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Der schönen Nanni Lebenslauf

Aus Max Hufnagels Papieren.

1.
Aufsteigende Linie

An der spiegelhellen Loisach war kein schöneres Mädchen, als des Schiffer-Wastls Tochter. Ihre Augen glänzender als die Fluthen des Stroms, ihr Wuchs schlanker als der der Birken, ihr Haar schimmernd braun, voll und üppig, der schweren Pelzhaube spottend, die der Locken Fülle einzusperren bestimmt war. Nanni's Stimme klang süß und unschuldig wie Töne von Engelsharfen, und Nanni's Herz übertraf an Güte ihre Gespielinnen bei Weitem. Kaum achtzehn Jahre alt war das Mädchen schon durch eine strenge Schule gegangen, hatte es gelernt, wie man vom Wohlstand zur Dürftigkeit, von Dürftigkeit zum Mangel sinkt. Wastl hatte eigen Schiff und Floß auf der Loisach, aber im Wein ertrank sein Schifferglück; als Floßknecht war er sodann nach Tölz gewandert, von Tölz nach München gefahren, und im Begriff, andere Heimath, andere Völker aufzusuchen, unfern von Landshut zwischen den Balken eines gescheiterten Floßes ertrunken. Sein Weib war eine Wittib, sein Kind eine Waise geworden, und die Wittwe wußte bald nicht mehr, was mit der Waise anzufangen.

Da kam eines Abends eine Nachbarin in Schiffer-Wastls Hütte, ein Weib von nicht minderer Armuth, dessen Sohn jedoch von Stipendium und Freitisch in München zehrte, um dereinst ein gottseliger Priester zu werden, – und die Nachbarin sprach: »Ihr lamentirt Tag und Nacht, und könntet Eures Jammers bald ledig seyn. So viel als die Mutter braucht, schafft ihr der Almosenkasten, die Barmherzigkeit der Bürger im Dorf, und des Herrn Cooperators Beisteuer. Aber die Nanni kann sich mit dem besten Willen hier bei uns nicht durchbringen, denn ein junges sauberes Mädel will brav essen und trinken, und geputzt seyn, und sich erlustiren, und am Ende einen vermöglichen Mann bekommen. Wer wird aber des abgewirthschafteten Schiffer-Wastls Tochter nehmen? Hier im Ort denkt Keiner daran, der Vetter in Königsdorf will nichts mehr von Euch wissen, und der Schwager, der Gerber zu Miesbach, hat's nicht besser mit Euch im Sinn. Schickt lieber das Mädl nach München in irgend einen Dienst. Mein Sohn schreibt mir, daß viele Dirnen dort ihr Glück machen, und Söldner-Jakobs Waberl fährt dort sogar in einer Kutsche spazieren, so oft sie nur will. Ihr werdet sehen, daß ich mich nicht betrüge; mein geistlicher Herr Sohn, wenn er einmal eine Versorgung erhält, wird auch gewiß alles thun, um der Nanni weiter zu helfen.«

Da faltete des Wastls Eheweib die dürren Hände, und sagte mit zum Himmel gerichteten Augen: »Ach Herr Jesus, was mir jetzt einfällt! Ich habe noch einen Vatersbruder, einen gar braven geistlichen Herrn, der auch in München lebt, und, wie ich glaube, ein Benefiziat geworden ist. Ich sah den guten Herrn seit dreißig Jahren nicht; dazumal las er in der Heiligengeist-Kirche die Frühmesse, und wird es wohl noch thun, und nicht gestorben seyn, weil wir sonst etwas davon wissen müßten. Den Rath hat Euch der Himmel eingegeben, liebe Nachbarin, und morgen soll die Nanni fort.«

Die Tochter stand in einer Ecke, spielte mit dem Schürzenband, und betrachtete eifrig den Fußboden; aber ihr Ohr hing an dem Munde der Nachbarin, und ihre jugendliche Neugier schwelgte mit ungeduldiger Sehnsucht in den Hoffnungen eines nahen Glücks. Das beneidenswerthe Loos, welches in der Hauptstadt des armen Söldner-Jakobs Waberl gezogen, war schon lange in dem entfernten Dörfchen bekannt geworden, und von Münchens Herrlichkeiten sprach ohnehin jeder Landbewohner, wenn er auch nur ein einzigmal dort hingekommen, mit Freude, mit Wohlbehagen und dem Wunsche, noch ferner das Paradies, das gelobte Land von Bayern zu schauen. Nanni's Seele hatte schon Ja gesagt zu den Vorschlägen der Nachbarin, zu den Vorsätzen der Mutter; ihre Zunge wagte indessen noch einige Einwendungen, und meinte, es sey doch hart und schnöde, die Mutter allein zu lassen in ihrer Hülflosigkeit. Wastls Wittwe begegnete allen diesen Einwendungen mit aufopfernder Zärtlichkeit, redete von der thätigen Theilnahme der ganzen kleinen Gemeinde an ihrer Noth, von der Unterstützung des barmherzigen Cooperators, und von dem ziemlich reichen Erwerb, der zur Wallfahrtszeit für sie aufgehen werde, wenn sie als Kerzelweib oder Rosenkranzverkäuferin die ergiebigen Stationen von Andechs, Miesbach und dem Peissenberg besuchen würde. Die Nachbarin verhieß daneben immer mehr der goldenen Berge für Nanni, und malte mit den schönsten Farben die Möglichkeit aus, daß Wastls Tochter einstens gar wohl die Frau eines reichen Handwerksmanns zu München werden dürfte, und alsdann die Mutter zu sich nehmen, ihr ein heiteres Alter und ein sanftes Sterbestündlein bereiten könne.

Der Abend sank kaum über die Höhen hinter Lengries herunter, als schon Nanni sich bereit erklärt hatte, dem Willen der Mutter und des Schicksals zu folgen. Ihr Bündelchen wurde geschnürt, der Herr Cooperator legte ein Brieflein an Nanni's Großonkel, den ehrwürdigen Herrn Schnaittinger bei, und gab seinen Segen, nebst diversen Tugendlehren mit in den Kauf. Nanni entschlief mit den seligsten Hoffnungen, und träumte schon im Voraus von München, von der herrlichen Stadt, die sie nur bisher aus dem Holzschnitt kannte, der ihres Hauskalenders Titelblatt schmückte. Am andern Tage begleitete die Mutter das scheidende Kind bis Wolfrathshausen. Auf dem schönen Calvarienberge, der sich über das reinliche Städtlein erhebt, verrichteten Beide ihr Gebet, und die Mutter segnete das Kind mit zärtlichen Worten und heißen Thränen. Sodann machte sich Nanni auf den Weg, und wandelte mit einigen Bauerweibern, die zur Stadt gingen, den Fußpfad längs der Isar hin zum verschwiegenen Benedictinerkloster Schäftlarn und von dort die schattige Waldstraße hinan, immer neben der grünen Isar, bis nach Hesellohe, und von dannen gegen die Höhen von Sendling, wo die Hauptstadt sich in langgedehnter Häuserreihe schauen läßt, hinab gen Thalkirchen, an den Ueberfällen des Stroms vorüber, bis die Stadt der Hoffnungen erreicht war im Goldschein der sinkenden Sonne. Nanni's Herz klopfte hoch vor Freude, vor Wehmuth, und eine unerklärliche Bangigkeit schien das Entzücken bemeistern zu wollen, welches die Nähe eines geträumten Paradieses in ihr erregte.

Eine Menge von Leuten strömte gegen das Sendlinger Thor zu, und Nanni fühlte sich von dem Strom mit fortgezogen. Viele Männer in schwarzer Kleidung befanden sich darunter, mehrere mit langen weißen, ausgelöschten Fackeln in den Händen.

»Was gibt's denn da?« fragte das Mädchen schüchtern eine Frau des gemeinen Volks.

»Ei, sie haben einen Studenten begraben, antwortete diese, »ein junges Blut, den der liebe Gott vor der Zeit zu einem Engel gemacht hat. Er wäre ein herrlicher Priester geworden, der gute Herr Alois Pruttler, Gott habe ihn selig!«

Das arme Mädchen fühlte seine Kniee zittern, und konnte schier nicht von der Stelle. Der begrabene Alois war der Sohn ihrer Nachbarin gewesen, einer der wenigen Bekannten, die Nanni in München zu finden gedachte. Sie seufzte schwer auf, und das Wasser trat in ihre Augen. In dem Augenblicke gingen ein paar wohlgeputzte junge Herren vorüber, und der eine sagte zum andern: »Sieh doch, welch ein hübsches Kind! Der arme Narr ist gewiß eine Schwester oder ein Bäschen des geistlichen Schluckers, der just begraben wurde.« Worauf der andere, ein rothwangiger Mensch, mit sorgfältig gepflegtem Schnurrbart und keck gesetztem Hute, das Landmädchen ansprach: »Tröste Dich, Du schönes Dirndl. Hast Du gleich da einen Verwandten verloren, so gibt's doch in München eine Menge von mitleidigen Vettern für Dein Engelsgesicht. Wie heißest Du, lieber kleiner Narr?« Und er sah ihr mit so ganz besonderen Augen in's Antlitz, daß sie über und über roth wurde, und in ihrer bäuerischen Verlegenheit nichts Besseres zu thun wußte, als sich auf dem Absatz umzudrehen und dem Frager den Rücken zu kehren. Der aber lachte boshaft, und sein Begleiter rief: »Laß die dumme Gans stehen. Komm, Bruder!«

Die beiden Herren begaben sich weiter; Nanni schielte ihnen verlegen nach, und wußte vorerst nicht, warum doch so plötzlich ihr Kummer verschwunden sey, bis sie sich endlich gestehen mußte, wie das Lob, so ihrer Schönheit ertheilt worden, doch angenehm genug gewesen, um das beleidigende Wort des nächsten Augenblicks ungeschehen zu machen, und wie es doch nicht so übel wäre, wenn sie in der fremden Stadt einen so vornehmen Vetter fände wie der Herr mit dem schönen Schnurrbart. Hierauf ging sie sinnend und schwankend und zweifelnd nach der kleinen Schenke zur weißen Taube, wo man ihr gerathen hatte, die erste Nacht zu verbringen.


Es war nicht genug, in München zu seyn, Nanni mußte auch Mittel finden, in München zu leben. Vergebens hatte die Schüchterne nach dem Großonkel Schnaittinger gefragt; es gab in der großen Stadt der Priester zu viele, als daß ein obscurer Benefiziat oder Frühmesser auf den ersten Auflauf herauszufinden gewesen wäre. Einen Dienst zu erhalten war daher die Hauptaufgabe des Landmädchens, und die respektablen Expeditionen der verschiedenen respektablen Localblätter Münchens boten in der Noth sich als Auskunftsmittel dar. Nanni wendete sich an eines der frequentesten dieser Intelligenzcomptoirs, und erholte sich Raths. Der Rath war theuer; es war damals just nicht Wechselzeit, die meisten Herrschaften waren schon mit Dienstboten versehen, und nur das schlechteste Gesinde oder die schlechteste Herrschaft trieb sich unversorgt auf den Straßen und in den Häusern umher. Besonderen Anfragen und Anforderungen konnte die arme, wenig gebildete Nanni nicht genügen; zur Kammerjungfer war sie zu unwissend, zum Kindsmädchen zu unerfahren, zur Amme zu unschuldig. Sie mußte noch von Glück sagen, daß eine Bräumeisterin, die seit dem letzten Schlenkertage bereits sieben Mägde weggejagt hatte, mit dem Neuling vom Lande einen Versuch zu machen begehrte. Nanni wurde zur Kellnerin dressirt, und schickte sich willig genug in das beschwerliche Amt. Die Bräumeisterin war weit zornmüthiger, als sich von ihrer überdicken Figur erwarten ließ; noch in den besten Jahren, und mit einem Gesichte begabt, welches unverkennbare Spuren früherer Schönheit trug, führte die Frau das Regiment des Hauses mit unerschütterlicher Energie, und beherrschte sowohl durch die Kraft der Trägheit, als durch ihre besondere Virtuosität im Schimpfen den dürren, misselsüchtigen Bräumeister, der während seiner Ehe vom Stückfaß zum Mixturfläschchen herabgekommen war. Die Meisterin hielt auf die strengste Ordnung, schalt das Gesinde vom Morgen zum Abend, und war gewohnt, schier das Unmögliche zu verlangen. Die demüthige, wohlgezogene Nanni fügte sich in der Herrin Launen besser, als in die brüsken, zudringlichen Liebkosungen, womit der Schwarm der Bierhausgäste der neuen, blühende Kellnerin entgegenkam. Mit Thränen im Auge beklagte sie sich gegen die Meisterin, die jedoch zu ihrem größten Erstaunen mit boshaftem Lächeln erwiederte: »Ei was, Nanni, thu' nicht so zimpferlich. Willst Du die Aparte machen, so geh' hin und lebe von Deinen Kapitalien. Ein armes Ding, eine Kellnerin zumal, muß sich viel gefallen lassen, und darf mir durch grobe Widerspenstigkeit die Gäste ja nicht vertreiben. Der Scherz, den die Herren mit Dir treiben, schneidet Deiner Tugend nicht ein Fädchen ab. Merke Dir das, und muckse nicht.«

Die Dienstgenossin Nanni's, eine stämmige Crescenz aus dem bayerischen Wald, blatternarbig, rothhaarig und männlich in Thun und Wesen, gab andere Trostgründe an. Sie sagte: »Mache doch, wie ich es mache. Thu' gerade, als ob Du's gar nicht merktest. Man kann grob seyn, ohne das Maul aufzuthun. Wenn die Gäste ihr Brod und ihre Würste schnell erhalten, können sie sich nicht beklagen. Lacht man hin und wieder einen an, so setzt es Trinkgelder, und darauf sind wir arme Kellnerinnen angewiesen. Ich habe mich acht Jahre schon im Dienst herumgeplagt, und eben so lange geh' ich mit meinem Schatz, dem Schäfflerknecht. Aber in zwei Jahren heirathen wir uns, thun unser Erspartes zusammen und vergessen all' die Dummheiten.«

Nanni sah wohl ein, daß Crescenzia's Philosophie im Grunde nicht so übel war: aber in ihres Herzens Heimlichkeit lächelte sie gutmüthig über Crescenzia's langen Brautstand, und konnte nicht begreifen, wie sich überhaupt ein Liebhaber zu dem garstigen Schätzchen hatte finden können. Das drei Finger breite Spiegelstückchen, vor welchem sie ihre Toilette machte, zeigte ihr ganz andere Reize: brennende Augen, blühende Farbe, glatte Rosenwangen, und einen Mund, der zu etwas Besserem bestimmt schien, als einst einem groben Schäfflergesellen vor dem Altare mit dem verhängnißvollen Ja zu antworten.

Solcher Gedanken war sie gerade voll, als eines Abends ein hübscher junger Mann von der Hofkapelle die Zechstube besuchte, und, von ihrer Schönheit überrascht, ein paar freundliche Worte an sie richtete. Die gewähltere, emphatische Sprache des Künstlers schmeichelte der freud- und leidvollen Nanni, und mit besonderem Interesie bemühte sie sich, den jungen Mann freundlicher und aufmerksamer zu bedienen, als alle übrigen Gäste. Daß er es ihr dankte, wußte sie bald, – seine Augen verriethen es deutlich; – aber sie ahnte nicht, welchen Eindruck ihr Benehmen auf die Gebieterin des Hauses machte. Der Tonkünstler war kein neuer Gast in dieser Zechstube; seit geraumer Zeit hatte er das Recht errungen, neben dem Lehnstuhl der Wirthin Platz zu nehmen, die füllreiche Gebieterin mit Galanterieen, wie sie gerade hieher paßten, zu unterhalten, und den Hausfreund zu spielen. Von einer Kunstreise heimgekehrt, sollte er sich wieder vor den Triumphwagen der Bräumeisterin spannen; und als der Undankbare zögerte, und nach schöneren Fesseln zu streben schien, erhielt plötzlich eines Morgens die arme Nanni von der giftigblickenden Wirthin den Abschied. Das Mädchen war niedergedonnert, und die kurze Frist, die es noch im Hause zu bleiben hatte, kam ihm vor, wie der Tag vor der Hinrichtung eines armen Sünders. Die gleichmüthige Crescenz tröstete sie wieder, und meinte, daß es in München noch der Häuser genug gebe, wo eine junge hübsche Dirne an ihrem Platz seyn würde. Nanni beschloß jedoch, im Gebete zu der heiligen Mutter Trost, Zuflucht und Glück zu suchen.


