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Dachstube bei Marlowski
Marlowski (zu Luise): Gurkenmilch, soviel ich weiß – dann schwinden die Sommersprossen.
Luise: Ich lege keinen Wert darauf, mag niemand mehr gefallen.
Marlowski: Das kommt wieder! Wie kann man einem Kerl wie Tritz nachtrauern! Ein Abtrünniger, Renegat!
Luise: Er hatte etwas unbeschreiblich Mildes.
Marlowski: Für Weiber, scheint's. Wir Männer sahen tiefer. Ich habe dem Jungen nie getraut. Schöner werden Sie jedenfalls nicht mit dieser ewigen Melancholie und blauen Ringen um die Augen. Und passiert Ihrer Alten was, können Sie doch nicht bis an Ihr Lebensende ledig bleiben.
Luise: Nach Tritz kann mir keiner mehr gefallen. Das gibt's nicht.
Marlowski: Verrückte Weiber!
Luise: Gurkenmilch?
Marlowski: Kommen Sie in einer Stunde wieder, dann war ein Doktor bei mir, den ich fragen will. Jedenfalls müssen die Sommersprossen weg. Und dann machen Sie sich Ihren Scheitel wieder in die Mitte. Mit den Ponys sehen Sie noch dümmer aus, als Sie wirklich sind.
Luise: Warum sind Sie immer so grob zu mir?
Marlowski: Weil ich Sie für ein anständiges Mädchen halte und Sie vor bürgerlichen Metaphern bewahren will. Nun wissen Sie wieder nicht, was Metaphern sind?
Luise: Nein.
Marlowski: Metapher ist, wenn Sie sich unter Tritz eine große Nummer womöglich mit griechischem Namen aus der Heldensage oder Literatur vorstellen. Adonis, Clavigo oder so. Während er nur ein kleiner Schieber ist. Verlassen Sie sich drauf!
Luise: Der Kern in ihm ist gut.
Marlowski: Dann soll er ihn mal vor uns ausspucken.
Luise: Hoffnung ist keinem verwehrt.
Marlowski: Von mir aus! Aber machen Sie sich Ihren Scheitel wieder! Und den Anzug nicht mehr so schlampig!
Luise: Und Gurkenmilch?
Marlowski: Kommen Sie wieder.
Luise: In einer Stunde!
Exit
Marlowski: Triste Nummer! Eigentlich doch die geborene Frau für Tritz, der ihr menschlich wie ein Ei dem anderen gleicht. Deutscher Durchschnitt beide, ei weih! (er nimmt ein Brot, eine Flasche Bier und eine große Zwiebel aus dem Schrank und setzt sich an den Tisch) Während immer noch der Bürger Zeit hat, auf mannigfache Art und in jeder Preislage zu lieben, sich um Körperpflege, Gurkenmilch und seine Melancholien zu kümmern, denkt bei trockenem Brot und einer Zwiebel der Revolutionär neuen Weltzielen nach.
Es klopft
Marlowski: Nanu! (steht auf und öffnet)
Marlowski: Wer?
Tritz Stimme: Ich!
Marlowski: Wer ist ich in solcher Kluft?
Tritz in Cutaway, Zylinder, gelben Handschuhen, Gamaschen und Stock mit goldenem Knopf
Tritz: Ich, Fritz Tritz!
Marlowski: Mensch – ich halte die Luft an!
Tritz (befangen): Grüß Gott, Marlowski.
Marlowski: Tritz – wahrhaftig Tritz, unser Ausreißer! (hat ihn bei der Hand genommen, um die eigene Achse gedreht und von allen Seiten besehen) Mensch, wie siehst du aus!
Tritz: Ach –!
Marlowski: Was willst du Kapitalist bei mir?
Tritz: Laß mich einen Augenblick verschnaufen! Die vier Treppen! (stößt große Seufzer aus)
Marlowski: Das sind die hochherrschaftlichen Beine nicht mehr gewohnt. Haha!
Tritz: Ach, Marlowski –
Marlowski: Ich bin noch immer platt! Aber rund heraus – was suchst du in meiner schäbigen Dachkammer? Meyer etwa?
