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Sechstes Tausend
Berlin
A. Hofmann & Comp.
1905
Als ich dem geehrten Leser – ich habe überhaupt noch keinen ungeehrten Leser gesehen – meinen Leitfaden durch den Winter in die Hand gab, merkte ich sofort, daß er einer der überflüssigsten Leitfäden war, welche die Kataloge der Bibliotheken namhaft machen. Es war mir nämlich nicht möglich, auch nur einen einzigen Leser aufzutreiben, welcher mir offen oder unter dem bekannten Siegel der Verschwiegenheit mitteilte, der Leitfaden habe ihm irgend etwas genützt, und ich mußte mich in die Überzeugung finden, daß ich die vielen nutzlosen, um nicht zu sagen nichtsnutzigen Dinge, welche ich publiziert habe, um ein neues wertloses, wenn nicht bereichert, so doch vermehrt hatte. Jeder Leser wußte nämlich schon alles, was ich in meinem Leitfaden sagte. Der beste Rat, den ich gab, war billig. Man nahm jeden Fingerzeig mit einer Miene hin, als wollte man sagen: »Wer kennt den nicht, den habe ich selbst schon erteilt.« Jeder hatte jedes erlebt und genau so gethan, wie ich zu thun empfahl, denn jeder erklärte, alle meine Erfahrungen selbst gesammelt, alle meine Ratschläge selbst ausgeteilt, alle meine Betrachtungen selbst angestellt zu haben. Das war eigentlich nicht tröstlich, und am allerwenigsten konnte es mich ermuntern, meinen Leitfaden weiter zu spinnen. Es ist doch nicht die Aufgabe des Schriftstellers, nichts als ein Echo zu sein, jedenfalls muß es ihn mehr reizen, wenigstens als Souffleur zu fungieren. Als solchen konnte ich mich aber nicht betrachten, wenn ich nicht jeden berechtigen wollte, das Gerücht zu verbreiten, daß ich vom Größenwahn befallen sei.
2 Wenn ich dennoch den Leitfaden durch den Sommer da anknüpfe, wo ich den durch den Winter atropossenhaft durchschnitten habe, so hat dies, wenn ich nicht irre, folgenden Grund. Ich muß nämlich, um gegen die geschätzten Leser und auch gegen mich gerecht zu sein, feststellen, daß mir jeder versicherte, er habe meine Zeilen, mein Elaborat, mein Werkchen, meine Aufsätze u. s. w. mit großem Vergnügen gelesen, wenn er auch, wie gesagt, nichts Neues daraus erfahren habe. Aber die Form, in der ich alles zu Papier gebracht, sei eine so gefällige – ich wähle in angeborener Bescheidenheit das geringste Epitheton – gewesen, daß er das ihm längst mundgerecht gewesene Bekannte gern gelesen habe. Dies wurde mir aber mit so großer Eindringlichkeit versichert, daß ich nicht umhin konnte, anzunehmen, man wolle nur nicht willig eingestehen, daß ich viele oder doch manche neue und nützliche Lehre veröffentlicht hatte, denn dies Eingeständnis konnte doch nur so aufgefaßt werden, daß man irgend eine weise Lebensregel nicht gekannt, nicht aus eigenen Erfahrungen herausgebildet, sondern sie der Lektüre meines Werkchens zu danken habe.
Man will von einem Schriftsteller unterhalten, aber nicht belehrt sein. So viele mir auch von dem Leitfaden durch den Winter sprachen, so viele haben mir auch gesagt, sie hätten ja nichts neues gelernt, aber sich doch gefreut darüber, daß ich das alte, ihnen längst bekannte zu Papier gebracht. Das hat mich ermuntert, mein Versprechen einzulösen und den besagten Leitfaden durch den Sommer fortzuspinnen.
Ich glaube, ein Leitfaden durch den Sommer kann nützlicher werden, als der durch den Winter. Das Sommerleben ist bunter und reicher gestaltet, als das 3 Leben im Winter. Die Kälte scheint das Leben im Winter zusammenzuziehen, die Wärme das Leben im Sommer auszudehnen. Der Mensch bewegt sich im Sommer freier, ungebundener, als im Winter, in welchem er doch meist zwischen vier Wänden lebt. Das Leben ist im Sommer öffentlicher, ich möchte sagen: genialer, während es im Winter intimer, eingeschränkter, ich möchte sagen: philiströser ist. Man ist im Sommer leichter zu Ausschreitungen geneigt, zu Excessen verführt.
hat ohne Zweifel seine Probezeit, in der man es den Befallenen kaum anmerkt, daß sie leidend sind, während sie es in der That sind und durch ihr Benehmen nur dem scharfen Beobachter verraten, daß sie mit knapper Not dem Schlimmsten entgangen sind. Das ist die Zeit, wo der Hund ehrlich toll zu werden pflegt und getötet wird, damit er kein Unheil anrichtet, während der Mensch meist im halbtollen Zustand in Gesellschaft, oder auf Reisen geht, Unheil anrichtet und sehr höflich behandelt wird.
Wenn man im Sommer alle halb- oder ganztollen Menschen totschlüge, so würden, wie ich glaube, nur sehr wenige Menschen den Herbst erleben.
existiert auch in Europa, und selbst die mit einem milden Klima begnadeten Länder Europas haben ihren Tropenkoller. Da, wo der Tropenkoller zuhause ist, äußert er sich nur anders als bei uns. In den Tropen macht der Koller die Menschen wild, namentlich wenn sie dorthin geschickt sind, um unsere Kultur zu verbreiten, was schon an sich eine Grausamkeit ist. Sie mißhandeln die Schwarzen und sind außer sich, wenn diese Leute sich das nicht gefallen lassen wollen, und sie lassen Weiber peitschen, oder peitschen sie eigenhändig, Weiber, mit denen sie nicht einmal verheiratet 4 sind. In unserer Heimat führt die Bekollerung die Befallenen nicht so weit, oder nur ausnahmsweise, aber sie äußert sich doch häufig in überaus drastischer Weise und wirkt dann komisch, oder langweilig, oder recht lästig, je nach der Heftigkeit des Anfalls. Wer hätte dergleichen nicht schon erlebt!
Gegenüber solchen Zuständen ist es nach meiner und wohl auch nach der Meinung aller sommerkollerfreien und solcher Menschen, die sich einbilden, es zu sein, keinenfalls überflüssig, auf Grund mancher Erfahrungen zu belehren, zu warnen, zu leiten und dazu beizutragen, daß nicht zu viel Schaden angerichtet werde.
Die Hauptarbeit bietet dem modernen Knigge natürlich
Der Sommer ist die Reisezeit. Meines Wissens existiert noch kein Werk über den Umgang mit Reisenden. Dieser Umgang ist ein ganz anderer als der mit Menschen. Reisende sind meist keine Menschen, wenigstens keine ganz normalen. Es ist erstaunlich, was die Reise aus einem Menschen machen kann. Jedenfalls etwas anderes, als er bis zu dem Augenblick gewesen, wo er in den Besitz der Fahrkarte oder des Rundreisebüchleins gelangt ist. Ganz umgängliche Menschen werden das Gegenteil. Nur die langweiligen, lästigen und ungebildeten Menschen bleiben, was sie sind, wenn sie nicht noch eine Nummer langweiliger, lästiger und ungebildeter werden, was man aber nicht konstatieren kann, weil man sie erst kennen lernt, wenn sie im Waggon sitzen, oder im Hotel abgestiegen sind. Eine ganz besonders merkwürdige Gruppe bilden die in Deutschland reisenden
Trifft man im Waggon einen Menschen, der es jedem Mitreisenden übel zu nehmen scheint, daß er nicht zuhause geblieben ist, so ist er ein sogenannter 5 Sohn Albions. Dieser alte Albion hat seine Söhne merkwürdig erzogen, er hat ihnen vor allen Dingen eingeredet, ihnen gehöre die Welt, und sie hätten daher das Recht, die Bewohner anderer Länder als Eindringlinge zu betrachten und also zu behandeln, wie Eindringlinge dies verdienen. Als gehorsame und die Aussprüche ihres Erzeugers als den Ausdruck der höchsten Weisheit schätzende Söhne handeln sie nach den ihnen eingeimpften Lehren.
Es ist ein Beweis für die Gleichgültigkeit, welche die Eisenbahnverwaltungen den Reisenden widmen, daß sie, wie sie eigene Coupés für Raucher und Damen und eigene Waggons für Pferde, Hunde, Gänse und andere landwirtschaftliche Bevölkerungsklassen eingerichtet, nicht auch Coupés für Engländer ins Rollen gebracht hat.
Wenn in dem Augenblick, wo man das Waggonfenster geschlossen wünscht, jemand das Waggonfenster öffnet und auf die Bitte, dies zu unterlassen, keine Antwort giebt, so ist es ein Engländer.
Wenn in dem Augenblick, wo jemand das Waggonfenster geschlossen wünscht und man es öffnen will, was aber der Fensterschließer nicht duldet, so ist es gleichfalls ein Engländer.
Will sich der Reisende wohl fühlen, so setze er sich einem Engländer gegenüber, der den Gegenübersitzenden nicht die Füße auf den Schooß legt. Thut er es aber nachher, so scherze man, der Engländer sei gut aufgelegt, sonst beginnt er zu boxen.
Bevor man auf die Reise geht, lerne man aus diesem Grunde boxen. Das Boxen ist in acht Wochen vollständig zu lernen, wenn man von dem Faustprofessor nicht in den ersten vier Stunden totgeboxt wird. In diesem Fall ist es nichts, und man kommt in den Himmel, ohne boxen zu können.
Kann man boxen, so nehme man den Kampf mit 6 dem Engländer auf, gegen den man nicht aufzukommen vermag, weil ihm die Grazien das Boxen in die Wiege gelegt haben.
Spricht der Engländer deutsch, so ist es kein Engländer. Nur wenn er keine Antwort giebt, weil man nicht englisch spricht, dann ist er echt.
Findet man auf der Veranda eines Hotels ein Paar Stiefel auf einem Sessel, so wird es von einem auf einem danebenstehenden Stuhl sitzenden Engländer getragen.
Ärgern sich Engländer, daß sie nicht allein, sondern daß auch Angehörige anderer Nationalitäten in einem Hotel sind, so bemerke man dies mit innigem Vergnügen, bedaure aber die Angehörigen anderer Nationalitäten. Denn es ist menschlich, so zu handeln.
Findet man, daß die Engländer irgendwo durch große Gentilität das Leben verteuert haben, so irrt man sich. Denn sie sind immer gute Kaufleute gewesen und haben stets lieber genommen als gegeben.
Sitzt man in einem Coupé für Nichtraucher und ein Engländer raucht, so mache man ihn darauf aufmerksam, daß dies nicht erlaubt sei, und gehe dann, da dies nicht berücksichtigt wird, in ein Coupé für Nichtraucher. Denn es ist vor allem nötig, daß man sich nichts gefallen läßt.
Man glaube aber nicht, daß die Engländer die einzigen unangenehmen Reisenden sind, denn die Täuschung wäre zu groß.
Ist man
eben eingeschlafen und es wird im Nebenzimmer gesungen oder laut geschwatzt, so wache man nicht auf, da das Wiedereinschlafen nicht leicht zu sein pflegt. Man werfe dann auch nicht einen Stiefel an die Thür des geräuschvollen Nebenzimmers, weil dies nichts nützt und dem Stiefel sogar schadet. Man 7 warte ruhig, bis es im Nebenzimmer ruhig wird und fange dann selber zu toben an. Das wird die beste Warnung für die folgende Nacht sein.
Wenn man nach dem Hausknecht verlangt und will sich nicht darüber ärgern, daß er nicht kommt, so klingele man nicht. Dann ist man vor dem bezeichneten Ärger bewahrt.
Man lasse sich im Hotel keine Cigarren bringen, da man in jedem Cigarrenladen mindestens ebenso schlechte billiger kaufen kann.
Legt man sich schlafen, so verschließe man die Thür. Denn es könnte doch sein, daß einem anderen Hotelbewohner einfällt, er habe dir nicht gute Nacht gewünscht, aufsteht, in dein Zimmer schleicht und deine Uhr mitnimmt. Dasselbe gilt von der Brieftasche und der Brillantnadel.
Man merke sich genau, was man im Hotel verzehrt und kontrolliere die Rechnung genau, denn es giebt unter den Wirten einige Zechpreller.
Lernt man auf der Reise eine Dame kennen, in deren blaue Augen man sich so verliebt, daß sie sich gern dir anschließt und dann bei der ersten besten Gelegenheit mit deinem Portemonnaie davongeht, so freue man sich, gleichfalls mit blauem Auge davongekommen zu sein.
Hier möchte ich einiges über die
anschließen, obschon solche in allen Jahreszeiten unternommen werden, weil die Standesämter keine Ferien haben.
Da man als Bräutigam die Frau, welche man bekommt, nicht kennen lernte, so versuche man nicht, auf der Hochzeitsreise das Versäumte nachzuholen, da es zu spät ist.
Man gebe seiner jungen Frau auf der 8 Hochzeitsreise keinen Grund zur Eifersucht, da dies dann am leichtesten ist.
Da man an allen ihren Unterhaltungen teilnimmt, so gewähre man ihr jeden dahinzielenden Wunsch auf das zuvorkommendste.
Gerät man mit der jungen Frau in einen Streit, so gebe man nach. Nicht, weil der Klügere nachgiebt. Dies ist ein durchaus falscher Satz. Man gebe vielmehr nach, weil dies eine gute Übung für die Zukunft ist.
Man glaube nicht, daß es richtig sei, schon auf der Hochzeitsreise zeigen zu müssen, daß man Herr im Hause ist. Erstens ist man auf der Reise nicht im Hause, und zweitens lacht jede Frau über solche Versuche, ihr die Herrschaft zu nehmen.
Gleich nach jedem Zank schreibe man an die Angehörigen und Freunde, daß man sich sehr glücklich fühle. Hierzu bediene man sich der Ansichtspostkarten, damit man nicht ausführlich zu werden braucht. Nach dem fünften Zank versichere man an dieselben Adressen, daß noch kein dunkles Wölkchen den Himmel des Glücks getrübt habe. An diese Redensart hat man sich längst gewöhnt, niemand denkt sich etwas dabei, und sie verpflichtet zu nichts.
Wird der junge Gatte von seiner neuen Lebensgefährtin gefragt, ob sie seine erste Liebe sei, so bejahe er diese Frage. Natürlich glaubt sie ihm das nicht.
Wird die junge Gattin von ihrem neuen Lebensgefährten gefragt, ob er ihre erste Liebe sei, so bejahe sie diese Frage. Natürlich glaubt er ihr das.
Der junge Gatte mache keine Witze über seine Schwiegermutter, weil dies sehr geschmacklos ist, sondern zeige auf andere Weise, daß ihm nichts neues einfällt.
An der Table d'hôte verschlinge das junge Paar sich nicht mit den Augen, sondern esse etwas, was 9 sättigt. Der Preis des Couverts bleibt derselbe, und es kommt später sicher die Zeit, wo man sich wundert, daß man einmal so dumm gewesen ist, sich nicht satt zu essen.
Der junge Gatte übertreibe die Galanterie nicht, damit sein späteres Verhalten nicht zu sehr auffalle, besonders wenn die Dame ein gutes Gedächtnis hat. Hat sie aber ein schlechtes Gedächtnis, so empfiehlt sich die Mäßigkeit auf diesem Gebiet schon wegen der größeren Billigkeit.
Auch wenn beide geschworen haben, sie hätten nie geliebt, ist es praktisch, gewisse Briefschaften vor dem Antritt der Hochzeitsreise einzuäschern. Denn nur die Asche, trotzdem sie weiblichen Geschlechts, ist diskret.
Wir kehren zu den Sommerreisen zurück.
Hat man das große Glück, vor der Stadt eine Villa zu besitzen, welche schöner ist, als irgend ein Haus, das man auf der Reise bezieht, so verläßt man sie in den ersten warmen Tagen, um alle Unbequemlichkeiten einer sogenannten Sommerfrische vorzuziehen. Dies ist allen Reichen ohne Ausnahme zu empfehlen, damit sie nicht übermütig werden. Auch pflegen die Einbrecher, welche mit Vorliebe unbewohnte Landhäuser ausplündern, sehr für solche Sommerreisen eingenommen zu sein. Ich weiß dies genau, und man braucht deshalb keine Erkundigung in Einbrecherkreisen einzuziehen.
Man nehme nicht zu viele Schmuckgegenstände in die Sommerfrische mit, obschon sie auch dort gestohlen werden können. Ist dies an einem Ort geschehen, wo es keine Zeitungen giebt, in denen man den Diebstahl bekannt machen und vor dem Ankauf der Wertsachen warnen kann, so bekommt man diese auch nicht wieder, wenn man sie von einem Dorfbeamten ausklingeln oder austrommeln läßt.
10 Bevor man in der Sommerfrische eine Wohnung bezieht, lasse man sich vom Vermieter versichern, daß sie ungezieferfrei ist. Nachdem man diese Versicherung erhalten hat, ziehe man ein, um nachts eine um so größere Überraschung zu erleben, namentlich aber die Freude darüber, daß man sich mit Insektenpulver und ähnlichen Reiseutensilien versehen hat. Wer dergleichen nicht besitzt, merke sich was folgt: Wanzen in Betten vermeidet man am sichersten dadurch, daß man auf dem Sofa oder auf zwei Stühlen schläft. Die Zahl der Schwaben verringert man gewöhnlich durch Töten dieser unsympathischen Haustiere. Flöhe werden dadurch zur Strecke gebracht, daß man ruhig wartet, bis sie sich, vom Springen ermüdet, irgendwo niedersetzen und arglos, wie sie sind, ergreifen lassen. Hat man sie ergriffen, so ist es eine Kleinigkeit für den Jäger, sie unschädlich zu machen. Gegen Ratten und Mäuse bediene man sich der Fallen, welche sich bequemer als Reisekatzen mitführen lassen. Bemerkt man nach dem Schlafengehen, daß sich eine Fledermaus im Zimmer gefangen sieht, so öffnet man alle Fenster und wartet, bis sie wieder herausgeflogen ist. Dann schließt man rasch die Fenster und schläft beruhigt ein.
Ist das Haus, von welchem aus man die Sommerfrische genießen will, durch Fliegen belebt, so wird man wohl selbst wissen, daß es gegen diese Plage kein besseres Mittel als Winterkälte giebt, welche allerdings fast unfehlbar wirkt, aber nicht abgewartet werden kann. Man bediene sich also aller bekannten Abwehrinstrumente und Kammerjägermittel, um einsehen zu können, daß alle nichts nützen. Da Fliegenflaschen, in denen der Spiritus jede Fliege, welche in ihn hineingeraten, betäubt und tötet, nicht aufzutreiben sein werden, sind die bekannten Fliegenstöcke zu empfehlen, welche gleichfalls selten zu haben sind, während sie in großen Städten zu Tausenden durch 11 den Kleinhandel vertrieben werden. Sind die Fliegenstöcke aber in der Sommerfrische herbeizuschaffen, so bilden sie, selbst von bethörten Fliegen bedeckt, sogar einen Zimmerschmuck, der in Sommerhäusern selten zu sein pflegt. Allerdings muß man sie nicht näher betrachten, da der Anblick des Stangenkletterns der angeklebten Fliegen, welches in einem vergeblichen Bemühen, loszukommen, besteht, kein erquicklicher sein kann.
Über die Mücken mache man sich keine Sorgen. Man trifft sie an allen Orten der Sommerfrische. Gegen ihre Stiche verkauft jede Apotheke einige Flüssigkeiten, mit denen man die Haut oder die Verletzungen derselben einreibt. Helfen sie nicht, so spare man sich den Weg in die Apotheke, da sie das Geld um keinen Preis zurückzahlt und weil sie ferner von der Unwirksamkeit der verkauften Mittel bereits vollkommen unterrichtet ist.
Fordern die Wirtsleute einen unverschämt hohen Mietspreis, so greife man zu, weil ihre Forderung am andern Tag eine noch unverschämtere werden würde, wenn die Wohnung dann überhaupt noch zu haben ist.
Findet man, daß die Wirtsleute grob sind, so sei man selbst höflich, damit sich die eigene Bildung hier um so schärfer von dem dunklen Hintergrund abhebe. In anderer Weise ist kein Nutzen aus der Grobheit der Wirtsleute zu ziehen. Ändern läßt sich an ihr aber nichts.
Befindet sich in der Nähe der Sommerwohnung, in welcher man sich gründlich erholen will, eine klappernde Mühle, eine Schmiede, eine Kinderschule, ein Sägewerk oder dergleichen, so wird man sich nach etwa acht Tagen an den betreffenden Lärm so gewöhnt haben, daß man ihn kaum noch störend vernimmt, ja, daß man ihn später in der Heimat vermißt.
12 Mit den Mägden und anderen weiblichen Dorfbewohnern lasse man sich in keine näheren Beziehungen ein. Sie sind sehr tugendhaft und haben schon ein Verhältnis mit einem muskulösen Standesgenossen, mit dem nicht zu spaßen, sondern nur zu raufen ist, was nicht jedermanns Sache zu sein pflegt.
Speist man im Freien, weil dies der Seele und dem Körper vorteilhaft ist, und es fällt eine Raupe in die Suppe, so gerate man nicht in Zorn, denn sie kann nichts dafür, und es ist ein Unglück für sie. Man fische sie heraus und werfe sie fort, ein anderer Rat fällt mir in diesem Augenblick nicht ein. Auch wohl später nicht.
Ist man ein Freund des Sports, so veranstaltet man ein Schneckenwettrennen im Garten hinter oder vor dem Sommerhause. Schnecken sind leicht aufzutreiben. Alsdann stellt man etwa zehn nebeneinander und beobachtet nun, welche von ihnen nach einer Viertelstunde zuerst den weitesten Weg zurückgelegt hat. Trägt diese Unterhaltung auch nicht zur Veredlung der Schnecken bei, wie dies bei den Pferden der Fall ist, so vergeht doch die Zeit angenehm, und dies ist ohne Zweifel in der Sommerfrische die Hauptsache.
Man verschiebe die Heimreise, wenn dies sich irgend ermöglichen läßt. Denn die Heimreise ist jedenfalls das Erfreulichste an einer Sommerreise, und indem man sie vertagt, genießt man also die Freude des Erwartens um so länger.
Befinden sich in der Nähe der Sommerfrische
welche Gletscher, Abgründe, steile Felskegel, Lawinen und ähnliche interessante Eigentümlichkeiten aufzuweisen haben, so hüte man sich, Freunden zu begegnen, welche des passionierten Bergsteigens verdächtig sind. Wird man eingeladen, den Berg zu ersteigen, so sage 13 man zu und erscheine nicht an der Stelle, an welcher aufgebrochen wird. Man bedenke immer, daß es eine große Freude ist, bei einem Absturz mit einigen unbedeutenden Hautabschürfungen davonzukommen, daß solches aber niemals der Fall ist. Meist wird man später zerschmettert aufgefunden.
Man lasse sich nicht durch die Thatsachen verführen, daß man, abgestürzt, in allen Blättern genannt und so auf leichte Art populär wird. Man bedenke, daß dies doch mit dem Leben oder den gesunden Gliedern viel zu teuer bezahlt sein kann.
Es giebt allerdings Fälle, wo alles Sträuben nichts hilft und man der Einladung, das Klettern mitzumachen, mit dem besten Willen nicht auszuweichen vermag. Nun, wenn alle Stricke reißen, so lasse man sich anseilen.
Will man sich ohne Gefahr amüsieren, so kaufe man sich einen Alpenstock und lasse eine Anzahl Höhennamen hineinschneiden. Das Amüsement besteht darin, daß in der Heimat dem betreffenden Alpenstock geglaubt und daß man als Bergsteiger bewundert wird, während man doch nur ein gewöhnlicher Thalsteiger ist.
Man lasse sich durch die Billigkeit eines Führers nicht verleiten, irgend eine höchste Spitze zu erklimmen. Wenn man abstürzt, so wird dies Vergnügen durch den billigen Preis, für den der Führer mitgegangen ist, nicht gesteigert. Aber man versäume nicht, den billigen Führer zu empfehlen, um ihm Kunden zu verschaffen, denn er ist kein reicher Mann und hat gewöhnlich eine große Familie zu ernähren.
Will man aber eine halsbrecherische Tour unternehmen, so lasse man solche bis nach der Sommerreise. In die Heimat zurückgekehrt, ersteige man ein im Bau begriffenes hohes Gebäude mit Benutzung der außen angebrachten Leitern. Auch hier kann ein großes Unglück geschehen.
14 Wer das Glück hat, eine schön gelegene
in der Nähe der Stadt zu besitzen, soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Denn am Abend können Gäste aus der Stadt kommen. Aus einem ähnlichen Grund soll ein solcher Mann auch den Morgen nicht vor dem Mittag und den Mittag nicht vor dem Nachmittag, wie die Nacht nicht vor dem Morgen loben.
Wenn man merken will, daß man viele Freunde und Bekannte hat, so habe man eine Sommerwohnung, und man wird sofort und täglich merken, daß man mehr Freunde und Bekannte hat, als man, so lange man in der Stadt wohnte, zu haben glaubte.
Will man eine Probe auf dies Exempel machen, so ziehe man in die Stadt zurück. Hier wird man wochenlang wenige Freunde und Bekannte haben, wohl auch ganz allein sein müssen.
Man sorge für gutes Wetter, wenn man eine Landwohnung hat, denn man nimmt dem Landwohner schlechtes Wetter sehr übel, welches allerdings das Wiederkommen der Besucher nicht verhindert.
Liebt man es, Freunde auch nachts im Hause zu haben, so sorge man für Fremdenzimmer. Andernfalls erinnere man beim Abendessen von zehn zu zehn Minuten daran, daß der vorletzte Omnibus, das vorletzte Dampfboot oder der vorletzte Eisenbahnzug präzise (folgt Angabe der Zeit) nach der Stadt abgehe. In der Zeit irre man sich um zehn Minuten zu seinen Gunsten.
Sind die Früchte im Garten reif, so behaupte man das Gegenteil und erzähle eine Schaudergeschichte von einem Cholerafall infolge des Genusses unreifer Früchte.
Sehnt man sich nach zertretenen Rasenplätzen und ruinierten Blumenbeeten, so bitte man die 15 eingeladenen Paare, ihre Kinder mitzubringen. Sie bringen sie mit.
Man strenge sich an, die Gäste so zufrieden zu stellen, daß sie die Stadt vergessen und sagen müssen, daß sie in einem guten Restaurant nicht besser bedient würden. Denn sie werden sich jedenfalls über mangelhafte Verpflegung beklagen und nur wiederkommen, um zu sehen, ob sie vielleicht besser geworden ist.
Man schärfe dem Dienstmädchen ein, solchen Gästen, welche schon beim Fortgehen auf die Verpflegung schelten, kein Trinkgeld zu geben, um sie milder zu stimmen. Sie würden es wahrscheinlich nicht nehmen, aber wenn sie es nehmen, so würde es nichts nützen. Der Nörgeler ist unverbesserlich, namentlich in Sommerwohnungen, in denen er Besuche abstattet.
Man nenne die Sommerwohnung, in deren Garten man sich während der Visite einen Schnupfen geholt zu haben glaubt, nicht gleich Mördergrube. Der Freund, der sie besitzt oder gemietet hat, brachte dir doch den Schnupfen nicht künstlich bei, und der Schnupfen verschwindet schneller, als die Bezeichnung Mördergrube, wenn du sie in Freundeskreisen verbreitet hast.
Natürlich spielt die sogenannte
die Hauptrolle im Sommer.
