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Isolde (sitzt am Klavier und spielt ein Stück von Grieg).
Bertha (am gedeckten Kaffeetisch trinkt und ißt, während Nettel ihr die Haare mit schäumendem Wasser wäscht, zu Isolde). Willst du den Kuchen nicht mehr?
Isolde. Iß nur.
Bertha (schlingt ein neues Stück Kuchen mit Schlagrahm).
Isolde (spielend). Das ist Musik! Grieg.
Bertha (zu Nettel). Bist du bald fertig?
Nettel. Ists schon sechs Uhr?
Bertha. Halb.
Nettel. Bis sechs habe ich nichts zu tun. Bei den Kindern sitzt Trude; sie spielen artig, und für die Haare kann die Massage nicht lange genug dauern.
Bertha. Mußt du denn immer zu rackern haben? Ich wundere mich wahrhaftig, daß dir die Wirtschaft oben nicht genügt. Fünf Rangen und die Küche und sonstige Bescherung dazu.
Nettel. Wie ichs mir eingeteilt, bleibt freie Zeit genug.
Isolde (steht auf und zündet eine Zigarette an). Das war Grieg; der geht auf den Lebensnerv. (Sie umfaßt Nettels Schultern.) Ach wüßtest du –! (Geht zum Instrument zurück.)
Bertha. Nettel kennt außer ihrer Arbeit rein gar nichts, obwohl sie sich viel mehr um ihre Bildung kümmern müßte. Was bleibt der Mensch ohne Bildung?
Nettel. Ich habe alle Bücher gelesen, die Isolde mir gab.
Bertha. Hast du von Bölsche gelesen?
Nettel. Ja.
Bertha. Hast du auch von Key gelesen?
Nettel. Ja. 27
Bertha. Dann mußt du die ganze Geschichte doch wissen.
Nettel. Welche?
Bertha (lacht). Die bewußte natürlich. (Zu Isolde.) Ich sage zu Nettel wegen Bölsche: dann mußt du die Geschichte doch wissen. Fragt sie: welche?
Nettel. Es stehen unzählige Geschichten drin.
Bertha. Nein, die Nettel! (Sie lacht stürmisch.)
Nettel. Meint ihr Zeugung und Geburt? Da ist nichts zu lachen; das ist so.
Bertha (zu Isolde). Hör' nur, wie frech sie das sagt. (Zu Nettel.) Du scheinst schön verdorben.
Isolde. Siehst du das Geheimnisvolle der Vorgänge nicht? Protoplasma, Keimzelle, das gewaltige Mysterium?
Nettel. Ich kann mir nichts dabei denken.
Isolde. Euere Generation kommt mir geradezu pervers vor. Die erhabensten Dinge der Welt nehmt ihr mit Gleichmut hin, ohne zu staunen, im Tiefsten zu erschauern. Ihr denkt und prüft nicht wie die jungen Leute meines Alters. Im Leben steht ihr und tut und gut. Klappert und klappt wie Maschinen eintönig euer Tagwerk. An Übersinnliches rührt ihr nicht.
Nettel. Wir sind zufriedener als ihr.
Bertha. Wie frech das Mädel ist!
Isolde. Weil ihr das Gefühl der Verantwortung nicht im gleichen Maße habt.
Bertha. Keine Verantwortung!
Nettel. Ich hab die Welt nicht gemacht.
Isolde. Als wär' das eine Entschuldigung.
Nettel. Wofür?
Isolde. Für die Schöpfung, wie sie ist.
Nettel. Aber sie ist gut.
Bertha. Für die Reichen mit großem Geldsack vielleicht. Wer sich aber die Tage hindurch schinden muß!
Isolde. Wer aber auch an allem, allem oft verzweifelt! (Großer Seufzer.)
Nettel. Fürchtete ich mich nicht so schrecklich – 28
Bertha. Wovor fürchtest du große Person dich?
Nettel. Abends – ist's dunkel – ist Vater fort wie vor ein paar Tagen, ich oben mit den Kindern allein; plötzlich Schatten, Gestalten überall. Wär das nicht! (Sie erschauert.)
Bertha. Holt dich einer, bringt er dich an der nächsten Laterne wieder.
Nettel. Wär das nicht, ich könnte mich über das bloße Leben nicht lassen. Trude ist auch so; manchmal tanzen wir im Hemd. Wir haben viel zu arbeiten, und es gelingt. Stets ist etwas nicht in Ordnung; man änderts, dann paßts. Wo ein Fleck ist, wischt man ihn weg und hat das Gefühl, ohne einen geht die Wirtschaft nicht.
Isolde. Und abends kommt das Grübeln.
Nettel. Abends ist man müde; schläft.
Isolde. Du bist von der platten Unkompliziertheit deiner Altersgenossen. Für euch hätte der unglückliche Goethe nicht leben müssen. Ihr versteht nicht das: »Vom Aberglauben früh und spät umgarnt, es eignet sich; es zeigt sich an, es warnt, und so verschüchtert, stehen wir allein!«
Bertha. Mir kommt sie einfach frech vor.
Isolde. Wachst auf in einer Umgebung, die vom Kampf der Klassen und Individuen ums tägliche Brot und um das Heil der Seelen dröhnt und haspelt dabei stumpf euer Pensum ab. Sorgen sind euch fremd; erst Ideale!
Nettel. Liebe meinst du?
Bertha. Da habe ich keine Angst. Das wird das Mädchen schon machen.
Isolde. Doch wie banal! Wie das Haustier. Beute irgendeiner stupiden Männlichkeit.
Nettel. Da denke ich mir mein Teil.
