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Onkel Fritz hatte denn die Gewogenheit, unser Haus, seitdem die Stützen darin ihr Wesen trieben, nur noch den Jungfernzwinger zu nennen, als wenn ich Verdruß von Auswärts zu beziehen nöthig hätte.
O nein, ich konnte ganz gut abgeben und hatte noch reichlich, um verschiedene Gebirge damit auszustopfen, so himmelhoch lieferten sie ihn. Namentlich die Idiß.
War es außerdem Manier von Onkel Fritz, daß er meinem Karl ein Flacon Haarfärbeextrakt dedizirte, um nicht vor der Zeit grau zu werden? Und dabei war es schon verdorben. Höchstens hatte er eine Kleinigkeit für die Flasche gegeben. was sollen solche nutzlosen Scherze?
Und war es schließlich richtig von ihm, daß er Idiß mit den ungehauensten und ungestochensten Komplimenten überhäufte, wenn er bei uns kam? Das Gute und Befolgungswerthe, was ich ihr etliche Tage hindurch eingeprumpst hatte, war wie aus einer alleinstehenden Zuckerdose verschwunden, sobald Onkel Fritz uns die Ehre zum Skat gegeben hatte.
»Fritz,« sagte ich, »was soll das? Du machst sie ganz unklug, wie kannst Du sie blos fragen, ob sie auch wüßte, wie schön sie sei?« – »Ich kann nicht anders, Wilhelm. wenn die nicht zum Aufziehen geschaffen ist, wer dann?« – »Keine Mutter wünscht, daß man ihr Kind bespöttelt, Fritz.« – »Dann muß die geehrte Mutter ihre geehrte Tochter auch anders abrichten.« – »Fritz, ich finde es sehr arrogant, daß Du als Junggeselle über Mütter urtheilen willst.« – »Erlaube, ich bin verheirathet, ich habe die Papiere nur gerade nicht bei mir.« – »Ehr der Junggeselle sich aus Dir verzieht, können Aeonen vergehen.« – »Anlagen zum Philister habe ich nie gehabt; wie Dein Karl ...« – »Was unterstehst Du Dich, über meinen Mann zu sagen?« – »Hör' doch erst die Sätze aus und dann schlag den Feuertelegraphen noch lange nicht ein. Ich wollte sagen, wie Dein Karl: so musterhaft werd' ich im Leben nicht, selbst wenn ich mich noch einmal konfirmiren ließe.« – »Dir hilft die sauberste Einsegnung nichts, deshalb bleibst Du doch so lange aus, daß man es schon mehr heidnisch nennen kann.« – »Wann die Heiden nach Hause wanken, das weiß ich nicht, ich glaube jedoch kaum, daß sie schon hinter die Vortheile der Polizeistunde gekommen sind. Uebrigens, wenn ich einmal einen Abend mit der dazu gehörenden Nacht für mich verbrauche, so geht das nur meine Frau an.« – »Schöne Treue, wenn der Mann ausschweift und die Frau badet sich zu Hause in ihren Thränen.« – »Was thut sie in ihren Thränen?« – »Sie badet sich darin.« – »Das muß ihr riesigen Spaß machen. Kann man das nicht mal sehen?« – »Fritz, wenn Du Deine Frau liebtest, wie es sich vor Gott und Menschen geziemt, würdest Du ihr nicht den Kummer anthun und wie neulich, als ich bei ihr zu Besuch war, durch den Hausknecht des Lokals sagen lassen, Du kämest später. Als ich fragte, was Du unter ›später‹ verständest, da war sie schon gegangen, um nachzusehen, ob Du den Hausschlüssel vielleicht vergessen hättest?« – »Habe ich nicht eine Perle von Frau?« rief er vergnügt und die Augen leuchteten ihm ordentlich. – »Viel zu gut für Dich.« – »Du hast ihr wohl ein Quantum Insektenpulver ins Ohr gesetzt?« – »Ich fühlte stumm mit ihr. Das Einzigste, was ich sagte, war: mein Mann ist nicht für das Wirthshaus.«
