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Nach Gandersheim zurückgekehrt, begann sogleich wieder das vergnügte und thätige Leben des vorigen Sommers. Eduard Grund stellte sich ebenfalls ein und widmete sich mit dem früheren Eifer sowohl seiner eigenen Ausbildung, als auch dem Unterrichte meiner Kinder. Ich selbst begann zuerst mit der Composition der bereits erwähnten zehnstimmigen Lokalmesse, die ich jedoch bald wieder auf einige Zeit unterbrechen mußte. Ich erhielt nämlich von meinem alten Freunde Hermstedt einen Brief, in welchem er mich, Namens der Badeverwaltung des Alexisbades im Harz, aufforderte, daselbst im Laufe der bevorstehenden Saison ein Concert zu geben. Zugleich erbot er sich, alles dazu Erforderliche im voraus zu besorgen, damit ich dort nicht länger als einige Tage zu verweilen brauchte. Auch bat er mich dringend, ihm ein neues Clarinett-Concert zu schreiben, und versprach, dasselbe, wenn er es früh genug erhalte, im Concerte zu Alexisbad zum erstenmale vorzutragen. Da ich gern für Hermstedt schrieb, der damals ohne Zweifel der vorzüglichste aller lebenden Clarinett-Virtuosen war, so ging ich auf den Vorschlag ein und machte mich sogleich an die Arbeit. Nach Absendung des neuen Concertes F-moll (des dritten für Clarinette) schrieb ich für mich und meine Frau auch noch einen Potpourri für Violine und Pianoforte concertirend, über zwei Themen aus dem »Opferfest«, später als Op. 86 gestochen, wozu ich eine frühere Composition für Clarinette mit Orchester-Begleitung, bearbeitete, die ich 1812 für Hermstedt zur Napoleonsfeier in Erfurt geschrieben hatte. Ich hielt sie für eine meiner gelungensten und wünschte daher, sie durch diese neue Ueberarbeitung allgemeiner zu verbreiten. Daß bei dieser Uebertragung von Clarinette und Orchester aus Violine und Pianoforte wesentliche Veränderungen stattfinden mußten und ich mich hauptsächlich nur an die Form und Modulationen der früheren Composition halten konnte, versteht sich von selbst. Als nun auch dieses Musikstück von uns in gewohnter Weise auf das Sorgfältigste eingeübt worden war, kam der verabredete Zeitpunkt zur Reise nach Alexisbad heran. Von dieser Ausflucht habe ich aber nur noch eine dunkele Erinnerung. Ich weiß weder, was wir in dem Concerte vortrugen, noch wie mir das neue Clarinett-Concert gefiel, und dies um so weniger, da ich dasselbe seit jener Zeit nicht wieder gehört habe, denn es ist in Hermstedt's alleinigem Besitze geblieben und niemals veröffentlicht worden. Um so deutlicher erinnere ich mich aber eines Naturereignisses, wodurch unser Concert, ähnlich wie jenes in London durch das Einwerfen der Fenster, gestört und auf einige Zeit unterbrochen wurde. Als nämlich eben mit der Musik begonnen werden sollte, brach ein Gewitter, welches schon seit Mittag gedrohet hatte, mit solcher Heftigkeit los, daß man vor dem Geprassel des Donners und dem Rauschen des in Strömen herabstürzenden Regens nichts von der Musik gehört haben würde. Das eng zusammengedrängte Auditorium mußte daher in dem überfüllten und zum Ersticken heißen Saale ruhig das Vorüberziehen des Unwetters abwarten, und das Concert konnte dann erst beginnen, nachdem zuvor die Luft im Saale durch Oeffnen der Thüren und Fenster erneuert worden war. Es endete daher erst beim völligen Einbrechen der Nacht. Dadurch wurde aber die Verwirrung und Verlegenheit erst recht groß; denn es fand sich, daß das sonst sehr bescheidene Flüßchen, welches das Thal von Alexisbad durchströmt, so angeschwollen war und die Wege dermaßen überschwemmt und verwüstet hatte, daß die zahlreichen Zuhörer aus der Umgegend in der finsteren Nacht unmöglich nach Haus zurückkehren konnten. Es eilte daher für's erste Alles in den Speisesaal, wo man sich aber für so viele Gäste nicht vorgesehen hatte. Während nun die Badegäste zuvor auf ihre Zimmer gingen, bemächtigten sich die Fremden der Plätze am Tische sowie der Speisen, und es blieb für jene, als sie zurückkehrten, nur das Nachsehen. Das gab dann natürlich viel böses Blut, und der Wirth hatte seine liebe Noth, die Leute zu beschwichtigen. Es fehlte nun für das Uebernachten aber auch an Zimmern und Betten und ein großer Theil der Fremden mußte sich wohl oder übel bequemen, auf einer Streu bunt durch einander Platz zu nehmen. Viele thaten es mit Lachen, Andere aber nur mit schwer unterdrückten Flüchen. Für den unbetheiligten Zuschauer war es eine höchst komische und amüsante Scene.
In demselben Sommer erhielt ich eine ähnliche Einladung nach Pyrmont, um dort Concert zu geben. Ich folgte ihr, begleitet von meiner Frau und meinem Schüler Eduard Grund, der das Orchester anführte und mir meine Solovorträge dadurch sehr erleichterte, daß er die Begleitung im voraus mit demselben einübte, wodurch er es allein möglich machte, daß ich eigene Compositionen vortragen konnte. Grund hatte sich überhaupt zu einem ganz ausgezeichneten Künstler herangebildet und begann nun mit vielem Erfolg Kunstreisen zu machen; in Folge derselben wurde er als Hofkapellmeister in Meiningen angestellt, woselbst er auch noch jetzt (1853), von seinem Fürsten und der Kapelle geachtet und geliebt, in einer für die Kunst fruchtbringenden Wirksamkeit lebt. Da durch seinen Abgang von Gandersheim im Herbste 1821 der Musikunterricht meiner Töchter ganz aufhörte, bei diesen sich aber Stimmen entwickelten, die einer weiteren, kunstgemäßen Ausbildung würdig schienen, so beschloß ich, mit meiner Familie nach Dresden zu ziehen, um den Kindern daselbst von einem damals berühmten Gesanglehrer Miksch Unterricht geben zu lassen. Bei Emilien hatte ich zwar den Gesangunterricht schon selbst begonnen, fand aber bald, daß es mir dazu an der nöthigen Ausdauer und Geduld fehlte und ich dadurch auch zu sehr von meinen Compositions-Arbeiten abgezogen wurde. Ueberdies beabsichtigte ich auch, sobald meine Familie in Dresden sich eingewohnt haben würde, allein einige kleinere Kunstreisen in die Umgegend zu machen. Ich schrieb also an meinen früheren Schüler, Moritz Hauptmann in Dresden, bat ihn, mit Herrn Miksch zu reden, und sobald dieser zusage, mir eine Wohnung zu miethen, worauf ich bald die Antwort erhielt, daß Alles meinen Wünschen gemäß besorgt sei.
Meine zehnstimmige Messe war unterdessen fertig geworden, und ich sehnte mich sehr, sie nun auch einmal zu hören. Da ich auf der Reise nach Dresden in Leipzig ein Concert zu geben beabsichtigte und deshalb daselbst einen längeren Aufenthalt machen mußte, so kam ich aus den Gedanken, sie von dem dasigen großen Gesangverein, dessen Direktor ich kannte, während meines Dortseins singen zu lassen. Ich fragte daher schriftlich bei ihm an, ob er geneigt sei, das Werk im voraus einzuüben und übersandte ihm, da die Antwort bejahend ausfiel, sogleich die Partitur, um die Stimmen ausschreiben zu lassen.
Der Abschied von Gandersheim war diesmal ein besonders trauriger, da auch die Kinder, an deren Gesellschaft sich die Großeltern nun so sehr gewöhnt hatten, mitschieden, und ich mußte daher versprechen, nächsten Sommer, wenn auch nur zu einem kurzen Besuche, wiederzukehren.
In Leipzig angekommen, war einer meiner ersten Wege zum Direktor des Gesangvereins, um mich nach meiner Messe zu erkundigen. Ich hörte aber nicht viel Tröstliches. Zwar hatten die Proben schon begonnen; man fand aber das Werk so enorm schwer und war damit so wenig in's Klare gekommen, daß der Direktor sich entschieden weigerte, sie mir zu hören zu geben. Erst auf mein dringendes Zureden wurde ein Versuch gemacht, der aber sehr schlecht ausfiel, und da ich nicht einmal annähernd die Wirkung hörte, die mir in der Begeisterung während der Arbeit vorgeschwebt hatte, so glaubte ich, ein völlig verfehltes Werk geschaffen zu haben. Nach nochmaligem Anhören entschloß ich mich indessen zu einigen Abänderungen, um die Ausführung zu erleichtern, und so wurde die Messe kurz darauf bei Peters als Op. 54 gestochen. Lange Zeit nachher, als ich sie beinahe vergessen hatte, wurden mir von der Berliner Singakademie unter Zelter's Leitung einige Sätze daraus vorgesungen. Diese waren so genau eingeübt, wurden so rein intonirt und machten daher in ihrer Vielstimmigkeit einen so imposanten Effekt, daß ich mich nun vollends von der Ausführbarkeit des Werkes überzeugte und Lust bekam, es auch einmal selbst mit meinem eigenen Gesangverein in Cassel einzustudiren. Auch dies gelang, da ich die Geduld nicht verlor und die Sänger unermüdlich waren, und es wurde die ganze Messe im November 1827 am Cäcilientage ohne Auslassungen aufgeführt. Die Erfahrungen, die ich bei diesem Einüben machte, lehrten mich jedoch, bei künftigen Chor-Compositionen ohne Begleitung die allzureichen Modulationen und schwierigen Accordfolgen zu vermeiden.
In Dresden wurden wir von Hauptmann in die für uns gemiethete Wohnung eingeführt, die freundlich und in einer ruhigen Gegend der Stadt gelegen war. Ich ließ den Gesangunterricht meiner beiden ältesten Mädchen bei Herrn Miksch sogleich beginnen und suchte dann meine früheren Bekannten unter den dortigen Künstlern und Kunstfreunden auf, vor Allen den Kapellmeister Carl Maria von Weber. Dieser empfing mich auf das Herzlichste und führte mich nach und nach in alle musikalischen Zirkel, wo ich nicht nur viel gute Musik zu hören bekam, sondern auch Gelegenheit fand, meine eigene Kammermusik zu hören zu geben. Da die mich begleitenden Musiker große Theilnahme für mein Quartettspiel zeigten, so veranlaßt« mich dies, mit ihrer Hülfe auch bei mir wöchentliche Quartettpartien zu veranstalten, zu welchen ich die eifrigsten Musikfreunde der Stadt einlud. In diesen führte ich, was mir in Paris nicht hatte gelingen wollen, alle meine bis dahin geschriebenen Quartetten und Quintetten der Reihe nach vor und da ich damit bald zu Ende kam und sie bei meinen Zuhörern großen Anklang gefunden hatten, so machte mir dies Lust, wieder neue zu schreiben. Ich vollendete auch in kurzer Zeit deren zwei (die beiden ersten von Op. 58) und gewann solches Interesse an dieser Arbeit, sowie an dem ganzen Kunstleben Dresdens, daß ich vor der Hand die beabsichtigten Kunstreisen aufgab und sie für die zweite Hälfte des Winters verschob.
Unterdessen hatte Carl Maria von Weber es nun auch in Dresden durchgesetzt, daß seine Oper: »Der Freischütz«, nachdem sie in Wien und Berlin so glänzende Erfolge erlebt hatte, einstudirt werden durfte, und es hatten die Zimmerproben bereits begonnen. Da ich das Compositionstalent Weber's bis dahin nicht sehr hoch hatte stellen können, so war ich begreiflicherweise nicht wenig gespannt, diese Oper kennen zu lernen, um zu ergründen, wodurch sie in den beiden Hauptstädten Deutschlands einen so enthusiastischen Beifall gefunden habe. Mein Interesse wurde noch durch den Umstand erhöht, daß ich mir denselben Stoff nach dem Appel'schen Gespensterbuche vor einigen Jahren in Frankfurt a. M. ebenfalls als Oper hatte bearbeiten lassen und die Composition derselben nur aufgab, weil ich zufällig erfuhr, daß Weber schon damit beschäftigt sei. Ich bat daher, den Proben beiwohnen zu dürfen, was mir auch willfährig gestattet wurde. Die nähere Bekanntschaft mit der Oper lös'te mir das Räthsel ihres ungeheueren Erfolges freilich nicht, es sei denn, daß ich ihn durch die Gabe Weber's, für die Fassungskraft des großen Haufens schreiben zu können, erklärt finden wollte. Da mir nun, wie ich sehr gut wußte, diese Gabe von der Natur versagt war, so ist es schwer zu erklären, wie mich demungeachtet eine unbezwingliche Lust anwandeln konnte, mich von neuem in einer dramatischen Composition zu versuchen. Aber es war so! Kaum zu Hause angelangt, suchte ich aus meinem Koffer eine halbvergessene Arbeit, die ich bereits in Paris begonnen hatte, hervor. An einem langweiligen Regentage, der in dem kothigen Paris jedes Ausgehen unmöglich macht, bat ich meine Wirthin um Lektüre. Sie brachte mir einen alten, schon ganz zerlesenen Roman: » La veuvo de Malabar.« Ich fand, daß der interessante Stoff desselben sich recht gut zu einer Oper eignen würde und erstand das Buch für wenige Sous, um damit einen Versuch machen zu können. Schon in Paris und auf der Rückreise dachte ich über die für die Composition günstigste Form der Oper nach und begann, nach Gandersheim zurückgelehrt, sogleich ein Scenarium zu entwerfen. In Stunden, wo ich mich nicht zur Composition der Messe aufgelegt fühlte, fuhr ich damit fort und hatte daher dasselbe um die Zeit, als ich mit meiner Familie nach Dresden zog, so gut wie vollendet. Jetzt überdachte und überarbeitete ich diesen Entwurf nochmals mit erneutem Eifer, bestimmte auf das Genaueste, was in jeder Scene geschehen sollte und suchte dann nach einem Dichter, der geneigt sei, nach diesem Schema die Oper zu schreiben. Ich fand ihn in Herrn Eduard Gehe, der bereitwillig auf meine Ideen einging. So entstand die Dichtung der Oper: »Jessonda«. Schon war ich im Begriff, die Komposition derselben zu beginnen, als ein Ereigniß eintrat, das mich für einige Zeit wieder davon abhielt.
Eines Morgens zu Anfang December trat nämlich Carl Maria von Weber zum Besuche bei mir ein und erzählte, er habe so eben einen Ruf nach Cassel als Kapellmeister an das dort neu errichtete Hoftheater erhalten, sei aber gesonnen, ihn abzulehnen, da er mit seiner jetzigen Stellung vollkommen zufrieden sei. Im Falle, daß ich mich aber um diese Stelle zu bewerben gedächte, wolle er in seiner Rückantwort auf mich aufmerksam machen und erwähnen, daß ich mich jetzt in Dresden aufhalte. Da ich unlängst von einem durch Gandersheim reisenden Mitgliede der Casseler Kapelle viel von der Pracht des dortigen Hoftheaters und der Kunstliebe des so eben zur Regierung gelangten Kurfürsten Wilhelm II. hatte erzählen hören, so durfte ich nicht zweifeln, dort einen bedeutenden und angenehmen Wirkungskreis zu finden. Ich nahm daher das Anerbieten Weber's dankbar an und erhielt in Folge davon auch schon vor Ablauf einer Woche von Herrn Feige, Generaldirektor des Casseler Hoftheaters, ein Schreiben, in welchem mir im Auftrage des Kurfürsten die Stelle als Hofkapellmeister angetragen und ich aufgefordert wurde, meine Bedingungen für die Annahme derselben mit umgehender Post einzusenden. Nachdem ich mich mit Weber und meiner Frau berathen hatte, forderte ich: 1) Anstellung durch Rescript auf Lebenszeit mit 2000 Thaler Gehalt; 2) einen alljährlichen Urlaub von 6-8 Wochen; und 3) die Zusicherung, daß mir die artistische Leitung der Oper ausschließlich übertragen werde. Sämmtliche Bedingungen wurden genehmigt, als Gegenbedingung aber verlangt, daß ich spätestens mit dem neuen Jahre meine Stelle antreten solle. So froh wir nun auch über die neue Anstellung waren, besonders Dorette, weil sie dadurch sicher gestellt war, ihre Kinder nicht mehr auf lange Zeit verlassen zu müssen, so war es uns doch gar nicht recht, den jetzigen Aufenthalt, wo Emilie und Ida besonders im Gesange sichtliche Fortschritte machten, sobald wieder verlassen zu sollen. Ueberdies hatten wir unsere Dresdener Wohnung bis Ostern gemiethet, und ein Umzug mitten im Winter war jedenfalls sehr unangenehm. Ich schlug daher vor, daß ich zum Antritte meiner Stelle nach Cassel reisen wolle, meine Frau mit den Kindern aber noch bis zum Frühjahr in Dresden verweilen möge. So schwer es dieser nun auch wurde, sich auf so lange Zeit von mir zu trennen, so mußte sie die Zweckmäßigkeit meines Vorschlages doch zugeben und ihn billigen. Ich traf daher, da Neujahr nicht mehr fern war, die Anstalten zu meiner Abreise und besprach mit Gehe den Inhalt des zweiten und dritten Aktes der Jessonda-Dichtung nochmals aufs Ausführlichste, während der erste, der bereits fertig, mit nach Cassel genommen wurde.
Unterdessen lief ein neuer, überraschender Antrag ein. Graf Salisch, mein alter Gönner in Gotha, schrieb mir nämlich, die Herzogin habe in Erfahrung gebracht, daß ich jetzt in Dresden privatisire und sie lasse daher bei mir anfragen, ob ich nicht geneigt sei, in mein altes Engagement, das durch Andreas Romberg's unlängst erfolgten Tod von neuem erledigt sei, wieder einzutreten? Auch werde man mir, fügte Graf Salisch hinzu, eine bedeutende Erhöhung meines früheren Gehaltes bewilligen können. – Hätte ich nicht bereits in Cassel zugesagt gehabt, so würde ich vielleicht, um meiner Frau durch die Rückkehr in ihre Vaterstadt die Freude der Wiedervereinigung mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern zu bereiten, diesen Antrag dem früheren vorgezogen haben. So war mir aber die Wahl erspart, und ich konnte dies als ein Glück betrachten, da mein Wirkungskreis in Gotha, im Vergleiche mit dem in Cassel, doch ein sehr unbedeutender gewesen sein würde. Auch wäre ich nach wenigen Jahren wieder heimathlos geworden, da der Herzog und auch sein Nachfolger Prinz Friedrich, der letzte Erbe, schnell nach einander starben, und das Land unter die übrigen sächsischen Herzogthümer getheilt wurde. Die Kapelle wurde dann pensionirt, und da ich die gänzliche Geschäftslosigkeit nicht hätte ertragen können, so wäre ich bald wieder weiter gewandert.
Der Abschied von Frau und Kindern, obwohl nur auf ein Vierteljahr, war doch ein sehr wehmüthiger. Dorette, die ganz in Thränen zerfloß, konnte ich nur dadurch einigermaßen trösten, daß ich ihr jede Woche Berichte über Alles, was ich beginnen werde, versprach. In Gotha, wo ich auf der Durchreise meine Schwiegermutter besuchte, wurde ich von dieser, den übrigen Verwandten meiner Frau und den Mitgliedern der Kapelle noch arg bestürmt, mich dort wieder niederzulassen. Auch die Herzogin, bei der ich einen Besuch machen mußte, da sie sich mir immer sehr wohlwollend und freundlich bewiesen hatte, versuchte noch das letzte Mittel, mich Cassel abspenstig zu machen, indem sie sich erbot, ihren Bruder, den Kurfürsten von Hessen, zu bewegen, mich von meiner Zusage zu entbinden. Da mir aber die Verhältnisse in Gotha, seit ich es verlassen und mich in der Welt umgesehen hatte, sehr kleinlich und beschränkt vorkamen, so widerstand ich allen Versuchungen und entzog mich ihnen durch beschleunigte Weiterreise.
Kaum in Cassel angelangt (Neujahr 1822), wurde ich zum Kurfürsten berufen, der mich höchst wohlwollend empfing und mir viel Schmeichelhaftes sagte. Unter Anderem sprach er die Hoffnung aus, seine Oper durch meine Mitwirkung zu einer ausgezeichnetsten Deutschlands gebracht zu sehen und forderte mich auf, deshalb geeignete Vorschläge zu machen, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Ich erbat mir dazu eine Frist von vierzehn Tagen, um erst die vorhandenen Kräfte genau kennen zu lernen. Nachdem ich nun einige Proben und Aufführungen mit angehört hatte, übernahm ich mein neues Amt mit der Direktion des Winter'schen »Opferfestes«. Da es dem bisherigen Musikdirektor Benzon, wie man allgemein hörte, so sehr an Autorität gefehlt hatte, daß sich die Sänger und das Orchester seinen Anordnungen ohne weiteres widersetzten, was auch seine Entlassung herbeiführte, so hielt ich es für nöthig, die Zügel sogleich etwas straffer anzuziehen. Ich nahm es deshalb bei den Proben zum »Opferfest« sehr genau, fand aber weder bei dem Gesang-Personale, noch bei dem Orchester den mindesten Widerspruch und konnte nun schon bei der ersten Oper, die ich dirigirte, ein besseres Ensemble, als man es bisher gewohnt gewesen war, erlangen. Dies wurde auch allgemein anerkannt und erwarb mir sogleich das Zutrauen des Kurfürsten, wie auch des sämmtlichen Theater-Personals. Da ich unter den Sängern schon einige ausgezeichnete vorfand, namentlich den ersten Tenor Gerstäcker und die erste Sängerin Demoiselle Dietrich, und erfuhr, daß Theaterdirektor Feige bereits mit mehreren anderen ausgezeichneten Künstlern in Unterhandlung stehe, so beschränkten sich die Vorschläge, die ich nun einreichte, vor der Hand nur auf Vermehrung und Verbesserung des Chor- und Orchester-Personals. Letzteres bestand zum Theil aus Civilmusikern, zum Theil aus Mitgliedern der Leibgarde-Musik, worunter sich sehr ausgezeichnete Künstler befanden. Der Kurfürst hatte diesen eben so, wie den Civilmusikern Rescripte auf Lebenszeit bewilligt, weshalb ich es nun nicht mehr durchsetzen konnte, daß das Orchester, um die Collision zwischen dem Militär- und Orchesterdienst zu vermeiden, aus lauter Civilmusikern zusammengesetzt werde. Wenigstens hoffte ich aber den Uebelstand zu beseitigen, daß die Militärmusiker in vollständiger Uniform erscheinen mußten, was mir beim ersten Besuch des Theaters so sehr aufgefallen war. Doch gelang mir auch dieses nicht, denn der Kurfürst erwiderte auf meine Vorstellung, »es sei gegen die Militär-Etikette, daß ein Soldat anders, als in voller Uniform vor ihm erscheine«, und als ich darauf entgegnete, die enge Uniform erschwere auch den Orchesterdienst und die hohen Epauletten machten es namentlich den Geigern ganz unmöglich, ihr Instrument so zu halten, wie es sein müsse, so verfügte er lieber, daß den Musikern eine besondere, bequeme Uniform ohne solche für den Orchesterdienst angefertigt wurde, als daß er von seiner Grille abgegangen wäre. Auch meinen hierauf weiter gemachten Vorschlag, den Civilmusikern nun dieselbe Orchesteruniform zu geben, verwarf er, und so blieb dies buntscheckige Orchester zum Erstaunen aller Fremden, bis im Jahr 1832 der jetzige Kurfürst als Mitregent die Regierung antrat.
