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Am frühen Morgen, als Jul mit seinen großen Stiefeln und Sporen durch den Hausgang rasselte, machte er die Thür des Lehrzimmers auf, denn so früh gab Fräulein Hanenwinkel keinen Unterricht, und doch hatte er schon längere Zeit laute Musikübungen von daher ertönen hören. Drinnen saß Lili am Klavier und Wili stand in großer Spannung daneben, so als müsse er den Augenblick erspähen, da er an die Reihe kommen könne.
»Was ist denn mit euch?« rief Jul hinein; »sollte dies der Anfang eines ungeheuerlichen Streiches sein?«
»Sei still, Jul, wir haben keine Zeit zu verlieren«, gab Lili ernsthaft zurück. Jul lachte auf und ging seiner Wege. Unten traf er auf Fräulein Hanenwinkel. »Was ist denn in die Zwillinge gefahren, Fräulein?« fragte er. »Sollten sie einen Versuch machen, tugendhaft zu werden?«
»Manchmal gelingt dies den Siebenjährigen besser, als den Siebzehnjährigen, Herr Jul«, war die kurze Antwort.
Lachend ging Jul weiter. Unter der Hausthür traf er mit der Mutter zusammen, welche die Morgenstunde benutzen wollte, um schnell einen Gang zum Arzt hinunter zu thun, um bei ihm selbst zu hören, wie es mit dem Arm der Dora stehe und was zu befürchten sei. Die ängstlichen Worte der Tante hatten auch ihre Besorgnis erweckt und sie wollte wissen, ob dem Mädchen wirklich etwas Schlimmes bevorstehen könnte.
»Höre ich nicht Klavier spielen, Jul?« fragte die Mutter, »das ist ja etwas ganz Ungewöhnliches um diese Zeit.«
»Liebe Mama, ich glaube die Welt geht unter«, versetzte Jul. »Oben sitzt Lili und stürzt sich von einer Fingerübung in die andere, als könnte sie den Hochgenuß nimmermehr genug bekommen, und daneben steht Wili in ähnlichem Thatendurst und brennt vor Verlangen, ihn zu löschen.«
»Merkwürdig ist die Sache«, bemerkte die Mutter, »denn noch gestern hat sich Fräulein Hanenwinkel bei mir beklagt, Lili habe keinen Eifer zum Spielen, nicht einmal zu den kleinen Stücken, und zu den Übungen sei sie gar nicht zu bringen.«
»Wie gesagt, Mama, ich befürchte, wir gehen dem Untergang entgegen«, schloß Jul, indem er sich von der Mutter verabschiedete.
»Vielleicht auch dem Aufgang«, meinte die Mutter dagegen und wandte sich, um den Hügel hinabzugehen.
Beim Doktor angekommen, konnte Frau Birkenfeld gleich bei ihm eintreten und ihre sorglichen Fragen vorbringen. Er sagte ihr, die Sache sei auf dem besten Weg zur Heilung, und als sie noch fragte, ob denn eine Steifheit des Armes wirklich könnte befürchtet werden, lachte der Doktor und sagte, davon sei gar keine Rede; aber so junges Volk dürfe schon ein wenig in der Sorge bleiben, sonst setze man etwa auf die erste Dummheit eine zweite und dann gehe es schlecht. Hier aber gehe es gut und in wenig Tagen werde alles vorüber sein.
Diese Nachricht erleichterte sehr das Herz der Frau Birkenfeld, denn die Besorgnisse der Tante Ninette hatten sie ängstlich gemacht, ob der armen Dora wirklich ein bleibender Schaden aus der unbesonnenen That ihrer Kinder erwachsen könnte.
Bevor Frau Birkenfeld heimkehrte, trat sie noch bei der Tante Ninette ein, um sie zu versichern, daß Dora bald gänzlich hergestellt sein werde, und sich über das Mädchen noch ein wenig mit der Tante zu besprechen. Da hörte sie nun zum erstenmal, daß Dora Hemden nähen müsse und daß die Tante triftige Gründe habe, sie recht zu der Arbeit anzuhalten.
