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Paris. Die Wohnung des Casanova
Es klopft
Diener: Darf ich öffnen?
Casanova: Öffne.
Diener (geht und kehrt zurück): Der Herzog von Bourbon, Prinz von Condé-Montmorency.
Casanova: Welcher Name! (er geht ihm entgegen)
Herzog (tritt ein): Mein Herr ...
Casanova: Sie sehen mich glücklich, den Träger eines solchen Namens bei mir zu sehen. Ich kann Chantilly nur mit Tränen in den Augen bewundern. Ich bin außer mir, daß Anne de Montmorencys Enkel mit mir spricht. Wie geht es den Karpfen, den Pfauen, der Meute von Chantilly?
Herzog: Die Kreatur befindet sich besser als der Mensch.
Casanova: Was höre ich! Kann irgendein Schmerz der Erde die Wonne betäuben, Montmorency zu heißen?
Herzog: Ihre Liebe zu einem alten Namen ist rührend.
Casanova: Rührend ist dieser Name selbst, der den Königen Frankreichs Entzücken einflößte. Heinrich IV. mit dem schönen Barte ging nur an einem Feiertag nach Chantilly.
Herzog: Wie bewundernswert wiederum, einen geringeren Namen vom Vater ererbt zu haben und ihn mit dem Geist der eigenen Persönlichkeit zu erfüllen. Der Zauber, den Sie dem Ihren verliehen, führt mich hierher. Ich will nicht sagen ganz Europa, aber die Welt hat mit Erstaunen von Ihrem Leben gehört, das einen seltenen Grad von Kühnheit und Edelsinn bezeugt und auch den Lohn erzählt, den Frauen Ihren Tugenden zollen. Nehmen Sie Platz. Wir sind am Ziel. Ich will Ihnen erzählen.
Casanova: Ich brenne, Ihre Geschichte zu hören.
Herzog: Ich füge meinem Namen einen edleren bei: Orléans. Ich habe Thérèse Bathilde von Orléans vor zwei Jahren zu meinem Weibe gemacht. Sie war vornehm und schön. Ich selbst gefiel ihr schnell, als wir uns am Wiener Hofe sahen; wir kehrten in die Stadt zurück.
Casanova: Nach Paris?
Herzog: Nach Paris. Das junge Mädchen wurde eine beneidete junge Frau; sie schien mir glücklich; ich gestehe im übrigen, nicht viel darüber nachgedacht zu haben, es war nur selbstverständlich. Sie ging in den Gärten einher und gab ein gutes Bild, bewegte sich im Hause mit hinreichendem Anstand, sie sang und erfreute mich auf mannigfaltige Weise. Kurz, unser Glück war vollständig. Mitteilungen über Sie, Herr Casanova, haben mir einen bedeutenden Begriff Ihrer Verschwiegenheit beigebracht. – Vor drei Monaten etwa, es war Frühling geworden ...
Casanova: Frühling in Chantilly!
Herzog: Die Frau wird schweigsam. Schaut mit großen seltsamen Augen. An was denkt sie?
Casanova: An den Frühling.
Herzog: Woran denkt sie? Ich jage. Kehre mit großer Beute heim, die ich zu ihren Füßen niederlege. Sie sieht mich überlegsam an. Ich reiße sie mit mir in die großen Wälder, Sattel an Sattel jagen wir, und sie heftet ihr schweigendes Gesicht an eine Chimäre. An was? Sie liebt.
Casanova: Endlich! Ich schwöre es Ihnen, Herzog, es bedarf geraumer Zeit, Vorzüge einer solchen Kultur zu erkennen, ehe man sie bis zur Schwärmerei anbeten muß.
Herzog: Sie liebt ein Nichts, einen Garden des Königs.
Casanova: Herzog!
Herzog: Was sagen Sie? (er lacht)
Casanova: Sie nehmen mir den Glauben zum Weibe.
Casanova: Und?
Herzog: Nun, ich bedauere die Arme natürlich ganz außerordentlich.
Casanova: Was haben Sie an Beweisen?
Herzog: Ich habe alle Beweise.
Casanova: Alle?
Herzog: Alle.
Casanova: Entsetzlich!