Tritz: Laß mich mit dem Speichellecker zufrieden! Der äußere Grund, Vorwand ist gewissermaßen – ich brauche der Krüger Adresse.
Marlowski: War eben hier, kommt wieder.
Tritz: Eine Stelle für sie.
Marlowski: Wie anhänglich – rücksichtsvoll! Und der wirkliche Anlaß?
Tritz: Ach, Marlowski –
Marlowski: Du zitterst an allen Gliedern, Mensch!
Tritz hat die Zunge herausgesteckt und wirft sie von links nach rechts
Tritz hat sich auf die Zehen gehoben, die Arme nach vorn gerichtet und sieht Marlowski mit erbarmungswürdigen Augen an
Marlowski: Meschugge?
Tritz (schüttelt den Kopf): Schwach, krank – aus! Sieh meine Pupillen! (pflanzt sich vor ihn)
Marlowski: Ich sehe nichts.
Tritz: Der Anfang vom Ende.
Marlowski: Nach deiner Kledage geht es dir gut.
Tritz: Zu gut – viel zu gut, o Gott!
Marlowski: Aber –
Tritz: Das ist es eben!
Marlowski: Rita – Valuta?
Tritz (schreit auf und steckt sich Finger in die Ohren): Hör auf! Davon will ich jetzt nichts –
Marlowski: Ah so!
Tritz: Hier hören und reden! Schweig!
Marlowski: Aha!
Tritz: Ich bin krank, Max. Schwer. Sei zart, ein bißchen nett zu mir!
Marlowski: So?
Tritz: Sprich von dir! Wie du lebst, was du ißt, denkst. Tu, als sei ich nicht vorhanden!
Marlowski: Gern.
Tritz (plötzlich): Aber, Max – was ist denn das für – Geruch? (er schnuppert) Das ist doch – Gott Strammbach für ein himmlischer Duft? (er folgt der Nase) Hier – da! (er sieht und riecht die Zwiebel, mit Aufschrei auf sie) Das ist ja eine Zwiebel! Gott helf mir, leibhaftige Zwiebel!! (hat sie ergriffen)
Tritz (außer sich): Eine richtige – ja – vollduftende – Herrgott, ich heule vor Erschütterung wie lange nicht! – Zwiebel! (er beißt mit vollem Mund hinein und frißt sie vollständig auf) Das schmeckt – freilich – anders – als Forelle und selle de chevreuil – riecht anders – urduftet – als verfluchte Morny triomphe – ist Jugend – Vaterhaus – kerndeutsches Manna!
Marlowski: Dir piept's wohl?
Tritz: Und wenn schon – was wäre dabei? Da das notorisch eine Zwiebel und das – (er setzt die Flasche an den Mund) Pulle Bier ist! (trinkt) und – (er hat sich in den Stuhl vor dem Tisch geworfen, sich breit darin ausgestreckt und riecht an beiden Händen) Ah, ah – ah!
Marlowski: Mensch, ich begreife nicht –
Tritz: Brauchst nicht! Hast du Schnaps? Noch eine Zwiebel, Schnittlauch, Rettich? Was macht der Kommunismus? Wie lebt man dabei? Berlitzschule? Habt ihr zu fressen? Geht ihr sonntags auf den Schwof? Was machen die Nutten und Gelbsterne? Haben sie immer noch so große Füße, die reinen Appelkähne und Glubschaugen und Ponys?
Marlowski: Mensch –
Tritz (wie ein Wasserfall): Wird überall noch so viel geklaut? Das war bei Tietz meine Sache, die Kleptomanen fassen. Streikt ihr feste? Was kostet es jetzt auf der Elektrischen, was ein Rollmops im Franziskaner? Wettest du am Toto, spielst du Börse? Was kostet das Viertel Blutwurst, was ein Apfelkuchen? Du, Max – haben die Mädel immer noch so verschwitzte Blusen, in denen die Brüstchen wippen, und riechen ihre Haare noch nach Werkstatt? Ah, da möcht ich einen vollen Zug hineintun in so eine radikale Arbeiterangelegenheit! Was macht der Gerichtsvollzieher und was dein Hauswirt? Wo holst du deine Milch, und wer putzt deine Stube?
Marlowski: Laß doch mal Luft – Luft!
