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I.

Die italienischen Briganten des sechzehnten Jahrhunderts hat uns das Melodrama so oft gezeigt, und soviele Leute haben von ihnen gesprochen, ohne sie zu kennen, daß wir uns heute eine ganz falsche Vorstellung von ihnen machen. Man kann im allgemeinen sagen, daß diese Briganten den Widerstand gegen die unmenschlichen Regierungen ausdrückten, welche in Italien auf die Republiken des Mittelalters gefolgt waren. Der neue Tyrann, gewöhnlich schon der reichste Bürger der Republik, bevor er sie stürzte, schmückte, um das Volk zu gewinnen, die Stadt mit prächtigen Kirchen und mit schönen Gemälden. Von solcher Art waren die Polentini von Ravenna, die Manfredi von Faenza, die Riario von Imola, die Visconti von Mailand die Bentivoglio von Bologna und endlich die Medici von Florenz, die am wenigsten kriegerischen und heuchlerischsten von allen. Unter den Historikern dieser kleinen Staaten ist keiner, der es gewagt hätte, von den unzähligen Vergiftungen und Morden zu erzählen, welche von der quälenden Angst dieser kleinen Tyrannen veranlaßt worden sind; jene würdigen Historiker waren in ihrem Sold. Man erwäge, daß jeder dieser Tyrannen jeden dieser Republikaner, von denen er sich persönlich gehaßt wußte, persönlich kannte, – Cosimo, Großherzog von Toskana z.B. kannte Sforza –, und daß mehrere dieser Tyrannen ermordet worden sind: dann wird man den tiefen Haß, das dauernde Mißtrauen verstehen, woraus den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts soviel Geist und Mut erwuchs und ihren Künstlern soviel Genie. Man wird sehen, daß diese heftigen Leidenschaften das Entstehen jenes lächerlichen Vorurteils verhinderten, das zur Zeit Madame de Sévignés Ehre genannt wurde und vor allem darin besteht, sein Leben für den Herrn zu opfern, als dessen Untertan man geboren ist, oder um den Damen zu gefallen. Im sechzehnten Jahrhundert konnten sich in Frankreich die Tatkraft eines Mannes und sein wahres Verdienst nur durch Tapferkeit auf dem Schlachtfeld oder im Zweikampf zeigen; aber da auch Frauen die Tapferkeit und vor allem die Tollkühnheit lieben, sind sie darin die höchsten Richter geworden. Von da an entstand der Geist der Galanterie, der die allmähliche Vernichtung aller Leidenschaften, ja selbst der Liebe vorbereitete; zugunsten der Eitelkeit, dieses grausamen Tyrannen, dem wir alle gehorchen. Die Könige förderten die Eitelkeit, und mit Recht: deshalb die Herrschaft der Ordenssterne.

In Italien zeichnete sich ein Mann durch alle Arten von Leistung aus, ebenso durch starke Degenstöße, wie durch Entdeckungen aus alten Handschriften: man sehe Petrarca, den Abgott seiner Zeit; und eine Frau des sechzehnten Jahrhunderts vermochte einen Mann, der im Griechischen erfahren war, ebenso und heftiger zu lieben, als einen durch kriegerische Tapferkeit Berühmten. Damals erlebte man die Leidenschaften und nicht Gewohnheit der Galanterie. Das ist der große Unterschied zwischen Italien und Frankreich, und das ist es, weshalb Italien die Raffael, Giorgione, Tizian, Correggio gebar, während Frankreich alle jene tapfren Truppenführer des sechzehnten Jahrhunderts hervorbrachte, die heute so unbekannt sind, obgleich doch jeder von ihnen eine so große Anzahl Feinde getötet hat. Ich bitte für diese groben Wahrheiten um Verzeihung.

Wie dem aber auch sei, die grausamen und notwendigen Racheakte der kleinen italienischen Tyrannen des Mittelalters versöhnten das Herz des Volks mit den Briganten. Man haßte die Briganten, wenn sie Pferde, Getreide, Geld, mit einem Wort alles, was ihnen zum Leben notwendig war, stahlen, aber im Grund war das Gefühl des Volks für sie, und die Dorfmädchen zogen allen andren jungen Leuten den vor, der sich einmal in seinem Leben genötigt gesehen hatte: »d'andar alla macchia«, das heißt: in die Wälder zu fliehen und wegen einer zu unvorsichtigen Tat bei den Räubern Zuflucht zu suchen.