Es war an einem Sonntag, um die fünfte Morgenstunde, als Nanni in der Frühmesse, die in der Liebfrauenkirche gehalten wird, inbrünstig gebetet hatte. Im Begriff, wieder nach Hause zu gehen, schlug ihr Crescenz vor, zur beliebigen Ergötzlichkeit des Gaumens eine der Kaffeeschenken zu besuchen, die im Bereich des sogenannten Freithofes U. L. Frauen liegen, und an Sonn- und Festtagsmorgen von einer Menge von Dienstmädchen besetzt sind, welche dort zu frühstücken pflegen. – Großes Gewühl trieb sich in der Schenke umher. Nanni wunderte sich, eine Jede von den Besucherinnen mit einem Manne im Gespräch zu sehen, und erfuhr, daß hier der Ort sey, wo die Rendezvous zwischen den Pärchen abgehalten würden, die entweder auf ewig oder auf kurze Zeit ein Liebesband um sich zu schlingen für gut befunden hatten. Auch Crescenzia's Bräutigam fehlte nicht, und traktirte seine Liebste mit Kaffee und Wein, wie es der Brauch war: nämlich mit dem Gelde, welches ihm die Liebste freundselig zusteckte. Nanni theilte das Frühstück ihrer Genossin, und überblickte mit neugieriger Sorglichkeit die ganze Versammlung, welche durcheinander lachte, schäkerte, schwatzte und flüsterte. Das stete Ab- und Zugehen in der Stube, der Lichterglanz in diesen dunkeln Räumen, am finstern Herbstmorgen, die ungebundene Vertraulichkeit der verschiedenen Liebespaare, trugen den Stempel des Ungewöhnlichen, sogar des Geheimnißvollen. Der geheimnißvollste Raum jedoch im Hause war ein ziemlich verstecktes Cabinet, zu dessen Thüre man nur durch das allgemeine Kaffeezimmer gelangen konnte, obschon das Haus nach allen Seiten die verborgensten Eingänge von den Straßen her darbot. Einige Frauenzimmer, tief verschleiert, in anständigen Mänteln und Shawls, schlüpften durch die Stube nach dem besagten Cabinet. Ein paar Männer, die ihnen eiligen Schrittes folgten, bestellten Kaffee und Kuchen, kamen jedoch bald aus dem Zimmerchen zurück, und sprachen leise mit der alten Wirthin, einer wahren Originalfigur in altbayerischem Costüme, mit Pelzhaube und schweren silbernen Ketten an Mieder und Gürtel. Die Antwort dieser Frau war vernehmlicher, als die Beschwerde, die ihr von den Herren vorgetragen worden.

»Ja,« sagte sie: »es ist ein wahres Elend mit dem guten alten Herrn. Das ist jetzt schon das fünftemal, daß er es uns so macht. Sie wissen wohl, daß wir kein Nachtgeschäft haben, und unser Haus punkt sieben Uhr Abends schließen. Da kommt aber gestern der geistliche Herr just um sieben Uhr zur Thüre herein, und ist schon etwas rauschig, wie's ihm oft passirt, und trinkt einen Spitz Ueberrheiner nach dem andern, weil er zufällig Geld hatte, und schläft drinnen im Großvaterstuhl ein, und bleibt wieder die ganze Nacht im Hause, und wird jetzt schwer fortzubringen seyn. Es ist nicht zu verantworten, wie der gute alte geistliche Herr sich gehen läßt. Um sein Beneficium hat er sich schon gebracht, und bald wird ihm der Meßner zu St. Peter keine heilige Mess' mehr zuwenden, wie er auch in der H. Geistkirche keine mehr lesen darf.«

Einer von den Herren fragte hierauf den andern »Wer ist denn eigentlich der alte Trunkenbold?«

Der Andere antwortete: »Pah! ein gewisser Pater Schnaittinger, ein Rüpel aus dem Gebirg, der am Bier und Wein mehr Freude hat, als am Beichthören. Was macht man mit ihm so viel Federlesens. Wir wollen nun einmal nicht gestört seyn; darum hinaus mit ihm. Die frische Morgenluft wird ihn schon wieder aufwecken, und wenn er bezahlt hat, so kann's der Wirthin auch recht seyn.«

Gesagt, gethan. Nach einigen Minuten wurde der alte eisgraue Priester, angethan mit kümmerlichem schwarzem Kleide, und taumelnd von Wein und Schlaf, aus dem Cabinet herausgeschoben, und, trotz seines Murrens und Widerstrebens, durch die nächste Thüre nach der Straße abgeführt. Bitterliche Bekümmerniß bemächtigte sich der armen Nanni, die von dem Gespräche kein Wort verloren hatte, und den schwachen steinalten Großonkel auf solche Weise fortbringen sehen mußte. Der Mann trug die Züge ihrer Mutter, das ehrwürdige Gewand des ehrwürdigsten Standes; auf ihn hatte das Mädchen seine letzte Hoffnung gesetzt, und es fühlte doch plötzlich, daß es sich diesem tiefgesunkenen Manne nicht nähern, ihm kein Vertrauen schenken dürfe. Ohne ihrer Gefährtin Crescenz, die unter dem Geklapper der Tassen und dem betäubenden Geschwätz in der Stube nichts von allem vernommen, ihren Schmerz zu entdecken, drang sie nur auf das Nachhausegehen.

Crescenz wollte einige Minuten noch bleiben, und diese Frist benützte ein Mann, der schon lange unstät zwischen den verschiedenen Gruppen umhergewandelt war, sich neben Nanni zu setzen, und ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Seine Kleidung war die eines Industrieritters, wie sie sich zu Hunderten in München umhertreiben, und ihren Unterhalt durch eitle Beschäftigung, verkappten Müßiggang oder loses Gewerbe gewinnen. Diese Klasse bringt sich mit allem durch, was gerade nicht vom Gesetze verpönt ist: mit Billardspiel und Würfelkünsten, mit dem harmlosen Domino um eine Tasse Kaffe oder ein paar Groschen, mit Siegellackfabrikation, hausirend mit Loosen, zu irgend einer Pfeifen- oder Uhrenlotterie, mit Hundetausch und Pferdemäkelei, mit Claqueurdiensten im Theater und gefälligen Ciceroneverrichtungen bei Fremden. Leute solchen Schlags sind gewöhnlich ohne bestimmtes Logis, öfters unter der Aegide einer Putzmacherin oder Riegelhaubenfabrikantin, die für ihren Tisch und Geldbeutel sorgt, stets modisch im Anzuge, allen Schneidern stets schuldig, ihr Leben vergeudend in Ausschweifungen und schnödem Trafik, bis das Ende aller Dinge mit Schrecken herbeikömmt. Nanni in ihrer Unerfahrenheit nahm den freundlichen Mann mir dem verlebten Gesichte, der bedeutenden Glatze, und ver- noch bedeutendern Vogelnase für einen vornehmen Herrn, und ihre Augen hingen bewundernd an der gewaltigen Uhrkette von Semilor, die sich in seine Weste schlang, und an dem feinen Jabot von Papierwäsche, das seine Brust verzierte. Der schlaue Mensch, der bald seine Nachbarin von Grund aus kannte, hatte ihr mit Blitzesschnelle den Kummer abgefragt, den sie empfand, die mißlichen Verhältnisse, woraus sie keine Rettung wußte.

»Ei,« sagte er mit lächelnder Schmeichelei: »Sie wissen nicht, mein liebes Kind, was Sie werth sind. Diese hübschen Hände sind nicht dazu gemacht, in einem Bräuhause zu scheuern, zu fegen. Sie müssen sich höher stellen. Die garstige Pelzhaube, der grobkattunene Rock verbirgt Ihre Reize; was halten sie von den allerliebsten silbernen Riegelhäubchen, von den wundernetten silberstoffenen Miedern, wie die Kellnerinnen eines Kaffeehauses sie tragen? Die Kleidung müßte ihnen herrlich stehen, und einen Platz wüßte ich für Sie, wo der beste Lohn, die beste Behandlung Sie erwartet. Eine Figur, wie Sie, würde dem Hause, das ich meine, einen neuen Glanz verleihen, und wenn sie wollen, können Sie morgen gleich einstehen. Das Geschäft ist leicht, in der Küche nichts zu thun; das Getränk wird im niedlichsten Fäßchen aus dem Keller heraufgeschafft, und Ihre schönen Finger haben nur den Hahn umzudrehen. Das holdseligste Lächeln ist Ihnen ja ohnedieß von der Natur gegeben, und gerade diese lächelnde Freundseligkeit ist's, was man von Ihnen verlangt. Alles Uebrige ist Nebensache, bis auf den Umstand, daß Sie dort in gewählte Gesellschaft kommen, und schnell die Zukunft erreicht haben werden, die Ihnen hier in München unabänderlich zu Theil werden muß.«

Nanni lag schon im Garne des geschickten Agenten; ein sorgloseres nicht müheseligeres Daseyn winkte ihr verführerisch. Der unbekannte Freund drang in sie, im Augenblick den Antrag zu benützen, die Concurrenz sey stark, der Dienst auf dem Punkte, vergeben zu werden. Von der andern Seite drängte Crescenz, nach Hanse zu gehen. Zögernd folgte ihr Nanni, als plötzlich ein heftiger Wortwechsel, der in der Stube ausbrach, die Absichten des Industrieritters begünstigte. Eine eifersüchtige Köchin schalt ihren abtrünnig gewordenen Liebhaber, dieser drohte mit Thätlichkeiten, und seine neue Liebe, wie auch ein paar alte Freunde, nahmen hitzig für ihn Partei. Eine Kaffeetasse flog, ein schöner grasgrüner Römer klirrte zu Boden, eine Fensterscheibe platzte unter dem nervigen Ellenbogen der indignirten Köchin. Allgemeiner Spektakel, ein Wirbeltanz von thörichter Grobheit in der engen Stube … der Mittelpunkt desselben die rasenden Parteien, und zwischen denselben die massive Wirthin, wie ein Kreisel drehend, mit den Armen in der Luft fechtend, und aus vollem Halse schreiend: »Kein Spektakel! Potz Mordigall! Das könnt' mir gefallen!

Schaut's 'nmal die an! Thu' die Hand weg, Schlankl, die Gensd'armen kommen! Wollt's auseinander!«

Und die Sicherheitswache polterte richtig in's Haus, und da die Furcht vor der Polizei aller Weisheit Anfang ist, stoben die neugierigen Zuschauer nach allen Richtungen auseinander, unter ihnen Crescenz und ihr Schatz zur Thüre links hinaus, zur Thüre rechts Nanni und der Werber für das ominöse Kaffeehaus. Der Industriemann führte seine schöne Beute durch einige kleine Gäßchen nach der Weinstraße, stellte sie dort einem Kaffetier im zweiten Stocke vor, nach wenig Bedenken war der Handel geschlossen, und binnen wenigen Tagen wanderte die neue Hebe in Herrn Wurzls Etablissement ein.


Das Kaffeehaus war eins der Institute, die in dem genußlustigen München im Winter anschießen, wie Eiskrystalle, und beim ersten Strahl der Frühlingssonne dahinschmelzen, als ob sie nie da gewesen wären. Wirthschaften, in Schulden gezeugt, und dahin sterbend im Bankrott, oder einschrumpfend zur obscuren Bierkneipe, bis der große Ganttag heranbricht. Nichts bleibt von ihnen übrig, als der Gläubiger Schmerz, ihre Trauer um die verlornen Gelder. Herr Wurzl hatte während seiner kurzen Kaffetier-Existenz ganz artig handthiert. Alles überflüssige Material des Hauses war bereits als Ballast weggeworfen worden, um das lecke Schifflein über den Wellen zu erhalten; Billard und Zubehör gehörte längst andern Leuten, der Ruß an den Lampen war schon hypothecirt. Herr Wurzl hatte das angenehmste Leben; er konnte den ganzen Tag zum Fenster hinausschauen, und seine sogenannte Frau hatte alle Zeit, ihre verblühten Reize mit den langwierigsten Toilettenkünsten aufzufrischen. Niemand besuchte mehr das verödete Kaffeehaus; nur der industriereiche Hausfreund, der Herr von Pelz, schritt täglich einigemal durch die leeren Säle nach dem Cabinet der Dame. – Der Freund wurde zum Heiland.

»Es thut's halt nimmermehr!« sagte er einst mit bedeutendem Ernste: »Wenn nicht eine bildschöne Kellnerin dem Hause aufhilft, so ist es verloren.« Zugleich versprach er, den Pourvoyeur zu machen, und auf diese Weise kam Nanni zu der gewichtigen Protection.

Der erste Abend verging noch lautlos und einsam. Niemand kam, einige Herren ausgenommen, ausgemachte Schnüffler und Vorkoster, die Herr von Pelz herbeizulocken bemüht gewesen. Die Herren verstanden sich auf schöne Waare, betrachteten das naive Landmädchen mit Kennerblicken, und gelobten, durch ihre Anpreisungen das vergessene Haus wieder in Vogue zu bringen. Die vier Apostel thaten ihre Schuldigkeit. Der Cavalier flüsterte seinen leckern Standesgenossen ein Wort in die Ohren, der Künstler pries seinen Kameraden das herrliche Modell, der Offizier proclamirte in einem Privattagsbefehl der ganzen Garnison die Existenz der schönen Nanni, der Beamte ließ durch alle Kanzleien das Lob ihrer Reize zirkuliren. Zugleich gab Herr von Pelz allen honetten Gaunern der Residenz in Wurzls Kaffeehaus Rendezvous, und am nächsten Abend war schon der Zulauf groß, am zweiten größer, am dritten unbändig. Noch war keine Woche vergangen, und schon konnten in den Nachmittagsstunden mit aller Bequemlichkeit Mäntel und Hüte gestohlen werden, Regenschirme verschwinden, und plattirte Löffel mitgehen, ohne daß Wirth und Gäste es sobald gemerkt hätten. Auf dem Herde wurde wieder Feuer gemacht, der Kaffee wieder nach Pfunden gekauft, der Zucker in Hüten angeschafft; ein sauber lithographirter Speisezettel stellte sich wieder ein, den Gaumen der Kunden zu reizen. Die Küche war freilich schlecht; der Kaffee kapuzinerfarbige Cichorie, das Bier ein nichtswürdiger Heinzl, aber Nanni's reizende Hände brachten die Beefsteaks, schenkten den Pseudo-Mokka, spendeten das dünnschäumende Nachbier. Wurzl sprang vor Freuden, seine Frau blähte sich in Lust, der Hausfreund schnitt reichliche Pfeifen aus dem selbstgepflanzten Rohr, und Nanni … ach, hätten wir doch Besseres von ihr zu berichten, als daß sie zu jeder Minute im Spiegel ihre Schönheit beäugelte, und dem schlanken Grenadiergarde-Offizier Blicke der Sehnsucht, Blicke, glimmender als der Fidibus, den sie ihm so häufig reichen mußte, zuwarf!

