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Zwischen den Molekülen der Luft schwebt ein geheimer Stoff; der empfängt die starken Wellen der Menschenseelen und pflanzt sie fort. Mit keinem Sinne ist er wahrzunehmen. Doch liegen in uns wohl verkümmerte andere Sinne. Mit diesen fühlen wir den erregten Seelenatem unserer Nächsten. In leisen Wellen fließt er über uns. Dann wissen wir etwas, dessen Verständnis uns entgeht.
Als Griebel aus der Werkstatt nach Hause zurückkehrte, war es schon dunkel, die Straßen der Stadt lebendiger. Denn ehe die Nacht kommt, werden die Menschen unruhig, weil ein Teil ihres Lebens so leise stirbt, wie die Schatten des Abends zunehmen. Um die ganz verhaltene Furcht zu betäuben, treten die Leute lauter auf, sprechen stärker und bewegen die Arme eiliger.
Griebel wußte nicht, warum er so laufe. Als ihm der Atem ausging, blieb er stehen, schüttelte den Kopf und schritt dann langsam weiter. An dem Thore seines Hauses stutzte er, aus einem gedanklichen Hinschlummern aufgerissen, zog hastig die Hand von dem Thürdrücker zurück und horchte gespannt in den Hausflur. Der brummte sein altes verschwommenes Murren. Manchmal hüpfte ein scharfes Knixen dazwischen. Dann zuckte es in Griebel. »Tommheit! ...« raffte er sich endlich unwillig auf und trat entschlossen ins Haus.
Es war finster; in dem oberen Flur brannte das gewohnte Licht nicht. Ein Gefühl, als zögen sich die Wände zurück, wenn er nach ihnen tastete, wurde immer stärker. Darum hielt er sich nach dem Geländer hin, um an der Leitstange Halt zu finden. Aber obwohl er im Emporsteigen jeden Schritt etwas mehr nach rechts machte, kam er doch an kein Geländer. Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen. Ihre Höhe und Entfernung voneinander verringerte sich auch, so daß er erst ins Leere trat, um nach einer Weile stampfend Grund zu finden.
Nun ging es gar bergab – – und immer noch kein Geländer ...
»Himmelschockschwerebrett, Licht!« schrie er endlich in Wut.
Fern von ihm flog eine Thür auf, ein Licht riß sein flackerndes Auge in die Höhe und schloß es gleich vor Schreck.
»Jesses, wer ... ?« gellte eine weibliche Stimme und brach jäh ab.
Er stand doch mitten auf der Stiege und ... neben ihm aus einem unendlichen Gange war ein Schein aufgehüpft ... neben ihm ... aus der Mauer? ... er hörte seine eignen Atemzüge. – – Unsicher that er noch einen langen, tastenden Schritt und – – stieß an eine kalte Wand. Er rührte sich nicht; ein heißes Prickeln, als fliege glühender Sand in sein Gesicht ... »de Schätz-Hanne, de Haushexe!« ... schlotterte es durch sein Hirn, obwohl er mutig die Zähne zusammenbiß.
»Verflucht! Verflucht! Verflucht! Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!« wehrte er den Spuk ab.
Die ganze Wucht des fiebernden Atems trieb er in diesen Ruf und es klang doch tonlos ... so war die Beschwörung unwirksam.
Das Sandwerfen wurde stärker.
Plötzlich flammte eine rote Lohe um ihn. Eine eisige Besinnung kommt in seine Seele ... »was ward etz komma?« – Das Geleucht schlich von links heran, aber er wagte nicht, sich umzudrehen »... jetze hält's!«
»... jetze dreht mrsch s Genicke rem!« ... in kühler Gefaßtheit.
Da reißt ihn der Schrei einer weiblichen Stimme aus den Klammern der Todesangst.
›,Herr du meines! Nä ha! Do stiehn Se oan reda gegen de Wand!«
Das Dienstmädchen war es, das Licht in der zitternden Hand. Und er stand am entgegengesetzten Ende des Flures in einer Ecke.
»Du dås sågste keinem Mensche, dåß ...« fuhr Griebel augenblicklich herum.
»Herr wie Sie schwetza! Ja'ch dås weeß doch ein jedes, dåß emgeht ei oansem Hause.«
»Wenn ich dr åber sage, es gieht nich um?!«
»Nu do giehts halt nich um, hähä!« lachte Anna brutal.
