick prüfend vor sich hielt, indem sie die Hände auf die Schultern des jungen Mädchens legte und Egon mit mütterlichem Stolze zunickte: »Mein Sohn hat keinen schlechten Geschmack, das darf ich schon sagen.« Danitza lächelte unter Tränen vergnügt und wieder aufgerichtet und alle drei gingen zuversichtlich dem Orte des Schreckens zu. 58 Taktvoll rechtfertigte Mama de Alamor das Benehmen der Serbenmutter mit der notwendigen Vorsicht und Sorgfalt, die über jedem Schritte eines heiratsfähigen und so hübschen Fräuleins wachen müsse; sei doch leider ein unerfahrenes Geschöpf inmitten der Großstadt der lauernden Lüsternheit, Genußsucht und verantwortungslosen Mitgiftjägerei der Männerwelt bösen Gefahren ausgesetzt. Anderseits sei freilich ihr Egon wieder eines besseren Vertrauens würdig und bei einiger Menschenkenntnis könnte man wohl von seinem lieben Gesichte ablesen, daß er nicht fähig sei, ein Mädchen zu kränken. Darüber wolle sie denn die Dame Bozdarevich genügend aufklären.

Unter diesen Gesprächen waren sie ans Ziel gekommen, Mama de Alamor betrat furchtlos den Garten durch das bekannte Gitterpförtchen, während die Kinder draußen den Ausgang der Unterredung abwarten sollten.

Die Verhandlungen wurden recht wie zwischen zwei mißtrauischen, selbstbewußten und auf ihre Stellung pochenden Mächten geführt. Die alte Serbin, überrascht und erstaunt durch das unerwartete Erscheinen eines solchen neuen Feindes, sah sich gegenüber dem schmeichelnd freundlichen, aber bestimmten Auftreten der 59 Vorstandsadjunktenswitwe immerhin zu einer gewissen Höflichkeit genötigt, die sie aber mürrisch und wortkarg auf das Nötigste beschränkte. Schwerfällig wahrte sie in ihrem Hause und Machtkreise eine verbissen zuwartende Haltung, während die andere, zum Angriff mit ihren diplomatischen Finten gezwungen, durch ihr Wesen selbst alles Mißtrauen zu entkräften suchte, das ihrem Sohne angetan worden.

So maßen die beiden Weiber eine Stunde lang ihre Kräfte, scheinbar gelassen, in Wahrheit mit Haß und Verachtung geladen. Die Serbin verabscheute diese angebliche Dame von Welt, deren Vorzüge sie nicht glaubte und hinter deren elegantem Auftreten sie allen Schwindel einer standesmäßigen Lüge witterte. Hinwiederum konnte die Vorstandsadjunktenswitwe das üppig dasitzende, grob aufprotzende Weib auch nicht anders, als mit Verachtung anschauen, denn was bedeutet Geld ohne Gesittung, Vermögen ohne feineres Benehmen und noch dazu, wenn es sich nicht offen auf den Tisch zählt und nach Rechtstiteln, Rentenpapieren und barer Münze dartut!

Die Serbin sprach wenig, erstens, weil sie der Rede nicht eben mächtig, zweitens aber, weil sie ja aufgesucht worden war, um gebeten zu 60 werden; die de Alamor aber redete viel und mit Geläufigkeit, weil sie ein gewandtes Mundstück hatte und infolge ihrer schwierigen Position auf eilige und täuschende Beweisgründe bedacht sein mußte. So schwirrten diese wie behende Reiterschwärme um die unbewegliche Hauptmacht des Gegners.