Tritz (weiter so): «Wovon lebst du vom Zwanzigsten bis Monatsende? Wie heißen deine Flammen? Anna, Frieda oder Luise natürlich! Hast du Sorgen? Mensch, sei froh! Was ist der Mensch ohne Sorgen? Nimm feste Vorschuß, schikanier deine Vorgesetzten bis aufs Blut, lies das Feuilleton vom Lokalanzeiger, Familiennachrichten auf dem Lokus und du lachst dich tot!
Marlowski: Hältst du jetzt nicht die Flabbe, schlag ich sie dir zu, Karnickel!
Tritz: Himmlisch! Sag Mistvieh zu mir!
Marlowski: Das bist du! Ein beschissener Hund!
Tritz: Prachtvoll!
Marlowski: Wollte dir schon lange in die Flabbe stoßen: kleine mickrige Bestie, Miesnick, Dreckspatz, Lucki, Rotznase, Zuhälter du!
Tritz (stöhnt vor Lust): Das ist das Wahre – Große!
Marlowski (sich erhitzend): Konjunkturonkel, Journaille – (ringt nach letzterem Ausdruck)
Tritz (zieht in Erwartung letzter Wollust ein pfeifendes Ah! ein)
Marlowski (stark): Demokrat du! (steht dicht vor ihm mit geschlossenen Fäusten)
Tritz (außer sich): Schlag mich in die Fresse!
Marlowski: Tritz, du bist wirklich verrückt!
Tritz: Hast du Ahnung! Mir ist im Gegenteil, ich werde langsam wieder normal. Wie willst du aus deinen vier Wänden heraus einen Mann von Welt wie mich beurteilen? Weißt du, was eines Menschen Seinsweise, was Logik und Psychologie ist? Unterscheidest du Synthese und Hypothese, Expressionismus, Kubismus, kennst du Cimabue, Veronese und van Gogh à fond, Disraeli und Spencer und Huysmans und Shaw? Was weißt du von der Persian-Oil-Company, Trottel und der Royal Dutch Shell? Du, der ein Leben in Plüschstil, durch Zwiebel und Odol gelenkt, führt, was schiert dich Chippendale und Queen Anne? Warst du Generalkonsul eines exotischen Kaiserreichs, Chefredakteur oder Filmdirektor und alles auf einmal zusammen? Ein Zyklop lebst du robust und rustikal mit kaum einem halben Dutzend Begriffen und einem Urteil höchstens: Schlagt die Ausbeuter tot! Und willst über mich eine Lippe riskieren, der ich ein Opfer der Zivilisation bin!
Marlowski: Mir scheinst du plem plem.
Tritz (lacht schneidend auf): Plem, plem! Käme ich damit los, wollte ich von Glück sagen. Was machte das aus – ein bißchen plem, plem heutzutag! (düster) Doch bei mir, Marlowski, geht's um die Wurst – um Tod und Leben! (kläglich) Rette mich!
Marlowski: Mindestens müßte ich doch wissen, was wirklich los ist.
Tritz (verzweifelt): Was los ist? Ich rede seit einer halben Stunde davon.
Marlowski: Ein Chaos – Durcheinander. Ich aber brauche den Mittelpunkt.
Tritz: Der Mittelpunkt – und was für einer! – ist natürlich das Weib! Du kennst sie ja: Valuta, wie du sagtest, mit strotzenden Eutern – eine himmlische Person! Ausbund aller weiblichen Schönheiten. Marlowski, nur mit diesen ewig überlaufenden Brunnenfiguren zu vergleichen, die die öffentlichen Parks schmücken.
Marlowski: Doch Bestie als Charakter?
Tritz: Im Gegenteil: ein Süßling, eine Taube! Scharmant, hingegeben und verführerisch. Fraulich, mütterlich und bräutlich, was du willst. Riecht und schmeckt himmlisch, ist geistreich, Güte selbst, reich und singt wie ein Seraph!
Marlowski: Hat eine ansteckende Krankheit, häßliches Gebrechen?
Tritz: Jetzt bist du wohl – (zeigt zur Stirn) toll?
Marlowski (wütend): Aber etwas muß ihr doch fehlen!
