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Achtes Kapitel.
Großkampftag

Als sich der alte Herr Naseby zum Mittagessen niedersetzte, erkundigte er sich nach Dick, den er seit dem Abendessen des vorigen Tages nicht mehr gesehen hatte. Und da der Diener verlegen antwortete, daß Master Richard zurückgekommen, dann aber gleich wieder mit dem Pony-Phaeton fortgefahren wäre, erwachte Mr. Nasebys Argwohn, und er unterzog den Mann so lange einem Kreuzverhör, bis alles heraus war. Aus diesem Verhör ging hervor, daß Dick seit nahezu einem Monat mit einem Mädchen im Tale verkehrte – einer Miß van Tromp, daß dieses Mädchen dicht am oberen Walde Lord Trevanions wohnte; daß vor kurzem Miß van Tromps Papa nach langer Abwesenheit in fremden Erdteilen zurückgekehrt wäre; daß dieser Papa ein alter Gentleman sei, sehr geschwätzig und in Wirtshäusern äußerst freigiebig mit seinem Gelde – bei welcher Nachricht sich Mr. Nasebys Gesicht hochrot zu färben begann; daß ferner dieser Papa angeblich ein Admiral wäre – bei welcher Nachricht Mr. Naseby einen Pfiff ausstieß, kurz und zornig wie einen Fluch; daß Master Dick anscheinend sehr befreundet mit dem Papa wäre; »Gott steh ihm bei!« sagte Mr. Naseby; daß Master Dick vergangene Nacht nicht nach Hause gekommen und heute früh in dem Phaeton mit der jungen Dame fortgefahren wäre.

»Jungem Frauenzimmer«, verbesserte Mr. Naseby.

»Jawohl, Sir«, entgegnete der Diener, dem es von Anfang an unangenehm genug war, petzen zu müssen, und den die Wirkung seiner Aussage über den jungen Herrn völlig eingeschüchtert hatte. »Einem jungen Frauenzimmer, Sir.«

»Hatten sie Gepäck?« erkundigte sich der Gutsherr.

»Jawohl, Herr …«

Einen Augenblick saß Mr. Naseby schweigend da, bemüht, seiner Bewegung Herr zu werden, und er meisterte sie auch weit genug, um sich zu einer sarkastischen Stimmung zu zwingen, grade in dem Augenblicke, als er in der höchsten Gefahr war, vor Sorge fast zu vergehen.

»Und war dieser – dieser van Tromp bei ihnen?« fragte er, verächtlich den Namen dehnend.

Der Diener glaubte es nicht und deutete, eifrig bemüht, die Verantwortlichkeit des Gesprächs auf andere Schultern abzuwälzen, an, der Herr würde vielleicht besser tun, sich über alles Nähere bei dem Stallknecht George selbst zu erkundigen.

»Sage ihm, er soll den Braunen satteln und mich begleiten. Er kann den Grauschimmel nehmen. Wir wollen sofort ausreiten. Du kannst dies Zeug hier fortnehmen«, fuhr Mr. Naseby, auf das Essen deutend, fort, und stand auf, erhaben in seinem Zorn, und begab sich auf die Terrasse, um sein Pferd zu erwarten. Furchtsam näherte sich ihm dort Dicks alte Amme, denn die Neuigkeiten hatten sich rasch wie ein Waldbrand durch ganz Nasebyhaus verbreitet, und schüchtern sprach sie die Hoffnung aus, daß doch wohl nichts Schlimmes mit dem jungen Herrn passiert wäre.

