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Droben in der Burg über dem düstren Eingangsthore war die Pförtnerswohnung. Ich erfuhr's, noch ehe wir unter den gewölbten Bogen schritten. Denn wiewohl die Thorflügel offen stunden, hielten wir doch vor ihnen mit Gehen still, und einer der Leute, so mich gefangen führten, rief zum kleinen Fenster in der tiefen Mauer hinauf. Auf seinen Ruf lugte alsbald ein Weib hernieder, so alt und greise, daß man's schier nicht erdenken konnte, sie möchte je jung und glatt ausgesehen haben; die fragte mit keifernder Stimme, was man schon wieder begehrte, das Thor wäre ja offen und Keiner gehindert, hindurch zu gehen; ob denn sie allein heute, da Alle ihre Ergötzung hätten, der Ruhe entbehren sollte und nicht ein Wenig stille sitzen.
»Wir kommen ja nicht allein, Mutter!« sagte der Knecht wieder, »begehren auch nicht Eures Dienstes für uns. Wir bringen Euch einen Gefangenen, den Ihr mit allem Fleiß hüten sollt, wie unser gnädiger Herr Euch scharf einbindet; denn der Bischof Gebhard selber hat ihn hieher verordnet.«
»So gnade mir Gott und der heiligen Nothhelfer ganzer Hauf', als ich da nicht unterscheiden kann, ob ein Fremder unter Euch ist. – Ich hör' das Mäuslein rascheln im Thurm, aber meine Augen sind trüb.«
Nach diesen Worten verschwand sie und eines alten Mannes Gesicht ward an ihrer Stelle gesehen. Das war nicht minder welk und greis als das ihrige und verwittert, wie das Gemäuer, aus dem es hervorlugte.
»So bringt ihn herauf!« sagte der Alte mürrisch, nachdem er einen Blick nach mir gethan, und zog dann seinen Kopf wieder zurück.
Eine hölzerne Stiege außen an der Mauer führte in die Wohnung der Leute. Als wir durch das Thor geschritten waren und ich oben auf der Stiege ankam, stund die Alte schon in der geöffneten Thür.
»So jung, so jung und schmuck dazu!« sagte sie, indem sie mir hereinwinkte und mit ihrem Gesichte mich ganz nahe musterte; dann zu den Knechten gekehrt: »Ja, die Augen wollen nicht mehr, aber die Ohren sind scharf; doch mit meinem tauben Alten zusammen, der sieht wie ein Luchs: das thut's.« Zu diesen Worten verzog sie ihren zahnlosen Mund zum Lachen.
Indem hatte der Alte mit Mühe eine schmale Thür aufgeriegelt, die auf mehreren Stufen aus dem Gemach der Alten in einen dunklen Gang führte. Wirklich mußt' es wohl wahr sein, was das Weib von ihres Mannes scharfem Gesicht gerühmt hatte; denn selbiger gieng, nachdem ich geheißen war ihm zu folgen, so sicher seinen Weg da hindurch, daß ich, der ich mit meinen Füßen tastete, hinter ihm verzog. Nun schloß er mir eine zweite Thür auf und öffnete den Raum, der mir zur Haft bestimmt war. Die Alte brachte mir Brot und Wasser, und dann giengen die Beiden, ohne ferner mit mir ein Wort zu reden, und schlossen die Thür hinter sich.
So war ich allein und von aller Welt abgeschieden; selber das kleine Stücklein Himmel, von dem durch die schmale Maueröffnung dürftiges Licht hereindringen sollte, war durch häufige Spinnweben zwischen den Eisenstangen mir so verdeckt, daß er grau schien und trübe.
In dieser Einöde brach mein Schmerz, der so lange stumm gewesen war, mit aller Macht hervor, und ich wehrte ihm nicht. Ich hub bitterlich an zu weinen und zu klagen, nannte mich unselig und den Elendesten unter allen Menschen. Mein waglicher Sinn und mein froher Muth waren nun gänzlich niedergelegt und gar hin, dagegen Seel' und Leib lauter Zagheit und Blödigkeit.
Ja, ich war in schwere Sünde und Untugend gerathen und darinnen verharret beinahe vom ersten Tage meiner Fahrt aus dem Kloster bis hierher. Ich war mit Lug und Trug umgegangen und dessen gewohnet worden in Elzeburg, ich hatte meine Lust daran gehabt auch hernach und damals belacht, was ich jetzt so kläglich beweinen mußte. Dazu waren Hoffahrt gekommen und eitler Stolz auf meinen Witz und die Kunst, von der ich nie hätte erfahren sollen, daß ich sie besäße. – Ach, und nicht allein mich, sondern alle die, so mir zumeist Gutes gönnten, denen ich dienen sollte und zur Freude helfen nach Pflicht und allem Vermögen, hatt' ich bitter gekränkt und in Leid gebracht; mußte nicht Irmela irre an mir geworden sein und Brun mich verachten und der Abt, dessen Vertrauen ich so grob getäuscht hatte?
»Wie wird mir's im Convent ergehen, wenn da meine Missethat auskommen wird«, rief ich, »wie wird Albrecht's strenger Eifer für die Ehre der Abtei mich treffen, der ich den Namen des Klosters in allen frommen Ohren stinkend gemacht habe?« Und dann trat vor mich der Gedanke an all' die Schmach, an Spott und Schande, die mein warteten; an ödes, dumpfes Gefängniß, an Geißel, Kasteiung und Einsamkeit. Dem gegenüber stellte sich wieder die Erinnerung an das bunte Leben der sonnigen Welt, das mich so fröhlich angelacht hatte, und der Wunsch, nach ihren Ehren zu trachten, und Irmela's süßes Bild. Da gedacht' ich auch, daß der Abt selber mich auf den Weg gedrängt hätte, wo sich diese Welt mir aufgethan, daß sie mich nach Elzeburg gezwungen hatten und die erste List mir nothweise aufgedrungen war.