Meine Anträge zur Vermehrung und Verbesserung des Orchesters wurden aber sämmtlich genehmigt und mir der Auftrag ertheilt, noch einige gute Geiger, so wie ausgezeichnete Solo-Bläser für die ersten Blas-Instrumente zu engagiren. Dadurch wurde mir Gelegenheit geboten, meinen Bruder Ferdinand, der nach seinem Abgange von Wien ein Engagement in der Berliner Kapelle gefunden hatte, wieder in meine Nähe zu ziehen. Ein Gleiches gelang mir auch mit meinem ehemaligen Schüler und Freund Hauptmann, und Beide wurden auf Lebenszeit rescribirt. Auch für die Blas-Instrumente fanden sich bald einige vortreffliche Künstler und so wurde das Orchester durch diesen Zuwachs und durch ein fleißiges Einüben eines der vorzüglichsten in Deutschland und ist es auch trotz allem Wechsel der Personen bis jetzt (1853) geblieben.
Doch zurück zum Jahr 1822. Mein Amtsantritt wurde vom Theaterpersonal durch eine solenne Festivität gefeiert, bei der die beiden Chefs der Theaterverwaltung, der Intendant, Polizeidirektor von Manger und der Generaldirektor Feige präsidirten. Ich wurde angesungen, angeredet und betoastet und gefiel mir ganz gut in einem Zirkel, wo man mir von allen Seiten mit so viel Freundlichkeit, ja selbst Herzlichkeit entgegenkam. Da der Kurfürst, der in den ersten Jahren seiner Regierung sehr freigebig war, den Herrn von Manger und Feige besondere Repräsentationskosten zur Bewirthung der einheimischen und durchreisenden Künstler ausgeworfen hatte, so gab dies Veranlassung zu glänzenden und interessanten Gesellschaften in beiden Häusern. Diese Zusammenkünfte wurden durch Geist und Witz belebt, und es herrschte da eine zwar ungebundene, aber anständige Fröhlichkeit. Ich besuchte sie daher anfangs gern; gegen die Zeit jedoch, wo ich meine Familie erwartete, zog ich mich mehr zurück, theils weil ich mir sagen mußte, daß meiner Frau diese Zirkel doch nicht ganz zusagen würden, theils weil ich durch häufigen geselligen Verkehr mit dem Sängerpersonal an meiner amtlichen Autorität einzubüßen fürchtete.
Gleich in den ersten Tagen nach meiner Ankunft in Cassel ließ ich mich auch der Frau Amfürstin und ihren Töchtern, den Prinzessinnen Karoline und Marie, vorstellen und wurde zu ihren Abendgesellschaften eingeladen. In einer derselben mußte ich einige meiner Quartetten vortragen, die ich zu dem Behufe mit den ausgezeichnetsten Mitgliedern der Hofkapelle, den Herren Wiele, Sologeiger, Barnbeck, Vorgeiger und Hasemann, erstem Violoncellisten (meinem früheren Quartettisten in Frankfurt, der unlängst nach Cassel berufen war) im voraus einübte. Diese Musikpartie, die viel von sich reden machte, war wahrscheinlich die Veranlassung, daß der Kurfürst, der von seiner Gemahlin getrennt, deren Abendzirkel nie besuchte, mir den Auftrag gab, ein Hofconcert zu veranstalten, um sich und der Gräfin Reichenbach ebenfalls Gelegenheit zu verschaffen, mich spielen zu hören. Dieses Concert, welches ich mit Allem, was das Sängerpersonal und die Kapelle an ausgezeichneten Talenten darbot, ausstattete, wurde im großen Saale des Palais vor einer glänzenden Gesellschaft (bei der freilich die Frau Kurfürstin fehlte, weil die Gräfin Reichenbach ihre Stelle vertrat) gegeben und machte, weil es das erste am neuen Hofe war, große Sensation. Es blieb aber doch für lange Zeit das einzige, weil der Kurfürst und die Gräfin sich für Concertmusik nur wenig interessirten.
Auf den Wunsch der Kapelle übernahm ich auch die Direktion der Concerte, die sie im neuen Stadtbausaale veranstaltet hatte, und trat selbst als Solospieler in einem derselben auf. Im ersten Jahre wurde deren Ertrag noch wie bisher unter die Mitglieder der Kapelle vertheilt, später aber auf meinen Vorschlag zu einer Witwen- und Unterstützungskasse für die Hinterlassenen verstorbener Mitglieder der Kapelle angesammelt und von einem Comité nach entworfenen Statuten verwaltet. Diese Unterstützungskasse, in die seit jener Zeit der Ertrag der in jedem Winter vom Hoforchester gegebenen Concerte und einer Oratoriums-Aufführung am Charfreitage stießt, besteht noch jetzt (1853) und hat im Laufe der Jahre manche Noth der Witwen und Waisen verstorbener Orchester-Mitglieder gemildert. Die Concerte werden aber schon seit vielen Jahren nicht mehr im Stadtbausaale, sondern im Hoftheater gegeben, und zwar, seitdem der vorige Kurfürst sich zum Protektor der Anstalt machte, welcher eben so wenig wie der jetzige sich entschließen konnte, ein Concert zu besuchen, welches anderswo als im Theater stattfindet.
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(Nach fünfjähriger Pause im April 1858 fortgesetzt.)
[Bei dieser im 75. Lebensjahr geschriebenen Fortsetzung konnte das Manuscript nicht mehr so wörtlich wie bisher abgedruckt werden, da hin und wieder, um zu große Ausführlichkeit zu verhüten, Weglassungen stattfinden mußten. Einzelne Lücken durften jedoch nur so weit ergänzt werden, als es durch Anführung von Spohr's eigenen Worten aus Briefen an abwesende Freunde thunlich war, – so daß gewissenhaft daran festgehalten werden konnte, nur ihn selbst ohne fremde Zusätze reden zu lassen, bis zu dem traurigen Zeitpunkt (Juni 1858), wo seine bis zum Jahre 1838 reichenden biographischen Aufzeichnungen überhaupt abbrechen.]
Bald nach meiner Ankunft in Cassel wurde ich zur Gräfin Hessenstein zu einer Musikpartie eingeladen. Dort traf ich viele Dilettanten der Stadt, die sämmtlich sangen, wenn auch in sehr schlechter Manier. Da indessen einige darunter mit guten Stimmen begabt waren, so brachte mich das auf die Idee, meine Wirksamkeit nach dieser Seite hin mit der Errichtung eines Gesangvereines zu beginnen. Ich knüpfte daher mit einigen der Sänger Bekanntschaft an, theilte ihnen meinen Plan mit und wir verabredeten gleich auf einen der folgenden Tage eine Zusammenkunft, um das Erforderliche weiter zu besprechen. In Folge hiervon wurden dann Statuten entworfen und schon am 22. März eine von mir, Herrn von Steuber und Herrn Sekretär Knyrim Unterzeichnete Aufforderung an die Dilettanten Cassels erlassen, sich an der von uns unter dem Namen »Cäcilien-Verein« zu stiftenden Gesellschaft zu betheiligen, um »nach dem Beispiele der meisten größeren Städte Deutschlands auch hier das schöne Ziel zu verfolgen, den ächten Sinn und richtigen Geschmack für edle und ernste Musik zu erwecken und zu pflegen.« Da das Unternehmen vielen Anklang fand, so konnte der Verein bald in's Leben treten. Er begann bei seiner Eröffnung zunächst mit Einübung des unvergleichlichen Ave verum von Mozart, woraus dann die Haydn'schen Danklieder, die erste Messe von Mozart und ein Salve regina von Hauptmann, eine hinreißend schöne Composition im ächten, frommen Kirchenstyle, folgten. Die Zahl der Mitglieder war inzwischen auf mehr als fünfzig angewachsen, und es wurden in den wöchentlichen Uebungen so erfreuliche Fortschritte gemacht, daß der Verein bereits im ersten Jahre seines Bestehens einigemale in der katholischen Kirche mit Begleitung der Orgel, während des Gottesdienstes, Messen von Hauptmann u. A. zur Ausführung bringen konnte.
Auch meine Wirksamkeit im Theater fing an sich zu erweiteren, nachdem ich das Personal und Orchester genauer kennen gelernt hatte. Das erste unter meiner Leitung ganz neu eingeübte Werk war die von mir in Frankfurt geschriebene Oper »Zemire und Azor«, welche am 24. März zuerst zur Aufführung kam. Eine junge, talentvolle Sängerin, Demoiselle Canzi, die gerade in Cassel gastirte, sang die Zemire, und Gerstäcker, der damals vielbewunderte erste Tenor unserer Bühne, den Azor. Da auch die übrigen Rollen der Oper gut besetzt waren, so konnte es nicht fehlen, daß sie hier eben so günstig, wie in Frankfurt aufgenommen wurde, weshalb sie nicht nur während der Anwesenheit der Canzi schon nach wenigen Tagen wiederholt, sondern auch von deren Nachfolgerin, Demoiselle Roland, sogleich einstudirt und im Laufe des Jahres noch mehrmals mit großem Beifalle gegeben wurde. Mehr noch, als der enthusiastische Beifall des Publikums erfreute mich aber der Umstand, daß die Oper mir selbst gefiel, der ich sie seit ein paar Jahren nicht gehört hatte und gegen meine älteren Sachen ein gar strenger Richter bin. Auch überzeugte ich mich nun immer mehr, daß diese, wie viele meiner Compositionen, nur recht genau und im Geiste des Werkes gegeben werden müsse, um auch dem Nichtkenner zu gefallen, daß meine Musik aber, bei nachlässiger Aufführung, leicht so verdorben werden kann, daß auch der Kenner an ihr irre wird.
Inzwischen war anfangs März 1822 auch meine Familie unter dem Schutze meines Bruders Ferdinand, der sie aus der Reise von Berlin hierher in Dresden abgeholt hatte, eingetroffen und wir bezogen zusammen die von mir gemiethete Wohnung in der Bellevue. Nun wieder im häuslichen Kreise begann ich auch sogleich die neue Oper »Jessonda« zu componiren und beendigte sie im December desselben Jahres. [In einem Brief an Speyer in Frankfurt vom 26. Januar 1823 heißt es hierüber: »Ich war in der letzten Zeit mit einer neuen Oper so eifrig beschäftigt, daß ich darüber alles Andere ein wenig vernachlässigt habe. Nun ist sie fertig, und ich bin recht froh, eine so bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn ich von dieser Oper mehr erwarte, als von den früheren, so stützt sich das auf meine vermehrte Erfahrung und auf die Begeisterung, mit der das wohlgerathene Buch mich fast bei jeder Nummer erfüllte. Um nie anders, als in Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen, habe ich mir bei dieser auch mehr Zeit, als bei allen früheren gegönnt.«] – Einige Nummern daraus, die Ouvertüre, eine Arie der Jessonda und das bekannte Duett zwischen Amazili und Radori wurden schon in demselben Winter in den Abonnements-Concerten aufgeführt und meine Tochter Emilie erntete dabei großen Beifall. Die ganze Oper wurde zum erstenmale aus unserem Theater zum Geburtstage des Kurfürsten am 28. Juli des folgenden Sommers gegeben und mit allgemeinem Beifall aufgenommen. [In einem Briefe vom 2. August 1823 heißt es weiter: »Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung der »Jessonda« etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß! Es ist hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Äußerungen des Beifalles angehört wird. Das sollte diesmal auch so sein. Aber schon vor Ende des ersten Aktes brach ein stürmischer Beifall los, und nun war die Etiquette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war vorzüglich. Gerstäcker, die Roland, Hauser ganz ausgezeichnet, die Braun wenigstens erträglich und besser, als in anderen Rollen. Chöre und Orchester, Scenerie, Tänze, Schaugefechte, Gewitter, Dekorationen, Kleider, Alles vortrefflich ... Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht, und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten sehr gefallen wird.«]
Aus den Zimmern unserer Wohnung in der Bellevue hatten wir eine sehr schöne Aussicht über die Aue hinüber in das durch die Leipziger Straße belebte Thal, und die Schönheit der Gegend veranlaßte uns zu häufigen Spaziergängen in die reizende Umgebung von Cassel. Auf diesen Gängen zogen uns hauptsächlich die vielen Gartenwohnungen an, die sich vor dem Wilhelmshöher, wie vor dem Cölnischen Thore befinden, und da es anfing, uns hier sehr zu gefallen, so stieg auch bald der Wunsch in uns auf, eine solche Gartenwohnung, wie wir sie in Gotha bereits in Miethe besessen hatten, nun als Eigenthum zu erwerben. Wenn daher auf den Spaziergängen eine solche unser besonderes Wohlgefallen erregte, so fragte ich wohl an, ob sie dem Besitzer nicht feil sei, wurde aber öfters abgewiesen, bis mir endlich ein kleines Landhaus vor dem Cölnischen Thore, dicht bei der Stadt und nicht fern vom Theater in einer sehr ruhigen, allenthalben von Gärten umringten Gegend zum Kauf angetragen wurde. Da der dafür geforderte Preis mein kleines, in der Handlung von Wilhelm Speyer in Frankfurt angelegtes Vermögen nicht überstieg, so schloß ich den Kauf sogleich ab, und wir bezogen noch im Herbste das neue Eigenthum und erfreuten uns gleich einer reichen Gemüse- und Obsternte. Das Einzige, was ich im neuen Hause vermißte, war ein geräumiges Musikzimmer. Ich ließ daher im ersten Stock eine Wand zwischen zwei Zimmern herausnehmen und gewann dadurch einen für eine Quartettpartie hinreichend großen Salon, der für eine günstige Akustik jedoch zu niedrig war, weshalb ich mir für die Zukunft vornahm, einen Anbau mit einem Musiksaal errichten zu lassen. Unsere schöne stille Gartenwohnung begeisterte mich zu neuen Compositionen, und so schrieb ich zuerst ein drittes Quartett zu den beiden schon in Dresden angefangenen, welche bei Peters in Leipzig als Op. 58 herausgekommen sind. Um dieses Quartett, sowie die früheren, zu hören zu geben, veranstaltete ich auch hier einen Quartettzirkel, wo abwechselnd bei einigen musikliebenden Familien wöchentlich drei Quartette producirt und die Abende mit einem frugalen Mahle beschlossen wurden. Anfangs bestand das Quartett aus mir, Herrn Wiele, dem Sologeiger und späteren Concertmeister unserer Hofkapelle, meinem Bruder Ferdinand, welcher die Viola übernahm und unserem trefflichen Violoncellisten Hasemann. Da aber nach und nach, wie im Orchester, so auch in diesem kleinen Kreise der Tod aufräumte, so mußten Andere an die Stelle treten und es bedurfte dann immer einiger Zeit, bis wir das alte gewohnte Ensemble wieder gewannen. Zuerst wurde im Jahre 1831 mein Bruder abgerufen, dann Wiele, zuletzt Hasemann, immer aber die Lücken aus neuen Mitgliedern unserer Hofkapelle wieder besetzt, so daß die Quartettpartien, welche jedoch nur während des Winters stattfanden, keinmal ganz aufhörten und ich selbst bis in die neueste Zeit (1888) in denselben jedesmal zwei Quartetten gespielt habe. Nachdem ich das dritte Quartett des 58. Werkes vollendet hatte, bekam ich Lust, eine Idee auszuführen, mit der ich mich schon lange getragen und von der mir, wenn ich nicht irre, Andreas Romberg, als wir das letztemal vor seinem Tode Quartett spielten, zuerst gesprochen hatte, nämlich die, mich in einem Doppelquartette zu versuchen. Der Umstand, daß Romberg sich Jahre lang mit dem Gedanken beschäftigte, ohne zu einem Versuche gekommen zu sein, reizte mich besonders, und ich stellte mir die Aufgabe, wie auch er sie aufgefaßt hatte, zwei Quartetten, neben einander sitzend, ein Musikstück ausführen zu lassen und das achtstimmige nur für die Hauptstellen der Komposition aufzusparen. Nach dieser Aufgabe schrieb ich also mein erstes Doppelquartett ( H-moll), begann das Thema des ersten Allegro mit beiden Quartetten unisono und forte, um es den Hörern recht einzuprägen, und führte es dann concertirend durch beide Quartetten abwechselnd durch. Unter den zum Quartettkränzchen gehörigen Familien besaß der Hofmarschall von der Malsburg das größte Lokal, weshalb ich wartete, bis an ihm die Reihe war, das Quartett zu halten, wo ich dann, unter Zuziehung der fähigsten meiner Schüler und eines zweiten Violoncellisten aus dem Orchester, das neue Doppelquartett unserem Zirkel zu hören gab. Ich hatte die Freude zu bemerken, daß seine Wirkung weit über die der einfachen Quartetten und Quintetten hinausreichte, und da diese neue Gattung von Kammermusik auch auswärts viel Anklang fand In dem Wiener allgemeinen Musikalischen Anzeiger vom 11. März. 1829 heißt es u. A. bei der Ankündigung des bei Peters als Op. 65 herausgekommenen Musikstückes: »Ueber das angezeigte Doppelquartett noch viele Worte zu vergeuden, da die allgemeine Stimme – vox populi, vox Dei! – sich diesfalls bereits unumwunden und unzweideutig aussprach, hieße Eulen nach Athen tragen.«, wie es die häufigen Aufführungen derselben beweisen, so erwartete ich nichts anderes, als daß die Componisten damaliger Zeit diese bald nachahmen und allgemein machen würden. Es ist dies aber ebensowenig der Fall gewesen, wie mit einigen anderen Erweiterungen der Kunstformen, die ich in späteren Jahren versucht habe, wie z. B. bei der Symphonie mit zwei Orchestern: »Irdisches und Göttliches im Menschenleben« ( Op. 121), bei der historischen Symphonie ( Op. 116) und der vierhändigen Clavier-Begleitung zu einigen Tenorliedern. Nur ein einziger junger Componist aus Lübeck, Namens Pape, der später im Theater-Orchester zu Bremen als Violoncellist angestellt ward, schickte mir einst ein Doppelquartett im Manuskripte zu. Er hatte viel Talent zur Composition, fand aber keine Gelegenheit, seine Sachen zu veröffentlichen und verkümmerte deshalb, wie so viele junge Deutsche, aus Mangel an Anerkennung. Auch dieses ist niemals herausgegeben worden, und so sind meine vier Doppelquartetten so wie auch die anderen oben genannten Werke von mir die einzigen ihrer Gattung geblieben. Ein Octett für Streich-Instrumente von Mendelssohn-Bartholdy gehört nämlich einer ganz anderen Kunstgattung an, in welcher die beiden Quartetten nicht doppelchörig mit einander concertiren und abwechseln, sondern alle acht Instrumente zusammenwirken. Diese Gattung, obwohl nicht so interessant, als die Doppelquartetten, ist auch nachgeahmt worden; denn der Violoncellist Schuberth in Petersburg hat ein solches bei seinem Bruder, dem Musik-Verleger in Hamburg, herausgegeben, und es ist auch bei uns in Cassel mehrmals mit Beifall zur Ausführung gekommen.
In dieser Zeit beschäftigten mich noch verschiedene andere Compositionen: zwei Potpourri über Themen aus »Jessonda« ( Op. 64 und 66, bei Peters in Leipzig), der eine für Geige, der andere für Geige und Violoncell, welche beide im Laufe des Winters in unseren Abonnements-Concerten von mir vorgetragenwurden. Ferner componirte ich eine Hymne an die h. Cäcilie, die von Fräulein von Calenberg zu der am 22. November veranstalteten Feier des Cäcilientages gedichtet war und aus Chören nebst einem brillanten Sopransolo bestand, welches meine älteste Tochter Emilie damals sehr gut vortrug Das Manuskript blieb lange Jahre ungedruckt und ist erst vor kurzem bei Luckhardt in Cassel als Op. 97 herausgekommen..
Zur Feier dieses Tages, welche unser Gesangverein in diesem Jahre zum erstenmale beging, versammelte sich eine Gesellschaft von etwa 120 Personen, meist Angehörige der Vereins-Mitglieder, in dem zu diesem Zwecke schön eingerichteten Oestreich'schen Saale, welcher mit dem lebensgroßen Bildnisse der h. Cäcilie ausgeschmückt war. Die Festlichkeit begann mit der an die Heilige gerichteten Hymne, worauf ein Mitglied eine geistreiche Rede über das Wesen der Kunst hielt und mir unter den schmeichelhaftesten Ausdrücken des Dankes und der Anerkennung ein werthvolles Geschenk des Vereines überreichte, bestehend aus zwei großen, bronzenen Leuchtern von dem später so berühmt gewordenen Bildhauer Henschel gefertigt, welche mit Scenen aus meinen drei hier gegebenen Opern verziert waren. Hierauf wurden ein Vaterunser von Feska, das Salve regina von Hauptmann und während des Abendessens einige Lieder für Männerstimmen gesungen. Im folgenden Jahre componirte Hauptmann zum Namenstage unserer Schutzheiligen eine ebenfalls von Fräulein von Calenberg gedichtete Hymne, und da sich diese, so wie meine Composition, stets des ungetheiltesten Beifalles zu erfreuen hatte, so wurden beide Musikstücke abwechselnd bei allen späteren, am Cäcilientage stattfindenden Aufführungen vorgetragen. Die bei diesen Gelegenheiten gesammelten freiwilligen Beiträge dienten nur zu wohlthätigen Zwecken, und die Feier des Tages wurde, wenn auch durch einzelne Störungen unterbrochen, doch bis in die neueste Zeit bald in engerer, bald in ausgedehnterer Weise begangen Der Cäcilientag, den Spohr so gern in musikalischer Feier zu begehen pflegte, erwies sich für ihn später sehr verhängnißvoll. Am 22. November 1834 ward seine geliebte erste Gattin zu Grabe getragen; – 1847, da das 25jährige Bestehen des Cäcilienvereines in lange vorbereiteter musikalischer Festlichkeit gefeiert werden sollte, traf plötzlich an demselben Nachmittag die Nachricht von dem in Hanau erfolgten Tode des Kurfürsten Wilhelm II. ein, und jede Feier mußte unterbleiben, jeder Ton verstummen; – 1857 am 22. November trat Spohr, nach erfolgter Pensionirung, zum letztenmal in seiner Funktion als Hofkapellmeister (indem er seine Oper »Jessonda« dirigirte) auf; – 1859 an demselben Tage und in denselben Räumen, ward vier Wochen nach Spohr's Hinscheiden, sein Andenken durch ein aus eignen Tonschöpfungen zusammengestelltes Concert gefeiert!.