»Ich werde ihn schon durchbekommen«, entgegnete der Gutsherr grimmig, als hätte er die Absicht, ihn durch eine Dreschmaschine zu ziehen. »Ich werde ihn schon aus den Händen dieser Bande retten. Dann mag ihm Gott weiterhelfen! Er hat einen Hang zu schlechter Gesellschaft, und keine natürliche Zuneigung gibt ihm Halt. Sein Vater war für ihn kein passender Gesellschafter; er mußte fortlaufen, um mit einem Holländer zu saufen, Nancy, und jetzt sitzt er in der Falle. Wir wollen beten, daß es ihm zur Lehre dienen möge«, fügte er gravitätisch hinzu, »aber Jugend ist dazu da, sich ins Unglück zu stürzen, und Alter, um ihr wieder heraus zu helfen.«

Nancy jammerte und erinnerte den alten Herrn an verschiedene Episoden aus Dicks Kindheit, die Mr. Naseby veranlaßten, seine Nase zu schneuzen und ihr kräftig die Hände zu schütteln. Glücklicherweise kamen jetzt die Pferde. Ohne Verzug schwang er sich in den Sattel und sprengte davon.

Er ritt mit eingedrückten Sporen direkt nach Thymebury, wo er jedoch, wie zu erwarten stand, keinerlei Nachrichten über die Flüchtlinge erfahren konnte. Man hatte sie nicht im »George« gesehen, man hatte sie nicht auf der Station gesehen. Die Wolke auf Mr. Nasebys Gesicht verdüsterte sich.

Die Zwischenstation fiel ihm nicht ein, seine letzte Hoffnung war van Tromps Haus. Dorthin befahl er George, ihn zu führen, und dorthin folgte er ihm, Schmerz, Sorge und Unwillen im Herzen.

»Hier sind wir, Herr«, sagte George und parierte sein Pferd.

»Was? Auf meinem eigenen Grund und Boden!« schrie Mr. Naseby. »Wie kommt das? Ich habe diesen Platz irgend jemandem verpachtet – M'Whirter oder M'Glashan.«

»Miß M'Glashan ist, wie ich glaube, die Tante der jungen Dame«, versetzte George.

»Ah – Strohmänner«, knirschte der Gutsherr. »Ich werde auch noch meinem Pachtzins nachpfeifen können. Hier, halte mein Pferd!«

Der Admiral saß an diesem heißen Nachmittage mit einem großen Glase neben dem Fenster. Er kannte den Gutsherrn bereits von Ansehen, und als er ihn jetzt vor dem Häuschen absteigen und breitspurig durch den Garten stapfen sah, folgerte er, ohne auch nur einen Moment zu zweifeln, er käme, um bei ihm um Esthers Hand anzuhalten.

Deshalb ist also das Mädel noch nicht zu Hause, überlegte er. Wirklich, sehr zartfühlend von dem jungen Naseby! Und er setzte sich möglichst pomphaft hin und beantwortete das laute Rasseln der Reitpeitsche gegen die Tür mit einem melodischen »Herein!« Gleichzeitig trat er mit einer Verbeugung und einem Lächeln hervor.

»Mr. Naseby, glaube ich?« fragte er.

Der Gutsherr kam, zum Kampf gerüstet. Er umfaßte seinen Mann mit einem raschen, verächtlichen Blick von Kopf bis Fuß und entschied sich sofort für den von ihm einzuschlagenden Weg. Der Kerl mußte sehen, daß er ihn durchschaut hatte.

»Sie sind Mr. van Tromp«, erwiderte er rauh, ohne von der ihm dargebotenen Hand auch nur die geringste Notiz zu nehmen.

»Der Nämliche, Sir«, erwiderte der Admiral. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

»Nein, Sir«, sagte der Gutsherr derb. »Ich werde mich nicht setzen. Mir wurde erzählt, Sie seien ein Admiral«, fügte er hinzu.

»Nein, Sir, ich bin nicht Admiral«, erwiderte van Tromp, der jetzt auch anfing, gereizt zu werden und den Sinn der Unterredung zu verstehen.

»Warum nennen Sie sich dann so, Sir?«

»Ich muß um Entschuldigung bitten, aber ich tue das gar nicht«, entgegnete van Tromp pomphaft wie der Papst. Doch bei dem Gutsherrn half ihm das nichts.

»Von Anfang bis zu Ende segeln Sie unter falscher Flagge«, begann er. »Selbst das Haus wurde unter falschem Namen gemietet.«

»Es ist nicht mein Haus. Ich bin der Gast meiner Tochter«, erwiderte der Admiral. »Wenn es mein Haus wäre –«

»Nun«, sagte der Gutsherr, »was dann? He?«

Der Admiral blickte ihn erhaben an, schwieg jedoch.