Es gab eine Zeit, wo nur der Kranke eine Badereise unternahm, um sich die Heilung oder Linderung zu holen. Das hat aufgehört. Jetzt werden Badereisen meist von Gesunden unternommen, um sich angenehm zu unterhalten, eine geringere Zahl von solchen Gesunden wird auf die Badereise von den Ärzten geschickt, welche einige Sommerwochen Ruhe haben, nicht täglich Besuche machen und nachts nicht 16 herausgeklingelt sein wollen. Solche Ärzte werden namentlich von Damen allen andern vorgezogen.
Wenn nur Kranke Badereisen unternähmen, so würden die Heilorte verteufelt schlechte Geschäfte machen.
Gesunde Damen, welche um jeden Preis eine Badereise thun wollen, haben solche schon während des Frühlings sorgfältig nötig zu machen. Wenn der Gatte an nichts Böses denkt, – und es giebt auch solche Gatten, – haben die Frauen über zunehmende Korpulenz zu klagen, auch wenn von dieser Korpulenz nichts zu sehen ist, als irgend eines der vielen Hilfseinrichtungen, große körperliche Steilheit zu verbergen.
Ferner zu empfehlen ist: Die Dame frühstückt in Abwesenheit ihres Gatten reichlich und ißt dann mittags nichts. Während dieser Unthätigkeit sind Klagen über gänzlich verschwundenen Appetit auszustoßen. Wird sie dabei von ihrem Gatten sehr besorgt und kopfschüttelnd angesehen, so thut sie ein Übriges und sage etwas von ihrer Furcht vor Magenerweiterung und ähnlichen Luftschlössern.
Vergeht dadurch dem Gatten der Appetit, so ist der erste Spatenstich zum Kofferpacken geschehen.
Hat der Gatte das Begehren, dann und wann den Junggesellen zu spielen, indem er den Ring in der Westentasche trägt, so hat es die Gattin leichter. Dann kommt ihr der Gatte wohl mit der Aufforderung, im Sommer etwas für ihre Gesundheit zu unternehmen, entgegen. Dann willigen die Damen nicht ein, ohne den Gatten zu bitten, sie nicht allein reisen zu lassen, was er dann unter irgend einer zugkräftigen Unwahrheit ablehnen wird, aber doch gerne hörte. So ist beiden geholfen.
17 Hat die Dame allein die Badereise angetreten, so schildere sie, angelangt, die Öde des Badeortes, wenn sie sich umgesehen und sich überzeugt hat, daß sie sich sehr gut unterhalten wird. Trifft sie einen ihrer tapfersten Verehrer, so kündigt sie dies ihrem Gatten mit den Worten an: »Was die Gesellschaft betrifft, so ist solche überhaupt nicht vorhanden. ich habe wenigstens nicht einen Bekannten gesehen.«
Ähnlich schreibt der Mann, der seine Frau am häuslichen Herd zurückgelassen hat, wenn er in dem Badeort eine Jugendfreundin wiederfand, welche gleichfalls Heilung sucht.
Man hüte sich in einem Kurort, das erste Bouquet zu verschenken. Il n'y a que le premier bouquet qui coûte. Denn dann nehmen die Bouquets keine Ende.
Wenn man in einem Badeort keine Ruhe haben will, so ist dies leicht zu veranstalten. Man braucht nur leicht zugänglich zu sein. Es finden sich dann immer Leute, welche andere langweilen, um sich selbst nicht zu ennuyieren.
Man habe die löbliche Absicht, seinen Lieben etwas schönes von der Reise mitzubringen und kaufe in Badeorten nichts. Auf diese Weise kann man Geld sparen. Ein anderes Mittel kenne ich nicht.
Hat man aber viel Geld oder noch mehr und hat nicht darauf zu sehen, daß es sich vermehre, so spiele man mit Herren, denen man eben vorgestellt worden ist. Alsbald vermehrt sich das Geld nicht. Hat man im Gegenteil alles verloren, so bestelle man sich per Telegraph von seinem Bankier eine größere Summe und erwiedere die Grüße der erwähnten Herren nicht mehr, denn es sind Bauernfänger. Will man aber erfahren, daß es ehrliche Leute sind, so frage man nur sie selbst.
Trifft man am Brunnen eine tiefschwarz gekleidete Dame, die im vorigen Jahr ihren Gatten und gestern 18 ihr Portemonnaie verloren hat, so entferne man sich schleunigst, um dem jungen Mädchen den Schmerz zu ersparen, durch weitere Mitteilungen ihre Wunden noch weiter aufzureißen.
Sieht man dann am folgenden Tag an der Mittagstafel die Beklagenswerte in Gesellschaft eines reichen Amerikaners, so erhebe man sich zum Zeichen ehrender Teilnahme, was der reiche Amerikaner nicht bemerken wird.
Ist man Freund von romantischen Erzählungen, so lasse man sich von diesem Amerikaner das Glück schildern, das ihm in den Schooß fiel, indem er durch einen wunderbaren Zufall die junge Wittwe kennen lernte. Man beeile sich aber, denn es könnte doch sein, daß das beglückende Mädchen mit einem reicheren Amerikaner durchbrennt. Dann ist es zu spät.
Will man im Kurorttheater eine neue Operette hören, so warte man, bis »Die Fledermaus« gegeben wird und gehe hinein. Eine neuere Operette hat das Repertoire nicht aufzuweisen. Gastiert darin eine berühmte Soubrette, so darf man überzeugt sein, daß sie überhaupt nur gastiert, weil sie nirgends mehr engagiert wird. Lernt man sie persönlich kennen, so sage man ihr nicht, daß man sie bereits vor neunundzwanzig Jahren als Martha gehört habe. Denn dies ist vielleicht schon vierunddreißig Jahre her, und dann hat man sich blamiert.
Auf dem Wege zum Speisen weiche man behutsam solchen Personen aus, welche gerne ihre Krankheitsgeschichte erzählen. Hat aber jemand zu erzählen begonnen, so entschuldige man sich, indem man versichert, man habe leider Appetit, und entferne sich mit Schleue.
Hat man längere Zeit schlecht gegessen und wird man von einem Besucher des Badeorts mit der Behauptung, dort sei das Essen ganz vortrefflich, in ein anderes Restaurant geschickt, so sage man nicht, dies 19 sei nicht wahr, bis man sich davon überzeugt hat. Man glaube aber nicht, daß man sich nicht davon überzeugen wird.
Wird man bei Tisch gut bedient, so gebe man freudig die verschiedenen Trinkgelder. Wird man schlecht bedient, so gebe man dieselbe Summe, wenn man morgen nicht noch schlechter bedient werden will.
Findet in manchen Kurorten schon in aller Frühe Musik statt, so ist man machtlos dagegen. Man versuche es einmal, um nichts unversucht zu lassen, mit einer Petition an die oberste Behörde des Städtchens, aber man wird keinen Erfolg zu verzeichnen haben. Das Kurorchester ist meist aus steuerzahlenden Bürgern des Badeorts zusammengesetzt, mit deren Gewerbeschein nicht zu spaßen sein dürfte, auch pflegen sie verheiratet zu sein und etliche Kinder komponiert zu haben. Man entschließe sich aber einmal, mit verstopfen Ohren an den Brunnen oder an die Quelle zu gehen, wozu man sich nicht zweimal entschließt, denn es sieht schlecht aus und nützt nichts.
Wird dem Kurgast die Zeit lang, so ist ihm das Folgende zum Zeitvertreib zu empfehlen. 1. Er richte wegen der Höhe der Kurtaxe eine Eingabe an die Badedirektion. Dieselbe wird zurückgewiesen. Alsdann wiederholt man die Reklamation. Auch diese findet keine Berücksichtigung. Alsdann zahlt man. 2. Rasiere er sich selbst, wenn er bisher gewöhnt war, sich rasieren zu lassen. Dies ist sehr unterhaltend, besonders anfangs, wo man sich ab und zu noch schneidet. 3. Gehe er zum Photographen, blättere im Vorzimmer in dem dort ausliegenden alten Jahrgang der »Fliegenden Blätter« und gehe dann wieder fort, ohne photographiert worden zu sein. Dies ist wohl das Kurzweiligste in einem Kurort.
Werden Ausflüge unternommen, an denen man teilnimmt, so finde man sich erst im Augenblick des 20 Aufbruchs am Sammelplatz ein, so daß die Damen ihre Regenmäntel, Taschen, Schirme und andere nicht unwichtige Gegenstande bereits unter die Herren zum Tragen verteilt haben. Dies wird für ungalant und egoistisch gehalten, befreit aber von einer höchst langweiligen Last.
Will man auf gemeinschaftlichen Ausfahrten nicht durch Gespräche, die man bereits auswendig weiß, in Anspruch genommen sein, so suche man einen Sitz neben dem Kutscher zu erobern, welcher gegen ein kleines Trinkgeld das tiefste Schweigen leistet, was durch eine Gabe bei einem Kurgast nicht zu erreichen sein würde, selbst wenn er die Gabe einsteckte.
Besucht man einen Kurort gern, so wäre es sehr unvorsichtig, derart kurgemäß zu leben, daß man ihn geheilt verläßt und ihn im nächsten Jahr nicht wieder aufsuchen müßte. Man lebe also genau nach der Vorschrift der Ärzte, deren Interesse es ist, daß der Kurgast wiederkehrt. Hieraus folgt, daß man sich vor Ausschreitungen hüte, welche man sich selbst verschreibt, denn solche könnten gerade zur völligen Wiederherstellung führen, die man weise zu vermeiden sucht.
Nach der Ankunft in einem Kurort miete man sofort eine passende Wohnung. Hat man solche gefunden und fragt den Wirt, was sie koste, so sagt er das Doppelte. Sofort biete man, was sehr unvorsichtig ist, die Hälfte, denn man bekommt sie für diesen Preis, der noch um ein Viertel zu hoch ist. Man darf aber nie vergessen, daß die Wirte doch im Winter leben wollen.
Man wird in Kurorten häufig von alten Bekannten oder von noch älteren Unbekannten angeredet, welche nichts zu reden haben und sich daher kurortsüblicher Phrasen bedienen. Man sei also auf passende Antworten gefaßt. In der ersten Zeit des Aufenthalts wird 21 man gefragt: »Sind Sie wieder hier?«, worauf man rasch nein antwortet. Dieselbe Antwort giebt man, wenn der Aufenthalt zu Ende geht, auf die Frage: »Sind Sie noch hier?« In solcher Weise trägt man vielleicht nichts dazu bei, daß diese dummen Fragen aufhören.
Ist man allein in einem kurzweiligen Kurort, so schreibe man nicht zu zärtlich an die Gattin. Sie kommt sicher.
Dieselbe Vorsicht hat die Frau zu beobachten, welche in einem kurzweiligen Kurort allein ist. Der Gatte kommt vielleicht.
Der Sommer ist vorzugsweise für Feste reserviert, welche sich zum großen Teil im Freien abspielen. Unter diesen stehen die Feste der
obenan. Sie sind bekanntlich der Schrecken der Städte, welchen von den Festgenossen der Vorzug gegeben worden ist und die zum Schauplatz des betreffenden Festes erhoben sind.
Da diese Städte mit sogenanntem Vergnügen die ehrenvolle Verpflichtung übernehmen, die lieben Gäste so splendid wie möglich zu empfangen und ihnen die Anwesenheit recht freundlich und billig zu gestalten, und da sich die Eisenbahnverwaltungen mit wahrem Entsetzen für verpflichtet halten, den lieben Festteilnehmern sehr billige Fahrkarten zur Verfügung zu stellen, so thut man gut, nicht nur einem dieser Vereine, sondern zweien oder allen dreien anzugehören, um von dem erschütternden Entgegenkommen dieser Städte und Eisenbahnverwaltungen einen fast kostenlosen Gebrauch machen zu können.
Ist man also nicht vergnügungssüchtig und singt, turnt und schießt man nicht, so wird man rechtzeitig 22 Mitglied dieser drei Vereine und macht ihre Wanderfeste mit, nachdem man die billige Eisenbahnkarte bezahlt oder umsonst erhalten hat.
In der zum Fest bestimmten Stadt angelangt, wird man mit den andern Festgenossen, auch Brüder genannt, schon auf dem Bahnhof willkommen geheißen, was niemals geschähe, wenn man als einzelner Reisender, der seine Fahrkarte voll bezahlt hat, kein Freiquartier bekommt, nicht zu großen Festtafeln geladen wird und nicht an anderen Unterhaltungen und Festlichkeiten kostenlos teilnimmt.
Wird man zur Eröffnung des Festes am ersten Abend vom Bürgermeister der Feststadt feierlich angeredet und bildet man in dieser Anrede mit den anderen Brüdern eine Korporation, auf die das Vaterland mit gerechtem Stolz blickt und welcher das Reich Einigkeit und Festigkeit und Schutz seiner heiligsten Güter mitverdankt, so stimme man dankbar in das Hoch auf die Korporation ein, mit welchem der Bürgermeister schließt.
Es findet dann gleich der Sturm auf das Buffet statt, welches sich unter der Last der Erfrischungen beugt.
Während an den folgenden Tagen die beratenden Sitzungen stattfinden, bekümmere man sich um die Sehenswürdigkeiten der Stadt, erinnere sich aber präzise der Pflicht, dem gemeinsamen von der Stadt gegebenen Frühstück und Mittagessen beizuwohnen und an den gleichfalls von der Stadt arrangierten Ausflügen teilzunehmen, um zu beweisen, daß man den Bestrebungen des Sänger-, Turner- oder Schützenverbandes gewissenhaft und von ganzem Herzen nahesteht. So viel ideales Streben muß von jedem Bruder an den Tag gelegt werden.
Ist die Feststadt eine größere, die ein Theater besitzt, und hat dies Theater eine Festvorstellung, für 23 die Teilnehmer des Festes gratis, arrangiert, so versäume man auch diese nicht, auch wenn man das angekündigte Stück schon kennt. Man muß eben bereit sein, der Zusammengehörigkeit ein Opfer zu bringen.
Man sei auch darin ein ganzer Mann, daß man die an den Festtafeln zur Verteilung kommenden Lieder nicht nur mitsingt, sondern sie auch sorgfältig einsteckt und mit in die Heimat nimmt.
Dem Zank der Brüder, oder gar einer zwischen ihnen ausbrechenden Prügelei bleibe man fern, damit man nicht als Zeuge beunruhigt werden kann. Man ziehe in eigenem Interesse vor, weiterzutrinken und höchstens den Kopf zu schütteln.
Gegen die Wirte des Freiquartiers sei man freundlich, wie es sich für das Mitglied eines Verbandes paßt, zu dem das Vaterland mit Stolz aufblickt. Gegen das Dienstmädchen, welches morgens das Frühstück bringt, benehme man sich ebenso.
Wohnt man als Freibeuter einem Sängertag bei, so singe man nicht nach dem Aufstehen, um sich den Wirtsleuten nicht zu verraten. Man ziehe es vor, zu turnen, während man, wenn man in gleicher Eigenschaft einem turnerischen Fest beiwohnt, getrost singen kann. Hat man aber als Teilnehmer eines Sängertages zufällig Stimme, so singe man gern und selbst bei unpassenden Gelegenheiten, so z. B. wenn die Hausfrau Zahnschmerzen hat. Aber es wird dann doch bemerkt, daß man einem Verbande angehört, auf den das Vaterland mit Stolz aufblickt.
Wohl mit größerem Stolz als auf die Sänger und Turner blickt das Vaterland auf die Schützen. Aber man sollte sich trotzdem damit begnügen, die Feste der Sänger und Turner mitzumachen und den Schützenfesten fernbleiben. Denn es wird auf Schützenfesten doch viel getrunken, und also könnte man doch leicht jemand über den Haufen schießen. Allerdings 24 käme man mit geringer Strafe davon, aber so kurz ist keine Gefängnißstrafe, daß man sie nicht lieber ganz vermiede.
Dem wirklichen Turner, Sänger oder Schützen ist aufrichtig Glück zu wünschen, ihm aber auch ans Herz zu legen, daß er, wenn er in seiner Eigenschaft als Bürger Mitglied eines Parlaments würde, nicht so energische Reden gegen die Verwaltungen halte, wenn ihm diese nicht sparsam genug erscheinen. Denn er hat ja auf seinen Wanderfesten die armen Städte zu großen Ausgaben verleitet und hätte jeden angeschrieen, der sie zur Sparsamkeit hätte veranlassen wollen.
Wenn man Lust hat, sich im Sommer von einigen Städten gut sättigen und unterhalten und von den Eisenbahnen billig befördern zu lassen und kann bei den Turnern, Sängern und Schützen kein Unterkommen finden, so wende man sich an andere Korporationen und Vereine, welche billig zu reisen und sich ebenso beköstigt wünschen. Mit Ausnahme des Berufs der Nachtwächter hat jeder Beruf seinen Tag.
Ist man impressionistischer Maler, so wundere man sich nicht, daß man anderswo die Bäume nicht blau und das Gras nicht rot findet wie in der Heimat. Die Bäume sind nun einmal anderswo nicht blau und das Gras nicht rot, das steht fest.
Ist man Arzt und macht einen
mit, so wird man seinen Patienten einen Gefallen thun, wenn man die Vorträge schwänzt, damit man keine neu erfundene Krankheit mit nach Hause bringt.
Ist man Journalist und nimmt an einem
teil, so donnere man eine fulminante Rede gegen den Nachdruck, den man als frechen Straßenraub bezeichnet, 25 durch den der arme Kollege das geistige Eigentum einbüßt. Namentlich thue man dies, wenn man selbst das Verbrechen des Nachdrucks verübt. Deshalb zur Rede gestellt, erzähle man von dem Diebe, der verfolgt wurde und »Haltet den Dieb!« schrie.
Als dramatischer Künstler einer
beiwohnend, spreche man, wenn man das Wort ergreift, nicht von einem geehrten Vorredner, sondern von einem berühmten Seelenmaler, der eben gesprochen hat. Doch auch ohne diese Bezeichnung sagt sich die Versammlung, daß man den geehrten Vorredner für einen hilflosen Stümper hält, der keine blasse Ahnung von den Rollen hat, welche er verzapft.
Wird man dann von einem Kollegen mit den Worten angeredet, er freue sich, endlich die persönliche Bekanntschaft des berühmten Darstellers des Mephistopheles machen zu können, so sei man überzeugt, daß er ein anderes Fach spielt und man in seinen Augen eine zweibeinige Null ist.
Will man nicht durch Dankbarkeit in der großen Gesellschaft störend auffallen, so nenne man das von der Stadt gegebene Abendessen eine traurige Massenabfütterung und schwöre, da bekanntlich eine solche Stadt in den nächsten zehn Jahren nicht wieder als Versammlungsort bestimmt wird, hier niemals wieder eine Einladung zur Festtafel anzunehmen.
Man versäume nicht, einen
mitzumachen. Für ein Geringes wird daselbst eine vortreffliche Kost und gutes Getränk gereicht. Namentlich der Arbeiterführer lebt gerne gut, und seine Mittel erlauben es ihm auch, den Arbeitern zu zeigen, welch ein Leben er für sie erstrebt. Man beteilige sich aber nicht an den Debatten, wenn man 26 nicht fliegen kann, weil man sonst, wider Willen aus dem Saal fliegend, sich nicht zu helfen wüßte. Die Herren sind nämlich untereinander immer sehr uneinig, und es ist daher sehr unvorsichtig, einem derselben Recht zu geben, wodurch man es mit dem andern verdirbt und leicht ins Gedränge kommt. Man kneipe also nur mit, wobei die Genossen Brüder sind und zusammen auf die Neubildung der Gesellschaft anstoßen.
Sehr beliebt ist im Sommer die
Ist man gerne an die Freuden des Winters erinnert, von denen die der Landpartie ausgeschlossen ist, so arrangiere man wenigstens eine solche oder beteilige sich daran, wenn man dazu aufgefordert wird. Aufgefordert wird man jedenfalls, und man kann sich nicht immer drücken.
Ist man Junggeselle, so sei man vorsichtig. »Eine Partie machen« ist bekanntlich ein Doppelsinn. Fürchtet man, verlobt zu werden, und fühlt man sich nicht stark genug, die Intriguen eines edlen liebenden Mutterherzens zerreißen oder durchkreuzen zu können, so lehne man die Einladung ab, indem man auf Falb verweist, welcher den Tag der Partie als einen kritischen verzeichnet und Regen, Hagel, Überschwemmung, Gewitter und scharfen Nordwind fest versprochen habe. Dies braucht nicht wahr zu sein.
Man wird am anderen Tage verhöhnt, aber das ist manchem lieber, als der Empfang von Gratulationen. Man kenne also die einladende Familie genau und wisse, ob sie töchterrein ist. Hat sie ausschließlich verheiratete oder verlobte Töchter, so nehme man freudig an.
Will man trotzdem loskommen, so verbiete man, daß man geweckt werde, um als Entschuldigung den Eid leisten zu können, daß man nicht geweckt worden sei. Dies kann man mit gutem Gewissen.
Macht man mit, so stelle man sich pünktlich zum 27 Rendezvous ein, um daselbst noch in aller Ruhe zwei Cigarren rauchen zu können, bis alle versammelt sind.
Am Ziel der Boot- oder Wagenfahrt angelangt, lagere man sich im Kreise der Gesellschaft und freue sich über jede Ameise, jede Raupe und jeden Käfer, von denen man bekrochen wird. Versäumt man dies, so hat man allein die Schuld, wenn die Partie nur einen Achtungserfolg erringt, da man dann hören muß, daß man der Gesellschaft wegen der wenigen unschuldigen Tierchen die anfangs so gute Laune verdorben hat.
Aus demselben Grunde finde man auch die saure Milch so süß, daß man niemals etwas anderes trinken möchte, auch wenn man bis dahin ein passionierter Wein- oder Biertrinker gewesen ist und später bleiben wird.
Wenn in den Wald gegangen wird, so wünscht man, ohne es laut werden zu lassen, daß die Gesellschaft das Lied »Wer hat dich, du schöner Wald« anstimmen wird. Da dies nämlich unbedingt geschieht und leider durch keine Macht der Landpartie verhindert werden kann, so ist es zu schmerzlich, wenn man unbegreiflicherweise annahm, das unvermeidliche Lied werde einmal nicht laut werden.
Wer den Verdacht erwecken will, den Tod zu suchen, das Schicksal herauszufordern, mit dem Leben zu spielen, an unheilbarem Pessimismus zu leiden oder Schopenhauer und Nietzsche gelesen zu haben, versäume es nicht, sich der Fraktion der Landpartie, die eine Bootfahrt unternimmt, anzuschließen. In dem Boot findet sich immer ein etwas angesäuselter Teilnehmer der Gesellschaft, der nicht still sitzt, sondern sich erhebt und das Boot ins Schwanken oder zum Kentern bringt. An schönen Sommertagen sind auf Landpartieen regelmäßig mehrere fahrlässige Töter oder Mörder unterwegs.
28 Ist das Boot infolge des sieghaften Witzes des Angesäuselten umgeschlagen und hat man vorher keinen Schwimmgürtel oder ein sonstiges Rettungsstück, wie man es im entscheidenden Moment nie bei der Hand hat, angelegt, so kann man hoffentlich schwimmen. Dann danke man seinem Schöpfer, auch dann, wenn man nicht schwimmen kann, keinen Rettungsgürtel oder dergleichen hat und wie durch ein Wunder gerettet wird.
In diesem Fall bitte man das Mitglied der Gesellschaft, welches das Abenteuer verschuldet hat, es nicht wieder zu thun, was aber nichts mehr ändert und, wenn versprochen, nicht gehalten wird.
Es geht jedenfalls aus dem Gesagten hervor, daß jeder Teilnehmer einer in eine Wasserfahrt ausartenden Landpartie sich vorher zu unterrichten hat, welche Mittel anzuwenden sind, um Verunglückten und Bewußtlosen oder Scheintoten beizustehen.
In den Lokalzeitungen, in welchen der betreffende Vorfall mitgeteilt wird, liest man dann die Worte: »Wie schon oft« oder: »Trotz aller warnenden Beispiele« und ähnliche. Auch solche Bemerkungen bleiben völlig unbeachtet oder in den Wind gedruckt.
Ist man ein kaltblütiges Mitglied solcher Wasserpartie, so nimmt man sich vor, einen solchen angesäuselten oder übermütigen Knoten in dem Augenblick, wo er sich zu seinem lebensgefährlichen Unfug erhebt, im Interesse der Gesellschaft niederzuschlagen, man thut es aber nicht, und das Unglück wird nicht verhütet. Man mache also von der Kaltblütigkeit dadurch den besten Gebrauch, daß man nicht mit zehn Pferden in ein Boot zu bringen ist, um an dem geschilderten Vergnügen teilzunehmen.
Man habe keinen Schirm auf die Landpartie mitgenommen. Jedenfalls tritt Regen ein, wenn auch erst, wenn die Gesellschaft sich gerade vortrefflich 29 amüsiert. In diesem Fall wird dem Schirmbesitzer der Vorwurf nicht erspart, daß er durch seine Vorsicht den Regen verschuldet habe, was unbedingt verstimmt. Aus diesem Grunde trage man auch keine hellen Beinkleider.
Man merke sich überhaupt: Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, wo es der Schauplatz einer Landpartie ist. Dies gilt nicht nur gegenüber dem Regenschirm, sondern auch, wenn man darauf aufmerksam macht, daß man den Abgang des letzten Lokalzuges versäume, falls sich die Gesellschaft nicht beim Aufbrechen sputet.
Erkennt man den Mosel- oder Rheinwein als untrinkbaren Essig, so lobe man ihn als guten Tropfen, um nicht als Spaßverderber oder Nörgeler, dem nichts genüge, zu gelten.
Wenn man sich bei Tisch erinnert, daß man in demselben Wirtshaus früher am Schluß der Tafel einen nicht würmerfreien Käse kommen sah, so warne man die Tischgenossen, aber in einer Weise, die sie nicht erschreckt, sondern die sie nur auf einem Umweg warnt und die auch den Wirt nicht verletzt. Man gebe der Warnung die Form eines Toastes, der mit den Worten schließt: Der Käse soll leben!
Wird irgendwo ein Echo aufgetrieben, so bemühe man es nicht und zwar nicht nur, weil man dazu schreien muß und ohnehin am Tage nach der Landpartie heiser zu sein pflegt, sondern weil man dadurch andere Teilnehmer veranlaßt, das Echo zu wecken, das alsdann gewöhnlich zu Verbalinjurien mißbraucht wird, welche selbst eine hartgesottene Gesellschaft auf die Dauer in Harnisch bringen können. Will man sich eben nicht mitbeleidigen lassen, so bitte man um die Erlaubnis, sich auf einen Augenblick entfernen zu dürfen, um das Echo zu interviewen. Alsdann rufe man:
30 Was sind die Teilnehmer der Gesellschaft, auch wenn sie sich nicht zum Vergnügen boxen?
Was empfinde ich, obschon ich bei ihnen noch nicht lange weile?
Wie findest du vertreten das weibliche Geschlecht?
Wie fandest du die Unterhaltung auf dem Waldpfade?
Wie heißen diejenigen, die in unserem Kreis bloß essen und gaffen?
Passen alle Teilnehmer unserer Gesellschaft in diese hinein?
Treiben manche nicht störend Allotria?
Nachdem das Echo diese und andere Fragen gewissenhaft beantwortet hat, wird es wohl in Ruhe gelassen werden.
Man hüte sich, von einem jungen Mädchen in der neckischsten Weise an eine einsame Stelle des Waldes geführt zu werden, da es vorkommen kann, daß daselbst ganz zufällig die Mutter, den Segen im Gewande, wartet.
Wird eine Bowle angesetzt, so denke man an den folgenden Morgen, und wenn man gerne mit Kopfschmerzen aufwacht, so trinke man tüchtig zu Ehren dessen, der die Bowle gemischt und es nicht verstanden hat.