War's nicht doch ungerecht, daß ich nun so hart dafür büßen und darum in Schande und Strafe kommen sollte, um was draußen mir Lohn und Lob gewiß war! Und ich dachte des seligen Augenblickes, da ich vor Irmela kniete und den Kranz empfieng; ich dachte auch der Huld, mit der sie für mich bat, und ihrer Traurigkeit zuletzt, da sie es nicht mehr konnte.
»O, daß ich sie noch einmal bitten könnte, mir nicht zu hart zu zürnen, daß ich ein Wort nur der Vergebung aus ihrem Munde vernähme!«
Aber meine Seufzer hallten von den dumpfen Mauern wieder, die mich umschlossen, und mir blieb nichts, als mit meinem Jammer wider mich selbst zu wüthen in unmächtigen Klagen.
O, der Seele, die in Nöthen schwebt, wird schlecht gelohnt, so sie sich in Zweifel verfängt und nicht vermag, sich stracks zu Gott zu kehren.
So wünscht' auch ich, daß ich nie geboren wäre und zu solchem Unglück gespart; ich that des kläglichen Jammers immer mehr und des Scheltens und Anklagens, bis ich nicht mehr konnte und schweigend niedersaß auf die bloße Erde, mit beiden Händen mein Gesicht überdeckend.
Wie lange ich so saß regungslos, weiß ich nicht; aber allgemach wurden meine Klagen stiller und meine Traurigkeit sanfter. Vor meinen verschlossenen Augen verschwand der trübselige Ort, der mich gefangen hielt, und meiner Seele wuchsen Flügel, die sie hinaustrugen zurück in's helle Sonnenlicht, in die freie Welt. Ich sah mich wieder auf der Höhe, und die Festfreude umgab mich. Irmela's lichte Augen sah ich, wie sie aufblickten und ich nicht widerstehen konnte, weil's mir war, als suchten sie mich; vor sie trat ich, zu singen, was mein Herz mir eingab, und wunderte mich, daß ich dazu die Kühnheit gewann und wußte doch, sie zu erfreuen, hätt' ich Alles gewagt. Und nun tönte der Klang ihrer süßen Stimme wieder mir in den Ohren und sie beugte sich hernieder, mich mit dem Kranz zu zieren, und grüßte mich mit gütigem Wort. Daß ich davon hohen Muth empfieng, warum verdachten sie mir das? Durft' ich den Unglimpf nicht rächen, den sie mir zufügten; durft' ich ihnen nicht zeigen, daß ich ein Vermögen in mir fühlte, und mich nicht verachten ließ; hatte sie mich doch nach allen Ehren belohnt! – Gewißlich, wenn ich ihr noch einmal nahen, wenn ich ihr offenbaren könnte, wie Alles sich mit mir begeben hatte: sie würde mir nicht länger zürnen, sie würde mit Trost mich aufrichten, sie würde mir, was ich gethan, zur Unehre nicht anrechnen. Dann dürfte mich Niemand verachten – nein, auch jetzt nicht.
Jetzt?! Wo war ich denn? Gefangen gelegt, frevlen Truges überwiesen; und alles Trachten und Wähnen, das mich hinauszog: es war nichts Anderes, als eitles Träumen, vergebliches, ja verbotenes Wünschen!
Ich sprang auf und sah mich um.
Aus der Dämmerung, die hier schon sich verbreitet hatte, starrten die geschwärzten Wände fremd und schweigend mich an. Die Erinnerung an den sich neigenden Tag und die Erwartung der Nacht, die kommen würde, öde, traurig, lichtlos, erneuerte in mir das Gefühl meines Elends. Es war mir schier, als könnt' ich's nicht ferner ertragen, so eingesperrt zu sein und einsam den Übeln entgegen zu harren, die mir bevorstunden. Der thörichte Gedanke, als wär' mir ein Entrinnen möglich, ergriff mich. Ich eilte nach der Thür, stemmte mich gegen die Riegel, hub an den Angeln, rüttelte an den Pfosten; ich lief immer wieder die Wände entlang, tastete herum, pochte an's Gestein aus aller Macht, ob etwan ein verborgener Ausgang zu finden wäre, und ich stund stille mit tiefem Seufzer, als ich erfunden hatte, wie Alles vergeblich war. Mit sehnendem Verlangen blickt' ich hinauf zur Öffnung. Nur ein Wölklein wünscht' ich zu sehen, vorüberschwimmend, wohin der Wind es trieb, oder eine Schwalbe im Husch durch die Luft streichend: aber da hieng düster der Vorhang der staubigen Spinnweben und bewegte sich nur etwa von einem armen Schmetterlinge, der in den Fäden gefangen war und sich nun zu Tode flatterte.
»Wenn nur zum wenigsten diese große Stille nicht wäre, die mit der Dämmerung zu wachsen schien; wenn ich nur einen Laut vernähme, nur einen! Den Hall einer menschlichen Stimme unten vom Thal her oder den Ruf eines Vogels aus den Lüften!« Ich lauschte, aber ich hörte nichts. Ich erhub selber meine Stimme, aber der Wiederhall von diesen Wänden klang hohl und erschreckte mich.
Da drückte ich mich in eine Ecke, als könnt' ich mich so vor den Schrecknissen bergen, die mich umgaben näher – näher, und versank in dumpfes Brüten. Bald hieng ich zwischen Wachen und Schlafen und merkte nicht auf die Zeit, wie sie hinschlich, nur daß es immer dunkler um mich her ward, und endlich ganz finster. Dennoch ließ ich nicht ab, meine Augen weit aufzuthun, ob ich gleich wußte, es diente zu nichts, und entriß mich der Müdigkeit, um mit allem Fleiß zu horchen: – vergeblich – vergeblich! –
Aber nein! Das war ein Geräusch wie von einem zurückgeschobenen Riegel, wie von einer in ihren Angeln erknarrenden Pforte. Jetzt wurden Schritte hörbar, nur leise, aber sie kamen näher; jetzt machte sich Einer am Schloß der Gefängnißthür zu schaffen, dann ward ein Schlüssel darin umgedreht – ein Lichtschein ward sichtbar – die Thür that sich auf.