»Passen Sie auf«, sagte Mr. Naseby. »Derartige Einschüchterungsversuche sind nur Zeitverschwendung. Sie verfangen bei mir nicht. So was macht auf mich keinen Eindruck. Ich werde auch nicht gestatten, daß Sie mit Ihren Spiegelfechtereien Zeit gewinnen. Ich nehme an, Herr, daß Sie jetzt begreifen, was mich hierher führt.«

»Es ist mir völlig unmöglich, einen Grund für Ihr Eindringen zu finden«, versetzte van Tromp mit einer Verbeugung und großartigen Geste.

»Dann will ich versuchen, Ihnen meine Gründe klar zu machen. Ich bin hier in meiner Eigenschaft als Vater« – klatschend sauste die Reitpeitsche auf den Tisch – »ich habe Recht und Gericht auf meiner Seite. Ich durchschaue Ihre Berechnung. Aber Sie rechneten ohne mich. Ich bin ein Mann von Welt und sehe durch Sie und Ihre Machenschaften hindurch. Ich habe es hier mit einer Verschwörung zu tun – ich brandmarke sie als solche, und ich werde sie aufdecken und vernichten. Und jetzt befehle ich Ihnen, mir mitzuteilen, wie weit die Dinge bereits gediehen sind und wohin Sie meinen unglücklichen Sohn verschleppt haben.«

»Mein Gott, Sir«, brach van Tromp los,.»jetzt hab' ich aber mehr als genug hiervon. Ihr Sohn? Gott weiß, wo der sich befindet. Was zum Teufel habe ich mit Ihrem Sohne zu schaffen! Meine Tochter ist fort, darum handelt es sich. Und was würden Sie wohl dazu sagen, wenn ich Sie fragte, wo sie sich befindet? Doch das ist ja alles Mittsommerwahnsinn. Nennen Sie eindeutig Ihre Absicht, und dann scheren Sie sich zum Teufel!«

»Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen!« rief der Gutsherr. »Wohin hat Ihre Tochter meinen Sohn heute morgen mit dem verdammten Ponywagen entführt?«

»In einem Ponywagen?« wiederholte van Tromp.

»Jawohl, Herr – mit Gepäck.«

»Gepäck?« Van Tromp war etwas blaß geworden.

»Gepäck, sagte ich, Gepäck!« brüllte Mr. Naseby. »Verschonen Sie mich mit Ihren Ausflüchten. Wo ist mein Sohn? Sie sprechen zu einem Vater, Sir, zu einem Vater.«

»Halt!« gebot van Tromp in einem neuen Tone, »wenn Ihre Behauptungen stimmen, bin ich es, der eine Erklärung zu fordern hat.«

»Fein gesprochen! Da haben wir ja die Verschwörung«, entgegnete Naseby und fügte hinzu: »Oh, ich bin ein Mann von Welt, ich durchschaue Sie, durch und durch.«

Van Tromp begann allmählich klar zu sehen. »Sie sprechen sehr viel über Vatersein, Mr. Naseby«, hub er an, »aber Sie vergessen, glaube ich, daß diese Bezeichnung uns beiden gebührt. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, jedes auch noch so dunkle Verständnis, wie ein Mann – ich habe nicht gesagt, ein Gentleman – so schamlos einen anderen beleidigen kann, wie Sie mich ständig beleidigt haben, seit Sie dieses Haus betraten. Zum erstenmal begreife ich jetzt Ihre niedrigen Unterstellungen, und ich verachte diese und Sie selbst. Wie man mir sagte, sind Sie ein Industrieller; ich bin ein Künstler. Ich habe bessere Tage gesehen. Ich habe mich in Kreisen bewegt, in denen man Sie nicht empfangen würde, und gespeist, wo Sie froh wären, ein Pfund zu bezahlen, nur um mich dort speisen zu sehen. Die sogenannte Geldaristokratie verachte ich. Ich lehne es ab, Ihnen zu helfen; ich lehne es ab, mir von Ihnen helfen zu lassen. Dort ist die Tür!«