»Sollt er man nicht ... Dein Engels-Karl.« – »So?« – »Der kommt sich. Er geht nicht mehr andächtig an den Bierkirchen vorbei und findet Gefallen an einer Partie Billard.«
»Mein Karl hat seit einiger Zeit fast jeden Abend in seinem Bezirksverein zu thun und wegen der Wahlen muß er öfter aus sein, als ihm lieb ist ... was hast Du zu lachen, Fritz? Mein Mann verrichtet seine politischen Pflichten ebensogut wie Du ...« – »Wenn er so beibleibt, wird er noch mal Stadtverordneter.« – »Also wo spielt er?« – »Nach den Sitzungen wird er doch wohl ein Bällecken machen dürfen? Um das Billard herumlaufen ist eine gesunde Bewegung, die bringt die Beine wieder mit dem Kopf ins Gleichgewicht, nach der geistigen Ueberanstrengung mein' ich nämlich.« – »Fritz Du ulkst.« – »Möglich,« sagte er und ward ganz ernst. – »Was nun?« fragte ich.
Er nahm sich ruhig eine frische Zigarre, schnitt sorgfältig das Waisenkinderdeputat ab, zündete sie langsam an und sagte dann: »Ich hätte Dir mehr Verständnis für inländische Sprachen zugetraut.« – »Was soll das heißen? Was verstehst Du unter inländischen Sprachen?« – »Solche, die der Mensch begreift, wenn er den Tag vorher die Treppe nicht heruntergefallen ist. Wozu hab' ich Euch denn den Haarbalsam geschickt?« – »Der taugte nichts.« – »Wäre auch schade gewesen, wenn er.« – »Aha, es sollte wohl ein Salem sein oder Blumenorakel?« – »Selam, heißt es, Wilhelm oder da riech dran.« – »Ob Selam oder Salem das ist vorne so hoch wie hinten. Also mein Mann sollte dran riechen?« – »Nein Du. Ich wollte Dir nur zu verstehen geben, daß Du mit Deiner Stützenzucht Deinen Mann vor der Zeit zum Eisgreis beförderst und mein Schwager mir aufrichtig leid thut. Wäre mit Dir anders als auf Umwegen zu verkehren, ich hätte Dir längst gerathen: schmeiß die beiden Herzenlena's zum Tempel hinaus, es sind ja doch nicht Deine Cousinen.«
»Wenn Du glaubst, Du säßest hier im Reichstag und könntest grob werden, da irrst Du Dich um mehrere Zentimeter, ich für mein Theil bitte mir Lebensart aus, allein schon des Beispiels wegen, was sollen Frieda und Idiß von mir denken, wenn sie erführen, ich hätte Wörter gesagt bekommen, wie sie im Vogtland nicht mehr Sitte sind? O nein, mein Junge, noch bist Du nicht gewählt, also betrage Dich halb so gemischt.«
»Denn nicht Wilhelmine. Es war nur ein Vorschlag zur Güte. Du kannst ja auch Deinen Mann vor die Hausthüre gewöhnen ...«
»Hat er Dich als seinen Justizrath beauftragt?«
»Kennst Du ihn so wenig? Nein, er beschwert sich von selbst nicht, aber ich habe eben so viel Mitgefühl mit ihm, wie Du mit meiner Frau. Wilhelmine in allem Ernst: mache Deinem Mann das Haus wieder angenehm, es wird Zeit.«
»Kann ich auf die jungen Mädchen einwirken, wenn Du der Idiß gewissermaßen den Hof schneidest.«