Herzog: Abscheulich. Ein peinliches Gefühl beherrscht mich, das ich nicht mehr lange ertragen will. Gewiß ist mein Mitleid mit ihr sehr bedeutend, aber ich gehöre nicht zu diesen allerbesten Christen, die dies Gefühl für die größte Menschentugend halten. Man soll nicht Spielverderber sein. Man soll nichts ernst nehmen als sich selbst. Immerhin mag ich nicht ansehen, daß ein Mensch von guter Erziehung und Manieren sie plötzlich vergißt und wie ein Gassenjunge tollt.
Casanova: Hm.
Herzog: Auf mir lastet Ungeheures. Ohne Beruf habe ich mehr zu tun als der Beschäftigtste. Sie glauben es nicht. Fünfhundert Menschen wollen von mir ihr Brot und verlangen danach unaufhörlich. Es ist routure, und ich verarge es dieser Klasse nicht. Seit Jahren ist die Bibliothek in Ordnung zu bringen. Ich weiß nicht, ob das berühmte Traktat der immaculata conceptione virginis, das zu suchen mir mein geliebter Vater ans Herz legte, vorhanden ist; es bedarf neuer Ställe, neuer Hürden, ich bin einer Verwandtschaft der Familie mit den Stuarts auf der Spur, historische Auspizien von der größten Tragweite, ich schätze Maria Stuart bedeutend – in dieses Chaos kommt dieser Unfall.
Casanova: Sehr – sehr ...
Herzog: Ich darf mich nicht zersplittern. Die Majestät hat vergangenen Donnerstag stundenlang mit mir Stammbäume durchgesehen: sie wäre ebenso entzückt wie ich – jetzt diese Weibergeschichte.
Casanova: Einen Garden des Königs.
Herzog: Ein Vieh mit einem Wort. Leutnant gänzlich unbekannten Namens. Gott sei Lob. Es ist, als ob ich mich mit einer Stallmagd brouillierte. Gewiß würde niemand etwas dabei finden, aber es geniert mich. Es geniert mich, mit einer Frau zu leben, die anscheinend ohne Unterscheidungsvermögen ist. Es ist dies Gefühl: mit einem Menschen durch eine Galerie zu gehen, der nicht weiß, wer Raffael und Watteau ist. Es ist, als ob ich einem Bauern ein Vollblut gebe, und er ist ohne Ahnung, was er reitet. Nein, umgekehrt, es ist, als ob ein Montmorency glaubt, ein Vollblut zu reiten, und er ist mit einer Schindmähre betrogen.
Casanova: Ich verstehe Sie durchaus. Ich verstehe Sie so sehr, daß ich dieses Weib hasse.
Herzog: Das ist zu viel.
Casanova: Ich hasse sie. Ah, ich kann es begreifen, daß man einem Geldsack verheiratet ist und jauchzend einem Montmorency in die Arme fliegt. Ich fühle darin ein Hinauf, Hinan. Ich begreife, man ist einem alten Coligny vermählt und muß diesen Montmorency anbeten. Dies aber ist Sünde!
Herzog: Zu viel. (er lacht) Sie echauffieren sich. Ich habe von Anfang an vermieden, die Sache ernster zu nehmen als sie ist. Schaun Sie, kommt so etwas vor, so ist es für uns ein Unglück, wenn es geschah, weil der Mann an Wert verlor. Im anderen Fall: ziehn Sie selbst den Schluß.
Casanova: Bei Gott, Sie haben recht. Ich fühle Mitleid für diese Frau.
Herzog: Das ist es. Mit Stolz darf ich sagen: ich bin der alte. Der Inhalt meiner Seele ist mit Gottesfurcht, Königstreue und Stolz auf die eigene Person auch weiterhin durchaus bezeichnet und durch diesen Akzident unverändert.
Einen Augenblick Schweigen
Herzog: Ich sagte Ihnen aber, daß mir von früh bis spät der Tag durchaus erfüllt wird. Ich gestehe, es ist mir unlieb und unwillkommen, mich dieser Geschichte auch nur um ein weniges mehr zu widmen, als sie es verdient. Trotzdem – ich liebe mein Weib. Nehmen Sie es als keine Phrase; ich liebe in ihr was schön und edel, was mir ebenbürtig ist. Sie ist eine Orléans, hat große Möglichkeiten. In ihr ist das Blut vorzüglich, hervorragend. Verstehen Sie noch einmal besser: mich geniert dieser Streich, dieser üble Witz. Ich möchte, daß er bald verklingt und ich möchte Ihnen anbieten ...
