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An dem Tage, an dem Mr. French nach Dublin abreiste, regnete es.
Der Croagh Mahon hatte sich den ganzen vorhergehenden Tag in Schleier gehüllt und war Drumgool so nahe gerückt, daß man ihm, wie Moriarty sich ausdrückte, hätte einen Zwieback an den Kopf werfen können.
Das Wetter hielt den hohen Berg in ewiger phantastischer Bewegung und ließ ihn jetzt zurück-, dann wieder vortreten. Wie durch Zauberei wuchs er empor und schrumpfte wieder zusammen, je nachdem die Atmosphäre sich änderte. Unermeßlich, schieferfarben, von dunkeln Klüften zerrissen, stand er heute in der sanften Schönheit eines stillen, hellen Wintertags da, ein untrügliches Zeichen, daß er morgen unsichtbar sein würde. Bei schönem Wetter kleidete er sich in die purpurne Farbe der Heide und zog sich weit zurück in die blaue Ferne, doch stets weckte er den Wunsch, sich ihm zu nähern.
Nachdem Mr. French fortgefahren war, klärte der Himmel sich auf. Miß Grimshaw, die seiner Abfahrt zugesehen hatte, schlenderte durch die Anlagen und eine kleine Pforte in den Küchengarten und wanderte dann den zu den Klippen hinanführenden Fußweg entlang.
Es war fast windstill auf den Klippen und die See kam ruhig herein, ruhig und dennoch bewegt von der Ungeheuern meilenlangen Dünung.
Bum!
Die ganze Küste antwortete mit tiefem Orgelton auf den Anprall der lässig heranrollenden Wellen.
Bum!
Während die aus dem innersten Herzen des Ozeans kommenden Wogen an das Ufer schlugen, unterschied man die Stimmen der Teufelsküche, der Sieben Schwestern, der Vorgebirge und der langen schwarzen Küste. Dazwischen vernahm man das schrille, die Gegenströmung begleitende Singen der Kiesel auf dem Strande, gleich den Stimmen der sterbenden Wellen: »Ich komme von weit – weit – weither«.
Sonst kein Ton.
Kein Flüstern des sich unter dem ernsten grauen Himmel bis zu den fernen Bergen erstreckenden Landes; kein Raunen des sich bis an den gleichmäßig grauen Horizont ausbreitenden Meeres.
Bum!
»Ich komme von weit – weit – weither.« Sonst nichts außer dem Schrei einer Möwe. Das junge Mädchen stand lauschend und schauend auf dem Rande der Klippen. Die Luft war würzig vom Regen, stärkend wie Wein, klar wie Kristall und erfüllt von dem Ozon des seegrasbedeckten Strandes und dem Duft der regendurchtränkten Erde.
Die schaumumkränzten Sieben Schwestern waren deutlich sichtbar; zu beiden Seiten lagen lange Uferstrecken, und Klippen, Vorgebirge, Buchten und Wellen sangen miteinander ein hehres, gewaltiges, schwermütiges Lied, wie sie es vor zehntausend Jahren gesungen haben und noch nach zehntausend Jahren singen werden.
Die Erinnerung an Mr. Giveen, die das Meer in Violet wachrief, lenkte ihre Gedanken hin auf French und dessen Sorgen: die Patriotenliga und deren kleinliches Vorgehen, den alten Ryan und die Schwänze seiner Kühe. Alle diese Dinge erschienen nichtig angesichts der mächtigen See, und das Dröhnen der Wellen deuchte ihr gleich einer ein Urteil abgebenden Stimme, die dennoch dem Tun, den Hoffnungen und Zielen des Menschen gegenüber gleichgültig blieb wie der Tod.
Ein Regentropfen berührte ihre Wange; sie wandte sich und begann den Abstieg zum Hause hinab. An der zum Küchengarten führenden Pforte stand ein schmutziges, etwa vierzehnjähriges Mädchen, mit unsauberem Gesicht und unordentlichem Haar, und versuchte vergeblich, das Geheimnis des Drückers zu enträtseln – es war ein Patentdrücker mit einem Querstab im Riegel.
Miß Grimshaw kam ihr zur Hilfe, öffnete die Pforte und hielt sie offen, um die andre durchzulassen, aber die Maid blieb mit niedergeschlagenen Augen stehen.