»Nur um Dich aufmerksam darauf zu machen, wie sehr Fräulein Schulz für baare Münze nimmt, was Herren ihr vorliebeln, willst Du denn nicht sehen, wie sie kokettirt? – »Das Kind!« – »Auf das Kind gieb ja gut acht, das glaubt längst nicht mehr an den Storch.« – »Deinerseitige Einbildung.« – »Findest Du einmal einen undeklarirten Bräutigam bei ihr und sie bindet Dir auf, es sei eine Drehmangel, die Jemand verloren hat, soll es mich nicht wundern.«
»Wo nicht gar!«
»Wenn Du beim Skat nicht immer in die Karten sehen wolltest ...« – »Das ist unbewiesene Verläumdung.« – »In Dein eigenes Blatt meine ich, sondern auch manchmal drüber hinweg, zum Beispiel nach dem Nebentisch, wo Herr Kleines mit ihr Patschhand spielt ...« – »Ja, kieckst Du aus die Luke; da ändert sich die Melodie. Dem werd ich schon Bescheid stoßen, der soll erfahren: wie's fällt, so bullert's.«
»Das war schön gesagt und noch viel schöner gedacht, wann haben wir den nächsten Geselligkeitsabend in Deinem Pensionat?«
»Wie üblich jeden Freitag, was Du mir da gestochen hast, merke ich mir.«
»Lebe wohl, Minchen, und bessere Dich.«
Konnte ich anders als die Idiß in zulässigsten Schutz nehmen? Durfte ich sie Onkel Fritz überantworten, daß er weitere Anhälte gefunden hätte, mir Vorwürfe zu machen? Ahnte ich nicht schon selber, daß mein Karl oft in den Verein ging, weil es ihm zu Hause Abends nicht gefiel?
Wandel geschafft mußte werden. Aber wie? Hätte die Schulzen mich nicht mit meiner eigenen Eitelkeit angeäthert, würde ich die Idiß nie genommen haben. Nun war es schwierig sie zu schassen. Mit Frieda lag es anders. Sie entwickelt sich, aber langsam, von einem Vater unbeaufsichtigt, weil er in den Stricken einer Person lag, die er der Heranwachsenden Tochter nicht nähern durfte, wo sollen da die Manieren herkommen, die sich in einer regulären Familie von selbst verstehen? Blos alleine, bei Tisch in den ersten Tagen förmlich bis an die Ellbogen ins Gemüse gefahren, für Dreie genommen und es mit dem Messer in den Mund geschaufelt, was Meinen von frühester Jugend an verboten wurde und ihnen so widrig ist, daß sie es bei Anderen nicht mal sehen können. Man kann freilich sagen, jeder ißt, wie's ihm am besten schmeckt. – Wenn er weiter keine Ansprüche macht ... warum nicht? Meinethalben kann er auch noch die Finger bis aus die Knochen ablecken, aber er soll hinterher nicht verlangen, daß man ihn für wohlerzogen hält und aus gebildeten Kreisen.
Ich kannte ein junges Mädchen, das sehr hübsch war und worin sich ein fabelhaft steinreicher Fremdländer, und Graf dazu, verliebt hatte. Als er sie jedoch das erste Mal essen sieht und sie es recht elegant machen will, sich ein Stück Fleisch, etwas Kartöffelchen und Sößchen mit der Gabel ganz zierlich auf das Messer packt und schwunghaft mit in den Mund hineinfährt, da fährt mein Goldprinz auch ab. Sie hat nachher noch einen Mann glücklich gemacht, aber es war kein reicher Fremder, sondern einer aus Moabit und ein Graf war er auch nicht, sondern ein Torfschiffer, dem es ganz egal war, ob sie das Messer nahm oder die Gabel, und wie sie ihm vorschlug: »wir wollen gleich aus dem Topp essen, Theodor,« war er es auch zufrieden.