Im folgenden Jahre (1824) erhielt ich eine Einladung vom Hofrath Küstner, der damals Direktor des Theaters in Leipzig war, meine Oper »Jessonda« auf dortiger Bühne in Scene zu setzen. [Ueber den günstigen Erfolg der am 9. Februar stattgehabten Aufführung daselbst berichtet ein Brief vom 14. Februar: »Beim Eintritt in's Orchester wurde ich mit allgemeinem Jubel begrüßt, die Ouvertüre wurde stürmisch und anhaltend da capo verlangt. Jede Nummer ward mit lebhaftem Beifall aufgenommen und noch vier derselben da capo verlangt, worunter auch ein Chor, der erste des zweiten Aktes. Den größten, wirklich wüthenden Enthusiasmus erregte das Duett zwischen Amazili und Radori. Schon nach dem ersten Akt erhob sich in einer Loge des ersten Ranges ein Sprecher und hielt eine Anrede an mich, in der er mich als einen wahren Meister deutscher Kunst bezeichnet und das Publikum aufforderte, mir ein dreimaliges Lebehoch zu bringen. Dies geschah mit Begleitung von Trompeten und Pauken in einem Tutti, daß ich glaubte, die Mauern würden einstürzen. Ein gleiches und » da capo Jessonda!« ertönte am Schlusse der Oper. Hofrath Küstner überschickte mir am Tage nach der Aufführung das Doppelte des bedungenen Honorars, und als ich bei der Abreise im Wirthshause die Rechnung bezahlen wollte, war sie schon berichtigt ... Peters, der Verleger des Clavier-Auszuges, erklärte mir auch, daß das von mir bestimmte Honorar nach dem Erfolge der Oper zu gering angesetzt sei, und daß ich ihm erlauben möge, nun selbst eines dafür zu bestimmen.«] Am 14. Juni desselben Jahres wurde darauf die Oper zuerst in Frankfurt und dann bald auf allen bedeutenden Bühnen Deutschlands aufgeführt.
Einige Zeit nachher erhielt ich vom Kurfürsten den Auftrag, für die Vermählungsfeier seiner Tochter, der Prinzessin Marie, mit dem Herzoge von Sachsen-Meiningen, welche im Frühjahre 1825 stattfinden sollte, eine neue Oper zu schreiben. Der schon in Wien mit Theodor Körner besprochene Plan, das Musäus'sche Mährchen »Rübezahl« als Oper für mich einzurichten, tauchte nun wieder in mir auf, und ich wandte mich daher an Herrn Eduard Gehe in Dresden, der das Buch zur »Jessonda« so ganz zu meiner Zufriedenheit geschrieben hatte. Da ich ihm aber kein genaues Scenarium für die Oper einsenden konnte, weil ich über die Bearbeitung des Stoffes mit mir selbst noch nicht einig war, so hatte ihn seine Phantasie im Stiche gelassen, und er schickte mir eine Dichtung, die mir gar nicht zusagte und zu deren Composition ich mich durchaus nicht aufgelegt fühlte. Ich erinnerte mich nun meines ehemaligen Paukers im Frankfurter Orchester, des schon früher erwähnten Georg Döring, welcher zugleich Literat war und sich seit jener Zeit durch einige gelungene Romane bekannt gemacht hatte. An diesen wandte ich mich jetzt und theilte ihm meine Ansichten wegen Bearbeitung des »Rübezahl« mit, wobei ich insbesondere erwähnte, daß ich bei einer großen Oper, wie diese werden sollte, den Reim für unnöthig erachtete. In Gehe's »Rübezahl« kam nämlich viel Seichtes und Ungehöriges vor, das mir als eine Folge des Zwanges erschien, den der Reim dem Dichter auferlegt hatte und dieser ward daher auch von Döring auf meine Bemerkung hin durchgängig vermieden. Wiewohl das vielfältig getadelt worden, so bin ich doch der Meinung, daß der Mangel des Reimes in meiner Oper »Der Berggeist«, wenn sie nicht allen Ansprüchen genügt, am wenigsten die Schuld daran trägt. Obgleich mir nun das Döring'sche Buch auch nicht ganz zusagen wollte, so war doch keine Zeit zu verlieren, um so weniger, da dies nicht die einzige Arbeit war, die mir der Kurfürst zur Vermählungsfeier aufgetragen hatte. Ich sollte nämlich auch einen Festmarsch mit eingemischter Melodie des alten, deutschen Liedes: »Und als der Großvater die Großmutter nahm« schreiben, sowie einen Fackeltanz für dreiundfünfzig Trompeten und zwei Paar Pauken (so viel besaß nämlich die kurhessische Armee in ihren sämmtlichen Musikchören) und da ich zu demselben, der Modulation wegen, verschiedene Stimmungen der Trompeten nehmen mußte, die Trompeter bei der Regimentsmusik aber in der Regel nicht sehr musikalisch sind, so lag es mir auch ob, ihnen diesen Fackeltanz zuvor einzuüben. Am Schlusse des Jahres war ich jedoch mit all' diesen Compositionen fertig und konnte nun an das Einstudiren des »Berggeist« gehen. Mit unserem ersten Tenor, Gerstäcker, der schon seit längerer Zeit gekränkelt, hatte es inzwischen eine so traurige Wendung genommen, daß an Singen seinerseits nicht zu denken war und wir nun für die Oper keinen Tenor besaßen. Der Kurfürst befahl daher, einen fremden Sänger zu Gastrollen einzuladen, und es gelang auch, den Tenoristen Cornet in Hamburg, der damals sehr gerühmt wurde, nebst seiner Verlobten, Demoiselle Kiel aus Sondershausen, welche die erste Sopranpartie in der neuen Oper übernahm, auf mehrwöchentliches Gastspiel zu engagiren. Kaum hatte ich indessen mit dem einstweiligen Einüben des einheimischen Personales begonnen, so bekam ich von Spontini eine für mich sehr überraschende Einladung nach Berlin zu der auf den 4. Februar festgesetzten ersten Aufführung der »Jessonda«, die ich selbst dirigiren und dazu die zwei letzten Generalproben halten sollte. Spontini, der oft in Berliner Blättern den Vorwurf hatte hören müssen, daß er nur seine Opern gäbe und andere werthvolle Werke von der dortigen Bühne fern hielt, mochte, um diese Anklage am eklatantesten zu widerlegen, auf die Idee gekommen sein, den Componisten der »Jessonda« einzuladen. Doch schien es ihm in der That nicht sehr darum zu thun, die Aufführung der Oper zu befördern; denn als ich nach erlangtem Urlaube sogleich meine Reise nach Berlin angetreten und Spontini aufgesucht hatte, empfing er mich zwar sehr freundlich, jedoch erfuhr ich, daß noch nicht einmal die Zimmerproben begonnen und er die Einladung an mich ohne Vorwissen des Hoftheater-Intendanten, Grafen Brühl, hatte ergehen lassen. Die Empfindlichkeit desselben über solche Vernachlässigung suchte ich nun erst zu besänftigen und verabredete sodann, um nicht unverrichteter Sache wieder heimkehren zu müssen, mit ihm das Weitere zur Beschleunigung der Aufführung. In den nunmehr stattfindenden Zimmerproben wurde mir die Freude zu sehen, daß die Hauptpartien in guten Händen waren: Bader und Blume als Radori und Tristan, sowie die Damen Schulze und Seidler als Jessonda und Amazili, waren treffliche Sänger; auch die Partie des Dandau war durch Herrn Krause gut besetzt, und Lopez, der anfangs einem Komiker zugetheilt worden, wodurch der Ernst der Oper beeinträchtigt wurde, übernahm der Baritonist Devrient, nachdem ich mich dazu verstanden, einige Abänderungen in den Recitativen zu machen. So konnte die Oper bald auf's Repertoir gesetzt werden, als plötzlich Bader erkrankte und nach seiner Wiederherstellung Frau Seidler durch Heiserkeit Störung veranlaßte. Da mein Urlaub zu Ende ging, so bat ich um Verlängerung desselben. Der Kurfürst hatte sich jedoch über die mir von Seiten Spontini's und der Berliner Intendanz in den Weg gelegten Hindernisse gekränkt gefühlt und bewilligte daher nur noch einige Tage, nach deren Verlauf ich abreisen sollte, die Oper möge zu Stande kommen oder nicht. Zum Glück war es mit Frau Seidler besser geworden; ich konnte nun die erste Aufführung der »Jessonda« in Berlin selbst dirigiren und von deren überaus günstiger Aufnahme Zeuge sein. Gleich darauf reis'te ich ab und fuhr drei Nächte hindurch, um die in Cassel versäumte Zeit wieder einzuholen.
Das Sängerpaar aus Hamburg war unterdessen eingetroffen und hatte bereits mit großem Beifalle gastirt; ich konnte daher die Theaterproben zum »Berggeist« sogleich beginnen. Inzwischen erhielt ich vom Kurfürsten aber noch den Auftrag, zu dem der Festoper vorangehenden Prolog Chöre zu arrangiren, in welchen Thüringer Volksmelodien angebracht werden sollten. Ich wandte mich deshalb an meinen Schüler, Kapellmeister Grund in Meiningen, wegen Herbeischaffung der gewünschten Melodien, welche ich dann, so gut es gehen wollte, bei der Arbeit benutzte.
Am 23. März 1825 fand nun die Vermählung im Bellevüeschlosse statt. Beim Zuge der Neuvermählten und deren Gefolge aus dem Speisesaal in den weißen Saal spielte die Kapelle meinen Marsch, der sich sehr festlich und an der Stelle, wo das Großvaterlied eingewoben ist, auch recht lieblich machte. Der Kurfürst und der Herzog, welcher freilich musikalischer, als sein Schwiegervater war, sagten mir Beide viel Artiges über den Festmarsch, der auf ihr Geheiß wiederholt werden mußte. Der Empfang des Brautpaares bei der Festvorstellung am anderen Abend im Theater war ein sehr glänzender und lärmender; denn ich ließ die dreiundfünfzig Trompeten und zwei Paar Pauken, die ich auf der Gallerie aufgestellt hatte, mit in den Tusch und das Vivatrufen des Publikums hineinschmettern! Dem vom Hofrath Niemeyer verfaßten Festprologe folgte dann meine neue Oper »Der Berggeist«, die zwar von dem gedrängt vollen und festlich erleuchteten Hause mit eben dem lärmenden Beifalle wie »Jessonda« aufgenommen wurde, aber mich selbst weder so befriedigte, noch sich auch so schnell auf anderen Bühnen verbreitete, wie jene. Der Kurfürst, der mit allem, was ich bei dieser Veranlassung geschrieben hatte, sehr zufrieden war, ließ mich am anderen Tage zu sich rufen, dankte mir und beschenkte mich mit einer sehr schönen, goldenen Dose, auf welcher, für einen Musiker wohl etwas unpassend, eine von Husaren ausgeführte Reiterscene sehr kunstreich ciselirt und unter Glas gefaßt ist. Sie war aber, was das Beste dabei, mit Friedrichsd'oren angefüllt und daher eine reiche, fürstliche Gabe.
Wenige Monate nachher ließ Hofrath Küstner in Leipzig meine neue Oper kommen, und im September kam die erste Aufführung derselben auf dortiger Bühne zu Stande. [Es heißt in einem Briefe vom 18. September darüber: »Vorgestern ist »Der Berggeist« hier mit dem allergrößten Erfolge vom Stapel gelaufen. ... Die Aufführung war so glänzend, wie man nie dergleichen vorher in Leipzig erlebt hat, und einige Dekorationen waren so schön, daß ich noch nie in meinem Leben etwas Aehnliches gesehen habe. Der Dekorationsmaler Gropius ist auf dem Wege, der erste der Welt zu werden; ich habe weder in Italien, noch in Paris oder London etwas so Zauberisches gefunden, wie die Schluß-Dekoration des zweiten Aktes. ... Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch erlebt habe ... Die Aufführung war sehr gelungen zu nennen. Außer einem Fehler in der Ouvertüre und einem widerspenstigen Felsen, der nicht aus der Erde herauswollte, passirte nichts Fehlerhaftes. Auf dem Theater war fast Alles besser, als in Cassel, besonders der Berggeist ( Köckert) und Oscar ( Vetter) ... Das Orchester, obgleich es dem unserigen weit nachsteht, leistete doch Außergewöhnliches.«]
Im Sommer 1825 kam ein liebenswürdiger junger Mann, Friedrich Curschmann aus Berlin, in der Absicht nach Cassel, sich unter meiner Leitung zum Musiker auszubilden. In Göttingen hatte er zwar schon seine juristischen Studien begonnen, gedachte dieselben jedoch aufzugeben und versuchte sich bereits mit Glück in allerlei Compositionen, besonders Liedern, die er mit einer wohlklingenden Baritonstimme vortrug und sich dadurch in unsere musikalischen Kreise einführte. Da seine Vorbildung in der Musik noch mangelhaft war, so rieth ich ihm, sich zunächst an Hauptmann zu wenden, der auf meinen Wunsch übernommen hatte, meine Violinschüler in der Theorie der Musik zu unterrichten und vorzügliches Geschick dazu entwickelte. Auch unserem Cäcilien-Vereine trat Curschmann sogleich bei und wurde ein sehr nützliches Mitglied desselben, da er nicht nur die Baßsoli sehr gut vom Blatte sang, sondern auch öfters die Clavier-Begleitung übernahm und darin das Amt eines Bibliothekars mit vielem Eifer bekleidete. In Gemeinschaft mit einigen der besten unserer Dilettanten stiftete er daneben ein Opernkränzchen, in welchem gar manche seiner nachher so beliebt gewordenen Compositionen und Bruchstücke aus seiner später auf dem hiesigen Theater zur Aufführung gebrachten kleinen Oper »Die Todten oder Abdul und Erinnieh« zuerst zur Ausführung kamen. So belebte er in mannigfacher Weise das Kunsttreiben unserer Stadt und wurde bald der Liebling der musikalischen Welt.
In demselben Jahre hatte mir Hofrath Rochlitz, der Redakteur der Leipziger Musikzeitung, einen Oratorientext: »Die letzten Dinge« zur Composition angetragen, den ich mit Freuden annahm, weil ich mit meinem früheren Versuch in dieser Kunstgattung, dem in Erfurt aufgeführten Oratorium: »Das jüngste Gericht«, durchaus nicht mehr zufrieden war und daher nicht einmal einzelne Nummern daraus in unserem Verein aufführen mochte. Ich begann nun mit neuen Studien des Contrapunktes und des Kirchenstyles und machte mich mit großem Eifer an die Composition, wobei ich den Vorschlägen des Dichters folgte, welche er mir bei Uebersendung des Textes über die Auffassung desselben gemacht hatte und die ich sehr bewährt und fördernd fand. So wurde der erste Theil des Oratoriums bald fertig, und ich konnte ihn bereits Ende November mit dem Gesangverein in einem Concerte zum Besten der in Seesen kürzlich Abgebrannten, freilich nur mit Clavier-Begleitung, aufführen. Mit Freuden bemerkte ich dabei, daß er einen tiefen Eindruck sowohl auf die Mitwirkenden, als auf alle Zuhörer machte, und diese Wahrnehmung war für mich um so mehr von Wichtigkeit, als sie mir die Ueberzeugung gab, den rechten Styl für dieses Werk gefunden zu haben. Insbesondere hatte ich mich bemüht, recht einfach, fromm und wahr im Ausdrucke zu sein und alle Künsteleien, alles Schwülstige und Schwierige sorgfältig zu vermeiden. Mit erneueter Arbeitslust ging ich nun an den zweiten Theil, so daß das ganze Werk bis zum folgenden Charfreitage (1826) beendet und dann in der lutherischen Kirche zuerst vollständig aufgeführt wurde. [In einem Briefe vom 26. März 1826 heißt es darüber: »Der gestrige Tag war für die hiesigen Musikfreunde ein sehr festlicher; denn eine so solenne Musik-Aufführung, wie die meines Oratoriums, hat in Cassel noch nicht stattgehabt. Sie war Abends bei beleuchteter Kirche. Mein Schwiegersohn Wolff, der lange in Rom war, machte den Vorschlag, die Kirche wie in Rom am Charfreitage, durch Kreuzbeleuchtung zu erhellen und führte auch diese Idee aus. Ein vierzehn Fuß langes, mit Silberfolie überklebtes und mit 600 Glaslampen behängtes Kreuz, schwebte in der Mitte der Kirche und verbreitete ein so helles Licht, daß man allenthalben die Textbücher lesen konnte. Das Orchester- und Sängerpersonal, beinahe 200 Personen stark, war auf der oberen Emporkirche terrassenförmig aufgestellt und für die Zuhörer größtentheils unsichtbar. Das aus etwa 2000 Personen bestehende Auditorium beobachtete eine feierliche Stille. Meine beiden Töchter, die Sänger Wild, Albert und Föppel und noch ein Dilettant, sangen die Soli, und die Aufführung war fehlerlos. Die Wirkung war, wie ich mir selbst sagen mußte, außerordentlich. Nie hatte ich früher bei Aufführung eines meiner größeren Werke diese Genugthuung gehabt! Immer mußte ich nachher entweder Mangelhaftes der Ausführung, oder verfehlten Effekt, oder etwas Anderes beklagen. Diesmal war das ganz anders. Das Werk ist auch einfach und leicht und doch nicht weniger reichhaltig, als die anderen.«] – Der tiefe Eindruck, den das Oratorium sichtlich auf das Publikum hervorbrachte, mochte durch die feierliche Kreuzbeleuchtung, die mit der Charfreitagsstimmung sehr harmonirte, noch erhöht worden sein. Nur der Kurfürst war mit der Wahl der lutherischen Kirche und ihrer »katholischen Beleuchtung«, wie er das Kreuz nannte, nicht zufrieden und befahl der Kapelle, ihre künftigen Charfreitags-Concerte in der Hof- und Garnisonskirche mit Beleuchtung von Kronleuchtern, welche uns aus der kurfürstlichen Lichtkämmerei geliehen werden sollten, zu geben.
Kurz nachher erhielt ich von meinem Londoner Freunde Ferdinand Ries, der, nach Deutschland zurückgekehrt, damals in der Gegend von Godesberg am Rhein wohnte, die Einladung, mein neues Oratorium bei dem rheinischen Musikfeste in Düsseldorf, dessen Arrangement ihm von dem Comité des Festes aufgetragen war, selbst zu dirigiren. Obgleich nun die rheinischen Musikfeste auf Pfingsten, also zu einer Zeit stattfanden, wo unsere Theaterferien noch nicht begonnen hatten und ich dazu eines ausdrücklichen Urlaubes bedurfte, so gelang es mir doch, denselben sogleich zu erhalten, da der damalige Kurfürst sich geschmeichelt fühlte, wenn sein Kapellmeister zu auswärtigen bedeutenden Musik-Aufführungen eingeladen wurde und sich dabei Ehre und Ruhm erwarb.
Während ich mich nun rüstete, mit meiner ganzen Familie, Ida ausgenommen, die sich inzwischen mit Professor Wolff verheirathet hatte, die Reise anzutreten, war indeß von vier der eifrigsten hiesigen Musikfreunde, Herrn Curschmann, Referendar Karl Pfeiffer, Frau von der Malsburg und deren Freundin, Fräulein von Heister, beschlossen, uns zu begleiten und zwar so wie wir mit Extrapost zu reisen, um immer Mittags und Nachts an denselben Orten einkehren zu können. Vom schönsten Wetter begünstigt, traten wir am 9. Mai 1826 unsere Reise an, und da die Wagen immer beisammen blieben, wir in ihnen die Plätze zuweilen vertauschten und auch unsere Mahlzeiten stets gemeinschaftlich hielten, so brach die fröhliche und geistreiche Unterhaltung gar nicht ab, und ich erinnere mich nicht, jemals eine fröhlichere Fahrt gemacht zu haben.
Am dritten Tage wurden wir eine Stunde vor Düsseldorf vom Fest-Comité und der Familie des Regierungsrath von Sybel, bei welcher ich mit meinen Angehörigen logiren sollte, feierlichst eingeholt und, kaum in Düsseldorf angekommen, vom Gesangvereine mit einem Ständchen bewillkommnet. In der am folgenden Morgen stattfindenden, ersten allgemeinen Probe hatte ich die Freude, zu bemerken, daß mein Oratorium von den verschiedenen Vereinen mit Genauigkeit und Sorgfalt eingeübt war und mit Begeisterung für das Werk gesungen wurde. Nicht so zufrieden konnte ich mit dem Orchester sein, das aus vielen Orten zusammen gekommen war und worin selbst Dilettanten, u. A. mein Freund Thomae aus Cleve bei den Blas-Instrumenten, mitwirkten. Es war daher eine schwierige Aufgabe, alle Instrumente in gleiche Stimmung zu bringen und konnte nur durch Geduld und öfteres Wiederholen durchgesetzt werden. Am Nachmittage desselben Tages war die Probe zur zweiten Aufführung, welche Ries dirigirte. Es wurde darin eine neue Symphonie von Ries (Manuskript D-dur), Sanctus und Credo aus einer Messe von Friedrich Schneider, die Jubel-Ouvertüre von Carl Maria von Weber und endlich eine Auswahl der schönsten Nummern aus Händel's »Messias« gegeben. Die Sopranpartie in den Gesangsachen mußte, weil die Solosängerin, Demoiselle Reinigen aus Crefeld, plötzlich krank geworden, meine Tochter Emilie noch mitübernehmen. Sie studirte nun so fleißig daran, daß sie schon bei der ersten Probe sich ganz gut aus der Sache zog und durch ihr Eintreten jede Störung des Festes vermieden wurde. Um so mehr Noth hatte Ries bei seiner Symphonie mit den Blas-Instrumenten. Er entwickelte dabei aber eine auffallende Geduld und ging sehr schonend mit ihrer dilettantischen Ungeschicklichkeit um. Am folgenden Tage waren noch zwei Proben zu den am ersten und zweiten Pfingsttage (14. und 15. Mai) stattfindenden Aufführungen, die denn auch nach so sorgfältigem Probiren ohne alle Fehler vorübergingen. Namentlich wurde mein Oratorium von den Ausübenden und den Zuhörern mit solcher Begeisterung aufgenommen, daß schon am Abende des ersten Tages die Rede davon war, das Musikfest zu verlängern, um »Die letzten Dinge« zum Besten der Griechen noch einmal zu wiederholen. Dies wurde am Tage der zweiten Aufführung bekannt gemacht, und die meisten anwesenden Fremden blieben, um der Wiederholung beizuwohnen. So wurde meinem Werke die Ehre einer zweiten Aufführung zu Theil, worauf ich wohl stolz sein darf, da dieses später, so viel ich weiß, nie wieder mit einem bei den rheinischen Musikfesten gegebenen Werke der Fall war. Auch in den musikalischen Zeitungen erschienen sehr günstige Berichte über mein Oratorium, und ich beeilte mich daher, es im Clavier-Auszuge herauszugeben. Die in meinem Verlag erschienene Ausgabe war aber bald vergriffen und es wurde deshalb später eine zweite Auflage von Simrock in Bonn veranstaltet, der auch die Singstimmen im Druck erscheinen ließ, wodurch die zahlreichen Aufführungen in fast allen Städten Deutschlands, Hollands und der Schweiz sehr erleichtert wurden. Mit der Aufnahme und Verbreitung dieses Oratoriums durfte ich daher sehr zufrieden sein, denn es hat sich nie eine tadelnde Stimme dagegen erhoben, so oft es auch aufgeführt und besprochen worden ist.