Casanova: Ich nehme es an! Ich darf es. Mit ganzer Seele widme ich mich dieser Angelegenheit. Ich bin stolz darauf, daß ein Mann, daß Sie, Herzog, zu mir kommen, nicht um Genugtuung zu fordern für ein besudeltes Weib, sondern daß Sie von mir fordern, daß ich Ihrem Weibe die Augen öffne darüber, was groß und stolz ist und was verächtlich.
Herzog: Es wird nicht schwer sein.
Casanova: Des bin ich sicher. Wann sehe ich die junge Frau?
Herzog: Heute, zum Souper. – Wissen Sie, daß Maria Stuart die Seele der Bourbons schöner fand als die der Habsburger? Dies Weib war urteilsfähig.
Casanova: Kannte sie Anne de Montmorency?
Herzog: Nein.
Casanova: Schade.
In Chantilly. Die Bibliothek der Condé
Herzogin (tritt ein): Henry!
Herzog: Thérèse?
Herzogin: Ich habe Ihnen ein Geständnis zu machen.
Herzog: Wollen Sie mir sagen, daß Sie einen fremden Mann lieben?
Herzogin: Dasselbe.
Herzog: Gut. Sie haben es gemacht. Drei Tage zu spät, aber enfin – einen Garden des Königs.
Herzogin: Ich sehe, Sie sind gut bedient.
Herzog: Ich hoffe etwas Ähnliches von Ihnen. – Ist die Sache zu Ende, weil Sie sie gestehen?
Herzogin: Durchaus nicht. Ich will Ihnen sagen ...
Herzog: Es wird in der Affäre nichts sein, das mich interessiert. Mein Gott, Sie lügen, gehen in Kleidern Ihrer Kammerfrau in abscheuliche Zimmer, verkehren mit Spitzbuben wie mit Ihresgleichen, aus Angst, man verrät Sie. Alles dies ist, obwohl es die Dichter glauben, nicht so lustig, daß man es weitererzählt. Ich bedaure Sie, ich bedaure Sie aufrichtig. Mehr kann ich nicht für Sie tun.
Herzogin: Ja, aber – und Sie?
Herzog: Ich? Was soll ich? Rasen? Morden? Wen? Ich sehe niemanden. Ich kann mit dem besten Willen niemand entdecken. Der König ist es nicht, unsere Vettern sind es nicht, ich brauche mich in meinem Kreise nicht zu schämen.
Herzogin: Welche Moral!
Herzog: Ich bedeute daß Sie dies Wort brauchen. Mir paßt es nicht hierher. Sie haben einen Spaß, Herzogin. Ist es der langen Rede wert?
Herzogin: Es ist der Rede wert.
Herzog: Sie täuschen sich, es ist nicht eines Wortes wert. Ich spiele nicht Komödie. Die Wahrheit ist: die Sache geht mir nicht so nah, die nächste Stunde mit Ihnen zu sein und Ihnen den Spaß auszureden. Ich bin zum König für den Abend gebeten. Herr Casanova von Seingalt ist bei uns; wollen Sie ihn bewirten?
Diener (läßt Casanova eintreten): Herr von Seingalt.
Herzog (Casanova begrüßend): Bleiben Sie bei der Herzogin. Ich muß zum König. Leben Sie wohl, Thérèse.
Er verbeugt sich und geht
Casanova: Ist Ihnen nicht wohl? Sie wurden bleich. Darf ich Sie in den Stuhl ...
Er führt sie zu einem Sessel
Herzogin: Mir ... Der Herzog vergaß ... Ich wollte diesen Abend fort. Ich muß fort!
Casanova: Ich entferne mich sogleich.
Herzogin: Es ist mir unendlich leid; wie gern hätte ich zu einer anderen Stunde mit Ihnen ...
Casanova (für sich): Sie muß bleiben! Herzogin, hören Sie mich an. Ich wurde wider allen Willen Mitwisser Ihres Geheimnisses. Sie lieben. Der Gegenstand Ihrer Liebe lebt nicht mehr.
Herzogin: Sie sind toll.
Casanova: Er fiel heute.
Herzogin: Mein Gatte ...
Casanova: Ich selbst habe ihn getötet.
Die Herzogin fällt mit einem Aufschrei zurück
Herzog (tritt ein): Was geschah?