Liebt man auf Landpartieen die Ruhe auch nur oberflächlich, so erkläre man, wenn die Spielwut ausbricht, man spiele am liebsten Lawn tennis. Dies ist ein Spiel, welches nicht ohne schwierige Herstellung des geeigneten Spielplatzes zu bewerkstelligen ist und daher nicht unternommen werden kann. So geht man frei aus.
Über dieses beliebte Ballspiel ist belehrend zu bemerken, daß es dabei darauf ankommt, einen Gummiball möglichst lang in der Luft hin und her zu schleudern und nicht zur Erde gelangen zu lassen. Wen es 31 interessiert, den unschuldigen Ball in dieser Weise zu malträtieren, lerne das Spiel gründlich, um bald ein beliebtes Mitglied der fashionablen Gesellschaft zu sein. Im anderen Fall ziehe man sich in die bescheidene Stellung eines Zuschauers zurück, in welcher man sich nicht weniger langweilen kann, als wenn man mitspielte.
Ist man so günstig placiert, daß man einen oder mehrere Bälle auf den Kopf oder in das Gesicht bekommt, so trägt man zur Erheiterung der Gesellschaft viel bei, wodurch man auch den weitschweifenden Ehrgeiz befriedigt sieht, sich angenehm zu machen.
Als ein anderes Spiel, welches den Aufenthalt im Freien kürzt, ist »Kämmerchen zu vermieten« hervorzuheben. Namentlich ist es denjenigen zu empfehlen. welche sich gern einmal als Hausbesitzer fühlen wollen. Steht man dieser protzigen Illusion gleichgültig gegenüber, so schließe man sich von diesem Spiele aus und suche sich auf andere Weise in Schweiß zu bringen und einer Erkältung auszusetzen.
Auch Krocket ist bei allen beliebt, die sich mit einem hölzernen Hammer lieber selbst auf den Fuß hauen, als dies von anderen thun zu lassen, da man dann sich höchstens selbst Vorwürfe macht und so nicht mit einem Fremden oder Bekannten befeindet, wobei die Folgen nicht vorher zu berechnen sind.
Hier ist auch das Fußballspiel zu erwähnen Dies wird von den Chirurgen als sehr gesund geschildert, da es ihnen Gelegenheit zu verschiedenen Operationen giebt, welche durch Unvorsichtigkeit, Unkenntnis und Unglück beim Spielen nötig werden.
Das Blindekuhspiel hat den eminenten Vorzug, daß es seinen Namen nicht verändert, auch wenn einem Herrn die Augen verbunden sind, um sich an dem Spiel zu beteiligen. Er thut dies als blinde Kuh, nicht als blinder Ochse oder als blindes Horn- oder Rindvieh, 32 was nicht harmlos klingen, auch zu Vergleichungen seitens der Mitspielenden verlocken würde. Stürzt man nieder oder rennt man gegen einen Baum, so antwortet man auf die Frage, ob man sich weh gethan habe: »Nein, im Gegenteil,« wodurch man sich sehr beliebt macht. Blutet man, so muß die Auskunft dadurch ergänzt werden, daß man tröstend sagt, das Bluten höre ja doch bald wieder auf, was gewöhnlich zutrifft. Keinenfalls braucht man sich weiter am Spiel zu beteiligen, wodurch der Schmerz gemildert wird.
Vom Zeckspiel wäre dasselbe zu sagen, wenn dem Leser etwas daran liegen sollte.
Wird die Landpartie durch ein sogenanntes solennes Tänzchen abgeschlossen und fühlt man sich noch stark genug, es mitzumachen, so unterlasse man dies und rauche lieber zu noch einem vorletzten Glas Bier eine Cigarre, um nicht total abgespannt und matt in die Stadt zurückzukehren.
Dem
wohne man bei, auch wenn man etwas von Pferden versteht.
Will man überflüssiges Geld los werden, so versäume man nicht, den Totalisator aufzusuchen und hier auf die Pferde zu wetten, welche als siegende bezeichnet werden. Alsdann folge man mit Hilfe eines guten Krimmstechers dem Lauf des bezeichneten Pferdes und befreunde sich mit dem Verlust, wenn es überholt wird.
Gewinnt das Pferd aber und wird man infolgedessen das überflüssige Geld nicht los, so versuche man es vertrauensvoll mit dem folgenden Rennen. Die Hoffnung auf den Totalisator läßt nicht zu Schanden werden.
Man mache sich mit der Sprache des Turf vertraut, damit man nicht einen Romanschriftsteller mit 33 einem Buchmacher verwechsele und der Verachtung verfalle.
Ist man, was ja vorkommen kann, auf einem Sattelplatz einer der wenigen Bürgerlichen und wird, was ja auch vorkommen kann, von einem Herrn, der von Adel ist und nicht mehr Vorfahren als man selber hat, beleidigt, so fordere man den Beleidiger nicht gleich, denn es könnte doch sein, daß man ihn im Duell tötet und hiervon viele Unannehmlichkeiten hat, jedenfalls mehr, als man haben würde, wenn man von dem Geforderten getötet wird.
Wenn man sein Leben lieb hat, so werde man nicht Jockey. Wenn man aber sein Leben nicht lieb hat, so werde man gleichfalls nicht Jockey.
Hält man einen Rennstall, so habe man viel Geld. Hat man viel Geld, so halte man keinen Rennstall.
Man hüte sich auf den Rennplätzen vor den kleinen Buchmachern, welche gewöhnlich kleine Diebe sind. Nach dem alten Sprichwort werden solche zwar gehängt, aber es ist nicht wahr, und das Geld bekommt man in beiden Fällen nicht wieder.
Ist ein Jockey gestürzt und bewußtlos liegen geblieben, so sage man sportgebildet, er habe sich vom Pferde getrennt, an dem Unglück ändert dies aber nichts.
Wird man von einer Dame, deren Bekanntschaft man eben gemacht hat, gebeten, eine Kleinigkeit für sie am Totalisator zu setzen, so sage man, das sei zu wenig und entferne sich beleidigt.
Wird man von einer ähnlichen Dame nicht aufgefordert, eine Kleinigkeit für sie zu verwetten, sondern gebeten, in das Zimmer eines berühmten Hotels zu kommen, wo man noch einige Herren der besten Gesellschaft finden wird, so sage man, man sei selbst Falschspieler, namentlich wenn man es nicht ist.
Man gebe auf den Sommerpaletot Acht, besonders 34 wenn man die üble Gewohnheit hat, die gespickte Brieftasche im Paletot zu tragen. Denn die meisten Paletotmarder sind Stammgäste der Rennplätze.
Ist man ein Bürgerlicher und einem Adeligen eine größere Summe schuldig, so glaubt jeder das Gegenteil. Ist nun der Adelige der Schuldner und trifft man ihn auf dem Rennplatz, so grüße man ihn nicht, da er nicht wiedergrüßen würde.
Ein sehr beliebter Sport ist auch die
Zu dieser gehört ein fischreiches Gewässer, etwas Geduld, eine Angel, viel Geduld, Köder und noch mehr Geduld. Fischt man selbst, so beneidet man den, der zusieht, weil der Zuschauer fortgehen kann, wenn es ihm beliebt, aber nicht fortgeht. Ob man nun Fischender oder Zuschauer sei, einerlei, man höre nicht die Bemerkungen der Vorübergehenden, weil sie gewöhnlich sehr beleidigender Natur sind.
Hat man nach dreistündigem Fischen noch nichts gefangen, so verliere man die Geduld nicht, sondern versuche es noch eine vierte Stunde. Hat man auch dann noch nichts gefangen, so schelte man auf die dummen Fische und gehe nach Haus. Dann hat man zum Vergnügen geangelt.
Will man sich zu Hause nicht auslachen lassen, so kaufe man bei einem Fischhändler keine geräucherten Fische.
Findet man an der Angel einen alten Schuh, so ist dies zwar ein Pech für den Angler, aber ein Glück für den Fisch, der an Stelle des Schuhs hängen könnte, und damit muß man sich trösten.
Ist man nicht Jäger, hat aber in einem unbewachten Augenblick, Jäger zu sein, behauptet und wird nun zur
eingeladen, so nehme man die Einladung mit Begeisterung an und sage dann ab. Auf diese Weise 35 entgehen die Treiber am einfachsten der Gefahr, angeschossen zu werden.
Hat man aber der Einladung Folge geleistet, so giebt es kein besseres Mittel gegen fahrlässige Tötung oder Körperverletzung als größte Vorsicht, welche darin besteht, daß man die Jagd mit nichtgeladener Flinte mitmacht.
Übt man diese Vorsicht nicht, so gebe man keinen Schuß ab. Denn der Sonntagsjäger hat zwar ein außerordentliches Geschick, den Dank der jagdbaren Tiere zu erwerben, aber auch das, sich selbst zu verwunden, wofür man durch den Dank der Tiere nicht entschädigt wird. Für alle Fälle studiere man das Werk »Über den Umgang mit Flinten«, wenn ein solches zu finden sein sollte.
Bevor man auf die Jagd geht, lasse man sich in einer Wildhandlung so viele Tiere reservieren, als man mit nach Hause zu bringen versprochen hat. Man thue dies, weil die Wildhandlung sonst vielleicht ihren ganzen Vorrat ausverkauft haben kann, wenn man von der Jagd kommt.
Hat man das Gefühl, Sonntagsjäger zu sein, so bleibe man diesem Gefühl treu, denn dies ehrt den Mann. Man präge sich dann vor dem Aufbruch zur Jagd genau das Bild eines Ochsen, eines Hammels, eines Hundes und einer Ziege ein, um nicht in die Lage zu kommen, eines dieser nützlichen Tiere über den Haufen zu schießen.
Keinenfalls erzähle man den Genossen Jagdgeschichten, da solche schon allen bekannt sind, weil sie sie bereits selbst erfunden haben. Das Wort »erfunden« ist ein höflich umschreibendes. Jedenfalls sei man im Erzählen überaus vorsichtig. Man trage z. B. keine einzige Jagdgeschichte vor, welche im Münchhausen zu finden ist. Löwen- und Elefantenjagden lasse man ganz aus dem Spiel. Auch Jagden auf Walfische und Lämmergeier.
36 Hat man keine Gelegenheiten, Jagden beizuwohnen, ohne die Lust am Jagen bändigen zu können, so widme man sich der häuslichen Jagd, durch welche man sich ungemein nützlich machen kann. In erster Linie sind hier die Jagden auf Ratten, Mäuse, Schwaben, Fliegen und Wanzen im Innern des Hauses und solche auf Raupen, Schnecken und Maulwürfe im Garten, wenn man einen besitzt, zu nennen. Hier hat man außer anderen Vorteilen den, daß man durch keine Schonzeit beschränkt ist. Natürlich bediene man sich auf diesen Jagden keiner Feuerwaffe.
Der Sommer ist die eigentliche Blütezeit
Man radle also nicht, wenn man es nicht kann.
Da das Radeln hauptsächlich gegen die Korpulenz empfohlen wird und von Nutzen ist, so radeln selbstverständlich nur schlanke Damen, welche es nicht nötig haben, während korpulente Damen, die es nötig haben, wenigstens nicht öffentlich radeln, weil sie auf dem Rade einen komischen Eindruck machen.
Hat eine Radlerin, welche mit Leidenschaft am Rade hängt, Aussicht, sich mit einem Mann zu verloben, der Radfeind ist, so finde sie plötzlich, daß das Radeln gesundheitsgefährlich sei und in den Verdacht des Kokettierens bringe, und gebe es bis nach der Verlobung auf. Vielleicht handelt es sich nur um vierzehn Tage.
Da, wohin man sehen mag, und da, wohin man nicht sehen mag, geradelt wird, so ist namentlich Damen zu empfehlen, sich auf kein Rad-Rendezvous, sondern sich nur auf ein Stelldichein zu Fuß einzulassen. Denn der Verräter schläft nicht, sondern radelt.
Männer, welche sich ein Weib erradeln wollen, thun gut, das Rad dieser Dame anzurennen und sofort abzuspringen, um ihr beizustehen. Da Radler, 37 welche einen Unfall herbeigeführt haben, gewöhnlich zu entzweiradeln suchen und auch meist glücklich davonradeln, so macht das Gegenteil auf die angeradelte Dame einen Eindruck, der bis zur Herzensneigung tief sein kann.
Hat man in der angegebenen Absicht so gehandelt und wird man von dem Fräulein »Sie sind ein Tölpel!« angeredet, so gebe man trotzdem die Hoffnung nicht auf. Das Standesamt ist unberechenbar.
Ist man unvorsichtig gewesen und hat das Fahrzeug durch einen Radmarder eingebüßt, so glaube man, daß man das Diebstahlroß wiederbekommt. Auch durch das Gegenteil erhält man das Rad nicht zurück.
Die Pumphosen der Radlerinnen sind auch bei solchen Männern beliebt, die nicht Radler sind. Sie können selbst bei Radlerinnen nicht beliebter sein.
Denjenigen Damen, welche gerne radeln möchten, aber nicht die Mittel haben, ein Rad zu kaufen, ist das Arbeiten an der Nähmaschine als Ersatz zu empfehlen. Natürlich wird dies ohne nennenswerten Erfolg empfohlen.
ist ein ebenso alter, als beliebter Sport, auch bei demjenigen, der von der Kunst des Segelns nichts versteht. In diesem Fall hat man sich einem Kundigen anzuvertrauen, während man im andern Fall meist ins Wasser fällt.
Hat man einen Erbonkel, so fordere man ihn nicht auf, im Interesse seiner Gesundheit eine Segelfahrt zu machen. Es könnte mißverstanden werden. Auch in die Schwiegermutter dringe man nicht mit derselben Aufforderung, weil dies noch mehr mißverstanden werden könnte.
Sind Damen im Segelboot und fragen sie, ob man sie bei einem Schiffsunglück mit Gefahr des 38 Lebens retten würde, so antworte man bejahend. Es ist noch keiner Dame eingefallen, eine Probe zu riskieren, auch dann nicht, wenn man verneinen würde.
Wird man zu einer Segelpartie eingeladen und merkt man, daß das Boot nicht seetüchtig, oder daß der Führer ein Wasserdilettant ist, so ziehe man sich bescheiden zurück und unternehme etwas, wobei man nicht ertrinken kann. Solcher Unternehmungen giebt es viele, z. B. Besuch einer Kunstausstellung, Tanzen, Pferdebahnfahren und Ansichtskartenkaufen. Denn das Wasser hat Balken, aber nur solche von untergegangenen Schiffen.
Die
ist ein spontanes Sommervergnügen. Im Sommer wird viel gelyrikt. Die Sonne (Wonne), die Blumen (Muhmen), die Schmetterlinge (Götterdinge), die hellen Hosen (Gesellen kosen), die saure Millich (laure willig), die Mücken (Entzücken) u. s. w. verführen fortwährend zum Dichten. Man bleibe ihm ferne und überlasse es anderen, zu beweisen, daß sie keine Dichter sind.
Trifft man einen Jüngling, der lyrische Gedichte an Zeitungen schickt, so unterschätze man sein Talent nicht, Frankomarken wegzuwerfen.
Will er die Gedichte vorlesen, so sage man, man komme gleich wieder, gehe dann aber auch gewiß fort.
Hat man eine Dichterin vor sich, so bitte man sie, einen Knopf am Handschuh festzunähen, um sich davon zu überzeugen, daß sie auch dies nicht kann.
Ist der junge Dichter ein realistischer, so schreibe man einige Beileidszeilen an seinen Vater oder Vormund. Seine Gedichte, von denen man noch kein einziges kennt, kennt man bereits von anderen jungen Dichtern und braucht sie deshalb nicht zu hören oder zu lesen.
Wird man mit einem Band moderner Dichtungen 39 beschenkt, so nehme man ihn mit Dank an und lasse ihn, wenn man Kinder hat, nicht frei herumliegen. Kinder und Buch könnten verdorben werden, erstere aber schlimmer.
Bekommt man selbst das Dichten, so bekämpfe man es, um unbescholten zu bleiben. Thut man dies nicht, so wird man es bereuen, wenn es zu spät ist. Denn dann kann man es sich nicht wieder abgewöhnen, wie das Trinken, obschon es schon vorgekommen ist, daß Trinker von diesem Laster befreit worden sind. Aber der Lyriker dichtet unheilbar.
Beneidet man einen Dichter, so treibe man den Neid nicht so weit, daß man ihm nachdichtet. Man kann es vielleicht nicht so schlecht.
Will man sich bei Männern von Geschmack beliebt machen, so kaufe man sich ein gebundenes Exemplar des Reimlexikons und benütze es nicht.
Hat man eine größere Menge moderner Gedichte verfaßt und will sie unter dem Titel »Flügelroßkastanien«, »Buch der Liederlichkeit« oder einem andern an einen Verleger schicken, so versäume man nicht, einen höheren Wert des Inhalts anzugeben. Vielleicht geht das Packet verloren, und man bekommt den angegebenen Wert von der Post ersetzt. Es ist in vielen Fällen für den Dichter ein großer Gewinn, wenn seine Gedichte verloren gehen.
Einer großen Beliebtheit, vorzugsweise wegen der Übertragung der Kosten auf die Eingeladenen, erfreut sich das
im Freien. Jeder Teilnehmer hat Trink- und Eßbares beizusteuern, und da jeder beisteuert, was er gern ißt und trinkt, so wird jedem Geschmack genügt, wenn man nicht gezwungen wird, von dem Leibgericht und Leibgetränk Anderer zu kosten. Man thue es aber 40 ausnahmsweise, um einige derselben nicht zu verletzen, hauptsächlich aber, um auf die Kosten zu kommen.
Ist die Gesellschaft gelagert und soll das Verzehren der beigesteuerten Eßwaren beginnen, so nehme man anfangs ganz kleine Portionen und versichere, man habe keinen Appetit, um die Nächstlagernden nicht stutzig zu machen und sie ferner nicht zu veranlassen, ängstlich geworden einzuhauen und Vorräte anzusammeln. Erst dann thue man dies selbst.
Sind gefürchtete Picknicker anwesend, so frage man diese nach der Güte dieses oder jenes Bratens und achte genau auf ihr Urteil. Fällt dies absprechend aus, wird z. B. der Braten als ungenießbar oder als unter aller Kritik garniert bezeichnet, so greife man eifrig zu und sorge auch für die Zeit eintretenden Mangels.
Hört man dagegen von gemütvollen Picknickern eine Schüssel als besonders empfehlenswert hervorgehoben, so bleibe man dieser Schüssel fern und überlasse die Aufräumung den Unkundigen und Naiven, an denen es bei einem Picknick niemals fehlt.
Hat jemand außer seinem genießbaren Beitrag einen ungenießbaren Freund mitgebracht, so sei man auch gegen jenen zurückhaltend, weil solche Picknicker gewöhnlich auch in der Wahl der Speisen geschmacklos zu sein pflegen.
Unter den Weinen bevorzuge man denjenigen, welcher von dem getrunken wird, der ihn mitgebracht hat. Man unterrichte sich also vorher genau, ob der Spender von Flüssigkeiten selbst von seinen Gaben trinkt oder nicht. In letzterem Fall greife man an seinen Flaschen vorbei und warte ab, bis er selber trinkt. Dann strecke man ihm das leere Glas entgegen und lasse es aus der bevorzugten Flasche füllen.
Werden von einem Teilnehmer des Picknicks, der einen vortrefflichen Appetit entwickelt, Rätsel aufgegeben, 41 so suche man den Ehrgeiz, sie zu lösen, zu bezwingen, da das Nachdenken das bekanntlich allein fettmachende Selbstessen ungemein stört. Man bringe einige Worte mit und halte sie bereit, um sie im gegebenen Moment dem rätselschwangeren Picknicker entgegen zu schleudern. Ich empfehle als Lösung das Wort »Flammenschwert« auch für ein- und zweisilbige Charaden, das Wort »Eis« für drei- und mehrsilbige, worauf allgemeines Gelächter folgt, aus dem man sich aber nichts macht, weil man während der Dauer desselben ungestört weiter essen kann.
Kommen die allgemein bekannten Scherzfragen an die Reihe, deren Beantwortung ebenso allgemein bekannt ist und kein Kind in Verlegenheit bringen, so kenne man weder die Frage, noch die Antwort, als solche erteile man aber eine falsche, um die Gesellschaft zu unterhalten, die sich, wenn die komischen Fragen beginnen, bereits in einem dem Gähnen ähnlichen Zustand befindet. Wenn also die so sehr komische Frage an die Reihe kommt: »Welches Fabrikat findet die meisten Abnehmer?« so antworte man: der Glühstrumpf, die Geschenkcigarre, die Ansichtspostkarte, der Nordhäuser, die Seife, die Frankomarke, kurz, man nenne jedes Fabrikat, nur nicht den Hut. Dies wirkt, und man leistet der Gesellschaft damit einen Liebesdienst.
Fällt eine Fliege in den Wein, so entfernt man sie, indem man den Wein fortgießt. Dann nimmt man ein reines Glas und schenkt dies aus einer frischen Flasche voll. Man kann sich dies auf einem Picknick erlauben. Entdeckt man im Hause eine Fliege im Wein, so schafft man sie mit einem Löffelchen oder einem Zahnstocher aus dem Glas und leert dies dann, um das Andenken der Hinausgeworfenen zu ehren.
Es giebt auch einen Picknickwein, welcher der hineingefallenen Fliege nicht bekommt, ja ihr sogar schadet. Mit solcher Fliege gehe man human um.
42 Ist eine Bowle bereitet, so sorge man auch als Fernlagernder dafür, daß sie immer mit dem Deckel versehen wird. Denn die darüber hinweg fliegenden Vögel zielen nicht, wenn ihnen etwas Menschliches begegnet.
Auf der dem Picknick folgenden Durchquerung des Waldes oder auf dem Spaziergange prüfe man seine Nüchternheit. Findet man sie lückenlos, so biete man ohne Bedenken einer heiratsfähigen Dame den Arm, während man einem auch ganz kleinen Rausch leicht eine Lebensgefährtin verdankt. Nur zu bald ist einem Picknicker zur Verlobung gratuliert, und dann ist es zu spät.
Hat man zu viel gegessen und zwar mehr als man zum Picknick beigetragen hat, so klage man nicht, sondern bedaure, keinen Appetit gehabt zu haben, um nicht nach Gebühr geschätzt zu werden.
Ist man ein Mensch, der immer einen Beschluß faßt, den er nicht zur Ausführung bringt, so beschließe man nicht, wenn man vom Picknick nach Hause kommt, nie wieder ein solches mitzumachen.
Eines der furchtbarsten Naturereignisse ist außer einem Erdbeben und einer Wasserhose der
im Vergleich mit dem Logierbesuch im Winter.
Der Sommerlogierbesucher in einer großen Stadt verlangt vor allem von seinem Opfer alle Vergnügungen des Winters mit alleiniger Ausnahme der Schlittenfahrten. Wenn man einen solchen Besuch empfängt, so mache man sich darauf gefaßt, daß man es auf das tiefste bedauern wird, nicht halbwegs zaubern und das Unmöglichste wenigstens annähernd möglich machen zu können.
Die Kunst, einen Logierbesuch im Sommer überdauern zu können, liegt in der Virtuosität, mit der 43 man auf alles, wofür man verantwortlich gemacht wird, vorbereitet ist. Zum Glück wird man für alles verantwortlich gemacht, so daß man auf alles vorbereitet sein kann.
Ist die Hitze sehr groß, wie dies im Sommer nicht immer zu vermeiden ist, so muß man auf die Vorwürfe des Besuchers gefaßt sein. Ebenso dann, wenn ein Regen stattfindet, wie er sich wohl im Sommer ereignet. Hier kommt man zur Not mit einem Achselzucken und der Versicherung davon, daß es nicht wieder geschehen solle. Aber wegen des Staubs, wenn die Arbeit des Sprengwagens ohne Erfolg blieb, hat man schon einen schwierigeren Stand, und gegen die Vorwürfe wegen der Ferien einiger Theater und Spezialitätenbühnen kann man dem Freunde mit dem bloßen Bewußtsein der Unschuld nicht ins Gesicht springen. In solchen Fällen genießt man aber das Glück, sich doppelt auf die Abreise des Freundes zu freuen.
Behauptet der Besucher, in seiner Heimat seien weniger Mücken, so höre man aus dieser Behauptung nicht den Vorwurf heraus, sondern vertröste ihn auf die nächste Mückenzählung. Kommt nach Tisch das Eis und behauptet er, es sei in seiner Heimat kälter, so lasse man sich unter gar keiner Bedingung auf einen Streit ein, um ihn nicht noch mehr zu reizen, sondern gebe ihm die Versicherung, daß man etwas weniger kaltes Eis bestellt habe, um dem Besucher eine Magenerkältung zu ersparen.
Kommt man bei Gelegenheit in das Zimmer des Logierbesuchs, so sei man zerstreut und lasse daselbst ein Eisenbahnkursbuch liegen. Wenn es auch nichts nützen sollte, so könnte es doch der Fall sein, daß es etwas nützt, und schon die Illusion versetzt in eine angenehme Stimmung.
Man lasse dann und wann durchblicken, daß die 44 Influenza grassieren solle. Der geborene Logierbesuch wird sich natürlich nicht daran kehren. Aber es ist doch gut, daß man diese Gleichgültigkeit feststellt, um andere Versuche, ihn zu vertreiben, unterlassen zu können.
Hat man in der Frühe zu arbeiten, so sorge man am vorangehenden Abend dafür, daß der Freund recht viel Bier trinke, damit er am anderen Morgen sich nicht aus dem Bett finden kann. Er wird dann zwar sehr schlecht auf das Bier sprechen, aber man war doch einige Stunden lang durch das Glück, einen Freund zu haben, nicht gestört.
Am Tage der Abreise des Freundes begleite man diesen mit traurigem Ausdruck zum Bahnhof und vollziehe, wenn man allein in die Wohnung zurückkehrt, zwei Akte der Wohlthätigkeit, indem man einem armen Mann eine verhältnismäßig größere Summe schenkt und die Fenster der Stube, in welcher der Logierbesuch sich ereignete, öffnen läßt.
Bis zum Eintreffen der Postkarte mit der Nachricht von der glücklichen Heimkehr des Freundes schwebe man in einiger Angst, aber nicht wegen seiner.
Mehr noch als im Winter wird im Sommer am hellen Tag ins Theater gegangen. An die Stelle der sogenannten Nachmittagsvorstellungen im Winter tritt im Sommer das
in welchem das Publikum im gegebenen Moment die Darsteller beneidet, welche bei eintretendem Regen nicht obdachlos sind. Bescheidene Zuschauer finden in diesem Neid mancherlei Anregung zur Kurzweil, welche die Aufführung selbst nicht immer gewährt.
Das Repertoire der Sommertheater (ich sage für Repertoire nicht das jetzt übliche und häufiger gedruckte als gesprochene »Spielplan«, weil das Spiel auf 45 Sommerbühnen meist planlos ist) setzt sich aus älteren Stücken zusammen, so daß häufig genug einzig und allein der Regenschirm gespannt ist. Indem man also von bewährten Stücken in das Sommertheater gelockt wird und dieser Lockung folgt, ist man nicht den Enttäuschungen der Erstaufführungen ausgesetzt, welche den Jammer der Wintersaison bilden. Man gehe also stets mit jener Seelenruhe in die Sommertheater, welche die herrlichen Leistungen der Klassikerverächter am allerwenigsten im Winter finden lassen.
Hat man zufällig einen Geist, welcher darin seine volle Befriedigung findet, daß auf der Bühne Podex, Quetschkartoffel oder Klumpatsch gesagt wird, so bleibe man dem Sommertheater fern, da in den unmodernen Stücken, namentlich in den alten blödsinnigen Possen die erwähnten Worte nicht gesprochen werden.