Im Laufe dieses Jahres schrieb ich noch ein zweites Quintett ( H-moll Op. 69, bei Peters) und drei Quartetten ( Op. 74, ebenfalls bei Peters). Ich sehnte mich aber nun darnach, eine größere Arbeit zu beginnen und zwar vorzugsweise eine Oper, trotzdem daß »Der Berggeist« keine große Verbreitung gefunden hatte, indem er nach den Aufführungen in Cassel und Leipzig nur noch in Prag, wo er zu wiederholtenmalen eine glänzende Aufnahme fand, gegeben wurde. Da zu derselben Zeit auch Curschmann einen gleichen Wunsch hegte, so hatte er seinen Reisegefährten und Freund, Karl Pfeiffer, der sich damals als Dichter einen Namen zu erwerben anfing, gebeten, ihm eine Novelle von Tieck: »Pietro von Abano« als Operntext zu bearbeiten. Er mochte sich jedoch in seiner musikalischen Ausbildung noch nicht weit genug fortgeschritten fühlen und gab daher, als Pfeiffer den ersten Akt des Buches bereits vollendet hatte, seinen Vorsatz, sich sogleich an einer großen Oper zu versuchen, wieder auf. Er trug mir nun die Composition des Pietro an, und da mir sowohl die Novelle, als auch deren Bearbeitung sehr gefiel, so wurde ich bald mit beiden Herren darüber einig und machte mich im Februar 1827 mit großem Eifer an die Arbeit, die ich auch im August desselben Jahres beendigte. Die Oper machte mir wegen der unmittelbaren grellen Folge zweier Scenen, wo in eine Begräbnißfeier ein lustiger Studentenzug störend einfällt, anfangs Sorge; auch wollte mir die Sprechrolle des Bischofs ohne allen Gesang nicht gefallen. Als diese aber von Seydelmann, der damals an unserem Theater engagirt war, aus Interesse an dem Werke übernommen und sehr würdevoll ausgeführt wurde, so beruhigte ich mich hierüber und hatte die Freude zu sehen, daß sie auf die Mitwirkenden, das Orchester und meine musikalischen Freunde, die den Proben beiwohnen durften, einen tiefen Eindruck machte. Auch vom Publikum wurde sie bei der am 13. Oktober 1827 stattfindenden ersten Aufführung mit ähnlichem Enthusiasmus, wie »Jessonda«, aufgenommen, und ich konnte daher hoffen, sie werde sich eben so schnell wie diese auch außerhalb Cassel verbreiten. Als ich dann aber das Buch einigen Bühnen auf Verlangen einsenden mußte, machte ich bald die Erfahrung, daß nicht blos die katholischen Städte wegen des Bischofs und des Kirchen-Apparates Anstoß nahmen, sondern auch protestantische Intendanzen, u. A. Graf Brühl in Berlin, die Oper zurückwiesen, weil sie wegen des Inhaltes Skrupel hatten. Damals waren freilich manche neueren Opern und Schauspiele, die später das Publikum gegen alles Anstößige gehörig abgehärtet haben, noch nicht an der Tagesordnung. Meyerbeer aber, der die Oper unter diesen Umständen nun hier zu hören wünschte, äußerte darüber in einem Briefe vom 4. März 1828: »Ich kann mein Schreiben nicht schließen, ohne Ihnen für den Genuß zu danken, den mir die Lesung der von Herrn Schlesinger entliehenen Partitur Ihres Meisterwerkes »Pietro von Abano« gewährt hat, und es macht mich glücklich, Ihnen sagen zu können, daß mich namentlich die Introduktion des ersten Aktes, das erste Finale (obgleich vom Dichter nur mit zwei Personen versehen), die Scene zwischen Antonio und der halblebendigen Cäcilie im zweiten Akt und die sinnreiche Art, wie die Saiten-Instrumente halb con sordini, halb senza sordini den Dialog zwischen dem lebenden Antonio und der geisterhaften Cäcilie nüancirt, das imposante Finale des zweiten Aktes und außerdem noch eine Menge einzelner Züge herrlicher dramatischer Intentionen, trefflicher Deklamation, neuer pittoresker Instrumentirung und Harmonisation wahrhaft entzückt haben und in mir den lebhaftesten Wunsch erregen, einer Aufführung dieses Meisterwerks beizuwohnen ...«
Im Jahre 1827 schrieb ich mein zweites Doppel-Quartett und suchte es in der Form meiner ersten Idee der Doppelchörigkeit noch näher zu bringen, als das erste, was denn auch zu meiner eigenen Befriedigung gelang. In einem unserer Winter-Concerte im December spielte ich es zum erstenmal öffentlich mit großem Beifall und bald fand es auch auswärts dieselbe Anerkennung und Verbreitung, wie das frühere. Bald darauf erhielt ich die Einladung, mein Oratorium »Die letzten Dinge« bei einem am 4. Juni 1828 stattfindenden Musikfeste in Halberstadt zu dirigiren und reis'te, diesmal nur von meiner Frau und meiner jüngsten Tochter Therese begleitet, dahin ab, da sich kurz zuvor meine Tochter Emilie mit dem Fabrikanten Zahn verheirathet hatte und nun, eben so wenig wie Ida, ihren Haushalt verlassen konnte.
Mein Oratorium wurde von den verschiedenen dazu eingeladenen Gesang-Vereinen trefflich ausgeführt, da sie alle für dasselbe begeistert waren und es allen anderen damals gegebenen Werken vorzogen.
Im zweiten Concerte spielte ich mein neues Concertino in A-dur ( Op. 79, bei Schlesinger), und ich glaube mich zu erinnern, daß damals auch meine eben vollendete dritte Symphonie in C-moll ( Op. 78, bei Schlesinger) zuerst zur Aufführung kam. Eines Umstandes, der mir nach so langen Jahren noch im Gedächtnisse geblieben ist und sich auf meine damals neunjährige Tochter Therese bezieht, muß ich jedoch noch erwähnen. Ich nahm das Kind in alle Proben mit, weil es schon in Düsseldorf denselben immer beiwohnen wollte und ich daraus auf großes Interesse für Musik schloß. In Halberstadt äußerte Therese nun besondere Freude über die Schlußnummer des Oratoriums, und da dies eine Fuge war über die Worte: »Sein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit«, so schloß ich weiter, daß sie nicht nur für Musik überhaupt, sondern auch für deren ernste Formen regen Sinn habe und theilte selbst Doretten meine Freude über die glückliche Disposition unseres Kindes mit. Als ich aber Therese näher über ihre Vorliebe für diese Fuge befragte, erfuhr ich zu meiner Ueberraschung und Beschämung, »daß sie das bezeichnete Musikstück nur darum vorzugsweise liebe, weil sie von Düsseldorf her wisse, daß die Probe bald zu Ende sei, und es dann zum Essen gehe!« – Eine bleibende, erfreulichere Erinnerung an dieses Musikfest erhielt ich kurz nachher von den Unternehmern desselben, indem sie mir als Beweis ihrer Dankbarkeit eine kostbare Tischuhr zum Geschenke sandten, die mit bezüglichen Emblemen verziert ist und auf dem Sockel eine Inschrift mit dem Datum des Festes trägt.
Im Laufe des Jahres schrieb ich noch drei Violin-Quartetten die als Op. 82, bei Schlesinger herauskamen, worauf ich mich dann, da es mit der Verbreitung meiner Opern auf anderen Theatern nicht recht hatte glücken wollen, wieder der Kirchen-Composition zuwandte und im Frühjahre 1829 mein Vaterunser nach dem Mahlmann'schen Text schrieb. Die Wirkung, welche dieses Werk schon bei der ersten nur am Clavier stattfindenden Aufführung am Cäcilientage desselben Jahres hervorbrachte, steigerte sich noch, als es einige Monate später in einem unserer Winter-Concerte mit voller Orchester-Begleitung gegeben wurde. Auch wurde dasselbe nicht allein hier in Cassel bei allen bis in die neueste Zeit fortgesetzten Wiederholungen stets mit großem Beifalle aufgenommen, sondern es fand bald auch außerhalb viel Verbreitung und Anerkennung.
Am 4. Juni 1829 gab es wieder ein Musikfest in Nordhausen, zu welchem ich ebenfalls eingeladen wurde. Vom ersten Tage desselben habe ich jedoch keine deutliche Erinnerung mehr, weiß aber noch, daß ich am zweiten Tage mit Müller aus Braunschweig, Wiele von hier und Maurer von Hannover des Letzteren Concertante für vier Violinen spielte. Für mich selbst wählte ich dabei die vierte Partie, weil meine Stradivari-Geige einen besonders guten Ton auf der g-Saite hat, und da wir das berühmte Musikstück sehr genau zusammen eingeübt hatten, so war der Beifall ein ganz ungewöhnlicher. Nicht minderen Anklang fand auch mein neues Clarinetten-Concert in E-moll, welches ich für Hermstädt zu diesem Musikfeste geschrieben hatte, das ich aber selbst gar nicht mehr besitze, und wovon ich jetzt nicht einmal mehr weiß, ob es noch existirt. Während unseres Aufenthaltes in Nordhausen wohnten wir im Hause des Kaufmann Fleck, dessen Gattin eine sehr liebenswürdige Wirthin war, wodurch Eduard Grund, mein ehemaliger Schüler, sich veranlaßt fand, beim Mittagsmahl einen Toast auf dieselbe auszubringen und dabei die Bemerkung einfließen ließ, daß sie »nichts weniger als ein Fleck in der menschlichen Gesellschaft, sondern eher ein Lichtschimmer oder eine Sonne zu nennen sei.« Auch erinnere ich mich noch mit Vergnügen des vom schönsten Wetter begünstigten Festes, welches die Nordhäuser auf einem nahe gelegenen Berge, von wo man die Stadt übersehen konnte, den fremden Gästen gaben. Die mitgebrachten Vorräthe wurden auf dem Rasen ausgebreitet, und da es dabei an guten Weinen auch nicht fehlte, so wurde die Gesellschaft bald sehr fröhlich und kehrte in bester Laune nach der Stadt zurück.
Im August 1829 schrieb ich ein Solo-Quartett in E-dur ( Op. 83, bei Schlesinger). Es ließ mir jedoch der Wunsch, noch einmal mein Glück mit einer Oper zu versuchen, keine Ruhe, und ich bewog daher meinen Freund Karl Pfeiffer, mir eine spanische Novelle von Washington Irving, die mir sehr anziehend und ganz und gar für eine Oper tauglich erschien, als solche zu bearbeiten. Da aber Pfeiffers Namen auf dem Zettel nicht genannt werden sollte, weil es bekanntlich in Kurhessen nicht gern gesehen wird, wenn ein Staatsdiener sich neben seinen Berufsgeschäften mit poetischen Arbeiten befaßt, so wurde der unverfängliche Name Schmidt anstatt des seinigen gewählt, während bei der Aufführung des »Pietro« der Verfasser gar nicht genannt war, indem der damalige Theater-Direktor Feige es vor dem Kurfürsten und dem Publikum nicht verantworten zu können glaubte, wenn er einen von mir vorgeschlagenen fingirten Namen auf dem Zettel angeben sollte. Im Oktober 1829 machte ich mich nun mit dem gewohnten Eifer, mit dem ich jede neue Arbeit begann, an die Composition der Oper »Der Alchymist«, beendigte sie im April des folgenden Jahres und vertheilte dann sogleich die Partien, um sie am Geburtstag des Kurfürsten, am 28. Juli, aufführen zu können. Sie gefiel hier in Cassel eben so sehr, wie meine früheren Opern, wurde aber außerhalb nur in Prag mit großem Beifalle gegeben Im »Wiener Musikalischen Anzeiger« vom 23. Januar 1834 heißt es darüber: »Daß uns der würdige Tonmeister in allen seinen dramatischen Dichtungen, den einzigen, rein genialen »Faust« ausgenommen, weniger das Wunderreich der Phantasie erschließt, als vielmehr, wie an treuer Freundeshand, auf sanft geebneten Bahnen in den üppig-reizenden, balsamisch-duftenden Hainen der Harmonie mäandrisch umherleitet, weiß und fühlt Jeder, dem Selbsterfahrung und Ueberzeugung zu Theil geworden ist. Auch in diesem Werke weht derselbe ruhigbesonnene, zum Herzen sprechende Geist, derselbe geläuterte Geschmack, derselbe eben so edle, als elegante Styl, dieselbe Stetigkeit, Einheit und jener innere, festverschlungene Zusammenhang, der sämmtliche Arbeiten diese vielleicht selbstständigsten aller lebenden Componisten so speciell charakterisiert und welchen auch dieses Tongebilde höchst ehrenvoll zur Seite steht.«, während der von meinem Bruder Ferdinand angefertigte Clavier-Auszug eine weitere Verbreitung fand.
Im Juni 1830 kam Paganini nach Cassel und gab zwei Concerte im Theater, die ich mit dem höchsten Interesse anhörte. Seine linke Hand so wie die immer reine Intonation schienen mir bewunderungswürdig. In seinen Compositionen und seinem Vortrage fand ich aber eine sonderbare Mischung von höchst Genialem und kindisch Geschmacklosem, wodurch man sich abwechselnd angezogen und abgestoßen fühlte, weshalb der Totaleindruck nach öfterem Hören für mich nicht befriedigend war. Da seine Anwesenheit gerade auf das Pfingstfest fiel, so nahm ich ihn am zweiten Pfingsttage mit nach Wilhelmshöhe, wo er Mittags mein Gast war und sich sehr heiter, ja selbst ausgelassen zeigte.
Wenige Wochen nachher brach in Frankreich die Juli-Revolution aus, und als eine allgemeine Erregung auch auf Deutschland übergegangen war, äußerten sich auch hier in Cassel Zeichen von Unzufriedenheit mit den öffentlichen Zuständen. Der Kurfürst war nämlich einige Zeit zuvor mit der Gräfin Reichenbach nach Wien gereis't, wie man glaubte, in der Absicht, dieser am österreichischen Hofe die Fürstenwürde auszuwirken. Darauf hatte er sich nach Carlsbad begeben, und von dort aus kamen allerlei sonderbare Gerüchte über seine schwere Erkrankung in Folge von handgreiflichen Streitigkeiten mit der Gräfin Reichenbach, weshalb sein Leibarzt, Ober-Medicinal-Direktor Heräus, nach Carlsbad reis'te, jedoch, ohne zu ihm vorgelassen zu sein, nach Cassel zurückkehrte. Eine Deputation, die hierauf vom hiesigen Stadtrathe nach Carlsbad abgesandt wurde, erhielt mehrmals Audienz und brachte die Nachricht mit zurück, der Kurfürst werde bald in seine Residenz zurückkehren. Bevor dies indessen zur Ausführung gekommen war, brachen am Abende des 6. September Unruhen aus. Ich befand mich gerade mit meiner Frau im Theater, wo das Raupach'sche Lustspiel »Der Zeitgeist« gegeben wurde, als ich plötzlich bemerkte, daß an die im Theater anwesenden Offiziere Boten geschickt wurden, die sie benachrichtigten, in der Stadt werde Allarm geblasen, worauf sie sich sogleich alle entfernten. Dies erregte solches Aufsehen, daß die anderen Zuschauer nicht anders glaubten, als ein großer Brand sei in der Stadt ausgebrochen und ebenfalls während der Vorstellung das Haus verließen. Auch wir, in der Besorgniß um unsere oder unserer Kinder Wohnungen, schlossen uns an und erfuhren erst draußen, daß das unruhige Volk einige Bäckerladen gestürmt und bei den Besitzern derselben Excesse begangen hatte, weil diesen, trotz der gefallenen Kornpreise, eine höhere Brodtaxe zugestanden war. Zur Verhütung von weiteren Excessen hatte sich, mit Erlaubniß des Ministeriums, eine Anzahl Bürger bewaffnet, und Militär besetzte außerdem das kurfürstliche Palais, die Königsstraße und den Friedrichsplatz, so daß die Theaterbesucher die abgesperrten Straßen nicht passiren konnten. Auch wir mußten daher auf Umwegen unsere Wohnung zu erreichen suchen und wagten es dann nicht, zu gewöhnlicher Zeit zu Bette zu gehen, da in der Stadt noch große Aufregung herrschte. Erst am 12. September kehrte der Kurfürst, jedoch vorerst ohne die Gräfin Reichenbach, bei lautloser Stille zurück und begab sich sogleich nach Wilhelmshöhe, wohin ihm an einem der folgenden Tage der Magistrat, mit dem Oberbürgermeister Schomburg an der Spitze, folgte, um sowohl ihre Freude über seine Genesung und Rückkehr auszudrücken, als auch die Bitte an ihn zu richten, die seit 1815 nicht mehr einberufenen Landstände versammeln und mit denselben die Abhülfe so mancher gegründeten Beschwerden berathen zu wollen. Der Magistrat wurde indessen abgewiesen und erlangte erst am folgenden Morgen in dem kurfürstlichen Palais zu Cassel eine Audienz, während welcher die halbe Stadt nach dem Friedrichsplatz eilte, um sogleich zu erfahren, ob das Resultat der Deputation ein günstiges sei, in welchem Falle der Küfermeister Herbold vom Audienzzimmer aus durch ein weißes Tuch das Zeichen zu geben versprochen hatte. Als nun die Deputation in feierlichem Zug vom Ober-Neustädter Rathhause kommend dem Palais nahete und die Schwelle desselben überschritten hatte, richteten sich Aller Augen auf die Fenster des Audienzzimmers, und mit klopfendem Herzen erwartete man die Entscheidung. Der Kurfürst, dem sicherlich auch beunruhigende Gerüchte zu Ohren gekommen waren und der wohl der Gesinnung seines Militärs, von dem sich Viele, wie es die spätere Zeit lehrte, nach einer Verfassung sehnten, nicht zutrauen mochte, daß sie sein Palais beschützen und die Revolution mit Erfolg bekämpfen würden, gab zu allgemeiner Freude eine bejahende Antwort. Kaum hatte das Schwenken des weißen Tuches diese dem Volke verkündet, so brach auf dem Friedrichsplatz ein tausendstimmiges Vivat los, worauf der Kurfürst sich einen Augenblick dankend am Fenster zeigte. Abends wurde die Stadt aus freien Stücken glänzend erleuchtet und im Theater statt der vorher angekündigten »Ahnfrau« als Festvorstellung »Der Barbier von Sevilla« gewählt, wo dann das freudetrunkene Publikum vor dem Beginn der Oper beim Erscheinen des Kurfürsten und seines Sohnes ein stürmisches Vivat ausbrachte und »Heil Kurfürst Wilhelm Dir!« anstimmte. Schon, am 19. September erfolgte nun die verheißene Einberufung der ehemaligen althessischen Landstände, bestehend aus Abgeordneten der Ritterschaft, der Städte, der Universität und der Bauern, die sich am 16. Oktober zuerst versammelten und sogleich eine beruhigende Bekanntmachung an das Volk erließen. Am folgenden Tage wurde die Eröffnung der Ständeversammlung durch feierlichen Gottesdienst in der großen Kirche begangen und auf Befehl der Regierung durch einen vom Cäcilien-Vereine mit Begleitung des Orchesters ausgeführten festlichen Kirchengesang verherrlicht. Ich wählte dazu die Schlußnummer meiner in Wien componirten Cantate: »Die Befreiung Deutschlands« mit dem darin vorkommenden Solo-Quartett und der Schlußfuge: »Lasset uns den Dankgesang erheben« einen vierstimmigen Choral, der abwechselnd mit der Gemeinde gesungen wurde, und das Halleluja aus Händel's »Messias.« Die den Ständen vorgelegte landesherrliche Proposition wurde nach mehrwöchentlichen Berathungen zwischen dem landesherrlichen Commissar und den Ständen mit mancherlei Zusätzen und Abänderungen als Grundlage zu der neuen Landesverfassung angenommen, so wie auch die vom Kurfürsten gethanen Vorschläge hinsichtlich der Feststellung einer Civilliste und Theilung des sämmtlichen Staatsvermögens, das überdies größtentheils durch den Verkauf der Landeskinder in den Sold der Engländer gegen die rebellischen nordamerikanischen Colonien unter Landgraf Friedrich II. zusammengebracht war. Zur Verkündigung der neuen Verfassung wurde der 9. Januar 1831 festgesetzt, und Abends zuvor kam auch die Kurfürstin mit ihrer Tochter Caroline von Fulda, wo sie ihren Aufenthalt seit längerer Zeit genommen, zurück, um Zeuge dieses freudigen Ereignisses zu sein. Der Kurfürst empfing sie bei ihrer Ankunft in ihrer Wohnung im Bellevue-Schlosse, und ich erhielt vom Ober-Hofmarschall-Amt den Auftrag, den versöhnten Gatten ein Ständchen mit der Hofkapelle zu bringen. Nachdem ich im Laufe des Nachmittags die Probe dazu gemacht hatte, zog ich mit der Kapelle bei heftiger Kälte vor das Bellevue-Schloß, erkundete die Zimmer, wo sich der Hof befand, und wir machten unsere Musik so gut, als es bei dem ungünstigen Wetter gehen wollte. Gegen das Ende derselben zeigte sich das fürstliche Paar, indem der Kurfürst seine Gemahlin umarmte, am Fenster, und die Einwohner Cassels, die trotz der argen Kälte sich zahlreich versammelt hatten, brachen in lauten Jubelruf aus. Am folgenden Morgen fand nun die allgemeine Bekanntmachung und feierliche Beschwörung der neuen Verfassung statt, was von Seiten der Bürgergarde auf dem Königsplatze, von Seiten des Militär auf dem Friedrichsplatze öffentlich, von allen Behörden, den Hofdienern und der Kapelle aber in ihren Geschäftslokalen geschah. Abends war die Stadt illuminirt und im Theater wurde, hei glänzend erleuchtetem Hause, als Festoper »Jessonda« nebst einem der Vorstellung vorangehenden Festspiele vom Hofrath Niemeyer gegeben. In letzteres war zugleich eine von mir dazu componirte Hymne: »Hessens Feiergesang bei Einführung seiner Verfassung« verwebt und zum Schlusse das bekannte, schon oben erwähnte Lied damit verbunden, welches mit angepaßtem Texte vom Publikum mitgesungen wurde, worauf dieses in stürmische Vivats für die in der großen Loge versammelte kurfürstliche Familie ausbrach. Nun hoffte Jedermann auf eine glückliche Zukunft; allein das Unglück wollte, daß schon am anderen Tage die Gräfin Reichenbach mit Herrn Ortlepp, ihrem Bruder, nach Wilhelmshöhe zurückkehrte. Kaum war dies in Cassel bekannt geworden, sowie auch, daß der Kurfürst sie dort besucht habe, als die Unruhen sogleich wieder ausbrachen. Bürger und Bauern drangen in großen Schaaren nach Wilhelmshöhe vor das Schloß und drohten laut, mit Gewalt die Gräfin zu verjagen, bis man endlich erfuhr, daß dieselbe nach Hanau abgereis't sei, und in Cassel eine öffentliche Bekanntmachung erschien: »daß der Anlaß zur Aufregung beseitigt sei.« Doch folgte ihr der Kurfürst schon nach wenigen Wochen, wie man glaubte mit der Absicht, seine Residenz nach Hanau zu verlegen.