Frau Birkenfeld hatte eine herzliche Theilnahme für Dora. Sie fand das Kind etwas zart, um so hinter einander zu arbeiten, und war sehr froh, daß doch noch einige Zeit für Dora zur Erholung blieb, bevor sie wieder nach Karlsruhe an die regelmäßige Arbeit zurückkehren müßte. Frau Birkenfeld bat auch die Tante Ninette sehr dringend, sie möchte dem Kinde, so lange es hier sei, doch die Arbeit an den Hemden erlassen; diese sollten von ihrer Nähterin gemacht werden und Dora derweilen mit ihren Kindern die frische Luft genießen und sich recht kräftigen.
Die besonnene, ruhige Art der Frau Birkenfeld hatte einen wohlthätigen Einfluß auf die Tante Ninette, so daß sie in alles eingehen konnte, was ihr Frau Birkenfeld vorschlug, ohne ein einziges Mal zu jammern; ja es kam ihr schließlich vor, als ob alles, was vorher einen so drohenden Anblick geboten hatte, mit einemmal sich völlig verändert habe und nun ganz freundlich aussehe. Tante Ninette fühlte sich so wohl und leicht, daß sie sich selbst ganz verwundern mußte darüber. Von ihrem Manne mußte sie auch noch mit großem Dank erzählen, wie wohl und behaglich er sich in seinem stillen, luftigen Sommerhaus fühle, so sehr, daß er bis in die Nacht hinein dort bleibe und kaum mehr sich davon trennen könne. Beim Abschied lud Frau Birkenfeld noch die Tante Ninette ein, auch öfter zu ihr in den Garten hinüberzukommen, um nicht so viel allein zu sein, und Tante Ninette fand den Vorschlag erfreulich, denn der große Lärm drüben war ihr jetzt ganz aus dem Sinn gekommen.
Dora hatte am heutigen Morgen kaum die Augen aufgeschlagen, als sie schon mit einem Sprung zum Bett hinaus war, denn die Freude, heute schon früh hinübergehen zu dürfen, hatte sie gleich ganz munter gemacht. Sie mußte freilich noch einige Zeit warten, bevor die Tante den Auszug erlaubte, denn die Leute zu überstürmen war nie die Art dieser Dame gewesen. Erst als Frau Birkenfeld eine gute Weile schon dagesessen hatte und nun nach Dora frug, wurde diese herbeigerufen und auf den Antrag der ersteren hin wurde dann Dora entlassen. Diesmal stand sie nirgends still, noch schaute sie scheu um sich; in wenigen Sprüngen war sie drüben im Hausgang, und sofort erscholl durch die offene Thür der Wohnstube ein vielseitiger Willkomm, und auf sie zu gerannt kamen Wili und Lili, der kleine Hunne und Paula, und mit Freudengeschrei wurde sie in die Stube eingeführt. Eben war auch Jul, von seinem Morgenritt zurückkehrend, eingetreten und hatte sich in seinen Lehnstuhl geworfen, seine gestiefelten Beine lang vor sich hinstreckend, so wie als Aufforderung, daß jemand die Arbeit des Stiefelausziehens übernehme. Augenblicklich lief Dora zu ihm hin und fragte ganz dienstfertig, ob sie das thun dürfe, wollte auch gleich Hand ans Werk legen. Aber nun zog Jul seine Füße eiligst zurück mit dem lauten Ausruf: »Nein, nein, Dora, keine Rede von so etwas, wo denkst du hin?« Dann sprang er von seinem Sitz auf und bot ihn sehr höflich der Dora an. Aber die Zwillinge zogen auf beiden Seiten an ihr und riefen unaufhörlich: »Komm mit uns! Dora, komm mit uns!« Von hinten hatte sich der Hunne an sie festgeklammert und schrie mächtig: »Komm mit mir! komm mit mir!« Und über ihn hin sagte Paula leise ins Ohr der Dora: »Gehe nur erst mit den Zwillingen, sonst hören sie nicht auf zu lärmen, ich finde dich schon nachher, und dann bleiben wir zusammen.«
»Dora«, sagte jetzt Jul, den drei Stürmern etwas wehrend, »halte du dich an mich, das ist für dich die einzige Gewähr, dir eine ruhige Existenz in diesem Hause zu verschaffen, denn sieh: hältst du dich zu Paula, so wirst du romantisch, kommst ein wenig in die Luft hinauf und verlierst den Appetit; hältst du dich zu Rolf, so wird dein ganzes Dasein ein großes, unaufhörliches Rätsel.«
»Das wird es auch sonst sein«, bemerkte Fräulein Hanenwinkel, die eben durchs Zimmer ging.