Welch ein Sohn war ihr Egon, wie schön, wohlgeraten und tugendhaft, welch einer Familie gehörte er an und wie ehrte er die Ehre dieser Abstammung! Sie gab einen kurzen Abriß der Geschichte ihres eigenen und des Lebens ihres seligen Gemahls, sie wiederholte, doch ohne die sonstigen Mollakkorde, jenes erhebende Lied, das angeblich an ihrer Wiege schon erklungen, verstärkt durch einen bedeutenden Abgesang von dem Ansehen ihres Gemahls, der, von seiner Verwaltung mit den schwierigsten Geschäften betraut, einer ehrenvollen Laufbahn allzufrüh durch den Tod entrissen worden. Wie stünden aber trotzdem sie und ihre Kinder da! Wer könnte ihnen auch nur, was schwarz unter einen Fingernagel gehe, Übles nachsagen! Freilich, Beamten seien keine Schweinezüchter, die Gold erhandelten, bemerkte sie spitz, was aber die Serbin gar nicht zu verstehen schien, doch seien es Männer von 61 Ehre, die den Reichtum eines guten Namens und die Vorzüge der Bildung sammelten. Man möge daraufhin nur ihren Egon betrachten, welche Gaben er besitze und gleichsam verschwende wie ein reicher Erbe, nur mit dem Unterschiede, daß er hierin nie und nimmer verarmen könne. Er male und zeichne wie ein Meister, so daß er sich nur diesem Talent hinzugeben brauchte, um Geld und Glück zu gewinnen. Aber der lockere Beruf eines Künstlers sei ihm mit seinem ererbten Pflichtgefühl und strengen Gewissen unvereinbar erschienen, weshalb er lieber in die Fußtapfen des Vaters getreten sei. Er sehe eine glänzende Laufbahn vor sich. »Als Diurnist?« fragte die Serbin und blinzelte verdächtig. – »Aber meine Beste, was bedeutet das für seine zwanzig Jahre? Man kann ihn doch nicht gleich zum Direktor machen, er muß sich eben in seinem Berufe ausbilden, verschiedene Amtszweige kennen lernen, bevor man ihm eine leitende Stellung verleiht.« Jeder Mensch wisse doch, daß in der Beamtenwelt alles eine Frage der Zeit sei. Binnen Kürze werde Egon seine zwei Fachprüfungen hinter sich und den glatten Weg der schönsten Karriere geebnet sehen. »Aber Prüfungen muß man bestehen, und wenn man nicht besteht? . . .«

62 Gewiß, es gebe Unglücksfälle und gerade bei den Begabtesten. Aber selbst in solcher Lage schätze doch jeder Erfahrene genau ein, was es bedeute, als Sohn eines erprobten Beamten demselben Bureau anzugehören, wie der Vater, und was die wirksame Protektion vermöge. Wie glänzende Perlen an einer Schnur zählte Frau de Alamor nun die Namen derer auf, die im Reiche der Würden etwas galten, und die sowohl den verewigten Gemahl, als sie, dessen Witwe, und Egon, dessen Erstgeborenen, liebten, schätzten und zu fördern bereit waren. Vor den Ohren der Serbin erklangen alle guten Namensheiligen des Amtskalenders von den obersten Rangklassen, unter Anrufung sämtlicher Orden und Titel, ob sie nun wahr oder mit der geistesgegenwärtigen Ehrung des Augenblicks verliehen waren. Ihr Sohn brauchte in der Tat nicht um irgendwen zu betteln. Er würde Mütter und Väter genug finden, die ihm mit Vergnügen ihre Töchter und unter allen gewünschten Bedingungen überließen. Hatte man sich ihr doch bereits – sie gestehe es im Vertrauen – mit mancherlei verlockenden Anerbietungen genähert, welche sie indes immer mit Entrüstung zurückgewiesen, denn ein de Alamor verkaufe sich nicht, und sie sei die letzte, die 63 Freiheit ihres teuren Kindes in seiner Liebeswahl einzuschränken. »Ist er ein Narr und will er sich wegen einer Leidenschaft aufopfern, so kann ich ihn als Mutter zwar bedauern, aber nicht hindern, des Menschen Wille ist sein Himmelreich« – »Meine Danitza ist auch wer, sie braucht kein Opfer, eher ist sie ein Opfer, fürchte ich,« schoß die Serbin zurück. Die andere wieder begann Schalmeien anzustimmen, daß ja die Vorzüge der jungen Angebeteten alle Tollheit ihres Sohnes begreiflich machten, aber doch dessen eigene Tugenden keineswegs verfinstern dürften.