Inzwischen war nun in meinem Hause ein bereits im vorigen Sommer nach der Zeichnung meines Schwiegersohnes Wolff begonnener Bau vollendet. Hierdurch gewann ich außer einigen häuslichen Räumen insbesondere einen bei unseren Quartettpartien längst vermißten Musiksaal, welcher, obgleich an das Haupthaus anstoßend, dennoch ein höheres Dach bekam, um ihm eine erwünschte Höhe geben zu können. Auch bei der Dekoration desselben war vorzüglich eine gute Akustik erstrebt, indem durch die architektonische Bekleidung der Thüren und Fenster die dem Klange hinderlichen Vorhänge entbehrlich gemacht wurden. Am 2. Februar 1831 weiheten wir die neu gewonnenen Räume durch die darin begangene Feier unserer silbernen Hochzeit ein, wozu auch meine Eltern von Gandersheim hierher gekommen waren und uns als Geschenk eine mit Silber reich verzierte Porzellanvase mitgebracht hatten, die außer den Namen der Geber auch die Inschrift enthält: »Jetziges Silber werde einst Gold«. Die eigentliche Feier war von meinen Kindern im Vereine mit unseren musikalischen Freunden veranstaltet und wurde mit dem von den Gästen ausgeführten Fackeltanz aus meinem »Faust«, wobei den Chorstellen passender Text unterlegt war, eröffnet. Hierauf folgte eine Reihe lebender Bilder, in welchem die Hauptmomente meines Lebens sinnreich dargestellt wurden. Neben vielen anderen Gedichten, komischen und ernsten Inhaltes, welche man bei Tisch vortrug, hatte auch Freund Pfeiffer ein Gedicht dazu geliefert, mit der Absicht, daß alle an der Feier Theilnehmenden dabei in Costümen, den Personen meiner Opern entlehnt, erscheinen und K. Pfeiffer das Gedicht selbst vortragen sollte. Dieses Gedicht, welches mir damals ganz besondere Freude gemacht hat, möge hier mit Hinweglassung der speciellen Beziehungen auf die einzelnen Personen meiner Opern eine Stelle finden:
So lang wir leben, lieben wir zu träumen,
Doch nur des
Künstlers Traum ist
mehr als
Schein;
Denn aus der Phantasie entlegnen Räumen
Führt er die Traumgestalten selbst in's Leben ein.
Er pflegt und wärmt sie an dem eignen Herzen,
Haucht ihnen Geist von seinem Geiste ein;
In ihren Busen legt er seine Schmerzen,
Sein Ideal läßt er das ihre sein.
Doch hat er nun sein Schöpferwerk beendet,
Und seine Geisteskinder in die Welt entsendet,
Erkennen sie ihn liebend auch als Vater an? –
Vergelten sie, was er für sie gethan? –
Sie thun's, wenn er sie nicht in eitlen Flitter hüllte,
Der Geistesarmuth thörichtes Gewand,
Wenn er getreu des Vaters Pflicht erfüllte
Und in sich selbst den Lohn des Strebens fand.
Sie thun's, wenn ihn die Mode nicht berückte,
Die statt der Frucht nur taube Blüthen treibt,
Wenn er sie mit der
wahren Schönheit schmückte.
Die unvergänglich, wie ihr Urquell bleibt.
Wir Alle thun's, wir Alle Deine Kinder,
Wir dürfen's sagen –
wohlgerathne Kinder –
Wir Alle thun's, Dein Ruhm ertönt aus jedem Mund –
Und wird durch uns der späten Nachwelt kund.
O blick umher in unserm bunten Kreise,
Du kennst uns Alle, Alle sind Dir werth;
Ein Jeder preiset Dich in seiner Weise,
Ob gut, ob bös – Du hast sie ihn gelehrt,
*
Aus allen Gegenden der Welt herüber
Zog Deines Festes Ruf uns zu Dir hin;
An uns geht spurlos zwar die Zeit vorüber,
Doch wohl verstehn wir dieses Tages Sinn;
Er soll das frohe Aerntefest im Leben
Ein Sommertag in heiterm Sonnenschein,
Der Tag des Lohns für frommer Eltern Streben,
Der Ehrentag der treuen Gattenliebe sein,
Heil Dir und der Gefährtin Deines Lebens,
Der treuen Pflegerin so edlen Strebens.
Heut schmücken wir Euch mit dem Silberkranz
Einst wandl' er sich in lichten Goldes Glanz.
Die Vorlesung dieses Gedichtes mit all seinen humoristischen Beziehungen erregte allgemeine Heiterkeit und Niemand hätte wohl geahnt, daß der jugendliche Verfasser desselben schon nach wenigen Monaten durch den Tod unserem Kreise entrissen werden sollte. Am 31. Juli traf ihn früh Morgens beim Baden in der Fulda ein Schlagfluß und es wurde dadurch seinem schönen vielseitigen Wirken auf Erden ein plötzliches Ende gemacht. Zu seinem Leichenbegängnisse veranstaltete ich einen feierlichen, mehrstimmigen Grabgesang, und als ihm später die hiesige Bürgergarde ein Denkmal auf seinem frühen Grab errichten ließ, wurde bei Einweihung desselben vom Cäcilien -Vereine der Chor aus den letzten Dingen: »Selig sind die Todten« am Grabe gesungen und zwar unter Mitwirkung auch der weiblichen Mitglieder, was bei derartigen Veranlassungen in Cassel noch niemals der Fall gewesen war. Der Vater des Verstorbenen, der bisher nur durch seine öffentliche Wirksamkeit mir bekannt gewesene Ober-Appellationsrath Dr. B. W. Pfeiffer, besuchte mich darauf, um mir für diese Aufmerksamkeit zu danken, und so kam ich hierdurch zuerst mit ihm, zu dem ich später in ein so nahes Verhältniß als Schwiegersohn treten sollte, in persönliche Berührung.
Leider war das eben erwähnte Familienfest das letzte, welches mein Bruder Ferdinand erlebte. Er erkrankte bald darauf so ernstlich, daß ihn der Arzt gleich für rettungslos erklärte und ich schon wenige Tage nachher Zeuge seines letzten Athemzuges war. Da seine Witwe, alles Sollicitirens ungeachtet, keine Pension von der Intendanz erhielt und daher nur auf die kleine Einnahme aus dem von mir wenige Jahre vorher gestifteten Unterstützungsfond angewiesen war, so setzte ich für ihre Existenz einen jährlichen Beitrag aus, wodurch es ihr möglich wurde, ihre beiden Kinder gut zu erziehen und den Sohn Ludwig, meinen Pathen, studiren zu lassen. Nachdem sich derselbe bereits einige Jahre mit großem Fleiß vorbereitet hatte, um die Universität in Marburg zu beziehen, kam er noch einmal auf seinen schon früher gehegten Wunsch zurück, sich ganz der Musik widmen zu dürfen. Doch schien mir dies bei näherer Prüfung nicht rathsam, da es wohl schon zu spät war, um sich noch die erforderliche gründliche musikalische Vorbildung anzueignen, und so blieb er auf meinen Rath seinem einmal gewählten Berufe, der Jurisprudenz, treu, machte im Jahre 1847 ein glänzendes Examen und trat in den kurhessischen Staatsdienst.
In Folge der neuen Verfassung war nun im April auf Grund des damit verbundenen Wahlgesetzes die erste Ständeversammlung einberufen und hielt ihre Sitzungen in einem Saale des Bellevueschlosses. Der Bürgermeister der Hauptstadt – Schomburg – wurde einstimmig zum Präsidenten derselben gewählt, und die Regierung wagte auch nicht, ihm die Bestätigung zu verweigern. Da die Sitzungen öffentlich waren, so wurde dadurch sogleich ein reges politisches Leben in der Stadt erweckt, und man folgte mit großer Theilnahme den Verhandlungen bis zum Schlusse derselben. Professor Sylvester Jordan, der Deputirte der Universität Marburg, machte sich bald durch seine Beredsamkeit bemerkbar und es gelang ihm fast immer, seine freisinnigen Propositionen bei der Ständeversammlung durchzusetzen.
Um solche liberale Gesinnungen unter den Bewohnern Cassels immer mehr zu verbreiten, hielten es einige als freisinnig bekannte Männer für ersprießlich, unter dem Namen »Lesemuseum« einen politischen Klub zu bilden und auch ich schloß mich ihren Bestrebungen bereitwillig an. Dort wurde jeden Nachmittag erzählt, was am Vormittag in der Ständesitzung vorgekommen war. In dieser ging es häufig sehr bunt her und obgleich der Präsident es jedesmal rügte, wenn die Zuhörer einem Redner ihren Beifall zu erkennen gaben und den Zuhörerraum durch die Bürgergarde räumen zu lassen drohete, so kehrten sich doch die täglichen Besucher der Sitzungen nicht viel daran und suchten ihre Einwirkung auf die Abstimmung fortzusetzen. Die Regierungsgeschäfte erlitten indessen dadurch eine wesentliche Störung, daß der Kurfürst seit März seine Residenz Cassel verlassen und seinen bleibenden Aufenthalt in Hanau genommen hatte. Die Ständeversammlung, deren wiederholt gethane Schritte, ihn zur Rückkehr dahin zu bewegen, bisher ohne Erfolg geblieben waren, beschloß Ende August, in Gemeinschaft mit dem Casseler Stadtrath, eine Deputation nach Hanau abzusenden, mit dem Vorschlag, der Kurfürst möge baldigst in die Residenz zurückkehren oder anderweitig Sorge für einen ungestörten Fortgang der Regierung treffen. Zu dieser Deputation gehörte auch der Abgeordnete aus Rinteln, Obergerichts-Direktor Wiederhold, und ihm gelang es, den Kurfürsten zu bewegen, seinen Sohn als Mitregenten anzunehmen und demselben die Regierungs-Geschäfte, so lange er selbst von Cassel entfernt sein werde, ausschließlich zu übertragen. So kehrte denn der Kurprinz und zwar als Mitregent, nach längerem Aufenthalt in Fulda, nebst der Gräfin Schaumburg, in deren morganatische Ehe mit seinem Sohne der Kurfürst nun eingewilligt hatte, nach Cassel zurück, ließ dort den Ständen einen Revers über die Angelobung der Verfassungs-Urkunde übergeben und wurde anfangs, besonders als er den Vermittler, Obergerichts-Direktor Wiederhold, zum Justizminister ernannte, in Cassel mit Wohlwollen aufgenommen. Als man aber bemerkte, daß die Kurfürstin in Folge ihrer Weigerung, die Gräfin Schaumburg als Schwiegertochter zu empfangen, mancherlei Unannehmlichkeiten und Kränkungen erfuhr, da äußerte sich in der Stadt entschiedene Mißbilligung, und man nahm allgemein Partei für die edle Fürstin, die sich durch ihre wohlwollenden, milden Gesinnungen seit langen Jahren die Liebe und Verehrung des hessischen Volkes erworben hatte. Für meine Person hatte ich mich indessen damals der Gunst des Kurprinzen zu erfreuen. So forderte er mich z. B. auf, ihm im Schlosse zu Wilhelmshöhe einige Hof-Concerte zu arrangiren, und als er bald daraus nach der Stadt zurückkehrte, bat er mich sogar in einem sehr verbindlichen Schreiben, ihm und der Gräfin doch die Freude zu bereiten, ihnen auch einmal meine Quartetten vorzutragen und zu dem Behufe eine Quartettpartie im Schlosse zu veranstalten. Sie mochten ihnen aber wohl Langeweile genug gemacht haben, denn es ist nie eine zweite Aufforderung der Art an mich ergangen.
Im Herbste 1831 beendigte ich auch meine Violinschule, eine Arbeit, die ich auf vielfache Aufforderungen unternommen hatte, zu der ich aber mehr als ein volles Jahr gebrauchte, weil ich dazwischen immer wieder andere Compositionen, die mich mehr anzogen, begann Sie kam bei Haslinger in Wien heraus und die Wiener Theater-Zeitung von Ad. Bäuerle sagt darüber: »Ein schönes Seitenstück zu Hummel's Clavierschule; denn wie jene im Gebiet des Clavierspiels eine neue Bahn des Unterrichts eröffnet, so greift diese in das innerste Wesen des Violinspiels ein, und stellt sichere Principien in einer Kunst auf, welche bisher mehr nach blos mündlichen Belehrungen, oder wenigstens nach kleinen, fragmentarischen Broschüren gelehrt wurde. Der tiefeindringende, forschende Geist eines Spohr, der durch seine vollkommene, wissenschaftliche Kunstbildung die Verfasser aller vorhandenen Schulen überstrahlt, wurde erfordert, um in einem so wichtigen Kunstzweige, das seit ein paar Jahrhunderten Heranbildete in systematischer Ordnung aufzufassen, damit die, in aller Musik hervorragende Violine, auf festem, zweckmäßigen Wege cultivirt, und ihr Studium mit sicherem Erfolge betrieben werden kann. Wie schön der große Meister Spohr hierin zu Werke geht, indem er nicht allein die wissenschaftliche musikalische Ausbildung des Schülers durch die klar ausgesprochene Methode des Unterrichts im erklärenden Texte und trefflichen anpassenden Uebungsstücken befördert, sondern zugleich auch den mechanischen Theil des Unterrichts (in welchem der Mechanismus des menschlichen Körpers zu der mechanischen Einrichtung des Instruments so schön ausgeglichen und beleuchtet wird) so reichhaltig abhandelt, dies werden wir in der näheren Beleuchtung des Inhaltes nun darthun. Die treffliche Vorrede schon beugt durch Verhaltungsregeln für Lehrer und Eltern der Schüler einer Menge von Uebeln vor, welche durch falsche Maßregeln bisher entstanden, weil wenig Musikfreunde, sogar wenig Musik lehrer genügend in diesen Geheimnissen der Kunst unterrichtet sind. Wie schön sind die Ermunterungsmittel aufgezählt, wodurch man den Fleiß des Schülers aneifern kann. Großartig ist die Aufforderung des berühmten Meisters an die Lehrer im Violinspiel, daß sie ihm zu seiner Bereicherung ihre Erfahrungen mittheilen möchten, welche sie beim Gebrauch seiner Violinschule etwa machen möchten. Hier sieht man den großen Ernst des wahren Künstlers für die Erreichung des schönen Zweckes.« ... Am Schlusse heißt es noch: »Der berühmte Meister Spohr hat sich durch dieses treffliche Werk allein schon seine Unsterblichkeit gesichert und also zu dem schönen unverwelklichen, sein Haupt schmückenden Lorbeerkranze nur noch ein neues herrliches Blatt hinzugefügt.«.
Darauf schrieb ich drei Quartetten, die als Op. 84, bei André in Offenbach erschienen und später, zunächst für den Cäcilien-Verein drei Psalmen nach Moses Mendelssohn'scher Uebersetzung für zwei vierstimmige Chöre und vier Solostimmen, die bei Simrock in Bonn ( Op. 85) gestochen sind und weite Verbreitung gefunden haben.
Im Sommer 1832 wurde mir von meinem Arzt eine Kur in dem bekannten warmen Schwefelbade Nenndorf verordnet, weil ich an Steifigkeit im Knie litt, welche ich mir im letzten Winter beim Schlittschuhlaufen durch eine Erkältung zugezogen hatte. Meine Frau, welche mich begleitete, hatte unter anderer Lektüre auch die Gedichte meines Freundes Pfeiffer, die erst jetzt nach seinem Tode im Druck erschienen waren, mitgenommen, und da ich schon längst gewünscht hatte, zu seinem Andenken etwas daraus zu componiren, so wählte ich eines derselben: »Die Weihe der Töne«, welches mir sehr gefiel und zur Composition einer Cantate vorzüglich geeignet erschien. Als ich aber die Arbeit beginnen wollte, fand ich, daß sich der Text dieser Gattung doch nicht hergeben wollte; ich bekam vielmehr Lust, den Inhalt dieses Gedichtes in einer Instrumental-Composition zu schildern, und so entstand meine vierte Symphonie unter dem Titel: »Die Weihe der Töne«. [In einem Briefe an Speyer vom 9. Oktober 1832 heißt es darüber: »Obgleich ich jetzt, ohne Theatergeschäfte Das Hoftheater war in jener Zeit geschlossen., Muße genug zum Componiren hätte, so habe ich doch in der letzten Zeit nicht recht zur Arbeit kommen können. Bei dem großen Antheil, den ich an der politischen Wiedergeburt Deutschlands nahm und fortwährend nehme, haben mich die letzten Rückschritte zu sehr geärgert, als daß ich mich hätte ruhig in eine Arbeit vertiefen können. Doch habe ich unlängst wieder eine große Instrumental-Composition vollendet. Es ist dies eine vierte Symphonie, die aber in der Form von den früheren sehr abweicht. Es ist ein Tongemälde nach einem Gedichte von Karl Pfeiffer: »Die Weihe der Töne«, welches abgedruckt und vor der Aufführung im Saale vertheilt oder laut vorgetragen werden muß. Im ersten Satz hatte ich die Aufgabe, aus den Naturlauten ein harmonisches Ganzes zu bilden. Dies wie das ganze Werk war eine schwierige, aber höchst anziehende Aufgabe etc.«]
Meine musikalischen Freunde in Hannover, Freund Hausmann an der Spitze, hatten kaum meine Anwesenheit in Nenndorf erfahren, als sie sich zum Besuch mit ihren Instrumenten ankündigten und mir dadurch Gelegenheit verschafften, den in Nenndorf anwesenden Musikfreunden eine Musikpartie zu geben, bei welcher ich die unlängst geschriebenen Quartetten producirte. Meine Kur ging inzwischen glücklich zu Ende und befreite mich von meiner Knielähmung hauptsächlich durch eine kräftige, aber sehr schmerzhafte Douche auf die leidende Stelle. Nach Cassel zurückgekehrt, beendigte ich vor allem meine neue Symphonie und gab sie dann den Musikfreunden in einer Probe und später in einem Abonnements-Concerte zu hören. Noch immer erinnere ich mich mit Freuden der großen Wirkung, die sie auf alle Zuhörer machte. Bald darauf wurde sie mit vielem Beifall im Gewandhaus-Concert in Leipzig gegeben, und Rochlitz berichtete in seiner Musikalischen Zeitung mit Begeisterung über das Werk. Keine meiner Symphonien hat sich einer so weiten Verbreitung in fast allen deutschen Städten zu erfreuen gehabt, und noch immer ist sie ein Lieblingswerk, das in den meisten stehenden Concerten alljährlich wenigstens einmal wieder gegeben wird.
Im April 1832 wurde auf Anordnung des Kurprinzen das Hoftheater »auf unbestimmte Zeit geschlossen«, nachdem vorher allen Sängern und Schauspielern, welche nicht auf längere Zeit Contrakte besaßen, gekündigt war. Nur mit zwei Sängern, den Herren Föppel und Rosner (dessen Frau erste Sängerin war) konnte dies nicht geschehen. Ich wurde nebst der Kapelle ebenfalls vorgefordert; allen von uns, die keine Rescripte vom Kurfürsten besaßen, wurde gekündigt und wir Uebrigen befragt, ob wir nicht gesonnen seien, unsere Stellen gegen Entschädigung, über welche mit jedem Einzelnen verhandelt werden sollte, aufzugeben. Ich, der ich zuerst meine Antwort zu Protokoll zu geben hatte, erklärte sogleich, daß ich dazu nicht geneigt sei, sondern das Weitere abwarten und im äußersten Falle Recht bei den Gerichten suchen würde. Die anderen Musiker schlossen sich dieser Erklärung einfach an, und so verloren wir nur einen Oboisten, den ich früher, auf des Kurfürsten Ermächtigung hin, zur Ergänzung der Kapelle von Prag verschrieben und der nach seiner Ankunft unglücklicherweise versäumt hatte, sich ein Rescript ausfertigen zu lassen. Dem ersten Fagottisten, der in gleicher Lage war, gelang es, seine Entlassung zu hintertreiben, weil er einen Brief von mir vorlegen konnte, in welchem ich ihm im Namen des Kurfürsten versprochen, daß sein Engagement bis zur Ausfertigung des Rescriptes durch den Brief verbürgt sei; durch diesen Umstand wurde er der Kapelle erhalten. Wir Uebrigen wurden nicht wieder vorgefordert, und es blieb daher Alles beim Alten.