Bertha. Immer frech.
Isolde. Höheren Aufschwungs unfähig. Schließlich aber bist du sechzehn Jahre alt.
Nettel. Tu ich nicht meine Pflicht?
Isolde. Gegen andere, nicht gegen dich selbst. Stets 29 stopfst du den Kindern die Mäuler. Dich selbst, dein Zellensystem nährst du schlecht. Trägst stets die gleichen Sachen. Du bist eine kapriziöse Erscheinung, könntest Eindruck machen. Als wir die lebenden Bilder überlegten, haben wir auch an dich gedacht.
Nettel. Dafür bleibt mir gar keine Zeit.
Isolde. Aber die Überzeugung, dir würde für jede höhere Figur der Ausdruck fehlen –
Nettel (weinerlich). Was habt ihr nur?
Bertha. Gib dir keine Mühe; sie verstehts nicht. (Geste zu Isolde.) Frag' sie, wie man einen Haferschleim rührt, sie wird antworten; oder Strümpfe stopft.
Nettel. Ihr beide seid einfach faul.
Bertha. Was?
Nettel. Onkel Wilhelm und Vater sagens auch. Nur wenn ein Vergnügen vor der Tür steht wie jetzt, rührt ihr euch.
Isolde. Hat Artur das behauptet?
Nettel. Der wagts nicht. Hat Angst vor dir.
Isolde. Nur die beiden Alten, die selbst nichts tun.
Bertha. Brandreden halten, ihren Leib füllen und uns schikanieren.
Nettel. Uns ernähren. Für die Rechte der Arbeiter sich einsetzen.
Bertha. Nun mach' Schluß. Was verstehst du davon?
Nettel. Warum sonst das Zusammenbleiben bis in die Nacht? Onkel Wilhelm hättet ihr gestern abend bei uns hören sollen: »Und wollt ihr mit Posaunen mich übertönen, das unterdrückte Volk wird mich hören.«
Bertha. Faule Fische. Da kenne ich mich aus.
Isolde. Die lebenden Bilder will er uns verderben; aber das Jubiläum wird gefeiert.
Nettel. Oder nicht.
Bertha. Bist du still!
Nettel. Der Schwarze, der hier ist, der Feurige mit dem Bärtchen –
Bertha (zu Isolde). Der Feurige – hörst du!
Nettel. Der auf Stühle klettert, wills um die Welt nicht. 30
Isolde. Und Artur?
Nettel. Macht immer: Pst! (Sie legt lachend den Finger an den Mund.)
Isolde. Als kritisch überlegener Geist beteiligt er sich kaum am Geschwätz.
Nettel. Der Schwarze hats ihm aber ein paarmal tüchtig gegeben.
Isolde. Dein Schwarzer ist ein vollkommener Idiot. Reicht Artur nicht das Wasser. (Mißt sie verächtlich.) Platitüde! (Schlägt die Tür, exit.)
Bertha (mißt sie verächtlich). Feurig! Schaf! (Schlägt die Tür, exit.)
Nettel. Schlampen! (Schlägt die Tür, exit.)
Sturm (öffnet die Tür, sagt draußen zu Nettel). Ist dein Vater da?
Nettel. Hier wohnt mein Vater nicht.
Sturm. Ständer?
Nettel. Sieh selbst nach! (Sie verschwindet.)
Sturm. Range! (Er tritt ins Zimmer.)
Ständer (tritt auf). Was hast du gegen das Fest?
Sturm. Statt Feste der Fabrikanten zu feiern, soll das Volk mit der Faust auftrumpfen.
Ständer. Selbstverständlich ist, zu jubilieren, kein Anlaß, doch unter der Maske der Vorbereitungen fallen Zusammenkünfte, fällt fieberhaftes Leben, der wahre Jakob weniger auf. Alles was dient, die Aufmerksamkeit des Feindes von unseren wirklichen Absichten abzuziehen, soll recht sein.
Sturm. Aber was zum Teufel sind unsere Absichten? Fast 31 eine Woche bin ich hier, und durch ein unerklärliches Weißnichtwas fühle ich mich aus dem Gleichgewicht. Wie ein Quirl springst du um mich, gehst mir nicht von der Seite. Wohin ich meinen Samen streue, wende ich mich fort – wieder zurück, scheint mir Gegenteiliges aufgegangen. Wiederholst du den Leuten meine Worte, zwinkerst du zugleich so andersdeutig, daß die ganz Verkehrtes verstehen müssen.
Ständer. Ich zwinkere?
Sturm. Blinzelst, schielst und mauschelst. Fieberst wie ein Signalapparat, der mit grünem Einfahrtslicht rotes Halt gebietet. Tiefster Überzeugung rief ich: »Mißtraut dem heimtückischen Mammon!« Aller Herzschlag der Genossen ist fest in meiner Hand, fühle ich. Da, mitten im Rollen des Wortes »Mammon« dreht sich alles Auge zu dir, der du stehst –
Ständer. Wortlos.
Sturm. Mit sprechender Visage, die den Sinn meiner Worte aufhebt.
Ständer. Du bist verrückt.
Sturm. Mir geht ein Licht auf.
Ständer. Das ist Hochverrat!
Sturm. Von wessen Seite?
Ständer. Ich hänge es an die große Glocke. Dafür sollst du büßen. Ich, der seit vierzig Jahren Herzblut für die Armen, sein Hemd – vergießt – ich! ah! das!
Sturm. Ständer!
Ständer. Allein – früh und spät – blute –
Sturm. Mir gehts um mein Evangelium. Steh mir Aug in Auge: Bist dus?!
Ständer. Sein Hemd bis ins letzte!