Tritz: Rein gar nichts. Sie ist kompletter Gipfel, Chimborasso. Das ist es ja gerade. Mir aber – verstehst du – ihr gegenüber, sieh mich doch endlich einmal an – meine Pupillen – mein Rachen – sieh doch – (er hebt sich auf Fußspitzen) wie ich schwanke und schwindle!
Marlowski: Aha!
Tritz: Na endlich!
Marlowski (sieht ihn prüfend an): Du siehst bei Gott ramponiert aus. (zieht ihn zum Fenster)
Tritz (kläglich): Nicht wahr?
Marlowski: Bei Licht der reine Greis.
Tritz (weinerlich): Mit einunddreißig!
Marlowski: Herrgott nochmal! Stirn eingefallen, Augen in Höhlen. Der reine Zitteraal!
Tritz (ebenso): Da siehst du's! Ja, wär' ich Louis XV., Casanova, Blaubart! Ich bin ja selbst verzweifelt, müßt ich sie lassen!
Marlowski: Da ist keine Wahl: Sein oder Nichtsein, Tritz!
Tritz (schreit auf): O Gott!
Marlowski: Fraglos!
Tritz: Wär's nur sie selbst, vielleicht ertrüg ich's aus reiner Begeisterung am Schönen noch ein Weilchen. (mit Ausdruck) Denn sie ist ja so schön! Aber es ist kein Witz, dazu noch Chefredakteur, Filmdirektor und Generalkonsul oder mindestens eins von dreien sein zu müssen. Ferner soll ich von früh bis spät mit tausend Nuancen und Finessen parat sein, muß Visionen und Urteile haben!
Marlowski: Und Ferien vielleicht?
Tritz: Ich brauchte ein Jahrzehnt, der alte zu sein.
Marlowski: Da hilft nur Brutalität und gleich.
Tritz: Du bist nicht im Bild. Sie will mich heiraten.
Marlowski: Wenn aber die Hochzeit gleichzeitig Leichenfeier ist?
Tritz: – Und das Schlimmste von allem!
Marlowski: Noch Schlimmeres?
Tritz: Fatum, das mich erledigt, strikt in den eigenen Tod zwingt! (außer sich) Rette mich, Marlowski! (hängt sich an ihn) Rette mich!
Marlowski (dringend): Was noch?
Tritz (leise mit Geste): Sie meint, schw ... zu sein.
Marlowski: Allmächtiger! Von dir?
Tritz: Von wem sonst, Herr? Und wäre es – du begreifst – ist kein Entrinnen mehr. Heut liebt sie mich nur maßlos – wäre sie Mutter von mir – nicht auszudenken!
Marlowski (kratzt sich am Kopf): Das ist ein krasser Fall.
Tritz: Roheit von meiner Seite verbürgt Katastrophe, gegen die der Ausbruch des Stromboli eine Kinderrakete ist.
Marlowski: Wagst du keinen Versuch?
Tritz: Wäre es – niemals! Wäre es nicht – vielleicht. Doch nicht allein; und da dachte ich: Sie braucht eine Jungfer: Luise Krüger! Ich einen Freund – dich, Marlowski, der mich bei mir, bei ihr besucht, zu meiner Verfügung ist. Auf euch gestützt, euch zwei in meiner Nähe wissend, könnte ich mit allen Vorsichtsmaßregeln und peu à peu vielleicht –
Marlowski: Die Krüger – von mir aus. Ich nie in die Höhle des politischen Todfeinds!
Tritz (rührend): Politik beiseite! Aus Mitmenschlichkeit! Sieh mich doch an!
Marlowski: Der reine Zitteraal!
Tritz: Weiß ich euch zu meiner Hilfe nah – der richtige Augenblick – warum nicht?
Marlowski: Denn es muß sein. Ein Lebegreis. Leichenfäule. Pfui Teufel!
Tritz: Und sie – so rein und schön und hold!
Marlowski: Ehrlich: In ein paarmal vierundzwanzig Stunden kann es mit dir zu Ende sein.
Tritz (Aufschrei)
Marlowski (gibt ihm die Hand): Darum – es sei! Trotzdem zu deiner Verfügung.
Es klopft
Marlowski: Da ist Luise.
Tritz: Luise!
Marlowski (öffnet): Erschrecken Sie nicht, einen alten Freund zu finden.