»Hältst du dich zu Fräulein Hanenwinkel«, fuhr Jul schnell fort, damit dieser noch der Genuß zuteil werde, seine Worte zu hören, »so schießest du ins Salz, im Gegensatz zu getrockneten Pflaumen, die in den Zucker schießen. Hältst du dich aber zu den Zwillingen, so wirst du zerrissen, und der Hunne bringt dich um das Gehör.«
Trotz der drohenden Gefahr ließ sich Dora nun doch von den drängenden Zwillingen mit fortreißen; der Hunne rannte nach.
Beim Klavier angelangt, stürzte sich Lili gleich in ihr Lied und spielte und spielte, und wenn sie einmal damit fertig war, sah sie schnell Dora an und diese nickte immer ganz entzückt und Lili fing wieder von vorn an. Und jetzt fing Dora auf einmal mit zu singen an, und Wili, der umsonst darauf wartete, auf dem Klavier mitwirken zu können, fiel auch ein, und sofort stimmte auch der Hunne an, so daß ein weithin schallender Chor ertönte:
»Freut euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht,
Pflücket die Rose,
Eh' sie verblüht.«
Durch ihren schönen Gesang wurden die Musiker selbst immer höher gestimmt und der mitwirkende Hunne zu ohrenzerreißenden Leistungen begeistert. Auf einmal drehte sich Lili auf ihrem Stuhl herum:
»Aber morgen, wart nur bis morgen, Dora, dann wirst du etwas erfahren«, rief sie aus mit Blicken, die vor Erwartung glühten, denn Lili hatte sich so tapfer geübt, daß sie sich im Recht fühlte, gleich ein halbes Dutzend neuer Lieder von Fräulein Hanenwinkel zu begehren.
Jetzt ertönte die Klingel als Ruf zur Unterrichtsstunde für die Zwillinge, was dem kleinen Hunnen neue Freude brachte, denn nun hatte er die Dora ganz für sich allein und bis zum Mittagstisch gab sie sich auch mit ihm ab, mit einer so großen Freundlichkeit und einer so warmen Teilnahme für die kunstvolle Thätigkeit seines Nußknackers, daß der Hunne den festen Entschluß faßte, die Dora nie mehr von der Hand zu lassen. Aber schon bald nach Tisch wurde sein Plan durchkreuzt. Paula war mit ihren französischen Studien und Aufgaben zu Ende und zog nun ganz still, doch mit dem Einverständnis der Mutter, Dora mit sich fort, und diese wünschte nichts Besseres, denn die beiden hatten sich so nahe und in so großer Liebe und Verständnis zusammengefunden, daß sie am liebsten den ganzen Tag und nachher die ganze Nacht zusammengesessen hätten, um sich gegenseitig alles, alles zu sagen, was sie dachten und wünschten und hofften und fürchteten, was sie alles schon erlebt hatten und was sie weiter noch zu erleben erwarteten. Beide hatten sie ganz dasselbe Gefühl: nie, nie könnten sie es genug bekommen, so zusammen zu sein, ein ganzes Leben lang nicht.
So vergaßen sie ganz und gar, daß die Zeit dahinging, und erst um sieben Uhr abends, als schon die ganze Gesellschaft zum Abendessen unter dem Apfelbaum versammelt war, kehrten die beiden zurück und ließen sich dann eilig auf ihren Plätzen nieder, denn der Papa hatte sich sehr merklich geräuspert, zum Zeichen, das etwas nicht ganz in der Ordnung sei. Rolf warf während des Essens von Zeit zu Zeit verständnisvolle Blicke zu Dora hinüber, die sagen wollten: »Jetzt gehn wir zwei los, denk daran!«
Als nach dem Essen alle noch in fröhlichem Gespräch zusammensaßen, hielt Rolf immer ein wachsames Auge auf das Firmament gerichtet, und so wie der erste Stern leise durch die Zweige des Apfelbaums zu schimmern begann, schoß er auf und lief zu Dora hinüber.