In dem Garten des Sommertheaters trifft man regelmäßig bedeutende und berühmte Choristen ohne Engagement, auf die man sofort zuzustürmen und die man dann anzupumpen hat. Dies ist, wenn nicht das einzige, so doch ein gutes Mittel, nicht von ihnen angepumpt zu werden.
Schauspieler und Schauspielerinnen der Winterbühnen halten sich gleichfalls gern im Garten des Sommertheaters auf, wenn sie nichts schlechteres zu thun wissen. Wenn diese erzählen, wie sie im Winter wieder zurückgesetzt und durch Intriguen von ihrer Höhe herabgestürzt wurden, so sage man ihnen, man wisse dies schon, worauf sie ihre Erzählung von vorne beginnen.
Hat man Grund, sich vom Bier dadurch zu entwöhnen, daß man die Quantität, welche man zu sich nimmt, allmählich verkleinert, so trinke man im Garten des Sommertheaters einen Seidel nach dem anderen, wodurch man mühelos an das aufs innigste zu wünschende Ziel gelangt. Man wird bald die beruhigende 46 Bemerkung machen, daß in den Seideln nur Schaumsäulen auf zierlichen Biersockeln stehen.
Hat man eine, wenn auch nur vorübergehende Braut und will man sie vor seinen Freunden nicht verheimlichen, so besuche man die Sommertheater mit diesem jungen Mädchen.
Macht man im Garten des Sommertheaters die Bekanntschaft einer Witwe, so hüte man sich vor dem Gatten dieser Dame, welcher sich jedenfalls vorstellen wird, wenn man auf dem Heimwege mit ihr eine einsame Gegend passiert.
Da die Zwischenakte in Sommertheatern im Interesse der Büffetpacht oder der Direktion, wenn diese zugleich die Wirtin ist, bedeutend länger als in Wintertheatern sind, so gebe man sich nicht die Mühe, sich zu merken, was man bis zur Pause gesehen hat, da ich dies für unmöglich halte. Einige Zwischenakte sind freilich noch etwas länger als gewöhnlich.
Ist man z. B. neugierig, was aus dem armen Mädchen wird, welches in einem Akt gegen den Landesfeind zog, indem sie erklärte, daß sie gehe und nimmer kehre sie wieder, und findet man sie im nächsten Akt im Dienst bei einem Grafen Rochester, so wird nicht die Jungfrau von Orleans, sondern die Waise von Lowood gegeben. Bemerkt man dann nach dem letzten Zwischenakt, daß die arme Heldin mitten in der Nacht ihren Gatten und ihre Kinder verläßt, so wird weder das eine, noch das andere Stück gegeben, sondern Nora.
Wird man von einer Dame ersucht, sie in ein Sommertheater zu führen, so schlage man ihr des lieben Friedens willen die Bitte nicht ab, ziehe sich aber mit einem Scherz aus der Verlegenheit, indem man sagt: Der Garten ist abends glänzend illuminiert, und man braucht seine Flamme nicht mitzubringen. Man sei überhaupt in Kleinigkeiten nobel.
47 Wer kein Freund von
ist, hat unter sehr vielen die zu wählen, welche er nicht besuchen will.
Solche Feste finden meist zu wohlthätigen Zwecken in zoologischen Gärten, in Ausstellungsparks und großen Vergnügungsetablissements statt und enden mit Feuerwerk und Regen.
Wegen des zu erwartenden Regens nehme man keinen Schirm mit, da dieser, wenn man ihn braucht, bereits aus Versehen und in der Zerstreutheit gestohlen zu sein pflegt.
Nimmt man an solchem Fest in großem Kreise teil, so suche man für die Gesellschaft einen Tisch in der Nähe eines der Orchester zu erobern. Denn hier ist der musikalische Lärm, da es sich gewöhnlich um ein Regimentsmusikkorps handelt, der betäubendste, und man braucht daher nicht fortwährend zu plaudern, was namentlich an heißen Tagen noch ermüdender ist als an kühlen.
Ist eine Rutschbahn etabliert, so mache man etliche Touren, denn es giebt wohl keine größere Freude als bei einer seltenen und originellen Unterhaltung mit dem Leben davonzukommen. Der Vorsicht halber lege man nur eine einzige Rutschbahnfahrt zurück.
Hat man kein Glück im Spiel, so versuche man es an der Würfelbude, woselbst das Glück im Spiel darin besteht, daß man es nicht hat. Wird man aber vom Unglück schnöde im Stich gelassen und gewinnt einen Gummibaum oder eine Gipsbüste des Präsidenten der vereinigten Staaten von Nordamerika, so betrachte man dies als einen Fingerzeig des Schicksals, die Götter nicht ferner zu versuchen, dränge den Gewinn einem ärmeren Zuschauer auf und verlasse entrüstet 48 das Spiel, aber so schnell, daß man von der erwähnten Gipsfigur nicht mehr erreicht werden kann.
Bricht der Regen plötzlich los, so biete man den Arm einer Dame, welche einen Schirm hat. Es ziemt dem Mann, galant zu sein. Hat man aber selbst einen Schirm, so belästige man die Dame nicht.
Bleibt trockenes Wetter, so biete man den Arm keiner Dame, besonders wenn man einen Schirm hat. Denn die Dame will nach Hause begleitet sein und pflegt ungemein weit entfernt zu wohnen. Damen, welche man von einem Gartenfest nach Hause begleiten muß, wohnen merkwürdiger Weise immer ungemein weit entfernt, besonders wenn sie das Gegenteil behaupten.
Naht ein Festzug, welcher, wie es angekündigt war, an Pracht der Kostüme alles bisher Dagewesene in den Schatten drängen wird, so erwarte man garnichts, und man wird sehr angenehm enttäuscht sein. Selbstverständlich ist der Schatten, in welchen alles bisher Dagewesene gedrängt wird, garnicht vorhanden.
Anwesende ältere Damen der Verwandtschaft, von der Großmutter aufwärts, ehre man dadurch passend, daß man sie veranlaßt, wegen der Hitze auf ihren Plätzen zu bleiben und sich nicht durch den Garten führen zu lassen. Herrscht die Hitze nicht, so bediene man sich an ihrer Stelle einer anderen Kalamität: des Staubes, des Gedränges oder des drohenden Regens.
Trifft man eine Dame, welche man bis vor kurzer Zeit brünett kannte, mit blondgefärbtem Haar, so erkenne man sie, wenn dies irgend möglich ist, sofort wieder und sage ihr nicht, daß sie eine eitle Närrin sei und sich lächerlich mache. Man sage überhaupt nichts, was ganz selbstverständlich ist oder nichts nützt.
Wird man aber von einem Mann begrüßt, der sich 49 gefärbt hat, so erkenne man ihn nicht, besonders dann, wenn man ihn deutlich erkennt, und erkläre ihm, indem er seinen Namen nennt, daß er ein anderer sei, denn der, den man kenne, sei kein Narr. Man nehme sich aber in Acht, einem Bekannten, der graues Haar hat, auf den Kopf zuzusagen, er habe es sich grau färben lassen, denn graues Haar ist immer echt.
Beginnt
nicht gleichzeitig mit dem Platzregen, so kann es eine schöne Augenweide werden, wenn man die Augen an den nächtlichen Himmel richtet und geduldig wartet, bis die Rakete heraufkommt. Was sich unten an Feuertöpfen und ähnlichem pyrotechnischen Geschirr bewundern läßt, lasse man ruhig geschehen, da man gewöhnlich ungünstig placiert ist und sich mit dem allgemeinen Ah! begnügen muß.
Bleibt der Platzregen während des Feuerwerks ganz fort, so lege man dies nicht dem Pyrotechniker oder gar dem Festcomité zur Last, da er durchaus nicht zum Programm gehört. Gerechter verfährt man, wenn man das Ganze für einen glücklichen Zufall erklärt, der sich vielleicht während des ganzen Sommers nicht wiederholt.
Mißglückt eine Nummer und amüsiert man sich darüber ganz besonders gut, so verlange man sie nicht da capo, sondern bedaure lieber, wenn die nächstfolgende gelingt und dadurch der Schadenfreude des geehrten Publikums Abbruch thut.
Bekommt man im Gedränge einen Fußtritt, so sieht man sich genau den Herrn an, von dem man den Tritt bekommen hat. Macht er den Eindruck eines starken Mannes, der eine Erniedrigung darin erblicken würde, um Verzeihung zu bitten, so sage man nichts, sondern denke ziemlich rücksichtslos und aufgebracht, ohne die Gedanken auf die Wagschale zu 50 legen. Ist aber der Tretende eine bescheidene, liebenswürdige Erscheinung und sucht er nach Worten der Entschuldigung, so setze man ihn mit scharfen Redensarten zurecht, erkläre sein Benehmen für unqualifizierbar und wünsche sich Glück, daß man sich so, wie es geschieht, zu beherrschen vermag.
Hat der Feuerwerker die Schlußnummer »Das Bombardement von Sebastopol« genannt, so finde man sich darein. Allerdings könnte sie auch »Die Seeschlacht bei Helgoland« oder »Liebeständelei« oder »Der Brand von Moskau« heißen, aber auch jeder dieser Namen wäre höchst unpassend. Selbst wenn die Nummer »Die letzten Augenblicke Richard des Dritten« hieße, würde sie vielleicht richtiger »Also spricht Zaratustra« oder »Waterloo« oder »Götterdämmerung« betitelt sein.
Hat sich eine Dame, um besser sehen zu können, auf einen Stuhl gestellt, so halte man sie, wenn man nicht ihr Gatte oder Bruder ist, nicht an den Füßen fest, damit sie nicht herunterfalle. Es giebt Gatten und Brüder, welche dergleichen gern selbst thun, wenn es nötig erscheint.
Verehrt man aber in der auf dem Stuhl stehenden Dame seine Gattin oder Schwester, so sei man nicht besorgt, daß sie abstürze, und bekümmere sich um ihre Füße nicht. Man bekunde die Sorgfalt in anderer Weise, etwa dadurch, daß man der Dame ein Butterbrot oder ein Glas Bier oder Wein hinaufreicht. Dies wird wohl auch dankbarer anerkannt, als das in den meisten Fällen ganz überflüssige Festhalten der Füße.
Während des Feuerwerks pflegt der übrige Teil des Parks um so dunkler zu sein, da die Verwaltung die Verfinsterung nicht unbenutzt läßt, um den Aktionären den beruhigenden Beweis zu liefern, daß sie sparsam sei. Diese Sparsamkeit wird dadurch in das richtige 51 Licht gerückt. Der Teil des Parks, in welchem dies geschieht, wird gern von Pärchen ausgesucht, welche fürchten, die Zuschauer des Feuerwerks zu stören. Da dies die Folge hat, daß der dunkle Teil des Parks ungemein stark frequentiert wird, so suche man ihn nicht am Arm einer Freundin auf, wenn man auf diesem Abstecher nicht erkannt sein will. Auch findet man die Bänke und Stühle bereits besetzt und würde dadurch zum Promenieren gezwungen, was in der Dunkelheit mit Gefahren verknüpft ist.
Die Zeit der
zeichnet sich durch bedauerliche Kürze aus, und wenn sie auch eigentlich nicht dem Sommer angehört, so darf sie doch hier eher, als in einer anderen Jahreszeit mit Interesse betrachtet werden. Sie empfiehlt sich wegen ihres raschen Vorübereilens besonderer Sorgfalt. Man nehme also eine Einladung zum Kiebitz-Eier-Essen schon deshalb an, weil dies wegen der teuren Kiebitz-Eier-Preise vorteilhafter ist, als selbst dazu einzuladen.
In der ersten Woche ist das Kiebitz-Ei meist unerschwinglich teuer. Man hasse deshalb den genannten Vogel nicht, er kann nichts dafür und hat auch nichts davon. Bekommt man nun in den Tagen der größten Teuerung eine Einladung, so nehme man sie ohne Rücksicht auf das Vermögen des Einladenden an, indem man sich sagt, daß man demselben eine große Ehre erweise. Es ist dies eine schöne Beruhigung für einen Gast, der gerne Kiebitz-Eier ißt, sie aber nicht gerne selbst bezahlt. Man greife auch zu und sei überzeugt, daß der höchste Preis an dem guten Geschmack der Kiebitz-Eier nichts ändert.
Hat man so viele Eier gegessen, daß man nicht mehr essen kann, so nehme man das Wort, um auseinander zu setzen, daß man das Kiebitz-Ei für ein 52 Vorurteil halte und ein gewöhnliches frisches Hühner-Ei dem kostspieligsten Kiebitz-Ei vorziehe. Es kann dies zwar dem Wirt keine Freude machen, aber auch dem Redner nicht schaden, da eben wegen der Kürze der Kiebitz-Eier-Blüte eine zweite Einladung überhaupt nicht erfolgen würde.
Man vergesse nicht, das Kiebitz-Ei in die Innenfläche der linken Hand zu stellen und es dann mit der rechten Hand breitzuschlagen. Man weiß natürlich nicht, weshalb. Hierauf schneide man die harte Spitze des Kiebitz-Eies fort, ohne ebenfalls den Grund zu wissen. Aber für die Umgebung ist es belehrend und wirkt respekteinflößend.
Nur wenn man links ist und das Kiebitz-Ei in die Innenfläche der rechten Hand stellt und es dann mit der linken Hand breitschlägt und köpft, weiß man, warum dies geschieht. Weil man eben links ist.
Zu den Vergnügungen des Sommers gehört auch das
Auch dies gewährt dem Gast eine reinere Freude als dem Wirt. Wer zu einem Krebsessen eingeladen ist, nehme die Einladung freundlich dankend an und sei überzeugt, daß der Wirt alles thun wird, größere Krebse anzuschaffen, als an der Wiege vorgesungen zu werden pflegen.
Man mache dem Wirt die Freude, ihm zu sagen, daß man den großen Krebs nicht höher als den kleineren schätze. Dies beruhigt den Wirt derart, daß man nun ganz ungestört ausschließlich nach den größten Krebsen langen kann.
Die Methode, nach der man dem Krebs den Panzer löst, die Scheren und den Schwanz entpanzert, jedes Bein gründlich leert und in anderer Weise das liebe Krustentier nützlich plündert, gebe man auch dann nicht auf, wenn man die Krebse nicht selbst 53 bezahlt. Man muß sich so weit überwinden können, zu zeigen, daß man mit fremden Krebsen ebenso gewissenhaft zu Werke geht, wie mit eigenen.
Ist man Krebsschnellesser, so sorge man dafür, daß der Teller, auf den man die sterblichen Überreste der Krebse legt, häufig geleert wird, da der Anblick großer Restehaufen die anderen Gäste beunruhigt, wenn ihnen ein Überblick über die noch vorhandenen Krebse fehlt. Denn das Bewußtsein, daß sich unter den Gästen ein Schnell-, Massen- oder Konzertesser befindet, mit welchem Schritt zu halten schwer ist, erschreckt die Tafelrunde und beeinträchtigt die zum Krebsessen wichtige Laune.
Erwischt man durch eigene Schuld einen Krebs, welcher sich nur einer einzigen nennenswerten Schere erfreut, so schelte man nicht gleich über einen Krebsschaden, da dieser Witz bereits ziemlich verbraucht ist. Es genügt, wenn man dem Wirt nicht wohl ist, zu sagen, wenn der letzte Krebs verschwunden, das Krebsessen sei eigentlich eine ermüdende Arbeit, für welche man bezahlt werden müßte. Man setze hinzu, der Wirt sei ein Arbeitgeber, der die Kraft der Arbeiter ausbeute. Auf eine Antwort nicht vorbereitet, muß der Wirt lächelnd schweigen.
Da der Krebs auf verschiedene Art gekocht wird, so versäume man nie, auf Kosten der gewählten eine andere Art zu loben. Vielleicht wird dadurch der Ehrgeiz des Wirtes gereizt, und er wiederholt das Krebsessen mit der anderen Zubereitungsart. Man kann allerdings das Unglück haben, daß der Wirt nicht ehrgeizig ist. Dann sei man dadurch getröstet, daß man seine Pflicht erfüllt hat.
Weist das Krebsessen, denn unter der Sonne ist nichts vollkommen, einige Mängel auf, so warte man ruhig das ab, was nach dem Krebsessen serviert wird. Vielleicht plädiert es für Annahme mildernder 54 Umstände. Man sei immer ein milddenkender Gast, der nicht vergißt, daß der Wirt doch vom besten Willen beseelt war. Oft kann noch eine gute Cigarre wieder gutmachen, was der Nachtisch zu tadeln gab, und es ist schön, auch dann alles zu verzeihen, wenn man nicht alles versteht.
Hat man nicht die nötige Krankheit, die nötige Zeit und das nötige Geld, eine Reise zur Karlsbader Kur zu unternehmen, so gebrauche man die
die man bewohnt. Es wird sich immer ein Arzt finden, der nicht vor allen seinen Patienten Ruhe haben will, sondern den einen oder den andern veranlaßt, das Karlsbader Wasser, anstatt heiß an der Quelle, kalt oder gewärmt daheim zu trinken. Es hilft dies bisweilen ebensowenig.
Man benimmt sich in solchem Fall genau, als wäre man zur Kur in Karlsbad, indem man sich nicht an die Anordnungen des Arztes kehrt und Diätfehler begeht. Nur auf dem Gebiet des Trinkgeldgebens lebt man mäßiger. Auch sind der Kaffee und das Gebäck nicht so gut. Aber das Trinken ist bedeutend gesünder, weil es ohne Musik vorgenommen werden kann, nachdem der vorgeschriebene Brunnen aus der Apotheke oder der Mineralwasserhandlung eingetroffen ist.
Genau wie in Karlsbad beginnt man nach dem Wassertrunk zu laufen und sich zu ärgern, daß man erst nach längerem Spazieren frühstücken darf. Hierbei schadet es der Gesundheit nicht, daß man dies thut, ohne irgend eine Kurtaxe zu bezahlen. Trifft man aber unterwegs einen guten Freund, so ist anzunehmen, daß man auch nicht um einige alte Anekdoten kommt, wie man sie in dem böhmischen Wunderkurort zu hören pflegt.
55 Wer beim Promenieren ungern auf den Anblick polnischer Juden verzichtet, wird allerdings während des heimatlichen Kurgebrauchs trostlos sein, denn sie sind künstlich nicht zu beschaffen. Sehr reiche Leute könnten sich allerdings den Luxus leisten, gewandte Schauspieler als polnische Juden verkleidet so auftreten zu lassen, daß sie ihnen begegnen, aber es wäre dies doch unnütz, denn es ist keinenfalls das Wahre. Die polnischen Juden müssen echt sein oder sie müssen garnicht sein. Das: Sint, ut sunt, aut non sint gilt nicht nur von den Jesuiten, sondern auch von den polnischen Juden.
Vermißt man auch ungern berühmte Badegäste auf der Promenade, so lege man ein Album von Photographieen bekannter Persönlichkeiten der Neuzeit an und sehe es durch, wenn man von der Promenade zum Frühstück nach Hause kommt. Man hat hierbei den Vorteil, daß die photographierte Berühmtheit immer besser aussieht als deren Original und man deshalb niemals schwer enttäuscht wird.
Trinkt man den Karlsbader, Marienbader oder anderen Brunnen aus der Flasche gleich nach dem Aufstehen oder noch im Bette, so wird man natürlich mancherlei schwer vermissen, was dem verwöhnten Karls- und Marienbader Kurgast oft so sehr kränkt und ihm missenswert erscheint. Indes gewöhnt man sich, wenn man ziemlich vernünftig ist, leicht an die fehlende Morgenmusik oder man ersetzt sie ganz kostenlos dadurch, daß man die Fenster öffnet und den Lärm der Pferdebahnen und anderer Verkehrsmittel in die Stube dringen läßt. Auch wird wohl in irgend einer Nähe schon in der Frühe Klavier geübt. Indes wird man auf jede Musik gern verzichten, wenn man sich sagt, daß selbst das teuerste Wasser durch Musik nicht in etwas verwandelt wird, was schlechter schmeckt.
Man gewöhnt sich auch leicht daran, daß man 56 beim Brunnentrinken im Hause keine Blumen bereit zu halten braucht oder, wenn man eine Dame ist, Blumen anzunehmen und sie so lange mit sich herumzutragen hat, bis man sie unbemerkt wegwerfen kann. Hält man es aber für wichtig, daß man als Kranker Blumen spendet, so bestelle man einigemal aus einer Blumenhandlung etliche Bouquets und verschenke sie, wenn man das Haus verläßt. Schon bei der ersten Überreichung der Rechnung wird man auf fernere Bouquets mit einem gewissen Vergnügen verzichten.
Trinkt man den Brunnen außerhalb des Hauses, etwa in einem Garten, in welchem auch vorschriftgemäß nach dem Wassergenuß auf- und abgegangen wird, so bilde man sich trotzdem noch immer nicht ein, daß man ein Kurgast sei, der sich Kurwidrigkeiten zu schulden kommen lassen dürfe. Dergleichen kann sich nur der wirkliche Kurgast erlauben.
Dagegen halte man still, wenn ein anderer Brunnentrinker seine Leiden schildert, auch wenn dies in möglichst appetitlicher Weise geschieht, was ja in einem wirklichen Kurort nicht zu geschehen pflegt. Diese Schilderung der intimsten Geschehnisse, welche so fördernd auf das Unberührtbleiben des Frühstücks wirkt, sind wohl imstande, dem Zuhörer den ganzen Zauber eines Weltbadeorts zu erschließen.
Trifft man beim Promenieren einen Freund oder Bekannten, der Geschmack genug hat, nicht von dem körperlichen Zustand zu erzählen, der ihn zwinge, in aller Frühe Wasser zu trinken, so traue man seinen Ohren nicht. Kann man nach einer neuen Prüfung seinen Ohren trauen, so halte man den Freund oder Bekannten für die ganze Dauer der Kur fest, da er ein seltener Mensch ist, der in Badeörtern noch bedeutend seltener ist.
Man verliebe sich nicht, wie dies in Kurorten zu geschehen pflegt. Denn dergleichen eignet sich eben für 57 Kurorte besser als für irgend einen Platz, wo man der Gesundheit oder der Wiederherstellung lebt. Hat man sich aber unvorsichtigerweise verliebt, so spreche man mit dem Arzt darüber, um zu erfahren, ob dies nicht vielleicht als eine Verschlimmerung des körperlichen Leidens zu betrachten sei.
Hat der Arzt Getränke, die man mit Vorliebe genießt, für die Dauer der Kur und vier Wochen darüber strenge verboten, so achte man dies Verbot, verrate es aber den Freunden in der Stadt, da man von diesen dann verführt werden wird, gerade die verbotenen Getränke zu genießen. Man hat alsdann einen Vorwand, das Verbot zu verletzen und macht den Freunden ein Vergnügen, wodurch man in den Besitz eines zweiten und gewiß edleren Vorwands gelangt ist.
Hat man sich so weit vergessen, daß man während der Kur bis zum frühen Morgen mit guten Freunden wach blieb, so beeile man sich, früh genug nach Hause zu kommen, um nicht gleichzeitig mit dem weckenden Diener an der Thür des Schlafzimmers einzutreffen. Dem Diener sage man dann, daß man heute früher als gewöhnlich das Wasser getrunken habe, sich wieder niederlegen und noch einige Stunden schlafen wolle. Sagt hierauf der Diener nichts, so weiß er alles, und thut er, als wenn er irgend etwas sagen wolle, so weiß er gleichfalls alles.
Das späte oder richtiger frühe Heimkehren ist im Sommer nur deshalb sehr fatal, weil dann schon in den ersten Morgenstunden das freundliche Dunkel fehlt. Namentlich ist es schwer, die Haltung zu bewahren, wenn man von den Männern und Frauen gesehen wird, welche der Beruf bei tagschlafender Zeit auf die Straße nötigt. Hierher gehören die Droschkenkutscher, die Brot- und Zeitungsträger, die Schutzmänner und ähnliche wackere Leute. Der von der Arbeit heimkehrende Einbrecher sei hier nur erwähnt, weil man 58 von ihm vielleicht mit einem dankbaren Blick betrachtet wird, der sich dadurch erklärt, daß er die Menschen wohlwollend auszeichnet, welche nachts nicht zu Hause zu sein pflegen. So stört er sie nicht, und er wird nicht von ihnen gestört. Man sehe sich einen solchen Mann aber genau an. Vielleicht kommt er gerade aus der Wohnung, die man jetzt aufsucht und ausgeplündert findet.
Man unterlasse es nicht, während des Sommers in den Wirtshäusern, welche man, wenn es schon Tag geworden, verläßt, ein Handtuch zu deponieren. Dies hängt man über den Arm oder nimmt es zusammengerollt in die Hand, um auf dem Nachhauseweg als zum Baden Gehender zu gelten. Sollte aber jemand bei diesem Anblick lachen, so kennt er den allgemein bekannten Tric bereits.
Man verzögere die Frühheimkehr nicht dadurch, daß man noch die Morgenblätter abwartet. Denn um diese Stunde bedarf man keiner künstlichen Mittel, um einzuschlafen, und die nach Schluß der Redaktion eingetroffenen Telegramme pflegen meist ebenso unwichtig zu sein, wie die vorher eingetroffenen.
Man setze sich nicht auf eine Bank im Tiergarten, um sich an dem köstlichen Frühgesang der lieben Vögel zu erquicken, denn gewöhnlich hat man bei solchen Gelegenheiten eine goldene Uhr bei sich, bis man beim Erwachen entdeckt, daß man gefleddert worden ist. Das gegen das Leichenfleddern vielfach empfohlene Mittel, bei der Heimkehr eine Weckuhr mitzuführen, falls man einen großen Park passiert, hat sich nur insofern bewährt, als der Leichenfledderer auch die Weckuhr mitnahm.
Kommt auf solchem Heimweg ein Herr mit schwerem Knotenstock und Ballonmütze hinter einem Busch hervorgesprungen, so sei man ganz ruhig und frage ihn, was die Uhr sei. Antwortet er mit einem 59 Hieb, so sei man schon fort, denn der Schutzmann kann nicht überall sein.
Wird man in aller Frühe von einer Dame um Schutz gegen einen Mädchenjäger gebeten, so bitte man diesen Verfolger um Schutz gegen die Dame. Es ist dies wohl das einzige Mittel, mit blauem Auge davonzukommen. Für das blaue Auge läßt man natürlich Portemonnaie und Uhr in den Händen des vermeintlichen Mädchenjägers zurück, während die Dame sich mit einem einfachen Siegelring begnügt.
Ist man das Opfer einer solchen Komödie geworden und wünscht man außerdem in unbezwinglichem Ehrgeiz einen Lacherfolg, so erzähle man den Freunden, was passiert ist und sorge für Veröffentlichung dieses Vorfalls in den Tagesblättern als Beweis für die Unsicherheit in der nächsten Umgebung der Stadt. Natürlich hört man von keinem Freunde, daß nur einem ganz dummen Kerl dergleichen passieren könne und auch, daß Dummheit eine Gottesgabe sei, für welche man nicht genug dankbar sein könne, aber man merkt doch bald an gewissen Neckereien, daß man sich einmal wieder sehr beliebt gemacht habe. Addiert man dann den Inhalt des Portemonnaies und den Wert der Uhr und des Siegelrings, so spielt diese Summe eigentlich keine Rolle gegenüber dem Vergnügen, welches man seinen lieben Freunden gemacht hat.