Sturm. Sozialdemokrat?! (Er packt ihn bei der Hand.)
Ständer (mit großer Geste). Bis in den Tod von deiner Rasse.
Sturm (drückt ihn an sich). Das dank' ich dir ewig. 32
Artur (tritt auf, sagt zu Sturm). Ich verbiete endgiltig, Sie hetzen unser Volk mit tausendmal überholten Maximen auf.
Sturm. Auseinandersetzungen mit Ihnen lehne ich ab.
Artur. Sie verkennen den Zweck, der Sie herrief, tun Sie anderes, als die Genossen darüber aufklären, daß eine Sammlung guter Bücher für sie notwendig ist.
Sturm. So bin ich fortan ohne Auftrag in eigener Angelegenheit hier.
Artur. Sie erreichen nichts. Die Leute lachen Sie aus.
Sturm. Das bleibt meine Sorge.
Artur. Wüßten Sie, in welchem Grad Sie einfältig und überflüssig sind, Sie schämten sich. (Zu Ständer.) Gerade habe ich mich mit dem Direktorium auseinandergesetzt. Nach allem, was ich hörte, steht man nicht mehr auf dem unbedingt ablehnenden Standpunkt. Die Aussichten für die Bibliothek sind im Gegenteil die besten. Nur das sofortige Aufhören der Arbeiterbewegung will man. Durch den plötzlichen, passiven Widerstand an allen Ecken und Enden ist man einfach nicht imstande, ordnungsgemäß zu arbeiten, Entschlüsse zu fassen. Wird durch tausend kleine Schikanen an der Erledigung des Notwendigen gehindert.
Sturm. Krepieren soll die Bande vor stets neuen Sorgen!
Ständer. Den Knüppel zwischen den Beinen sind sie gelähmt!
Artur. Sie können vor lauter Zwischenfällen –
Ständer. – nicht mehr X vom U unterscheiden, geschweige – (Er reibt sich die Hände.)
Artur. Wir haben begründete Aussicht, ein prachtvolles Ziel durchzusetzen, schaffen wir den Verantwortlichen ein klares Hirn für ihre Entscheidung. Unser akuter Wille ist: Die Bücherei. Von Prinzipien sehen wir für den Augenblick ab. 33
Sturm. Den Teufel tun wir. Ihr Lesekränzchen ist ein Bierulk, eine Lokalposse. Wir anderen stehen zehn Stockwerk höher. Haben die Eisenstange im Räderwerk und heben den ganzen freibeuterischen Mechanismus endlich aus dem Gewinde.
Artur. Ihr utopisches Geschwafel ist heutzutage Verbrechen. Wir marschieren, Proletarier, festen Schritts zur Vereinigung, Verbrüderung mit dem gesamten europäischen Bürgertum, Weltpolitik zu machen.
Sturm. Wir springen euch elenden, geldvergifteten Spießbürgern an die Gurgel, wir – Proletarier!
Artur (an der einen Seite des Tisches). Hinter uns steht unübersehbare Menge.
Sturm (an der anderen Seite des Tisches). Die Elite, das Mark und die Kraft Deutschlands schnellen uns.
Ständer. Meine Herren!
Artur. Das ist ein –!
Sturm. Er soll mich –!
Ständer (leise zu Artur). Geh! Ich schaffe ihn fort.
Artur (schlägt mit Gewalt auf den Tisch).
Sturm. Friedlich, Bourgeois!
Artur. Bourgeois selbst!
Sturm. Citoyen! Bourgeois; den Unterschied beult das nächste Jahrzehnt aus deutscher Sprache heraus.
Ständer (hat Artur hinausgedrängt).
Sturm. Dieser Allerweltsumarmer ist ja eine tolle Abart der Partei. Treibt einem Gift ins Gehirn.
Ständer. Wahrhaftig!
Sturm. Solche Quirler, Vermischer reiner Absichten gehören unter den Tritten unserer Bataillone zerstampft.
Ständer. Bravo!
Sturm. Bebst du wie ich vor Wut? Was sagst du?
Ständer. Du sahst doch, gerade stieß ich ihn noch zur 34 Tür hinaus. Im nächsten Augenblick hätte ich mich vergriffen.
Sturm. Die mengen Europa in großer Bütte zu einem Mus, das alle Wege der Vernunft und des Glaubens verstopft.
Ständer. Da hast du aber einmal wirklich und vollkommen recht!
Sturm. Und wagt sich unsereinem in den Weg!
Ständer. Freilich ohne Wirkung. Das Männchen nimmst du zu wichtig. So etwas bewegt sich wie der Sturm im Wasserglas, (auf Sturm zeigend) nicht wie dieser freilich, knapp bis ins dreißigste Jahr. Dann kommt mit Frau und Kindern die harmlose Katastrophe.
Sturm. Der Wurm krümmt sich lange.
Ständer. Er ist durch baldige Heirat meiner Nichte Isolde geliefert. Ein faules, fettes Mädchen, das ihm sein Quentchen Mark in Jahresfrist herauslöffelt.
Sturm. Hoffentlich.
Ständer. Sei unbesorgt. Der hat sich die längste Zeit getummelt. Darum genug von ihm; du brauchst ihn ferner nicht zu beachten. Tu deine Arbeit, die ich schätze. Tu sie, willst du, mehr im geheimen. Ich, der über den Schwachkopf in die hiesige Wirklichkeit sieht, bin mit dir, in Anbetracht und so weiter, zufrieden. Das wollt ich dir bei dem Anlaß sagen.