»Pst, Junker Diether, lebt Ihr noch?«
hört' ich eine Stimme, die im Flüsterton zu bleiben trachtete und doch laut genug schnarrte; ein runder Krauskopf streckte sich durch die geöffnete Thür und eine kurze Gestalt schob sich ihm nach und ließ den schwachen Schein der Leuchte in ihrer Hand im Gefängniß umherwandern.
»Hu, was ein ödes Jammerloch!«
sagte der Kurze dabei und verzog seinen breiten Mund.
Ich konnte mich nicht genug verwundern über das Alles, daß ich vor Staunen schier wie angewurzelt war und meinen unerwarteten Gast nur anstarrte. Endlich traf mich der Schein seines Windlichts. Da setzte er es zur Erde, machte etliche Schritte mir entgegen und kratzte mit seinem rechten Fuß hinten aus, indem er, seinen Hut schwenkend, sich tief vor mir verneigte.
»Euer Knecht in aller Willigkeit,
Zu jedem Dienst allzeit bereit,«
sprach er und legte die freie Hand auf seine Brust, seine Ehrerbietigkeit noch deutlicher zu bezeugen.
»Ei, ei!« sagt' er dann wieder und wies auf den Platz, den ich inne hatte:
»Wie hat man doch hienacht
Die Ruhstätt' übel Euch gemacht!
Ach, ja! und 'nem Junker! – 's ist 'ne Schand! – Das will ein Bischof sein und eines Bischofs Voigt?! 's ist 'ne Schand' für die ganze christliche Ritterschaft!« – Er sah wieder verächtlich sich um. »So ein Otternloch! So eine Löwengrube!! Es vergeht einem schier das Reimen, wenn man Euch da sieht, ob sich's gleich mit der »Ecken«, drin Ihr hockt, und »Verstecken« so leicht thun ließe!«
Ich richtete mich auf, ihm näher zu kommen; da wich er einen Schritt hinter sich, neigte sein Haupt zur Seite und hub an mit seinen kleinen Augen mich von Kopf zu Füßen zu messen und hinwieder, indem er dabei eine seiner Hände über die Stirn legte.
»Ah«, rief er dabei, »so ein stattlicher Junker, schlank und gerade – so fest im Gang, so zierlich in den Hüften, so breit in den Schultern, so stolzen Hauptes!« Und er schnalzte mit seinen dicken Lippen. »Ho, ho! So wahr ich Klingsohr heiße: Ihr werdet ein wackerer Ritter und bald noch andere Kränzlein davon tragen, die Euch kein Gernsteiner herunterreißen soll – ein Prahler, Junker! nichts weiter – ah! und schöne Frauen und edle (dabei blinzelte er mich an und schlug sich vergnügt auf die feiste Lende) – schöne und edle Frauen werden Euch die Kränzlein aufsetzen, vor welchen immer es Euch geliebt hohe Ehren zu erjagen.«
Ich achtete seines Geschwätzes nicht, darin ich keinen Sinn erfand, auch nicht eines Haares breit, und fragte nur, immer noch des Wunderns voll, wie er hier hereingekommen wäre.
»Rathet, Junker!« gab er zur Antwort. »Wem dank' ich's wohl? – Daß Ihr's wißt: meiner Kunst, der Magie, der weißen oder schwarzen, gleichviel!
Sie füllt Topf und Tiegel,
das wißt Ihr schon,
Aber sie sprengt Schloß und Riegel,
das erfahrt Ihr jetzt. – Mein Gesell, der Tannhäuser – er versteht sein' Sach' ausbündig, nicht? – der hätt' sich hierhinein und durch die Thüren nicht gefiedelt und nicht gesungen, beharrt' er gleich bei seiner Musica bis zum jüngsten Tage. Aber die Magie ist in solchem Handel, wie der Eurige, eine wundertreffliche Kunst, wer ihrer wohl kann. Seht, Junker, wir machten uns an die beiden Alten im Stüblein überm Thor. Nu, man wird gewitzigt und lernt, wie das anzufangen! 'S war just nicht leicht, Junker! Denn die magische Kunst, die bei dem Alten taugte, ihm die Augen zufallen zu machen, verfieng bei seiner Hex nichts mit dem scharfen Gehör, und so hinwieder.
Und so war verschiedentliche Arzeneiung vonnöthen; aber wir machten die Symptomata bald ausfindig, wie die Medici sagen.
Wisset, Meister, – nein, Junker Diether: es gibt eine materia, die schlägt Euch in der Welt bei den Menschen allermeist sicher an, ihre Complexiones und Humores mögen sein, welche sie wollen. Ihr braucht sie ihnen nur von Ferne zu weisen, so fäht sie allbereits zu wirken an. Das Gold ist diese Materie, aurum nach lateinischer Zunge; aber wir Magi nennen sie die essentia quinta: denn es ist der Vorsprung und Ausbund aller Elemente. – Gut! damit versucht' ich's nach regula artis bei der Alten; ich sagt' ihr vom Alrunmännlein, wie man von dem täglich einen Ducaten bekäme. – Ah! der Köder lockte den Vogel, und sie fragte, wie das anzugreifen wäre, daß man sich den Unhold zu Wege brächte. Ich gab ihr Bescheid: »Ja, die Johanniszeit wär' wohl geschickt dazu, ein Würzlein zu gewinnen, das kräftig wäre, und von Ungefähr hätt' ich wohl drüben auf dem Berge um den Galgen herum eines gesehen, das aus dem Blut eines mit dem Rade gebrochenen Schächers gewachsen sein möchte: aber solch' ein Fäntlein draus zu bereiten, das Tugend hätte, kostete nicht bloß Kunst, sondern auch Eifer und Unverzagtheit. – Kurz, Junker, um weidlichen Lohn und auf ihren Eid, daß sie Nichts von der Heimlichkeit ausbrächte, verstunden wir uns dazu, der Alten den Willen zu thun. Sie steht jetzt unterm Galgen, gen Mitternacht gekehrt, darf kein Wort sprechen, noch sich umkehren, dieweil mein Gesell hinter ihr hantiert mit Spruch und Beschwörung um die Alrune.