Herzogin: Dieser ... Oh!
Herzog: Wer?
Casanova: Ich.
Herzog: Was?
Herzogin: Hat ihn getötet.
Herzog: Wen?
Casanova: Ihn.
Herzog: Denselben?
Casanova: Ihn.
Herzog: Um Gottes willen!
Casanova: Wie?
Herzogin: Mörder! Mörder! O ihr Himmlischen! (sie schluchzt fassungslos)
Herzog (leise zu Casanova): Ein Scherz?
Casanova: Nein.
Herzog: Aber mein Gott! Dann sind wir verloren.
Casanova: Ich verstehe nicht mehr.
Herzog: Ein letztes Wort: Wirklich tot?
Casanova: Ich hoffe. Das heißt, ich will nunmehr sagen, es schien so.
Herzog: Ein Schimmer von Hoffnung?
Casanova: Als ich ging, lag er im Sterben.
Herzog: Im Sterben? War ein Arzt da?
Casanova: Auch das.
Herzog: Bestimmt: im Sterben, nicht tot.
Casanova: Ja.
Herzog (stürzt davon): So ist doch noch die Möglichkeit!
Herzogin: Henry!
Casanova: Ich bin betäubt.
Herzogin: O, Sie furchtbarer Mensch! Sie Ungeheuer! Wie können Sie leben im Angesicht eines solchen Schmerzes.
Casanova: Dieser Schmerz, so ergreifend und anmutig er ist, würde mich dennoch nicht zerschmettern. Nieder wirft mich eine unleidliche Gewißheit, die die Vernunft noch nicht annimmt, das Gefühl aber schon bestätigt: ich war ein Dummkopf.
Herzogin: O sagen Sie mir, sagen Sie auch mir, daß er leben kann, – nein, sagen Sie es mir nicht! Keine neue Hoffnungen, keine Lügen. Wer kennt Sie nicht und die Erbarmungslosigkeit, mit der Sie Ihre wüsten Abenteuer enden.
Casanova: Ich hatte keine Abenteuer.
Herzogin: Diese Jugend! Diese Männlichkeit! Was hatten Sie mit ihm zu schaffen? Aber hüten Sie sich vor der Rache eines Weibes.
Casanova: Ich muß mich eher vor der mitleidigen Verachtung eines Mannes retten.
Herzogin: Was tat er Ihnen, der mir so wohl tat?
Casanova: Er war ein Flegel. Ich bin nicht in der Laune, Ihnen seinetwegen Komplimente zu sagen. Ich gehe in seine Wohnung und fordere ihn mit allem Anstand auf, sich in die südlichen Provinzen zu begeben, und er – gibt mir eine Ohrfeige, worauf er für tot am Boden lag.
Herzogin: Es ist empörend! Warum sollte er in die Provinz?
Casanova: Die Pariser Luft litt durch ihn. Aber lassen wir das alles, betrachten wir das Wesentliche: Wir beide sind das Opfer eines Verhängnisses.
Herzogin: Sie auch?
Casanova: Ich auch.
Herzogin: Ich werde meinen ganzen Einfluß aufbieten, daß Sie diesen grauenhaften Mord büßen müssen. Die schlimmsten Martern sollen Ihnen nicht erspart bleiben. Zum König selbst will ich gehen und ihn auf meinen Knien anflehen.
Casanova: All dies werden Sie keineswegs tun, weil ich nicht Ihren Vater oder Bruder, sondern den Liebhaber getötet, den Sie aushielten.
Herzogin: Es war nicht seine Schuld, daß er arm war.
Casanova: Es gilt aber nicht als eine hervorragende Mannestugend.
Herzogin: Tugend, Tugend! Ich habe ihn nicht auf seine Tugenden geprüft, da ich begann, ihn zu lieben. Er war jung und schön.
Casanova: Sie behaupten also selbst, er war ein schöner Schuft.
Herzogin: Unverschämter! Ich behaupte das Gegenteil. Wir kannten uns sechs Wochen. Ich habe nicht Zeit gehabt, seinen Katechismus zu hören, aber ich habe gefühlt ...
Casanova: Ich gratuliere.