»Jetzt, Dora, jetzt sieh, sieh, dort oben!« Damit zog er sie mit sich und lief gleich mit ihr nach dem hintersten Winkel des Gartens, um sicher zu sein, daß nicht sofort wieder zwei oder drei seiner Geschwister ihre Ansprüche an die Dora erheben könnten. Hier, unter den abgelegenen Nußbäumen fühlte Rolf sich in Sicherheit. Er stellte sich nun am geeigneten Punkte fest auf und begann seinen Unterricht.
»Siehst du, Dora, dort sind deine fünfe; einer und dann zwei, dann wieder zwei; du siehst sie wohl?«
»O, ich kenne sie so gut, so gut!« versicherte Dora.
»Gut; dieses Sternbild heißt die Kassiopeia. Und nun weiter. Aber wart einmal, Dora, jetzt kommt mir ein Rätsel in den Sinn, das gehört auch in dieses Gebiet, das könntest du schnell auflösen, willst du?«
»Ich will schon gern, wenn ich kann; aber ich fürchte, deine Rätsel sind zu schwer für mich.«
»Nein, nein, paß nur gut auf, ich will dir's ganz langsam sagen:
›Mein erstes schmeckt besonders gut,
Wenn man's im Stalle trinken thut.
Die zweiten zieht man auf und ab,
Einmal im Schritt und einmal im Trab.
Jetzt guck nur zum Himmel, aber Nacht muß es sein,
Dann glänzt dir das Ganze in die Augen hinein.‹
Nun, hast du's etwa schon erraten?«
»O nein, Rolf, das kann ich gewiß nie erraten. Siehst du, ich bin ganz ungeschickt, das thut mir so leid; es ist ja so langweilig für dich, mit mir zu sein«, sagte Dora voller Bedauern.
»Nein, nein, gewiß nicht; und siehst du, Dora, es ist nur, weil du's noch nicht gewohnt bist«, tröstete Rolf. »Probier nur noch ein paarmal, dann kommst du hinein und es geht dir ganz leicht. Komm, ich sag' dir noch eines, ein leichteres:
›Mein erstes trinkt die Mama aus,
Wenn sie dürsten thut.
Mein zweites liegt vor dem Bauernhaus,
Doch riecht's nicht gut.
Die dritten sind ein Römerheld,
Wenn man ein C noch vorn dranstellt.
Das Ganze lebte in Griechenland
Und ist als großer Mann bekannt.‹«
»O, das kann ich nun gar nicht erraten; verliere nur nicht so viel Mühe an mich, Rolf, ich weiß ja gar nichts von Griechenland«, klagte Dora.
»So wart, vielleicht von einem anderen Lande weißt du etwas«, und bevor Dora das Gegenteil versichern konnte, hatte Rolf schon wieder mit lauter Stimme zu rentieren begonnen:
»Mein erstes ist der Sonne Strahl,
Mein zweites ist nur ein Vokal,
Mein drittes rufst du in Freud' und Qual.
Die letzten brauchst du beim Mittagsmahl.
Das Ganze saß auf einem Thron
Und war ein Kaiser – rat wovon.«
»Von Rom!« ertönte aus einmal eine tiefe Baßstimme aus dem dunkeln Hintergründe hervor. Die Kinder fuhren zusammen vor Schrecken. Aber gleich darauf lachte Dora lustig auf.
»Es ist Onkel Titus, der noch drinnen im Sommerhaus sitzt. Komm, Rolf, wir wollen hinein zu ihm.«
Rolf war sehr bereitwillig dazu. Drinnen saß Onkel Titus an die Wand gelehnt und sah sehr vergnüglich aus, als er die beiden eintreten sah.
Rolf erwiderte den freundlichen Gruß des Herrn Titus und frug dann gleich angelegentlich, ob er denn das Rätsel erraten habe.
»Es wird doch wohl der Kaiser Heliogabal sein, nicht, mein Sohn?« sagte Herr Titus, Rolf auf die Schultern klopfend.
»Ja, ja, der ist's«, bestätigte Rolf vergnügt. »Haben Sie etwa auch noch gleich die beiden anderen Rätsel erraten, Herr Ehrenreich?« forschte Rolf weiter.