Spring flink noch zu Flocke hinauf, meld' ihm, unser Plan geht nach Wunsch. Das gewollte Chaos ist angerichtet; bei völliger Verwirrung unserer Gegner halten wir für große Zwecke den Faden in der Hand. Ists nicht so?
Sturm (mit bewegtem Händedruck). Es ist! Und auf der Basis wirken wir nun kräftig fort. (Exit.)
Ständer. Sechs Tage bis zum Fest. Noch bleibt alle Gefahr drohend. Das Durcheinander kann dauernd nicht wild genug sein. Nach links zieht Sturm, Artur rechts am Strick. Wüßte ich einen Dritten, sollte der von der Mitte her tüchtig schütteln. 35
Artur (tritt auf). Was ist mit ihm?
Ständer. Gerade stieß ich ihn zur Tür hinaus. Im nächsten Augenblick hätte ich mich vergriffen. Jedenfalls vergißt er das Wiederkommen.
Artur. Vor solchem Ungetüm könnte man an der intellektuellen Linie der ganzen Natur verzweifeln. Diese Gewaltmenschen gehören glatt an die Wand erschossen.
Ständer. Bravo!
Artur. Ohne einen Begriff davon, daß sich durch wirtschaftliche Organisation das hehre Ziel schneller und gründlicher erreichen läßt als durch blutige Revolution, halten diese Fossile aus der Primärzeit es nicht für nötig, sich über errungene Feststellungen zu unterrichten. Diese tiefen Köpfe ich meine tief im Sinne einer Thermometerskala haben vom Unterschied zwischen Arbeitswert und Produktionspreis keine Ahnung.
Ständer. Bewahre.
Artur. Wissen von Profitrate, Zentralisation des Kapitals und der Betriebe, vom nationalen Mehrprodukt, Kreditsystem, der Vergesellschaftung und dem Normalarbeitstag nicht das geringste.
Ständer. Wie soll so einer auch? Von den Gutgesinnten gemieden, ohne Weib und Kind.
Artur. Und wagt sich unsereinem in den Weg!
Ständer. Ohne Wirkung freilich. Wie der Sturm, (er lacht) im wahren Sinn des Wortes, im Wasserglas, bringt sich so etwas knapp bis ans dreißigste Jahr.
Artur. Er ist fünfunddreißig.
Ständer. Bis ans vierzigste. Dann kommt als Folge jahrelanger Ausschweifungen die schnelle Katastrophe.
Artur. Meinst du?
Ständer. Du nimmst ihn zu wichtig. Beacht' ihn weiter nicht. Tu deine Arbeit, die ich schätze.
Artur. Lohnrate gegen Profitrate!
Ständer. Versteht sich. Tu sie, willst du, mehr im 36 geheimen. Wir halten hier durch dich geradezu die Fäden in der Hand. Das wollt ich dir bei dem Anlaß sagen.
Artur. Und ich: nie hätte ich gehofft, in dir einen so fortgebildeten und aufrichtigen Genossen zu finden. (Er drückt ihm kräftig die Hände.)
Ständer. Mit Isolde bist du zufrieden?
Artur. Eine Perle. Ein prima Eizellchen.
Ständer. Erziehung: Beethoven, Französisch!
Artur. Mehr als das: ein vorurteilfreies, großzügiges Herz. (Umarmt ihn.)
Ständer. Und in jeder Beziehung fix dazu. Wo willst du hin?
Artur. Ins Direktorium zurück. Melden, Sturms Einfluß ist bis morgen matt gesetzt. Er selbst verschwindet. Ich versichere, unverzüglich erfüllen sie unsere Forderung.
Ständer. Laß es bis morgen. Die unruhige Erwartung macht sie uns geneigter, und ich kann mit deinem Vater, der auch von der Partie ist, das Passende bereden. Und dann mit Volldampf voraus zum gesteckten Ziel.
Artur. Also spaziere ich mit Isolde eben noch ins Wäldchen hinaus.
Ständer. Auch äußerlich ein Prachtweib?
Artur. Der ideale, sorgende Gefährte für ein harmonisches Leben.
Ständer (meckert). Glückskerl!
Artur (exit).
Ständer. Wie es sich nun mit der Sozialdemokratie im Kern auch verhalten mag, man kann jedenfalls in seinen Neigungen weit schweifen, um immer noch ein erstklassiger Genosse zu sein.
Flocke (tritt auf). Stehts gut, wie Sturm sagt?
Ständer. Die Arbeiterschaft ist durch ihn, Gustav, und unterirdisch durch mich so im Strudel, daß nicht nur über 37 die Zweckmäßigkeit des Festes, sondern des eigenen Lebens jeder in Zweifeln schwebt. Die Leitung der Werke dagegen will nur Ruhe, die Hand vor Augen zu sehen. Dann wird sie uns wohl jeden Wunsch erfüllen.
Flocke (nach einer Pause seufzend). Ach Gott, ach ja! (Nach einer neuen Pause.) Was war von alldem eigentlich der Grund, Wilhelm?
Ständer. Kind Gottes, das fragst du seltsam.
Flocke. Ich weiß, die Bücherei. (Pause.) Ich meine, was dich recht eigentlich innerlich trieb?
Ständer. Innerlich? Ganz innerlich? Um mir irgendwie die Mittel zu wirklichem Leben (Er geht dabei mit einem Ruck auf Flocke los, macht aber vor ihm halt und sagt im gewöhnlichen Ton) Ach Gott, du weißt es doch. Das Wohl der Proletarier, Fortbildung und so weiter.
Flocke. Ich weiß. Ach Gott, ach Gott!