Herzogin: Von Stunde zu Stunde habe ich es mehr gefühlt, was eine edle Frau zur Minute weiß, da sie sich hingibt: Du hast dich nicht fortgeworfen. Ja, mein Herr, mögen Sie auch geringschätzig lächeln: in glücklichen, erhabenen Minuten, da mir die Seele dieses Mannes nah war, wurde mir bewußt, er ist gut und rein. Und wenn er wenig sprach, es wenig bewies, so war es meine stärkere Pflicht, es zu empfinden, es an den Tag zu bringen. Und gerade die letzte Zeit brachte auch Anzeichen dafür, daß er aus sich herausgehen und euch allen beweisen würde, wer und wie er eigentlich war. Euch allen. Mir war es bewiesen. – Jetzt, da ich mit Ihnen spreche, den ich verabscheue, und da der erste heftigste Schmerz bezwungen, gelten meine Tränen schon nicht mehr so dem edlen Leibe, der dahin ist, klar und klarer treten mir seine Tugenden, die Sie leugnen, vor Augen, Zug um Zug fällt mir ein Beispiel seiner Güte, seiner Zartheit, seiner hinreißenden Bescheidenheit ein.
Casanova: Seiner Bescheidenheit, seiner Heldenhaftigkeit!
Herzogin: Auch seiner Heldenhaftigkeit. Wohl! Freilich nicht in dem rüpelhaften Sinn, den Sie damit verbinden, sondern die, die man gegen Frauen beweist. Sein Scharfblick, seine Scham, Wahrhaftigkeit, Nachsicht, Enthaltsamkeit, seine enge, aber abgrundtiefe Phantasie, sein gediegenes Wissen, das er allerdings nicht marktschreierisch zur Schau trug ...
Casanova: Halten Sie ein!
Herzogin: Ja, das mögen Sie nicht hören. Ich aber weiß dies alles nur zu gut; ich empfinde den teuren Verstorbenen wieder bis in die Seele, und es soll fortan kein Tag vergehen, daß ich mir all diese einzigen und unübertrefflichen Vorzüge vergegenwärtige und mich im Gebete würdige, ihrer teilhaftig gewesen zu sein.
Casanova: O mein Gott, ich fange an, zu verstehen.
Herzogin: Ja, ich beginne sogar schon ein wenig den Sinn des Himmlischen zu begreifen.
Casanova: Welchen Sinn?
Herzogin: Gierig und ohne recht bereitet zu sein, habe ich dieses Übermaß von Menschentugenden auf mich niederströmen lassen; betäubt habe ich und unwürdig seine Seele überhört, in der Befriedigung einer unedlen Sehnsucht. Wie mag dieser Mann gelitten, wie mag es ihm die Lippen verschlossen haben, da er mich sah, mich, die ich in anderer Erwartung an seinem Munde hing. O mein Gott ich beginne mich zu schämen.
Casanova: Ich Tor, ich Elender!
Herzogin: Nicht vor der Welt nicht vor euch. Vor ihm, vor ihm! Und kann es ihm nicht zeigen, wie sehr ich mich erniedrigen möchte zu seinen Knien, und er kann mich nicht sehen, wie ich demütig, reumütig empfinde, daß ich ihn nicht gekannt ihn nicht gewürdigt habe. Doch all mein zukünftiges Leben soll dazu dienen, sein hohes, sein hehres Bild zu schmücken. Dies muß mich in meinem unbeschreiblichen Schmerze trösten.
Casanova (bei sich): Jaja, der Herzog hat es gesehen! Dieser Mensch muß leben. Muß leben um jeden Preis.
Er stürzt davon.
Zwei Wochen später. Der gleiche Raum
Diener (meldet): Herr von Seingalt
Herzog: Vorzüglich. Willkommen lieber Freund. Aber – Sie sehen blaß aus. Geht es Ihnen nicht zum besten?
Casanova (tritt ein): Mir geht es schlecht. Ich gräme mich.
Casanova: Über diese Angelegenheit, die mir die ganzen Tage und Nächte nicht aus dem Kopf wollte. Ich fühle mich schuldig, die Herzogin Ihnen noch weiter entfremdet, aus diesem Harlekin ein Götterbild gemacht zu haben.
Herzog: Dies hitzige Temperament. Ihr Italiener! Sie fragen mich gar nicht, Sie poltern darauf los. Warum haben Sie sich in vierzehn Tagen nicht einmal sehen lassen?
Casanova: Ich sagte es schon: ich schäme mich.