Luise: Herr Tritz!
Marlowski: Der leider nicht wohl, sogar auf dem Hund ist.
Luise: Krank, Herr Tritz? (reicht ihm die Hand) Das macht mich traurig.
Tritz: Leider. Doch geht's hoffentlich schnell vorbei!
Marlowski: Und hat ihn nicht gehindert, Ihrer zu denken und sich um eine gute Stellung für Sie umzusehen.
Tritz: Sie stellen sich am besten gleich morgen vormittag von elf bis zwölf Lorettostraße 8 bei der Dame vor. (er hat ihr lange ins Auge geschaut) Wie reizend Sie geworden sind! Diese entzückenden Sommersprossen übers ganze Gesicht und sogar bis in den Nacken hinab!
Luise: Sie machen sich über mich lustig.
Marlowski: Bei Gott nicht. Das ist jetzt Herrn Tritz besonderer Geschmack.
Tritz: Die scharmanten Ponys. Und wie Ihre ungepflegten Haare duften! Man riecht bis hierher, Sie arbeiten in einer Konservenfabrik.
Luise: Aushilfsweise. Unsereins hat nicht die Mittel, sich alle Tage die Haare waschen zu lassen.
Tritz: Ich finde es prachtvoll, stärkend und erfrischend. (er fächelt sich den Duft zu) Ozon!
Luise: Wirklich!
Tritz: Zum erstenmal strömt wieder Erdgeruch in meine verwelkten Aufnehmer. Das sind nicht die Haare allein, das kommt überall her von Ihnen, (er schnuppert) Ich habe – stehe, Luise – Marlowski sagt Ihnen Näheres – vor meines Lebens bündigsten Auseinandersetzungen, und dieser ist der Moment, der erste, ich schwör's, da Hoffnung kommt, nicht alles ist für mich verloren. Noch nicht! Doch darum reißt's mich fort, gleich zur Entscheidung, meinen Drang aus Ihnen nicht erkalten zu lassen. Haben Sie, geben Sie, ein Taschentuch, Handschuhe, das mir in Stürmen Ihre Existenz verbürgt, (entreißt ihr die Handschuhe) Verzeihen Sie. Marlowski weiß alles, (er beugt sich auf ihr Haar) Der Duft – Konserven – wundervoll! Lebt wohl. Ich bin bereit. Habe Kraft und Schwung jetzt.
Zur Tür
Marlowski: Eine Zwiebel noch?
Tritz: Und beide morgen elf Uhr früh bei mir.
Schnell exit
Luise: Wo läuft er hin?
Marlowski: Zu seiner Circe.
Luise: Was ist das?
Marlowski: Männerfresserin.
Luise (mit Schrei): Mein Gott!
Ritas Boudoir, Klavier
Zinn: Noch einmal sage ich mit voller Bestimmtheit: Nein! Alle Zeichen kommender Mutterschaft, die Sie bestimmt gespürt zu haben meinen, waren nervöse Einbildung. Ausgeschlossen – mit einem Wort.
Rita sinkt in einen Stuhl und bedeckt das Gesicht mit der Hand
Zinn: Sie fühlen, wie tief ich bedaure, eine Hoffnung, deren Fehlschlagen Ihnen nahegeht, zerstören zu müssen.
Rita (nach einer Pause): Nur frage ich, wodurch ich das negative Ergebnis verschuldete. Ich war vor dem Kommenden so andächtig.
Zinn: Darf ich, verehrte Freundin, ein freies Wort sagen? Waren Sie doch auch aufrichtig, als Sie verrieten, Vergangenheit bewies, daß Sie an sich der Mutterfreude nicht unbedingt entbehren müssen, wenn auch das Mal, da sie in Frage stand, das Kind nicht lebendig zur Welt kam. Ich glaube, nichts ist von Ihnen versäumt, und daß Ihre Hingabe fruchtbar gewesen wäre, hätte nicht – darf ich's sagen?
Rita: Sprechen Sie!
Zinn: Das andere Teil versagt.
Rita: Wie kommen Sie darauf?