Ich aber bin droben geblieben im Stüblein; denn ich mußte doch die Salben bereiten, das Galgenmännlein damit einzureiben, wenn sie's heim brächten. Aus dem Weinkrug, den sie mir gefüllt zurückließ, als sie gieng, hab' ich auch dem Alten eingeschenkt, dem die geizige Hex das Naß gar selten gönnet, so theuer er es liebt. Er ist davon bald eingeschlafen und, wie es sich ansieht, fest und lange, wozu etlicher Maßen das Pülverlein geholfen haben mag, das ich ihm in den Trunk geschüttet. – So hab' ich denn gedacht, bis die Alte heimkommt, daß wir ihr die Wurzel feien, könnt' ich eben so gut die Schlüssel brauchen, die da drinnen ob dem Alten an der Wand hiengen, und Euch heimsuchen, Junker Diether, dessen Herberge ich mir von Eurem Wirth zufallens hatte sagen lassen.«
Darauf lupfte er wieder seinen Hut, neigte sich und sprach:
»So wißt Ihr nun das Wo, und wie
Ich kommen bin zu Euch allhie:
Durch meine Kunst, durch die Magie.«
Dazu rieb er sich vergnüglich die Hände. »Doch nun hebt wieder an, Junker!« sagt' er dann und drehte die Daumen um einander.
»Womit soll ich wieder anheben?« fragt' ich ihn.
»Ach, Junker, besinnt Euch!« und er wiegte sein Haupt langsam hin und wieder.
»Was meinet Ihr?« fragt' ich wiederum.
»Junker, Junker!!« Weiter erwiedert' er nichts, indem er beide Hände, die Finger ausgespreizt und ihren Rücken mir zugekehrt, langsam in die Höhe hub.
»Was nennt Ihr mich immer Junker?« rief ich ärgerlich, da er die Worte sonderbarlich in die Länge zog.
Auf diese Frage wurde er überlustig, sprang mit Lachen hin und her und sagte dabei: »Nu, habt Ihr's endlich gefunden?! Just die Frage ist's, die ich von Euch hören wollte; just sie. O, was seid Ihr wunderlich! Laßt Euch an sogethane Frage lang' erinnern, und sie war doch so leicht zu stellen. – Warum nenn' ich Euch Junker?« Dabei stellt' er sich wichtig vor mich hin und stemmte die Hände gegen seine Hüften: »Ja, freilich! Das ist's! Das ist das punctum saliens, wie es die Grammatici heißen, nicht? – So gebt wohl Acht, daß Ihr wohl höret, was Ihr wissen wollt! Aber zuvor harret noch einen Augenblick!«
Bei diesen Worten gieng er hin, wo das Windlicht von ihm hingestellt war, und rückte es so, daß ich wieder ganz in seinem Scheine stund.
»Also, warum ich Euch Junker nenne? Das ist die Frage; sie ist klar und weislich; und das ist die Antwort, nicht minder klar und gewißlich: Weil Ihr's seid, weil Ihr eben dies seid und gar nichts anderes, als ein Junker; ein ehrlicher, ein wohlgeschaffener, adeliger Junker, wie nur irgend einer in der Christenheit zu finden ist vom Aufgang bis zum Niedergang. – He, nun? Was dünkt Euch davon?! Gewiß, Ihr denket: Was ist's? Klingsohr ist ein Gauch, ihm darf man nicht trauen, er leugt daran! – Denket Ihr nicht also, Herr? – Thut's immerhin, aber zuvor hört mich an!«
Darauf erzählt' er in seiner Weise, die Worte nicht sparend und sie hastig hervorsprudelnd, wie, nachdem ich abgeführt worden wäre, er und sein Geselle hätten dem Bischof Rede stehen müssen über mich, was sie von meiner Person und von meinem Stande wüßten. Darnach hätten sich die Herrschaften zu Tische gesetzt, die Mahlzeit zu halten; dabei wäre Herr Conrad sehr aufgeräumt gewesen, aber seine verlobte Braut desto nachdenklicher und stiller. Als man nun da kaum zu tafeln angefangen, wäre ein alter Mann mit langem, greisen Barte, des Aussehens und angethan wie ein Siedler oder Waldbruder, herzugestürmt und hätte mit hochbeweglichen Worten den Bischof angerufen, den gefangenen Jüngling frei zu geben, maßen der dem Kloster nicht fürder angehören dürfte. Denn Diether wäre adeligen Stammes, von hochberühmtem Geschlecht, wie er selber. Der Jüngling wäre sein Sohn. Das wolle er nach aller Gebühr darthun und verlange ihn in Kraft väterlicher Gewalt in seine Hände aus dem Kloster, darin er bis dahin gesessen, wiewohl er die heiligen Gelübde noch nicht abgelegt und auf sich genommen habe.