Ständer. Betracht' ichs aber unabhängig davon und nehme an, die geschaffene Verwirrung hat zu unserem Wohl die Aufmerksamkeit von uns beiden und unserer eigentlichen Stellung endgültig abgelenkt, sehe ich die Forderung der Genossen: eine runde Million für Bücher und ihre Aufbewahrung nunmehr nüchtern von anderem Standpunkt an, vergesse, ich bin Angestellter der Werke und denke, man ist als Mitbesitzer an ihrem Gedeihen beteiligt
Flocke. Ja?
Ständer. Das fiel mir in den letzten Nächten ein: ist die Forderung der Bagage, eine Million! bodenlose Unverschämtheit.
Flocke. Aber
Ständer. Erlaube! In den letzten fünf Jahren wurde durch Speise-, Bade- und Erholungsanstalten, Säuglings-, Blinden-, Krüppelheime
Flocke. Stellst du eine Bibliothek mit der Badeanstalt auf gleiche Stufe?
Ständer. Weniger wichtig ist sie. Als Kulturmensch kann ich auf ein Buch eher als aufs Bad verzichten. Ich 38 wundere mich, wie du, der mit seinen ganzen Ersparnissen an den Fabriken beteiligt ist, einer bedeutenden Schwächung des inneren Wertes der Aktiven seelenruhig zusehen willst. Durch Gewährung der Million wird der Gewinn dieses Jahres gewaltig gekürzt, und die Dividende dein Zins, Flocke kleiner.
Flocke. Wahrhaftig?
Ständer. Das ist die Kehrseite der Medaille. (Er holt ein Buch und schlägt es vor Flocke auf.) In der letzten Bilanz hatten wir eine Bruttoeinnahme von rund zwei, und nach Abschreibung der Handlungskosten noch eine und eine viertel Million Gewinn. Davon gingen aber ab für: Arbeiterwohnhauskonto, Arbeiterunterstützungskonto, Arbeiterpensionsfonds Arbeitersparkassenkonto, Badehaus, Speisehaus, Erholungsanstalt und sonstige Arbeiterwohlfahrtseinrichtungskonti rund dreihunderttausend Mark, bis schließlich aus knapp einer Million Mark zehn Prozent Dividende verteilt wurden. Verstehst du?
Flocke. Ja.
Ständer. Woher, um alles in der Welt, soll nun die Verwaltung die Million nehmen?
Flocke. Um Gottes willen!
Ständer. Aus dem Jahresgewinn? Das hieße keine Kopeke Dividende.
Flocke. Was?!
Ständer. Aber auch: der Kurs der Aktien fällt um vierzig bis fünfzig Prozent.
Flocke. Allmächtiger!
Ständer. Aus den Reserven? Das bedeutet katastrophale Schwächung des inneren Wertes der Anlage.
Flocke. Heiland!
Ständer. Folge: gleichfalls Kurssturz bis auf Pari.
Flocke (wimmert).
Ständer. Aus alldem erkennst du: wir haben nach Erreichung unseres persönlichen Ziels kein anderes Interesse, als die Bewilligung der Bibliothek um jeden Preis zu verhindern. 39
Flocke. Unser Ziel ist aber nicht völlig erreicht. Es bleiben sechs Tage.
Ständer. Die letzten drei oder vier kommen für geregelte Geistestätigkeit nicht mehr in Frage. Da geht in Lampions und Girlanden jede Orientierung verloren. Achtundvierzig Stunden lang müssen wir mit der bisherigen Undurchsichtigkeit, mit Durcheinander die Geschichte noch in der Schwebe halten, verhüten, daß das geringste Wirkliche geschieht. Denn einmal aufrichtig und uns insgeheim gestanden: läßt man überhaupt die menschlichen Voraussetzungen hier gelten die sozialen Zustände in Rodau sind, wie sie sind, geradezu ideal.
Flocke. Ideal!
Ständer. Du und ich, ohne sich körperlich zu überanstrengen
Flocke (kichert).
Ständer. Doch sechstausendvierhundert, fünftausendsechshundert! Und da das Gros der Arbeiter den ganzen Tag über meist wirklich beschäftigt ist, bleiben die Anstalten, Porzellanwannen, Nickelduschen zu gewissen Stunden der Benutzung durch uns vorbehalten.
Flocke (strahlend). Die Sitzbrause!
Ständer. Artur hat für den Augenblick beim Direktorium Oberwasser. Es will bewilligen. Das regulieren wir noch heute. Sturm muß wieder in den Vordergrund. Bevor sich die Leitung besinnt, hat sich die Arbeiterschaft besonnen. Ihre Forderung sieht sie selbst als zu groß ein. Man überlegt; wird nach dem Fest weiter davon sprechen.
Flocke. Doch wird Artur jetzt mit dem Kopf durch die Wand wollen.
Ständer. Isolde ist instruiert. Sie bremst ihn im Stadtwald. Aber auch Sturm, lasse ich ihm die Leine locker, bleibt bei Fuß. Zu dem Zweck veranstalte ich heute abend bei mir Kartenspiel, und wir setzen ihm dein kleines Mädchen zur Seite.
Flocke. Nettel? Wilhelm, du bist ein Genie! 40
Ständer. Ich habe einen illuminierten Kopf. Meine Mutter war auch eine geborene Seidenschnur.
Flocke. Jetzt erst sehe ich vollen Erfolg. Alle Steine fallen mir vom Herzen.
(Man hört draußen zunehmende Bewegung.)
Ständer (zum Fenster). Was ist das?
Flocke. Sausen eines Motors? Siehst du etwas?
Ständer. Gruppen Menschen in Bewegung.
Flocke. Sturm mit ihnen; sie ziehen nach rechts.