Mitunter benimmt Frieda sich mit beschleunigtem Eifer, zumal seit sie mit Betti befreundeter ist. Trotzdem mußte ich ihr sagen: »Frieda, Eile darf man im Hausstand gar nicht spüren, es geht auch auf das Rascheste mit einer geräuschlosen Geschwindigkeit, so zu sagen hingehaucht wie auf Hasenpfoten. Und was Sie an sich haben, das ist wohl eine Art von Elfentritt, aber mehr als wenn Elfe auf einmal zutreten. Sie trampsen entsetzlich, Frieda.«
Dann wird natürlich wieder aufbegehrt und geschmollt, aber bittere Wahrheiten thun einmal nicht sachte. Wem in der Jugend die ihm von Gott zur Erziehung verliehenen Flächen vernachlässigt worden sind, den stößt nachher das Leben zurecht, das klopft die Kleider aus, wenn Leute sie anhaben, kein Bitten und Beten hilft, es schlägt zu und wer weinen will, wird ausgelacht, weil das Mitleid auf offenem Markte keinen Standort hat, wohl aber die Schadenfreude.
Die Idiß hingegen nascht.
Mit den Kaffeebohnen hat Betti ihr den Beweis geliefert, und seitdem Frieda ihn Morgens macht und Ida Nachmittags unter Kontrolle, ist er wieder gut wie immer.
Das Eingemachte haben wir einschließen müssen, nur einen Topf Besingemus ließen wir draußen und richtig war sie bei gewesen; das verriethen die Lippen und die Nagelränder. »Ida,« sagte ich, »überall mit den Fingern drin ist unappetitlich für die es essen sollen. Sie sind doch nicht großgehungert bei Ihren Eltern, daß Sie es jetzt nachholen müssen. Sie kommen in Essen und Trinken nicht zu kurz, das verborgene Kauen und Schlucken in der Zwischenzeit ist ungesund, wovon haben Sie sonst die fortwährende Grieben an der Lippe?«
Na, die blauen Zähne und Tatzen konnte sie uns nicht als Irrthum aufoktroiren; diese Farbe ist dank der Naturforschung eine ziemlich dauerhafte. Auch Frieda sagte, als Ida ertappt dastand: »Ich an Ihrer Stelle würde mich schämen.« – »wenn's noch Vanillekreme gewesen wäre,« fügte Betti hinzu.
Nun ist meinem Karl nichts aversiöser als Blasen auf den Lippen, ihm wird überhaupt schlimm vor Ausschlag und Grindern, so daß ich Ida schon mehrere Male ersuchen mußte, auf ihrem Zimmer zu essen und ihr Friedrichshaller anrieth. Sie zog es jedoch vor, das schöne theure Wasser stehen zu lassen und statt alleine, in der Küche mit der Doris zu speisen, obgleich ich durchaus nicht für Freundschaftsschlüsse zwischen Stützen und Dienstmädchen bin, denn wer darunter leidet, das ist die Herrschaft, und was die Eine entzwei macht, das bringt die Andere unter der Schürze nach der Müllkiste und wird zu vulgär mit ihr.
Ich will hoffen, daß ich mich verhörte, denn der Schall trügt, aber ich vermuthe sehr stark, daß Ida und Doris mich »die Olle« titulirten, als zwischen ihnen und hinter meinem Rücken noch gar nicht mal große Entfernung lag. Vernehme ich dieselbe Geringschätzung wieder, dann geb ich es ihnen, wie es schon nicht mehr schön ist, denn für »Olle« passiren, hab ich noch nicht kontraktlich. Es raucht aber in der Küche, wenn ich mir zu schaffen machen will, und so kann ich sie aus Hustengründen schlecht belauern.