Ist man gefleddert oder in der geschilderten originellen Weise beraubt, so bemühe man den auf den Hilferuf herbeieilenden Schutzmann nur dann, wenn Fledderer oder Parkräuber von diesem Beamten noch erreicht werden kann. Im anderen Fall behellige man den Beamten oder die Behörde nicht mit dem Vorgefallenen, da man nur dadurch Plackereien aller Art, als da sind: Besuche in Polizeibureaus, Konfrontationen der eingezogenen Verdächtigen, Durchsehen des Verbrecheralbums und ähnlichen zeitraubenden Geschäften 60 auszuweichen vermag. Dagegen darf man überzeugt sein, daß man Portemonnaie, Uhr und Siegelring nicht wiederbekommt. Indem man also nicht noch viele kostbaren Stunden dazu opfert, verringert man dann den Ärger über den Verlust um ein Erkleckliches. Dies werden alle loben, namentlich die Polizeibeamten, welche sich freuen, nicht fortwährend an die Unthaten der Verbrecher erinnert zu werden.
Kommt man trotzdem wieder in den Besitz des Geraubten, so lese man die Schillersche Ballade: der Ring des Polykrates und suche die Erinnyen zu versöhnen. Wie dies anzustellen sein wird, das wird man wohl selbst am besten wissen. Das Einfachste wäre ja, genau wie Polykrates zu verfahren, aber es ist dies nicht besonders zu empfehlen, weil auf den Fisch kein Verlaß ist, der den Ring in die Küche zurückzuliefern haben würde. Es ist schon vernünftiger, man begnüge sich mit der Wiedererlangung des Gestohlenen und stelle keine weiteren Experimente an, die Götter, die augenscheinlich auf Verderben sinnen, in eine versöhnlichere Stimmung zu versetzen. Das Beste ist schon, man nehme das Geld, das man den Göttern opfern wollte, verzehre es in guten Rotweinen, zu denen man die Freunde einladet, und warte das Weitere ab.
Es bedarf wohl für den vernünftigen Mann nicht unliebsamer Vorfälle, um die Sehnsucht nach dem völligen Ausspannen und Erholen immer frisch zu halten. Zwar heißt es, daß Arbeit das Leben süß mache, aber das Ausspannen und Erholen macht es doch auch nicht bitter.
Um ausspannen und sich erholen zu können, muß man arbeiten. Man arbeite also auch im Sommer. Man kann allerdings auch ausspannen und sich erholen, ohne zu arbeiten, wozu nichts weiter als eine hinreichende Rente nötig ist. Das letztere bleibt vorzuziehen.
61 Ausspannen und sich erholen heißt Nichtsthun. Es geschieht zur Beruhigung der Nerven und zum Sammeln neuer Kräfte, welche man braucht, um die Nerven wieder zu beunruhigen. Wer sich nun schämt, nichts zu thun, und behauptet, er könne nicht Nichts thun, weil das Nichtsthun ihm die größte Arbeit sei, der ist auch sonst ein Heuchler.
Eine Dame weiß nicht, was ausspannen heißt, indem sie in einem Badeort täglich dreimal Toilette macht, um dem Publikum stets neue Kleider und neue Hüte zu zeigen. Sie wird dann allgemein bedauert, weil sie doch so angestrengt arbeitet und es eigentlich nicht nötig hat.
Die Männer haben viele Formen, in den
nicht auszuspannen und sich nicht zu erholen. Sie suchen den Frauen zu gefallen, spielen Karten, unternehmen große Fußtouren, hören alte Anekdoten an und unterhalten sich über Politik, bis die Ferien zu Ende sind und die Berufsarbeit wieder beginnt, in der sie sich dann langsam von den Anstrengungen der Ferien ausruhen.
Wenn man kein Talent zum Ausspannen und zum Erholen hat, so thut man gut, die Ferien unbenutzt zu lassen, da diese sowohl für den Körper, als auch für die Kasse zu anstrengend sind.
Selbst wenn man noch jung ist, strengt das Verliebtsein in den Ferien zu sehr an, um als Erholung gelten zu können. So schön Schiller diesen Herzenszustand schildert, so ist dieser doch bei näherer Betrachtung nicht von körperlicher und seelischer Anstrengung frei. Des Jünglings Alleinirren, das Hervorbrechen der Thränen und das Fliehen aus der Brüder wilden Reihn, indem er zugleich ihren Spuren folgt und das Schönste auf den Fluren sucht, sind unmöglich mit dem Begriff des Ausspannens zu vereinbaren.
62 Ist man verheiratet, so ist die Frage, ob man in Gesellschaft der Familie oder allein ausspannen soll, nicht so einfach zu beantworten. Es kommt hierbei auf den Grad der Verheiratung an. Ist der Gatte sehr oder gar ungemein verheiratet, so ist es der Ausspannung von Vorteil, wenn der Gatte allein seine Ferien verbringt, wenn er gewissermaßen in stiller Zurückgezogenheit von der Werkeltagsarbeit genesen will oder soll.
Auf manchen Gatten wirkt schon eine leider oft so kurze Trennung von vier Wochen wie ein Wunder, wenn der Gatte in zu reichem Maße verheiratet ist. Schon in der ganz wie neu erscheinenden Zärtlichkeit in den Briefen und auf den bunten Postkarten spricht sich die Wohlthat deutlich aus, welche eine Trennung darstellt, ohne daß die zum Ausdruck kommende Sehnsucht echt zu sein braucht. Sind die beiden Orte telephonisch verbunden und plaudert der Gatte mit seiner Frau mittels dieser herrlichen Erfindung, so wird auch der Fernstehende zugeben müssen, daß sich in diese oft fünf Minuten ununterbrochen währende Unterhaltung kein Mißton drängt, wie er so gern im persönlichen Verkehr ohne eigentlichen Grund und zu beiderseitigem Bedauern oft schon nach ein- oder zweiminutlicher Plauderei zu kommen pflegt.
Es ist hier nicht der Ort, alle Ehepaare zu fragen, ob eine dann und wann stattfindende Trennung das eheliche Glück empfindlich stören, ja, ob eine solche nicht am Ende gar als eine nützliche Unterbrechung geschätzt werden würde. Eine solche Frage würde schon deshalb keine rechte Bedeutung haben, weil vielen Gatten von ihren besseren Hälften verboten würde, eine ehrliche Antwort zu geben. Trotzdem würde sich ganz gewiß eine imposante Majorität für eine Trennung in den Ferien aussprechen.
Als allzu Verheirateter wird man natürlich vor 63 keine leichte Aufgabe gestellt, wenn man der Gattin und dem etwaigen Kindersegen gegenüber eine Trennung durchsetzen soll. Mit den beschönigenden Redensarten »Toujours perdrix«, »Variatio delectat« und der Versicherung, daß der ewig blaue Himmel nur gewinnen könne, wenn sich einmal für kurze Zeit eine andere Farbe hineinmische, ist wenig gethan, weil sie nicht immer ohne weiteres für ehrlich gehalten werden. Man spiele daher mit dem Arzt unter einer Decke. Ist der Arzt selbst verheiratet, so bedarf es keiner weiteren Motivierung, um die nötige Trennung herbeizuführen.
Hat man diese durchgesetzt, so unterlasse man es nicht, während der Vorbereitungen zur Reise mit Bedauern von dieser Trennung zu sprechen. Dasselbe ist auch der Gattin zu empfehlen. Beide haben dies aber nicht zu übertreiben, damit das Erreichte nicht dadurch gefährdet werde, daß der eine oder der andere Teil im letzten Moment dem Jammer ein Ende macht und sich entschließt, mit in die Verbannung zu ziehen.
Als Ort, wo man die Ferien verbringt, ist kein naheliegender zu wählen, da die Verkehrsmittel heute zu leicht namentlich die Sonntage unsicher machen und die Familie zu Besuchen verführen. Jedenfalls wird es in naheliegenden Ausspannorten die litterarische Aufgabe des Gatten oder der Gattin sein, das Wetter so schlecht zu machen und die vorhandenen Vergnügungen so erbarmungslos herabzusetzen, daß den Adressaten die Lust zur Visite vergeht.
Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß nur Männer wegen übermäßiger Ehe nach einer längeren oder kürzeren, meist aber längeren Trennung zu verlangen das Recht oder das Bedürfnis haben sollen. Ist es bisher nicht betont worden, daß ebenso die Frau und ebenso häufig wie der Mann zu der 64 Einsicht gelangen kann und auch thatsächlich zu der Überzeugung gelangt, daß sie fast zu sehr verheiratet sei und daß eine Erholung erfreulich wirken könne, so soll dies hier ausdrücklich geschehen. In der Ehe gilt der Grundsatz: Gleiches Unrecht für alle.
Hört man eine Frau in den Ferien beklagen, daß sie allein in die Sommerfrische geschickt oder allein zu Hause geblieben sei, so stelle man ihr das Zeugnis aus, daß man von ihr höchst taktvoll zum besten gehalten worden sei.
Hört man einen Mann in den Ferien darüber jammern, daß er sich einsam fühle und außer sich darüber sei, daß seine Gattin ohne ihn reiste oder allein zu Hause blieb, so bitte man ihn, daß er sich für seine Komödie einen anderen Dummen aussuchen möge.
Trifft man in der Ferienfrische
während man selbst mit der Gattin anwesend ist, so suche man sich dadurch einigermaßen schadlos zu halten, daß man die Strohwitwer, wenn man sie in Gesellschaft von Damen trifft, nach dem Befinden ihrer Gattin und Kinder fragt. Es ist ihnen dies meist unangenehm, und das kann doch recht amüsant sein.
Hat der Strohwitwer noch keine Enkel, so frage man ihn auch nach dem Befinden dieser. Es handelt sich doch nur darum, daß man ihm Enkel zutraut, und dies ist ihm gleichfalls sehr fatal. Man entschuldige sich natürlich tausendmal, daß man sich geirrt habe, an der Sache ändert dies durchaus nichts.
Will man den Strohwitwer recht unbefangen ärgern, stören oder ihm die gute Laune verderben, so betrete man, wenn man von seinen Angehörigen spricht, den Weg des unbegrenzten Lobes, man frage nach seiner schönen, mit ewiger Jugend begabten 65 Gattin, schildere seine Töchter als mit verblüffender Bildung ausgestattete Ballköniginnen und sehe in seinen Söhnen die kommenden Männer. Dann ist der Strohwitwer entwaffnet und das vorbereitete Wort Tölpel oder ein ähnliches erstirbt ihm auf der Lippe.
Ist man selbst Strohwitwer, so sei man gegen andere Strohwitwer genau so, wie man von ihnen behandelt sein will. Das ist für sie vorteilhaft, während man selbst keinen Nutzen davon hat, denn es sind immer Männer vorhanden, welche von ihren Frauen keine Eifersucht zu fürchten haben, und gegen solche Männer kann sich kein Strohwitwer schützen. Man kann aber von ihnen sehr viel lernen, denn sie liefern Beweise von großer Schlauheit, wenn sie von ihren Frauen keine Eifersucht zu fürchten haben.
Man findet dann und wann einen Strohwitwer, welcher die Briefe seiner Gattin vorliest. Solchem weiche man aus, weil Briefe, welche vorgelesen werden, nie etwas enthalten, was wert ist, vorgelesen zu werden. Namentlich steht in solchen Briefen nichts, was der Gatte nicht erfahren darf, und alles, was er erfahren darf, ist uninteressant.
Man merke sich endlich, daß einem der »Fremde« nicht mehr geglaubt wird. Ist man also Strohwitwer, so rede man nicht von seinem Fremden, sondern überlasse es jedem Bekannten, an solchen zu glauben. Redet man von ihm, so hält man ihn für ersonnen, um ungestört bummeln zu können und obenein als Opfer der Freundschaft zu gelten. Am allerwenigsten spreche man von einem Fremden in den Briefen an die Gattin, welche dadurch leicht herbeigelockt werden kann und dann nicht wieder zu entfernen ist. Der Fremde erfreut sich überall eines schlechten Rufs, weil er meist eine Erfindung ist. Der erfundene Fremde gilt als ein nichtswürdiges Geschöpf, dem der 66 wirkliche, der doch moralische Grundsätze haben könnte, vorgezogen wird.
Ein Beweis für das Schauderhafte, das sich an die Erscheinung des Fremden knüpft, ist der Umstand, daß noch keine Frau auf die Idee gekommen ist, ihrem Mann brieflich oder mündlich anzuzeigen, sie habe einen Fremden. Noch in keinem Scheidungsprozeß spielte der Fremde einer Frau eine Rolle, der Fremde ist eine Ausgeburt der Männerphantasie.
Der wirkliche Fremde eines Mannes hat die furchtbare Eigenschaft, daß er nicht geführt wird, sondern führt. Der Fremde zeigt einem Manne in dessen eigener Stadt erst alle ihre Schlupfwinkel und Sümpfe und ist daher mit vollem Recht von den Gattinnen gefürchtet.
Wenn ein Fremder eine Stadt als Sündenbabel schildert, so kann man sicher sein, daß er beigetragen hat, sie dazu zu machen.
Eine sehr angenehme Erscheinung in den Sommerfrischen, Kurorten, Strandstädten und Heildörfern sind
Sie beleben den gewöhnlich sehr langweiligen Ort dadurch, daß sie ohne ihre Schuld Grund zu Erzählungen geben, an denen kein wahres Wort ist, besonders wenn sie mit der Versicherung verbreitet werden, daß man es ganz genau wisse. Wird aber das Ehrenwort gegeben, daß die Erzählung wahr sei, dann ist sie sicher unwahr.
Lernt man eine Strohwitwe kennen, so erkundige man sich, ob sie nicht etwa ein Strohfräulein ist. Denn meist ist es sonst zu spät und es ist zu der Witwe dann kein Mann zu finden, der die Rechnungen bezahlt. Dann bezahle man sie, ohne zu fürchten, daß dies als beleidigend zurückgewiesen wird. Nur Mut!
67 Gleich nach dem Vergnügen, eine Strohwitwe kennen zu lernen, erkundige man sich nach ihren Lieblingsblumen und nach ihrem Lieblingskonfekt. Da dies meist die teuersten auf ihrem Gebiet zu sein pflegen, so kann man leicht berechnen, wie viel man täglich spart, wenn man sie sogleich wieder vergißt.
Trifft man in größerer Gesellschaft mit dieser Dame zusammen und bringt sie das Gespräch ganz zufällig auf das Theater, so sage man, das Theater sei total ausverkauft. Es ist dann sicher ein anderer anwesend, welcher sich anheischig macht, mit Hilfe seiner großen Verbindungen noch eine Loge zu bekommen, wie sie die Strohwitwe wünscht. Diese Aufdringlichkeit läßt man sich gefallen, um keine Mißstimmung in den Kreis zu bringen, was allgemein anerkannt wird, auch bei solchen Herren, welche wußten daß überhaupt noch kein Theaterbillet verkauft war.
An Gesprächen über reizende Gegenstände, welche die Strohwitwen in den Schaufenstern namentlich der Juwelierläden gesehen haben, beteilige man sich nicht unter dem ausdrücklichen Bemerken, daß man nichts davon verstehe. Man fange lieber ein Gespräch über neue Erfindungen in der Elektrizität an, von denen man erst recht nichts versteht.
Treffen Verwandte der Dame ein, so störe man sie nicht, auch wenn sie nicht mit ihr allein sein wollen, was man nicht zu wissen braucht.
Wird die Strohwitwe, was anzunehmen ist, während der Sommerfrische von einem Geburtstag erreicht, so sei man diskret und wisse nichts davon. Im Fall sage man den indiskreten Wissenden, daß einer Dame ein Geburtstag immer ein peinliches Fest sei, weil er sie nur in seltenen Fällen jünger zu machen pflege.
Ist man bereits verheiratet, so trete man unerschrocken an die Dame heran, falls sie von einer 68 Tochter umgeben ist. Ich wähle mit Vorbehalt dieses falsche Wort, weil eine Strohwitwe, die eine Tochter zur Seite hat, ungemein umgeben ist. Ist man aber unverheiratet, ohne Praxis im Ausweichen zu haben, und nicht verliebt, so sei man kein Egoist, sondern überlasse den Platz einem Würdigeren, der vielleicht ohnedies unrettbar der Ehe verfallen ist. Dies erkennt man am leichtesten daran, daß man von ihm mit geringschätzenden Blicken betrachtet wird.
Sind der Strohwitwe eines Tages alle verheirateten Männer sehr gleichgültig, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder erwartet sie im Laufe des folgenden Tages ihren lieben Gatten oder einer der jungen Männer hat um die Hand ihrer Tochter gebeten. In keinen der beiden Fälle thue man eine schadenfrohe Äußerung.
Man setze sich in den Feriengegenden nicht zu Damen, welche Strümpfe stricken. Man kann Strümpfe für ungemein nützlich und notwendig halten, ohne sie gerne entstehen zu sehen. Aber man kann sie auch dann und wann gerne entstehen sehen, ohne darin eine Vergnügungssucht befriedigen zu wollen. Man achte also das Strümpfestricken hoch, erblicke darin eine gute alte Sitte, störe aber die Damen nicht, damit man plaudernd durch frivoles Ablenken nicht etwa die Verknüppelung des Strumpfs verschulde. Allerdings wird solche Zurückhaltung von den Strickerinnen mißverstanden werden.
Anders verhalte man sich gegenüber solchen
Trifft man, wie es sich wohl von selbst versteht, schreibende Damen, so setze man sich doch lieber zu den Damen, welche Strümpfe stricken, so schwer man sich dazu entschließen mag.
Glaubt man aber, man könne die schreibenden 69 Damen in ihrem unmäßigen Novellendichten stören, so setze man sich zu ihnen. Bliebe dadurch auch nur eine einzige Novelle ungeschrieben, so darf man sich schon dieser Störung als einer Wohlthat rühmen. Aber man wird dies niemals können, denn von den etlichen Millionen Metern Novellen, welche jährlich von Damen geschrieben werden, bleiben nicht zwei Meter ungeschrieben.
Man nehme sich aber wohl in Acht, in einer Damengesellschaft über die Blaustrümpfe etwas Böses zu sagen, denn man verletzt die Hälfte der Anwesenden nicht nur, welche schreiben, sondern auch die andere Hälfte, welche jedenfalls bereits beschlossen hat, nächstens zur Feder zu greifen.
Lernt man eine Dame kennen, von der man sagen hört, sie schriebe keine Novellen, so juble man nicht zu früh, denn es wird sich bald herausstellen, daß es nicht wahr ist.
Wird man von einer Dame eingeladen, eine ihrer Novellen anzuhören, so mißverstehe man und sage dankend, man habe bereits gefrühstückt.
Wird man von einer Dame eingeladen, welche keine ihrer Novellen vorlesen will, so verfahre man ebenso, um auszuweichen, denn sie würde trotzdem eine ihrer Novellen vorlesen.
In der Reihe noch anderer Sommerunterhaltungen nehmen die
einen ziemlich hervorragenden Platz ein. Die Extrazüge, Sonderzüge genannt, werden von den Eisenbahnverwaltungen lediglich im Interesse des reiselustigen Publikums eingerichtet, um ihre ohnehin großen Einnahmen zu erhöhen.
Sie sind immer sehr überfüllt, gewähren dem Reisenden kein Freigepäck, behandeln ihn selbst wie ein 70 Stück Gepäck, verbilligen die Reise nur um ein Geringes und werden vom Publikum zum Vergnügen benutzt.
Man stelle sich mit großer Pünktlichkeit auf dem Bahnhof ein, nämlich eine halbe Stunde vor der angekündigten Abgangszeit, um mit aller Bequemlichkeit nicht an den Schalter heranzukommen und nicht in den Besitz einer Fahrkarte zu gelangen.
Hat man dann endlich eine der letzten Fahrkarten erwischt, so beeile man sich, in den Waggon zu kommen, um, da dieser bereits überfüllt ist, einen anderen Waggon zu suchen, in welchem gleichfalls kein Platz vorhanden ist.
Nun wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den vorderen Waggons schicken. Hier wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat, und lasse sich von diesem zu den hinteren Waggons senden. Daselbst wende man sich an den Schaffner, wenn man ihn gefunden hat. Von diesem wird man zu den mittleren Waggons befohlen.
Hat man diesem Befehl Folge geleistet, so steige man in einen bereits besetzten Wagen, lasse sich von dem Schaffner hinaus und in einen anderen Wagen hineinschieben, woselbst man Platz nimmt.
Hier wird gewöhnlich bereits gesungen, da man zwischen die Mitglieder einer Sängertafel geraten ist, aus welchem Grunde man gleichfalls einen Schluck aus der kreisenden Flasche nimmt und mitsingt.
Da, wie Seume behauptet, wo man singet, man sich ruhig niederlassen soll, weil Bösewichter keine Lieder haben, so sei man nicht außer sich, wenn man sehr zusammengepreßt wird und andere Unannehmlichkeiten erdulden muß. Denn die Reisegefährten haben Lieder, sind also keine Bösewichter und meinen es nicht so böse, wie sie aussehen.
71 Es giebt Menschen, welche einen Extrazug benutzen wollen, aber zu spät auf dem Bahnhof eintreffen und nur noch den Zug fortsausen sehen. Dies aber sind besonders begnadete Menschen, Sonntagskinder oder Glückspilze, und wenn man zu einer dieser drei Sorten gehört, so kommt man gar nicht auf den Gedanken, einen Extrazug benutzen zu wollen.
Man habe bei sich, was man braucht, um Hunger und Durst zu stillen, denn auf den wenigen Stationen legt der Extrazug seine Eile nicht ab, und wenn man nicht sehr stark ist, kommt man nicht an das Büffet heran oder nur dann, wenn alles verzehrt ist.
Verrät die Cigarre eines Extrazüglers durch ihren Duft, daß sie entweder eine Rabbi oder eine Mönch sei (s. Heinrich Heine: Disputation, letzte Strophe[Am Ende des »Romanzero«:
Welcher Recht hat, weiß ich nicht –
Doch es will mich schier bedünken,
Daß der Rabbi und der Mönch,
Daß sie alle beide stinken.]
Ist auf der Fahrt viel getrunken worden, so trete man unter irgend einem Vorwand auf den Gang und bleibe daselbst bis zum Ende der Reise stehen. Denn wenn einem Gegenübersitzenden schlecht wird, so wird er wahrscheinlich am andern Morgen wieder ganz hergestellt sein, aber man muß doch nicht von allem haben.
Wird man von der Gattin eines gleichfalls nicht ganz nüchternen Extrazüglers etwas gefragt, so antworte man nicht, da seitens des Gatten eine Antwort mißverstanden und als Versuch, die Frau zu einem Treubruch zu verleiten, aufgefaßt werden könnte, was zu peinlichen Auseinandersetzungen führen würde. Man schone also die Empfindlichkeit des Mitreisenden, dessen Fäuste man sich bei dieser Gelegenheit nicht zu flüchtig ansehe.
72 Stimmen die Extrazügler »die Wacht am Rhein« an und niemand kennt den Text der sechs Strophen außer dem der ersten, so mache man darüber keine abfällige Bemerkung, denn man kennt ihn selber nicht.
Ist man mit Reisegeld gut versorgt und kommt mit einem elegant gekleideten Extrazügler in ein Gespräch, in dessen Verlauf man von diesem eingeladen wird, sich seiner Führung am Ziel der Fahrt anzuvertrauen, so kann man gar nicht so viel Reisegeld bei sich haben, als man im Kümmelblättchen verliert, zu welchem man von dem Herrn animiert werden wird.
Macht man die angenehme Bekanntschaft einer alleinstehenden Extrazüglerin, welche Verwandte besuchen will, von denen sie nicht am Bahnhof erwartet wird, sich aber dennoch erbitten läßt, die Begleitung bis zur Stadt anzunehmen, so wird man sie nicht wieder los, da sie sich auf dem Wege zur Stadt entschließt, ihre Verwandten nicht aufzusuchen, sondern lieber mit ihrem Begleiter zu speisen und mit ihm ins Theater zu gehen. Wird man dann zum Abschied von ihr umarmt, so halte man eine Hand am Taschenbuch, in welchem man das Reisegeld hat, und die andere Hand an der Uhr. Was man dann vermißt, ist nicht so wertvoll.
Ist man am Ziel der Reise angelangt, so prahle man namentlich in Wirtshäusern nicht mit dem Hinweis darauf, daß man mit dem Extrazug eingetroffen sei. Denn dies ist nicht nur keine Eigenschaft, mit der man prahlen kann, sondern man würde auch bei den Kellnern keines Ansehens genießen, da der Extrazügler im allgemeinen als ein Freund ökonomischer Lebensführung gilt, der z. B. im Trinkgeldgeben von Prinzipien und Vorurteilen geleitet wird.
Will man im Hotel nicht mit Begeisterung 73 empfangen werden, so fahre oder gehe man direkt nach der Ankunft dahin und bitte um ein Zimmer. Der Hotelwirt erwartet die Extrazügler schon seit gestern mit einer gewissen Furcht.
Beginnt man
zu durchrennen, so achte man genau auf die Erklärungen des die Opfer der Schaulust führenden Beamten und merke sich die oft so feinen Dummheiten seiner Bemerkungen. Dies hat man aber nicht nötig, wenn man historische Reliquien und ganz alte Vorfahrenporträts für interessanter als solche Bemerkungen hält, worüber man vom Arzt das Nähere erfahren kann. Unheilbar ist es nicht.
Stehen in den Schlössern und Museen viele Kleinigkeiten umher, die sich leicht einstecken und transportieren lassen, und steckt man solche ein, so ist man ein Dieb, wenn man erwischt wird. Kommt es aber heraus, so ist man statt dessen ein an der Kleptomanie leidender Mann, der allgemein bedauert wird und auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden muß. Man bezwinge sich indessen lieber, denn man wird doch sehr leicht erwischt, und es ist auch nicht sicher, daß angenommen wird, man leide an der Kleptomanie. Man beschränke sich also darauf, einige Bemerkungen des erklärenden Führers mitzunehmen, welche, wie gesagt, hübscher sind, als die Gegenstände, auf die sie sich beziehen.
Man zeige auf solchen Durchquerungen der Schlösser und Museen nicht, daß man reichlich mit Geld versehen sei. Denn man wird in solchen Fällen nur zu oft von einem alten Bekannten begrüßt, den man niemals im Leben gesehen hat.
Folgt man solchem alten Bekannten, den man niemals im Leben gesehen hat, so nehme man die 74 Fahrkarte aus dem Portemonnaie und stecke sie in die Westentasche, um sicher zu sein, die Rückreise antreten zu können, ohne eine Fahrkarte kaufen zu müssen. Denn wenn das Portemonnaie mit der Fahrkarte abhanden kommt, so wird diese vom unehrlichen Finder mit zum baren Gelde berechnet und billig verkauft.
Da eine Fahrt mit dem Extrazug mehr als jede andere anstrengt, so verpflege man sich gut und lege sich namentlich im Essen und Trinken keine Entbehrungen aus. Einen Aschinger findet man heute schon in allen namhaften Städten.
Will man einen wirklichen Kunstgenuß haben, so gehe man nicht ins Theater, da daselbst in der Zeit der Extrazüge, wenn überhaupt gespielt wird, nur das älteste Repertoire zur Herrschaft gelangt. Man erkundige sich daher, ob in der Stadt ein Spezialitätentheater existiere und vermeide auch dies.
Hat man sich der leichteren Beweglichkeit halber in der Eigenschaft als Extrazügler mit möglichst wenig Gepäck versehen, so schone man trotzdem die Papierwäsche nicht, welche schon am zweiten Tag nicht mehr recht sauber zu sein pflegt. Man werfe sie aber nicht fort, sondern verwende sie zum Aufzeichnen der Reiseeindrücke und Erlebnisse, welche Notizen sich später zu Feuilletons verarbeiten lassen.
Hat man auf diesem litterarischen Felde einen Namen und wird um Autographen ersucht, so bediene man sich dazu sauberer Papierwäsche. Dies ist höchst originell.
Ist der Extrazug sehr lang und wird dadurch ein Eisenbahnzusammenstoß herbeigeführt, so sei man ganz ruhig. Denn die Direktionen haften mit ihrem ganzen Vermögen für die Folgen. Hat man sich aber gegen Eisenbahnunfall mit einer größeren Summe versichert und rechnet man auf diese, so sei man noch ruhiger, denn alsdann geschieht kein Unglück.
