Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

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35 VIII.

Herrn Wippchen in Bernau.

Nachdem Sie zur Ausführung einer, wie Sie sie nannten, colossalen Idee einen größeren Vorschuß verlangt und empfangen hatten, blieben wir ohne jegliche Nachricht von Ihnen, so daß wir genöthigt waren, aus anderen Jonrnalen Mittheilungen vom Kriegstheater zu entnehmen. Das ist für eine Redaktion, welche keine Kosten scheut, um Originalberichte zu bringen, gewiß eine höchst schmerzliche Aufgabe. So sehnen wir uns denn nach Frieden, nur um uns nicht länger durch Sie in eine Lage versetzt zu sehen, welche nachgerade unerträglich wird.

Zu spät sehen wir ein, daß es falsch war, Ihnen den größeren Vorschuß zu gewähren, bevor Sie uns Näheres über ihr Vorhaben, das Sie als ein sensationelles bezeichneten, mitgetheilt, und, durch Schaden klug, werden wir auch künftig vorsichtiger sein. Wir hoffen indeß, daß Sie niemals wieder mit Plänen sich beschäftigen werden, deren Realisirung Sie von der Ausführung Ihrer übernommenen Pflichten zurückhält. Im anderen Fall müssen wir ohne Weiteres eine rasche Aenderung in unseren Dispositionen eintreten lassen.

36 Vorläufig sind wir indeß nur neugierig, von Ihnen zu erfahren, was Sie unternehmen wollten, oder unternommen haben, und wir bitten Sie um Aufklärung, und sei dies auch nur, weil wir ein Recht zu haben glauben, von Ihnen zu hören, weshalb Sie uns wochenlang ohne eine einzige Schlacht lassen.

In Erwartung umgehender Nachrichten

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 23. August 1877.

Irrt Schiller nicht, so sagt er an irgend einer Stelle:

»Es liebt die Welt, zu strafen und zu rächen
Und das Erhab'ne in den Staub zu zieh'n.«

Diese anscheinend so einfache Strophe ist mein Trost, wenn ich Ihre werthen Briefe zwischen meinen Fingern zerknittere und hoffnungslos meinen Unstern frage, warum gerade ich unter ihm geboren werde mußte. Gelobt sei Dank, ich gehöre nicht zu jenen Unglücklichen, welche bei jeder Gelegenheit in die Saiten des Pegasusses greifen und stundenlang Schmerzensschreie singen, sonst läge ich gewiß schon tief, tief unter dem Schooß der Mutter Erde, und nur ein kalter Marmor kündete der einsamen Nachwelt an, daß ich einst gewesen. Ich bestreite dies. Mein heiteres Temperament schützt mich gegen das Wandeln unter ungestraften Palmen. Und 37 so will ich Ihnen denn so lapidar, wie es mir die Kürze der Zeit gestattet, sagen, was ich beabsichtigte.

In Dresden, dem Elbdorado Sachsens, sollte der zwölfte deutsche Journalistentag anbrechen. Von Nah und Süd eilten die Federn herbei, um sich persönlich anzunähern und die Interessen Ihres verfehlten Standes zu wahren. Der politische Redakteur. der keinen Leitartikel ungeschrieben läßt, der Reporter, der seine Scheere unablässig in die Dinte taucht, um das Publikum auf dem Laufenden zu halten, der Feuilletonist, welcher unter dem Strich dichtet, kurz, alle Spalten sollten vertreten sein. Da durfte ich nicht fehlend angetroffen werden. Und als ich nun gar hörte, der Journalistentag würde auf Pferden und Tragsesseln die sächsische Schweiz erklimmen, da war es mir, als sollte ich keine zehn Pferde mehr halten, denn nichts geht mir über Berge. O, wie liebe ich diese Schauer der mit ewigen Gemsen bedeckten Schluchten, diese in den Gletscher hineinragenden Felsen, den hohen Meeresspiegel! Verzeihen Sie den Ueberschwang meiner Gefühle! Gewiß nicht.