Vor allen Dingen mußte gegen die Blasen medizinisch eingeschritten werden und hierzu hat man einen Schwiegersohn in der Familie. Der Doktor trat prompt auf meine Sechserkarte an und fragte lächelnd: »Wo fehlt es liebe Schwiegermutter? Will es mit dem Wind nicht mehr?« – »Nein, den Gefallen thu ich Ihnen nicht; ich hoffe noch manches Jährchen oberhalb der Erde zu bleiben.« – »Das versteht sich. Wo sitzt es denn? Im Magen? Ein wenig übernommen?« – »Sie halten mich doch nicht für eine leerleibige Stütze, die auf Alles Ungenießbare geht? Nein, lieber Schwiegersohn, ich bin bis auf die zeitweilige Luftknappheit munter, diesmal handelt es sich nur um Fräulein Schulz. Sie hat nämlich Blasen auf den Lippen.« – »Und deshalb narren Sie mich nach der Landsbergerstraße hinaus,« ward er ungehalten. – »Es ist ja nur äußerlich,« suchte ich ihn zu besänftigen, aber er gleich heftig: »Rücksichtslos ist es gegen mich, gegen meine übrigen schweren Patienten. Es fehlte nur noch, daß Sie mich mitten in der Nacht herausklopften. Ihnen hätte ich wahrhaftig mehr Vernunft zugetraut. Schicken Sie mir die Jungfrau in die Sprechstunde. Ist es denn schlimm?«
»Wenns eben weg scheint, kommt's gleich wieder.«
»Sie soll Ichthyol darauf pinseln.«
»Schreiben Sie's auf. Da Sie doch einmal hier sind, können Sie ja gleich mal nachsehen.«
Er examinirte Ida nun, verbot ihr stark Gewürztes, schwer verdauliches (wie zum Beispiel Kaffeebohnen, fügte ich ein), namentlich alten Käse, und blieb bei seiner Verordnung, die sich auch später sehr erfolgreich bewährte. Als Ida entlassen war, fragte er: »Soll ich Ihnen diese Visite auf Rechnung setzen oder dem Fräulein?«
»Solchen kleinen Rath wollen Sie noch lange anschreiben? Ich dachte, das thäten sie so.«
»Ich schenke nur den Armen. Bevor ich guten Rath zu ertheilen im Stande war, habe ich eine Stange Goldes verstudiren müssen, von ›umsonst‹ wollen wir daher nicht reden. »Also für Fräulein Schulz ...«
»Eigentlich wohl nicht, denn ich war es, die um Ihren Besuch schrieb ...«
»Also für meine theure Schwiegermutter.«
»Das heißt, Ida kann mir doch unmöglich ansinnen sein, daß ich Doktor und Apotheke bezahle, wenn sie sich verkalkt?«
»Es kommt darauf an, wie Fräulein Schulz denkt. Gewöhnlich behelligt man den Arzt nicht mit solchen Bagetellen, sondern wartet ruhig ab, bis sie verschwinden.«
»Aber mein Karl mag sie nicht sehen.«
»Schreiben wir also dem Schwiegervater die Konsultation an.«
»Doktor, wo Sie wissen, daß er mit mir an zu nörgeln fängt!«
»Glauben Sie denn, daß ich den Schaden trage?
»Doktor, Sie sind ein Egoist!«
»Das ist nur äußerlich. – Leben Sie herzlich wohl. Mamachen.«
»Wozu nimmt man einen Arzt zum Schwiegersohn, wenn er so wenig Vortheil gewährt!« dachte ich. Laut lud ich ihn zum Freitag ein: »Sie verabsäumen den Skatabend doch nicht?«
Er sagte zu und ich hatte die Gewißheit, ihm doppelt so viel abzunehmen, als er anschreiben kann; ich setze mich auf den Gewinnplatz rechts, mit dem Rücken gegen das Bücherspinde; auf derselben Stelle hat er letzt erst einen so furchtbaren Torkel gehabt, daß er noch vor den letzten drei Runden kalte Füße kriegte. Er will immer einheimsen, wer mag ihm das verdenken, denn in Geldsachen kann man nie glücklich genug sein?