Über solche Rede hätten sich Alle nicht genug verwundern können. Der Bischof hätte ernst drein gesehen, als machte er sich hart, und der Gernsteiner finster; auch hätte der spöttisch sich hinweggewendet, als dächt' er nicht anders, denn daß es Possen wären, die da fürgewendet würden. Aber wer Graf Eberhard betrachtet hätte, der hätte spüren müssen, wie nahe dem Elzeburger Herrn des Alten Rede zu Herzen gieng. Als nun aber Beider Blicke sich begegnet und nach kurzem staunendem Stillschweigen der Alte gerufen hätte: »Eberhard, gedenkst Du Bruno's noch? Schläft in Deiner Seele noch ein Gedächtniß unserer Freundschaft aus längst verschwundenen Jahren, das aufgeweckt werden kann?« als darauf die Beiden sich umfangen und keines Wortes mächtig unter inniglichen Zähren sich begrüßt, da wäre Manchem das Herz entbrannt über solchen Anblick, und alle hätten aufgehorcht, wie er wieder gesagt: »Er ist mein Sohn, Eberhard, mein Sohn! – Gott hat ihn mir zugeführt. Ich wagte nicht, mich zu ihm zu bekennen; der finstere Schatten meiner Schuld, dacht' ich, sollte auf die friedliche Bahn seines jungen Lebens nicht fallen; ich, ich trieb ihn in's Kloster zurück, und wollte selber verborgen bleiben vor ihm, vor der Welt. Aber nun ruft er mich in sie zurück nach Pflicht und Liebe, und bei unserer einstigen Waffenbrüderschaft bitt' ich Dich: Hilf ihn mir retten, Eberhard, hilf ihn mir retten!«
»Auf diese Worte«, erzählte Klingsohr weiter, »gönnten wir Alle dem Alten, daß ihm nach seiner Bitte geschähe; denn daß er in Allem die Wahrheit bezeugte, daran zweifelte Keiner, und Graf Eberhard lag dem Bischof mit starker Fürsprach' an, Euch, Junker, herauszugeben und des Klosters zu entbinden, auch die Ungebühr, damit Ihr Euch versündigt hättet, an Euch nicht ferner zu strafen, sondern selbige dem wallenden Muth der aufstrebenden Jugend zuzurechnen. Dazu, wiewohl sie bis dahin wenig sich zu ihrem Bräutigam gekehrt hatte, hub auch die edle Jungfrau Braut herzlich in Herrn Conrad zu dringen an, daß er Euch zur Freiheit hülfe und dazu seinen Ohm bewegte. Aber an der verlangten Fürsprach' hatte, wie es männiglich kund ward, der Ritter weder Lust noch zeigte er einigen Eifer dazu, und seine unmilde Gebärde erschweigte die Jungfrau, daß sie traurig abließ, ferner ihn zu bitten. Desgleichen auch Seine Gnaden, der Herr Bischof, was meint Ihr wohl, ob seine Antwort gnädig lautete? Mein' Treu, nein!«
»Er zog freilich seinen Worten ein solch' Kleid an, daß sie ihm, dem geistlichen Vater, nicht gar zu übel stunden, noch unhübsch erschienen und ungelind: aber, glaubt mir, sie hatten die Absage hinter sich, die harte Absage, nichts anderes. Er sagte – o, er stellte Euch die Worte meisterlich! – er sagte also: Es stünde leider bei ihm gar nicht, der Meinung seines Herzens nachzugeben, das auf so bewegliches Ersuchen und so eindringliche Bitten werthester Freundschaft freilich ohne Verzug ihm die Gewährung abzwingen würde; aber er dürfte nichts in dieser Sache wider die Satzungen der heiligen Kirche, und das sei ein bedenklicher Handel; was dazu von Maulbronn und sonst für Beweis und Urkund für und wider würde an's Licht gebracht werden – darauf käm' es an, und bis dahin müßte Inculpat allerdinge dem geistlichen Gericht unterstehen und dürfte des Gewahrsams in keinem Wege entledigt werden. Im Übrigen würde er sich die Ehre der Kirche und des heiligen Ordens, wie das Begehren seiner Freunde und Euer Bestes, Junker, beständig vor Augen halten.
Da hättet Ihr sehen sollen, Herr Diether, wie starken Kummer Euer Vater aus solchen Worten sich zu Herzen gezogen hat. Denn er hatte wohl die Vereinigung mit Euch näher gesehen. Er senkte eine kurze Weile schweigend sein Haupt. Dann sprach er zum Bischof mit großem Ernst: »Würdiger Herr! Ich ehre die heiligen Gebote der Kirche. Aber wehe! wenn sie sich wider Gottes Gebot und Willen setzen. Er begehrt gezwungnen Dienstes nicht. Er ruft meinen Sohn zu mir. Daß ihm Freiheit werde, diesem Ruf zu folgen, das ist mein Tagwerk; ich muß es vollbringen!«
Alsdann winkt' er dem Grafen zu und sie unterredeten sich, indem sie ein wenig abseits wichen. Aber nur eine kleine Zeit, so ließ Herr Bruno sich nicht aufhalten, sondern umfieng Herrn Eberhard mit herzlichen Worten, nahm seinen Urlaub und gieng ungesäumt und mit eilenden Schritten von dannen.«
Muß ich sagen, wie mir zu Sinne war bei Allem, was mir Klingsohr berichtete; wie ich erschrak, als ich zuerst von Brun's Ankunft auf der Höhe vernahm; wie mir's dann im Herzen aufgieng einem freudenhellen Sommertage gleich, dessen aufgehende Sonne von jubelnden Lerchen tausendstimmig begrüßt wird und in ungezählten Thautropfen sich spiegelt, als ich erfuhr, wer Brun war, welch' heilig Band mich mit ihm verknüpfte, und daß er mir in Bruno's Geschichte seine eigne Vergangenheit, die Wunden und Hoffnungen seiner Seele anvertraut hatte! Mir war's dem Falken gleich, dessen von der Hülle befreitem Auge man hoch in den Lüften das Ziel weist, dem er sich mit freudigem Geschrei entgegenschwinget. Auch mir winkte nun solch' ein Ziel: meinem Vater, der mich so und den ich so liebte, nahe zu sein, ihm zu Trost und Erquickung, ihn der Einsamkeit und jeglichem Trübsinn zu entreißen, ritterliche Ehre von ihm zu erlernen, sie dem Namen, den wir trugen, zu erjagen und seinen Segen zu erben. – O, und meine Mutter! Mich durchschauerte ein froher Schreck, da ich ihn dachte, diesen Namen: nie bis dahin von mir gerufen: ödes, schmerz-, aber auch freudenleeres Leben, wie hatt' ich's nur ertragen mögen! – Gott! Gott! Wenn ich auch sie einst fände, meine arme Mutter; wenn ich ihr an meiner Hand den Vater zuführen könnte, und in einer Umschlingung Beide an dies Herz drückend, spräche: »Seht, Euer Sohn ist glückselig, er hat Euch wieder! Seid es nun auch Ihr!« – gewiß dann würden die alten Wunden sie nicht mehr schmerzen, sie würden ihrer Schuld Vergebung glauben und üben, und ich, ihr Sohn, mit dem Mal der blutgen That gezeichnet, durch deren Kunde die Erschreckte in die Wildniß getrieben ward, hülfe ihnen zur neuen Freude, zur Liebe und zum Frieden! –