75 Wenden wir uns von solchen Herdenmenschen zu denjenigen Sonderlingen, welche die
aufsuchen, indem sie sie als ein unabweisbares Bedürfnis empfinden. Sie streben sie an und finden sie wohl auch, aber dann ist es nicht die Einsamkeit.
Goethe läßt seinen Harfenspieler singen: »Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ach! der ist bald allein.« Dies ist indes in Zweifel zu ziehen. Keinenfalls ist der lange allein. Selbst wenn ein Harfenspieler sich der Einsamkeit ergiebt, so thut er dies in der Überzeugung, bald nicht mehr allein zu sein, so wenig man verlangen mag, zu den Zuhörern zu gehören. Aber auch, wenn man nicht Harfenspieler ist, darf man überzeugt sein, daß es eine schwere Aufgabe ist, eine Einsamkeit finden und genießen zu können.
Hat man das seltene Glück, einen echten Einsiedler aufzutreiben, so wird man dahinterkommen, daß man einen sehr geselligen Herrn kennen gelernt hat, der auch, wenn man ihm etwas giebt, sehr mitteilsam wird. Er empfängt Besuch aus der Umgegend und ist außer sich, wenn solcher ausbleibt, denn er haßt die Menschen nur, wenn sie nicht da sind, weil er von ihnen und nicht von Heuschrecken lebt. Das Heuschreckenessen ist eine Fabel, der Einsiedler pflegt ein Feinschmecker zu sein.
Wer es mit der Einsamkeit ernst meint, wird sie natürlich finden, um dann bald einzusehen, daß er in das Gegenteil geraten ist.
Schon bei der Ankunft in der Einsamkeit lernt man die Wirtsleute und deren Verwandte als biedere Menschen kennen, welche Anschluß suchen, während des Winters viel allein waren und sich freuen, nun jemand gefunden zu haben, mit dem sie sich aussprechen können. Dies beginnt schon am ersten Abend.
76 Da der Ort, in welchem man sich der Einsamkeit erfreuen will, so schön gelegen zu sein pflegt, so wird er von vielen Passanten gestreift, unter denen man Bekannte findet, die man nicht verletzen will und daher bittet, einige Zeit zu verweilen, wodurch die Einsamkeit angenehm belebt wird.
Befinden sich unter diesen Passanten Männer, welche gleichfalls die Einsamkeit aufsuchen, so ist der Skatpartie die Bahn geebnet.
Der Einsame sei anderen Einsamen gegenüber möglichst taktvoll und zwinge sie nicht, länger zu bleiben, als sie ihre Einsamkeit zu unterbrechen wünschen. Man sage sich, wie man selbst es beurteilen würde, wenn jemand allein zu sein wünscht und es nicht durchsetzen könnte, einen Besuch zu beenden.
Man wird die Einsamkeit besonders angenehm finden, wenn man den Besuchern in irgend einem Kartenspiel ziemlich viel abgewinnt. Gewinnen dagegen die Besucher, so werden diese die Einsamkeit ihres Freundes verwerfen und ihm versprechen, morgen wiederzukommen.
Taucht im Laufe der Unterhaltung bei dem einen oder andern die Idee auf, einen Klub der Einsiedler zu gründen, so trete man diesem nur unter der Bedingung bei, daß man ohne weiteres wieder austreten könne, wenn sich mehr als fünfzig Mitglieder zusammenfinden und infolgedessen der Lärm zu groß wird.
Findet man, daß die ländliche Einsamkeit durch die Gesellschaft zu eintönig geworden, so unternehme man in der tiefsten Verschwiegenheit eine Fahrt in die nächste größere Stadt und steige daselbst unter fremdem Namen in einem Hotel ab, aber nur dann, wenn man das schauspielerische Talent hat, sich zu verleugnen, falls man beim Eintreffen sofort erkannt und begrüßt wird, was nicht zu vermeiden ist.
77 Ist man verheiratet und hat allein die Einsamkeit aufgesucht, so teile man vor der Abfahrt in die größere Stadt der Gattin mit, daß man sich daselbst nur so lange aufhalten werde, als nötig ist, ihr etwas aus der Einsamkeit mitzubringen. Dies wird zwar nicht geglaubt, versöhnt aber zugleich.
Mit der weiblichen Bedienung der Einsamkeit kann man nicht vorsichtig genug sein, da sie durch vorangegangene Einsamlinge schon gewitzigt zu sein pflegen.
Ist man Radler, so nehme man das Zweirad nicht in die Einsamkeit mit, da der Zweiraddieb aus der Umgegend dahin zu kommen pflegt.
Will man eine ganz ernsthafte Einsamkeit schaffen, so schildere man dem ersten Besucher eine finanzielle Krisis, in der man sich befinde, und fordere ihn auf, zu ihrer Hebung beizutragen. Dies verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und bald wird kein Mensch mehr die Schwelle des Einsamen überschreiten, wenn man keine Gläubiger hat.
Eine Hauptsache für das persönliche Behagen ist und bleibt
und wie man es auszunutzen und sich gegen seine Unbill zu schützen weiß. Hat man kein Vertrauen zu der Falbschen Prognose, so kann man auch ohne solches vielfach getäuscht werden, weshalb zu raten ist, daß man im Gegenteil ein Anhänger der Falbschen Theorie werde, damit man für eigene Irrtümer eine Entschuldigung habe, und weil der Laubfrosch, falls man einen solchen aufgestellt haben sollte, nicht des wissenschaftlichen Ansehens genießt und nur als tüchtiger Fliegenfänger anerkannt wird.
Zuverlässiger als der Laubfrosch ist der Regenschirm. Ist man ohne solchen ausgegangen, so ist ein 78 plötzlicher Niederschlag zu erwarten, obschon es auch trocken bleiben kann, und hat man den Regenschirm mitgenommen, so bleibt es wahrscheinlich trocken, obschon es auch zu regnen anfangen kann.
Hat man einen neuen Hut, so ist ein hartnäckiger Landregen zu erwarten, als habe man einen neuen hellen Anzug angelegt. Wird man hierauf aufmerksam gemacht, so entferne man sich nicht zu weit von einem Wirtshaus, in welchem man beim Eintritt eines Unwetters eine Flasche Wein findet, die natürlich nicht zu trinken ist und daher einen längeren Aufenthalt im Wirtshaus möglich macht.
Bekommt man auf die Frage, ob das Wetter schön und trocken bleibe, eine bejahende Antwort, so gehe man auf die Gefahr hin, die Bejahenden zu beleidigen, nicht ohne Regenschirm aus, da sie nicht naß würden, wenn man ohne Regenschirm ausgegangen wäre und ein Platzregen einträte, während sie zu Hause blieben.
Bekommt man auf die Frage, ob es regnen wird, eine bejahende Antwort, so nehme man trotzdem den Regenschirm und Regenmantel mit, denn die Bejahenden könnten Recht haben.
Ist es sehr schwül und ist man kein Freund großer Hitze, so freue man sich, ablehnen zu können, wenn man zu einer Vergnügungsstrapaze eingeladen wird. Hierher gehören das Bergsteigen, das Tanzen, das Dichten, das Gesellschaftsspiel, das Photographiertwerden und das Vorlesen.
Befindet sich in der Gesellschaft ein liebenswürdiger Onkel, der sich als Athlet einen gefürchteten Namen gemacht hat, so entferne man sich, wenn er Kinder dadurch angenehm zu unterhalten sucht, daß er sie in die Luft wirft und wieder fängt und den Zuschauern andere Beweise seiner schönen Kraft liefert. Denn gewöhnlich passiert ein Unglück, oder man wird nervös. 79 Hat man selbst Kinder, so nehme man sie mit fort, und dann halte man sie von jeder Gesellschaft fern, in welchen sich dieser Knote befindet, der sicher, ohne es zu wissen, schon etliche Kinder verkrüppelt hat.
Hier wäre es vielleicht am Platz, etwas über
zu sagen, zu welchen das schöne Sommerwetter die Veranlassung bildet und zu denen Männer wie der bezeichnete Athletenonkel die Kinder ermuntert.
Schlägt er das spanisch-amerikanische Kriegsspiel vor, so verbiete man ihm dies und zwar, wenn nötig, grob, da diejenigen Knaben und Mädchen, welche die spanische Armee bilden, körperlich verletzt werden.
Auch realistische Komödien, so modern und beliebt solche sind, lasse man die Kinder nicht spielen, da gewöhnlich die kleinen Mädchen, welche die Frauen darstellen, zu sehr mißhandelt werden.
Was die
betrifft, so brauchen diejenigen Mütter, welche ihre Kleinen gerne dem allgemeinen Gelächter preisgegeben sehen, wenig an deren Anzügen zu ändern, sondern sie nach wie vor genau nach den Vorschriften der Modeblätter zu kleiden.
Ist man eine dieser Mütter und hat kein Auge dafür, daß die Kleinen ausgelacht werden, so darf man auch überzeugt sein, daß man es von den Kleinen nicht erfährt, da diese es natürlich nicht merken, und also können die Kleinen ja so bleiben.
Hält sich eine Dame über die Garderobe der Kinder einer anderen Dame auf, so darf man überzeugt sein, daß ihre eigenen noch schlimmer angezogen sind, ohne daß sie es bemerkt. Man erzähle solchen Müttern die unwahre Begebenheit, welche sich neulich 80 im Zoologischen Garten zugetragen habe. Ein Wärter habe ein so auffallend grotesk angezogenes Kind in der Meinung, es sei dem Affenhaus entsprungen, eingefangen und ins Affenhaus getragen. Aber auch diese Erzählung, die man auch aus dem Affentheater mitteilen kann, wird nichts nützen.
Glaubt man im Sommer, daß man sich vom Mittag an nicht genug wird langweilen können, so gehe man in das
durch welches in größeren Städten die Inhaber öffentlicher Gärten schon in der Frühe die Bewohner an das Geldausgeben gewöhnen.
Wenn man in einer größeren Stadt während des ganzen Tages das Bedürfnis, Lärm zu hören, nicht vollständig zu befriedigen vermag, so beginne man den Tag mit dem Besuch eines Frühkonzerts, in welchem von einem halbwegs gut besetzten Orchester, sowie vom Publikum und von den Kellnern so viel Spektakel gemacht wird, daß man das Etablissement befriedigt, d. h. zur Genüge betäubt, verlassen kann.
Wer sich darüber beklagt, daß der Tag in einem Frühkonzert zu still begonnen habe, der spreche mit einem Ohrenarzt, welcher ihm vielleicht den Rat erteilen wird, mit einem Psychiater zu sprechen.
Man frage einen Musiker vom Frühkonzertorchester, ob er sich gern in einem Frühkonzert befinde, und er wird antworten, daß er das Publikum für verrückt halte.
Nach meiner Meinung ist das Frühkonzert etwas für Verräter. Denn, wie ein Bibelwort sagt, der Verräter schläft nicht. Er kann also in aller Frühe nichts besseres thun, als aufstehen und ein Frühkonzert besuchen. Man wird es ihm gönnen.
Wenn man versuchen will, festzustellen, ob man 81 am andern Tag Glück hat, oder nicht, so nehme man sich schon am Abend vor, am folgenden Morgen ein Frühkonzert zu besuchen. Vielleicht verschläft man's und hat den ganzen Tag Glück.
Man sage im Frühkonzert jedem, der es wissen will, daß man ein passionierter Frühkonzertbesucher sei. Sonst wird angenommen, man habe Wanzen, könne deshalb nicht schlafen und sei nun infolgedessen ein so frühzeitiger Musikfreund. Trifft dies zu, so sei man überzeugt, daß man im Frühkonzert von irgend einem anderen Ungeziefer geplagt wird.
Man nehme in das Frühkonzert aus der Apotheke ein Mittel gegen Mückenstiche mit. Es ist aber nicht so nützlich wie das Konzertprogramm, das man an der Kasse bekommt.
Wer verliebt ist und nichts lieber hat als ein Rendezvous, bei welchem ein Pärchen von allen Seiten scharf beobachtet wird, der entschließe sich rasch zu einem Stelldichein im Frühkonzert. Es wird ihm nichts zu wünschen übrig bleiben.
Ist man mit einem Kater aufgewacht und möchte ihn nicht los werden, so führe man ihn ins Frühkonzert und man wird ihn wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen. Er braucht zu seiner Erhaltung kaum etwas mehr als um sieben Uhr in der Frühe ein Potpourri, und eine Ouverture gegen halb acht Uhr. Oft genügt schon das eine.
Eheleute, welche sich gerne schon in aller Frühe zanken, ist der Besuch des Frühkonzerts nicht zu empfehlen, da die Musik mit ihrem besänftigenden Wesen den ehelichen Streit nur stört, nicht beseitigt. Oft facht sie den Zank auch noch zu hellerer Flamme an, wenn das Orchester gewisse Nummern des Programms erledigt, deren Inhalt provoziert und reizt. Hier seien Ehepaare namentlich dringend gewarnt vor dem Prügelchor aus den Meistersingern, dem 82 Gedankenaustausch zwischen Ortrud und Telramund aus dem Lohengrin, den Zankduetts aus der Angot und den lustigen Weibern, dem Sängerkrieg und der großen Kampfscene aus dem dritten Akt der Hugenotten, welche schon Scheidungen zur Folge hatten. Sie sind daher nur Ehepaaren, welche sich mit Musikbegleitung trennen wollen, zu empfehlen.
Will man sich davon überzeugen, wie wenig fruchtbar auch ein Regen sein kann, so warte man solchen im Frühkonzert ab. Denn dieses wird dann im Saal fortgesetzt.
In vielen Familien wird von den Hausfrauen das Eintreffen des Sommers durch eine beliebte Ceremonie, genannt das
gefeiert. Dieses besteht darin, daß die Damen-, Herren- und Kindergarderoben und andere Textilgegenstände des Hauses mit scharfriechendem Pulver vollgestreut werden, wodurch, wenn das Pulver nicht ganz frisch und obenein nicht echt ist, den Motten verraten wird, wo ihr Futterplatz sich befindet. Solchen Tag nutze man in seiner Eigenschaft als Gatte aus, indem man sich entfernt und erst spät abends heimkehrt. Freunde mit guten Nasen wird man sich vom Leibe halten, so daß man ganz frei ist. Am folgenden Tag wird man diese Komödie wiederholen, so daß die Gattin und Kinder ungestört niesen können.
Es werden Wiederholungen stattfinden, bis der Verein gegen Tierquälerei sich der Motten annimmt und zwar natürlich ohne Erfolg. Doch spricht ein anderer Grund gegen das Einmotten. Da der Wäscheboden eine große Anziehungskraft auf die städtischen Diebe, Flatterfahrer genannt, ausübt, so wird diese Kraft dadurch verstärkt, daß das auf dem Wäscheboden in Sicherheit gebrachte Eingemottete ein 83 charakteristisches Aroma ausströmt, aber nicht stark genug, die Diebe fernzuhalten, sondern nur stark genug, ihnen den Schlupfwinkel der Garderobenstücke zu verraten. Man lasse also die Gattin alles sorgfältig einmotten und versichere sich dann gegen Einbruch.
Sind im Herbst die eingemotteten Sachen noch vorhanden und nicht nur die Motten, sondern auch die eingemotteten Sachen verdorben, so braucht man nur diese Sachen neu anzuschaffen, da die Motten aus eigenem Antriebe wieder erscheinen.
Sehr beliebt und allgemein verbreitet ist auch, wenn der Sommer gekommen ist, das
und Gaskronen, wodurch die Wohnung ein ödes Ansehen erhält und einen sehr ungemütlichen Eindruck macht. Dies verhindert indes nicht, daß während der Abwesenheit der Bewohner die Etage ausgeräumt wird, bei welcher Gelegenheit dann den Einbrechern auch die Möbelbezüge in die Hände fallen, worauf sie aber keinen Wert legen.
Finden in der Wohnung der Verreisten Dienstbotenfeste statt, so schonen die Dienstboten die Bezüge der Möbel dadurch, daß sie dieselben für den betreffenden Abend entfernen und dadurch der Wohnung wieder einen freundlichen Charakter verleihen. Den Dienstboten erwachsen dadurch keine Kosten.
Familien, welche auf Ordnung halten, dürfen während ihrer Abwesenheit aus zwei Gründen vollkommen ruhig sein. Wurde die Wohnung ausgeräumt, so ist es gut, daß sie nicht zugegen waren, da sie nicht wissen können, was, wenn sie zugegen gewesen wären, die Einbrecher ihnen zugefügt hätten, und ist die Wohnung von Einbrechern verschont geblieben, so finden sie die Mobilien und Gaskronen wieder eingekleidet vor, als sei nichts vorgefallen.
84 Will man bis zum Herbst in einem recht häßlichen Milieu wohnen, so läßt man die Möbel sorgfältig eingekleidet und entblößt sie nur, wenn man Freunde bei sich sieht.
Hat man Freunde, welche sich auch im Sommer nach Kopfschmerzen sehnen, so bereitet man wie alljährlich eine
und ladet die Freunde dazu ein. Da die Kunst, eine Bowle zu bereiten, wenig verbreitet und mancher Bowlenanfänger zu stolz ist, seine Schülerhaftigkeit einzugestehen und einen Kenner zu Rate zu ziehen, so giebt es kaum etwas, was mit größerer Sicherheit zu erwarten ist, als die besagten Kopfschmerzen.
Versteht der Bowlenfreund nichts von der Kunst, eine Bowle so zu bereiten, daß sie kein Unheil anrichtet, so hat dies den Vorteil, daß er in der Wahl der Bowle nicht beschränkt ist. Er kann zu einer Erdbeer-, einer Pfirsich- oder einer Ananas-Bowle einladen, immer werden seine Freunde am folgenden Morgen mit Kopfschmerzen aufwachen.
Wo der Bowlenstümper eine Quelle kennt, woselbst er die besten Zuthaten zur Herstellung einer wohlerzogenen und umgänglichen Bowle findet, wird er sie bestimmt vermeiden. Der moderne Knigge hat darin durch viele Sommer das Erstaunlichste leisten sehen.
Will der Bowlenlaie für seine zerrüttende Thätigkeit obenein gelobt sein, so fragt er die eingeladenen Opfer, wie ihnen die Bowle schmecke. Die Antwort wird in den meisten Fällen eine unbedingt lobende sein. Dies liegt daran, daß ein Bowlendilettant allgemein gefürchtet wird, weil ein Mann, auch der mit unbescholtenstem Vorleben, der eine schlechte Bowle herstellt, zu allem fähig erscheint.
Der Bowlenpfuscher zeichnet sich dadurch nicht vor 85 allen auf anderen Gebieten wirkenden Pfuschern aus, daß er in einem Tadel nichts als Neid sieht, den Tadel nicht ernst nimmt und den Tadler für einen Nichtskönner hält. Antwortet man ihm auf seine Frage, wie man die Bowle finde, daß man sie nicht so schlecht machen könne, wie er sie selbst gemacht habe, so wird er, wenn alle Mittrinker derselben Meinung sind, in diesem Urteil nichts als den gemeinsten Bowlenneid erblicken. Trotzdem wird er leider den Beurteiler wieder einladen, denn der Bowlentyrann kennt keine Nachsicht.
Wird auf den Bowlenwirt getoastet, so stimmt alles begeistert ein, weil ihn dies zum Trinken animiert und er dadurch gleichfalls den Kopfschmerzen nicht entgeht.
Wenn unser Finanzminister schon etliche unverdauliche Bowlen hinter sich hätte, so würden wir längst eine Bowlensteuer und ein Gesetz haben, nach welchem der Bowlenfabrikant den Befähigungsnachweis zu liefern hätte. Daß dies nicht der Fall ist, beweist leider, daß unser Finanzminister noch niemals unter traurigen Bowlenverhältnissen gelitten hat.
Unsere Bowlengesellschaften, an deren Spitze ein unfähiger Bowlenist steht, brauchen ferner die Unfallversicherung, die Invalidenversorgung, eine Krankenkasse und die Entschädigung unschuldig zum Mittrinken Verurteilter.
Werden die Gläser zum ersten Mal vollgeschenkt, so greife man nicht sofort zu, sondern warte erst, bis etliche mutige Männer getrunken haben, von denen man weiß, daß sie keine Bowlengigerl sind. Erst wenn man sich überzeugt hat, daß diese Vortrinker nicht um sich schlagen und nicht nach Waldmeister, Mosel, Zucker, Cognac und anderen Ingredienzen schreien, dann erst greife man mutvoll zu und trinke vertrauensvoll in die Zukunft. Dagegen lege man auf das Lob des Wirtes nicht eher Wert, als bis er den Besten seiner Zeit 86 genug gethan hat oder wenn ihm ein guter Bowlenruf vorangeeilt ist. Sonst ist er ein Bowlenfänger.
Ist die Bowle gelungen, so wird man bemerken, daß man alle Anekdoten, welche erzählt werden, neu und gut findet, obschon sie alt und schlecht sind. Dies ist die Macht der gelungenen Bowle, nicht die der alten und schlechten Anekdoten.
Wird ein Trinker im Laufe der Bowle sehr mitteilsam oder geschwätzig, so höre man nicht zu, denn dieses schadet der Bowle nichts, wenn sie gut ist.
Trinker, welche nach dem vierten Glas zärtlich zu werden und das Brüderschafttrinken zu kriegen pflegen, bekommen solche Zustände namentlich bei der Bowle. Ist man ein Mann, dem selbst die zärtlichsten Männer gleichgültig sind, so habe man Geduld mit ihnen, denn solche Trinker fallen gewöhnlich bald unter den Tisch.
Gehören Damen zur Bowlenrunde, so sage man ihnen, es schade ihnen die Bowle nicht, sie könnten trinken nach Herzenslust. Dies wird von ihnen nicht geglaubt, und sie trinken daher mehr als sie vertragen können. So reizend eine Frau ohne Spitz sein kann, so reizend kann eine Frau mit einem Spitz sein.
Der Stadtbewohner, der seine Gäste
bewirten kann, leistet ihnen einen doppelten Dienst, denn sie können sich einbilden, daß sie einige Stunden im Freien zugebracht haben, wobei niemand daran denkt, was alles in der Stadt Aufenthalt im Freien genannt wird.
Hat man in einer mehr oder weniger engen Straße einen Balkon, so schätze man sich glücklich, wenn die gegenüberliegende Etage nicht von Neugierigen bewohnt wird. Allerdings giebt es solche Etagen nicht.
Behauptet man, keine neugierigen Nachbarn zu 87 haben, so werden dies nur die Nachbarn bestätigen. Aber beides ist falsch. Denn man behauptet nicht, keine neugierigen Nachbarn zu haben, und der Nachbar, welcher beschwört, sich niemals um seine Nachbarn zu bekümmern, ist unbedingt kein Feind von Meineiden.
Kann man sich dessen nicht erinnern, was man gestern auf dem Balkon gethan hat, und möchte es gern wissen, so frage man nur die gegenüberwohnende Familie, von der man es genau erfahren kann, nachdem sie versichert hat, daß sie sich niemals um das Thun und Treiben der Nachbarn bekümmere. Nur wie durch ein Wunder ist sie gestern veranlaßt worden, ausnahmsweise hinüberzuschauen, da dies täglich wie durch ein Wunder geschieht.
Ist die Straße so breit, daß der Balkon von den Bewohnern des gegenüberliegenden Hauses nicht inspiziert werden kann, so haben sie einen vortrefflichen Operngucker, welcher viel seltener für die Oper verwendet wird.
Trinkt man allein den Kaffee auf dem Balkon, so hüte man sich, dem Dienstmädchen, das das Frühstück bringt, zu sagen, es solle die Zeitungen oder die Cigarren bringen, wenn man nicht, wie es wohl anzunehmen ist, vom gegenüberliegenden Haus die Nachricht verbreiten hören will, man habe mit dem bekanntlich sehr hübschen Mädchen ein Verhältnis. Denn solch ein Gerücht kann viel unangenehme Folgen nach sich ziehen, und man kann auch bedauern, daß es nicht wahr ist.
Ist man verheiratet und sitzt man dann und wann neben der Gattin auf dem Balkon, so lese man derselben, wenn dies überhaupt geschieht, nicht zu laut aus Büchern oder Zeitungen vor, damit von den Gegenübern nicht behauptet werden kann, man zanke sich den ganzen Tag mit der Gattin.
88 Will man es riskieren, daß dies mit dem Zusatz geschehe, es komme auch zuweilen von des Gatten Seite zu Thätlichkeiten, so hüte man sich nicht, auf dem Balkon die Gattin zu umarmen. Andernfalls warte man damit, bis man mit der Gattin in einem Hinterzimmer zusammentrifft.
Besitzt man einen Papagei, welcher dann und wann Beweise seiner Eloquenz liefert, indem er einige Schimpfwörter wiederholt, so stelle man ihn nicht auf den Balkon, denn die Nachbarn könnten fähig sein, die Schimpfwörter nicht persönlich zu nehmen, wodurch der Papagei ziemlich überflüssig erscheint und man viel weniger Vergnügen als früher von ihm hat.
Will man in der Nachbarschaft als Faulenzer gelten, der sein Geschäft, auch wenn man keines hat, vernachlässige, so braucht man nur häufig auf dem Balkon zu verweilen.
Man hüte sich nur dann, den Balkon gegen die Sonne oder den Regen zu sehr zu schützen, wenn man keinen Wert darauf legt, daß gegenüber behauptet wird, man führe ein Leben, das sich ängstlich zu verbergen habe.
Aber auch von den Sehenswürdigkeiten der Stadt, welche man bewohnt, mache man einen zweckmäßigen Gebrauch, was bekanntlich nicht immer der Fall ist.
In erster Linie sind es
welche bestiegen werden können, auf die der moderne Knigge empfehlend hinweisen muß, und zwar im Interesse derjenigen, welche selbst nie daran denken, sie zu besteigen.
Will man sommerliche Besucher für ganze Vormittage los sein, wie dies wohl der sehnlichste Wunsch jedes zärtlichen Verwandten und gastfreundlichen Mannes ist, so frage man sie bei ihrer Ankunft, ob sie sich nicht 89 zuvörderst einen Überblick über Stadt und Umgegend verschaffen möchten. Man schildere solchen als geradezu bezaubernd, besonders wenn dies nicht der Fall ist, und die Besucher werden darauf eingehen. Hierauf schicke man sie auf irgend eine Höhe, die zu erreichen so anstrengend ist, daß die Besucher auch für den folgenden Nachmittag genug haben. Auch dies ist vorteilhaft.
Ist man einer dieser Besucher, so merke man die Absicht, werde aber nicht verstimmt, um den Freund nicht zu erzürnen, da man ihn doch noch für das Parterre der Stadt nötig hat.
Ist man klug, was man als Besucher allerdings nicht zu sein pflegt, so sage man, man besteige sofort das Siegesdenkmal, das Rathaus, den Aussichtsturm oder was man sonst erklimmen soll, bleibe aber unten und gehe in ein zu ebener Erde gelegenes Wirtshaus, wo man über die Herzlosigkeit des Verwandten bei kühlem Getränk bequem den Kopf schütteln kann.
Hat man die Höhe erklettert, so finde man die Stadt und Gegend, aus der Vogelperspektive betrachtet, ungemein interessant, um wenigstens etwas von der Mühe des Steigens zu haben. Dies thue man, wenn man gefragt wird. Unter zwei Augen kann man dann die Wahrheit sagen und dazu Beleidigungen laut werden lassen, um den Ärger über den erlittenen Ungenuß zu erleichtern.