Leider ist aber eine Kellnerin im Kaffeehause, die wir mit gewählterem Ausdruck eine Limonadiere nennen möchten, kein stilles Veilchen im einsamen Thale, welches die Beute des ersten sinnigen Wanderers wird, der es bemerkt. Sie gleicht einer buntfarbigen Tulpe, die zu Nutz und Frommen eines großen Publikums blüht, sorgsam gehütet vom Gärtner und von der Menge von Blumenfreunden, die dem Einzelnen aus angestammter Eifersucht den Besitz nicht gönnen. Zum Glück hat jedoch ein blühendes Menschenkind nicht das contemplative Leben einer Blume allein, sondern die Himmelsgabe des Scharfsinns, der Combination, und die kostbare Eigenschaft, sich selbst zur beliebigen Zeit an beliebigen Ort zu versetzen, und nur demjenigen zu gehören, dem es just gehören will. Wie aber unter dem Riegelhäubchen der Neigungen zarteste, der Gedanken kühnster entspringt, so unter der Bärenmütze nicht minder. Darum begriffen im vorliegenden Falle Offizier und Kellnerin, wie eine einzige Stunde des Alleinseyns werthvoller sey, als ein Jahrzehnt öffentlichen Lebens, und wie der Carneval vor allen Jahreszeiten dazu erschaffen worden, verschwiegene Liebe zu begünstigen.

An dem Abende eines Maskenballs – die eilfte Stunde war schon vorüber, und Wurzls Kaffeehaus bereits geschlossen – bewegte sich Nanni auf leisen Socken die Treppe hinab, zur Hausthüre hinaus, und in einen Wagen, wo der liebeglühende Krieger, in rabenschwarzem Domino vermummt, sein Täubchen erwartete, es mit einem rosenfarbenen Mantel bekleidete, und in den hellerleuchteten Redoutensaal einführte. Nanni wähnte, in das Paradies zu treten, wovon ihr in der Kinderlehre so viel erzählt worden, die Accorde der Musik lockten sie zum Tanze, die Ermüdung an das Büffet, der feurige Punsch in die Arme des zärtlichen Freundes.


Einige Monate waren verflossen. Herr von Pelz kam von einer kleinen Reise wieder, die er, um einem sehr überflüssigen, ihm gewaltig drohenden Arrest zu entgehen, unternommen hatte. Sein erster Gang war zu Freund Wurzl. Er fand den Kaffetier in zorniger Begeisterung, die Dame des Hauses ermattet und abgespannt im Lehnstuhl sitzend. »Eine schöne Bescheerung! Sie haben uns etwas Rares recommandirt. So eben haben wir Ihre gepriesene Nanni fortgejagt.«

Pelz stand verblüfft, fragte begierig, und erfuhr, daß der Grenadier-Offizier einen Preis errungen, wonach er selbst nicht ohne eitle Hoffnung gestrebt, und daß der Sieg des raschen Soldaten nicht wohl mehr zu verheimlichen sey.

»Welch ein Scandal!« schrie die Wirthin entrüstet.

»Nun liegt wieder mein ganzes Geschäft darnieder!« jammerte Wurzl, und raufte sich die Haare.

»Nicht eine Stunde bleibt die Dirne in unserem Hause!« eiferte Madame Wurzl, die sich seit einigen Jahren wie ein Tugendspiegel gehabt hatte.

Pelz war niedergedonnert, die schönste Frucht seines eigennützigen Wirkens verloren, aber dennoch regte sich Mitleid für das vertriebene schöne Kind in seiner Seele. »Ist denn Lieben ein Verbrechen?« fragte er pathetisch, machte seinen Freunden einige gutgemeinte Vorwürfe über nachlässige Aufsicht und dergleichen, und schritt hinauf in Nanni's Kämmerlein.

Dort saß die arme Lilie, gebadet in Thränen, zu ihren Füßen die bescheidene Truhe, worein ihre Habseligkeiten gepackt waren, und rang die Hände, und wollte verzweifeln. Es war ein bittrer Trost, den ihr der Herr von Pelz zuflüsterte: der Trost, sich mit so vielen andern leichtgläubigen Opfern der Verführung zu trösten. Doch war Hülfe in dieser kritischen Lage nöthiger, und dem industriösen Pelz fehlte es nicht an Mitteln und Auswegen. Er versprach, für die nächste Zukunft der Trauernden zu sorgen, und geleitete sie am dunkeln Abend in die Wohnung einer mitleidigen alten Frau, die ein Herz für den Kummer betrogener Mädchen hatte, und Raum genug, dieselben auch in den bedenklichsten Umständen zu beherbergen. Den Bemühungen dieser Quasimutter, wie auch den verständigen Rathschlägen eines Winkelarztes, der sich mit geheimer Praxis viel zu schaffen machte, hatte Nanni zu verdanken, daß ihre Angelegenheit nicht zum vollständigen Eclat kam, und binnen einigen Wochen nicht mehr die Spur vorhanden war, als habe je ein Gardeoffizier für die Schöne von den Ufern der Loisach gelebt. – Sobald die Gefahr vorüber, sobald die getröstete Nanni wieder aufblühte in Fülle der Gesundheit und erhöhter Reize, mangelte auch die hülfreiche Hand des Herrn von Pelz ihr nicht, und führte sie als Kammerjungfer in das Haus einer respectabeln Sekretärsgattin, deren Versatzzettel und andere Wechselgeschäfte Herr von Pelz dienstfertig besorgte.

Die Frau von Wedel stand im Matronenalter, obgleich noch rührig, resolut, zu allem entschlossen, was die Nothwendigkeit und die Pflicht der Selbsterhaltung befahl. Zwei holde Töchter machten die Freude ihres Lebens, und begründeten der Mutter Hoffnungen auf reiche Schwiegersöhne. Diese Töchter zu bedienen, zu frisiren, zu putzen, und mit stets wechselnder Garderobe zu versehen, war Nanni's Aufgabe. Was ihr an Geschicklichkeit abging, ersetzten die Lehren und Anweisungen der in allen weiblichen Beschäftigungen erfahrnen Gebieterinnen. In Kurzem hatte Nanni jede Spur ländlicher Herkunft abgelegt. Ihr netter Wuchs zeichnete sich vortheilhaft in dem engen modischen Röckchen, ihre Hände strahlten von blendender Weiße, das blühende Gesicht mit dem süßen Lächeln und dem schwermüthigen Zuge um die Augen blickte verführerisch aus dem Spitzenhäubchen, und alle jungen Leute blieben stehen, oder zogen der Huldin nach, wenn sie schwebenden Schrittes über das spitzige Pflaster der Trottoirs hüpfte, freundschaftliche Briefchen tragend, die zu Dutzenden in den geräumigen Taschen ihrer seidenen Schürze verborgen lagen. Doch rührte keiner der schönsinnigen Jünglinge ihr Herz, weil es der Dankbarkeit allein huldigte, und dem edelmüthigen Pelz gehörte. Ihr Dienst war leicht im Grunde, man nahm ihr nichts übel, weil sie nichts im Hause übel nahm. Man beschränkte ihr Leben nicht, weil sie zu rechter Zeit die Augen gefällig schloß, und verschwiegener war, als je eine Iris. Auf diese Weise hatte sie bald neben allen Schwächen und Vorzügen ihrer Damen auch alle Freunde derselben kennen gelernt; des intimsten Freundes Bekanntschaft machte sie jedoch am spätesten.

»Nimm dieses Briefchen,« sagte einst die Frau Sekretärin mit verdrießlichem Gesicht: »und trag' es an's Carlsthor zum gnädigen Herrn.«

»Welchen meinen Sie, gnädige Frau?«

»Nun, meinen Mann. Die Hausnummer steht auf der Adresse, er wohnt über drei Stiegen, ist um diese Stunde zu Hause, und wenn die Haushälterin dich nicht einlassen will, so sey nur impertinent, und dringe bis zu ihm; vor allem jedoch gehe nicht von der Stelle, bevor er Dir nicht Geld gegeben.«

Nanni fiel aus den Wolken; sie hatte nie von der Existenz dieses gnädigen Herrn gehört. Gewohnt indessen, den discretesten Gehorsam zu üben, begab sie sich ohne Verzug nach der bezeichneten Wohnung, und hüpfte die steilen Treppen hinan. Die Thüre des Stockwerks, wo der Sekretär hauste, war verschlossen, hinter derselben ein höllischer Lärm, von den ungezogensten Kindern verübt, hörbar. Kaum drang der Schellenklang durch das Getöse.

Bald darauf kamen schleppende Fußtritte heran, und die kreischende Stimme einer Megäre gebot der ungezogenen lärmenden Brut Ruhe. Ein widerliches, alterndes, schmutziges Weibsbild öffnete mit einem rauhen »Was gibt's denn?« – Neben der unangenehmen Figur schob sich ein halb Dutzend aufgedunsener Kindergesichter in die Thüre, und gafften mit offenem Maule, und der fatalste Geruch, der sich denken läßt, schlug auf dem Corridor dem zarten Näschen der Kammerjungfer entgegen.

»Ist der gnädige Herr zu Hause?«

»Nein.«

»Ich hätte ein Briefchen für ihn.«

»Her damit.«

»Nicht doch; ich muß Antwort haben.«

»Werden sie schon schicken.«

»Es ist aber schon Mittag.«

»Nun?«

»Der gnädige Herr muß zu Hause seyn.«

»Was weiß Sie, unverschämtes Ding!«

»Ich muß mit ihm selbst reden.«

»Das wollen wir sehen, das könnt' mir gefallen!«

»Seyen Sie nicht grob, Jungfer Köchin, oder was Sie sonst sind.«

»Hat schon seyn können für eine Docken, wie Sie sind.«

Die Kinderbrut johlte aus vollem Halse der Impertinenz ihren Beifall, als im Corridor eine Thüre aufging, und ein Pudel bellend zwischen das kreischende Gesindel fuhr. Hinter dem Pudel kam dessen Herr, der Sekretär, eine magere, abgelebte, alte Gestalt, in Hemdärmeln, eine Serviette in der Hand. Augenscheinlich hatte er sich von der Tafel hieher bemüht, und sagte mit begütigendem Ton zu seiner Furie: »Na, na, lassen Sie's gut seyn, Babet, warum soll denn das gute Kind nicht hereintreten? Kommen Sie nur immer herein, Mamsell. Ich will Ihnen gleich die Antwort mitgeben.«

Er führte die Botin in sein Gemach, und die Haushälterin murmelte ziemlich verständlich zwischen den Zähnen: »Wart', Du alter Schlecker! wart', Du Malefizbagage.« Die Kinder wälzten sich mit dem Pudel auf der Erde.

In dem Putzzimmer des Sekretärs sah es aus wie nach einer Plünderung. Unreinlichkeit, Mangel und Nachläßigkeit sah aus jedem Winkel mit hohlen Augen. Die Mahlzeit, die auf dem Tische stand, war die unappetitlichste; unter dem Ofen winselten einige Sprößlinge des Hauspudels in einem strohgefüllten Korbe; nebenan im Schlafgemach ächzten ein paar kranke Kinder, die sich der schwärmenden Mücken nicht erwehren konnten.

Mittlerweile hatte der Sekretär in der Aufschrift des Billets die Hand seiner Frau erkannt, und zog ein verdrießliches, gehäßiges Gesicht. Kaum hatte er den Zettel überflogen, als er ihn auch schon unter den Ofen zu den jungen Pudeln warf.

»Wird nichts gereicht!« belferte er, und focht mit den schreibseligen Händen durch die Luft: »Das Weib hat mich schon ruinirt, frißt mir jetzt noch die Hälfte meiner Besoldung ab, daß ich mit meiner armen Babet und meinen acht hungrigen Würmchen zu Grunde gehen möchte, will noch obendrein Zuschuß haben, Almosen haben, mich zum Bettler machen? Behüt Gott; ich käme noch in's Zuchthaus. Wenn es ihr fehlt, hat sie nicht ein paar Töchter, die für sie arbeiten können? Wird nichts gereicht! gehen Sie in Gottes Namen.«

Die Haushälterin, die in die Stube gekommen war, fügte polternd hinzu: »Schämen sollten Sie sich, daß Sie dem guten gnädigen Herrn sogar bei Tisch nicht Ruhe lassen. Und das sage ich Ihnen, gnädiger Herr, daß Sie sich nicht mehr so überlaufen lassen, sonst zieh' ich von Ihnen weg, und das Stadtgericht soll hernach zwischen Ihnen und unsern armen Kindern entscheiden.«

Als Nanni hörte, von welcher Seite der Wind blies, erinnerte sie sich der Weisung ihrer Gebieterin, drohend und impertinent zu seyn, und sagte mit dem schnippischen Kammerkatzenton, den sie einer neuen Freundin, einer Putzmacherin im Fingergäßchen, abgelernt: »Ei, so wird meiner gnädigen Frau auch nichts anders übrig bleiben, als sich an's Stadtgericht zu wenden.«

Der magere Sekretär wurde plötzlich noch einmal so blaß, als er gewöhnlich war, seine zitternde Hand griff verlegen nach der gigantischen Dose, und er antwortete, wie ein armer Sünder vom bösesten Gewissen: »Na, so weit wollen wir's doch nicht kommen lassen. Ich will Mittel machen; ich will selbst zu meiner Frau gehn. Man muß doch nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Sey ruhig, Babet: es soll Dir nichts geschehn. Geh hinein, und beruhige doch einmal das schreiende Kind. Die Mamsell da findet schon allein den Weg zur Treppe.«

Die Haushälterin entfernte sich mit Tigerblicken; der Sekretär zog ein paar halbe Kronen aus seiner Westentasche, und drückte sie, den Finger auf den Mund gelegt, in Nanni's Hände. Dann führte er die Zofe nach dem Corridor, und flüsterte ihr zu, indem er die Thüre aufmachte: »Mein schönes Kind, ich hätte nothwendig mit Ihnen zu sprechen, bevor ich meine Frau besuche. Wollten Sie wohl diesen Nachmittag um drei Uhr, da ich zur Kanzlei gehe, bei der Kapelle in der Marburg meiner warten? Es betrifft mein und Ihr Lebensglück, was ich Ihnen zu sagen habe.«

Als Nanni hierauf vor Verwunderung nicht antwortete, sondern ihn nur mit großen Augen anstarrte, auch der Haushälterin plumper Schritt sich hören ließ, wie der Marsch einer drohenden Angriffskolonne, begnügte sich der Sekretär, recht eilig und mit vornehmer Protectorsmiene zu sagen: »Ich erwarte Sie zuverlässig.«

Somit ging die Thüre zu, und Nanni suchte gedankenvoll den Weg über die Treppe. Auf dem offen stehenden Vorplatz des untern Stockwerks bürstete ein schlanker Fourierschütz lustig pfeifend die Uniformen seines Herrn. Er drehte sich neugierig nach der heranschwebenden Zofe um, und diese erschrack bis zum Tode, als der Mensch auf sie zusprang, und mit lauter Stimme rief: »Oho, Nannerl, bist Du's wirklich, und wer hat Dich in eine so schöne gnädige Frau verwandelt? Du hast's gut getroffen in München, und ich dagegen schlecht, weil ich Schildwache stehen und Commißbrod essen muß. Nun, was macht Deine Mutter, wie geht's meinem alten Stiefvater? Die Schwindsucht hat lange zu thun, bis sie den zähen Kerl in's Grab bringt.«

Der Mensch war Nanni's Nachbarkind, ein guter, beschränkter Kerl, Andreas geheißen, der schon auf Märkten und Kirchweihen mit Nanni getanzt, ihr damals eine Art von Hof gemacht, und schon seit geraumer Zeit das Dörfchen verlassen hatte, um dem König als Grenadier, seinem Oberlieutenant als Schuhputzer zu dienen. Nanni, ihres Werths und ihrer Vorzüge schon allzusehr bewußt, fühlte sich durch die Annäherung des rohen Gardisten verletzt, erwiederte ihm jedoch mit erheuchelter Leutseligkeit, um nur schnell davon zu kommen: »Guten Tag, Andreas, wie er sieht, geht mir's leidlich, und die Mutter hat mir lange nicht schreiben lassen, und von Seinem Stiefvater hab' ich auch nicht gehört, daß er gestorben wäre. Wie hat's Ihm ergangen, und bei wem dient Er jetzt?«

»Mein voriger Herr ist vor ein paar Wochen gestorben, und der gnädige Oberlieutenant von Rollo hat mich jetzt in Dienst genommen.«

Nanni erblaßte; der Oberlieutenant war ihr nur zu wohl bekannt; Andreas bemerkte ihre Verstimmung nicht, und setzte leise hinzu: »Ein recht schlimmer gnädiger Herr, bei dem die Prügel reichlicher fallen, als der Lohn. Er denkt nur an's Caressiren, und ist's ihm gleich, ob sein Bursch verhungert oder nicht.«

»Ach, der nichtsnutzige Mensch!« seufzte Nanni in stiller Erbitterung vor sich hin, des treulosen Freundes und Deserteurs gedenkend, und der Offizier trat just mit einem wetterlichen Fluch aus seinem Zimmer. Er hatte seinen Burschen schon einmal gerufen, und dieser den Ruf überhört; darum kam der gestrenge Herr selbst zum Vorschein, im nachläßigen Costüme der Siesta, eine Reitpeitsche in der schlaggeübten Rechten.