Noch heute fürchtet man sich sicherlich allgemein, den Briganten zu begegnen, aber wenn sie in Ketten gelegt werden, bedauert sie jedermann. Das kommt daher, daß dieses so bewegliche, spöttische Volk, das über alles lacht, was unter der Zensur seiner Herrn veröffentlicht wird, jene kleine romantischen Geschichten, die mit Wärme das Leben der Briganten schildern, zu seiner ständigen Lektüre gewählt hat. Was es Heroisches in diesen Schilderungen gibt, entzückt den künstlerischen Nerv, der immer in den unteren Klassen lebt, und außerdem ist es so ermüdet von dem offiziellen Lob, das gewissen Leuten gespendet wird, daß alles, was nicht in dieser Art ist, ihm unmittelbar zu Herzen geht. Man muß wissen, daß das niedere Volk in Italien unter gewissen Dingen leidet, die dem Fremden niemals auffallen, wenn er auch zehn Jahre im Lande lebte. Vor fünfzehn Jahren zum Beispiel, bevor noch die Weisheit der Regierungen die Briganten unterdrückt hatte, konnte man nicht selten sehen, wie ihre Heldentaten die Schändlichkeiten der Statthalter in den kleinen Städten bestraften. Diese Statthalter hatten unumschränkte Regierungsgewalt, aber ihr Gehalt überstieg nicht die Summe von zwanzig Talern im Monat, und so waren sie natürlich zu Diensten der angesehensten Familie des Landes, welche durch dieses einfache Mittel ihre Feinde unterdrückte. Wenn es den Briganten auch nicht immer glückte, diese kleinen despotischen Statthalter zu bestrafen, hielten sie sie wenigstens zum Besten und boten ihnen Trotz, was in den Augen dieses spirituellen Volks nicht gering gilt. Ein satyrisches Sonett tröstet es in allen Leiden und niemals vergißt es eine Beleidigung. Dies ist wieder einer der Hauptunterschiede zwischen dem Italiener und dem Franzosen.

Hatte im sechzehnten Jahrhundert der Gouverneur eines Orts einen armen Einwohner, der sich den Haß einer einflußreichen Familie zugezogen hatte, zum Tode verurteilt, so geschah es oft, daß Briganten das Gefängnis angriffen, um den Bedrängten zu befreien. Anderseits hatte die mächtige Familie nicht viel Zutrauen zu den acht oder zehn Soldaten der Regierung, die beauftragt waren, das Gefängnis zu bewachen, und sie warb auf eigene Kosten einen Trupp Gelegenheitssoldaten an. Diese Soldaten wurden bravi genannt; sie biwakierten in der Umgebung des Gefängnisses und übernahmen es, den armen Teufel, dessen Tod man erkauft hatte, bis zum Richtplatz zu begleiten. Wenn diese mächtige Familie einen jungen Mann zu den ihren zählte, so stellte er sich an die Spitze dieser militärischen Improvisation.

Ich muß zugestehen, daß dieser Zustand durchaus gegen die Moral ist; heute hat man das Duell und die Langeweile, und die Richter verkaufen sich nicht; aber diese Sitten des sechzehnten Jahrhunderts waren höchst geeignet, Männer hervorzubringen, die dieses Namens würdig waren.

Viele Geschichtsschreiber, heute noch gedankenlos von der Literatur der Akademien gelobt, hatten versucht, diesen Stand der Dinge, der um 1550 so große Charaktere hervorbrachte, zu verheimlichen. Zu ihrer Zeit wurden ihre vorsichtigen Lügen mit allen den Ehrungen entlohnt, welche die Medici von Florenz, die Este von Ferrara, die Vizekönige von Neapel und andre zu vergeben hatten. Ein armer Historiker, namens Gianone, hat einen Zipfel des Schleiers lüpfen wollen; aber weil er nur einen sehr kleinen Teil der Wahrheit sich zu sagen getraute und noch dazu in zweifelhafter und dunkler Form, ist er sehr langweilig geblieben, was ihn nicht davor bewahrt hat, am 7. März 1758 mit zweiundachtzig Jahren im Gefängnis zu sterben.