»Grobes Geschmäße!«
Und Griebel trat, aufatmend, in die Wohnstube – – – –
Die Lampe stand mit zurückgeschraubter Flamme hart an der Tischkante, nach dem Sofa zu. Eine regungslose, warme Dumpfheit schlug ihm entgegen, als er in den lichtmüden Raum trat.
Leonore saß noch auf dem Platze am Fenster, die Hände, mit den Flächen aneinandergelegt, im Schoß, das Haupt wie suchend vorgebeugt. Sie schien sich die fünf Stunden seit seinem Weggange nicht bewegt zu haben und rührte sich auch nicht bei seinem Eintritt.
»Gu'n Abend!« sagte er, »Du!« forderte er lauter auf und setzte gleich behutsam für sich hinzu: »die hört nischt!«
»... o je, viel – viel ...«
Atemschwer, aus einem schnellen Strome sprach sie, in zerstreutem Auftauchen.
»Dås is åber finster!« knurrte er und schraubte die Lampe höher.
»... nein, lichte ... lichte! ... lichte!! ...«
In steigender Verzückung redete sie es gegen den Boden hin und hob dann langsam, als weiche sie liebem Drucke, das Haupt – – und – – fuhr zusammen.
»Ja, bist du schon da, lieber Joseph! Nu, gu'n Abend! Mach d'rs bequem, ich bring gleich Abendessen.«
Leicht sprang sie dann auf. Wie um den Bann einer Trunkenheit gewaltsam von sich abzuschütteln, schritt sie erregt einigemal am Tisch vorüber. Griebel empfand ihre fahrig hingeworfenen Aufmerksamkeiten wie das Geschwätz kühler Tropfen.
Nach den unliebsamen Vorgängen des Tages befand er sich in einem reizbaren Zustande.
Dieser wich auf einen Augenblick, als er sich in das schmackhafte Abendbrot vertiefte, das Leonore einladend auf das blühend weiße Tischtuch gestellt hatte.
Sie aß nicht mit und erklärte mit der Verwunderung des Glückes in ihrer Stimme:
»Ach Gott, wie sollt ich essen? – ich? – ich?«
Immer wieder strich sie kosend die schimmernden Falten des Tischtuches nieder, rückte mit nippenden Fingern an den Gefäßen, griff nach Griebels Gestalt mit einem heiß vorbeitastenden Blick und versank dann durch ein sich immer verengenderes Wiegen in den Hüften, das wie das Jauchzen ihres Leibes aussah, in ein Hinträumen mit aufgelöst vorgebeugtem Oberkörper. Dann fuhr sie auf:
»Können nich Blumen auf'm Tisch stehn? – Rosen – Nelken – vielleicht Veilchen – schöne, lauter schöne – Blumen – Blumen!« –
»Ja, Plåmpe, Blumen, eim Wenter, un zu wås denn?« antwortete Griebel plump auf die leisen Worte, die Leonore für sich hingesungen hatte.
Dann schob er den Teller von sich, und während er mit Behagen das Aufstoßen der genossenen Speise seinen schwammigen Leib schütteln ließ, sagte er ruckend, von vielen Schnalzlauten unterbrochen:
»Ha, dås håt gut geschmeckt. – Nu kennde ichs ufnehmen, åber anders. – 's wår doch ... ... ich kånn nie gescheide wer'n. – Du!!«
»Ja!« schrack Leonore empor, einen unbeweglichen Glanz in ihren großen, weichblauen Augen.
»... Du ... du ...« wiederholte sie mit verhauchender Zärtlichkeit.
»Wo siehst du denn hin?«
»Nu ja, eben ... das is ja eben ...«
Plötzlich sah sie ihn scharf an, brennend. Dann streckte sie zögernd ihren Arm aus und mit zaghaftem Finger tastete sie an Griebels Stirn, als streiche sie etwas fort.
»Wås is 'n! Bin ich etwa beschissen? 's kånn ålls meglich sein.«
Er trat an den Spiegel und betrachtete sein Gesicht. »Da is doch ålls reen!« sagte er verwundert. »Dir machts wohl wås firr?«
Er wandte sich um und fixierte sie scharf.
Sie saß mit gesenktem Kopfe da und ihr Busen erzitterte in ängstlichem Wogen.