Nanni flog wie ein Blitz die Treppe hinunter, aber der Offizier hatte sie trotz ihrer Eile erkannt, und sie hörte noch deutlich, wie er mit Donnerworten sprach. »Wenn die Person noch einmal kommt, so wirfst Du sie zum Haus hinaus, verstehst Du mich?«

Nun ging es oben über den Buckel des saumseligen Bedienten her, und mit bitterer Zähre im Auge schlüpfte Nanni auf die Straße. Abscheuliche Männer!« stöhnte sie aus gepreßter Brust: »Für so viel Liebe solche Niederträchtigkeit! Ach, warum bin ich nicht bei der Mutter geblieben? Oder, wär' ich nur ein Mann, um den Treulosen zu strafen, wie er's verdient!«

Der Tag schien dazu bestimmt, die gute Nanni mit mancher Erfahrung zu beschenken, denn als sie nach Hause kam, das kümmerliche Almosen des Sekretärs an dessen Gattin entrichtet, und sich auf ihre Kammer begeben hatte, um ungestört zu weinen, bemerkte sie mit Schrecken, daß während ihrer Abwesenheit ihr Kasten erbrochen, ihre Sparbüchse geleert worden war, und an der Stelle ihres kleinen Schatzes nur ein Zettel lag, mit den Worten: »Eine sehr unangenehme Affaire zwingt mich, abermals und wahrscheinlich für immer München zu verlassen. Eines kleinen Reisegelds bedürftig, hab' ich mir erlaubt, von Dir dasjenige zu entlehnen, was Du eigentlich nur meinen Bemühungen zu verdanken hattest. Vielleicht sehen wir uns wieder, und dann rechne wie bisher auf die treue Freundschaft Deines aufrichtigen Franz.« Darunter stand, gleichsam wie auf einem Stammbuchblatt, das Symbolum: »Schönheit verdirbt nie, und Tugend und Freundschaft bleiben ewig.«

Die betrogene Huldin, Handschrift und Industrie des Edlen von Pelz nicht verkennend, überließ sich einen Moment der grimmigsten Verzweiflung. »O Pelz, arger, falscher Pelz!« schluchzte sie trostlos: »Nie hätte ich Dir zugetraut, daß Du jemals so böse an mir handeln könntest!«

Da gewahrte sie, vor den Spiegel tretend, daß die Verzweiflung den Ausdruck ihrer Reize steigerte, und hörte, wie es bereits auf der Michaelskirche drei Viertel auf Drei schlug. Alsobald ordnete sie die etwas derangirten Locken, zog mit heroischer Resignation ihre Handschuhe an, und sprach zu sich selbst im ächten Kammerzofenstyl: »Es ist infam, ganz infam, was der Pelz gethan; aber ich will mir darum den Kopf nicht abreißen. Ich will mich rächen, und zu dem Ende hören, was der saubre Herr Sekretär von mir will.«

Voll der schönsten Ahnungen eilte sie, einen nothwendigen Ausgang vorschützend, nach der bezeichneten Capelle in der Maxburg.


Der Minister gähnte dreimal laut und heftig. Er hatte die Nacht schlaflos zugebracht, mit einer Indigestion kämpfend, wie nur ein diplomatisches Diner sie zu geben vermag. Verdrießlich schob er die Papiere bei Seite, die auf seinem Schreibtisch thurmartig aufgehäuft lagen. Er mochte nicht lesen, mochte nicht unterschreiben, aber die Lust, für heute ein wenig den Nero herauszukehren war in ihm rege geworden. Zum Glück war Audienztag, und der Blitzableiter standen viele im Vorgemach. Schon hatte er ein halb Dutzend derselben äußerst spröde expedirt, als der Sekretär Wedel von dem Kammerdiener in den Käfig des Löwen gelassen wurde.

»Was wollen Sie?« schnaubte ihn der Gebieter an: »Sie tribuliren mich ja auf's Unausstehlichste. Blieben Sie in Ihrer Kanzlei, wär' es viel gescheidter. Heraus mit Ihrem Anliegen; ich bin just in der besten Laune.«

Der armselige Sekretär stammelte verblüft Mehreres von seinen dreißigjährigen Diensten, von seiner beschränkten Situation, und von der Gratifikation, die Seine Excellenz ihm einst zu versprechen für gut befunden, aber seit drei oder vier Jahren noch nicht zu realisiren bewogen waren.

Der Minister schlug die Beine übereinander, stemmte die Arme in die Seite, und sagte, mit feierlichem Ton beginnend, aber immer heftiger und zornmüthiger werdend: »Wissen Sie wohl, daß Sie der zudringlichste Mensch sind, der mir jemals vorgekommen? Ich habe Ihnen nichts versprochen, gar nichts, und wenn ich es auch gethan hätte, so bin ich doch nicht Willens, das Versprechen zu halten. Halten Sie denn an Ihre Amtspflichten? Der liebe Gott hat viel Müßiggänger in meine Kanzleien gesetzt, aber sie sind doch der Müßigste unter allen. Erstens: vertändeln Sie die Zeit der Arbeit mit Federschneiden, Zeitungslectüre und unnützem Geschwätz; keiner von meinen Leuten kommt später als Sie zum Bureau, und keiner bricht früher auf, als Sie, Zweitens: wenn Sie sich einmal ausnahmsweise mit einer Arbeit beschäftigen, so machen Sie lauter dummes Zeug. Sie sind der Spott der jüngern Scribenten geworden: waren Sie es nicht, dem einst die leichtfertigen Hasenfüße das Concept eines Urtheils vorlegten, worinnen Sie selbst zum Tode, und nach ausgestandener Execution nachträglich zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verdammt waren? Schrieben Sie die Dummheit nicht so pünktlich und vernunftlos ab, und brachten Sie mir zur Unterschrift, als ob es sich um einen Wäschzettel gehandelt hätte? Waren Sie es nicht, der einem würdigen Landpfarrer in einer Resolution, die denselben in Ruhestand versetzte, insinuirte: er sey auf Allerhöchsten Befehl nach Rußland zu versetzen; worauf der alte Mann in der größten Angst zu mir kam, sich zu beklagen, daß man ihn bei seinen Jahren noch so weit schicken wolle? Compromittiren Sie damit nicht mich selbst, da ich die Resolution unterschrieb? Soll ich denn, um alles in der Welt, mir die Pein anthun, alles zu lesen, was mir vorgelegt wird, blos darum, weil ein Sekretär wie Sie ein Esel wie Sie ist? Und Sie verlangen eine Gratification? Destitution, mein Herr, Destitution. Scheren Sie sich Ihrer Wege.«

Nun krümmte sich Wedel wie ein Wurm zu den Füßen des Ministers, und rang die Hände, und bat um seiner Kinder willen um Gnade und Nachsicht.

Die Antwort des zornigen Herrn lautete: »Ihre Kinder? Sie thun wohl, mich noch obendrein an das scandalöse Concubinat zu erinnern, worinnen Sie schon so lange leben. Pfui, Herr! schämen Sie sich. Der öffentliche Beamte soll ein Muster aller häuslichen Tugenden sein. Die Achtung soll ihn auf jedem Schritte begleiten. Häusliche Tugend allein, Gehorsam vor den Gesetzen der Religion und der Moral, sind die Leitsterne eines rechtschaffenen Staatsdieners. In den niedern Ständen ist schon der Unsittlichkeit genug verbreitet, leider Gottes; an uns ist's nicht, diese Verderbniß durch unser Beispiel zu beschleunigen. Und – wenn Sie nur einen bessern Geschmack hätten. Wie man mir sagt, ist Ihre Haushälterin noch viel häßlicher, als selbst Ihre Frau. Und hab' ich Ihnen darum jene Frau gegeben, daß Sie dieselbe um eines Trampels willen verlassen? Betrachten Sie sich im Spiegel, werfen Sie einen Blick auf Ihre erbärmliche Existenz und Aeußerlichkeit. Mit einem Worte: schämen Sie sich, und bessern Sie sich, wenn Sie noch ein Fünkchen der Gunst erhalten wollen, die ich Ihnen einst, gewisser Dienste wegen, zuwendete.«

Der Sekretär war nicht so dumm, daß er nicht gemerkt hätte, wie sein geehrter Vorstand während der letzten Rede immer blässer und matter wurde, und wie er sehnsuchtsvolle Blicke nach einem Tischchen warf, worauf eine Flasche mit Limonade stand. Dienstfertig eilte Wedel, dem erzürnten Gönner die Labung übernächtigen Magens zu reichen, und erndtete den Lohn seiner Barmherzigkeit auf der Stelle.

Der Minister wurde viel sanftmüthiger, schlürfte behaglich den Kühlungstrank, und ließ dem Sekretär Zeit, sich nach seiner Art zu verantworten. Wedel meinte, es würde ihm, wenn er ein stattlicher Minister wäre, viel leichter sein, seinen ästhetischen Sinn in Herzensangelegenheiten zu beglaubigen, wogegen einem armen Schreiber nichts übrig sei, als in einer Sphäre zu bleiben, die mit seinen anderwärtigen Verhältnissen in Einklang stehe.

Die Excellenz schielte wohlgefällig, von Eitelkeit überwallt, nach dem Trümeau, streichelte sich den Backenbart, ordnete den dünngewordenen Haarschopf, und sagte begütigt und nachläßig: »Lieber Mann, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich liege auch nicht auf Rosen, und mein Haus bietet mir, wie Sie wissen, nicht viel Ersatz für die Unannehmlichkeiten meines Amts. Früherhin wußte ich mich zwar zu trösten, aber es kommen die Jahre, wo man vernünftig seyn muß, wo man nach schwesterlicher Freundschaft mehr verlangt, als nach dem schnöden Genuß des Augenblicks.«

»Diese zu erkaufen, fällt Euer Excellenz nicht schwer,« meinte Wedel, und wurde immer zuversichtlicher. »Wenn Sie sich gefälligst einer gewissen Person erinnern wollten, die Ihnen Jahre lang mit der aufmerksamsten Liebe zugethan war …

»Kein Wort von ihr!« sagte der Minister mit Bekümmerniß. »Sie hat mich betrogen, ein volles Jahr lang hinter's Licht geführt. Schön war die Undankbare, aber trivial und ungebildet, was ihr letztes Verhältniß zur Genüge beweist. Ich will nicht mehr an sie denken. Eines Hatschiers Nebenbuhler mochte ich nicht seyn. Ja, von Anbeginn war Babet so niedlich, so naiv, eine blühende Rose, wie sie nur am Gebirge wächst. Solche Kindlichkeit hätte sich nie in Gemeinheit verkehren sollen. Jetzt rennt sie ihrem Verderben zu, obgleich von meinen Wohlthaten überhäuft. – Ich gäbe etwas darum, wenn sich ihre Stelle wieder vortheilhaft besetzen ließe.«

»Ich habe ein Subject, viel reizender und besser noch, als die Tochter des Söldner-Jacobs,« flüsterte Wedel dem lauschenden Gönner in das aufmerksame Ohr, »wie jene, an den Ufern der Loisach geboren, rein wie Gold, und treu, wenn sie einmal liebt, daß ich für sie mit Haut und Haar stehen möchte.«

»So?« fragte der Minister mit großer Neugierde, und setzte dann, wie hingeworfen, bei: »Man könnte das Wunderthierchen wohl einmal sehen und sprechen?« »Zu Euer Excellenz Befehl, wann Sie befehlen, wo Sie befehlen.«

Der Minister blätterte in seinen Papieren, und sprach leise, ohne den Sekretär anzusehen: »Es wird heute Abend viel zu thun geben; ich werde wohl noch spät im Ministerium seyn müssen. Sorgen Sie indessen dafür, lieber Wedel, daß die Kanzleien zur gewöhnlichen Stunde geschlossen werden, denn ich mag nicht leiden, daß man sich überarbeitet. Noch Eins: Ihr College Horner hat heute zwar die Jour, indessen wär' es mir lieb, wenn Sie den alten Mann ablösten. Sagen Sie das dem Direktor in meinem Namen. Wir wollen dann ganz allein zusammen arbeiten, und wenn Sie nicht vergeßlich und zerstreut sind, wenn Sie alles zu meiner Zufriedenheit ausrichten, dürfte Ihnen auch die Gratifikation nicht entgehen, die Sie schon so lange ansprechen.«

Wedel ging, that, wie ihm befohlen, arbeitete dem Minister brav in die Hand, so daß noch in später Abendstunde Licht im Cabinet gesehen wurde, und empfing am nächsten Morgen von seinem Gönner das ersehnte Decret, zugleich die Weisung, auf's Schnellste wieder das Häuschen herrichten zu lassen, welches Söldner-Jacobs Waberl im Schönfeld bewohnt hatte.


Entfernt von der lärmenden Stadtwelt, in ländlicher Einsamkeit, umgeben von den verschwiegenen Bosquetten des englischen Gartens, verträumte Nanni ihr Leben, auf seidenen Polstern ruhend, von allen kleinen Herrlichkeiten der Mode und des Luxus umringt, wenig achtend ihrer Fesseln, denn sie waren von Gold und Juwelen. Ihr großmüthiger Beschützer sorgte für Alles, jede ihrer Launen wußte er zu befriedigen, ihre kleine Habsucht zu stillen. Fern waren die Tage, wo mühsame Arbeit Nanni's Hände ermattete; die Schöne glich jetzt der trägen Creolin, die vom Lager zum Sopha, vom Sopha zum Lager huscht, und ihren Geist mit dem leeren Wortschwall ihres Papagei's füttert, und den langen Tag der Muße mit Ueberzählung ihrer Ringe und Kleinodien verbringt. Ihren Verstand zu bilden, sendete ihr der Gönner eine Fluth von Romanen, sie mochte nicht einmal einen Roman lesen. Um ihr ein Talent der Geselligkeit beizubringen, bestellte ihr der Freund einen Guitarrelehrer von sehr gesetztem Alter, und einen Singmeister, einen Veteran der italienischen Oper. Die Bemühungen dieser beiden respectablen Künstler waren ziemlich fruchtlos. Nanni lernte just so viel, als nöthig war, einige der beliebten Schnaderhupferl etwas menschlich zu singen und zu accompagniren.