Aufrecht, wie in einem Glorienschein, stand der Admiral da. Gerade in diesem Augenblick betrat Dick das Zimmer. Er hatte einige Zeit in der Vorhalle gewartet, Esther teilnahmslos neben ihm. Er hatte seine Hand ausgestreckt, um sie am Hineingehen zu hindern, und ohne Erstaunen hatte sie das geduldet. Und obgleich sie zu lauschen schien, verstand sie anscheinend kaum ein Wort. Dick dagegen war weiß wie ein Tischtuch, seine Augen brannten, und seine Lippen bebten vor Zorn, als er plötzlich die Tür aufriß und Esther mit zeremonieller Ritterlichkeit hineinführte. Und nun stand er hochaufgerichtet und drückte seinen Hut fester auf den Kopf, wie jemand, der im Begriffe ist, einen Sprung zu wagen.

»Was hat das alles zu bedeuten?« erkundigte er sich.

»Ist das Ihr Vater, Mr. Naseby?« fragte der Admiral.

»Ja«, entgegnete der junge Mann.

»Dann spreche ich Ihnen meinen Glückwunsch aus«, erwiderte van Tromp.

»Dick!« rief der Gutsherr, von plötzlicher Angst gepackt. »Es ist doch noch nicht zu spät? Sag es mir. Ich bin hergekommen, um dich zu retten. Komm, komm fort mit mir – komm weg von diesem Ort!« Und er streichelte Dick mit beiden Händen.

»Nimm deine Hände weg«, rief Dick. Er meinte es nicht unfreundlich, aber seine Nerven waren durch die fortgesetzten Unglücksfälle erschüttert.

»Nein, nein«, sagte der alte Mann. »Stoße deinen Vater nicht zurück, Dick, da er doch gekommen ist, dich zu retten. Stoß mich nicht zurück, mein Junge. Vielleicht bin ich nicht immer freundlich zu dir gewesen, nicht verständnisvoll genug. Zu streng! Mein Junge, es geschah nicht aus Mangel an Liebe. Erinnere dich alter Zeiten. Damals war ich doch gut zu dir, nicht wahr? Als du ein Kind warst und deine Mutter noch bei uns war?« Ein Schluchzen erstickte Mr. Nasebys Stimme.

Dick stand und blickte ihn bestürzt an. »Komm weg«, fuhr der Vater flüsternd fort. »Du brauchst nicht Angst zu haben vor irgendwelchen Folgen. Ich bin ein Mann von Welt, Dick. Und sie kann auf dich keinen Anspruch erheben – keinen Anspruch, ich sage es dir. Und wir werden auch großzügig sein, Dick – wir werden ihnen eine gute runde Summe geben, Vater und Tochter, und damit hat es ein Ende!«

Er hatte versucht, Dick nach der Türe zu drängen, aber der letztere weigerte sich.

»Sie hätten es sich besser überlegen sollen, Sir, welche schwere Beleidigung Sie gegen diese Dame aussprachen«, entgegnete sein Sohn finster wie die Nacht.

»Du willst doch nicht zwischen deinem Vater und deiner Geliebten wählen?« antwortete der Vater.

»Wie nennen Sie sie, Sir?« rief Dick scharf und klar.

Langmut und Geduld gehörten nicht zu Mr. Nasebys Eigenschaften.

»Ich nannte sie deine Geliebte«, brüllte er. »Ich hätte sie auch nennen können, eine – – –«

»Das ist eine unwürdige Lüge«, erwiderte Dick leise.

»Dick!« rief der Vater. »Dick!«

»Ich habe nichts zurückzunehmen«, entgegnete der Sohn, indem er gegen sein eigenes Herz ankämpfte, »ich – ich habe es gesagt, und es ist die Wahrheit.«

Eine Pause entstand.