So frohe Bilder leuchteten in meiner Seele auf, und um die Sonne, von der sie bestrahlt wurden und all' mein Sinn und Muth, stunden selber schimmernd im himmlischen Glanz die Worte geschrieben: »Dein Vater ist dir gefunden!«
Da hätten gewißlich auch Augen, die mich minder scharf ansahen als die kleinen blitzenden Klingsohr's, derweilen er sprach, solches Entbrennen meines Herzens vermerkt. Er aber, als er mit seiner Erzählung zu Ende war, trat dicht zu mir und sagte:
»Auf, Junker, sinnt nicht lang also,
Sagt, macht Euch nicht die Märe froh?«
»Klingsohr, lieber Klingsohr!« gab ich zur Antwort, »ist's so, wie Ihr mir sagt, und ich trage daran keinen Zweifel, so harr' ich der Stunde, die mir Befreiung bringt, mit zwiefachem Sehnen. O daß sie bald erschiene!«
»Harren wollet Ihr, harren?« fragte der Kleine wieder, und er schnarrte das Wort spöttisch heraus und schlug seine Hände beide in einander, als wär' es etwas recht Erstaunliches, was er hätte hören müssen. – »Wie lange, Herrlein, seid Ihr denn bereit und willfertig, hier zu harren?«
»Mich dünkt«, antwortet' ich wieder, »nach Allem, was Ihr mir sagtet, kann es unmöglich anstehen, daß meines Vaters Begehren unerfüllt bleibe, dem eine so mächtige Fürsprache zur Seite steht, wie die Graf Eberhard's.«
»Mich dünkt, mich dünkt«, sprach Klingsohr ärgerlich nach. – »Was dünkt Euch denn von uns? Wähnet Ihr, Meister Tannhäuser und hier ich, der Magus, haben uns oben davon gemacht und seien in dieser Burg bei den geizigen Alten in harter Arbeit gestanden, ich mit dem Pülverlein drinnen beim griesgreisen Pförtner, mein Gesell gar mit dem Alrunzauber bei der scharfohrigen Pförtnerin allein unter'm Galgen, allwo er jetztunder noch aushält, das edle Herz; wähnet Ihr, dies Alles sei von uns gethan, bloß daß Ihr zeitiger Euren edlen Namen erführet und Eure ritterliche Geburt, als es sonst geschehen wäre. Wähnet Ihr das wirklich? Ja freilich, 's ist ja eine Zeitung, die man nicht alltag zubringen kann, daß aus einem Singer ein Junker worden ist, und daß einer aus der Abtei und den Regeln St. Bernhard's in die Herrschaft über Land und Leute gesetzt werden soll. – Jedennoch, Junker, das ist hier die Meinung nicht. Wie? dort die Thür steht offen, der Alte schläft und sie sucht nach der Alrune – und Ihr besinnt Euch noch? Auf, gewinnet Euch selbst die Freiheit, nach der Euch gelüstet! Der Weg ist offen; ich führe Euch.«
Und er nahm sein Windlicht wieder zur Hand.
»Aber«, sprach ich, tief erregt von dem, wozu er mich ermunterte, »wenn ich's thäte und ohn' Urtheil und Recht dem Kloster entränne, so brächt' ich mich auf's Neue in Fährniß, und geistlicher und weltlicher Arm möchte mich bedrohen; ich hinderte die, so meiner Erledigung günstig sind, daran, mich zu schützen, und der Bischof würde mich, wie auch unser Orden des geistlichen Standes desto weniger entlassen!«
»Wie?« rief da der Kurze unwillig wieder. – »Dahin steht Euch der Sinn? – Als Ihr die Friedsamkeit und Demuth beweisen solltet, die man Euch im Kloster gelehrt hat, da waret Ihr kampflich gemuthet, und da es Euch als fahrendem Singbruder viel nützer gewesen wäre, Euch fein zu ducken, daß Ihr heil entschlüpfen möchtet, da bewieset Ihr Trutz und waglichen Widerstand – aber jetzt, wo Ihr des Ritterthums genießen sollt, zeigt Ihr ein Herz wie ein Lämmlein! – O, lieber Junker, denket doch nicht, wen die Kirche einmal eingethan hat und gar dem Mönchsstand zugezählt, den werde sie so bald wieder losgeben; habt nur wohl Acht, mancher Tag wird vergehen, bis sie sich über die geistlichen und weltlichen Rechte verglichen haben werden, dieweil Ihr in Haft hungert, schwitzt oder frieret, wie es Euch geliebt! Der Gernsteiner, halt' ich, wird schon dafür sorgen, daß Ihr Euch an solch' Leben gewöhnet. Und endlich, seid Ihr wiederum im Kloster, nimmer mehr daraus zu entwischen« – –
»So rathet Ihr mir –?« unterbrach ich ihn.
»Ich rathe Euch – ho! wie sanft das 'nem fahrenden Magus thut, daß er einem Junkerlein rathen darf – ja, ich rath Euch gut, Herr; traut dem Bischof nicht, noch seinem Voigt, noch sonst wem außer Euch selber und der Gunst der jetzigen Stunde, die Euch freien Ausgang verstattet dank der Kunstübung Eures geringen Dieners und seines Gesellen! – Ah, Junker, 's ist wahr: Ihr seid dazumal übel gefahren mit uns, und habt uns billig darum gescholten – aber die Noth, Junker, die zwingende Noth trug die Schuld daran! Drum laßt uns jetzt desto baß Euren Dank verdienen. Hatten wir nicht sogleich am Anfang uns're Freud' an Euch? Haben wir uns nicht gebrüdert? Sahen wir heut' nicht und hörten's, daß an Euch ein meisterlicher Singer verloren wäre, und ein wackerer Ritter dazu, so Euch das Kloster erhielte?«
»Doch seid Ihr's gewesen«, sagt' ich, »die mich durch ihr Anzeigen meines Standes dem Bischof überantworteten!«
»So brachten wir Euch doch aus des Gernsteiners Gewalt, der Euch wohl so fest verwahret hätte und übel gehalten, daß wir mit keiner Kunst Euch hätten erlösen können. – Das sind wir nun zu thun willens worden und lag uns doppelt hart an, nachdem Eure Ritterschaft an's Licht gekommen ist. – Eilet denn, werther Junker! Gewinnet die Freiheit, indem Ihr sie brauchet! Wie süß wird sie Euch eingehen an der Seite Herrn Bruno's! Wir geleiten Euch, wir Wegkundige, und gewiß, wir werden ihn finden.«
Ich hatte sinnend gestanden und wußte nicht, was erwählen; denn ich fühlte, daß ich vor eine große Entscheidung geführt war. Aber der Ruf, der an mich ergieng, lockte zu laut – und so folgt' ich dem Klingsohr, der schon in der geöffneten Pforte stund, ungeduldig mein harrend.