Sie blickte auf, dann wieder nieder und sagte endlich: »Bitte, Miß, sind Sie vielleicht das junge Fräulein, zu dem die alte Mrs. Moriarty mich schickt?«
»Das weiß ich doch nicht,« rief Violet lachend; dann entsann sie sich des Namens. »Meinst du die alte Mrs. Moriarty in Cloyne?«
»Ja, Miß.«
»Nun, weshalb schickt sie dich her?«
»Bitte, Miß, ich heiße Shusey Gallagher.«
»Ja?«
»Ich bin das Dienstmädchen beim Schmied, Miß, und die alte Mrs. Moriarty sagte zu mir, daß ich aufpassen sollte, ob die Jungens irgendeinen Streich mit Mr. French vor hätten, und sie würde mir ein Sixpencestück schenken; und darum hab' ich dagelegen und gehorcht und so getan, als ob ich schliefe, und da hörte ich, wie er zu seine Frau sagte, ›Donnerstag abend soll es losgehen,‹ sagt er. ›Was?‹ sagt sie. ›Die Geschichte mit French,‹ sagte er.«
»Ja, ja,« fiel Miß Grimshaw ein, »aber welche Leute sagten das?«
»Mr. Blood, der Schmied, Miß, und seine Frau, und ich lag mit offenen Ohren dabei und sie dachten, daß ich schliefe. ›Was wollen sie denn tun?‹ sagt sie. ›Dem Hengst die Sehnen am Knie zerschneiden,‹ sagt er. ›Garryowen?‹ sagt sie. ›Derselbigte,‹ sagt er. ›Und wieviele wollen dabei helfen?‹ sagt sie. ›Nur einer,‹ sagt er. ›Da wird der alte French woll endlich klug werden,‹ sagt sie, ›wer soll es tun?‹ ›Der schwarze Larry,‹ sagt er, ›und nun halt's Maul, denn ich bin müde und will einschlafen.‹«
»Gütiger Himmel!« entfuhr es Miß Grimshaw.
»Ja, Miß,« erwiderte das Kind, augenscheinlich erfreut über die Wirkung ihrer Nachricht. »Und als ich das an die alte Mrs. Moriarty erzählte, da sagt sie zu mir, ›lauf, Shusey,‹ sagt sie, ›was du kannst, nach Drumgool und frag nach die junge Dame und bestell ihr meine Empfehlungen und erzähl ihr, was du mich erzählt hast, und es kann sein, daß sie nich vergißt, was für Mühe du –‹«
»Das vergißt sie nicht,« entgegnete Miß Grimshaw, indem sie ihre Börse aus der Tasche zog und ihr eine halbe Krone entnahm. Auch ein Sixpencestück holte sie hervor, gab es dem Mädchen und sagte, indem sie ihr die halbe Krone zeigte: »Die gebe ich dir am nächsten Freitag, wenn das, was du mir gesagt hast, wahr ist und wenn du niemand etwas hiervon erzählst. Sage Mrs. Moriarty, ich würde sie besuchen und ließe ihr vielmals danken, daß sie dich hergeschickt hätte. Nun denke daran, wenn du irgendjemand ein Wort hiervon sagst, bekommst du keine halbe Krone.«
Susie Gallaghers Mund, der sich beim Anblick der Krone weit geöffnet hatte, schloß sich wieder.
»Bitte, Miß, ist die ganze halbe Krone für mich?«
»Ja, wenn du nichts sagst.«
»Kein Wort, Miß, ganz gewiß. Ich beiße lieber meine Zunge ab, als daß ich ein Wort sage.«
»Und passe weiter gut auf,« sagte Miß Grimshaw, »und laß es mich wissen, wenn du noch irgendetwas erfährst.«
»Ja, Miß.«
»Das ist recht,« sagte Miß Grimshaw, und Susie Gallagher entfernte sich im Laufschritt, abwechselnd springend und hüpfend, mutmaßlich, um ihren Gefühlen Luft zu machen.
Nachdem diese nützliche treue Dienerin um die Ecke verschwunden war, begab sich Miß Grimshaw durch den Küchengarten nach dem Stall, wo sie Moriarty zu finden hoffte. Die Nachricht hatte sie erschreckt, obgleich sie sie kaum zu glauben vermochte. Susie Gallagher war keine Persönlichkeit, die überzeugend wirkte, mochte sie sich auch noch so bereitwillig dazu hergeben, eine Meldung zu hinterbringen. Moriarty würde aber den Wert der Mitteilung beurteilen können.