»Dick«, sagte der alte Herr endlich mit einer Stimme, als würde sie vom Wind geschüttelt. »Ich gehe jetzt. Ich lasse dich bei deinen Freunden – – bei deinen Freunden. Ich kam, um dir zu helfen, und gehe jetzt fort, ein gebrochener Mann. Seit Jahren habe ich dies kommen sehen, und jetzt ist es gekommen. Du hast mich nie geliebt. Jetzt bist du mein Tod geworden. Du magst stolz darauf sein. Ich verlasse dich jetzt, Gott verzeihe dir!« Damit war er gegangen, und die drei, die zusammen zurückblieben, hörten die Hufschläge seines Pferdes die Straße hinunterhallen.

Während der ganzen Unterredung hatte Esther nicht ein Lebenszeichen von sich gegeben, und auch jetzt, da alles vorüber war, verharrte sie in ihrem Schweigen. Doch der Admiral, der sich ein oder zweimal vorwärts bewegt und wieder zurückgezogen hatte, trat nun endgültig vor.

»Sie sind ein mutiger Mann, Sir«, sagte er zu Dick. »Aber obgleich ich kein Freund bin von elterlichen Einmischungen, muß ich sagen, daß Sie zu dem alten Herrn hart waren.« Dann fügte er mit einem Auflachen hinzu: »Sie haben das Leben mit einem silbernen Löffel im Munde angefangen, Richard, und jetzt sitzen Sie auf dem Trockenen, wie die übrigen. Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit! Sie haben Fähigkeiten, Sie besitzen Lebensart; nun, wenn Sie sich anstrengen, können Sie als Millionär sterben.«

Dick schüttelte sich. Er ergriff Esther bei der Hand und blickte sie schmerzlich an.

»Dann heißt es also jetzt ›Lebewohl!‹« sagte er.

»Ja«, antwortete sie; ihre Stimme war ohne Klang, und sie erwiderte seinen Blick nicht.

»Für immer«, fügte Dick hinzu.

»Für immer«, wiederholte sie mechanisch.

»Mir ist böse mitgespielt worden«, fuhr er fort. »Mit der Zeit hätte ich dir, glaube ich, beweisen können, daß ich deiner wert bin. Aber die Zeit war nicht lang genug, um dir zu zeigen, wie sehr ich dich liebe. Es sollte nicht sein. Ich habe alles verloren.«

Er ließ ihre Hand fahren, blickte sie aber noch immer an, und sie wandte sich ab, im Begriff, das Zimmer zu verlassen.

»Warum? Was in des Himmels Namen hat das alles zu bedeuten?« rief van Tromp. »Esther, komm zurück!«

»Lassen Sie sie gehen«, sagte Dick. Und mit seltsam gemischten Empfindungen beobachtete er ihr Entschwinden. Doch er befand sich in jenem Geisteszustand, da der Mensch, in den Strudel des Unglücks hineingerissen, Schicksalsschläge direkt sucht und jeder Entscheidung entgegendrängt, um sich, selbst wenn es seinen Ruin bedeutet, von Ungewißheit zu befreien. Das ist eine jener zahlreichen schwächlichen Arten des Selbstmordes.

»Sie liebt mich nicht«, sagte er, zu ihrem Vater gewandt.

»Das fürchtete ich fast, als ich bei ihr sondierte«, versetzte der Admiral. »Armer Dick, armer Dick! Und doch bin ich selbst wohl ebenso schwer betroffen wie Sie. Ich war geboren, um andere glücklich zu sehen.«

»Sie vergessen«, erwiderte Dick fast spöttisch, »daß ich jetzt ein Bettler bin.«

Van Tromp schnippte mit den Fingern.

»Unsinn!« sagte er. »Esther hat genug für uns alle!«

Dick blickte ihn erstaunt an. Er hatte nie geahnt, daß dieser mittellose, verschwenderische, unwürdige, saugende Parasit trotz alledem im Grunde seines Wesens nicht habsüchtig war. Und dennoch war es so.

»Ich muß jetzt gehen«, sagte Dick.