Ständer. Er wirft die Arme, holt alle links hinüber. Gegen die Direktionsgebäude schwenken sie.
Flocke. Zum Angriff! Er rebelliert sie. Mord und Totschlag! Wir kommen zu spät.
Ständer. Man muß hinunter. (Zur Tür.)
(Artur und Isolde treten auf.)
Artur. Was gibts?
Flocke. Sturm, Weltuntergang!
Artur. Hinunter! (Zur Tür.)
Isolde (Aufschrei). Geliebter!
Flocke (Aufschrei). Artur!
Ständer und Artur (versuchen, sich loszumachen, da Isolde und Flocke ihre Knie umfassen. Bertha ist dazugekommen, es gibt ein chaotisches Hin und Her; von oben hört man Kindergeschrei und Hundegebell. In das Durcheinander brüllt)
Ständer. Ruhe!
Flocke (fällt für tot in einen Stuhl; die übrigen lauschen).
Bertha (bei völliger Stille). Man hört nichts.
(Von neuem erhebt sich draußen Unruhe, die anschwillt. Alles tritt nebeneinander zum Fenster und zeigt, in einer Reihe stehend, den Rücken.)
Artur. Sie kommen! 41
Isolde. Sturm voran!
Ständer. Aufs Haus zu!
Bertha (schreit auf). Sie stürmen!
Ständer (ohrfeigt sie).
Artur. Wer ist das neben Sturm? Sie wollen zu uns! (Exit.)
Ständer. Schippel!
Isolde (schreit auf). Artur!
Ständer (ohrfeigt sie. Exit).
Nettel (tritt auf).
Isolde (stürzt ihr schluchzend an die Brust).
Nettel (am Fenster). Der Schwarze!
Flocke (für tot in einem Stuhl).
Bertha (beim Anblick Flockes mit Aufschrei auf ihn zu).
Nettel und Isolde (gleichfalls zu ihm).
Es treten auf Schippel, hinter ihm Ständer, Sturm, Artur und etwa ein Dutzend Arbeiter, während der Rest bei offener Tür im Hausflur und auf der Treppe stehen bleibt. Die Frauen sind bei der Männer Eintritt hinter die Wand von Stühlen geflüchtet, den halb entseelten Flocke mit sich nehmend.
Schippel (bei völliger Ruhe). Guten Abend, meine Damen. (Zu Ständer.) Haben Sie die Güte, mich vorzustellen. (Er tritt aber selbst auf die Frauen zu und sagt, jeder die Hand reichend.) Direktor Schippel.
Flocke (verschwindet irgendwie vollständig).
Die Frauen (knixen).
Schippel. Ohne Sorge, meine Damen. Ein überraschend zahlreicher, doch nicht bösartiger Einbruch. Und nun, Freunde, keine unnütze Erregung. Wer Platz findet, die Damen vor allen, setzt sich. Die übrigen hören stehend unserer Aussprache zu. Darf ich bitten. (Er führt Bertha mit Komplimenten zu einem Stuhl.) 42
Sturm. Wir haben hier nicht Komplimentenzirkel. (Zu Nettel.) Zier' dich nicht, Balg!
Nettel (entreißt ihm die Hand). Hand los!
Schippel. Jeder, wie es ihm bequem ist. Und jetzt gestatten Sie, ich nehme zu einer Ansprache das Wort, die Sie bald beschwichtigen, sogar erfreuen wird. Hier ist noch ein Stuhl frei. (Anbietend.) Bitte, Herr Ständer.
Ständer. Ich überlasse
Schippel. Sie alle unbedingt erfreuen wird.
Sturm. Das werden wir sehen.
Ein Arbeiter. Brot wollen wir. Kampf aufs Messer!
Schippel. Einen Augenblick, Lieber. Die Damen möchte ich sehen. (Er schiebt ihn aus dem Weg.)
Sturm. Das sind Possen!
Schippel. Sondern mit Vernunft gehen wir aufs Ziel los. Arbeiter in Rodau! Obwohl ich Sie, Verehrte, ganz anders anreden möchte, spreche ich nüchtern und rufe Sie an, wie es Sie adelt: Rodaus Arbeiterschaft! Seit mehr als zwanzig Jahren bin ich euch bekannt. Nicht undeutlich, scharf umrissen stehe ich selbst, meine Absicht, steht das durch mich für euch Erreichte vor euch.
Zuruf. Wir wollen uns und unsere Kinder erziehen dürfen.
Ein Arbeiter. Brot! (Einiges Echo.)
Schippel. Wiewohl gewissermaßen euch übergeordnet, habe ich meine schlichte Herkunft nie verleugnet, nicht vergessen, daß ich wie die Ärmsten unter euch aus der letzten Tiefe des Volkes komme. Machte nie mehr aus mir als einen, der für desselben Werkes Gelingen schafft wie ihr. Auch ich nenne mich mit Recht einen Rodauer Arbeiter. Niemals aber mit größerem Stolz als jetzt, da das hundertjährige Bestehen unserer aller Ernährerin vor der Tür steht.
Ein Arbeiter. Brot!
Schippel. Haben wir durch das Glaswerk alle reichlich. 43 Und mehr. Vor den Arbeitern umliegender Bezirke besitzt ihr Anstalten, die euer Wohl nach allen Seiten sicherstellen und fördern. Jetzt wollt ihr für euer geistiges Fortkommen Bücher.
Ein anderer Arbeiter. Eine ganze Bibliothek wollen wir. Verstehen Sie!
Sturm. Ich unterbreche!