Die schönsten Blumenstöcke schmückten Nanni's Fenster; die Tulpe war jedoch ihre liebste Blume. Ihre Tafel wurde fein und lecker besorgt; ohne gerade die Leckereien zu verschmähen, hielt sie sich meistens an die robustern Genüsse des Gaumens. Ihre Chatoulle war reichlich bedacht; das Silbergeld hatte keinen Werth für sie, sie warf es weg mit vollen Händen. Die Goldstücke hielt sie geizig beisammen, und noch habsüchtiger sammelte sie in ihrem Bijouteriekasten alles, was sie dem verliebten Freunde abzudringen und abzuschmeicheln vermochte. Allabendlich behängte sie sich mit diesen werthvollen Schnurrpfeifereien, und hielt ein Gesellschaftsstündchen mit ihren vielen Spiegeln. Sie glich der Madonna von Loretto, wenn sie einmal, von ihrer garstigen Duenna begleitet, im eleganten Phaeton ausfahren durfte. – Sie bildete sich ein, glücklich zu seyn.

Eines Nachmittags – die Sommerluft wehte besonders lau und der Minister verweilte zu Tegernsee – hatte Nanni unter vielem Gähnen dem Signor Maestro angedeutet, die langweilige Singstunde zu endigen, und lauschte hinter dem Versteck der Jalousien dem Geschwätz der vorüberziehenden Spaziergänger. Da ließ sich eine fremde Dame melden, und mit Freuden empfing Nanni den Besuch, der etwas Abwechslung in ihre Einsamkeit zu bringen versprach. Die Besucherin, von imponirender Gestalt, äußerst sorgfältig geputzt, trat mit einer Hast ein, die entweder Aengstlichkeit oder eine besondere leidenschaftliche Bewegung andeutete. Sie schien mehr das Haus, als die Bewohnerin desselben zu begrüßen, und würde vielleicht die Letztere in unangenehme Verwirrung versetzt haben, wenn nicht eine Erkennungsscene in's Mittel getreten wäre.

»Ach, was seh ich? Nanni, bist Du's?«

»Mein Gott, Waberl, wie kommst Du hieher?«

»Ach, ich war wohl früher in diesem Hause, als Du.«

»So? Wäre das möglich?«

»Ja wohl. Du gutes Schäfchen; hätt' ich mir doch nicht im Tode eingebildet, Dich hier zu finden. Wie geht's daheim? Was macht Deine Mutter? Wie leben meine Geschwister?«

Nanni erröthete sehr, sie hatte sich lange nicht um ihre Heimath bekümmert. Aber sie faßte sich wieder, als Waberl fortfuhr: »Was geht uns auch das Dorf noch an? München ist eben die Welt, und wir sind, Gott sey Dank! etwas anders geworden, als die dummen Gänse an der Loisach. Nun, wie geht's Dir? Frei heraus mit der Sprache. Bist Du recht glücklich?«

Nanni zeigte auf ihre prächtige Wohnung, öffnete die Schränke, gefüllt mit Putz und feinem Weißzeug, ließ vor der Freundin der Juwelen reiche Sammlung Revue passiren, hämmerte auf dem Flügel, mißhandelte eine italienische Romanze, ließ eine Flasche Champagner aus dem Keller bringen, und trank den köstlichen Wein mit ihrer Jugendgespielin aus Biergläsern.

Nach dem ersten Toast wurden beide Parteien immer zutraulicher, und Waberl sagte mit dem freundschaftlichsten Accent: »Sieh, meine Liebe, das alles habe ich gehabt, ehe Du es besessen. Ich bin aber doch der Herrlichkeiten überdrüssig geworden, und bin daher keineswegs eifersüchtig auf Dein Glück. Der Alte ist eifersüchtig wie ein türkischer Heide, und wird Dir noch das Leben sauer genug machen. Er hat mich eingesperrt, wie Dich, und wird Dich mit seinen Abendbesuchen langweilen, wie er mich langweilte.«

»Das passirt noch.« meinte Nanni mit niedergeschlagenen Augen, und Waberl fuhr fort:

»Es wird daher gut seyn, wenn Du bei Zeiten auf eine solidere Versorgung bedacht bist. Solche Herren, wie der Alte, sind wunderlich, veränderlich, wie der Münchner Wind. Machst Du ihn einmal falsch, so nimmt er Dir am Abend weg, was er Dir Morgens schenkte, verläßt Dich, macht Dich zum Gespött vor der Welt. Wo würdest Du Recht finden? Du stehst allein, wie eine Gefangene, hast weder Bekannte noch Protectionen. Ich hatte das alles berechnet; glaube ja nicht die Verläumdungen, die der Alte über mich ausstreut. Mein Verhältniß mit dem Hatschier war nur ein sehr vorübergehendes. Ich strebte nach einer soliden Partie, und hatte das Glück, eine solche zu machen. Mein guter Korbinger ist ein Mann ganz nach dem Herzen Gottes. Ich genire ihn nicht, und dafür läßt er auch mich ruhig meinen Geschäften obliegen. Es ist mir gelungen, mein Haus emporzubringen. Die schönsten Leute, auch die vornehmsten, gehen bei mir aus und ein. Meine Verschwiegenheit und Delicatesse ist in der ganzen Stadt bekannt. So hab' ich z.+B. einen kleinen Auftrag an Dich, der mit einem Antrag verbunden ist, der mir gar nicht verwerflich scheint. Eine Person von Distinction, die vorläufig nicht genannt seyn will, hat Dich gesehen, mein Schäfchen, und wünscht, mit Dir bekannt zu werden. Flugs hab' ich den Augenblick benützt, wo der Alte nicht um die Wege ist, mit ein paar Ducaten Deine Aufwärterin kirre gemacht, und biete Dir meine Vermittlung an, zumal Du meine Landsmännin bist, was ich mir vorher nicht träumen ließ.«

Hier folgte nun eine weitläufige Beschreibung der liebenswürdigen Eigenschaften der besagten Person von Distinction, worunter die überraschendste Freigebigkeit die erste Stelle einnahm; und als Nanni, eifrigem Zureden und begeisternder Weinlaune nachgebend, nur noch mit der Frage sich vertheidigte, was wohl der Minister sagen und thun würde, wenn die Incognitoverhandlung einmal zur Sprache käme, antwortete ihr Waberl mit gewichtiger Betonung: »Die Person hat sich vor dem Minister gar nicht zu fürchten; der Alte wird schon die Klauen einziehen müssen, wenn er von seinem Nebenbuhler hören sollte. Noch mehr: ein Wort von der Person, und der Alte ist genöthigt, Dich mit Prunk und Glanz unter die Haube zu bringen, wonach Du erst frei schalten und walten magst, wie es einer Dame von Welt geziemt. Liebe Nanni, die Neigungen der Männer sind nie von Bestand; ich wette, daß Deine Erfahrungen mit dieser Behauptung übereinstimmen. Warum sollten wir den Treulosen getreu seyn? Beherzige dieses, und ich bin bereit, Dir die Pforte zum wahren Lebensglück aufzuschließen. Ich verlange nichts für diesen Dienst, als daß Du in Zukunft mir und meinem Hause zugethan bleibst. Die schönsten Frauen von München besuchen mich dann und wann, und noch hat keine Ursache gefunden, sich über die gute Madame Korbinger zu beklagen.«

Bei dem letzten Tropfen des Champagners wurde der letzte Artikel des geheimen Pacts ratificirt, und schon am nächsten Tage bei geheimnißvoller Dämmerung ging Nanni, weil die dienstfertige Duenna die Augen verschloß, mit ihrer Freundin spazieren.


Einige Wochen waren verflossen. Der Minister, nach der Residenz zurückgekehrt, kam seltener als gewöhnlich zum Abendbesuch in's Schönfeld, und hatte die ganz besondere Aufmerksamkeit, seine Freundin stets wissen zu lassen, wann er kommen würde. Eines Abends – es war nach einem der beschwerlichen Ceremonientage eines Ritterfestes – stellte er sich, kaum aus dem Staatskleide geschlüpft, in dem kleinen Hause ein, und speiste tête-à-tête mit der Geliebten zur Nacht. Seine Zärtlichkeit war stets die alte, jedoch gemischt mit einer ganz absonderlichen Devotion, und ein leichtes Wölkchen verdüsterte seine Stirne. Nanni bot alles auf, um durch kindischen Scherz den Trübsinn zu verscheuchen, aber der Minister verfiel bald in tiefes Nachdenken, und sagte endlich, als ob er just mit einem großen Entschluß in's Reine gekommen wäre: »Was meinst Du, mein Kind? Unser Verhältnis so angenehm es ist, beunruhigt doch ein wenig mein Gewissen. Alles, was ich Dir gegeben habe, kann der Zufall, ein plötzliches Unglück, Dir wieder rauben. Ich muß an Deine Versorgung denken, wenn ich ruhig seyn will. Hättest Du nicht Lust, zu heirathen?«

»Wie Sie befehlen, Euer Excellenz.«

»Ich weiß einen ganz trefflichen Mann für Dich, leidlich jung, von dauerhafter Gesundheit, und in der besten Karriere. Es sollte mir nicht darauf ankommen, den guten Wieglmayer auf der Stelle zum Rath zu machen, wenn Du ihm Deine Hand schenken wolltest. Der Titel wäre nicht so übel, mein Kind, was meinst Du?«

»Ganz nach Ihrem Gutdünken. Es wird mich freilich schmerzen, mich von Ihnen zu trennen, aber meines Väterchen Wille geschehe.«

»Nun, getrennt wären wir darum noch nicht. Ich stünde noch immer mit Dir und Deinem lieben Manne in mannigfaltigen Beziehungen. Ich würde stets für Euer Glück sorgen, und ein mächtiger Beschützer, wie Du wohl weißt, nicht ausbleiben. Dann wären ja alle Partien zufrieden gestellt. Also gib mir Deine Hand darauf. Es ist beschlossen worden, daß die Heirath so schnell als möglich zu Stande komme. Ich darf Dir eine gute Aussteuer versprechen, und das Glück Deiner Zukunft liegt dann ganz in Deinen Händen.«

»In Allem Ihre gehorsamste Dienerin, Euer Excellenz.«

Der Minister expedirte die Sache mit gewohnter Schnelligkeit. Am andern Morgen um zehn Uhr sagte er dem Registrator Wieglmayr, daß ihm obliege, schnell zur Ehe zu schreiten, und zwar mit einer ihm schon vom Himmel bestimmten tugendhaften Braut. Wieglmayr bezeigte sich gehorsam, empfing den Titel eines königlichen Raths, nebst ansehnlicher Besoldung und anderweitigen Emolumenten, stattete um zwölf Uhr seiner Braut den ersten Besuch ab, hatte um Eins das graziöse Jawort, und fuhr nach wenigen Tagen mit Braut, Gönner und gefälligen Zeugen gegen Prien zur Trauung. Das junge Paar feierte seine Flitterwochen in dem kleinen Ländchen Berchtesgaden, und kehrte mit dem Eintritt des Herbstes nach der Hauptstadt zurück.

2.
Absteigende Linie

Der Schauspieler Clavigo hüpfte auf leichten Fußspitzen über die Kaufingerstraße, blinzelte nach einem Fenster im zweiten Stockwerke eines ansehnlichen Hauses empor, gewahrte mit Entzücken das rothblühende Geranium auf dem Fensterbrett, und schwebte die Treppe hinan, versichert, die Dame zu finden, aber nicht den Herrn. Madame Wieglmayr kam dem zärtlichen Freunde hastig entgegen, verschloß die Thür hinter ihm, führte ihn in das zweite Zimmer, setzte sich auf die Ottomane, und fragte mit gefalteten Händen, nicht ohne Bestürzung und Angst in dem schönen Gesichte: »Welche Nachrichten bringst Du, mein lieber Freund? Werd' ich das Bewußte erhalten? werden wir nach Starnberg fahren, werd' ich endlich aus der Hölle befreit seyn, worinnen ich schmachte?

Clavigo strich sich verlegen Backenbart und Haarstrauß, spreizte die Füße weit auseinander und steckte beide Hände in die Taschen der Beinkleider, räusperte sich etwas, schaukelte sich auf den Zehen, zog das haubenstockähnliche Gesicht in lange Falten, und versetzte achselzuckend: »Liebste Nanni, angebetete Frau, vortrefflichste Räthin! mit der Dummheit streiten Götter selbst vergebens. All' meine Bitten, alle meine Thränen prallten ab von seiner bocksledernen Seele. Die Tugend, sie ist kein leerer Wahn, aber jener Mensch in seines Nichts durchbohrendem Gefühle kennt nur den Mammon, die schmutzige Geldsucht. Auf Ehre, er will nichts hergeben. An die Zahlung der Interessen glaubt er nicht, noch viel weniger an die des Kapitals, und, um die gänzliche Nichtswürdigkeit dieses Elenden anschaulich zu machen, brauch ich Dir nur zu sagen, daß er äußerte, er würde selbst um den Preis einer Schäferstunde sich nicht mehr in ein Geschäft mit Dir einlassen. Ein Jude, liebe Nanni, bleibt stets ein Jude. Ich konnte nur acht arme Tage des Aufschubs von ihm erbetteln, nach deren Verlauf er Dich verklagen will.«

»Ach Jesus! Ich bin ein prostituirtes Weib.«

»Bei Gott, Du sagst es, und ich muß stehn und rettungslos verzweifeln. Weißt Du wohl, daß Deine Lage mir so zu Herzen geht, daß ich keine Rolle mehr zu lernen vermag? Die schönste Frau von München leidend zu wissen … das ist mehr als Tod, und der Soufleur wird heute schweren Stand mit mir haben.«

»Ich bin verloren; mein Mann wird alles erfahren, ein Geiz wird fürchterliche Scenen herbeiführen, und nirgends ein Retter. Wer mir das vor zwei Jahren gesagt hätte, als ich mit dem dummen einfältigen Menschen mich verheirathete!«

»Ja, es ist nicht zu läugnen, die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber. Ein edles Herz gibt aber nie die Hoffnung auf. Was sagt der Minister?«

»Ach, er hat mich verlassen, seit ich Dich liebe. Der Alte trägt nach wie ein heimtückischer Wolf. Nichts mehr von ihm zu hoffen.«

»Und Dein einflußreicher Protektor? Hat er auch Dich schnöde aufgegeben?