Im Herbste 1832 machte mich mein Bruder Wilhelm in Braunschweig brieflich darauf aufmerksam, daß im November d. J. die goldene Hochzeit unserer Eltern sei und schlug mir vor, daß sämmtliche Kinder in Gandersheim zusammenkommen, den Eltern gratuliren und sie mit einer Spieluhr beschenken wollten. Daß es die Eltern doppelt erfreuen würde, wenn ich damit auch eine musikalische Feier verbände, konnte ich mir leicht denken, und ich veranlaßte daher Wilhelm Wolff, den Bruder meines Schwiegersohnes, mir ein Gedicht zu machen, bei dessen Aufführung meine Frau und ich mit Piano und Geige das Orchester vorstellen wollten, meine drei Töchter die Solostellen, und meine Brüder mit ihren Frauen sowie meine Schwiegersöhne den Chor singen sollten. Ich machte mich denn, sobald ich nach meiner Angabe den Text erhalten hatte, sogleich an die Arbeit, schrieb eine heitere Polonaise (bei deren Vorspiel ich meiner Frau und mir sogar Gelegenheit gab, unsere Virtuosität auf unseren Instrumenten zu entwickeln), ließ dieser einen allgemeinen Chor folgen, an welchen sich dann die drei Soli meiner Töchter, die sich zum Schlusse dreistimmig vereinten, anreihten, und fügte endlich noch einen allgemeinen Schlußchor hinzu. Während ich mit Frau und Kindern die Fest-Cantate einstudirte, schickte ich auch den Brüdern zu gleichem Zwecke ihre Chorstimmen zu, und wir kamen dann einige Tage vor dem Feste, welches am 26. November stattfand, in Gandersheim zusammen. Da uns die Eltern nicht Alle logiren konnten, so miethete ich für mich und meine zahlreiche Begleitung sämmtliche Räume eines Wirthshauses und berathschlagte dann mit meinen Brüdern und Schwiegersöhnen, wie wir am besten und glänzendsten die Feier begehen könnten. Wolff schlug vor, vor allem den schönsten Saal der Stadt zu miethen, ihn mit Festons von Tannenzweigen, Immergrün und gemachten Blumen zu schmücken, dort unsere Geschenke aufzustellen und vor den Eltern und den befreundeten Familien, unsere Cantate aufzuführen. Nach dem Saal war nicht lange zu suchen, denn es gab nur einen am Orte, der überdies für alle die eingeladenen Freunde des Hauses kaum groß genug war. Das Nöthige zur Ausschmückung desselben ließen wir nun in großer Menge aus dem Walde herbeischaffen und waren dann sämmtlich mehrere Tage lang mit dem Winden der Festons und dem Verfertigen der Papierblumen, sowie mit Zeichnen und Malen von Transparenten beschäftigt. Wenn wir dann Alle dieser Arbeit müde waren, begann ich die Proben zur Cantate und mußte den Fleiß der Frauen bewundern, die ihren meist total unmusikalischen, aber mit guten Stimmen begabten Männern die Tenor- und Baßpartie der Chöre doch so gut einstudirt hatten, daß es sich wie Musik anhören ließ. So verging die Zeit bis zum Feste sehr schnell und wir hatten dann die Freude, die Eltern von unserer Feier tief ergriffen und unsere Geschenke von den Gandersheimer Freunden sehr bewundert zu sehen. Es bestanden diese außer einer Spieluhr, welche besonders angestaunt wurde, in einem bequemen und sehr schön von den Braunschweiger Schwiegertöchtern gestickten Lehnstuhle für den Vater und in zahlreichen von den Casseler Frauen angefertigten Arbeiten für die Mutter. Das Festmahl, welches zum Theil aus dem elterlichen Hause, zum Theil aus einer Restauration herbeigeschafft wurde, war sehr reich, und die von uns Brüdern mitgebrachten Getränke fanden ebenfalls großen Beifall, so daß das Spohr'sche Jubelfest sehr zufriedenstellend ablief und in Gandersheim noch lange davon die Rede war. Erfreulich war dabei die allgemeine Theilnahme der Stadt und der Umgegend, welche sich unter Anderem auch darin äußerte, daß meiner Mutter für die zahlreichen Gäste, als Beisteuer für deren Unterhalt, das Haus voll Viktualien geschickt wurde, z. B. Wildpret, Würste, Mehl, Eier, Früchte und Kuchen. Das ganze Fest hatte dadurch einen ächt patriarchalischen Charakter; ein Jeder strebte darnach, sich dem alten, würdigen Paare freundlich und erkenntlich zu zeigen und den Mann zu ehren, der ihnen seit einer langen Reihe von Jahren als treuer Arzt mit Rath und Hülfe beigestanden und die Noth der Armen, wo er konnte, stets gelindert hatte.
Nach meiner Rückkehr erhielt ich vom Kurprinzen den Befehl, anstatt der seit dem Frühjahre bereits eingestellten Theatervorstellungen während des Winters eine Reihe von Concerten zu veranstalten, die allwöchentlich am Sonntage zum Vortheil der Theaterkasse stattfinden und in welchem die zurückgebliebenen Sänger beschäftigt werden sollten. Das Publikum aber, aufgebracht darüber, daß die Concert-Einnahmen nicht, wie bisher, in die Unterstützungskasse für die Witwen der Orchester-Mitglieder fließen sollten, traf die Verabredung, gar nicht daraus zu subscribiren und so war die Einnahme fast null. Nur wenige Concerte, z. B. das, in welchem »Die Weihe der Töne« zuerst gegeben wurde, waren zahlreich besucht; in den andern aber sah es wüst und leer aus. Indessen mochte dem Kurprinzen, sowie der Gräfin Schaumburg der Winter ohne Theater sehr langweilig vergangen sein; denn gegen das Frühjahr hin bekam ich den Auftrag, mich nach Meiningen zu begeben und eine daselbst befindliche herumziehende Schauspieler-Gesellschaft unter der Direktion von Bethmann aus Berlin für die Monate März, April und Mai zu engagiren. Da ich den Wunsch äußerte, meine Frau mitzunehmen, so befahl der Kurprinz dem Oberstallmeister von der Malsburg mir einen bequemen Hofwagen aus dem Marstall zu geben und wir reisten darin mit Extrapost nach Meiningen ab. Es gab aber außer den Unterhandlungen mit Bethmann noch andere Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Dieser hatte nämlich bis über den Sommer hinaus Engagement beim Meininger Hof, und der Herzog mußte für eine frühere Entlassung der Gesellschaft gestimmt werden, wozu mir aber die Herzogin, obgleich sie mit ihrem Bruder wegen der Zwistigkeiten mit der Mutter damals nicht gut stand, dennoch verhalf. Bald nach meiner Rückkehr traf denn auch Bethmann mit seiner Gesellschaft ein und gab zur Eröffnung des neuen Theaters den »Freischütz« mit vielem Beifall; besonders gefiel Fräulein Meisselbach als Agathe sehr. Der bisherige Theaterdirektor Feige und ich wurden dann als Aufsichtsbehörde über Herrn Bethmann bestellt, und demselben die drei noch in Engagement befindlichen Sänger, das Orchester, sowie das ganze Maler- und Theaterarbeiter-Personal, die reiche Garderobe und die Dekorationen u. s. w. zur Verfügung überwiesen. Wir entwarfen von nun an das Repertoir gemeinschaftlich, Feige und Bethmann für das Schauspiel und ich für die Oper und waren bald im Stande, alle früheren, aus unserem Theater gegebenen Opern wieder zur Aufführung zu bringen. In dieser Zeit schrieb ich mein drittes Doppel-Quartett ( E-moll) und eine zweite Concertante für zwei Violinen, welche bald darauf bei Simrock in Bonn als Op. 87, und 88, erschienen.
Im Juni desselben Jahres war wieder ein großes Musikfest in Halberstadt, welches von dem Prediger Augustin und dessen Sohn als sechstes Elb-Musikfest unternommen worden und zu dessen Direktion Kapellmeister Friedrich Schneider aus Dessau und ich eingeladen wurden. Es zeichnete sich von den früheren hauptsächlich dadurch aus, daß zu Bewirthung und geselligem Zusammensein der Fremden, sowohl der Zuhörer, als auch der mitwirkenden Künstler, ein kolossales Zelt, oder vielmehr eine Bretterbude, auf dem Domplatz errichtet war, in welcher sich alle Fremden zu jeder Stunde des Tages versammeln konnten. Die Musik-Aufführungen fanden an drei Tagen statt und begannen mit Händel's Oratorium »Samson« unter Schneider's Direktion. Am folgenden Morgen wurden die Sehenswürdigkeiten Halberstadt's, insbesondere die Gemälde-Sammlungen des Domherrn von Spiegel und Dr. Lucanus in Augenschein genommen. Abends sollte ein Concert im Schauspielhause stattfinden, da aber das Lokal nicht ausreichte, um die zahlreichen Zuhörer Alle aufzunehmen, so veranstaltete man zu gleicher Zeit ein zweites Concert im Saale des »Goldenen Engel«, und die Vorträge der fremden Virtuosen und Sänger wurden an beiden Orten gleichmäßig vertheilt. Die ausgegebenen Billets waren auch zu den Proben gültig, weßhalb Jeder das eine Concert in der Probe, das andere aber am Abend der Aufführung hören konnte, wobei nur ein einziges Musikstück in beiden Concerten gegeben wurde, nämlich das beliebte Duett aus »Jessonda« zwischen Amazili und Nadori, gesungen von Madame Schmidt und Herrn Mantius, weil kein Theil sich dieses wollte nehmen lassen. Ich dirigirte im Saal und spielte mit dem Concertmeister Müller aus Braunschweig meine neueste Concertante in H-moll. Am dritten Tage fand Vormittags das letzte Concert und zwar unter meiner Direktion statt, bei welcher Gelegenheit ich eine rothsammetne Decke mit einer silbergestickten Aufschrift auf meinem Dirigentenpult als Geschenk vorfand. Es wurden in diesem Concerte die Symphonien in C-dur von Mozart und in C-moll von Beethoven, das Vaterunser von mir und ein Tedeum von Schneider gegeben und ich hatte die Freude zu bemerken, daß auch bei diesem Musikfeste meine drei Compositionen den ungetheiltesten Beifall fanden. Mittags beschloß ein brillantes Festessen in dem großen Zelte, bei dem es sehr tumultuarisch herging, das großartige Fest.
Den Rest der Ferienzeit mußten wir zu einer Reise nach Marienbad in Böhmen verwenden, wo meine Frau, die fortwährend an den Nerven litt, sich durch Trinken und Baden, so wie durch den Genuß der Gebirgsluft womöglich stärken sollte. Wir trafen unter den Badegästen auch Raupach aus Berlin; und ich machte mit ihm weite Spaziergänge, bei welchen er mir vielerlei von seinen bevorstehenden Theater-Arbeiten erzählte. Er war damals ganz erfüllt von einem neuen Schauspiele, welches er gleich nach der Rückkehr in die Heimath schreiben wollte, in dem er die Mucker und Frömmler zu geißeln beabsichtigte und dessen Scene er nach China verlegen wollte. Die Arbeit ist aber wahrscheinlich nicht fertig geworden, oder die Berliner Mucker haben Gelegenheit gefunden, die Aufführung zu hintertreiben; denn es ist meines Wissens kein derartiges Stück von Raupach öffentlich bekannt geworden. Die Musik-Gesellschaft in Marienbad, deren Direktor ein Leinweber aus der Umgegend war, hatte mich mit der sehr gelungenen Ausführung der Cherubini'schen Ouvertüre zur »Medea« bei dem mir gebrachten Empfangsständchen erfreut und überrascht, weshalb ich mich nun um so leichter bereden ließ, für sie einen Walzer à la Strauß zu schreiben, da ich hierzu bei meiner Neigung, mich in allen Kunstgattungen zu versuchen, schon längst Lust gehabt hatte. Anfangs, als ich ihn dem dortigen Orchester eingeübt hatte, gefiel mir der Walzer auch ganz gut; später habe ich aber doch an ihm die Frische und Originalität vermißt, welche die meisten Walzer von Strauß und Lanner auszeichnen. Er ist demungeachtet auf den Wunsch meines Verlegers Haslinger in Wien, als Op. 89, nicht nur in der ursprünglichen Gestalt als Instrumentalstück, sondern auch im Arrangement zu zwei und vier Händen von ihm veröffentlicht worden. Nach Cassel zurückgekehrt, schrieb ich zunächst sechs vierstimmige Gesänge für Männerstimmen, die in Hamburg bei Schuberth als Op. 90 erschienen, und mein viertes Quintett in A-moll, das ich im Februar des folgenden Jahres beendigte ( Op. 91 bei Simrock in Bonn).
Im Frühjahr 1834, am 5. April, überraschten mich meine Kinder und Freunde mit einer außergewöhnlichen Feier meines fünfzigsten Geburtstages. Ich hatte für den Abend gerade eine Oper angesetzt und konnte gar nicht begreifen, weshalb diese von Seiten der Intendanz plötzlich aufbestellt wurde, was natürlich von den Meinigen hinter meinem Rücken erbeten war. Meine Frau und ich folgten nun an dem frei gewordenen Abend einer Einladung zu meinem Schwiegersohn Zahn und waren Beide nicht wenig erstaunt, hier in den festlich geschmückten und mit meiner bekränzten Büste, sowie mit sinnreichen Transparenten, Candelabern und Blumen gezierten Räumen eine glänzende Gesellschaft versammelt zu finden, die den Tag mit Musik (eine Cantate von Hauptmann), Anreden etc. feierlich begehen wollten.
Es war dies leider die letzte Festlichkeit dieser Art, welche meine gute Frau erlebte. Der Aufenthalt in Marienbad hatte ihr nicht dauernd geholfen, und da ihr leidender Zustand schon mit dem Beginn des Winters zurückgekehrt war, so mußte sie in der nächsten Ferienzeit die Kur wiederholen. Diesmal trafen wir daselbst die Gebrüder Bohrer, und nachdem ich die frühere Bekanntschaft mit diesen geschickten Künstlern erneuert hatte, machten wir häufig Quartett-Partien zusammen, wozu wir auch den alten Leinweber, in welchem wir einen guten Violinspieler kennen lernten, heranzogen. Diese Musikpartien erheiterten auch meine Frau, die ihre Kur mit so gutem Erfolge gebrauchte, daß wir die Rückreise nach Cassel in der besten Hoffnung antreten konnten. Bald nachher verschlimmerte sich aber ihr Zustand auf's neue und ich fühlte mich nun wenig aufgelegt, an die Fortsetzung meines im April begonnenen neuen Oratoriums zu gehen. Schon im vorigen Jahre hatte mir nämlich Hofrath Rochlitz bei unserer Durchreise in Leipzig ein von ihm verfaßtes Passions-Oratorium: »Des Heilands letzte Stunden« zur Composition angetragen. Obgleich dasselbe schon einmal unter dem Titel: »Das Ende des Gerechten« von Schicht componirt worden war, so nahm ich es doch mit Freuden an, da er mir versicherte, die frühere Composition sei zwar mit Beifall, aber ohne genügende Wirkung zu machen, aufgeführt; er habe deshalb den Text noch einmal umgearbeitet und halte ihn nun dem Zwecke entsprechender. Nachdem ich indessen erfahren, daß er diesen neuen Text auch Mendelssohn zur Composition vorgeschlagen habe, so fragte ich, bevor ich die Arbeit begann, bei diesem schriftlich an, ob er das Oratorium zu componiren gedenke? Da die Antwort verneinend ausfiel, und Mendelssohn mir schrieb, daß er sich selbst einen Text aus Bibelstellen zusammensetzen werde (»Paulus«), so begann ich im Frühjahre 1834 meine Arbeit, die später durch die Badereise unterbrochen wurde. Als ich indessen bemerkte, daß meine Frau, trotz ihres leidenden Zustandes, sich doch eben so lebhaft für meine jetzige Arbeit interessirte, als für die früheren, so vergaß ich bald Alles über die Begeisterung, mit welcher ich mich derselben hingab. Empfing mich auch Dorette beim Nachhausekommen aus den Theaterproben stets mit kummervoller Miene und ängstlichen Andeutungen wegen ihrer Gesundheit, so zeigte sie doch auch wieder so große Theilnahme an dem Fortschreiten meiner Arbeit und hörte mit so lebhaftem Interesse zu, wenn ich das, was fertig war, im Cäcilien-Vereine probiren ließ, daß ich immer wieder mit neuem Muth an die Fortsetzung des Werkes ging. Häufig unterbrach sie mich wohl mit der melancholischen Frage: »Was soll aus unserer Therese werden, wenn ich meinem Zustand erliege?« – denn die Sorge um Therese war in jener Zeit ihre fixe Idee geworden – und wenn ich ihr darauf antwortete: »Eine glückliche Frau, wie es unsere anderen Kinder auch geworden sind«, dann flog ein heiteres Lächeln über ihr Gesicht, denn sie mochte wohl auch bemerkt haben, daß sich trotz Theresens Jugend schon manche Bewerber um ihre Gunst bemühten, und daß auch von ihr namentlich ein Mitglied unseres Cäcilien-Vereines nicht ungern gesehen wurde. So kam ich mit meinem Oratorium bis zum Schlusse des ersten Theils, und meine Frau erlebte noch die Freude zu sehen, mit welcher Theilnahme und Begeisterung es vom Cäcilien-Vereine gesungen wurde; dann nahmen aber ihre Kräfte schnell ab und sie wurde bettlägerig. Als ich das bedenkliche Gesicht unseres Arztes und Hausfreundes Dr. Bauer sah, zog ich auch noch den berühmtesten Arzt unserer Stadt, den Geheimen Hofrath Dr. Harnier, hinzu. Doch auch er schüttelte den Kopf und konnte wenig Hoffnung zur Rettung geben. Da sich meine Töchter Emilie und Therese der Pflege der Mutter mit großer Sorgfalt unterzogen, so konnte ich auf Dorettens Wunsch, da sie sich für die Vollendung des Oratoriums lebhaft interessirte, während des Tages fortarbeiten, mußte des Nachts aber abwechselnd mit Emilien bei ihr wachen. Doch war ich kaum bis zur dritten Nummer des zweiten Theils gekommen, so ging es, da sich ihre Krankheit zu einem Nervenfieber gestaltet hatte, mit ihr zu Ende und heute noch gedenke ich mit tiefer Wehmuth des Momentes, wo ich ihrer Stirn den letzten Kuß aufdrückte!
Mein Schwiegersohn Wolff übernahm alle die traurigen Besorgungen der Bestattung, wozu ich mich in meiner Verzweiflung außer Stande fühlte, und so konnte ich mit meiner jüngsten Tochter, die sich über den Tod ihrer Mutter gar nicht zu fassen wußte und schon den letzten Tag zuvor bei ihrer ebenfalls kranken Schwester Ida zugebracht hatte, die Stadt auf acht Tage verlassen. Ich miethete mich im Gasthause zu Wilhelmshöhe ein, und wir versuchten durch langes und ermüdendes Umherlaufen in den benachbarten, winterlichen Wäldern die nöthige Fassung wieder zu gewinnen. Als wir dann aber nach der Stadt zurückkehren mußten, fühlten wir die Vereinsamung unseres Hauses nur um so tiefer. Ich konnte mich daher lange nicht entschließen, in der Partitur, wo ich den Todestag meiner geliebten Frau, den 20. November, bezeichnet hatte, fortzufahren, bis ich das Werk endlich am Ende des Winters, als die Arbeitslust wieder erwacht war, vollendete und dann auch eine vollständige Aufführung desselben am Charfreitage (1835) veranstaltete. Der Gedanke, daß meine Frau die Vollendung und Aufführung des Oratoriums nicht mehr erlebt hatte, ließ mich keine rechte Freude über diese gelungenste meiner Arbeiten empfinden, und ich bin erst bei späteren Aufführungen zum vollen Bewußtsein ihrer Wirkung gelangt. Eine Wiederholung des Oratoriums konnte schon in demselben Sommer am ersten Pfingsttage stattfinden, den uns der Kurprinz ungewöhnlicherweise für ein Concert in der Kirche bewilligt hatte. Die bald darauf eintretenden Theaterferien mußte ich auf den Rath meines Arztes zu dem Besuche eines Seebades benutzen, und ich wählte dazu ein neu angelegtes, noch wenig besuchtes Bad Zandford, eine Stunde von Haarlem. Außer Theresen sollte diesmal auch meine Schwägerin, Minchen Scheidler, die wir schon eine Reihe von Jahren seit dem Tode meiner Schwiegermutter bei uns hatten und die während unserer früheren Reisen gewöhnlich ihren Bruder, den Professor Karl Scheidler in Jena, zu besuchen pflegte, die Reise mitmachen und Beide freuten sich unaussprechlich darauf. Wir fuhren den Rhein hinunter über Düsseldorf, wo ich einige Tage zu bleiben beabsichtigte, weil Mendelssohn, der die Stelle als Musik-Direktor bei dem von Immermann neu errichteten Theater angenommen hatte, jetzt dort wohnte. Frau Regierungs-Rath von Sybel, bei welcher ich damals während des Musikfestes logirt, hatte von unserem Plan, in Düsseldorf zu verweilen gehört und bat mich, mein Absteigequartier wieder in ihrem Hause zu nehmen, was ich um so lieber annahm, als ich hörte, Immermann gehöre zu ihren Hausfreunden und bringe dort gewöhnlich seine Abende zu.