Ist man im Sinne des Frankfurters, der von dem Verfasser des »Faust« sprach, ein Hiesiger und braucht einen Sporn, um doch endlich einmal die Stadt vom Turm &c. aus anzusehen, so denke man sich, man treffe vielleicht einen Sachsen oben und beginne hoffnungsvoll den Aufstieg. Reift dieser Blütentraum, so wird man sich gut unterhalten wie überall, wo ein Sachse ist.
Oben angekommen hat man vielleicht das Begehren, Fragen beantworten zu müssen, die man nicht 90 beantworten kann. Dann sage man den anwesenden Fremden, daß man hier geboren sei. Alsbald wird man einsehen, daß man seine Geburts- oder zweite Vaterstadt garnicht kennt.
Werden am folgenden Tag die Verwandten einen anderen Turm oder ein anderes städtisches Bauwerk besteigen, wie man es ihnen raten wird, so ist man ein Glückspilz, den dann Ägyptens König, wenn er ihn besuchte, gleichfalls sofort verlassen würde, um sich schnell einzuschiffen, weil ihm vor der Götter Neide graute. Aber gewöhnlich lassen sich die Verwandten nicht auf eine zweite Besteigung ein, und man ist ein Pechvogel.
Zu den beliebten Sommerunterhaltungen ist das
zu zählen, welches ein Gesellschaftsspiel ist, das entweder im Freien oder in einem Garten auf gedeckter Kegelbahn getobt wird. Außer dem Kegeljungen gehören dazu mehrere nur mittelmäßige Kegler, wenn man mit Erfolg kegeln will. Nach dem Urteil eines Meisterkeglers ist das Kegeln nämlich sehr gesund, wenn man gewinnt.
Trägt man gute und saubere Wäsche, so hält man es auch für gesund, vor dem Beginn des Spiels Rock und Weste abzulegen. Wer dies nicht thut, hält es gewöhnlich für gesundheitschädlich, minderwertige oder gar unsaubere Wäsche sehen zu lassen.
Will man sich bei guten Kegelspielern beliebt machen, so schiebt man die bekannten Kegeltiere Sandhase und Ratze. Geschieht dies oft oder gar gewohnheitsmäßig, so darf man sicher sein, immer wieder eingeladen zu werden und zwar unter der Versicherung, man sei ein liebenswürdiger Gesellschafter.
Will man die Nerven auf eine Generalprobe stellen, um sie zu prüfen, ob sie stark genug sind, in 91 schwierigen Momenten Widerstand zu leisten, so höre man zum tausendsten Mal die sich immer gleich bleibenden Scherze, Redensarten und Bemerkungen, welche von einigen lieben Mitkeglern zu dem großen Vergnügen beigesteuert werden, ohne daß man die Geduld verliert. Schon beim neunhundertsten Mal kann man sagen, daß man Nerven wie Schiffstaue hat.
Will man nicht unangenehm auffallen, so komme man mit keinem neuen Scherz auf die Bahn. Trotzdem das Kegelspiel erst vor etwa sechs Jahrhunderten zuerst erwähnt worden ist, stehen doch Scherze und Anekdoten, welche kaum so alt sind, bei den Keglern in hohem Ansehen.
Trotzdem es Kegelklubs aller politischen Richtungen giebt, herrscht doch in keinem der Respekt vor dem König. Von den konservativen Keglern wird der König mit demselben Behagen umgestoßen, wie von den anarchistischen. Nimmt man nun an, daß eines Tages nicht in der gutgesinnten Presse gegen diesen Unfug Protest erhoben werden wird, so beweist dies, daß man die Menschen, welche dekoriert sein möchten, nicht kennt.
Der Kegler, nach der Unterhaltung auf seiner Bahn nur oberflächlich beobachtet, ist gewöhnlich ein Lebemann und Don Juan. Das hindert ihn aber nicht, mit Aufbietung aller Intelligenz und Willenskraft das weibliche Geschlecht vom Kegeln fernzuhalten. Die Frauen, welche sich bereits aus ihrer bisherigen Hilflosigkeit zu den Höhen der Omnibusse emporgeschwungen haben, die offenen Thüren des Sports einrennen und auf dem Wege zur Gleichstellung mit den Männern immer weiter radeln, an der Holzwand der Kegelbahn müssen sie Halt machen, so sehr überzeugt sie sind, daß sie ein Keglerkostüm sehr schön kleiden würde. Ja, wenn die Kegler nicht so klug wären!
Ist man verheirateter Kegler, so schwebt man in 92 einer gewissen Angst, daß die Frauen eines Tages auch in die Kegelbahn eindringen. Damit verlöre man eine der letzten Freistätten, die vor den Frauen sicher sind, und man hätte dann kaum noch einen Ort, wo man gewesen sein kann, wenn man anderswo gewesen ist.
Wenn sich der moderne Knigge erst jetzt den
zuwendet, so liegt dies daran, daß sie nicht allsommerlich erscheinen, sondern nur von Zeit zu Zeit nicht fertig sind, wenn sie eröffnet werden.
Um die Weltausstellung umsonst besuchen zu können, sei man kein Aussteller. Hierauf berechne man, wieviel man aus dem Fenster geworfen hätte, wenn man Aussteller gewesen wäre, und für diese Summe oder für einen Teil dieser Summe unternehme man alsdann die Reise zur Ausstellung. So macht man sie umsonst.
Will man in ein Besuchergedränge geraten, in welchem es kein vernünftiger Mensch auszuhalten vermag, so wähle man die Zeit, wo Extrazüge auf die Stadt der Weltausstellung losgelassen werden.
Kommt man daselbst an und findet keinen Platz im Hotel, so sei man nicht gleich trostlos, man wird auch in einem Privatlogis geprellt. Dies wird man auch wieder in Paris bestätigt finden, woselbst die nächste Weltausstellung stattfinden wird und schon Anstalten getroffen werden, den Besuchern nicht mehr Geld abzunehmen, als sie besitzen.
Spricht man nicht perfekt französisch, so schadet es nichts, denn man verrät auch, daß man kein Franzose ist, wenn man etwas perfekter spricht.
Nimmt man sich vernünftigerweise vor, nicht alles sehen zu wollen, was in der Weltausstellung zu sehen ist, so gehe man womöglich zweimal täglich hinein. Dann sieht man auch von dem Wenigen, was man sehen will, nicht alles.
93 Will man seine Abende nicht verlieren und aus diesem Grunde kein Theater besuchen, so gehe man abends an die Kasse, woselbst man kein Billet mehr bekommt.
Trifft man auf einem öffentlichen Ball eine reizende Dame, von deren unschuldigem Aussehen man entzückt ist, so warte man fünf Minuten und ihr Geliebter wird erscheinen. Entfernt sich dieser, so warte man drei Minuten und ihr zweiter Geliebter wird erscheinen u. s. w., bis der sechste erschienen sein wird.
Man spreche nicht vom deutsch-französischen Krieg, denn man kann auch durch andere Gespräche große Unannehmlichkeiten haben.
Ist man eines Tages zu einer recht großen und originellen Dummheit aufgelegt, so spreche man mit einem Pariser über Dreyfus. Aber man wird es nicht wiederthun.
Ist man mit der Gattin in Paris, so besuche man mit ihr kein Tanzlokal, das man als Junggeselle besucht hat. Denn die anwesenden Cancaneusen haben ein gutes Gedächtnis und, um das Deine aufzufrischen, erinnern sie Dich vielleicht daran, daß Du ihnen noch ein Souper schuldest. Das ist Deiner Gattin ganz angenehm, weil es sich nur um ein Souper und um kein Armband handelt, aber es handelt sich doch vielleicht diesmal um kein Souper, sondern um ein Armband für die Gattin.
Wird man in einem Magazin für einen Russen oder einen Türken gehalten, so hat man dies gewiß selbst dadurch verschuldet, daß man französisch sprach. Dies führt die echten Pariser meist irre.
Will man sehen, wie Frankreich seine Helden verehrt, so besuche man das Grab Napoleons im Invalidenhotel, und wenn man sehen will, wie Frankreich seine Helden verunehrt, so betrachte man die Napoleonssäule auf der Place Vendôme, welche 1871 umgeworfen wurde.
94 Begegnet man in der Weltausstellung einem General, vor dem jeder den Hut zieht, so mache man keine malitiöse Bemerkung, welche ihn beleidigen könnte, denn er ist vielleicht kein Fälscher.
Will man sich eine peinliche Scene ersparen, so antworte man in der Vorstellung des »Lohengrin« im Pariser Opernhause seinem Nachbar nichts, wenn er versichert, Richard Wagner sei ein geborener Franzose und durch ein widriges Schicksal nach Deutschland verschlagen. Ein Widerspruch, eine Berichtigung, oder gar ein Lachen würde den Pariser schwer verletzen und veranlassen, daß man wegen Beleidigung der französischen Nation als Prussien gelyncht wird.
Wird man in der Ausstellung von einer Dame begrüßt, die man nicht kennt, so sage man ihr: Sprechen Sie mit meiner Mutter! und lasse sie in ihrer Verblüffung stehen.
Um die französische Sprache zu erlernen, kann man zwei Wege einschlagen: man mache entweder die Bekanntschaft einer Pariserin, oder nehme Unterricht bei einem Sprachlehrer. Jener Weg ist der teuerste und auch der unsicherste, dieser Weg ist der billigere und ebenso unsicher.
Geht man mit einem Freunde in Paris spazieren, so sage man ihm fortwährend, daß man auf historischem Boden sich befinde, indem hier ein Straßenkampf, dort eine Hinrichtung stattgefunden haben. Es ist immer richtig, und die Bemerkung macht auf den Freund einen guten Eindruck.
Will man wenig essen, durch den Preis aber den Eindruck empfangen, als habe man für Drei gespeist so diniere man in der Ausstellung.
Will man Verrückte sehen, so besuche man aristokratische Gesellschaften und antworte auf die Frage, woher man sei: Aus St. Petersburg. Sofort wird 95 man auf Händen getragen und besser bewirtet, als die Anderen.
Man werfe nicht leichtsinnig mit dem Gelde, sondern drehe jedes Zwanzigfrancstück, bevor man es ausgiebt, erst dreimal in der Hand um. Es hilft aber wahrscheinlich nichts.
Hat man keine Lust, den Ehebruch darstellen zu sehen, so gehe man nicht ins Theater.
Will man einen klaren Begriff von der Dauer der Ewigkeit erhalten, so freue man sich, die Bekanntschaft einer Pariserin zu machen, von der man sofort den Eid ewiger Treue empfängt. Geschieht dies mittags, so weiß man schon abends nach 10 Uhr, wie lange die Ewigkeit gedauert hat.
Da die Franzosen als die Wirte zu betrachten sind, bei denen man während der Weltausstellung zu Gast ist, so verletze man sie auch da nicht, wo dies schwer zu vermeiden erscheint. So versichere man in der deutschen Ausstellung nicht, daß die Meister der ausgestellten deutschen Kunstwerke geborene Deutsche sind, wenn die anwesenden Franzosen selbstverständlich erklären, sie seien Franzosen, weil sämtliche Künstler Franzosen sind. Man entschuldige sich, gebe es zu und freue sich, so gut davongekommen zu sein.
In einer befreundeten Familie bewundere man auch die schönste Pendule nicht, wenn sie nicht befürchten soll, man wolle sie stehlen, obschon sich nichts weniger zum Mitnehmen eignet, als eine Pendule. Aber seit dem Jahre 1870 glauben die Franzosen, daß sich wenige Wertgegenstände so leicht stehlen lassen wie Pendulen und am leichtesten sich in Tornistern transportieren lassen.
Will man seine Freunde, welche den Eiffelturm bestiegen haben, nicht kränken, so erzähle man ihnen, daß man gleichfalls hinaufgestiegen sei, auch wenn man es unterlassen haben sollte. Denn es ärgert sie, daß 96 man vernünftiger gewesen ist und sich dieser Strapaze nicht unterzogen hat.
Hat man das Begehren, als perfekter Cancantänzer nach Hause zu kommen, so gehe man anstatt auf einen öffentlichen Ball in den Jardin des plantes und sehe alles den Affen ab. Diese beschämen in dieser Kunst jeden Pariser.
Macht ein Franzose große Worte, so versuche man nicht, größere zu machen, weil dies unmöglich ist.
Will man einem Pariser eine Freude machen, so kaufe man in seiner Gesellschaft in der Weltausstellung eine Cigarrenspitze als Andenken an Paris mit dem Bemerken, man wolle immer an die Spitze der Civilisation erinnert sein.
Man finde nicht, daß auch Paris seine Mängel habe, wie jede andere Stadt. Man finde lieber, daß alle Mohren weiß sind.
Will man seine Familie und Freunde nicht betrügen, so achte man darauf, daß man in der Weltausstellung keine Geschenke für sie kaufe, die deutsches Fabrikat und mit französischer Etiquette versehen sind. Da sich dies aber schwer erkennen läßt, so kaufe man lieber nichts.
Ist man ohne Gattin in Paris und will ihr eine Freude machen, so schreibe man ihr, man lebe trotz der Ausstellung sehr still und zurückgezogen. Da sie darüber ungläubig lächelt oder lacht, so hat man ihr also eine Freude gemacht.
Will man in der Heimat etwas erzählen, was niemand glaubt, so berichte man, man sei trotz der in Paris herrschenden Teuerung dort nicht nur mit dem Gelde ausgekommen, sondern habe noch eine namhafte Summe wieder mitgebracht. Es ist dies zur Befestigung des Rufes der Solidität, dessen man sich ohne Grund erfreut, zwar sehr klug erdacht, aber geglaubt wird es trotzdem nicht.
97 Selbstverständlich hat man
zu erzählen, welche aber meist so ungeschickte Erfindungen darstellen, daß sie nicht nur nicht geglaubt werden, sondern daß der Erzähler auch als ein unverschämter Aufschneider bezeichnet wird. Dies ist zu vermeiden. Es giebt hervorragende Erscheinungen in der Männerwelt, z. B. die Weinreisenden, denen auf der Reise und zwar nur auf der Reise und in allen Städten mit alleiniger Ausnahme der Stadt, in der sie wohnen, fortwährend Abenteuer begegnen, indem ihnen alle Frauenherzen zufliegen und infolgedessen alle Väter und Gatten mit geladenem Revolver nachstellen. Man glaubt ja bekanntlich solchen verteufelten Weinreisenden alles, weil man doch am Ende nicht dabei war, als ihnen die Abenteuer nicht begegneten, und weil man auch, wenn sie den Rücken drehen, ungläubig lächeln, den Kopf schütteln und die Achsel zucken kann. Auch Schauspieler und Sänger leiden an übermäßigem Glück bei Frauen. Ist man also kein Weinreisender und weder Schauspieler noch Sänger, welche sich das schöne Vorrecht einräumen, die tollsten Abenteuer nicht nur zu erzählen, sondern solche auch nicht zu erleben, so sei man recht vorsichtig. So erzähle man keinenfalls den Inhalt der französischen Possen, wie des »Schlafwagen-Kontrolleur« und anderer, als sei man selbst der Held der in diesen Possen dargestellten Vorgänge gewesen, da diese Bühnenwerke überall gegeben werden, unglaubliche Erlebnisse darstellen und man sich also leicht unheilbar blamieren kann. Auch unterlasse man es, sich als das Opfer des Chauvinismus und Deutschenhasses der Pariser darzustellen, daß man nur durch ein Wunder der Lynchjustiz entgangen und fast in einem blutigen Lied Déroulèdes dem unauslöschlichen Haß der Nation preisgegeben worden sei. Dagegen erzähle man, wenn man als Don Juan 98 angestaunt sein will, ein Abenteuer, das diesem in der gleichnamigen Oper passiert: Man habe in Paris einer gewissen Zerline nachgestellt und einen Korb erhalten. Man kann dies auch aus anderen Hauptstädten erzählen, in denen eine Ausstellung stattfand, die man besuchte. Oder ähnliches, was glaubwürdig klingt. Auch daß man von einer Dame geplündert und von einem ihrer Freunde obenein durchgeprügelt und hinausgeworfen worden sei, wird gern geglaubt. Dagegen suche man für einen Roman, den man erlebt haben will und den der Hörer glauben soll, einen Dümmeren, den man aber nicht finden wird.
Wer in Paris gewesen ist, erzählt in der Heimat gern, große Schriftsteller und Dichter auf den Boulevards und in den Theatern gesehen zu haben, oder ihnen vorgestellt zu sein. Hierbei ist Vorsicht anzuwenden, damit man nicht solche Berühmtheiten nenne, deren Träger längst tot sind. Victor Hugo und die beiden Dumas habe man unter keiner Bedingung gesehen. Die übrigen zu nennen, welche nicht mehr am Leben sind, ist nicht die Aufgabe des modernen Knigge. Nochmals: Vorsicht!
Ist das Wetter ein echtes Sommerwetter, so wird man sich leicht erkälten, einerlei, ob man auf Reisen oder daheim sei. Hier merke man sich genau, daß es gegen den
ungemein viele Mittel giebt. Man eile also in eine Apotheke, woselbst man sie sicher findet. Namentlich wird in dem angenehm duftenden Lokal der Apotheker selbst oder einer seiner Gehilfen die teureren Mittel als besonders unfehlbar empfehlen. Man kaufe heute eines, ein anderes morgen und übermorgen ein drittes, wodurch man in der Apotheke ein gerngesehener Gast wird, ein kleiner Trost dafür, daß keines dieser drei Mittel irgend etwas hilft.
99 Man sage dies dem Apotheker, wodurch er nicht beleidigt wird, wenn man ein viertes Mittel kauft, welches gleichfalls nichts wert ist. Dies wiederholt man noch ein fünftes und sechstes Mal mit gleichem Erfolg, alsdann sage man dem Apotheker, daß das sechste Mittel geholfen habe, was ihn sehr ärgert. Wenn man ihm wahrheitsgetreu mitteilte, daß das sechste Mittel gleichfalls nicht geholfen habe, so ärgert er sich gleichfalls sehr, wenn man nicht wiederkommt.
Man komme auch nicht wieder, sondern wende sich den Bonbons zu, zuvörderst denen von Benno von Donat, dann den anderen, denn man möchte doch kein Mittel unversucht lassen. Auch die Bonbons helfen nicht, aber sie sind den Universalmitteln der Apotheke vorzuziehen, da man sich durch die Bonbons bei Kindern, die sich daran den Magen und die Zähne verderben, beliebter macht, als bei den Eltern.
Auch gegen den
giebt es viele Mittel, welche seine Existenz nicht gefährden. Will man dies konstatieren, so treffe man, wenn man den Schnupfen hat, viele Freunde, und jeder derselben wird ein ganz wirkungsloses Mittel, das als rasch helfend bezeichnet wird, namhaft machen. Wird dabei versichert, daß man den Schnupfen übermorgen los sei, so wende man das Mittel nicht an, da man den Schnupfen vielleicht schon morgen los ist und ihn dann durch das Mittel um einen ganzen Tag verlängert haben würde.
Unter den minder unangenehmen, aber auch nicht völlig angenehmen Erscheinungen des Sommers nimmt die
eine der ersten Stellen ein. Wer eine solche mitmacht, hat sie und die Folgen sich selbst zuzuschreiben, was bei einer Erkältung nicht immer der Fall zu sein pflegt.
100 Der Verheiratete wird eine Gesellschaftsreise leichter antreten und vollenden, als der noch ungebundene Mann, da der Gatte und Familienvater bereits daran gewöhnt ist, abhängig, nicht sein eigener Herr und an Befehle und Anordnungen gefesselt zu sein. Der moderne Knigge kann Unverheirateten nur raten, allein zu reisen und darin einen Ersatz für die Annehmlichkeiten zu finden, welche eine Gesellschaftsreise bieten kann.
Hat man sich einer Reisegesellschaft angeschlossen, ohne daß man Kartensammlerinnen und Kartensammlern das Versprechen gegeben hat, von jeder Station des Dampfers oder der Eisenbahn eine bunte Karte an sie abzusenden, so büßt man dadurch das Vergnügen ein, es zu unterlassen und nach der Heimkehr zu versichern, die Karten seien gewissenhaft abgeschickt, aber unterwegs gestohlen worden und zwar von Postbeamten, welche selbst sammeln.
Man freunde sich auf der Fahrt nicht zu sehr an, sondern begnüge sich damit, sich anzubekannteln. Es giebt Reisende mit außerordentlichem Namens- und Physiognomieen-Gedächtnis, welche ihre Begabung dadurch in das hellste Licht rücken, daß sie jeden, den sie einmal gesehen und gesprochen, nur dann, wo sie ihn treffen, nicht sofort anreden, wenn sie zufällig Geld von ihm geborgt haben. Hat man sich nun angefreundet, so hat man die Pflicht, sich glücklich zu schätzen, daß man den neuen Freund einmal wiedersieht, auch wenn man ihm nichts geborgt hat, während man sich nur einfach zu freuen braucht, wenn man einen Reisegefährten wieder trifft.
Man nehme sich unterwegs in Acht, liebenswürdig gegen die Frau eines Teilnehmers zu sein, denn es giebt Männer, welche der Treue ihrer Gattin so sicher sind, daß sie sie gern der Führerschaft eines Fremden überlassen, um selbst sich freier bewegen zu können. Ein solcher Mann ist vielleicht dieser Teilnehmer und 101 imstande, die teure Last erst am Schluß der Reise wieder auf sich zu nehmen.
Sind einige Skatspieler in der Gesellschaft, welche sich von keiner schönen Aussicht in ihrer Partie stören lassen, so wisse man solche Leute über Gebühr zu schätzen. Sie lassen sich zwar nicht stören, aber sie stören auch nicht. Nur die Enthusiasten stören, welche außer sich sind, wenn man nicht mit ihnen alles bewundert und kein Talent hat, auf Befehl zu schwärmen.
Wenn ein Zeitungsberichterstatter die Reise mitmacht, so bitte man ihn um ein Autogramm, und wenn er sich diese Bitte nicht erklären kann und auch nicht recht weiß, was er schreiben soll, so sage man ihm auf den Kopf zu, daß er einer der besten Schriftsteller der Gegenwart sei. Dies ist ihm angenehm, weil er noch nie etwas Neueres gehört und geschrieben hat. Dafür wird man von ihm in seinem Reisebericht der liebenswürdigste Gesellschafter und geistvollste Causeur genannt, obschon man das Gegenteil zu sein pflegt. Hat man aber ganz besonderes Glück, so wird man gar nicht genannt.
Macht man eine Gesellschaftsreise zur See, so ist die
unvermeidlich. Sie hat allerdings auch ihr Unangenehmes, aber man darf nie vergessen, daß sie auf einer Gesellschaftsreise dem von ihr befallenen Teilnehmer Gelegenheit giebt, »Endlich allein!« zu sagen.
Fühlt man die Seekrankheit nahen, so bittet man die Damen, in deren Gesellschaft man in diesem Augenblick sich befindet, um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Wartet man die Antwort zu lange ab, so gehen die Damen fort, da die Katastrophe eingetreten ist; dann kann man es sich bequem machen.
Fragt man einen älteren Seemann, ob er nicht ein sicheres Mittel gegen die Seekrankheit wisse, so 102 bejaht er und rät, eine Cigarre zwischen die Lippen zu stecken. Solange man die Cigarre zwischen den Lippen trage und rauche, habe man die Seekrankheit nicht. Man probiere dies nur, ein anderes ebenso sicheres Mittel existiert nicht, weil es überhaupt keins giebt.
Wer jemals seekrank gewesen ist und hingestreckt die Hoffnung aufgegeben hat, jemals die Kajüte lebendig wieder zu verlassen, weiß, daß man in dieser tückischen Krankheit alle Engel im Himmel singen oder pfeifen hört. Wer also einem Feinde, der nicht musikalisch ist, die Seekrankheit wünscht, ist ein Gemüt.
Führt man ein
so giebt man Beweise von klassischer Bildung am bequemsten dadurch, daß man in den verschiedenen Städten sich der Stücke, die man gesehen hat, erinnert und daraus Betrachtungen herleitet. Etwa wie folgt:
In Verona: Mir war's, als hörte ich die Lerche und nicht die Nachtigall in dieser Stadt Amors singen, als ich durch die Straßen ging, und in jeder glaubte ich Romeo zu sehen, wie er hastig nach dem Klostergarten eilte, um mit Bruder Lorenzo zu sprechen.
In Venedig: Wie glücklich bin ich in dieser Stadt, obschon ich darin die elektrische Straßenbahn schmerzlich vermisse! Aber plauderte da nicht Shylock mit Tubal über das gute Geschäft, das er mit Antonio zu machen gedenkt, indem er für dreitausend Dukaten ein Pfund Fleisch bekommen wird? Ja, und dann machen die beiden vor Othello Front, der zu seiner Desdemona geht, bei der er Jassica und Porzia finden wird.
In Genua: Eben weilte ich an der Stelle, wo Fiesko ins Wasser gestoßen wurde und den Tod fand. Vielleicht stand da auch einst Kolumbus und blickte über die Wasserfläche nach der Gegend, wo er Amerika 103 zu entdecken hoffte. Welch eine Fülle von Gedanken bestürmte meinen Geist!
In Madrid: Hier also ging einst die Sonne nicht unter. Nun, auch heute existiert hier noch kein rechtes Nachtleben, wie in Berlin. Das sagte ich eben – nachts 11 Uhr – als ich nach dem Hotel ging. Morgen wollen wir nach Aranjuez, obschon dort die schönen Tage nun zu Ende sind. Aber öfter noch als an den Karlos, der den genannten Ort nicht heiterer verließ, denke ich an den gleichnamigen Freund Clavigos, den Archivarius des Königs. Woran mag das wohl liegen?
Diese wenigen Sätze werden vielleicht genügen, um zu zeigen, wie lohnend die Bekanntschaft mit unserem klassischen Repertoir für ein Reisetagebuch zu verwenden ist.
Es ist jetzt nicht gut möglich, vom Sommer zu sprechen, ohne der
zu gedenken, welche die sozialdemokratische Partei seit einigen Jahren am ersten des, wenn es nicht kalt ist, wunderschönen Monats begeht und jetzt darin besteht, daß sich eine große Anzahl Arbeiter weigert, nicht zu arbeiten. Es finden an diesem Tage für die Arbeiter, welche feiern, Volksversammlungen statt, in welchen von den Agitatoren Reden gehalten werden, welche die Arbeiter anzuhören haben. Und das soll keine Arbeit sein? Ist man ein vernünftiger Arbeiter, so wird man antworten: Na ob!
Will man als sozialdemokratischer Agitationsredner den Arbeitern eine schöne Maifeier bereiten, so sage man ihnen, es sei nun bereits mehr als genug geschwätzt, dann halte man den Mund, schweige, rede keine Rede und schließlich sei man stumm. Hierauf lasse man die Arbeiter ungestört in die Werkstatt gehen 104 und wie wir alle arbeiten, weil dies besser bezahlt wird als das Anhören von Agitationsreden, wofür man keine Semmel für die Kinder kaufen kann.
Selbst nicht die bestgesungene Arbeitermarseillaise baut den Kindern Häuser, sondern nach Jes. Sir. 3, 11 des Vaters Segen. Aber das Anhören von Agitationsreden ist kein Segen.
Außer der Maifeier finden in diesem Monat die
statt, welche sehr schädlich sind. Man findet sie überall, wo sie nicht sein sollen, und sie erscheinen alle drei oder vier Jahre in großer Masse. Leider hat sich ihnen noch nicht die Sammelwut wie den Marken, Liebigbildern und Postkarten zugewendet, was wohl darin seinen Grund hat, daß der Sport der Maikäfersammler ungemein nützlich wäre. Man hat berechnet, daß, wenn alle Markensammler statt der Marken Maikäfer sammelten und einer immer wenigstens eine mit Maikäfern gefüllte Cigarrenkiste mehr als der andere aufzuweisen suchte, das sogenannte Maikäferjahr völlig unschädlich vorübergehen würde.