»Er haßt uns Beide, seit Du den kleinen, in der That höchst überflüssigen, Liebeshandel mit der italienischen Tänzerin getrieben.«

»Die Wallung eines Augenblickes; was kümmert mich aber der Haß der Gewaltigen, seit Du mir verziehen hast? Von Deinem Manne, dem gierigen Hamster, ist gar nichts zu erwarten?«

»Nicht ein Kreuzer, lieber Clavigo. Ach, wenn er Alles erfährt … Fünfzehnhundert Gulden an den Juden, vierhundert Gulden der Putzmacherin im Rosenthale, zwanzig Kronthaler der Maskenverleiherin in der Theatiner-Schwabingergasse, die zehn Louisd'or, die ich dem Doktor geben sollte, und unterschlagen habe, den Versatz von so vielen werthvollen Effecten, neunzig Gulden, die ich meiner Freundin, der Eisenhändlerin, schulde, die spitzbübische Rechnung von dreißig Carolins für unsere angenehmen Tete-à-Tete Mahlzeiten, Du weißt schon wo; dem Lohnkutscher die paar elenden Thaler, zu geschweigen noch der armseligen Schulden bei dem Schuhmacher, in der Porzellanhandlung, in dem Tuchladen, und was mir gerade jetzt nicht beifällt. Wenn erst noch der Uhrmacher, mein Zuckerbäcker, die Logenschließerin und ähnliche Leute rebellisch würden … mein Freund, ich müßte vergehen vor Leid und Entsetzen.«

Der Schauspieler legte seine Hand feierlich auf die Schulter der Freundin, und sprach: »Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Uebel größtes aber sind die Schulden! Ich kenne solche Situationen, liebste Nanni. Verzweifle jedoch nicht, der nächste Augenblick kann Rettung bringen.«

»Ach, wenn Du nur Mittel machen könntest!«

»Ich? Wo denkst Du hin? Einst, ja einst war eine schöne Zeit, wo ich Credit hatte, wie einer; meinen Tritt hörten die Blinden von Genua, wo ich ging, zitterte ein Herzogthum. Ein Königreich hätt' ich hingeworfen für einen Blick von Dir. Aber nun, belagert von tausend Engländern, wo ich hinsehe, Abzug, Bankrott. Kann ich Armeen aus der Erde stampfen? Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand? Du weißt wohl, wie hoch mir die verschiedenen Frauen, von denen ich mich scheiden ließ, zu stehen kommen. Ich bin viel gehaßt, aber auch viel geliebt worden, das verspür' ich jetzt sehr, wenn der Theaterdiener mir die zusammengeschrumpfte Gage bringt. Aber, um nicht Eins in das Andere zu reden, Du besitzest ja noch Schmuck. Du hast noch Kleinodien. Entledige Dich dieses Tandes, für Alles wage Alles, und ruhe dann an meiner wärmsten Brust.«

Nanni fuhr wie eine gereizte Löwin empor, vergaß die Würde des tiefen Schmerzes gänzlich, und rief ziemlich gemein: »So schweigen Sie doch einmal mit Ihren Dummheiten, und daß Sie's wissen, von meinen Juwelen trenn' ich mich nicht. Ich müßte mir die Augen aus dem Kopf weinen. Denken Sie selber auf ein gescheites Mittel, daß ich der Blamage entgehe. Sie haben ja doch das Meiste von der ganzen Wirthschaft gehabt. Haben Sie nicht gegessen und getrunken wie ein Fürst? Wer hat Ihnen die schönen Kleider machen lassen? Wer hat Ihnen das Geld nur so handvollweise zugesteckt? Hab' ich nicht für Sie alles aufgeopfert? Gehn Sie, Sie sind ein schlechter Mensch. Sie sollten gar nickt mit einer honetten Frau umgehen; Tänzerinnen und Choristinnen, das liederliche Volk gehört für Sie. Man weiß ohnehin, daß aus dem Isarthortheater nichts Gutes kommt. Den Zierlappen machen, schmausen und trinken, spazieren fahren und Leute betrügen, ehrliche Weiber um ihre Reputation bringen, das ist Ihre Sache. Marschiren Sie mir zur Thüre hinaus, und lassen Sie sich nie wieder vor meinen Augen sehen.«

Wie eine Furie öffnete sie das Zimmer sperrangelweit, und gab dem alterirten Hausfreund den bedeutungsvollsten Wink, sich zu entfernen; aber schon sah das Unheil verkündende Gesicht der Dienstmagd herein, und sagte mürrisch: »Da ist schon wieder das Bauernweib, Ihre alte Mutter, draußen, und der damische alte geistlich Herr ist schon wieder bei ihr. Sie sagt, sie könn' es nun einmal nicht mehr aushalten, und müßte betteln gehn, wenn Ihre Gnaden nicht endlich einmal Wort halten, und ihr bezahlen, was Sie ihr versprochen haben. Sie droht, dem gnädigen Herrn alles zu sagen.«

»Sie soll wiederkommen, morgen, oder besser übermorgen.«

»Und der Lohnkutscher, der auch draußen wartet?«

»Er soll einspannen, ich will nach Starnberg; den schönsten Wagen, ganz geschwind.«

»Das wird halt nicht seyn können, gnädige Frau. Der Mann ist grob, und kommt just vom Pschorr. Er sagt, daß er Ihre Gnaden bei der Polizei verklagen will, wenn er nicht bis Mittag sein Geld hat.«

Die Räthin wendete sich unmuthig, aber um vieles zahmer gemacht, zu dem Schauspieler, und sagte ihm freundlich: »Ach, bester Herr von Clavigo, handeln Sie doch mit dem Flegel ab. Wir wollen Punkt eilf an den See fahren, und er soll, sobald er kommt, sein Geld beim letzten Heller haben.« Sie setzte leise hinzu: »Geben Sie ihm indessen die goldene Uhr zum Versatz, die ich Ihnen geschenkt habe.«

Der Schauspieler blickte verlegen und zweifelhaft auf das Urband, welches nur pro Forma über seine Weste hing und nur seinen bescheidenen Zimmerschlüssel festhielt; die Uhr war ohnehin schon lange in's Leihhaus gewandert. Indessen säumte der Amoroso nicht, die Gelegenheit zu ergreifen, und verschwand wie ein Blitz. Er zerrte den Kutscher aus dem Hause, mit dem groben Menschen unterhandelnd, und die Magd fertigte die Mutter der Räthin und deren stupiden Beistand, den Ex-Benefiziaten Schnaitinger, mit leeren Worten und schwerer Impertinenz ab. Hierauf kam sie aber wieder zu der Gebieterin zurück, stellte sich vor dieselbe hin mit untergestemmten Armen, und begann im breitesten Volksdialekt: »Sie sollten sich doch schämen, gnädige Frau, wie Sie mit Ihrer armen Mutter umgehen. Es ist himmelschreiend, Sie können's gar nicht verantworten. Das wird Ihnen noch heimkommen, sag' ich Ihnen. Und wie Sie die andern Leute behandeln, denen Sie schuldig sind … es ist ein Scandal vor der Welt. Der gnädige Herr ist freilich geizig, und verschreibt seine arme Seele eher dem Teufel, als er einen Kronthaler weggibt. Aber Sie kennen kein Maß und Ziel. Sie wissen gar nicht, was in die Hauswirthschaft gehört. Der gnädige Herr hat kein ganzes Hemd im Vermögen, und Sie hängen Alles auf sich, als ob Sie ein heiliger Leib wären. Feine Betttücher haben Sie. aber kein Tischtuch. Die Servietten, die Sie auf den Tisch decken, müssen aushalten, bis sie so schwarz sind wie ein Stiefel; porzellanene Kaffeetassen haben Sie dem Dutzend nach, aber das Essen muß ich in der irdenen Schüssel auftragen. Und wie geht's mit dem Silber so nothig zu! Wenn man Sie anschaut, mit Ihren goldenen Ketten und glitzerigen Nadeln, so sollte man nicht glauben, daß Sie daheim mit zinnernen Löffeln essen. Die Butter kaufen Sie pfundweis, und die Kerzen nach dem Viertelpfund. Von außen Hui! und von innen ganz Pfui. Ein ehrlicher Dienstbot muß sich bei Ihnen schämen, ich hab' den ganzen Tag nichts zu thun, als Leute abzuweisen, die von Ihnen Geld wollen, und Herren einzuführen, von denen der gute gnädige Herr in seiner Kanzlei gar nichts weiß. Was soll das für ein Ende nehmen?«

»Sie sind ein impertinentes Weibsstück, Köchin!« eiferte die Räthin mit schüchternem Zorn. »Wenn Sie nicht mit dem Raisonniren nachgeben, so werd' ich Sie aus dem Dienst schicken.«

»Ei ja, thun Sie's nur, aber zahlen Sie mir zuvor meinen Lohn, und die hundert sechs und vierzig Gulden, die ich Ihnen baar geliehen habe. Dann will ich gleich gehen, und dem Himmel danken, wenn ich aus dem Haus bin.«

»Sie sollen Ihr Geld kriegen. Marsch, hinaus!« schimpfte Nanni, blaß vor Aerger. Brummend und sehr anzügliche Redensarten ausstoßend, that die Köchin, wie ihr geheißen.

Die Räthin schloß sich eine Stunde lang ein, und erschien, geputzt wie ein Engel, als Clavigo zur bestimmten Stunde mit dem bestellten Fiaker anfuhr. Freudestrahlend sah der Schauspieler die Heiterkeit seiner Freundin und rief: »Ich bin entzückt, Herzensnanni, Dich so verändert zu sehen. Noch vor Kurzem standst Du, ein entlaubter Stamm, aber innen im Marke lebte die schaffende Kraft. Wenn Du Geld hast, Geliebte, so laß uns sorglos dahinfahren, wo die reizende Starnberger Natur und der reiche Possenhofer Fischkasten uns winken. Ich kann mich Dir ganz widmen, unser Director liebt, gleich uns, das schöne Wetter und die Spazierfahrt, und hat seinen heutigen Staberl absagen lassen, wodurch auch meine Wenigkeit frei wurde. Komm in die trauliche Einsamkeit; die Freude sey unsere Gefährtin, und der Boden lecke cyprischen Nektar!« Die Räthin klimperte vor seinen Ohren mit einer schweren Börse, deren sich der Schauspieler als Reisestallmeister bemächtigte, und sie flogen von dannen. »Dein Mann wird uns doch nicht stören?« – »Warum nicht gar, lieber Wilhelm. Du kennst seine Leidenschaft für's Bier. Mit seinen Zechbrüdern fuhr er nach Tölz, und gedenkt, erst übermorgen wieder zurückzukommen.« – »Welch ein Glück! Donner und Doria! Fahr' zu, Kutscher!«


»Der Herr Rath von Wieglmayr, Euer Excellenz.« – »Was? Ist der Mann bei Troste? So früh? Soll ich ihn in der Nachtmütze empfangen?« – »Er sagt, es pressire sehr; es leide keinen Aufschub.« – »Herein mit ihm; was gibt's denn?« – Der Rath erschien wie eine lange, bleiche Wachskerze; doch das Haupt gebückt, gleich dem Gipfel einer Trauerweide. Er stammelte: »Euer Excellenz verzeihen … ich bin der geschlagenste Mann unter dem Monde. Ich wünsche nur einen Rath aus dero gönnerfreundlichem Munde.« – »Nun, Wieglmayr, sagen Sie doch geschwinde.« – »Meine Frau ist eine nichtswürdige Person.« – »Das weiß ich, lieber Mann.« – »Sie hat mich auf's Abscheulichste betrogen.« – »So? ich dachte mir's.« – »Ihre Untreue, ihr schlechter Lebenswandel war schon der ganzen Stadt bekannt.« – »Ja wohl.« – »Ich war der Letzte, der davon etwas erfuhr.« – »Thut nichts, lieber Wieglmayr.« – »Meine Ehre, Euer Excellenz …« – »Nun?« unterbrach ihn lachend der Minister. – »Meine Ehre, wollt' ich sagen, hätte schon einen Puff aushalten können …« – »Ja, so; darauf kannt' ich Sie.« – »Aber meine Kasse, mein Vermögen; ich bin ein ruinirter Mann.« – »Nicht doch; Sie haben Ihr Schäfchen im Trocknen.« – »Die Schulden meiner Frau …« – »Müssen Sie zahlen, lieber Wieglmayr, von Gott und Rechts wegen.« – »Aber sie sind enorm, mehr als viertausend Gulden.« – »Viel; aber warum haben Sie geheirathet?« – »Obendrein hat sie mich bestohlen.« – »Nun ja, mittelbar.« – »Nicht doch, Euer Excellenz. Sehr unmittelbar, äußerst sehr unmittelbar. Ich war in Tölz, in Ebenhausen, habe mich erheitert von schweren Sorgen und Geschäften. Da ich heimkehre, finde ich meinen Schreibtisch erbrochen, mein baares Geld entwendet, und meine Frau will mir weiß machen, ein fremder Dieb habe es gethan, der vom Hof zum Fenster hereingestiegen. Das Fenster ist freilich zerschlagen, aber die Scheiben liegen draußen; folglich kann der Dieb nicht wohl von außen gekommen seyn. Dazu die Offenbarungen der Magd, der Abgrund von Schulden, der sich aufthut … kein Zweifel an dem Verbrechen. Ich lasse das Weib durch die Polizei bestrafen.« – »Das werden Sie bleiben lassen, Herr Rath. Sie sind zwar ein beschränkter Kopf; aber das wäre noch das Thörichtste, was Ihnen je passirt ist.« – »So? wie soll ich zu meinem schönen Gelde kommen? Wenigstens soll das Weib in's Zuchthaus.« – »Sie sind ein arroganter, pöbelhafter Mensch. Machen Sie mich nicht böse. Die paar tausend Gulden machen Sie nicht unglücklich. Warum haben Sie eine schlechte Wahl getroffen? Wollen Sie sich jetzt die Nase aus dem Gesicht schneiden? Bringt Ihnen das nur einen Kreuzer wieder ein? Ihre eigene Schuld; hätten Sie besser Wache gehalten. Wer heirathet, muß auch riskiren; wer das nicht versteht, soll ledig bleiben.« – »Aber, um Gotteswillen, hab' ich nicht auf Befehl Euer Excellenz geheirathet? Ich glaubte, Euer Excellenz einen Gefallen damit zu thun.« – »Da waren Sie grundfalsch berichtet. Sie haben sich selbst einen Gefallen erwiesen. Sind Sie nicht Rath geworden? Haben Sie nicht Zulage bekommen? Für Ihre Impertinenz gegen mich streich' ich ihnen diese Zulage von Stund an; lassen Sie ferner Ihr böses Maul nicht, so fällt Ihre ganze Stelle in den Brunnen. Scheren Sie sich fort; man sollte niemals irgend einem Menschen eine Wohlthat erzeigen. Man hat nur Undank davon. Thun Sie, was Ihnen gut dünkt. Trennen Sie sich von Ihrer Frau meinethalben, wie sie wollen, aber wofern Sie sich unterstehen, einen Eclat zu machen, sind Sie ihrer Stelle entlassen. Der König will stille häusliche Beamten haben, und Moralität, mein Herr, ist die Grundlage des gesammten bürgerlichen Glücks.«

Wieglmayr kroch verblüfft von dannen, und kam nach Hause, ohne recht zu wissen, was er zu thun hatte. Siehe da: seine Frau hatte den gordischen Knoten zerschnitten, und mit allen ihren Habseligkeiten das eheliche Domizil verlassen, und zugleich erklärt, sie werde nie wieder zu dem abscheulichen Wüthrich, ihrem Manne, zurückkehren.