Ohne sonderliche Fürsicht schritt er mir den Gang voran. »Die beiden Alten sind noch festgehalten«, sagt' er dabei: »er vom Pülverlein, sie von der Alrune, und vor anderer Begegnung sind wir sicher allhie!«
Also befand sich's auch; der Alte schlief, da wir durch's Stüblein kamen, und wir gelangten unangefochten hinaus auf die Stiege. Von derselben führte ein hölzerner Gang außen zu einem Pförtlein in der Mauer des Burghofs, durch das die Alten in einen zur Burg gehörigen Krautgarten den Zugang hatten. Er war von einer hohen Mauer eingeschlossen.
»Hier können wir nicht hinab«, sagte mein Geleitsmann leise zu mir; »nur drüben, wo der Berg steiler ist und die Mauer drum nicht so hoch, mögen wir's vollbringen.«
Damit drängte er mich weiter, den schmalen Weg voran zur Seite der Mauer. So kamen wir an's Ende des Gärtleins und zu einer Thür, die war offen, und auf steinernen Stufen traten wir in einen zweiten Burggarten ein, der aber zur Sommerlust bestimmt war und in lauter lieblichen Blumen und Ziergebüschen prangte. Ja, das that er auch in dieser Sommernacht, denn obgleich weder Mond noch Sterne schienen, war sie als zur Johanniszeit hell und wie von einem milden Dämmerlicht übergossen, in dem man Jegliches umher deutlich sah; und Blätter und Blüthen schimmerten mit einem sanften Lichte, als hätten sie etwas vom Glanze des langen Sommertages zurückbehalten wie einen schwachen Widerstrahl. Es hatte einen warmen Regen zur Nacht gegeben: noch hiengen die Blätter tropfenschwer, und die Luft, von keinem Windhauche bewegt, war weich und feucht; sie war auch voll würzigen Geruchs und süßen Duftes, der aus ungezählten neu erfrischten Blüthen quoll und aus solchen, die in dieser wonnigen Sommernacht zum ersten Mal ihren Kelch erschlossen. Wie sog' ich all' diese stille Herrlichkeit mit Sinnen und Herzen ein nach der Angst des Gefängnisses, ob ich gleich an dem Frieden und der Glückseligkeit, die mich umgab, keinen Theil haben durfte; denn mein Weg war ohne Recht, verhohlen und bedroht.
Leise schritten wir hindann.
»Seht Ihr das Fenster dort, von Rosengezweig umrankt?« flüsterte Klingsohr.
Ich sah dahin und gewahrte auch dicht dabei eine Pforte, die von der Burg her in unser Gärtlein führte.
»Des Grafen Eberhard Nichte, Junker, von der Ihr den Kranz empfienget, wohnt heint allda zur Herberge. Von der Alten erfuhr ich's, die am Abend das Fräulein heraufreiten sah, stattlich geleitet. – Wenn wir ihr allhie begegneten, Junker, wie geschwinde liefet Ihr wohl davon?« Dabei kicherte er verhohlen.
Ich sagte nichts; doch sah ich im Gehen hinauf zum Fenster, und ich fühlte mein Herz stärker klopfen.
Da klang ein Ton durch die Stille, fein und leise. Wir hielten mit Gehen an und horchten auf. Es war das verhaltene Summen einer menschlichen Stimme, das von drüben herkam, wo am Ausgang aus dem Garten über der Ringmauer der Burg ein Sommerhaus als ein Thürmlein gebaut war zum Lugaus hinunter in Dorf und Thal. – Jetzt vernahm ich, halb gesungen und halb gesprochen, als würden sie nur laut gedacht, die Worte:
– – – – – – – – – – – –
Dich lacht sie an mit rothem Munde
Und haftet doch im finstren Grunde,
Aus dem ihr Kraft und Leben quillt:
Das ist der Liebe Ebenbild!
Es schafft das Leid der Liebe Pein,
Doch ohne Leid kann Lieb nicht sein,
Es liebt die Lieb' Leid zum Gedeihn! –
Dieser mein Spruch, den ich vorhin gesungen, da es Kranz und Kleinod galt – welch' neue Gewalt hatte er doch jetzt über mich! Ich erschrak und erzitterte schier, und doch schwebte mein Herz hoch auf in Wonne; mir war's, als träumt' ich nur, und sodann wieder, als erwacht' ich nun erst aus ungewissem Wahn zur Wahrheit und zum Leben.
»Irmela!« rief ich und eilte, ohne auf Klingsohrs eifrige Gebärden zu achten, mit denen er mich trachtete zurückzuhalten, hin, woher die Klänge kamen.
Sie mußte den Namen gehört haben; denn als ich zum Sommerhause kam, erblickt' ich sie, wie sie am offenen Eingang desselben stund, regungslos, als spähte sie hinaus.
»Irmela!« so rief ich wieder und fand vor Freude und Bangigkeit kaum den Odem zu dem Worte, wie ich nun nahe vor sie trat.
»So bist Du's, Diether, und bist frei?« Wiewohl ihre Stimme bebte, als sie das sagte, klang es doch im hellsten Jubelton wie der Ausruf einer Seele, der unerwartet die Bande schweren Leides gelöset sind.