Die Geige begleitete mich, so wie auch meine letzten Arbeiten, darunter ein zweites, kurz vorher beendigtes Concertino ( E-dur Op. 92, bei Breitkopf und Härtel in Leipzig) auch auf dieser Reise. Zuerst kamen wir nach Frankfurt, verweilten dort bei Speyer nur einen Tag und setzten dann von Bieberich ab die Reise auf dem Dampfboote weiter fort. In Düsseldorf wurden wir im Hause der Frau von Sybel sehr freundlich empfangen und hatten schon am ersten Abende die Freude, Immermann dort kennen zu lernen, der zum besonderen Vergnügen meiner Schwägerin sein liebenswürdiges »Tulifäntchen« vorlas. Ueber Mendelssohn, den ich dort vermißte, erfuhr ich, daß er zwar auch zu den Hausfreunden gehöre, aber an den Abenden, wo Immermann dort sei, niemals erscheine, weil er sich mit ihm, der das ganze Gewicht seiner Thätigkeit nur dem Schauspiele zuwende, über die Oper entzweit habe. Am anderen Morgen, wo ich Mendelssohn besuchte und seine Schwester bei ihm traf, spielte er mir die ersten Nummern seines Oratoriums »Paulus« vor, woran mir nur das nicht recht gefallen wollte, daß sie zu sehr dem Händel'schen Style nachgebildet waren. Destomehr schien ihm und seiner Schwester mein Concertino in E-dur zu gefallen, in dem ein eigenthümliches staccato in einem langen Striche als Novität vorkam, das er bei anderen Geigern noch nicht gehört hatte. Als er mir nun dasselbe auf sehr gewandte Weise aus der Partitur accompagnirte, konnte er dieses staccato nicht oft genug hören und bat mich immer von neuem, dabei wieder anzufangen, indem er zu seiner Schwester sagte: »Sieh', das ist das berühmte Spohr'sche staccato, welches ihm kein anderer Geiger nachmacht!« Als ich von da zu Immermann ging, proponirte mir dieser einen Besuch bei Grabbe, der sich damals auf Immermann's Einladung in Düsseldorf aufhielt, und so lernte ich diesen Sonderling noch an demselben Morgen kennen. Als wir bei ihm eintraten und der kleine Mensch mich Koloß zu Gesicht bekam, zog er sich schüchtern in eine Ecke seines Zimmers zurück, und die ersten Worte, die er zu mir sprach, waren: »Es wäre Ihnen ein Leichtes, mich da zum Fenster hinaus zu werfen.« Ich antwortete: »Ja, ich könnte es wohl, aber darum bin ich nicht hierher gekommen.« Erst nach dieser komischen Scene stellte mich nun Immermann dem närrischen, aber interessanten Menschen vor. Wir verlebten abwechselnd in Mendelssohn's und Immermann's Gesellschaft angenehme Tage im Hause unserer freundlichen Wirthe und setzten dann die Reise auf dem holländischen Dampfboot über Cleve, wo ich meinen alten Freund Thomae auf einige Tage besuchen wollte, weiter fort. Wir fanden ihn ebenfalls als Witwer; denn auch er hatte vor kurzem seine Frau verloren. Der Nußbaum in seinem Hofe, zu dem wir im Jahr 1818 bei unserem Familienbesuche die Nuß so feierlich gelegt hatten, grünte und blühte aber noch auf's Schönste. Thomae's Kinder, die nun sämmtlich erwachsen waren, und von denen der älteste Sohn als Notar in des Vaters Stelle getreten war, befanden sich ebenfalls kräftig und gesund; er selbst schien aber verstimmt und kränklich. Doch erfreute ihn unser Besuch sehr und er schenkte bei der Abreise meiner Therese, als Pathe seiner verstorbenen Frau eine goldene Uhr und bat uns, auf dem Rückweg wieder bei ihm einzukehren. So kamen wir, nachdem wir in Rotterdam das Dampfboot verlassen hatten, über Haag, Amsterdam und Haarlem glücklich nach Zandford. Als wir uns dort im Badehause eingemiethet hatten und aus unseren Fenstern das Meer zum erstenmal sahen, brach meine Schwägerin in die verhängnißvollen Worte aus: »Hier möcht' ich ewig bleiben!« Nachdem ich mit dem Badearzte, welcher täglich mit dem Omnibus von Haarlem die Badenden zu besuchen kam, meine Kur besprochen und sogleich zu baden begonnen hatte, ging ich bald mit wahrer Wonne in's Meer, und es gewährte mir großes Vergnügen, darin herumzuschwimmen. Unsere Haus- und Tischgenossen waren einige Muckerfamilien aus Elberfeld und Barmen, deren Religionsansichten ich bald aus ihren Reden bei Tisch zur Genüge kennen lernte, die mich aber nicht reizten, nähere Bekanntschaft mit ihnen anzuknüpfen. Nach Tische machten wir in dem Walde, welcher gleich hinter den Dünen begann und fast bis nach Haarlem reichte, unsere Spaziergänge, und so lebten wir bei dem schönen Wetter, wovon wir in jenem Sommer 1835 begünstigt wurden, sehr zufrieden in unserer Einsamkeit. Bald sollte diese aber durch einen unerwarteten Kunstgenuß unterbrochen werden, indem die Musikfreunde in Amsterdam, die meine Anwesenheit in Zandford in Erfahrung gebracht hatten, mich und meine Reisegefährtinnen zu einem Concerte einluden, welches sie mir zu Ehren veranstaltet hatten. Wir fuhren daher mit dem Omnibus nach Haarlem und von da mit der Trekschuit nach Amsterdam, wo wir auf Herrn Tenkate's, eines früheren Bekannten, Einladung, in dessen Hause abstiegen. Mit ihm besuchten wir das im Saale von Felix Meritis veranstaltete Concert, in welchem lauter Compositionen von mir aufgeführt wurden; zuerst eine meiner Symphonien, dann das Duett aus »Jessonda«, gesungen von Herrn de Bruecht aus Haarlem und der ersten Sängerin vom deutschen Theater, darauf spielte Herr Tours aus Rotterdam ein Violin-Concert von mir und Herr de Bruecht beschloß das Concert mit einigen Liedern. Als wir dann bei unserem Hauswirthe zu Abend gegessen hatten und schon im Begriffe waren, uns zur Ruhe zu begeben, wurde mir noch ein Ständchen gebracht, das wir auf dem Balkon des Hauses anhörten. Meine Schwägerin, die schon im Concert über Kopfweh geklagt hatte, mochte sich wohl, da sie trotz meiner Warnung, in der kühlen Abendluft das Ständchen mit anhörte, erkältet haben; denn als wir nach Zandford zurückgekehrt waren und am anderen Morgen den Badearzt zu Rathe zogen, fand es sich, daß bei ihr in der Nacht eine Hautkrankheit ausgebrochen war, die er jedoch nicht für gefährlich hielt. Die Ferienzeit nahete indessen ihrem Ende und der Arzt erklärte, nachdem die Kranke einige Tage das Bett gehütet hatte, wir würden in aller Kürze reisen können. Noch an demselben Abend aber, als die Sonne unterging, und ich, am Bette meiner Schwägerin sitzend, von der Rückreise mit ihr sprach, verlangte sie in krankhafter Aufregung, aufzustehen, und während ich sie mit all' meiner Kraft kaum zurückzuhalten vermochte, fiel sie plötzlich in die Kissen zurück, verlor die Besinnung und hatte alsbald zu athmen aufgehört. In unserer Angst schrieen wir Beide, Therese und ich, nach Hülfe, worauf ein junger Mann, der neben uns wohnte und als Student der Medizin einen Aderlaßapparat mit sich führte, herbeieilte und ihr sogleich eine Ader öffnete. Doch vergebens! Es kam kein Blut mehr, der Arzt erklärte sie für todt und war nun bemüht, Therese, die vor Schreck ohnmächtig geworden war, wieder in's Leben zu rufen. So war denn der verhängnißvolle Wunsch meiner Schwägerin: »Hier möcht' ich ewig bleiben!« zur traurigen Erfüllung gekommen. Was wir dabei empfanden, als wir die Geschiedene wenige Tage nachher zu ihrer letzten Ruhestätte begleiteten und wie uns bei dieser Scene die im vergangenen Jahr in Cassel erlebte wieder um so lebendiger vor die Seele trat, das will ich nicht zu schildern versuchen.
Wir machten nun die Rückreise so schnell als möglich und trafen noch am Landungsplatze des Dampfboots nahe bei Cleve unseren Freund Thomae, welcher, nachdem er unseren neuen Verlust erfuhr, auf Erfüllung unserer Zusage, abermals in seinem Hause zu verweilen, nicht weiter bestand. Da ohnehin der Urlaub abgelaufen war, setzten wir unsere Reise nach Cassel ohne weiteren Aufenthalt fort. Dort aber empfand ich die Einsamkeit unseres Hauses ohne die Zurückgebliebene noch viel schmerzlicher und ich fing daher an, das Bedürfniß nach einer Lebensgefährtin, die auch an meinen musikalischen Arbeiten theilnehmen könnte, viel lebhafter, als bisher zu fühlen. Es war zunächst unser Cäcilien-Verein, wo sich mir bei den wöchentlichen Uebungen Gelegenheit bot, in unbemerkter Beobachtung vielleicht ein weibliches Wesen herauszufinden, von dem ich hoffen durfte, daß es mir den Rest meines Lebens verschönen werde und geeignet sei, mir das verlorene Glück wiederzugeben. Da gedachte ich denn vorzugsweise der Schwestern meines verstorbenen Freundes Karl Pfeiffer, deren ernsten Sinn und rege Theilnahme für die gediegenere Musikgattung ich durch ihren vieljährigen, unausgesetzt pünktlichen Besuch des Vereins erkannt hatte und von denen ich überdies durch ihren Bruder wußte, daß sie gleich ihm besonders für meine Musik eingenommen waren. Außerdem hatte ich bei meinen fast täglichen Spaziergängen in der Kölnischen Allee, die mich an dem Garten des Ober-Appellations-Rathes Pfeiffer vorüberführten, seit längerer Zeit Gelegenheit gehabt, das glückliche und anspruchslose Zusammenleben der Familie aus der Ferne wahrzunehmen. Da nun damals (September 1835) die kurhessischen Truppen zum Herbstmanöver zusammengezogen waren und beim Lustschlosse Wilhelmsthal ein Lager bezogen hatten, wohin die Bewohner Cassels zu lustwandeln pflegten, so kam auch ich auf den Gedanken, eine Partie dorthin zu machen und ließ durch meine Tochter Therese von den Eltern Pfeiffer um die Erlaubniß für die beiden Töchter bitten, uns dahin begleiten zu dürfen. Auf dieser kleinen Fahrt hatte ich bei der Unterhaltung Gelegenheit, nun auch die hohe und vielseitige Bildung des Schwesternpaares kennen zu lernen, und so ward mein Entschluß vollends befestigt, mich um die ältere Schwester, Marianne, zu bewerben, deren Musikkenntnisse und solides Clavierspiel mir auch schon aufgefallen war, da sie einigemal zur Aushülfe im Cäcilien-Vereine accompagnirt hatte. Da ich nicht den Muth hatte, mündlich um sie anzuhalten, weil der Unterschied unseres Alters mehr als zwanzig Jahre betrug, so fragte ich schriftlich an, ob sie mir angehören wolle und fügte, um meine Werbung zu beschönigen, die Versicherung hinzu, daß ich mich von den gewöhnlichen Beschwerden des Alters noch ganz frei fühle. In höchster Spannung erwartete ich nun die Antwort. Zu meiner Freude fiel sie bejahend aus, worauf ich zu ihren Eltern eilte, um förmlich um sie zu werben. Sie segneten unseren Bund, und wir lernten uns nun immer näher kennen. Da ich bei meinem Alter nicht viel Zeit zu verlieren hatte, so bat ich, daß die Hochzeit gleich nach Neujahr stattfinden dürfe, welches auch, nach einigem Widerstreben von den Eltern und der Braut, zugestanden wurde. Unsere Trauung wurde auf den 3. Januar 1836 festgesetzt, und ich bat meine Eltern, dabei Zeugen meines erneuerten Glückes zu sein. Doch wäre es am bestimmten Tage fast nicht zur Hochzeit gekommen, da die dazu erforderliche Erlaubniß des Kurprinz-Mitregenten, trotz aller Bemühungen meines Freundes, des Herrn von der Malsburg, der dieselbe als Hofmarschall auszufertigen hatte, nicht zu erlangen stand. Mein Schwiegervater, der dem Kurprinzen in früheren Jahren Vorlesungen über Staatsrecht halten mußte und schon damals nicht sehr in Gunst bei ihm war, hatte dieselbe ganz verloren, seitdem er als Mitglied des ersten Landtages (von 1831-32) durch seinen ausführlichen und überzeugenden Bericht bei den Ständen eine starke Herabsetzung des ihnen vorgelegten, unverhältnißmäßig hohen Militär-Etats bewirkt hatte. Der Kurprinz mochte dieses dem Vater Pfeiffer wohl nachtragen und deshalb die Erlaubniß zur Verheirathung seiner Tochter verzögern. Wir erhielten dieselbe wenigstens erst dann, als meine Braut, wie man von ihr ausdrücklich verlangte, einen Revers ausgestellt hatte, daß sie auf jede dereinstige Pension im voraus verzichte. Da ich für meine Frau nach meinem Tode auf andere Weise zu sorgen vermochte, so fügten wir uns dem Verlangen, und so konnte unsere Hochzeit am festgesetzten Tage doch noch stattfinden. Die zur Familie meiner Schwiegereltern gehörigen nächsten Verwandten, dreiunddreißig an der Zahl, nebst meinen Eltern, meinen Töchtern und deren Männer, waren sämmtlich zugegen. Die Trauung vollzog, auf den Wunsch meiner Braut, ihr Lieblingsprediger, Asbrand, den sie persönlich kannte und hochschätzte.
So lebte ich nun wieder in den früher gewohnten häuslichen Verhältnissen und fühlte mich unbeschreiblich glücklich im Besitze meiner Frau! Da wir häufig mit einander musicirten, so lernte ich immer mehr ihren feinen Sinn für das Edele in der Tonkunst kennen und konnte bei ihrer eminenten Fertigkeit im a vista-Lesen nicht nur in kurzer Zeit mit ihr Alles, was ich früher für Geige mit Clavierbegleitung geschrieben hatte, spielen, sondern es wurde mir auch gar manches Fremde dieser Kunstgattung, was ich bisher nicht kannte, durch sie erschlossen. Ich bekam daher große Lust, mich nun auch einmal in eigentlichen Duetten für Pianoforte und Violine zu versuchen. Das Erste, was ich dann für uns Beide schrieb, war das Duett in G-moll ( Op. 95, Leipzig, bei Breitkopf). Hierbei bemerkte ich wiederholt mit großer Freude ihre lebhafte Theilnahme an meinen Arbeiten, in gleicher Weise, wie sie mich bei meiner seligen Frau so beglückt und gefördert hatte. War ein Satz niedergeschrieben, so konnte ich ihn, wenn ich ihn mit ihr spielte, sogleich vollständig hören, was uns Beide in gleichem Grade interessirte und beglückte. Außerdem componirte ich in dieser Zeit sechs Lieder für eine Altstimme, die als Op. 94, bei Simrock in Bonn erschienen.
Als dann der Sommer und die Ferienzeit herannahete, beschlossen wir eine Reise zu machen, um die beiderseitigen Verwandten zu besuchen. Da damals noch keine Eisenbahn existirte, so mußten wir, wie bisher, wieder mit Extrapost fahren und traten die Reise über Eisenach nach Gotha an, wo wir die an einen Kaufmann Hildt verheirathete Stiefschwester meiner seligen Frau aufsuchten. Wir trafen sie in ihrem Blumengarten, brachten da einen vergnügten Abend mit ihnen zu und reis'ten am folgenden Tage weiter nach Erfurt. Da die dortigen Musikfreunde im voraus unsere Ankunft erfahren hatten, so wurden wir sogleich im Gasthause »Zum römischen Kaiser« von einer Deputation empfangen, die uns in der schmeichelhaftesten Ansprache zu den für uns vorbereiteten Festlichkeiten einlud. Bei dem am ersten Mittag stattfindenden Fest-Diner wurde ich mit einem Bewillkommnungsgedichte begrüßt, worauf ein donnernder Toast auf mich, zur großen Freude und Genugthuung meiner Frau und Tochter, ausgebracht wurde. Abends fuhren wir nach dem Steiger, dem beliebtesten Vergnügungsorte der Erfurter; da es aber bald zu regnen anfing, so konnten wir von den schönen Gartenanlagen nicht viel genießen, sondern mußten vielmehr in den daselbst befindlichen Saal flüchten. Zum Glücke hatte man für ein gutes Fortepiano gesorgt und ich konnte daher der Gesellschaft mein neues Duo für Geige und Clavier, sowie mein Concertino in E-dur, welches beides ich mit meiner Frau spielte, zu hören geben. Therese sang darauf noch einige meiner neuesten Lieder, und von den Erfurter Herren und Damen wurden auch noch mein Baß-Duett aus »Faust« und verschiedene Lieder vorgetragen. Diese halb improvisirte Musikpartie schien der Gesellschaft ungemein großes Vergnügen zu machen, und so kehrten wir trotz des Regens sehr zufrieden nach der Stadt zurück. Am anderen Morgen wurden wir früh durch ein Ständchen überrascht, das uns von der auf dem Vorplatz aufgestellten Militär-Musik gebracht wurde. Es begann mit den wohlbekannten Klängen einer meiner Symphonien, worauf mehrere andere Stücke und zuletzt das erste Finale aus »Zemire und Azor« folgten. Sodann nahmen wir die Sehenswürdigkeiten der Stadt, insbesondere den herrlichen Dom in Augenschein, wo uns beim Eintreten die Klänge der berühmten Orgel entgegentönten und darauf die Einleitung zu »Des Heilands letzte Stunden«, sowie noch viele andere Melodien, meistens aus meinen älteren Oratorien, in ergreifender Weise vorgetragen wurden. Nachdem wir hierauf einem glänzenden Diner bei Frau Major von Rommel, einer Cousine meiner Frau, beigewohnt hatten, fuhren wir zu dem im Theater veranstalteten großen Concerte, in welchem bei festlicher Erleuchtung die »Weihe der Töne« und mein »Vaterunser« in sehr befriedigender Weise aufgeführt wurden.
Am anderen Morgen setzten wir die Reise nach Leipzig fort und wohnten auch dort wieder mehreren interessanten Musikpartien bei, welche meine alten Freunde, Rochlitz und Weiß, sowie die ausgezeichnete Pianistin Madame Vogt uns zu Ehren bei sich veranstalteten und wo auch ich einige neuere, den Leipzigern noch unbekannte Quartetten, insonderheit das erst im vorigen Herbste componirte Quatuor brillant in A-Dur (Wien, bei Haslinger, Op. 93) zu hören gab. In Dresden trafen wir im Gasthause »Zur Stadt Gotha« die Familie Kleinwächter aus Prag, Vater, Sohn und Tochter, sowie auch meinen Freund Adolph Hesse, den rühmlichst bekannten Organisten aus Breslau, der mir seit dem Jahre 1828, wo er mich zuerst in Cassel aufsuchte, persönlich bekannt und mir sehr zugethan war. Wir traten mit ihnen eine schon im voraus verabredete gemeinschaftliche Reise in die sächsische Schweiz an und machten die erste Strecke bis zum Eingang in den Ottowalder Grund zu Wagen, der uns dann, wenn unsere Kräfte vom Ersteigen der steilen Aussichtspunkte erschöpft waren, immer wieder erwartete und uns bequem von einer der herrlichen Felspartien zur anderen brachte. Dennoch gab es immer noch große und anstrengende Fußtouren, wie namentlich auch die Ersteigung des großen Winterberges bei drückender Hitze. Von Hirniskretschen, dem Zielpunkt unserer Reise, fuhren wir auf der Elbe nach Schandau, aßen dort vergnügt zu Mittag und neckten uns dabei gegenseitig über unsere Müdigkeit, die wir vor den mit uns zu Tische sitzenden Badegästen möglichst zu verbergen suchten, was zu manchen komischen Scenen Veranlassung gab.
In Dresden wohnten wir dann noch einer interessanten Quartettpartie bei, die der Kammermusikus Franz, mein ehemaliger Schüler, in seiner mit Kränzen und Blumen festlich geschmückten Wohnung veranstaltet hatte. Wir trafen dort auch die drei Kapellmeister Reissiger, Morlacchi und Rastrelli, und ich spielte eins meiner Doppelquartetten so wie mein neuestes Concertino. Da wir am anderen Morgen Dresden verlassen wollten, so hieß es nun von unseren liebenswürdigen Reisegefährten Kleinwächter und Hesse scheiden, in deren Gesellschaft wir so vergnügte Stunden verlebt und die mich während unseres Zusammenseins mit Liebe und Aufmerksamkeit wahrhaft überschüttet hatten. Sie schieden von uns mit thränenden Augen und wir setzten unsere Reise über Leipzig und Halle nach Braunschweig fort, wo wir meine Brüder Wilhelm und August besuchen und zugleich dem gerade dort abgehaltenen Musikfeste beiwohnen wollten. Die Aufführungen fanden in der Aeygdienkirche statt und begannen mit Händel's »Messias.« Obgleich uns das herrliche Werk von früheren Aufführungen längst genau bekannt war, so wurden wir doch durch die großartigen Chöre, ihre starke Besetzung und die Mozart'sche Instrumentirung auf's neue wahrhaft hingerissen. An den zwei folgenden Tagen gab es gemischte Vocal- und Instrumental-Concerte; jedoch erschien uns deren Inhalt, der meist aus Opernsachen bestand, für die Kirche nicht ganz geeignet. Bei den verschiedenen Festessen, die an jedem Mittag in dem großen, auf der Wallpromenade errichteten Zelte stattfanden, ging es gewöhnlich sehr tumultuarisch zu; besonders komisch war aber eine Scene, die sich dabei am letzten Tag ereignete. Der Tenorist Mantius aus Berlin, der schon einige Lieder mit großem Beifalle gesungen hatte, wurde schließlich gebeten, noch das beliebte »Schön Hannchen« vorzutragen. Dieses Lied hat einen scheinbaren Schluß, auf den ein noch brillanteres Ende folgt. Nun brachen die Zuhörer immer schon mit ihrem Beifalle los, bevor Mantius bis zu Ende gekommen. Nachdem dies zu seinem Aerger schon bei einigen Strophen geschehen war, stieg er bei den folgenden aus eine Bank und zuletzt sogar auf den Tisch, um den Glanzpunkt endlich einmal zu Gehör zu bringen; aber wieder vergebens! Der scheinbare Schluß war zu verführerisch, und obgleich Mantius vor der letzten Strophe die Zuhörer abermals de- und wehmüthig gebeten hatte, ihren Beifall doch so lange zurückzuhalten, bis er wirklich zu Ende gekommen sei, so ließ sich dennoch einer derselben hinreißen, zur unrechten Zeit Bravo zu rufen, und das war genug, um alle Anwesenden mit einstimmen zu lassen. Die verzweifelte Miene, mit welcher nun der mit Beifall überschüttete Sänger vom Tische stieg, hatte etwas unaussprechlich Komisches.
Bei unserer Abreise von Braunschweig wurden wir vom Amtsrath Lüder, der sich ebenfalls zum Musikfeste eingefunden hatte, dringend eingeladen, aus dem Rückwege bei ihm noch einige Tage auf seinem Gute Catlenburg zuzubringen, wodurch dann diese interessante Reise auf würdige Weise beschlossen wurde.
In Cassel fand ich nach unserer Rückkehr von meinem früheren Schüler, dem Musikdirektor Gercke aus Paderborn einen Brief vor, in welchem wir zu dem am 21. Juli daselbst stattfindenden tausendjährigen Jubiläum des h. Liborius eingeladen wurden. Dasselbe sollte am ersten Tage durch Kirchenfeierlichkeiten und am zweiten durch die Aufführung meines Oratoriums; »Des Heilands letzte Stunden« festlich begangen werden. Da die Ferienzeit noch nicht ganz abgelaufen war, so faßten wir einen schnellen Entschluß und saßen nach wenig Tagen schon wieder im Reisewagen, in dem diesmal meine Schwägerin, Caroline Pfeiffer, den vierten Platz einnahm. Wir übernachteten in Lichtenau, fuhren aber am anderen Morgen schon so früh von dort ab, daß wir vor acht Uhr in Paderborn ankamen; wir fanden jedoch die Stadt bereits so voll Menschen, daß wir vor den beiden dortigen Gasthäusern abgewiesen wurden. Dem Wirthe des zweiten schien es aber doch zu leid zu thun, uns nicht aufnehmen zu können und er besorgte uns daher ein paar Zimmer in einem gegenüber liegenden Privathause. Wir konnten indessen dort nur zwei Betten erhalten und es mußte für mich und meine Frau für die Nacht im Gasthause selbst eine Schlafstelle eingerichtet werden und zwar in einem Zimmer, das am Tag ein Friseur zu seinem Geschäft und zum Verkaufe seiner Waaren inne hatte. Kaum in unsere unscheinlichen Zimmer eingetreten, erhielten wir von den Dilettanten der Stadt, so wie von den bei den Musik-Aufführungen betheiligten Künstlern, Besuche. Darauf wurden wir in ein befreundetes Haus geführt, wo man uns an den Fenstern die besten Plätze einräumte, um die glänzende Prozession, die den vergoldeten Schrein mit den Gebeinen des h. Liborius nach dem Dome geleitete, bequem sehen zu können. Erst als das übermäßige Gedränge des Volkes nachgelassen hatte, gingen auch wir in den Dom, bewunderten das reiche und schöne Gebäude und hörten die D-dur-Messe von Karl Maria von Weber, deren allzuweltlicher Styl uns aber nicht recht gefallen wollte. Am folgenden Abend fand die Ausführung meines Oratoriums in der glänzend erleuchteten Jesuitenkirche statt, wo wir durch die bereits überfüllten Räume hindurch bis ganz vorn hingeleitet wurden, um auf gepolsterten Sesseln, die man uns dicht neben dem Bischof von Paderborn, so wie dem Ober-Präsidenten von Vincke und dem Commandanten der Stadt angewiesen hatte, Platz zu nehmen. Ich bemerkte mit Freude, daß auch hier für mein Oratorium große Begeisterung herrschte; Gercke dirigirte sehr gut, die Chöre waren vortrefflich einstudirt und unter den Solosängern, die meistens aus Dilettanten bestanden, zeichnete sich besonders die bekannte Concert-Sängerin Frau Johanne Schmidt in der Partie der Maria aus. Kaum hatten wir uns nach diesem unruhig verlebten Tage zur Ruhe begeben, so erschallte unter unseren Fenstern eine Fackelmusik, wobei abwechselnd gespielt und vierstimmige Lieder gesungen wurden. Als ich mich bei dem wiederholten Hochrufen dankend zum Fenster hin wenden wollte, stellten sich mir aber die vor demselben aufgethürmten Schachteln unseres Mitbewohners hindernd entgegen und ich mußte deshalb den versäumten mündlichen Dank am anderen Morgen vor unserer Abreise schriftlich nachholen.