Emmi bestärkt ihn darin, weil Er seinen Profit in ihre Sparbüchse sticht, die sie für diesen Zweck auf den Nachttisch stellt, um ihn vor Vergesserlichkeit zu bewahren. Hat er verloren, klappt er blos mit der flachen Hand daraus, als käme etwas hinein, aber sie zählt am andern Tage nach und sagt: »Mogeln gilt nicht, Männe.« Dann muß er in die Tasche langen und einen kleinen Ueberschuß leisten, den sie nachher für die Zwillinge auf der Sparbank anlegt.
Das sind so kleine häusliche Freuden. Viel Poesie ist am Ende nicht darin aber sie kosten auch nicht viel. Ging es bei uns etwa anders zu, als mein Karl und ich jünger waren? viel nicht, der einzige Unterschied liegt darin, daß man das Skatspiel noch nicht kannte.
Allerdings war zumal mir in jener Zeit der Skat noch eine mit sieben Petschaften versiegelte Flasche; es gab so viel Kurzweil, daß der Tag schier ein Dutzend Stunden zu wenig hatte, so fluschte es damals. Jetzt aber, da ich nippelte, und wieder nippelte und noch einigemale nippelte bin ich in Geschmack gekommen und kann nur sagen, es ist verführerischer als der Uneingeweihte eine Idee hat.
Daß wir oft spielten, hatte seinen Grund in dem vermehrten Zuhausebleiben, denn wenn Felix nicht auf Reisen war, besuchte er seine Braut und es ward nicht ausgegangen. Hatte mein Karl einen auswärtigen Abend, dann hütete ich mit ihnen ein und riß mich die Nothwendigkeit aus den vier Pfählen, dann bildete mein Karl die Anstandsdame. In dieser Alleinigkeit gestaltete das Buch der Wenzel sich zu einem Trostbuche, da doch die beglückendste Unterhaltung zwischen Brautleuten dasselbe ist, als wenn ein Anderer durch ein Fernrohr sieht und man selbst daneben steht.
Die Partie war leicht vollzählig, wir schickten, wenn Noth am Mann war, zu Onkel Fritz, der mit Erika kam, oder zu Herrn Pfeiffer oder Herrn Kleines, auch Herr Dr. Paber war so gütig, oder Felix brachte einen neuen Bekannten mit. Zuweilen schenkte uns auch der Herr Polizeileutnant die Ehre und dann setzte mein Karl ihm Johannitergarten vor. Gewöhnlich gab es Bier oder für Herrn Dr. Paber von dem leichten Mußbacher Tischwein, den er gerne trinkt und dessen Bekömmlichkeit er als Arzt und Weinkenner erprobt hat. Ich meinerseits habe Thee schätzen gelernt, aber er muß erster Klasse sein, sonst ist er für Wilhelmine umsonst aufgebrüht.
Nun aber gerieth durch die Stützen ein Sprung in die bisherige Harmonie der Seelen. Karl schenkte dem Bezirksverein öfter Gehör, als seine Gattenpflichten ihm eigentlich gestatteten, Erika lehnte meistens ab und Onkel Fritz lehnte mit, und die jungen Leute, Herr Kleines und Herr Pfeiffer galten allerdings als brauchbares Füllsel, jedoch an das Alleineingeladenwerden hatte ich sie nicht gewöhnt. Um mein bischen Uebung nicht total zu verlernen, sah ich mich gezwungen, einen Skatjourfixabend zu arrangiren und zwar des Doktors wegen am Freitag.
Sie kamen dann auch gerne, Betti übernahm den restaurativen Theil und wenn abgegessen war, beschäftigten sich die Damen und Ueberzähligen mit einem gemeinschaftlichen Spiel an dem großen Tische.
So war es auch an diesem Abend. Die Stützen, Emmi, Betti, Erika, Felix und Herr Kleines hatten sich zu einem billigen Vingtun zusammengethan. Mein Karl, ich, der Doktor und Onkel Fritz ließen die Wenzel kreisen.