Ein Schauer durchrieselte mein Gebein, als sie in hochgehender Freude mir entgegen eilte und mit ihren beiden Händen die meinigen ergriff. Ich sah ihr in's Angesicht: ihr Mund lächelte und ihre Augen waren voll Thränen.
Da konnt' ich mich nicht länger enthalten, umfieng sie mit meinen Armen und küßte sie.
»Ja«, flüsterte ich, indem ich sie umschlungen hielt, »ich bin frei, und immer selig sei die Stunde, da ich's ward; denn sie offenbarte mir, Süße, Deine und meine Herzensliebe!«
»Weh!« rief sie da mit dem Tone des Schreckens, indem sie mit Heftigkeit sich mir entriß, »weh, was hab' ich geduldet! Diether, ich bin verlobt! Nimmer wieder laß mich solch ein Wort hören! Nein, nein! – Entweich, wir sind ewig geschieden!«
Flehend bat sie so, aber streng zugleich und gebietend stund sie vor mir, hoch aufgerichtet. Der Gedanke, so von ihr verstoßen zu werden, erfüllte mich mit Grauen. Ich sank vor ihr auf die Knie.
»Irmela,« bat ich, »nicht also treibt mich von hinnen! Kein Gefängniß sieht so finster und freudlos mich an, als rings die weite Welt, so ich Euch muß verloren geben. Ich kann nicht mehr von Euch lassen, nimmer, nimmer! Die sehnende Herzensliebe hat mich bezwungen! O, auch Dich, Irmela; läugn' es nicht! Das Leid, das über mich gekommen ist, hat ihre Heimlichkeit Dir kund gethan und diese Stunde auch mir. Nie kannst Du dem Manne folgen, dem Dein Herz nicht zugehört!«
»Ich lieb' ihn nicht,« sagte sie leise.
»Aber hier in meinem Herzen bist Du beschlossen, Irmela, und ich bin's in Deinem. Ach, wohl gleicht unsere Liebe dem Sturmvogel, der gegen Wind und Wetter durch zuckende Blitze in mitternächt'ge Wolken fliegt; aber hinter ihnen, Irmela, glänzt die Sonne und seine Schwingen sind Adlerschwingen!«
Sie schwieg; aber mir war's, als athmete sie schwer und mit leisem Beben erzitterte sie.
»O, sprich nur ein Wort!« bat ich wieder. »Ein einzig Wort, daß ich wisse, die Rose, die sich mir zur Wonne erschlossen in dieser Blüthennacht, sei nicht auch zugleich entblättert; daß mir eine Hoffnung leuchte auf der dunklen Bahn, die ich beschreite. – Sprich dies Wort, Irmela, dies eine Wort, und ich will kämpfen, ringen und nicht ermüden, bis der Tag kommt, da der Bund dieser Mitternachtsstunde vor Gott und Menschen gesegnet wird!«
Da war's, als bewegte sie ihre Hand mir entgegen; ich erfaßte sie und drückte sie mit Inbrunst an Herz und Lippen.
»Hab Dank, hab Dank, Irmela!« sagt' ich, indem ich mich erhub, »und fahr wohl!«
»Fahr wohl auch Du!« sprach sie zum Scheiden.
Indem kam auch schon Klingsohr herbei mit großer Eil und vielem Winken: »Geschwind, Junker, geschwind! Wir dürfen nicht länger säumen. Man ist uns auf der Spur. Dort den Weg kommen sie, den wir vorhin nahmen. Gewiß ist die Alte heimgekommen, hat das Nest leer gefunden und Lärm gemacht.«
Ich wollte mich auf diese Worte fürder wenden, mit ihm die Flucht fortzusetzen, als wir auch schon die, so uns zu suchen ausgegangen, in der offnen Pforte ersahen, durch die wir in den Garten gekommen waren.
»Da drüben um's Thürmlein müssen sie sein,« so vernahmen wir: »dort hört' ich flüstern, als ich hinaushorchte.«
Es war die Stimme der Alten.
»Sie werden mich finden!« sagte Irmela mit Bangen, »was beginn' ich?«
Wohl sah ich, daß sie ihnen nicht entgehen konnte. Sie konnte sich im Garten nicht verbergen, den die Leute gewiß durchsuchen würden, und auch, wenn sie zurück wollte in ihr Gemach, mußte man auf sie treffen.
Sollte sie durch mich in Verdacht gerathen und Ungemach? Sollte sie gepeinigt werden mit Fragen nach mir und ihr reines Gemüth zwischen dem Wunsch schweben, unsere Heimlichkeit mir zum Schaden nicht auszubringen, und der ungewohnten Nöthigung, durch Falschheit sich heraus zu helfen?
Das durfte nicht geschehen. Die Gewißheit ihrer Herzensliebe zu mir hätte mir jeglich Opfer leicht gemacht. Ich besann mich nicht.
»Seid getrost, Irmela!« rief ich. »Ich gewinn' Euch Zeit.« Und bevor sich Klingsohr deß versehen konnte, der allbereits zur Weiterflucht vorangeeilt war, nicht zweifelnd, daß ich ihm folgte, sprang ich den Weg zurück, den wir gekommen waren, gerade auf die Gartenpforte zu, den Eindringenden entgegen.
Ich gedachte durch die Überraschten hindurchzustreichen, oder doch, so das nicht gelänge, sie so lange aufzuhalten, bis Irmela hinein wäre, und dann ihnen zu entrinnen. Meine schnellen Füße, hofft' ich, sollten mich retten, bis ich an einen Ort käme, geschickt zu einem Sprung die Ringmauer hinab.
Aber was soll ich sagen? So gerieth es mir nicht. Zwar daß meine Verfolger in den Garten eindrangen, verhindert' ich. Denn wie ich nach der Pforte rannte, wandten sie sich mir Alle zu mit lautem Geschrei. Doch es waren Ihrer zu viele, als daß ich hindurchzubrechen vermochte oder sie bestreiten konnte, ich Waffenloser. Es währte nur eine kleine Weile, so war ich von ihnen umringt und ergriffen, und ein Gefangener des Bischofs von Speyer, wie vorhin.