Mit einer mißbilligenden Miene trat er einen Schritt zurück und begann dann zwischen der Kommode und der Schlafzimmerthür auf dem Läufer hin- und herzuwandeln.
Er überlegte offenbar, ob Leonore die Erzählung des Spukes ertragen würde. Um es herauszubekommen, trat er sich einigemal die Hosen nieder und schnappte mit den fetten Fingern seiner Rechten, die auf dem Rücken lag.
Die regungslose, dumpfe Wärme des hohen Raumes lastete auf ihm, daß er zu keinem Entschluß gelangen konnte.
Scheu, schüchtern hörte man die große Uhr auf dem Flur ticken. Ein hochsingendes Zittern folgte jedem Schlag und » nss« ein feiner, langhinsinnender Ton fuhr dann durch das ganze Haus.
»'s is doch nich richtig in unserm Hause«, begann er zögernd und sah im Hinwandeln verstohlen über die Achseln auf Leonore.
In schweigender Zustimmung bewegte diese das gesenkte Haupt hin und her.
»Då gieh ich iber de Stiege«, begann er endlich entschlossen zu erzählen, »iber de Stiege«, wiederholte er in einem letzten Zweifel, als sein Weib betroffen die Augen auf ihn richtete, »nein, eigentlich schon an der Thüre. Ich weeß jetzt noch nie, warum ich stehn bleiben mußte, ich mußt ...«
»Wann war denn das?« unterbrach Leonore ihn hastig.
»Nu, wie ich kåm.«
»Da stimmts nich, da war er schon da,« sprach sie enttäuscht und lehnte sich auf den Stuhl zurück.
»Er? – – – nein. Da här 'och erst. – Ich horch ein wenig å der Thüre. Dornåch, Tommheit, denk ich, klink auf und geh nei. 's Thor fliegt zu, daß der Flur blökt. Då hal' ich ein wenig å. 's wurd åber weiter nischt. Un ich fang å' iber de Stiege nufzugehn, immer hibsch åm Geländer. 's Licht brannte nich auf'm Flure, un ich denke, aso kannst de nich stirzen. – 's wår doch aso – – – freilich! – Wie ich mich –m Geländer 'naufgreife, fengt de Wand a und weicht zuricke ... wås schraubst'n 's Licht runter?«
»'s hört sich besser zu.«
Das sagt sie in ungeduldiger Hast, und ihr Blick haftet saugend an seinen Lippen.
»... fengt de Wand an und weicht«, drängt sie ihn weiter, da er innehält.
Bestürzt nimmt Griebel ihre Erregung wahr, und weil er glaubt, durch plötzliches Abbrechen das Unheil noch ärger zu machen, fährt er unsicher fort:
»Singt eigentlich nich, es is blos, als wenn die Wand ...«
Nun springt Leonore mit den Zeichen glühenden Einverständnisses auf, und dem Tuchmacher ist es, als ob eine heiß eindringende Woge die schüchternen Worte in seinen Mund zurückzwänge.
Überwältigt bricht er ab.
Die Hände verschlungen, hingebend den Kopf geneigt, steht das Weib da.
Aber kein Menschenlaut rührt sich.
Das Ticken mahnt schüchtern, der lange feine Ton setzt verschmachtend ein, wie das Echo eines verklungenen Liedes in immer schwächeren Wellen stirbt.
Dann hebt sie fruchtschwer das Haupt. Ihre Hand kost das Haar ihrer entgegengesetzten Schläfe. Aufgereckt, mit zurückgebogenem Kopfe, verharrt sie eine Weile.
Mit dem verschmachtenden Singen des feinen Tones setzt sie dann fort: »... ein Wind in mir stand auf und nahm alle Wände mit, an den' meine Seele krank war, alle Schatten, an den' sie benahe gestorben is ... wie das auf einmal bliehte und klang ... das Licht ging wie weiße Jungfern zwischen den Bäumen auf und ab; die streichelten es mit ihren Blättern ... darnach aber kams ... der Wald rückte zusammen, die Erde zog sich nauf und wurde er. Bloß das Licht blieb um ihn ... so wie er dagesessen hat heute vor dir, neben mir, mit der schwarzen Locke auf der ...«
Plötzlich brach ihre flutende Rede ab. Sie sah starr auf die Wand. Dann hob sie weisend ihre Hände und flüsterte mit erschauernder Wollust:
»Da kommt er wieder ... da – da – ah! – Ja! – wart nur! ... komm! – – – du ... auch! Da geh nur, ich komme ja ... !«
Die Arme umfangend ausgebreitet, mit hinsinkenden Schritten, die Lippen stumm bewegend, das Gesicht verklärt, verschwindet sie im Schlafzimmer.