Herzog: Warum, Bester? Sie waren unbesonnen. Sie waren sogar unklug. Sie begingen einen Streich, den ich Ihnen nach einer solchen Vergangenheit nicht zugetraut hätte; mais enfin ... Sie wollten das beste und schließlich war der Himmel doch mit Ihnen und rettete diesen Menschen vom Tode, der ihm sicher schien.
Casanova: Zu spät. Als die Frau ihm schon ein Heiligtum errichtet hatte und darin betete.
Herzog: Seltsam, wie töricht manchmal auch ein wirklich gescheiter Mensch ist. Hören Sie zu. Einen kurzen Augenblick hatte ich Angst, eben den, da es noch nicht entschieden war, ob der Kerl am Leben blieb; denn sein Tod, das wußte ich, hätte mich matt gesetzt, da gegen ein Idol auch ein Bourbon vergeblich sich einsetzt. Als dieses Wesen aber die erste Geflügelpastete verspeist hatte, und zwar bis zum letzten Bissen, als ich wußte, er sollte der Welt erhalten bleiben, da war ich ruhig wie nie zuvor. Denn eine Überlegung drängte sich sofort auf: Jetzt kämpft er mit dem Idol. Und das Idol erschlägt ihn. Idole haben diese unangenehme Eigenschaft. Sie schauen. Ich war des Sieges gewiß. Eins nur war zu fürchten, daß er noch und trotzdem starb. Ich zog die Konsequenz. Ich habe den Menschen mit hingebender Zärtlichkeit gepflegt; er ist von mir mit Austern, Cremes und Pasteten gefüttert und gemästet worden. Es war unglaublich, was in diesem Futteral Platz hatte; aber bald war es deutlich, er blähte sich von Tag zu Tag mehr auf. Schließlich bot er einen entsetzlichen Anblick; aber er war gesund wie ein Stier.
Casanova: Bravo! Bravissimo!
Herzog: Noch das Ende. Heute ist die Herzogin zu ihm. Ich weiß es. Sie kommt, ihr sphärenhaftes halb entseeltes Idol zu suchen und findet ein fettes Ungeheuer. – Aber lassen Sie uns nun an diese Affäre kein Wort mehr wenden. Ich sagte Ihnen damals schon, ich wollte ihr mich nicht mehr widmen, als unbedingt notwendig. Das Notwendige ist getan; wenden wir uns anderen Dingen, uns selbst zu.
Casanova: Aber eins müssen Sie mir gestatten, Herzog, dies auszusprechen: Ein Stümper bin ich gegen Sie. Ich werde Kaufmann, Händler.
Herzog: Sie sind jünger als ich. Man weiß mit fünfzig mehr als mit fünfundzwanzig Jahren.
Casanova (erschrocken): Herzog, Sie sind nicht fünfzig Jahre alt!
Herzog: Ich bin einundfünfzig Jahre.
Casanova: Nun schäme ich mich vollends und vom Grunde meiner Seele. Könnte ich Ihnen doch ein wenig, nur ein wenig ähnlich sein.
Herzog: Haben Sie Selbstgefühl, Freund, und Sie sind es.
Casanova: Ich bin nicht Bourbon.
Herzog: Oh ...
Casanova: Ich bin nicht Montmorency. Und es ist am Ende doch wahr: Dies Selbstgefühl wird aus Vater und Mutter, aus einer Ahnenreihe mit uns geboren.
Herzog: Lesen Sie Rousseau, Freund.
Casanova: Ich hasse diese Bestie.
Herzog: Sie sind unmodern.
Herzogin (tritt ein): In viereinhalb Stunden von Paris hierher. Die Pferde flogen.
Herzogin: Eine himmlische Fahrt, ein himmlisches Ankommen. Chantilly ist wunderbar im Sommer, meine Freunde.
Herzog: Was trieb Sie?
Herzogin: Mir war die Stadt verhaßt, es zog mich hierher. Ich wollte zu Tisch hier sein, mit Ihnen essen, Henry.
Casanova: Haben Sie mir vergeben?
Herzogin: Nein; doch in einem Sinne vielleicht, den Sie nicht ahnen, (zum Herzog) Wer machte Ihnen diesen vorzüglich sitzenden Rock? (zu Casanova) Finden Sie nicht, daß der Herzog sich gut anzieht?
Casanova: Wie ein Gott, Herzogin.