Wenn man die Geschichte Italiens kennenlernen will, darf man nicht die allgemein beliebten Autoren lesen, denn nirgends war der Preis der Lüge besser bekannt, nirgends wurde sie besser bezahlt.

Die ersten Berichte, die man in Italien nach der barbarischen Zeit des neunten Jahrhunderts verfaßt hat, erwähnen schon die Briganten und sprechen von ihnen, als ob sie seit undenklichen Zeiten existiert hätten. Man lese die Sammlung Muratori. Als zum Unglück für das öffentliche Wohl, die Gerechtigkeit und eine gute Verwaltung, aber zum Glück für die Künste die Republiken des Mittelalters unterdrückt wurden, flüchteten die tatkräftigsten Republikaner, die die Freiheit mehr als die Mehrzahl ihrer Mitbürger liebten, in die Wälder. Natürlich begann das Volk, das durch die Baglioni, Malatesta, Bentivoglio, Medici usf. bedrückt wurde, deren Feinde zu lieben und zu ehren. Die Grausamkeiten der kleinen Tyrannen, welche auf die ersten Usurpatoren folgten, z.B. die Grausamkeiten des Cosimo, ersten Großherzogs von Florenz, der sogar die nach Venedig und Paris geflüchteten Republikaner ermorden ließ, vermehrten die Reihen dieser Briganten immer neu. Etwa zur Zeit, als unsre Heldin lebte, also um das Jahr 1550, leiteten Alfonso Piccolomini, Herzog von Monte Mariano, und Marco Sciarra mit Erfolg bewaffnete Banden, welche in der Umgebung von Albano die damals sehr tapfren Soldaten des Papstes hart bedrängten. Die Unternehmungen dieser berühmten Anführer, welche noch heute das Volk bewundert, dehnen sich vom Po und von den Sümpfen bei Ravenna bis zu den Wäldern aus, die damals den Vesuv bedeckten. Der Wald von Faggiola, fünf Meilen von Rom, auf der Straße nach Neapel gelegen, war berühmt als das Hauptquartier des Sciarra, der unter Gregors XIII. Pontifikat oft einige tausend Soldaten beisammen hatte. Die Geschichte dieses berühmten Briganten würde in den Augen der gegenwärtigen Generation unglaubwürdig erscheinen, weil man niemals die Motive seiner Handlungen verstehen würde. Er wurde erst im Jahre 1592 besiegt. Als seine Sache verzweifelt stand, unterhandelte er mit der Republik Venedig und trat mit seinen treuesten oder, wenn man will, schuldigsten Soldaten in ihren Dienst. Auf die Beschwerden Roms hin ließ Venedig, obgleich es einen Vertrag mit Sciarra unterzeichnet hatte, ihn ermorden und schickte seine tapferen Soldaten zur Verteidigung der Insel Kandia gegen die Türken. Denn die venetianische Weisheit wußte sehr wohl, daß eine mörderische Pest in Kandia wütete, und binnen einigen Tagen waren die fünfhundert Soldaten, die Sciarra in den Dienst der Republik gestellt hatte, auf siebenundsechzig Mann zusammengeschmolzen.

Dieser Wald von Faggiola, dessen gigantische Bäume einen alten Vulkan bedeckten, war der letzte Schauplatz der Heldentaten Marco Sciarras. Alle Reisenden werden bestätigen, daß dies der herrlichste Ort der wunderbaren römischen Campagna ist, deren düsteres Aussehen wie für eine Tragödie geschaffen scheint. Er krönt mit seinem dunklen Laub die Gipfel des Monte Albano.