Mit zitternder Hand riegelte Griebel die Thür hinter ihr zu, dann verschließt er auch die Thür nach dem Flur. Nun steht er wieder horchend im Wohnzimmer. Da rührt sichs drinnen. – – »Sie stürzt sich durchs Fenster!«
In leisester Hast öffnet er die Thür wieder.
Leonore steht regungslos vor ihrem Bette.
»Das wär doch noch's letzte ... ach nee! ... Griebel, Griebel; ma soll nich Böses denken.«
Nun, redet sie nicht wieder? – Ja! –
Ein heimlich zärtliches Flüstern.
Plötzlich öffnet sich eine Kluft in ihm. Daraus dringt die schwelende Lohe einer furchtbaren Ahnung auf ihn ein. Nach der Geburt, als sie im Bette lag, hatte sie da nicht etwas geredet, wie, als hätte er gar nicht zu sein brauchen ... und ihr unbegreifliches Betragen der letzten Monate wäre alles blos ... und jetzt! – jetzt! ... in wirren Fetzen, gewiß und folternd, kochte es auf ihn ein. Um sich zu entgehen, zwingt er seine ganze Gewalt auf das Gehör. Und wie er steht und lauscht, tröstet er sich schon wieder: »'s wer'n blos die Nerven gewesen sein. Die mögens eben aso machen. Mein Gott, ein so eingezogenes Mädel, wie die war ...«
Aber schrill brach er ab; denn jetzt begann sie laut zu reden.
Erst verstand er nichts, stammelnde Laute – – doch jetzt! – – :»... Ah–ch! – – Lieber ... Lieber ...! du auch? ... siehste! ... vielleicht schon als kleines Mädl ... weiß ich, wie lange, da warst de schon mein ...«
Nun galt es nichts mehr zu wähnen!
Er stürzte auf sie zu und packte ihren Arm: »Här uf!« brüllte er, »här uf!«
Leonore fuhr zusammen und sah ihn angstvoll an.
»Mit wem redst de? – Gestehs! gestehs! – –Etwa mit dem Frank Kerle?« fuhr er nach einem schneidenden Stutzen fort.
»Soll ich nich?« verwundert, schwer, frug es sein Weib.
»Aso wås!« raste er nun ohne Halt. »Sol ich nie? – Ja, dås willst de nich wissen? Das ist Ehebruuch! – – Menscher machen dås; aber mei Weib nich!«
In seiner maßlosen Wut merkte er nicht, wie Leonore unter seinem Griff schlotterte.
»Ehebruuch, verstehst de? – ei mei'm Hause nich!« schrie er wieder auf.
»Brech ich die Ehe!« frug Leonore endlich mit eisiger Stimme durch bebende Zähne hin und schob seine Hand von ihrem Arme.
»Ja, schon solche Gedanken sein Ehebruch, Todsinde.«
»Ja a – – bei deiner Seele, is das wahr? –Wahrhaftig?«
Ihr Gesicht war eingefallen. In keuscher Angst frug sie ihren Mann mit zitternder Lippe.
»Ehebruch,« wiederholte der Tuchmacher dumpf.
»Aso schön un soll biese sein ...« sann sie und schüttelte den Kopf.
Nach langer, banger Pause hob sie frei ihr Auge, das sich mit Thränen füllte:
»Aber, verlaß dich auf dein Weib – – geh ruh'g schlafen, geh!«
Erschüttert ergriff er ihre dargebotene Rechte. Sie sank auf den Stuhl und verfiel in ein starres Hinstieren.
Griebel begann ratlos umherzutrödeln, bestürzt, in Kummer, voll Reue und Scham. Vergeblich redete er sich ein, recht gehandelt zu haben. Um diesem folternden Zustande zu entgehen, löschte er das Licht aus und legte sich ins Bett. Sein Weib aber rührte sich nicht.
Er horchte lange gespannt auf jeden ihrer Atemzüge.
Nach Stunden erhob sie sich ... »nein, nich! – aber schwer wird mirs werden!« hörte er sie zu sich sagen. Dann vernahm er, wie sie sich auskleidete.