Schippel. Lassen Sie den Mann doch aussprechen. Er formuliert den Wunsch der Genossen. Sags noch einmal.
Sturm. Der Mann ist Ihr Duzbruder nicht.
Artur (zu Sturm). Stören Sie nicht!
Sturm. Herrgott!
Zurufe. Ruhe!
Schippel. Erst stutzt das Direktorium. Meine Freunde! Wir haben im Verlauf weniger Jahre Riesensummen für Bequemlichkeiten eures Lebens aufgewandt. Freilich kann einem das irdische Dasein nicht angenehm genug gemacht werden. Gleichzeitig ist aber, bei unveränderter Arbeitszeit, der Härtegrad eurer Arbeit, möcht' ich sagen, nicht größer geworden, da die Bedienung der verbesserten Maschinen leichter wurde.
Sturm. Sie reden um den Brei!
Zurufe. Ruhe!
Schippel. Während hingegen für Eigentümer und Leiter der Geschäfte durch erschwerte Einsicht in verwickelte wirtschaftliche und politische Verhältnisse Verantwortung und Risiko täglich mehr und ins Ungemessene wächst. Aber ihr antwortet sehr richtig: das ist deren Sache. Durch die famosen Maschinen seid ihr Behaglichkeit immer mehr inne geworden und wollt sie auch im häuslichen Leben nicht missen. Basta! Ihr wißt heute, was ein Aufenthalt in würziger Waldluft, am rauschenden Meeresufer ist, habt in der Einrichtung eurer mustergültigen Fürsorgeanstalten längst den Anschluß an den höchsten Komfort erreicht.
Sturm. Nicht länger dulde ich Ihre Witze! 44
Schippel. Wissen Sie den Leuten Wichtigeres zu sagen, räume ich mit Vergnügen den Platz. (Mit Komplimenten tritt er zurück.)
Zurufe. Weiterreden!
Sturm (tritt vor). Genossen! Proletarier mit einem einzigen leuchtenden Ziel sind wir!
Zurufe. Das gehört nicht hierher!
Sturm. Nicht Almosen wir wollen aus eigener Kraft mit souveräner Gewalt das Ganze.
Artur. Hier ist keine Wahlversammlung!
Zurufe. Der Direktor soll sprechen. Hinaus!
Sturm (stark). Wer rief hinaus?
Ein starker Arbeiter (tritt vor). Ich! (Zu Sturm.) Ein Schmuser sind Sie: reden Schmonzes.
Zurufe. Zur Sache!
Schippel (zu Sturm). Ihre zweifellos heilige Überzeugung wird bei ungünstiger Disposition der Anwesenden für so schweres Geschütz besser später vorgetragen. Vielleicht sprechen Sie jetzt zur Sache.
Zurufe (von allen Seiten). Zur Sache!
Sturm. Zu dieser verfluchten, von Gott verlassenen, unheiligen Sache habe ich nichts zu sagen! (Exit.)
Artur. Pöbelhaft!
Ein Arbeiter. Radaubruder!
Schippel (mit süßem Lächeln). Ein sympathischer Brausekopf. Das Direktorium stutzt einen Augenblick. Doch bricht sich in sturmbewegten Sitzungen die Überzeugung Bahn: Es kann im Zeitalter herrlicher, allgemeiner Aufklärung, es kann heutzutage das Band, das sich um Arbeitgeber und Arbeitnehmer schlingt, nicht innig genug sein. Im Verwaltungsbüro sitzt der eine, der andere steht an der Maschine durch das unlenkbare Schicksal. Doch aus eigenem, menschlichen Willen wollen beide das Gleiche: Aufhebung der Klassenvorherrschaft durch Schaffung von Bedingungen, die den Übertritt von einer Gesellschaftsschicht in die höhere für jeden einzelnen verbürgen, bis schließlich einzig der 45 gleichberechtigte Bürger Deutschlands was sage ich Europens Boden bewohnt.
Für solches Ziel ist die geistige Hinaufbildung der Massen Notwendigkeit, und so zwingt uns am Ende die Forderung der Rodauer Arbeiter nach einer Bücherei die Träne der Rührung ins Auge, da wir gestehen müssen: Sie wissen, was Sie für sich, was Sie mit uns gemeinsam wollen. (Er fährt sich leicht übers Auge.) Durch Beschluß des Aufsichtsrats vom sechzehnten April ist auf Vorschlag des Direktoriums eine Arbeiterwohlfahrtsbibliothek für Rodau im Erstellungswert von einer Million Mark genehmigt.
(Zurufe und große Bewegung.)
Schippel (nach einer Pause). Als aber erst Erkenntnis unserer tiefen Gemeinsamkeit Rührung und Erleuchtung gebracht hatte, trieb elementares Gefühl, eure Forderung von uns her aus freiem Antrieb zu überstürzen. Die gewaltige Tatsache der Jahrhundertfeier mögen wir nicht vorübergehen lassen ohne eine Geste, die der Welt ans Herz greift. Beweisen wollen wir die brüderliche Liebe, die sämtliche Angehörige des Werkes durchpulst, indem wir einen von euch, der euer Vertrauen hat, mitten unter uns stellen, ihn hinsichtlich seines Titels, seiner Rechte und Bezüge uns gleichmachen als ein Symbol dafür, daß solches hinfort zu jeder Zeit jedem von euch möglich ist. (Er tritt vor.) Seine eigene Bereitwilligkeit und Zustimmung vorausgesetzt, schlage ich die Ernennung des von uns verehrten, um das Werk hochverdienten Herrn Wilhelm Ständer zum Mitdirektor der Vereinigten Glaswerke vor. (Großer Beifall. Zu Ständer.) Wir erwarten Ihre Antwort. Ich sehe Sie bewegt, erschüttert. Wollen Sie, lassen wir Sie für einige Minuten allein, sich zum Entschluß zu sammeln. Ziehen wir uns zurück! Auf einen Augenblick vor die Tür, meine Lieben!