Einem vulkanischen Ausbruch, Jahrtausende vor der Gründung Roms, verdanken wir dieses prachtvolle Gebirge. Zu einer Zeit, die weit vor jeder Geschichte liegt, erhob es sich aus der weiten Ebene, die ehemals zwischen Apennin und Meer gebreitet war. Der Monte Cave, vom düsteren Laub der Faggiola umkränzt, ist sein höchster Gipfel; man sieht ihn von überall, von Terracina und von Ostia wie von Rom und Tivoli, und es ist dieses Albanergebirge, das jetzt von Palästen übersät den berühmten Horizont Roms gegen Süden abschließt. Auf dem Gipfel des Monte Cave hat ein Kloster der schwarzen Brüder den Tempel des Jupiter Feretrinus ersetzt, zu dem die latinischen Völker kamen, um gemeinsam zu opfern und das Band einer Art religiösen Vertrages fester zu schließen. Unter dem Schutz prächtiger Kastanien gelangt der Wanderer in einigen Stunden zu den ungeheuren Blöcken, welche die Ruinen des Jupitertempels bilden; aber aus diesem tiefen Schatten, der so köstlich in solchem Klima ist, sieht der Reisende selbst heute noch mit Unruhe in das Innere das Waldes; er hat Furcht vor den Briganten. Auf dem Gipfel des Monte Cave angelangt, zündet man in den Ruinen des Tempels Feuer an, um die Speisen zu bereiten. Von diesem Punkt, der die ganze römische Campagna beherrscht, sieht man im Westen das Meer, das nur zwei Schritt weit zu sein scheint, obgleich es drei oder vier Meilen entfernt ist; man unterscheidet die kleinsten Boote, und mit einem ganz schwachen Glas kann man die Menschen zählen, die bei Neapel auf das Dampfschiff steigen. Nach allen Seiten breitet sich der Blick über eine herrliche Ebene aus, die gegen Osten vom Apenin, im Süden von Palestrina und nordwärts von San Pietro und den andren großen Bauwerken Roms begrenzt ist. Da der Monte Cave nicht sehr hoch ist, unterscheidet das Auge die geringsten Kleinigkeiten dieses erhabenen Landes, das keine geschichtliche Verherrlichung brauchte, während dennoch jedes Gehölz, jeder Mauerüberrest, den man in der Ebene oder auf den Abhängen der Berge erblickt, eine jener durch Vaterlandsliebe und Tapferkeit bewundernswerten Schlachten ins Gedächtnis ruft, von denen Titus Livius spricht.

Um zu den riesigen Felsblöcken, den Überresten des Jupiter Feretrinus-Tempels zu gelangen, welche die Mauer des Klosters der schwarzen Mönche bilden, kann man noch heute die Via triumphalis verfolgen, auf der einst die ersten Könige Roms eingezogen sind. Sie ist mit ganz regelmäßig behauenen Steinen gepflastert, und man findet mitten im Wald von Faggiola lange Fragmente davon.

Am Rande des erloschenen Kraters, der jetzt mit durchsichtig klarem Wasser gefüllt zu dem hübschen, fünf bis sechs Meilen im Umfang zählenden See von Albano geworden ist, lag tief eingebettet in den Lavafels ›Alba, die Mutter Roms‹, schon zur Zeit der ersten Könige von der römischen Politik zerstört. Jedoch seine Ruinen sind noch vorhanden. Einige Jahrhunderte später erhob sich Albano, die heutige Stadt, eine Viertelmeile von Alba am Hang des Berges, der dem Meere zu liegt; aber Albano ist vom See durch eine Felswand geschieden, welche den See der Stadt und die Stadt dem See verbirgt. Von der Ebene aus heben sich ihre weißen Gebäude vom tiefen Grün des Waldes ab, der so berühmt und den Briganten so teuer ist und der von allen Seiten das vulkanische Gebirge umkränzt.

Albano, das heute fünftausend bis sechstausend Einwohner zählt, hatte im Jahre 1540 höchstens dreitausend, als zu den ersten Geschlechtern die mächtige Familie Campireali gehörte, deren unglückliches Schicksal wir erzählen werden.

Ich berichte diese Geschichte nach zwei umfangreichen Manuskripten, das eine römisch und das andre aus Florenz. Zu meiner großen Gefahr habe ich gewagt, ihren Duktus wiederzugeben, der fast der gleiche ist wie der unsrer alten Legenden. Aber der feine und gemessene Stil der heutigen Zeit würde, wie mir scheint, zu wenig im Einklang mit den Geschehnissen stehen und gar mit den Betrachtungen der Chronisten. Sie schrieben um das Jahr 1598. Ich erbitte die Nachsicht des Lesers für sie wie auch für mich.


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