»Gehen?« rief van Tromp. »Wohin? Nicht einen Fuß weit, Mr. Richard Naseby. Sie werden inzwischen hierbleiben und – nun, irgend was Praktisches unternehmen – eine Stellung als Privatsekretär suchen, und wenn Sie die gefunden haben, dann gehen Sie meinetwegen. Doch inzwischen, Herr, keinen falschen Stolz. Wir müssen zu unseren Freunden halten. Jetzt müssen wir mal ein Weilchen Papa van Tromp ausbeuten, der so oft uns ausgebeutet hat.«

»Bei Gott!« rief Dick. »Ich glaube, Sie sind der Beste von der ganzen Gesellschaft.«

»Dick, mein Junge«, erwiderte der Admiral blinzelnd, »Sie verstehen mich. Ich bin nicht der Schlechteste.«

»Doch warum?« begann Dick und stockte dann. »Und Esther«, hub er von neuem an, und unterbrach sich noch einmal. »Tatsache ist, Admiral«, sagte er endlich rund heraus, »Ihre Tochter wünschte Ihnen zu entfliehen, und ich brachte sie nur mit Schwierigkeiten zurück.«

»In dem Ponywägelchen?« fragte der Admiral mit der Albernheit höchsten Erstaunens.

»Ja«, antwortete Dick.

»Aber warum denn? Wovor, in Teufels Namen, wollte sie denn ausreißen?«

Dick fand die Frage außerordentlich schwer zu beantworten.

»Warum? Na, Sie wissen schon. Sie sind doch so ein Stück von einem Liederjahn.«

»Ich benahm mich dem Mädchen gegenüber wie ein Archediakonus, Herr«, erwiderte van Tromp mit Wärme.

»Hm – verzeihen Sie mir –, aber Sie wissen, daß Sie trinken«, beharrte Dick.

»Ich weiß, daß ich früher nur ein Fetzen Papier im Winde war – früher, bevor ich diesen Ort hier erreichte«, entgegnete der Admiral. »Doch selbst damals verstand ich mich in jedem Salon zu bewegen. Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, wie viele Väter, Laien und Geistliche, Tag für Tag mit einem Gesicht, rot wie ein Hummer und mit Schellfischaugen schlafen gehen und dabei noch stumpfsinnig sind – und nicht einmal Spaß von ihrem Gelde haben. Nein, wenn sie deswegen fortgerannt ist, kann ich nur sagen, lassen wir sie laufen.«

»Sie müssen doch verstehen«, begann Dick von neuem, »sie hat eben ihre romantischen Vorstellungen – –«

»Verdammt seien ihre Vorstellungen!« rief van Tromp. »Ich behandelte sie liebevoll. Sie ging ihren eigenen Weg. Ich war ihr Vater. Außerdem hatte ich eine Zuneigung zu dem Mädel gefaßt und wollte immer bei ihr bleiben. Aber ich will Ihnen sagen, was es ist, Dick. Seit sie mit Ihnen getändelt hat – o gewiß, das hat sie getan –, seitdem ist ihr alter Papa nicht mehr gut genug für sie – der Teufel soll sie holen, sage ich.«

»Sie werden aber wenigstens freundlich zu ihr sein«, entgegnete Dick.

»Ich war noch zu keiner lebenden Seele je unfreundlich«, erwiderte der Admiral. »Ich kann wohl fest sein, aber nicht unfreundlich.«

»Nun«, sagte Dick und bot ihm seine Hand, »Gott segne Sie und leben Sie wohl!«

Der Admiral beschwor ihn bei allen Göttern, nicht zu gehen. »Dick«, sagte er, »Sie sind ein so selbstsüchtiger Hund. Sie vergessen Ihren alten Admiral; Sie wollen ihn doch nicht allein lassen? Das können Sie doch nicht wollen.«

Es war zwecklos, ihn daran zu gemahnen, daß er nicht über das Haus zu verfügen hätte. Das war eine Erwägung, die seinem Verstand verschlossen blieb. So riß sich Dick endlich gewaltsam los, rief dem Hause noch ein Lebewohl zu und machte sich auf den Weg nach Thymebury.


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