(Während er den Arbeitern ihren Platz im Flur bezeichnet und die Tür hinter ihnen schließt, zieht er sich selbst 46 mit den Frauen und Artur ins Nebenzimmer zurück. Da das Zimmer leer ist, sieht man Flocke hinter den Stühlen teilnahmslos auf einem Schemel hocken.)
Ständer (der Flocke nicht bemerkt und von dem Geistesabwesenden nicht wahrgenommen wird). Ich? (Sehr leise.) Ich? (Er schleicht zum Schlüsselloch der Flurtür, dann zu jener, durch die Schippel und Anhang ging, schaut hindurch und lauscht durch dasselbe.) »Großzügiger Charakter?« Möglicherweise. (Er lauscht weiter.) »Weitblickender Kopf, der für das Werk fruchtbar gemacht werden muß?« Vielleicht auch weitblickend. Aber »für das Werk fruchtbar gemacht werden – muß?« (Er kommt nach vorn.) Fruchtbar für andere? Von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends auf Befehl hingegeben fruchtbar? Einen Tag wie den andern, jahraus jahrein? Aber wenn ich von meinem hingegangenen tristen Leben ein Rühmenswertes sagen kann, ists, daß ich den Frondienst, und was damit zusammenhängt, widerwillig, gerade zur Not noch, aber nie hingegeben oder gar befruchtend, beflügelnd versehen habe. Und jetzt mit sechzig Jahren glaubt ihr, mir eine Falle für mein Menschentum stellen zu können?
Am Ende mehr als weitblickend, in die Tiefen schauend sogar vielleicht. Aber wie bisher doch nur für mich selbst, verschwiegen und höchstpersönlich. Damit, während der äußere Wandel noch armselig ist, im Inneren Reiz blüht, das karge Dasein für mich in bunten Farben schillert und Hoffnung mich immer aufrecht erhält. Für mein Seelenheil zum Verschwenden auf gut Glück, aber nicht unter Kontrolle mit ungeheurer Verantwortung und Risiko für andere mein Genie wie Flocke sagt; gewiß nicht!
Flocke. Was?
Ständer. Flocke? 47
Flocke. Du hier? (Er kommt nach vorn.)
Ständer. Aber das ist ein Zeichen Gottes, ist reine Offenbarung. Mit dieser Geste gewinne ich Klarheit nach allen Seiten und endlich den realen Ausgangspunkt für die eigene unverfälschte Person. (Er öffnet die Tür links und die Gangtür. Alle treten auf ihre alten Plätze zurück bis auf Bertha, die jetzt bescheiden im Hintergrund bleibt.)
Ständer (in der Mitte von allen). Mein Herr Direktor, verehrte Anwesende! Zuerst aus bewegter Seele Dank für die Gewährung unseres Wunsches, Dank für die zugesagte Bücherei. Was den über alles Erwarten hochherzigen Wunsch unserer Führung, ein treuerprobtes, charaktervolles Mitglied der Arbeiterschaft zum gleichberechtigten Kollegen ins Direktorium zu erheben, angeht
Ich selbst, schlichter Art, schlichter Gewohnheit, auf allen Seiten des Lebens in schlichter Auffassung befangen, bin nichts, will und darf nichts sein als ein einfacher Arbeiter.
(Gemurmel.)
Doch wäre ich auch durch besondere Gaben befugt, den angebotenen Platz einzunehmen, einer ist unter den Kameraden, der durch Alter, Verdienst und Befähigung mir weit vorausgeht, für den ein jeder von uns meine Worte bestätigen wird.
Gehorsamst bitte ich, das mir gezeigte Vertrauen auf den Würdigeren zu übertragen, auf Herrn Heinrich Flocke; (laut) unsern guten alten Flocke an meiner Statt zum Direktor zu ernennen.
Rufe von allen Seiten. Flocke! Hoch Flocke!
Schippel (nach einer Pause). Ich sage gerührt und erschüttert: Herr Ständer, Sie haben sich selbst und mich besiegt. Die Stunde wird Folgen haben; ich verbürge mich, Ihr Vorschlag wird angenommen, und das Andenken an das von Ihnen Vollbrachte wird in unseren Herzen nicht verloren gehen. Für meine Pflicht halte ich es, auszusprechen, wie mich hinfort Ihr Umgang ehrt.
Ständer. Ich bin sehr glücklich.
Schippel. Auf Wiedersehen, lieber Herr Ständer! 48 (Schüttelt ihm beide Hände und verneigt sich. Vor Flocke.) Herr Flocke! (Schüttelt ihm beide Hände und verneigt sich. Mit Verbeugungen exit.)
Flocke. Ich bin sehr glücklich.
Zurufe. Hoch!
Einige Arbeiter (haben Flocke auf ihre Schultern gehoben und tragen ihn im Triumph durchs Zimmer und hinaus. Die im Zimmer Zurückbleibenden stürzen zum Fenster, das sie öffnen, und winken mit ihren Tüchern hinaus.)
Bertha. Da sind sie!
Artur. Fabelhaft!
Isolde. Ein wahrer Triumphzug. Onkel Heinrich schwebt.
Nettel (jauchzt hingerissen). Papa, lieber Papa!
Ständer (winkt mit großem Tuch hinaus). Der gute alte Flocke!
(Vorhang.) 49