Zinn: Nur Besorgnis schlimmer Folgen für Ihr erschüttertes Gemüt vermag mich, aus der Schule zu plaudern. Auf seine Bitte habe ich den in Frage Stehenden vor ein paar Tagen untersucht und festgestellt, er kann im Augenblick schwer selbst existieren, geschweige, daß ihm vergönnt sei, neuer Kreatur zum Leben zu helfen.
Rita: Ist das wahr?
Zinn: Wie das andere. Augenblickliche Zerrüttung eines an sich schwachen Leibs.
Rita: Warum haben Sie mir das nicht gesagt?
Zinn: Nur Ihre heutige Erschütterung und Angst, weiteres Nichtwissen könnte Ihre Gesundheit gefährden, zwang mich zu sprechen.
Rita (mit Seufzer): Als hätte ich's geahnt!
Zinn: Wie?
Rita: Gestern abend kommt er nach Haus. In Fiebern des Hoffens und Zweifelns über das, was in mir noch nicht wie jetzt entschieden stand, habe ich plötzlich die erste unwiderstehliche Abneigung gegen ihn. All meine Pulse klopfen, da ich ihn vor der Tür weiß und doch nicht ahne, wie ich ihm entfliehen kann. Da – wie ein Wunder kommt mir der eigentümlichste Umstand zu Hilfe: Seit Kindheit ist meine stärkste Idiosynkrasie eine krasse Angst, Entsetzen geradezu vor dem Geruch von Lauchgewächsen.
Zinn: Zwiebelarten?
Rita: Alles, wovor ich innerlich schaudere, scheint plötzlich nach Lauch zu riechen – daher mein starker Parfümgebrauch. Und nun denken Sie, als er eintritt, ich gebe zu, es war glatt krankhafte Vorstellung – plötzlich – er selbst – das Zimmer, aller Umkreis riecht penetrant nach Zwiebel!
Zinn: Zwiebelkomplex!
Rita: Eher wäre ich gestorben, als ihm nahgekommen! So glückt mir, an meine Tür zu gelangen und sie von innen vor ihm zu verriegeln.
Zinn: Seit Jahren bewundere ich nichts wie die über alles Logische zielenden weiblichen Instinkte. Fraglos hatte Ihr Kern schon gegen ihn entschieden, als das ärztliche Urteil noch nicht feststand.
Rita: Er ist – ein Schwächling?
Zinn: Physisch unbedingt. Kein Thorax, typischer Muskelschwund. In jeder Beziehung riet ich zu seiner Selbsterhaltung strengste Diät.
Rita: So daß hinsichtlich –
Zinn: Der Zukunft noch weniger Hoffnung ist.
Rita (wieder mit Hand vorm Gesicht): Furchtbar für den Ärmsten! Und war so ein unvergleichlicher Aufschwung – es kurz zu sagen – königlicher Elan in ihm.
Zinn: Uns Ärzten ist solch steiles Aufflammen kurz vor dem Erlöschen bekannt. Bei Tuberkulösen, doch auch in zahllosen anderen Fällen.
Rita: Ich aber will ihn pflegen! Mein künftiges Leben soll einzig seiner Pflege geweiht sein, dem Guten, Armen! Ich danke Ihnen, (sie erhebt sich)
Zinn (auch): Sie haben an eine ganze Menschheit so unentrinnbare Pflichten, daß ich hoffe, sie kommt einem einzelnen gegenüber in Zukunft nicht zu kurz.
Rita: Sein Wohl steht mir in erster Linie über allem!
Gibt Zinn die Hand zum Abschied, die er küßt. und bringt ihn bis zur Tür. Da sie sie öffnet, tritt Schmettow auf
Schmettow: Darf man schon?
Begrüßung zwischen ihm und Zinn, der hinausgeht. Er selbst tritt mit Rita ins Zimmer zurück
Heut aber muß ich als Ihr bester Kenner finden: Sie beunruhigen mich! Ich sehe Sie ein wenig außer sich.
Rita (zum Klavier gehend und sich dort setzend): Die Rolle die ich studiere, packt mich maßlos: Die Marschallin im Rosenkavalier.
Schmettow: Ich liebe dies bezaubernde Opus zweier Zeitgenossen.