»Das könnte auch sein, mein Sohn!« entgegnete Herr Titus. »Würde ich wohl irren, wenn ich behaupten wollte, das erste wäre die Milchstraße, das zweite Themistokles?«
»O, o! alles erraten!« rief Rolf hocherfreut. »So ist's herrlich Rätsel machen! Ich hätte auch noch eines und dann noch eines und dann eigentlich noch eines; dürfte ich Ihnen nicht gleich noch eines davon aufgeben, Herr Ehrenreich?«
»Doch, mein lieber Sohn, warum denn nicht?« antwortete Herr Titus in freundlichster Weise; »nur her damit, wir wollen sie zu lösen suchen alle drei.«
Voller Wonne musterte Rolf die Rätsel in seinem Gedächtnis. »So will ich zuerst das kleinste sagen und das leichteste«, erklärte er dann.
»›Die ersten stehen niemals still,
Das dritte rollt, wenn man's stoßen will.
Das Ganze sengte und brannte keck
Und war ein großer Völkerschreck.‹
Haben Sie's schon erraten?«
»Könnte sein, mein Sohn, könnte sein; nur weiter!«
Rolf fuhr fort:
»›Die ersten kommen mit der Nacht,
Das dritte fliegt durch die Luft mit Macht.
Das vierte blasen die Alpensennen,
Aufs Ganze wirst du so bald nicht rennen.‹
»Könnte sein; nur immer weiter!«
»Jetzt noch ein langes«, sagte Rolf einleitend:
»Mein erstes ist naß und wird befahren mit Schiffen,
Mein zweites ist trocken und wird als Fürwort begriffen.
Das dritte bedeutet ein großes Erstaunen;
Das vierte spricht englisch und wird genährt mit Kapaunen.
Das Ganze that Länder und Völker regieren
Und ging in den schwebenden Gärten spazieren.«
»So, mein Sohn, nun laß uns 'mal raten«, sagte Herr Titus mit vergnüglichem Lächeln. »Numero 1: Wallenstein, Numero 2: Finsteraarhorn, Numero 3: Semiramis.«
»Alles richtig! So geht es herrlich! So hab' ich mir's immer gewünscht, daß es mit meinen Rätseln ginge«, sagte Rolf mit großer Befriedigung. »Bis jetzt mußte ich immer die ungelösten Rätsel aufeinanderhäufen; jetzt sind sie alle aufgelöst und ich kann ganz frisch anfangen.«
»Ich mache dir einen Vorschlag, mein Sohn«, sagte jetzt Herr Titus, indem er sich von seinem Sitz erhob und zur Heimkehr rüstete. »Komm du jeden Abend hierher zu mir und bring mir die Früchte deines Nachdenkens. Wer weiß, ob ich dir nicht auch noch etwas zu raten geben werde!«
Zum Sternenstudium war es jetzt zu spät geworden, das mußte aufgeschoben werden.
In großer Freude über das folgenreiche Zusammentreffen lief Rolf mit Dora zum Haus zurück, wo sie längst erwartet waren, indessen Herr Titus in stillem Vergnügen über seinen neuen Freund der Wohnung zuschritt.
Schon immer hatte Herr Titus sich einen Sohn gewünscht, am liebsten gleich einen zwölfjährigen, der das große Geschrei hinter sich hätte und mit dem er gleich nach seinem Erscheinen sich in vernünftiger Weise über alle Dinge unterhalten könnte. Das war nun alles bei Rolf vorhanden; dazu kam noch Rolfs unverhehlte Freude am Dasein des Onkels Titus, und so hatte dieser eine wahrhaft väterliche Liebe für den Jungen gefaßt, die ihm sein zusammengelegtes Herz zu einem ganz neuen, wohligen Gefühl auseinandertrieb, so daß Herr Titus, unter dem leuchtenden Sternenhimmel dahinschreitend, mit einemmal zu singen anfing:
»Freut euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht«;
denn die Melodie lag ihm noch im Sinn, die heut' so laut erklungen hatte, daß sie bis zu seiner Klause durchgedrungen war, und die lustigen Töne mußten ansteckend gewirkt haben.
Oben am offenen Fenster stand die Tante Ninette, schaute hinaus und sagte mit Erstaunen vor sich hin: »Sollte das Herr Titus sein?«