So wogte des Kampfgespräch unentschieden auf und nieder, sprang bei dem angeborenen Mangel des Weiberdenkens an Folgerichtigkeit vom Hundertsten ins Tausendste, wurde persönlich gehässig und wieder persönlich mild, klaubte hier ein Wort heraus, das es absichtlich mißverstand und schlimm auslegte, um dort eine Bemerkung fallen zu lassen, die wieder als Stein aufgegriffen und zurückgeschleudert wurde. Jedes der beiden alten Frauenzimmer rang mit seinen angeborenen Kräften der Tücke, Feigheit, Angst und insgeheim mit dem leisen Vergnügen der Kuppelei, rang mit einem ebenbürtigen, gleich dummen und schlauen Gegner, fühlte sich in allen Schlupfwinkeln 64 aufgestört, beobachtet, angegriffen und wehrte sich mit Worten und Blicken seiner Haut, erfuhr in dieser Stunde so viel Bewegung und Gefahr, wie sonst in Jahren nicht, empfand bei allem Verdruß ein gewisses Wohlgefühl, einen Taumel von Kampflust und war schließlich durch und durch zerwalkt und ermüdet bis zum Überdruß. So saßen endlich die beiden, hochrot, außer Atem einander gegenüber, nachdem ihnen alle Worte ausgegangen waren, die Serbenmutter mit der Haube, aus welcher das graue Haar zerzaust hervordrohte, mit bösen Augen und geballten Fäusten, deren stolze Fingerringe grimmig leuchteten, die Dame Alamor in ihrem Hute, der nach dem vielen Schütteln, Zurückwerfen und vornehmen Neigen des Kopfes schief saß und ihrem Gesichte etwas Trunkenes gab, wie auch ihre Reden sie selbst berauscht hatten. Ermüdet entnahm sie ihrem Réticule ein parfümiertes Taschentuch, einen kleinen Ebenholzfächer, ein Fläschchen mit Riechsalz und ein silbernes Taschenspiegelchen, in welchem sie sorgfältig Augen, Mund und Stirnfalten besah, während sie mit dem Tüchlein die Spuren des reichlich gebrauchten Puders zurechtwischte. Dann fächelte sie sich, denn von oben brannte die Julisonne und vermehrte die Hitze der denkwürdigen 65 Handlung beträchtlich. Zuletzt öffnete sie mit ihren langen Fingern, die in schimmernde, zugespitzte Nägel endeten, die Kapsel des Flakons und stärkte sich an dem Geruch des englischen Salzes. Bei diesem Tun glich sie einer Katze, welche sich säubert und nach einem zausigen Abenteuer instand setzt. Damit hatte sie wieder ihre Ruhe gewonnen und bot nun mit zuvorkommender Gebärde der Gegnerin das Duftfläschchen. Diese wies es verächtlich zurück und holte ihrerseits aus einer Tasche des bauschigen Morgenrockes eine hörnene Dose hervor, aus welcher sie der Nase eine kleine Prise zuführte. Dann dauerte das Schweigen einen Augenblick fort. Aber die Mama de Alamor bekam mit der ihr eigenen größeren Lebens- und Wortgewandtheit zuerst die Sprache wieder und damit die Oberhand. Sie vereinigte nun in ihrer Rede das draußen harrende Pärlein, sie kopulierte ebenso kühn wie liebevoll die beiderseitigen Schönheiten, Tugenden und Verheißungen und bat in den rührendsten Tönen um Gnade oder vielmehr um Recht für so viel Jugend und Zärtlichkeit. Wer könne so grausam nein sagen, wo die Natur selbst so gütig ja gesagt. Dabei traten ihr Tränen ins Auge, und als sie in solchem Trauerschmuck triumphierend die Serbin ansah, konnte sich diese 66 natürlich auch hierin nichts nachsagen lassen und heulte auf, faßte sich aber schnell, und es wurde ein Friede auf der Grundlage des Status quo abgeschlossen, das heißt, das gegenwärtige Verhältnis wurde stillschweigend bis auf jederzeit zulässigen Widerruf anerkannt, ohne als ausdrückliche Verlobung gelten zu dürfen, welche erst dann die mütterliche Zustimmung gewärtigen möge, wenn der Herr Egon als definitiver, vollberechtigter Beamter sich ausweise.

Mehr konnte ja Mama de Alamor nicht verlangen, begab sich, über den Erfolg ihres Dazwischentretens hocherfreut, vor den Garten und rief das Paar herbei. Danitza stürzte in die Arme der Serbenmutter, welche mit ihrer groben Zärtlichkeit belferte: »Du Schamlose du, soll man dich in Ketten legen, wie eine Läufige!« Egon verbeugte sich vor der Alten und erwischte ihre Rechte, der er einen Handkuß überhauchte. »Nun ja, schon gut. Werden ja sehen, ob Sie ein Lump sind oder Beamter.« Mama de Alamor streichelte tröstend die Schultern ihres Egon und schließlich tauschten er und Danitza einen langen Blick. 67


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