Rita: Dieses weiblichen Hans Sachsens Schicksal berührt mich beispiellos. Dem Publikum den übermenschlichen Verzicht auf den Geliebten glaubhaft zu machen, müßte aus ihrem eigenen Leben die Darstellerin reif sein.
Schmettow: Vielleicht tröstet sich die Marschallin auch damit, daß allzuviel an ihrem kleinen Strizzi nicht verlorenging.
Rita: Ausdrücklich bringt sie ein gewolltes und gekanntes Opfer, wenn sie singt: (sie singt und spielt) »Hab mir gelobt, ihn liebzuhaben in der richtigen Weis', Daß ich selbst seine Liebe zu einer andern noch liebhabe.«
Schmettow: Auch wenn Sie sich hoffentlich nie zu solcher Schwäche verführen lassen werden, habe ich Gewißheit, Sie treffen es im Kern.
Rita: An Oktavian ist kein Makel. Wie die silberne Rose ist er blendend, (sie spielt das Rosenkavalier-Motiv)
Schmettow: Tränen? Was ist Ihnen wirklich, teure Freundin?
Rita (halb zu sich): Von der Marschallin in mein eigenes Leben zurückschauend und vielleicht auch einmal gezwungen, auf den Geliebten zu verzichten, wäre es kein jüngeres, schöneres Weib, doch Umstände seiner Natur, die uns trennten.
Schmettow: Melancholie. Warum?
Rita: Wissen Sie nicht? Er ist –
Schmettow: Krank?
Rita: Seiner selbst aus Schwäche nicht mächtig. Und jetzt werden Sie sagen: Ich ahnte es.
Schmettow: Nichts derartiges werde ich sagen.
Rita: Weil Sie klüger und ritterlicher als die anderen sind. Doch wie es auch ist, ich kämpfe um ihn, und anders als bei der Marschallin wird über Vernunft hinaus ihn und mich ein Wunder für immer vereinen.
Schmettow: Alles erwarte ich und bleibe bis zum Schluß nur Zuschauer und, wollen Sie, Helfer in der Geschichte mit Tritz.
Rita: Sie wollten das Bild bringen, das Sie am ersten Tag am Ort selbst von ihm und seinen Freunden aufnahmen.
Schmettow (entnimmt seiner Brieftasche ein Bild): Ich ließ es vergrößern. (gibt es ihr)
Rita: Welcher soll es sein?
Schmettow: Der Kleine links im Strohhut mit Botanisierbüchse.
Rita: Nein! Nicht der!
Schmettow: Doch der!
Rita: Das war Tritz? Das? Der stumpfsinnige Prototyp des Spießbürgers? Schmettow, Sie sind heimtückischer als alle anderen: Das Bild ist eine Fälschung! Das ist unmöglich!
Schmettow: Ich begreife Sie nicht. Alle Welt fand es treffend ähnlich.
Rita: Aber das ist ja – der typische Nebbich! (bricht in nervöses Gelächter aus)
Schmettow: So müßten Sie stolz sein, was anderes Sie aus ihm gemacht haben –
Rita: An der Nummer vermöchte Gott selbst nichts zu ändern!
Schmettow: Sehen Sie doch hin – versetzen Sie sich in die Situation zurück, Sie werden ihn ganz erkennen –
Rita: Sie haben die Platte gefälscht stark retouchiert! (wirft das Bild fort)
Schmettow: Ich schwöre: Nein! Das ist die ganze Natur.
Rita (nimmt das Bild zurück): Das Tritz –? Dieser – (plötzlich) Aber das ist ja wieder – der Ruch – von Lauch! Ah!
Sie fällt ohnmächtig in den Stuhl. Schmettow bemüht sich mit einem Rafraichisseur, sie zum Bewußtsein zu bringen
In diesem Augenblick tritt
Tritz im Kostüm des ersten Aufzugs, ohne Botanisierbüchse, auf und macht
Schmettow Zeichen, sich zu entfernen. Schmettow, auf Zehenspitzen hinausgehend, zeigt ihm durch Gesten
Ritas Zustand an. Tritz nähert sich ihr, nimmt den Rafraichisseur und bläst sie heftig an, dazu, über sie gebeugt, flötend,
Rita, wach auf, ich bin's ja, Tritz, wach auf! Pussi, Mussi, Ritalein!