Die Wage des Gewinnes schwankte sehr unregelmäßig, der Doktor machte ein Spiel nach dem andern. – »Du hast wohl einen Erpel zu Hause,« fragte Onkel Fritz ihn. – »Das sind in sechs Wochen die ersten Karten,« antwortete er, »gönnst Du mir den kleinen Schellen nicht? Kostet zehn.« – »Ich gönne Ihnen die guten Spiele,« sagte ich. – »Sehr freundlich, liebe Schwiegermama.« – »Wer Anfangs Dusel hat, verliert nachher,« setzte ich hinzu. – »Spielen wir oder unterhalten wir uns?« murrte mein Karl, der noch gar nicht auf's Brett gekommen war. »Wer hat die Vorhand?« – »Du, mein Karl.« – »Grün sticht.« – »Erlauben Sie,« sagte der Doktor, »ich bin vorn ... Grand.« – »Das kommt von der Rederei,« schalt mein Mann. – »So!« fuhr der Doktor fort, »erst mal Leute sprechen ..., wo sind die Mätzchen?« und spielte den Aeltesten aus. Da er den zweiten auch hatte, zog er meinem Manne die jüngsten ab und die schöne fette Grünflöte dazu. – »Nichts gegen zu machen,« sagte Fritz. – »Hinter dem Berge wohnt auch noch Jemand,« entgegnete ich und bekam einen Stich auf meine Eckern Zehn. Der Doktor hatte aber schon genug und triumphirte: »Schneider.« – »Wenn ich die Zehn nicht gehalten hätte, wären wir noch schneiderer,« dämpfte ich ihn.
Weil ich mich auf den vermeintlichen Gewinnplatz gesetzt hatte, ward mir das Ueberwachen des großen Tisches schwer, an dem es heiter genug herging, während ich ein Jammerblatt nach dem andern aufnahm, und wenn ich halbwege etwas hatte, ging ein Anderer drüber oder ich tournirte meine Fehlfarbe. Die Rämsche hätte ich nur alle freiwillig nehmen können, so sicher blühten sie mir.
»Nein,« sagte ich, »wie ein Frosch da sitzen und zusehen, wie Alle die Fäuste voll Wenzeln haben, das macht kein Vergnügen.« – »Der Spieler ist von Gott veracht', weil er nach fremdem Gelds tracht',« deklamirte Onkel Fritz. – »willst Du Dich nicht einmal von Herrn Kleines ablösen lassen?« – »Jetzt, wo ich einen Null habe? Denk' nich dran.« – »Gib' doch nur Acht, wie er und die Iris sich die Hände drücken,« wisperte Onkel Fritz mir leise zu.
Ein flüchtiger Blick kundschaftete die Wahrheit des Gesagten aus, die beiden spielten Patschhändchen unter dem Tisch. In demselben Moment war mir auch klar, warum Ida sich zu heut Abend so unmenschlich fein gemacht hatte.
»Wilhelmine, Du kommst auf uns zu gegangen.« – »Spiel ich aus?« – »Immer, wer fragt.« – »Wer fragt? – Nun Du.« – »Wenn Onkel Fritz gegeben hat, bist Du in der Vorhand.« – »Hat er denn eben gegeben?« – »Siehst Du denn nicht, daß er sitzt?« – »Ach ja. Was ist angesagt?« – »Sie offerirten ein kleines Nüllecken, verehrte Schwiegermama.« – »Ganz recht. Einen Augenblick Geduld.« – Eine solche Entdeckung seitwärts am großen Tisch und ein Null mit zwei so durchgenähten Sündern, wie mein Mann und der Doktor, spielen, das übersteigt fast den menschlichen Organismus. Die Brüder muß man nur blos kennen. Wie die Tiger lauern sie und wo sie nur was wissen, legen sie Einen herein. Aber wie paßte ich Acht, wie wich ich ihrem Glatteis aus. Ich gewann allerdings, aber keinem Hund gönne ich die Angst.