Und was ich auf dem Journalistentag wollte? Eine Rede, die ich bereits zu Papier gebracht, wollte ich aus dem Stegereif schütteln. Ich wollte wetteifern gegen die eingerissene Unsitte der Journale, Berichte vom Kriegsschauplatz von Correspondenten zu bringen, welche nicht Augen- und Ohrenzeugen der Ereignisse sind. Es ist dies unverantwortlich, es entsteht hieraus ein Irreleiten der Journalzirkel, welches bald den Glauben an die Gewissenhaftigkeit der Blätter um jeden Credit bringen muß. Zwar sagt ein Sprüchwort: Die 38 Enten haben kurze Beine. Aber es muß hier doch Wandel geschafft werden. Und mit den Worten wollte ich schließen: Wer sich frei von Schuld fühlt, der werfe mich auf den ersten Stein! Das hätte gewirkt! Ich weiß, Sie werden mich einen alten Ego nennen. Beruhigen Sie sich, ich habe meinen Schlupfwinkel nicht gelüftet, ich bin nicht in Dresden gewesen. Aber noch ist nicht aller Journalistentage Abend, und ich werde meine Rede nicht in den Wind geschrieben haben. Und nun wissen Sie auch, wozu ich das Geld brauchte. Reisen kostet Geld. Ich am allerwenigsten besitze den Zaubermantel, der ohne Mittel in der Tasche auf den Schienen des Coupés dahinrollt. Kein Wort mehr. Es hieße Oel in den Zankapfel gießen, den ich vermeiden möchte.

Ich sende Ihnen umstehend die vierte Schlacht bei Plewna, das sich, nebenbei gesagt, mit einem Pfau schreibt. Wie ich die Stimmung des Publikums kenne, vermögen die Russen nicht genug zu unterliegen. Hier gilt es, energisch vorzugehen!

* * *

Plevna, 19. August.

W. Den größten Fehler, welchen man als Armee machen kann, ist das Unterschätzen des Gegners. Die Russen haben diesen Fehler nicht ungemacht gelassen. Der Halbmond hat sein Xerxesheer auf 150,000 kranke Männer gebracht, von denen der Czar glaubte, er könne sie in zwei Schlangen verwandeln und sie wie Hercules in der Wiege 39 erwürgen. Nur zu spät sieht er ein, daß nicht Alles, was glänzt, Hercules ist, und abermals hat ihm das Kriegsglück den Rücken braun und blau gekehrt.

Diesen Morgen schlug die Uhr keinem Glücklichen vier, als abermals die Russen einen Angriff versuchten. Kanonen- und Trommelwirbel schreckten mich auf, nachdem ich kaum ein Stündchen den Schlaf vergeblich gesucht hatte. Als ich auf dem Felde der Ehre anlangte, stürmten eben die Russen gegen das Centrum der von Osman Pascha kommandirten Türken, welche, durch die Erfolge in den bisherigen drei Schlachten bei Plevna sicher gemacht, muthig Stand hielten, obschon sie janitschaarenweis niedergeschmettert wurden. Dreimal wurden die Russen zurückgeworfen, worauf sie um Waffenruhe baten, um ihren einen Todten standesgemäß begraben zu können. Der Verlust der Türken ist gleichfalls sehr groß; ich kann wohl sagen, daß ich wie Fliegen, um nicht zu sagen: wie Grummet die Glieder der Türken mähen sah. Daß ich, als ich diese Opfer sah, nicht in Ohnmacht fiel, war das Werk eines Augenblicks. Jetzt, wo ich meinen Brief zur Post bringe, wird die Flucht der Russen wild. Morgen berichte ich Ihnen über die fünfte Schlacht bei Plevna, übermorgen über die sechste. Ja, ja, Rußland, es geht heute anders zu als damals, da Pfeffel seine Tabakspfeife dichtete!


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