So kehrten wir denn auch von diesem Ausfluge sehr befriedigt nach Cassel zurück, wo dann für mich, aufgemuntert durch körperliches Wohlbefinden und meine höchst glückliche häusliche Lage, eine fleißige Compositions-Periode begann. Schon auf der Rückreise von Dresden hatte ich beständig an eine neue Composition gedacht und auch schon das Programm dazu entworfen. Es war dies eine zweite Sonate für mich und meine Frau, die später als Duett für Piano und Violine »Nachklänge einer Reise nach Dresden und in die sächsische Schweiz« ( Op. 96) Lei Simrock in Bonn erschienen und unseren liebenswürdigen Reisegefährten aus Prag und Breslau gewidmet ist. Im ersten Satze suchte ich die Reiselust zu schildern, im zweiten die Reise selbst, indem ich die in Sachsen und dem benachbarten Preußen gebräuchlichen Hornfanfaren der Postillone in das Scherzo als dominirendes, von der Geige auf der G-Saite hornmäßig gespieltes Hauptthema mit auffallenden Modulationen des Fortepiano verarbeitete und dann im Trio eine Schwärmerei schilderte, wie man sich ihr so gern unbewußt im Wagen brütend überläßt! Das folgende Adagio gibt eine Scene aus der katholischen Hofkirche zu Dresden, welche mit einem Orgelpräludium auf dem Pianoforte allein beginnt; darauf spielt die Geige die Intonation des Priesters vor dem Altare, woran sich das Responsorium der Chorknaben genau in denselben Tönen und Modulationen, wie man sie in katholischen Kirchen und auch in der Dresdener hört, anschließt. Diesem folgt eine Castraten-Arie, wobei es die Aufgabe des Geigers ist, sie ganz im Ton und Style des dortigen Gesanges zu kopiren. Der letzte Satz schildert in einem Rondo die Reise durch die sächsische Schweiz, indem sie theils an die erhabenen Naturschönheiten, theils an die fröhliche, böhmische Musik, die man fast aus jeder Felsenpartie hervorschallen hört, zu erinnern sucht; eine Aufgabe, der in so engem Rahmen freilich nur ungenügend entsprochen werden konnte. Im Laufe des Jahres 1836 schrieb ich noch eine Anzahl Lieder, deren sechs in einem Heft als Op. 101 bei Breitkopf & H. herauskamen und worunter sich das auch im Musikalischen Album von Breitkopf und Härtel abgedruckte: »Sangeslust« mit vierhändiger Begleitung befindet, ferner einen Psalm für Chor und Solostimmen (Berliner Akademie der Künste Op. 92), dann ein größeres Gesangwerk: »Hymne an Gott« für vier Chor- und Solostimmen mit Orchester-Begleitung und eine Phantasie in Form einer Ouvertüre zu Raupach's mythischer Tragödie: »Die Tochter der Luft«, welche bald nachher in einem unserer Abonnements-Concerte zur Aufführung kam. Da sie mir aber in dieser Gestalt doch nicht recht gefallen wollte, so bearbeitete ich sie später zum ersten Satze meiner fünften Symphonie, die ich für die concerts spirituels in Wien componirte und die bald nachher bei Haslinger als Op. 102 im Druck herauskam Die erste Aufführung in Wien machte dort große Sensation, wie zahlreiche erfreuliche Berichte, begleitet von einem kostbaren silbernen Pokal mit passender anerkennender Inschrift, kund thaten. Die Wiener Musikzeitung sagte in einer sehr enthusiastischen Recension u. A.: »Es ist abermals ein Werk, das mit beredter Zunge seinen Meister lobt; ein Ganzes rein in sich abgeschlossen, so recht aus einem Gusse geformt. Die Einleitung, Andante C-Dur, athmet heitere Ruhe, nimmt allmälig einen leidenschaftlichern Charakter an, und bereitet den Uebergang zum Allegro C-moll vor, das, mit einer Fülle harmonischen Reichthums glänzend ausgeschmückt, schon den Keim imposanter Wirksamkeit in sich trägt ... Der zweite Satz, Larghetto As-Dur, ist ein Conglomerat von tiefem Gefühl, warmer Phantasie, empfindungsvollem Gesange etc.; hier spricht einmal wieder jeder Ton mit hinreißender Allgewalt zum Herzen ... Das Scherzo, C-Dur, tritt kühn herausfordernd, mit frischem Muth ins Leben; die scharfen Rhythmen, der ruh- und rastlose Wettstreit des blasenden und Bogen-Orchesters, das drängende Jagen und Treiben im Gegensatz zur sanften, spiegelklar hinfließenden Cantilene des Alternativs, – all dies effectuirt in solch originell afficirender Weise, wie Worte nicht versinnlichen können ... Für das Finale presto, scheint der Tondichter das Beste so er vermochte, die Totalsumme seiner Schöpfungskraft aufgespart zu haben ... Keine der zahllosen Schönheiten blieb unbeachtet, jeder Satz erhielt den gebührenden Tribut der Meisterschaft; ja das phantasiereiche Scherzo electrisirte so unanim, daß es da capo gespielt werden mußte.« .... Im Anfange des folgenden Jahres (1837) schrieb ich mein drittes Duett für Pianoforte und Violine in E-Dur, welches später als Op. 112 bei Paul in Dresden herauskam.
Um dieselbe Zeit begann ich ernstliche Vorbereitungen zur Ausführung einer Idee, die mich schon lange beschäftigt hatte, nämlich ein Musikfest zu veranstalten, wozu mir in vieler Hinsicht Cassel als ein ganz geeigneter Ort erschien. Mein Plan dazu war folgender: Am Pfingstsonnabend sollte Nachmittags in der St. Martins-Kirche das Oratorium »Paulus« von Mendelssohn aufgeführt werden, am ersten Pfingsttage Abends bei Beleuchtung meine Symphonie »Die Weihe der Töne« und das Oratorium »Die letzten Dinge«, am zweiten Pfingsttage Vormittag im Theater Concert der fremden und einheimischen Sänger und Virtuosen und an demselben Abend, wie gewöhnlich auf den zweiten Festtag, eine neue Oper. Die Einladungen nach auswärts, die Anschaffung der Musikalien und die Einübung der Oratorien im Gesangverein hatten bereits begonnen, als ich auf meine beim Kurprinzen eingereichte Bitte um Genehmigung nachstehenden höchsten Beschluß aus dem Geheimen Cabinet erhielt: »Die Tage der Aufführungen müssen geändert werden, indem dazu der Pfingst-Sonnabend, an welchem sonst die zum heiligen Abendmahl sich Vorbereitenden gestört werden könnten, nicht gestattet werden kann; desgleichen darf am Pfingst-Montag kein Concert (wegen der Kirche und der Oper) sein; auch dürfen in der großen Kirche keine Gerüste für das Chor aufgeschlagen werden, da solches wegen der fürstlichen Gruft unschicklich wäre. Seine Hoheit erwarten neue Vorschläge, indem Höchstdieselben erst hiernach die Erlaubniß ertheilen können.« Ich entgegnete hierauf, daß bei einem Musikfest in Cassel nur dann ein günstiger Erfolg zu hoffen und das risico der sehr bedeutenden Kosten ohne Gefahr zu übernehmen sei, wenn dasselbe, wie bei anderen, namentlich den niederrheinischen Musikfesten üblich, an den Pfingstfeiertagen stattfände, wo eine Menge von Fremden zuströmten und die Musikfreunde der Umgegend nicht durch Geschäfte vom Besuch abgehalten würden; daß, wenn der Festsonnabend nicht gestattet würde, in der genannten Zeit keine zwei Abende auf einander folgend zu Kirchen-Aufführungen zu ermitteln wären. Da sich überdies in Cassel kein anderes passendes Lokal vorfinde, als die große Kirche und in dieser das Aufschlagen des Gerüstes nicht erlaubt sein sollte, so sähe ich mich daher genöthigt, das beabsichtigte Musikfest gänzlich aufzugeben.
So unangenehm nun auch für alle Theile dies völlige Scheitern des Planes war, so mußte ich, ungeachtet der nicht unbedeutenden Kosten, die ich bereits gehabt, und die mir durch Wiederverkaufen der angeschafften Singstimmen an die Gesangvereine nur zum kleinsten Theil ersetzt werden konnten, dennoch dabei bleiben. Da wir indessen das Mendelssohn'sche Oratorium schon fleißig eingeübt und es immer lieber gewonnen hatten, so schlug ich es zur Aufführung in dem am ersten Pfingsttage zum Besten des Unterstützungsfond bewilligten Concerte vor, erhielt aber auch hierauf höchsten Orts eine abschlägige Antwort und wir mußten uns damit begnügen, das Oratorium den Musikfreunden am Clavier in zwei Privat-Aufführungen des Cäcilien-Vereins zu hören zu geben.
Im Sommer 1837 hatte ich eine Einladung nach Prag erhalten, meine Oper »Der Berggeist« dort zu dirigiren und gedachte daher gleich beim Beginn der Theaterferien von hier abzureisen. Als aber am Abend vorher der Urlaub noch nicht in der Theater-Kanzlei eingetroffen war, ließ ich mich im Zwischenakt der Oper beim Kurprinzen melden und fragte bei ihm an: »ob er mir irgend einen Auftrag auf die Reise mitzugeben habe?« In der ziemlich undeutlichen Antwort verstand ich zwar so etwas von nicht ausgefertigtem Urlaub, da ich indessen keine Zeit zu verlieren hatte, so sah ich mich genöthigt, demungeachtet am anderen Morgen vier Uhr abzureisen. Als ich in der Nähe meiner Wohnung den Theaterdirektor Feige schon so zeitig umher spazieren sah, so vermuthete ich, daß er vielleicht abgesandt sei, um zu erkunden, ob ich wirklich den Muth hätte, ohne die schriftliche Ausfertigung des Urlaubs abzureisen. Auch war ich am ersten Reisetage nicht ohne Besorgniß, daß man reitende Boten hinter uns hersenden und uns zurückkommen lassen würde. Ich betrieb daher das Vorlegen der frischen Pferde auf den Poststationen so viel als möglich, und so kamen wir unaufgehalten über die Grenze hinaus. Nach einer sechstägigen Reise langten wir endlich in Prag an, wo Marianne und Therese sehr von der Pracht der Stadt frappirt waren und daneben hie unerwartete Freude hatten, durch die an den Straßenecken befindlichen Theaterzettel zu erfahren, daß am Abend meine Oper »Jessonda« zum Debüt einer fremden Sängerin gegeben wurde. Daß die Oper auch hier sehr beliebt war, zeigte sich bei der Aufführung schon nach der Ouvertüre, da sie das Publikum da capo verlangte. Ebenso mußte auch das »Blumenduett« und das Duett: »Schönes Mädchen« wiederholt werden. Uebrigens ärgerte ich mich über mehrere Auslassungen, die indessen dem Prager Kapellmeister nicht zur Last fielen, sondern in Wien, woher die Partitur gekommen, beliebt worden waren. Die Hauptsänger der Oper waren sehr gut, und so ließ sich auch vom »Berggeist« Günstiges erwarten.
Am andern Morgen überraschte mich der Besuch eines eifrigen Musikfreundes, Dr. Hutzelmann, der erfahren hatte, daß ich ein Freund vom Schwimmen sei, und deshalb kam, mich nach der Militär-Schwimmschule in der Moldau abzuholen; der bei derselben angestellte Offizier, welcher mich begleitete, bemerkte bald, daß ich ein geübter Schwimmer war, und schlug mir eine Tour außerhalb der Schwimmschule vor, wobei er mich in einem von zwei Soldaten geführten Kahne begleitete. Meine Kleider nahmen sie mit und zogen mich, als ich etwa eine halbe Stunde mit dem Strome geschwommen hatte, in den Kahn, ln dem ich mich ankleidete, während uns die Soldaten nach der Stadt zurückruderten. Indem ich neben dem Kahne fortschwamm, drehete sich die Unterhaltung immer nur um meine Compositionen, die der musikalische Schwimmlehrer fast eben so gut kannte, als ich selbst. Er machte mir den Vorschlag, jeden Tag eine ähnliche Promenade in der Moldau zu versuchen, und ich fand ihn am anderen Morgen mit seinem Kahn schon bei der Schwimmschule auf mich wartend. Unterdessen gingen die Proben zum »Berggeist« sehr gut. Der dortige Kapellmeister hatte die Zimmer-Proben sehr sorgfältig abgehalten und Alles so genau einstudirt, daß die Oper bei zwei Aufführungen, die ich selbst dirigirte, vorzüglich gelang. Ich wurde nicht nur beim Eintritt in's Orchester vom Publikum glänzend empfangen, sondern auch beim Schlusse der Oper jedesmal stürmisch herausgerufen. Die Sänger waren in den Hauptpersonen Madame Podhorski als Alma, die Herren Pöck und Emminger, als Berggeist und Oskar, sehr gut, und die Oper hat sich längere Zeit auf dem dortigen Repertoir erhalten. Wir blieben noch einige Tage in Prag und ich spielte in mehreren Gesellschaften nicht nur Quartetten, sondern auch meine Sonaten und Solo-Sachen mit Accompagnement meiner Frau, welche auch neue Compositionen von Kittl und Kleinwächter mit denselben vierhändig spielte und sich dabei durch ihr fertiges Notenlesen sehr auszeichnete. Dabei machte die Kleinwächter'sche Familie mit uns viele Exkursionen in die schöne Umgebung von Prag, wodurch wir diese herrliche Stadt genau kennen lernten. Doch endlich mußten wir dieses angenehme Leben verlassen und uns wieder auf die Reise begeben. Nun kam die beschwerlichste Tour derselben bis nach Wien, wobei wir von Hitze und Staub, sowie von schmutzigen und erbärmlichen Nachtlagern viel zu leiden hatten. Halb todt gelangten wir am vierten Tage nach Wien und stiegen im »Erzherzog Karl« ab. Nachdem ich meine früheren Freunde aufgesucht hatte, verlebten wir dort sehr vergnügte Tage, welche wir dem schon von Cassel her mir befreundeten kurhessischen Gesandten von Steuber, dem Baron von Lannoy, besonders aber meinem damaligen Verleger Haslinger zu danken hatten. Dieser führte uns jeden Abend in einen anderen Garten, wo Strauß und Lanner ihre Concerte gaben und wo man an kleinen Tischen nach der Karte sehr gut speiste. Einigemale besuchten wir auch die Theater, um die eigentliche Wiener Volksposse kennen zu lernen, doch waren meine Begleiterinnen mit dem Wiener Dialect nicht bekannt genug, um sie recht goutiren zu können.
Nach vierzehn Tagen, wo wir alle Freuden Wiens gekostet hatten, nahmen wir von den lieben Freunden Abschied und traten die Reise nach dem himmlisch gelegenen Salzburg an, welche eine der schönsten ist, die man machen kann, besonders die erste Hälfte über die Seen bis zum Bad Ischl. In Salzburg, der mir als Mozart's Geburtsort heiligen Stadt, besuchten wir vor allem dessen Witwe, die jetzige Frau Staatsrath von Nissen, die sehr erfreut darüber war und bei welcher wir auch die beiden Söhne kennen lernten. Bei den Exkursionen, die wir in einem der dort gebräuchlichen leichten Einspänner in die Umgegend machten, interessirte uns am meisten der berühmte Gollinger Wasserfall, so wie eine Rutschpartie durch die Salzbergwerke von Hallein, die für meine Reisegefährtinnen noch etwas ganz Neues war. Von Salzburg ging es nun weiter nach München, wo ich zu meiner Ueberraschung erfuhr, daß der Kurprinz von Hessen ebenfalls gerade eingetroffen sei. Da es nun galt, diesen wegen meiner Abreise von Cassel zu versöhnen, so wendete ich mich deshalb an den Hofmarschall von der Malsburg und erzählte ihm zugleich, daß ich von der Münchener Theater-Intendanz dringend aufgefordert sei, meine Oper »Jessonda« dort zu dirigiren, wozu ich aber zuvor des Kurprinzen Bewilligung erbitten wolle. Am anderen Morgen ließ mir dieser nun sagen, es würde ihm sehr angenehm sein, wenn ich die Oper dirigirte, und er wolle in dem Falle auch seinen Aufenthalt noch verlängern, um sie selbst zu hören. Geschmückt mit einem von Herrn von der Malsburg entliehenen Hut und einem abgeschnittenem Stückchen seines Ordensbandes begab ich mich am anderen Tage zu der bestimmten Audienz und wurde vom Kurprinzen mit den Worten empfangen: »Sie waren uns ja in Cassel auf einmal verloren gegangen.« Ich erwiederte: »Ich glaubte nicht anders, als mich ordnungsmäßig abgemeldet zu haben«, und da er weiter nichts hierüber äußerte, so war die Sache damit für diesmal abgethan. Die beabsichtigte Aufführung der »Jessonda« kam indessen während meiner Anwesenheit in München nicht mehr zu Stande, da der König einige Tage später einen fürstlichen Besuch erwartete und die Oper bis dahin verschoben hatte, inzwischen aber meine Urlaubszeit zu Ende ging. Wir reis'ten daher noch vorher von München ab, besuchten auf der Rückreise in Erlangen meinen Onkel, den Professor Adolf Hencke, wo wir auch dessen Schwiegersohn, den jetzigen Hofrath Rudolph Wagner zu Göttingen, kennen lernten, und kehrten noch vor dem Kurprinzen nach Cassel zurück.
Kurze Zeit nachher bekam ich einen Brief von Hermstedt, worin er im Auftrage der Fürstin von Sondershausen mich aufforderte, Lieder für eine Sopranstimme mit Clavier- und Clarinett-Begleitung für dieselbe zu schreiben. Da mir diese Arbeit sehr zusagte, so componirte ich im Verlauf einiger Wochen sechs Lieder dieser Gattung ( Op. 103, Leipzig, Breitkopf & H.), die ich der Fürstin, auf ihren ausdrücklichen Wunsch, dedicirte, worauf ich einen kostbaren Ring von ihr zum Geschenk erhielt.
Das Jahr 1838 begann ich mit der Composition des »Vaterunser« von Klopstock ( Op. 104, Leipzig, Breitkopf & H.), das ich doppelchörig für Männerstimmen, anfangs nur für Clavierbegleitung schrieb, dann aber für Harmonie-Musik instrumentirte, indem es für das zum Besten der Mozart-Stiftung zu Frankfurt veranstaltete Liederfest bestimmt war, wo es dann, obgleich ich selbst die Direktion hatte ablehnen müssen, am 29. Juli zuerst zur Aufführung kam und, trefflich einstudirt, den dortigen Berichten zufolge, eine recht feierliche, erhebende Wirkung hervorbrachte.
In den folgenden Monaten componirte ich wieder mehrere Lieder für Sopran oder Tenor, die als Op. 105 bei Hellmuth in Halle im Druck erschienen.
Inzwischen war endlich auch die erste öffentliche Aufführung des »Paulus« am Charfreitag in der Garnisonskirche zu Stande gekommen und wir sahen mit Vergnügen der Wiederholung desselben am ersten Pfingsttage entgegen, als plötzlich unsere gute Therese an einem bösartigen Nervenfieber erkrankte, das in kurzer Zeit ihrem blühenden Leben ein Ziel setzte. Am Dienstag vor Himmelfahrt hatten wir noch hauptsächlich auf Theresens Wunsch eine vergnügte Partie nach Wilhelmshöhe gemacht; dort fing sie schon an über Unwohlsein zu klagen und mußte sich nach unserer Rückkehr sogleich zu Bette legen. Da Dr. Ludwig Pfeiffer, unser damaliger Hausarzt, der zweite Bruder meiner Frau, gerade abwesend war, so zogen wir abermals deren Onkel, Geh. Hofrath Dr. Harnier, zu Rathe, der die Kranke, obgleich noch keine ängstlichen Symptome sich zeigten, täglich wiederholt besuchte, bis er, nach Verlauf von acht Tagen, zu unserem großen Schrecken die Krankheit für Nervenfieber erklärte; das Fieber wurde nun immer heftiger, und da sie in ihren Phantasien sich viel mit der von uns beabsichtigten Reise nach Carlsbad beschäftigte, worauf sie sich sehr gefreut hatte, so versprach ich ihr, jedenfalls mit der Abreise auf ihre Genesung zu warten. Dies beruhigte sie zwar sehr, konnte jedoch das Fieber nicht mildern, und so mußte das neunzehnjährige blühende Mädchen am ersten Pfingstmorgen der bösartigen Krankheit erliegen. Der Verlust des talentvollen und gutgearteten Kindes machte uns so unglücklich, daß wir mit Sehnsucht den bevorstehenden Theater-Ferien entgegensahen, um die traurige Umgebung sogleich zu verlassen und fern von Cassel nicht in jedem Augenblick an unseren Schmerz erinnert zu werden.
Nachdem wir durch abermalige Verzögerung des Urlaubs noch acht Tage in Cassel zurückgehalten waren, konnten wir endlich am 23. Juni unsere Reise nach Carlsbad antreten und zwar in Begleitung meiner Schwiegermutter, der die dortige Kur ebenfalls angerathen war, was mir besonders wegen meiner Frau, die sich den Verlust unserer Therese sehr zu Herzen genommen, im höchsten Grad erwünscht war. In Carlsbad angelangt, trafen wir sogleich mit Hesse aus Breslau zusammen und machten auf unsern Brunnen-Promenaden bald auch die Bekanntschaft von anderen eifrigen Musikfreunden, denen wir an trüben Tagen, wo das Wetter keine gemeinschaftlichen Ausflüge in die überaus reizende Umgegend erlaubte, kleine Musikpartien in unserer Wohnung veranstalteten. Da eine junge Dame aus Breslau, Fräulein Ottilie Schubert vortrefflich sang, so studirte ihr meine Frau meine neuen Lieder mit Clarinettbegleitung ein, wobei ein vorzüglicher Clarinettist, Herr Seemann aus Hannover, die Clarinettpartie übernahm; so lernten unsere Zuhörer eine ihnen noch unbekannte Gattung von Liedern kennen, die ihr lebhaftestes Interesse erweckte. Später traf auch de Beriot mit seiner Schwägerin Pauline Garcia in Carlsbad ein, und sein im Theatergebäude veranstaltetes Concert gewährte uns einen großen Genuß. Er spielte sehr rein, brillant und fertig, wenn mir auch seine Compositionen nicht durchweg gefallen wollten, und Fräulein Garcia, die später so berühmt gewordene Madame Viardot-Garcia sang mit umfangreicher, nicht eben ausgezeichnet schöner Stimme aber großer Kunstfertigkeit. Besonders entzückte sie durch den Vortrag ihrer spanischen Romanzen und Lieder, die sie sich selbst auf dem Pianoforte sehr gut begleitete – – – –
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