Jetzt, da das Glück sich wandte, mußte ich aufhören, denn Herr Kleines konnte ohne Aufsehen nur dadurch unschädlich gemacht werden, daß er in den Skat eintrat und ich mich am Vingtun betheiligte, das ich notabene hasse, weil es ohne Beschummeln nie abgeht, ja meistens reell bei betrogen wird.
Und was geschah? Er kriegte sofort ein Eckern-Solo mit Vieren, das von Rechtswegen in meinen Schoß zu fallen gehabt hätte, während ich mich neben Ida niederließ, die sich so lange nach ihrem Schockscharmanten umsah, bis ich sagte: »Renken Sie sich den Hals nicht aus, Fräulein Schulz, einen haben Sie nur zu verdrehen.«
Erika hatte in dem Banditenspiel am meisten verloren, da sie zu redlich war, Asse unter dem Tisch durchzuschieben und sich mit ihrem Nachbar zu geheimer Gründung zu verbinden. wie kann wohl einsame Ehrlichkeit sich gegen massenhaft Betrug wehren? Sie duldet. Oder sie lächelt noch gar zu ihrem vermeintlichen Unglück, wie es Erika that, und trägt es mit Sanftmuth in der festen Ueberzeugung, das sei Schicksal.
Herr Kleines gewann dermaßen, daß der Doktor ihn schon ausschalt. Nach einigen Touren wußte ich, daß Betti und Felix zusammen mogelten, sowie Emmi und Frieda; daß Herr Kleines und Ida in Kompagnie gearbeitet hatten, verstand sich am Rande.
»So,« sagte ich, »nun hat die Gegaunerei ein Ende. Die Gewinnste werden zurückbezahlt, mein Haus ist keine Spielhölle. Um Pfeffernüsse könnt Ihr so viel schwindeln wie Ihr wollt, aber nicht um Geld. Heraus damit.«
Was nun an das Licht kam, war sehr belehrend. Die allerdings recht verwickelte Begleichung ergab, daß Fräulein Schulz den ganzen Gewinn des Herrn Kleines eingeheimst hatte. – »Sind Sie schon bis zur Gütergemeinschaft gediehen?« fragte ich sie spitz.
»Ich hatte mein Portemonnaie im Ueberzieher vergessen,« rief Herr Kleines. »Fräulein Schulz war so liebenswürdig, meinen Part in Verwahrung zu nehmen. Roth sticht.« Und er die Karte auf den Tisch geschleudert wie ein Rammer.
Wir unterhielten uns hierauf über Dies und Das, Ida wurde eingeredet, daß sie müde sei und zu Bett müsse und auch die Herren hatten bald genug, denn Herr Kleines, der frech wie immer spielte, brandschatzte die Anderen derart aus, daß noch nie so viel bei uns an einem Abend verloren worden war.
»So spielt man in Venedig und den umliegenden Walddörfern,« lachte Herr Kleines, als er den Raub einstrich, der, genau besehen, doch eigentlich mir zukam. Aber er war nicht juristisch.
»Kleines,« sagte der Doktor, »Sie haben zu großes Glück im Spiel, Sie müssen Pech in der Liebe haben.« – »Wer weiß?« bemerkte ich anzüglich, und er kulörte sich wie ein Hummer.
Als Herr Kleines sich empfahl, nahm ich ihn einen Moment abseits. »Junger Mann,« drohte ich ihm zu, »bei mir dulde ich keinen leichtsinnigen Sport, weder mit Karten, noch mit Mädchenherzen. Wollen Sie die Adresse von Fräulein Schulz Eltern haben oder soll ich schreiben?«
»Wünschen Sie das arme Mädchen fürs ganze Leben unglücklich zu machen!?« fragte er unverfroren dagegen.
Mir sanken die Arme am Leibe herunter und er entschlüpfte.
»Na?« fragte Onkel Fritz. »Was hast Du ausgerichtet?«
»Nichts. Fritz, mit dem legt sich Keiner an. Der ist im Stande und geht in die Kirche und pfeift.