Ist man sehr human, so tritt man dem Maikäferhandel kräftig entgegen, welcher von jungen Spekulanten auf offener Straße getrieben und allgemein als Tierquälerei gebrandmarkt zu werden pflegt. Man wird den Handel zwar nicht vernichten, aber sagen können, daß man human gewesen, oder versucht hat, zu beweisen, daß man die Fahne der Humanität hochzuhalten oder zu schwingen bestrebt ist. Aber nützlicher würde man sich machen, wenn man in die Firma der Maikaferhändler einträte und mit ihnen die Zahl der schädlichen Kerbtiere verminderte, und man wäre dann nicht nur nützlich, sondern auch human gewesen.
Geht man mit einer Dame spazieren und erbleicht sie mit einem Schrei des Entsetzens aus gepreßtem 105 Herzen, weil sie sieht, daß ein Vogel im Fluge einen Maikäfer erwischt hat und ihn verspeist, so tröste man sie damit, daß es auch einen schlimmen Eindruck auf einen gefühlvollen Maikäfer machen würde, wenn er sie einen Vogel verspeisen sähe. Hierauf sei man gegenüber dieser Dame vorsichtig, da sie wahrscheinlich auch bei anderen Gelegenheiten lügen wird.
Entfaltet nun der Sommer alle seine Reize und wird er so schön, wie sich eines solchen die ältesten Leute nicht zu erinnern vermögen, wobei nicht vergessen werden darf, daß sich die ältesten Leute niemals durch ein tadelloses Gedächtnis auszuzeichnen pflegen, so darf man mit einigem Bedenken an die
denken, welche zu erwarten sind. Schon die Thatsache, daß sich die erwähnten ältesten Leute eines so schönen Sommers wie des gerade diesjährigen nicht erinnern, mag als ein Beweis dafür gelten, welchen schädlichen Einfluß die Hundstage auch auf die Menschen auszuüben imstande sind.
In den Hundstagen gilt es hauptsächlich, mit den Menschen mehr Geduld zu haben, als in den anderen Tagen des Jahres, und sei dies auch nicht jedermanns Sache. Trifft man jemand, der vor einer halben Stunde die Quadratur des Zirkels – es kann natürlich auch das Fliegen sein – erfunden haben will, so sage man: »Ach, das ist nett von Ihnen«, und dann habe man leider Eile und müsse fort. Dieselbe Eile habe man, wenn man einem Bekannten begegnet, der ganz bestimmte Nachrichten von den Bewohnern des Mars erhalten hat. Derartige vertrauliche Mitteilungen über weltreformierende Erfindungen und Entdeckungen gehören aber zu den Ausnahmen, geltend machen sich die Hundstage meist in einer viel weniger verdächtigen Weise.
106 Man ertappt einen bis dahin ganz vernünftigen Freund beim Dichten. Zum Glück sucht er einen Reim auf Droschke und kann daher nicht weiter, weil er das Wort Droschke gebraucht, denn eine Jungfrau ist in einer Droschke an ihn vorübergesäumt, und er will ihr nur seine Liebe reimen. Man sage ihn nicht, daß er Droschke erster oder zweiter Klasse oder Preisanzeiger singen soll, weil hierauf jeder Stümper reimen könnte, und verhindere ihn so am verderblichen Weiterdichten. Die Hundstage dauern nicht ewig, und er wird wieder prosaisch werden und zur Ruhe kommen.
Gefährlicher ist um diese Zeit der junge hoffnungsvolle Mann, der das Komödienschreiben bekommt. Trifft man ihn auf der Straße mit der Absicht, zu seinem realistischen Stück, welches in einer Bedürfnisanstalt endet, das Milieu zu studieren, so sei man auf das tiefste ergriffen und lade ihn zu einem Glas Bier ein. Kaltes Bier vollbringt, in solcher Zeit genossen, Wunder.
Erhält man in den Hundstagen von einem Freunde Geld zurück, das man ihm geborgt hat, so ist das Schlimmste zu befürchten. Jedenfalls nehme man sich in Acht, daß man nicht von ihm gebissen wird.
Hört man von einem Bekannten, es sei ein Mord geschehen und die Polizei habe schon die Leiche, so braucht dies durchaus kein Krankheitssymptom zu sein. Nur dann, wenn er mitteilt, die Polizei habe schon den Mörder aufgefunden, führe man ihn zu einem Arzt.
Im Freien wird die Glut der Sonne am verderblichsten. Hier sind es in erster Reihe diejenigen, welche plötzlich behaupten, sie kennten die Geschichte der Männer, deren Denkmäler sie sehen, ganz genau. Alsbald vermeide man es, sie um Angabe einiger Daten zu ersuchen, da aus der Antwort sofort hervorgeht, daß sie leidend sind.
Man habe mit einem Angehörigen Geduld, wenn 107 er sich durch wirre Reden verdächtig machen sollte, und schone ihn. Denn vielleicht schon nach einigen Tagen bezeichnet er einen gut aussehenden Herrn in einem Restaurant bei einer Flasche Champagner für einen notleidenden Landwirt, woraus hervorgeht, daß er sich auf dem Wege der Besserung befindet.
Man beobachte sich indes auch selbst so genau wie möglich, auch dann, wenn man sich für absolut gesund erklärt. Gerade dies kann vielleicht ein Zeichen für das Gegenteil sein. Man wird dergleichen schon früher konstatiert haben. Will man also eines Tages eine Ballonfahrt unternehmen, möchte man nach dem Hundepark, um sich einen Bulldogg zu kaufen, tobt man wütend in einem Zwischenakte, weil man in einer Posse keinen Sinn und keinen Verstand entdeckt habe, legt man plötzlich eine Tischglocken-, eine Abreißkalender-, eine Pincenez-, eine Hosenträger-, eine Pferdebahnbillet-, eine Bleistift- oder eine Wachskerzchenkästchenbilder-Sammlung an, – diese Liste ist keine erschöpfende, – ergiebt man sich unerwartet dem Angelsport, fährt man wie ein Blitz aus heiteren Wolken auf die Inserate nieder, um behufs späterer Verheiratung Damenbekanntschaft zu machen, verspürt man die Lust, eine rote Kravatte zu tragen, oder möchte man sich das Schnupfen angewöhnen, so verlasse man den Ort, an welchem man sich in solchem Augenblick befindet, und suche eine kühlere Gegend auf.
Findet während der Hundstage die Sitzung irgend einer parlamentarischen Körperschaft statt, und hat man so viel Zeit, daß man ein Stündchen auf eine ganz wertlose Sache verwenden kann, so entschließe man sich, in solche Sitzung zu gehen. Man wird Reden hören, welche von ernsten Männern über ganz ernsthafte Fragen gehalten, aber den Eindruck von Polterabendscherzen machen werden. Man erzähle aber nicht, daß man der Sitzung beigewohnt habe, da solcher 108 Besuch leicht mißverstanden und als Folge der großen Hitze betrachtet werden könnte.
Während der Dauer der Hundstage sind als leichtere Anfälle anzusehen, so daß man nicht ängstlich zu werden und die Hoffnung auf einen guten Verlauf nicht aufzugeben braucht: Appetit auf Austern, ein Tanz im geschlossenen Raum, der Entschluß, ein Theater zu besuchen, Anschaffung einiger Goldfische, Etablierung einer Vogelhecke, Auftauchen der Absicht, sich photographieren zu lassen, den Grundstein zu einer Goldmünzensammlung zu legen, Sues Geheimnisse von Paris nochmals zu lesen und einem vorüberfahrenden Wagen der Feuerwehr nachzulaufen, um das betreffende Schadenfeuer zu beobachten. Hierher gehören auch: längere Betrachtung eines Mückentanzes, das Fliegenfangen, das Durchlesen alter Liebesbriefe, die Wette, daß in der kommenden Saison weniger als sechs Novitäten vom Publikum abgelehnt werden, das Hoffen auf einen Lotteriegewinn, das Verzehren von drei Portionen Vanilleeis und ähnliche fast wie Ausschreitungen aussehende Harmlosigkeiten.
Gattinnen und Gatten ist für die Hundstage eine noch größere gegenseitige Rücksicht auf Gewohnheiten und Charaktereigentümlichkeiten zu empfehlen, als sie an weniger heißen Tagen zu nehmen gewöhnt sind, da die Sonnenglut leicht aus einer leichten Verstimmung eine Scene zurechtkocht, deren Ende nicht so abzusehen ist, als das des Geschirrs, dessen Zertrümmerung als ein Beruhigungsmittel gilt.
Es mag hier ein Wort über
überhaupt eingeschaltet sein, da solche im Sommer besonders leicht aufgeführt werden, wenn die Hitze das eheliche Blut erheblicher erregt macht. Hierbei will sich der moderne Knigge weder an den Mann, noch an 109 die Gattin, sondern an beide zugleich wenden, da nach seiner Erfahrung das Talent, Scenen zu arrangieren gleichmäßig an die Geschlechter verteilt ist.
Eheliche Scenen sind im Winter und im Sommer gleich überflüssig, weil sie in den meisten Fällen zu nichts führen als zur Versöhnung. Aber sie sind auch überflüssig, weil sie langweilig sind, und das ist ihre schlimmste Eigenschaft, langweilig schon dadurch, daß sie sich überraschend ähnlich sehen. Aus diesem Grunde namentlich sollten sie unterlassen werden, vor allem aber im Sommer, wo alles, was warm macht, sorgfältiger als im Winter vermieden werden sollte.
In jeder Ehe vertritt das Regietalent, eine Scene herbeizuführen, entweder der Gatte, oder die Gattin. Beide haben es vielleicht in die Ehe mitgebracht, aber gewöhnlich hat er oder sie es allmählich verloren, wenn er oder sie das größere Talent an den Tag legte und dann vertrauensvoll das Arrangement dem anderen Teil überließ. Der moderne Knigge rät aber nicht dazu, dieses Thema auf die nächste Tagesordnung des Mittagsessens zu setzen, weil dadurch eine Scene unvermeidlich ist.
Man vermeide aber schon deshalb jede Scene, weil sie an einem bedenklichen Wachstum leidet. In den Flitterwochen war, wie man sich mit Vergnügen erinnern wird, die Scene nur klein, kaum nennenswert, eine Skizze. Dann wurde sie aber größer, je länger man sich auf dem Vormarsch zur silbernen Hochzeit befand. Aus der Scene wurde langsam, aber sicher ein Einakter und hierauf eine Komödie mit kurzen Zwischenakten, welche sich dann zu einem abendfüllenden Stück auswuchs.
Scenen sind gewöhnlich inhaltlos. Es fehlt ihnen wie den meisten modernen dramatischen Werken eine spannende Handlung. Statt deren bieten sie nichts als einen Dialog, der sich in den meisten Fällen um ein 110 nichts dreht, um eine Vorgeschichte, die nicht der Rede wert ist, um ein Wort, das gefallen ist, oder um ein Wort, das nicht gefallen ist.
Im Sommer ist die Nervosität größer als im Winter und bedarf es daher auch wohl kaum mehr als eines Wortes zum Beginn der Scene. Es genügt schon das Schnellgehen, die verweigerte Droschke, der Regen vor Eintritt des Ausflugs, die heiße Suppe, die kalte Suppe, die Fliege in der Schlafstube, oder eine andere Kleinigkeit. Man vermeide daher namentlich jede Erregung über eine Kleinigkeit.
Steckt im Gatten etwas von einem Falb, so wird er schon in aller Frühe wissen, ob ein kritischer Tag im Anzuge ist. Dann sei er so vorsichtig, als sei er die Mutter der Weisheit in Person. Nützt ihm das nichts, so erinnere er sich des nun fünfzigjährigen Worts des Ministers v. Manteuffel: »Der Starke weicht einen Schritt zurück.« Ist er, was ja meist der Fall ist, nicht der Starke, so weiche er trotzdem einen Schritt zurück
Genügt ein Schritt nicht, so weiche er zwei Schritte zurück. Genügen diese nicht, so drei, vier und mehr. In Schritten sei man ein Verschwender. Es lohnt sich.
Dasselbe sei den Frauen gesagt, in erster Linie den sanften, welche sich immer einen Tyrannen ausgesucht haben, oder einen, der es durch ihre Sanftmut erst geworden ist. Ihr Zurückweichen hat darin zu bestehen, daß sie ihrem Nero Recht geben, wenn er es nicht hat.
Thränen sollten von Frauen nur im äußersten Notfall vergossen werden. Es giebt viele Frauen, die sie vom Blatt spielen. Durch häufiges Weinen verlieren die Thränen ihren Wert, so daß sie bald nicht höher als Glas- oder Wachsperlen notiert werden. Frauen, welche mit Thränen hauszuhalten wissen, 111 bringen dagegen mit wenigen und zwar besonders mit heimlichen Thränen, die natürlich dem Gatten gezeigt werden müssen, große Wirkungen hervor, wenn eine Scene beendet werden soll. Allerdings ist das spärliche Thränenvergießen eine Kunst, die von den wenigsten Frauen geübt wird.
Die Rolle der Thränen der Frauen nehmen bei den Männern das Zuschlagen der Thüren, das Schreien und das Pfeifen von selbstkomponierten Melodieen ein. Von solchen Äußerungen ist dasselbe wie von den Thränen zu sagen: zu häufige Anwendung macht sie wertlos. Viele Frauen haben sich an das Thürwerfen, Schreien und Pfeifen gewöhnt, wie die Müller an das Klappern der Mühle; die schlafenden Müller wachen auf, wenn die Mühle nicht klappert. Die Männer sollten also mit ihren Geräuschen, welche nichts als das ohnmächtige Kettengerassel bedeuten, sparsam sein, wenn ihnen dies ihr Temperament irgendwie gestattet, und auf Mittel sinnen, ihre Frauen auf andere Weise zu amüsieren.
Es wird immer die Sache des Gatten bleiben, Scenen zu vermeiden, indem er den durch die größere Billigkeit empfehlenswerten Weg einschlägt, der Gattin schleunigst Recht zu geben und dann nachdenklich zu schweigen, einerlei, ob er die Scene selbst begonnen hat, oder durch die Gattin zum Eintritt veranlaßt worden ist. Versäumt er dies und läßt er sich auf die Scene ein, so bleibt ihm oft nur der Weg offen, der ihn dann zu Einkäufen von Geschenken führt, welcher also der kostspieligere ist. Vermeidet man diesen konsequent, so ist dies das zweite gute Mittel, die Scenen nicht zur Hausmannskost der Ehe anwachsen zu lassen.
Noch mag erwähnt werden, daß zur Beendigung einer Scene, in welcher der Gatte sich durch Pfeifen hervorthut, eine Melodie viel beiträgt, welche die Gattin 112 gerne hört. Ist die Gattin Wagnerianerin, so pfeife der Gatte nur Leitmotive, oder: »O du mein holder Abendstern«. Auch: »Es giebt ein Glück, das ohne Reu'« kann Wunder thun. Schwärmt die Gattin noch für den Tanz, so pfeife der Gatte den gerade Mode gewordenen Walzer, der sie möglicherweise an einen Bewunderer erinnert, mit dem sie im vergangenen Winter viel getanzt hat. Alles dies beruhigt.
Für Gattinnen und Gatten, denen die ehelichen Scenen Vergnügen machen und ein Bedürfnis geworden sind, sollen diese Zeilen nicht veröffentlicht sein. Die bittet der moderne Knigge um Entschuldigung, er will weder ein Vergnügen stören, noch erwachsenen Leuten gegenüber versuchen, sie zu veranlassen, lieber einen amüsanteren Sport als den Scenensport zu treiben. Er kann sich diesen zwar auf die Dauer nicht amüsant denken, weiß aber, daß der Geschmack verschieden ist. Er möchte nur noch hinzufügen:
Alle Großmächte erstreben den Frieden. Der Kaiser von Rußland rief sie sogar zu einer Abrüstungskonferenz zusammen. Daran sollten sich die Ehepaare ein Beispiel nehmen, namentlich solche, die nichts sehnlicher wünschen, als den Beginn des ewigen Friedens, daher dem Schritt, den der Zar auf dieser Bahn gethan, das glänzendste Lob erteilen, und die vor allem den Krieg verabscheuen. Wenn nicht alle, so müßten doch wenigstens diese Ehepaare versuchen, in ihrem Hause mit dem Abrüsten zu beginnen, um dem ewigen Frieden freies Entree zu verschaffen. Sollte sich unter allen Gatten nicht ein Ehe-Zar finden, der ein Abrüstungsmanifest veröffentlicht und eine Friedenskonferenz zusammenruft? Alle die Herren, welche den Kundgebungen zur Friedenskonferenz beigetreten sind, sollten gleichzeitig eine Agitation gegen die Fortdauer der häuslichen Scenen beginnen, eine Agitatition, die der moderne Knigge sogar für wichtiger hält, als ihre 113 Beteiligung an dem Kampf gegen den Krieg. Vielleicht auch findet sich eine Gattin, die ein Blatt gründet: Die Scenen nieder! das gewiß weiblicher und nützlicher wäre, als das Blatt: Die Waffen nieder!
Jeder Sport wird übertrieben, nicht allein der eben erwähnte Scenensport, welcher eigentlich schon die geborene Übertreibung ist, weil er nicht einmal eines so großen Thieres wie der Mücke bedarf, um einen Elefanten daraus zu machen, sondern diesen Dickhäuter aus dem Nichts hervorstampft. Jeder andere Sport aber beginnt entweder aus einer Nützlichkeit oder aus einer Notwendigkeit heraus, um alsdann von seinen müßigen Anhängern übertrieben, verunstaltet, kompromittiert, lächerlich oder lästig, oder alles dies zugleich zu werden. Der moderne Knigge erinnert nur an das Rennen, das Sammeln, das Schwimmen, das Fußballspiel, das Bergsteigen, das Dichten, das Tanzen, das Knausern, das Süßholzraspeln, das Rauchen, das Zeitungslesen u. s. w. So ist natürlich auch das Radeln und zwar rascher als jeder andere Sport übertrieben worden, wenn man das
noch eine Übertreibung nennen und ihm damit schmeicheln will, statt es als eine Verrücktheit zu bezeichnen.
Will man einen Beweis für die Wahrheit des Spruchs »Ein Narr macht viele« geliefert haben, so suche man den Schauplatz einer solchen unbegreiflichen Narrheit auf, und man wird finden, daß man selbst die Zahl dieser vielen Narren vergrößert. Ist man allzu nachsichtig gegen sich selbst, so verzeiht man es sich, im anderen Fall nimmt man es sich dauernd übel. Man kann es sich aber nicht so übelnehmen, als einem dabei werden kann.
Man sehe sich die Teilnehmer an einem solchen Dauerradeln jedenfalls etwas näher an, um 114 vollständig gegen die Versuchung, Kollege derselben zu werden, geschützt zu sein.
Um nicht mit zu verrohen, vergesse man alles rasch, was man in den betreffenden Radlerkreisen hört und sieht, auch versäume man gleichzeitig nicht, die Farbenblindheit der Behörden zu bewundern, welche jede Ausschreitung des Pöbels bestraft, aber das Dauerradeln duldet.
Will man endlich einmal sehen, in welch unnützer Weise das für bessere Zwecke so gut zu verwendende schöne Geld aus dem Fenster geworfen wird, so wohne man der Auszahlung der Preise an die sogenannten Sieger bei, welche gewöhnlich ein anständiges Handwerk erlernt haben, es aber jetzt vorziehen, sich mit dem Zweirad herumzutreiben und von der Thorheit der Menschen zu leben.
Verunglückt ein Dauerradler, so bezeichne man die Veranstalter der Dauerradlerei nicht als die Schuldigen. Man hat zwar, wenn man dies thut, das Richtige getroffen, aber man könnte doch wegen Beleidigung belangt und bestraft werden und würde obenein noch ausgelacht, was man ohnedies schon wird, weil man dem Unfug beigewohnt hat.
Hat man auch sonst noch Überfluß an Zeit, so denke man darüber nach, wie es denn möglich ist, daß jemand, der nicht imstande wäre, einen ganzen Tag unausgesetzt etwas nützliches zu thun, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ganz unnützerweise herumradelt. Da dieses Nachdenken ebenso unnütz und überflüssig ist, so spreche man nicht darüber, um nicht in Einem Atemzuge mit dem Dauerradler zusammen genannt zu werden.
Hat man noch niemals einen solchen Dauerradler gesehen, der sich nach Gebühr geschämt hatte, so wird man sich doppelt wundern, wenn man sehr vernünftigen 115 Menschen begegnet, welche sich schämen, während des Sommers
gemacht zu haben. Es giebt deren. Anstatt einzugestehen, daß sie die Heimat für die beste Sommerfrische oder für den besten Badeort halten, erweisen sie sich als von der allgemeinen Reisewut angesteckt, welche zwar nicht zum Ausbruch gekommen ist, aber sich als von ihr derart ergriffen, daß sie meinen, man könne sich nur in den Strapazen der Sommerreise erholen. Man versage ihnen das Mitleid nicht.
Es wird von der Majorität aus zwei Gründen gesommerreist. Erstens will man die Frühlingsfrage: Wohin reisen Sie im Sommer? und zweitens will man die Herbstfrage: Wo sind Sie im Sommer gewesen? mit dem Namen einer entfernt liegenden Ortschaft beantworten können. Dies geschieht, weil man fürchtet, sich durch das Nichtreisen zu kompromittieren, indem man scheinbar zugäbe, nicht das nötige Geld zu haben, um es in Menge verreisen zu können. Hat man das nötige Geld, um es in Menge verreisen zu können, so nennt man dies: Etwas für die Gesundheit thun.
War man verreist und trifft dann einen Freund, der nicht verreist gewesen, so beneidet man diesen.
War man nicht verreist und trifft dann einen Freund, der verreist war, so beneidet man diesen.
Es kommt aber auch vor, daß man in beiden Fällen den Freund nicht beneidet. Dies ist in beiden Fällen der Fall, wenn man entweder von dem Freund hört, wie bequem es sich in der Heimat lebte, oder mit wie vielen Unbequemlichkeiten der Aufenthalt in der Fremde verknüpft gewesen.
Wenn man gerne einmal wenigstens auf kurze Zeit seine Bekannten entbehrt, – und wer entbehrte sie nicht gerne einmal, wenn nicht auf kurze, so doch 116 wenigstens auf längere Zeit! – so bleibe man mutig daheim und reise nicht, denn die Bekannten sind in großer Zahl verreist, und man würde auf der Reise mit ihnen zusammentreffen, besonders da, wo man es nicht vermutet. Man weicht seinen alten Bekannten, welche man, wie bemerkt, einmal nicht gerne sieht, am sichersten aus, wenn man im Sommer die Heimat nicht verläßt. Wer aber im Sommer reist, hat sich die Bekannten selbst zuzuschreiben und sollte sich deshalb nicht beklagen.
Ist man daheim geblieben, so versäume man nicht, die Orte aufzusuchen, an welchen man vorher immer seine lieben alten Bekannten traf und später wieder treffen wird. Dann erinnere man sich ihrer Eigentümlichkeiten, Un- und Redensarten, Anekdoten, Langweiligkeiten, Rechthabereien, Unaufrichtigkeiten, Unliebenswürdigkeiten, üblen Gewohnheiten, guten Lehren, gern vorgetragenen Lebenserfahrungen und Erfolge im Würfeln. Hierauf sehe man sich um und entdecke lauter neue Gesichter und Gestalten. Man wird einen großen Genuß haben.
Man hüte sich auch, durch diesen Genuß übermütig zu werden, wozu man leicht verführt wird, wenn man in die Lage kommt, Briefe dieser Bekannten, die vielleicht an der Schreibsucht leiden, zu beantworten und bei dieser Gelegenheit die Annehmlichkeiten des Aufenthalts in der Stadt schildert, in der man zurückgeblieben. Die Gefahr ist nicht groß, aber doch vorhanden, daß diese Schilderung die Abwesenheit des Bekannten abkürzt, indem sie ihn veranlaßt, früher als beabsichtigt die Freuden der Heimat mitzugenießen.
Aber eines Tages beginnt doch, immer früh genug, die
allgemein zu werden, und mit dem Zauber des Sommers und Herbstes erreichen die hier und da vorhandenen 117 und so angenehm auffallenden und wirkenden Lücken der städtischen Bevölkerung ihr Ende.
Das ist bedauerlich, aber die Kinder müssen wieder in die Schule. O gewiß, die Kinder sind zu sehr angestrengt, die Schule ruht nicht lange in ihrem Überbürden, die Ferien sind zu kurz. In diese humane, den übertreibenden Bildungsdrang unserer Zeit berührende Betrachtung kann man das Bedauern kleiden, daß mit der Wiedereröffnung der Schulen die meisten Erwachsenen wieder in die Heimat zurückeilen müssen.
Hat man Dienerschaft in der Wohnung zurückgelassen, d. h. mehr als ein Mädchen, so herrscht daselbst schon seit einigen Tagen die übelste Stimmung. Nun kommt die Herrschaft wieder, deren Abwesenheit so vielen Beifall fand, nun geht das Klingeln wieder los, nun fängt die Arbeit wieder an, nun fällt jedes zerbrochene Lampenglas, jeder zerschellte Teller, jeder ruinierte Glühstrumpf wieder auf. Und der arme Grenadier wird nicht wissen, wohin er abends das Seitengewehr legt und auch sonst abrüstet. Wie kontrastieren mit den Trümmern des kurzen Idylls die Guirlanden, mit denen unter solchen Äußerungen die Eingangsthür der Wohnung umrahmt wird, während oben ein Plakat »Herzlich Willkommen!« hervorleuchtet. Eine weiße Lüge auf rotem Grund.
Ist der Gatte in der Wohnung zurückgeblieben und erwartet er die Rückkehr der Gattin, so wird die Thür ebenso mit Guirlanden und Plakat geschmückt. Aber das »Herzlich Willkommen!« ist wirklich aufrichtig herzlich gemeint. Man frage nur den Gatten.
Das Gleiche gilt von der Heimkehr des Gatten. Man frage nur die Gattin.
Die vorangehenden Scenen auf dem Bahnhof nach der Ankunft der Lieben gestalten sich zu einem Vollbild des Familienglücks. Wenn man die Ehe in ihrer höchsten Vollkommenheit und in ihrem sonnigsten 118 Glanz kennen lernen will, so scheue man die Mühe nicht, am Schluß der Ferien die Ankunftshallen der Bahnhöfe zu besuchen. Hier wird der widerspenstigste Junggeselle gezähmt.
Ist man zufällig nicht hervorragend glücklich verheiratet, so kann man, der Rückkehr wegen, nicht oft genug getrennt sein. Ist man zufällig hervorragend glücklich verheiratet, so bedarf man nicht so oft der Trennung, aber zuweilen wird eine Rückkehr nicht überflüssig sein.
Man vermeide als Gatte einen zu zärtlichen Empfang. Es giebt zartbesaitete Frauen, die darin ein Geständnis des Gatten erblicken, er habe kein reines Gewissen.
Dies sei auch der Gattin empfohlen, auch wenn sie überzeugt sein sollte, daß der Gatte zum Verdacht zu eingebildet ist.
Beiden sei es empfohlen, die jüngste Vergangenheit nicht zu rosig zu schildern, auch wenn sie es redlich oder unredlich verdient hat, denn es macht keinen guten Eindruck auf den Hörer oder die Hörerin, wenn die Trennung als eine sehr angenehme Unterbrechung dargestellt wird.
Die Guirlanden lasse man noch einige Zeit hängen, auch entferne man das Plakat »Herzlich Willkommen!« nicht. Es geht doch mancher an der Thür vorüber, mancher Besucher wird ferngehalten, weil er meint, die Rückkehr habe eben erst stattgefunden, und die Herrlichkeit nimmt ja ohnedies, wie alles, ein
Ende.