Er und Doolan waren auf dem Hof. Sie besserten das im vergangenen Sommer benutzte Fischereigerät aus, Tiefseeschnüre, Aalhaken und dergleichen, während Mrs. Driscoll, die Arme unter der Schürze verbergend, an dem zum Küchenrevier führenden Eingang stand und zusah. Sie verschwand schleunigst, als Miß Grimshaw erschien, und Moriarty lüftete seine Mütze.
Seit dem Gerichtsvollziehervorfall stand die Erzieherin sehr hoch in seiner Achtung – die Achtung, die ein Sportsmann für den andern empfindet.
»Moriarty,« sagte Miß Grimshaw, »ich möchte mit Ihnen sprechen.«
»Ja, Miß,« sagte Moriarty, indem er näher herankam.
»Ich habe soeben eine sehr ernste Nachricht erhalten, die die Pferde betrifft. Es ist besser, wenn ich in der Wohnstube mit Ihnen darüber rede. Kommen Sie dorthin.«
Sie ging ihm voran dem Hause zu.
Als sie im Wohnzimmer angelangt waren, schloß sie die Tür und erzählte ihm, was sie soeben gehört hatte.
»Der Teufel hole sie,« sagte Moriarty, der sehr bestürzt zu sein schien.
»Glauben Sie, daß die Geschichte wahr ist?«
»Jawoll, Miß, und es ist sehr schlimm, daß Mr. French nicht zu Hause ist.«
»Er kommt Donnerstag zurück.«
»Jawoll, Miß. Wenn sie man bloß bis Donnerstag an sich halten wollten. Ich will es mich freilich schon übernehmen, allein mit ihnen fertig zu werden, aber wenn die Schießerei losgeht, wär' es mich doch angenehmer, daß der gnäd'ge Herr dabei wäre.«
»Oh! Sie wollen doch nicht auf sie schießen?«
»Schießen, Miß! Meiner Treu, wenn ich sie bei ihre Schliche ertappe, schieße ich sie erst nieder und brate sie nachher. Heute is Montag – sind Sie sicher, Miß, daß sie Donnerstag sagte?«
»Ja.«
Moriarty sann nach.
»Es war doch der Schwarze Larry, Miß, von dem Sie sagten, daß er käme?«
»Ja.«
»Dann kommt er bestimmt allein. Der tut seine Arbeit immer für sich und is noch nie dabei abgefaßt.«
»Ist es ein gefährlicher Mensch?«
»Er is kein Mensch, Miß, er is ein Teufel. Sechs Fuß und zwei Zoll hoch und so schwarz wie 'n Schornsteinbesen. Er war hier as Jäger, und Mister French schmiß ihm 'raus wegen schlechte Führung und er hat geschworen, sich zu rächen.«
»Natürlich könnte ich an Mister French telegraphieren,« sagte Miß Grimshaw, »um ihn zurückzurufen; aber er ist wichtiger Geschäfte halber fortgereist und deshalb wäre es schade.«
»Das wäre es, Miß.«
»Ich habe keine Angst,« sagte sie, »und wenn Sie meinen, daß Sie bis Donnerstag die Verantwortung allein übernehmen können, so wird es besser sein, Mr. French nicht vorzeitig zurückzurufen. Ich werde ihm am Mittwoch telegraphieren, damit wir sicher sind, daß er Donnerstag kommt.«
»Jawoll, Miß,« erwiderte Moriarty, »das wird das Beste sein – und wenn der Schwarze Larry kömmt, ehe der Herr zurück is, dann soll er was erleben!«
Moriarty entfernte sich und Violet trat ans Fenster. Es regnete wieder. »Langdauernder Regen im uralten Land fiel schicksalsschwer, langsam hernieder.« Verhaerens Verse zogen ihr durch den Sinn, während sie auf den düstern Himmel hinausblickte; als sie hinsah, bogen sich die nackten Baumzweige, wie von unsichtbarer Hand bezwungen, seitwärts, ein Regenschauer verwischte alles jenseits einer gewissen Grenze der Landschaft, und der Wind, der sich plötzlich erhoben hatte, schüttelte die Fenster an der Westseite des Hauses, daß sie klapperten und rasselten.
Das junge Mädchen ging die Treppe hinauf in das Schulzimmer, wo Effie auf der Fensterbank kniete und sich der einförmigen Beschäftigung hingab, die Regentropfen an der Scheibe mit dem Finger zu verfolgen.