Ein Fremder war in einem bescheidenen Miethwagen von Augsburg gekommen und im Gasthof zum schwarzen Adler abgestiegen. Er schrieb sich in dem Fremdenbuch, das jedem Reisenden mit der liebenswürdigsten Zudringlichkeit in der ersten Minute nach seiner Ankunft präsentirt wird, als ein zum Vergnügen reisender Engländer ein, und nannte sich George Handkerchief. Mit dem schmutzigen Zimmer, das dem Fremden in Münchner Gasthöfen mit der Naivetät aufgethan wird, als ob man ihm einen Palast aufschlösse, war Sir Handkerchief nicht zufrieden, und erkundigte sich nach einer Privatwohnung. Der Wirth wies ihn an den Kellner, der Kellner an den Lohnbedienten, und dieser meinte, es sey ganz in der Nähe ein süperbes Logis zu haben, welches alle Bequemlichkeiten in sich vereinige, die nur ein Fremdling wünschen könne. Stehenden Fußes begab sich der ehrenwerthe Britte mit dem Führer in das benannte Haus, schob sich zwei Treppen hinan, wurde von einer reizenden Frau empfangen, die ihn wieder an ein niedliches Kammerjüngferchen abgab, welches ihm die Thüre zu dem angenehm möblirten Gemache öffnete. Indessen stand der Lohnbediente draußen im dunkeln Gange, und zischelte der Logisvermietherin in's Ohr: »Da bring ich Ihnen einen fetten Kunden, Frau von Wieglmayr. Der Mann hat einen leichten Koffer, aber eine bleischwere Schatulle, und einen riesigen Geldbeutel, worinnen es funkelt wie von lauter Ducaten. Den lassen Sie ja nicht aus, und vergessen Sie mich dießmal auch nicht, denn ich habe bereits drei Zimmerherren bei ihnen zu gut.«

Madame Wieglmayr suchte in allen Taschen und erwiederte mit einiger Verlegenheit: »Lieber Karl, ich bin just im Augenblicke nicht versehen, und der Meinige hat den Schlüssel zum Schreibtisch bei sich.«

Der Lohnbediente schüttelte den Kopf und meinte: »Sie wären eine liebe, charmante, gnädige Frau, wenn Sie nicht immer so auf's Vertrösten aus wären. Von dem Ihrigen ist auch leider nicht oft was zu erlangen, und so ertheile ich Ihnen den Rath, daß Sie dem Fremden etwas Drangeld abnehmen, damit ich auch etwas davon habe. Dem Engländer kommt's auf einen Ducaten mehr oder weniger nicht an. Schicken Sie einmal Ihr Bäschen an ihn, so gewinnen Sie zehnmal mehr.«

Da seufzte Madame Wieglmayr und versetzte: »Leider ist die arme Virginie krank, und die Korbinger hat mir die schwarze Rosel abspenstig gemacht.«

»Ho, und Sie, gnädige Frau?«

»Pfui, Herr Karl; Sie wissen ja doch um mein Verhältniß.«

»Nun, 's passirt schon; der Herr von Clavigo macht sich auch grade kein Gewissen draus, ein Bischen bei Seite zu spazieren. Ich, an Ihrer Stelle, Euer Gnaden, würde mich mit dem Mosje weit mehr in Acht nehmen.«

Der Engländer, in seinem langen, hechtgrauen Ueberrock, den Hut auf den borstigen Kopf gedrückt, die Hände in den Rocktaschen, trat wieder aus dem Gemach, und wurde in das Putzzimmerchen der Dame genöthigt.

»Wie gefällt Ihnen das Logis, gnädiger Herr?«

»Gut.«

»Nicht wahr, eine bildschöne Aussicht auf die Straße, immer lebendig vor den Fenstern, die Alkove so bequem, die Stiegen hell und reinlich?«

»Hm, ja.«

»Auch die Bedienung wird schnell, pünktlich und aufmerksam seyn; der Haus- und Gangschlüssel fehlt nicht, und die Tafeluhr spielt vier Stückchen.«

»Gut.«

»Und das Bett so weich, so proper; noch vor acht Tagen hat ein russischer Fürst zum letztenmal drin geschlafen.«

»Meinetwegen; der Preis?«

»Eine Bagatelle: drei Louisd'or monatlich.

»Gut.«

»Das Frühstück, und, wenn Sie wollen, alles Uebrige, können Sie im Hause haben.«

»Das hab' ich dem gnädigen Herrn schon gesagt,« schaltete die Zofe mit den muthwilligen Augen ein. Der Engländer deutete gravitätisch auf sie, und sagte: »Diese kleine Person wird mich bedienen?«

»Zu Befehl. Es soll Ihnen nichts abgehen.«

»Ich werde meine Sachen herüberschaffen lassen.«

»Gar zu gütig; wollten Sie aber nicht ein kleines Drangeld spendiren?«

Sir Handkerchief ließ mechanisch aus seiner Tasche drei blanke Caroline auf den grünen Tischteppich gleiten: »Hier einen Monat zum Voraus. Aber nur geschwinde meinen Koffer herüber. In einer Stunde bin ich wieder da.«

Er wurde mit aller Deferenz zur Treppe begleitet, und war kaum verschwunden, als schon Dame, Zofe und Lohnbedienter gleich Harpyen über die Goldstücke herfielen. Madame Wieglmayr bedurfte aller Energie, um zwei Carolins für sich zu retten; den dritten gab sie Preis, weil Mamsell Kathy und Herr Karl Ansprüche, die von lange datirten, geltend zu machen suchten. »Theilt Euch in die Louisd'or, wie sie gewachsen ist,« rief die Dame: »weil Ihr denn doch so unersättlich seyd.«

»Ich will sie wechseln lassen,« rief der Lohnbediente, und eilte mit dem Goldstück davon, um es zu behalten. Kathy that untröstlich, lamentirte, schimpfte, beklagte sich, ohnehin an den Trinkgeldern verkürzt zu werden, und Madame Wieglmayr mußte eins ihrer schönen Mousselin-Kleider opfern, um die grollende Dienerin zu beschwichtigen.

»Nimm doch Raison an, Kathy,« sagte sie mit eindringlicher Beredtsamkeit: »Sieh, mir bleibt ja so von dem Gelde nichts. Der Tracteur will bezahlt seyn, und der Bierwirth hat auch manches zu gute. Wenn vollends der Schuhmacher kömmt, und auf die Reitstiefel des Herrn von Clavigo ein Abschlaggeld begehrt, so muß ich auch bei der Hand seyn. Sey nur gut, Kathy, und mach' mir s nicht so, wie die schwarze Rosel. Der Engländer hat schwer Geld, wird uns alles einbringen. Zudem hat Herr von Clavigo nächstens sein Benefiz, und Du weißt, was er Dir versprochen hat. Heute Abend führ' ich Dich aber in's Theater. Sie geben den Staberl als Klaubauf; wir wollen brav lachen, und hernach bei Krois, oder wo es Dir gefällt, zu Nacht essen.«

Die verheißene Theaterluft war eins von den wenigen Dingen, die Madame Wieglmayr wirklich noch zu Stande bringen konnte: es standen ihr mehrere Freibillets täglich zu Gebot, sowohl von Seiten Clavigo's, als von Seiten des Direktors, um diverser Motive willen. Der kleine Billetschacher war, beiläufig gesagt, einer ihrer Erwerbszweige, obschon bedeutend geschmälert durch die Provision, welche den unmittelbaren Unterhändlern und Zwischenpersonen anheimfiel. Clavigo, als er heimkam, willigte als gnädiger Herr vom Hause ohne Umstände in den projektirten Theaterbesuch, war sehr lustig, sehr fidel, und sagte: »Ich werde heute, ohne Ruhm zu melden, wie ein Gott spielen. Die Schufte von Recensenten – Gott verdamme sie – haben gewagt, zu behaupten, daß ich meine Rollen nicht mehr memorire. Ha, heute werden sie dastehen, beschämt, zu Boden gedonnert, und vergehen vor blassem Neide. Heute fühl' ich eine Armee in meiner Faust. Den Rudolph in der Banditenbraut hat mir noch Niemand nachgespielt. Es ist nur Schade, daß der fade Staberlwitz darauf folgt. Er verwischt allen guten Eindruck. Apropos, liebe Nanni, heut ist ein bildschöner Tag, wie dazumal, als wir nach Possenhofen fuhren. Ich hätte Lust, in Neuberghausen meinen Kaffee zu trinken. Ich reite hinaus, will Euch dort erwarten, und Ihr fahrt alsdann direct in's Theater. Ich will Euch tractiren, Euch den Fiaker bezahlen, ich bin so lustig, als ob mir eine Krone geschenkt worden wäre. Ihr sollt es auch sehn, bei Gott! Ihr solll's. Ich werde heute bei Tellerer im Thal speisen, mit guten Freunden, mit ausgemacht ehrlichen Seelen. Kein einziger darunter, den ich nicht mit Freuden meinen Bruder nennte.«

»Betrinke Dich nur nicht, lieber Wilhelm, Du weißt, wie es Dir neulich auf dem Theater ging, als Du …«

»Kein Wort, keine Sylbe von jenem Abend, Du reizende Megäre. Vergiß, vergib, denn Du bist ja im buchstäblichen Sinne mit einem blauen Auge davon gekommen. Unser Schuldbuch sey vernichtet.«

»Ach, wollte Gott. Da ist aber der Hausherr, der Tapezierer, und noch einige andere, die uns mit Drohungen das Leben sauer machen.«

Der Schauspieler schlang einen Arm um sie, wedelte drohend mit der Reitpeitsche in der Luft, und rief: »Bei Gott, Weib, Du bist schön, aber Du bist zugleich höchst einfältig. Vergißt Du meine Benefizvorstellung? Ganz München und Nymphenburg wird dabei seyn, unsere Kasse füllen, uns frei machen. Eine schöne Zeit erwartet uns, holde Nanni, gib mir indessen ein paar Kronenthaler, und vergiß ja nicht, mein Püppchen, daß ich Dich in Neuberghausen erwarte.«

Nachdem Clavigo das Geld erhalten, flog er von dannen, und ließ Freundin und Zofe in der angenehmsten Bestürzung zurück. »Der liebe Mann, der charmante gnädige Herr!« riefen beide Unisono, und beide machten ihre Toilette. Mittlerweile rückte der Engländer in's Logis, und richtete sich darinnen mit der Bequemlichkeit eines reichen Mannes ein. In der ersten Minute hatte er sich schon mit Kathy auf den besten Fuß gesetzt, und dem gutwilligen Geschöpf goldene Tage versprochen, wie Clavigo seiner Freundin. So fuhren beide, von den seligsten Hoffnungen erfüllt, nachdem sie einer alten Austräglerin die Aufsicht über die Wohnung vertraut, nach Neuberghausen, und machten sich daselbst unter der schönen Welt, die sich dort versammelte, so lustig als möglich. Clavigo hielt Wort, und besorgte den schönsten Fiaker, der aufzutreiben war, ließ im Triumph seine Schöne nach dem Theater rollen, und versprach, sich im besten Glanze vor dem Publikum sehen zu lassen.


Es war kaum fünf Uhr, und schon war das Theater am Isarthor gedrängt voll von Menschen. Madame Wieglmayr und Kathy hatten Mühe, zu ihren Plätzen zu gelangen. Die lange Frist bis sieben Uhr wurde mit koketten Demonstrationen nach allen Seiten und Plätzen des Saals vertrieben, und endlich schlug die Glocke, und endlich begann die Musik. Nach der Symphonie eine lange Pause, dann abermals eine langweilige Ouvertüre; hierauf eine neue Pause, und beginnende steigende Unruhe unter dem Publikum. Unheilschwangeres Geflüster lief während dessen durch die Logen, verbreitete sich in's Parterre. Hinter dem Vorhang nicht minder lebhafte Unruhe, Hin- und Herrennen, scheltende Stimmen des Directors und Regisseurs. Der Tumult im Auditorium gelangte auf seinen Gipfel, und endlich flog die Cortine in die Höhe, und ein leichenblasser Inspicient erschien, und kündigte den versammelten Zuschauern an, daß Herr Clavigo sich nicht eingestellt, daß man ihn nirgends gefunden, und daß er im dringlichsten Verdacht böswilligen Durchgehens sey, und vorläufig statt der Hedwig ein anderes Stück gegeben werden müsse. Diese Nachricht, von dem Hohne des Publikums mit tobendem Gelächter aufgenommen, schmetterte die schöne Nanni wie ein Blitz zu Boden; sie wollte fort, aber das Gedränge ließ es nicht zu, sie wollte Lärm machen, aber Kathy bat sie inständigst, sich nicht völlig zu blamiren. Auf Nadeln sitzend, mit Todesangst im Herzen, mußte sie das Schauspiel abwarten, weinend bei den Späßen des Staberl Klaubauf, und als die Comödie zu Ende war, schwamm sie trostlos auf den Wogen der schwellenden Menge aus dem Hause, und hatte Mühe und Noth genug, in's Freie zu kommen, nach ihrer Wohnung zu eilen, wo sie ermattet und mit den ärgsten Zweifeln kämpfend, anlangte. Eine üble Bescheerung erwartete sie dort. Das Haus voll von gaffenden Menschen, ihr Quartier sperrangelweit offen, die alte Hüterin desselben nirgends zu sehen, alle Zimmer von Möbeln leer, und von Polizeisoldaten voll. Eine ganze Kategorie von Unglücksfällen war binnen wenigen Stunden über ihr Haupt zusammengestürzt. Clavigo war durchgegangen, hatte ihre Kleinodien sammt und sonders mitgenommen, wie weiland der Edle von Pelz; der Tapezierer, dem sie alle Lieferungen schuldete, hatte seine Möbel in Sicherheit gebracht, und der sogenannte Sir Hankerchief, ein durchgegangener Kassenbeamter aus einem benachbarten Lande, war nur ein paar Stunden früher, als sein Steckbrief in München angekommen, und befand sich schon in polizeilichem Gewahrsam. Der zornige Hausherr endlich, der sein verflossenes Quartal noch zu fordern hatte, setzte bei solchen Adspecten seiner Intoleranz die Krone auf, indem er auch die schöne Nanni zu weiterer Verständigung und Erläuterung aller besagten Wirrnisse vor den Polizeikommissär bringen ließ.


Sie hatte ruhig geschlafen, die Aermste, sanfter als gewöhnlich, und geträumt von Glockenklang und Sonntagsfreude in dem heimathlichen Dörfchen. Psyche hatte sich für einen Augenblick losgerissen von den schnöden Fesseln thierischer Existenz, um als Traumbild zu schauen, was ihr die Wirklichkeit versagte. – Da erwachte Nanni plötzlich, und vor ihren Augen lag abermals, ohne die geringste Veränderung, die ärmliche Kammer, die sie am Färbergraben bewohnte, das trübe Fenster, von groben Vorhängen bedeckt, von dessen Höhe sie oft, wie von einem Wartthurm, die Straße mir ihren Blicken gemessen und eine Beute für ihre Verlorenheit gesucht. Welch ein Abstand von dem Leben der hoffärtigen Räthin Wieglmayr zu der armseligen Existenz, die sie jetzt unter dem Namen der braunen Nanni, in dem Hause einer berüchtigten Schelmin, elend dahinschleppte. Sie hatte nichts mehr, was sie ihr Eigenthum nennen konnte. Das seidene Fähnchen, womit sie ihren Leib, der bunte Hut, womit sie ihr Haupt schmückte …. schier der geringste Theil ihres Anzuges, war geborgt, ein Darlehn des Weibes, welchem sie diente im schnöden Erwerb. Ein Wort res Ungehorsams, die geringste Widersetzlichkeit gegen die Anforderungen des Lasters, konnten sie auch noch um dieses erbärmliche Daseyn bringen; darum schwieg sie, darum betäubte sie sich mit Geschwätz, Gesang und Getränk, darum verbarg sie die heißen Thränen, die manchmal in einsamen Stunden sie beschlichen, und tilgte mit dem Farbenkram der Schminke die kleinen Verwüstungen aus, die von dem Harm und dem schlimmen Wandel in ihre Züge eingerissen waren. Eine Genossin lebte mit ihr in demselben Hause, und diese trat heute zu ihr in die Kammer.