Rita (kommt zu sich. Da sie Tritz erkennt, stößt sie einen Schrei aus): Allmächtiger! (von neuem ohnmächtig)
Tritz: Aber, Pussi! (wieder bläst er mit dem Rafraichisseur) Hör, begreif doch! Komm zu dir, Pussi!
Rita (kommt zu sich, blickt ihn starr an und ruft schrill): Zurück! Wie riechst du wieder!
Tritz: Ich rieche?
Rita: Komm mir nicht zu nah!
Tritz: Im Gegenteil, will dir doch sagen –
Rita: Zurück!
Tritz: Aber –
Rita: Was ist das? Wie hast du dich verwandelt!
Tritz: Gar nicht.
Rita: Das ist ja schlimmer als das Bild!
Tritz: Ich komme nur –
Rita: War ich wahnsinnig?
Tritz: Bewußtlos –
Rita: Das ist das Wort! (bricht wieder in das nervöse Lachen aus)
Tritz: Du bist so echauffiert.
Rita: Kühl bis ans Herz hinan. Leichenkühle.
Tritz: Auch das noch! Ich wollte dir sagen – meine Natur –
Rita (schrill): Seine Natur!
Tritz: Ja. Ist vielleicht nicht so mächtig und katarakthaft, wie du gedacht hast.
Rita (sieht ihn an): Das braucht keinen Beweis. Versteht sich, sieht man ihn, von selbst.
Tritz (unter ihrem Blick geniert): Je nun –
Rita (mißt ihn unter dem Lorgnon): Toll!
Tritz: Immerhin – ich wollte nur Wahrheit –
Rita: Die zu wissen, braucht's keinen Arzt.
Tritz (froh): Nicht wahr?
Rita: Ein Blick genügt!
Tritz (froh): Gelt Rita? –
Rita: Nebbich!
Tritz (strahlend): Das ist's! Und du gibst zu, ich habe nie das Gegenteil behauptet.
Rita (schmerzlich): Das ist wahr.
Tritz: Du warst's, die mich von Anfang an vergrößerte.
Rita: Anders als Schmettow auf seinem Bild (sie reicht es Tritz)
Tritz: Fabelhaft ähnlich! Tritz, wie er leibt und lebt!
Rita: Dann muß es wahr sein.
Tritz: Ich habe stets dein Lob gebremst.
Rita: Und wußtest warum.
Tritz: Bei Gott, das hab ich gewußt!
Rita (jetzt netter): Hast sehr gelitten?
Tritz: Manchmal, (zeigt auf Rücken und Stirn) Da und dort besonders.
Rita: Armer! War es Qual?
Tritz: Doch tausendmal aufgehoben durch deine wunderbare Süße!
Rita: Ist das wahr?
Tritz: Oh, hätt ich andere Sinne für solche Schätze – bis ans Lebensende hätte ich –
Rita: Wirklich?
Tritz: Ich war nie ein Lügner.
Rita: Das warst du nicht.
Tritz: Konnte dich nie überschätzen, du aber mich. Jetzt aber hast du selbst gesagt, was ich wirklich bin: Ein –
Rita (hält ihm den Mund zu): Ein lieber Kerl!
Tritz: Ist das nun wahr?
Rita: Das ist wahr. So menschlich und gut, daß ich von dir aus meine neue Rolle besser als selbst von dem dir sehr überlegenen Hermann von Schmettow aus begreife, und daß ich dich nicht nur beruhigten Herzens ziehen lasse, doch dir alles Gute für dein ferneres Leben von Herzen wünsche, lieber Fritz.
Tritz: Rita! Rita!
Er bedeckt ihre Hände mit Küssen. Rita ist in den Stuhl vor dem Klavier gesunken und sagt und spielt
Rita: Und nun hör zu und nimm dir, was ich singe, auf deinen hoffentlich glückseligen Weg mit:
»Nicht quälen will ich dich, mein Schatz.
Ich sag, was wahr ist, sag's zu mir so gut wie zu dir.
Leicht will ich's machen dir und mir,
Mit leichtem Herzen und leichten Händen,
Halten und nehmen, halten und lassen.
Die nicht so sind, die straft das Leben, und Gott erbarmt sich ihrer nicht!«