»Es ist beschlossen,« sagte sie: »daß ich morgen unsere Frau verlasse. Ich will lieber irgendwo bei einem Krämer als Ladenjungfer verkümmern, als länger dieses Höllenleben führen.«

»Ach, Urschy, wenn ich nur auch so weit wäre? Ich habe heute von meiner Mutter geträumt, und möchte mich gerne bessern. Aber die Noth, die Armuth, liebe Urschy! Und dann weiß ich immer noch nicht, wo denn der Xaver eigentlich hinaus will.«

»Gib Acht, mit dem Xaver kommst Du noch schön an. Wie kannst Du Dich nur so bethören, und bist doch nimmer jung? Der rohe Bursche, über den sich seine braven Eltern die Haare ausraufen, während er von Früh bis Spät beim Bier, beim Wein, beim Spiel und bei den Mädchen sitzt; der bringt sich noch einmal um den Kopf, liebe Nanni: zuvor wird er aber Dein Unglück.«

»Was aber in aller Welt anfangen? Du weißt, daß ich mich nicht verheirathen darf, weil ich schon einen Mann habe, und gelernt hab' ich auch nichts, was ich gerne treiben möchte. Mit Nähen und Stricken verdient man so wenig. Ich habe schon einmal auf's Lipperltheater gehen wollen, aber sie haben mich nicht genommen. Ich hätte gern wieder einen Dienst angetreten, aber ich kriege keinen mehr. Ich wäre gern von hier fortgegangen, aber woher das Geld nehmen. Ich habe keinen Freund mehr, Niemand bekümmert sich um mich; wenn ich Jemanden auf der Straße begegne, den ich vor Zeiten kannte, so wendet er sich weg, und macht ein verdrießliches Gesicht. Sogar die schlechte Korbinger fletscht mir die Zähne. Da bleibt mir nun freilich Niemand, als der Xaver. Wenn sein Vater stirbt, bekommt er die Schlosserwerkstatt und ein hübsches Stück Geld. Dann will er mir einen Putzladen einrichten, hat er versprochen, und dieses ist meine letzte Hoffnung.«

»Ach, vertraue dem Menschen nicht zu viel. Geh' zu Deiner Mutter zurück, wie ich zu meiner alten Tante. Wer weiß, was Dir noch Gutes geschehen kann.«

»Die Mutter? Weiß ich doch nicht einmal, ob sie noch lebt. Seit sechs Jahren hab' ich nichts mehr von ihr gehört. Vielleicht hat sie mich schon dort oben beim lieben Herrgott verklagt.«

»Dir ist nicht zu helfen, ich seh's. Lebe denn wohl, wir sehen uns heute zum letzten Male.«

»So zahle Du mir, was Du mir schuldig bist, Du liederliches, undankbares Ding!« kreischte die Hausfrau, die mit Ungeschliffenheit in's Zimmer trat: »Willst Du die Magdalena machen, und mich um meiner Gutthaten Willen noch papierln. Das wär' mir grad' recht. Ich bin ohnehin mit Euch beiden schon geplagt genug. Ihr seyd Langschläferinnen, faule Weibsbilder. Man hat's gleich weg, daß Ihr nicht mit Leib und Seele mehr bei dem Geschäft seyd. Ihr stehlt dem lieben Gott den Tag ab, wollt nur gut leben auf meine Kosten, und apart thun, weil die Eine einmal eine Räthin gewesen ist, und die Andere die Tochter eines Rentamtsschreibers. Sapperment, mein Vater war auch herrschaftlicher Zimmerputzer, und mein Mann seliger wäre bald Laquay bei der Churfürstin geworden, wenn sie ihn nur genommen hätte. Ich bin aber gar nicht stolz, lasse mir's sauer werden bei Tag und Nacht, scheue mich vor keinem Handel mit der Polizei, wenn's auf meine Lebsucht ankommt, und staffire Euch wenigstens so sauber heraus, als die Korbinger ihre Mamsellen anlegt. Ich scheer mich nichts um Dich, Urschy, wenn Du nur bezahlst. Vorher aber lass' ich kein Stückchen von Deinen Habseligkeiten aus dem Hause. Apropos Nanni: der galante Russe von gestern verlangt, daß Du mit ihm spazieren fährst. Du wirst es thun, und schön artig seyn. Ich geb' Dir meinen rothen Shawl und den schönen Spitzenkragen. Verdirb mir ihn ja nicht. Unterschlage mir auch nichts; ich erfahre doch alles. Wenn der Xaver Dich zum Keferloher Markt abholen will, so schick' ihn nur wieder fort. Ein andermal ist auch einmal.«

In dem Augenblicke kam der genannte Xaver, ein blasser, magrer, groß gewachsener Bursche, mit verdächtigen Augen, schwarzen Haaren, die in Tire-Bouchons um seine Schläfe hingen, verliederlichten, übernächtigen Angesichts, vernachlässigten Anzugs, und schon am Morgen schwankend vor Trunkes Uebermaß. Seinem bösen Maule zu entgehen, entfernte sich die cara Mamma mit giftigen Blicken, und auch Urschy machte sich aus dem Wege. Der Liebhaber pflanzte sich nach einigen rohen Scherzen auf einen Stuhl, machte mit unsichern Händen seine Pfeife zurecht, und sagte verdrossen und schwerfällig: »Ich hol' Dich heut' Nachmittag, hörst Du? Wir wollen nach Keferlohe. Ich hab' schon die Nacht draußen zugebracht. In Trudering gibt's heute großen Tanz, und viele Kameraden sind dort. Dem Kappler-Nazi hab' ich's zugeschworen, daß er seine Prügel kriegt. Wenn Du mit ihm tanzest, dreh' ich Dir den Hals um.«

»Lieber Xaver, mir ist heut gar nicht wohl; geh Du allein, und mach' Dich recht lustig; ich will daheim bleiben.«

Der Bursche warf einen falschen Blick auf Nanni, und versetzte mit unterdrücktem Zorn: »Warum nicht gar. Das Donnerwetter soll drein schlagen, wenn Du nicht mitgehst. Hast Du vielleicht wieder einen schlechten Kerl auf dem Rohr? Nichts da; ich hab' Dein Leben satt. Ein Weibsbild wie Du soll sich eine Ehre draus machen, wenn ein ehrlicher Bürgerssohn sich mit ihm abgibt. Ich könnte viel jüngere und schönere Mädeln haben, aber Du bist gerade meine Caprice. Kein Wort mehr, gib mir Geld heraus, ich hab' das Meinige verspielt.«

»Ich habe jetzt keinen Zwanziger im Hause, lieber Xaver. Nimm doch Vernunft an.«

»Was? Hab' ich Dir nicht Alles angehängt? Hab' ich nicht meinen Vater bestohlen, um Dich zu tractiren? Soll ich gar nichts davon haben, daß Du Dich mit andern herumtreibst? Geld her, oder …!« Er ballte die Faust und schlug auf den Tisch.

Nanni trat empört in eine Ecke, und erwiederte: »Du bist ein ungeschliffener Mensch, und wenn ich meine Schublade voll Geld hätte, würd' ich Dir jetzt keins geben, und wenn Du mich auf den Knieen darum bätest, würd' ich nicht mit Dir spazieren gehen. Marschir' aus dem Hause und schlaf Deinen Rausch aus.«

»Hoho, so impertinent? Du! Mach mich nicht wild, oder es könnte Dir schlimm gehen!« Xaver zog ein langes Messer aus der Tasche seines Beinkleides, und zielte damit nach der bebenden Nanni, die unter zornigen Thränen das Kästchen öffnete, worinnen sie ihre geringe Baarschaft zu verwahren pflegte. Nur wenige Kreuzer lagen darinnen.

»Da!« rief Nanni schluchzend. »Da nimm, Du elender Mensch und mach' Dich lustig mit den paar Hellern wovon ich mir Brod kaufen wollte. Lieber will ich in Grund gehen, als einem Satan wie Dir länger gehören.«

Von unbeschreiblicher Wuth entflammt, sprang der trunkene Wüthrich auf sie zu, und schrie, indem er das Messer schwang: »Du foppst mich noch? Wohl, so fahr zum Teufel.« Ein Stoß traf Nanni's Arm. Die Verwundete kreischte laut: »Mörder, Feuer, Hülfe!«

»Willst Du schweigen, Elende, oder soll ich Dich stumm machen?« Mit diesen Worten fiel der Bösewicht über sein Opfer her, drückte es auf das Bett, und versetzte ihm einen tiefen und breiten Schnitt in die Kehle. Zappelnd wie eine Rasende entwand sich Nanni der grausamen Faust, und stürzte von Blut überströmt zur Thüre hinaus, die Treppen hinab, heulend, röchelnd, im Wahnsinn über die Straße in's Nachbarhaus, wo sie unter dem Thorwege ohnmächtig wie im Sterben dahinsank. Auflauf von allen Seiten, Gezeter der Weiber, Johlen der Gassenbuben, Dazwischenkunft von bewaffneter Polizeimannschaft. Nach dem Mörder suchten die Gensd'armen; die heulende Urschy zeigte ihnen den Weg. Xaver hatte sich in Nanni's Kammer eingeriegelt; als man die Thüre sprengte, fand man ihn in seinem Blute liegend. Er hatte sich besser getroffen, als sein Schlachtopfer. Zuckend gab er den Geist auf, während Nanni nach dem Spital gebracht, trotz der gefährlichen Wunde wieder zum Leben gerufen, und für eine qualvolle Zukunft gerettet wurde.


Es ist eine Gegend in München, die man in der gemeinen Volkssprache das Venedig nennt; verrufene Stadtwinkel, grenzend an das sogenannte Thal, wo brausende Bäche und Canäle neben schmalen Gestaden dahinschäumen, wo unsichere Stege und Brücken nach versteckten, zum Theil übel berüchtigten Häusern führen. In jenen Revieren, wohin die Sonne fast niemals scheint, in der Nähe des baufälligen Bockkellers, streifen zur verschwiegenen Nachtzeit einzelne verworfene Dirnen, die nicht einmal mehr ein fixes Obdach haben, und mit dem Mantel der Finsterniß den Ruin ihrer Reize verbergen, eifrig Jagd haltend auf versprengte Wüstlinge, obschon eifrig verfolgt von den Sicherheitswachen der Hauptstadt.

Es war in der Nacht eines Faschingdienstags, die zwölfte Stunde schon vorüber, und aus irgend einer Kneipe taumelte ein Mann daher, sich verirrend auf den engen Gestaden der oben beschriebenen Münchner Lagunen. Die Kälte war beißend, die Bäche wälzten Eisstücke mit sich fort, und brausten ein dumpfes ungeheuerliches Todtenlied. In den Gebeinen des verirrten Trinkers glühte die Hitze eines Fastnachtgelages, und sein Auge suchte durch die flirrende Nacht nach einer Genossin; jenseits eines Steges schwankte leise eine Gestalt in flatterndem Kleide. Hinüber riß es den Mann, und der Freveldurstige schlang seinen Arm um das verlorene Weib.

»Wohin? Ich gehe mit Dir, Schätzl. Hast Du ein warmes verstecktes Gemach?«

»Ach, Herr, lassen Sie mich!« versetzte Nanni, im Innersten erschüttert von der Stimme des zudringlichen Gastes. Sie erkannte in ihm den Großonkel Schnaittinger.

»Wie, Creatur, Du willst die Spröde spielen, und hältst hier Wache in bitterer Kälte, bei dunkler Nacht?«

»Der Hunger, lieber Herr. Schenken Sie mir was, aber lassen Sie mich gehen; ich darf nicht bei Ihnen seyn.«

»Ei, ei, warum denn nicht? Komm nur, ich bin ein verschwiegener alter Mann. Führe mich, wir wollen Fasching halten.«

»Schämen Sie sich, gehn Sie nach Hause, ich will nichts mit Ihnen.«

Eine Mißhandlung von Seiten des alten Sünders war die Antwort, welche Nanni mit einem kraftvollen Stoß ihres Arms erwiederte, den Trunkenen von sich schleudernd. Dieser gerieth schnell taumelnd an das Geländer des Stegs, ein unsicheres Brett klappte unter seinen Füßen auf, unter dem Geländer durch stürzte der Unglückliche unbehülflich in den reißenden Kanal; ein dumpfer Schrei, und die eisige Fluth hatte schon den Athem von seinem Munde weggespült, und riß den leblosen Körper unverzüglich mit sich fort. Aus der Ferne schallten alsobald die Tritte einer Patrouille, und Nanni floh, so schnell es ihre kraftlosen Füße vermochten, aus den Winkelgassen in die freieren Vorstadtstraßen, und gelangte wie im Fluge in die einsame Gegend des Einlasses. Dort sank sie zusammen auf einen Stein, verhüllte sich mit den Händen das Gesicht, und athmete wie ein keuchendes Reh, und schilderte sich immer neu den schauderhaften Auftritt, dessen Veranlassung, dessen Zeuge sie gewesen war. Der dumpfe Ruf des Ertrinkenden summte stets in ihren Ohren wieder, und tausendmal wiederholte sie sich: »Ich bin eine Mörderin, ich habe meinen Großonkel umgebracht; es kann mir nicht vergeben werden.« Dann aber sagte sie wieder, gleichsam ermunternd, zu sich: »Ihm geschieht Recht, er hatt' es selbst verschuldet; er war noch schlechter, als ich je gewesen.« Endlich erinnerte sie sich, daß der Aschermittwoch angebrochen, und daß die Kirchen bald offen stehen würden, um fromme Christen und reuige Sünder zur Buße aufzunehmen. Sie war lange, lange in keiner Kirche gewesen. »Heute will ich beten gehen,« murmelte sie in sich hinein, und wartete zitternd vor Frost auf ihrem Steine den ersten Tagesschein ab. Ihr war zu Muthe, als ob dieser Tag ihr letzter seyn müßte. Nicht Kälte und Mangel allein folterten ihren Körper, während Gewissensbisse ihre Seele durchschnitten. Sie fühlte sich auch durchwühlt und aufgerieben von entsetzlicher Krankheit, dem Herold eines schmählichen Todes.

Der Tag bleichte; Nanni schlich scheu, allenthalben nach den Gensd'armen spähend, von denen sie sich verfolgt glaubte, vorwärts in die Stadt. Sie gerieth in die Sendlingergasse; ringsum schweiften müde, schlaftrunkene Masken, die vor dem keimenden Tageslicht die Lappen ihrer Tollheit zu retten suchten; bleiche Nachtvögel, eilend nach dem Lager oder nach der Kirche.

Die Johanniskirche wurde eben geöffnet; Nanni wollte hinein, doch schreckte sie zurück vor dem frostigen Moderhauch, der aus der dumpfigen Kirche drang. Sie schwankte in eine dunkle Seitengasse; ihr schleppender Fuß stieß an einen Körper, der quer in dem Gäßchen lag. Sie bückte sich nieder; der Körper war der eines Weibes, eines erfrornen, verhungerten Weibes. Ein bleicher Strahl des Lichts schoß in die Straße. Nanni erkannt ihre unglückliche Mutter.

Verzweifelnd überschlug sie sich neben der starren Leiche; ihr Jammergeheul zog Leute herbei, die sie umstanden, wie eine Fallsüchtige. »Ich habe meine Mutter umgebracht, ich habe meinen Onkel ersäuft!« ächzte sie aus hohler Brust, bis ihr die Sinne vergingen.


Die wohlbeleibte Wirthin stand unter der Thür' ihrer Schenke, und schaute nach den Bäumen des sogenannten Praters, die bereits das meiste Laub eingebüßt hatten. Der Tag war sonnenhell, aber wenig Leute kamen die Straße, die an Flößen und Zimmerwerkstätten vorbei nach einer Pforte des englischen Gartens führt. Eine einzige weibliche Figur zeigte sich von ferne, rüstig schreitend, einen Bündel unter dem Arm. Die Rettigfrau, eine obligate Thürstellerin der Bierschenken Münchens, sagte zu der Wirthin, mit den rothen Augen blinzelnd: »Die dort kommt auch just aus dem Strafarbeitshaus. Gestern war ihre Zeit aus; ich war draußen, um meinen Vetter zu besuchen, der dort Gefangenknecht ist. Er hat mir von der Nanni erzählt. Die hat einmal ein Schicksal durchgemacht! ein Wunder, daß sie noch am Leben ist. Und doch hat sie drei Jahre beim Weveld ausgehalten, und soll recht brav geworden seyn, sich Einiges erspart haben. Aber mein Gott, was wird daraus werden? Wer einmal im Zuchthaus war, kommt doch nicht mehr unter ehrlichen Leuten auf.«

»Pfui doch, Fran Krenkl, schämt Euch. Unser lieber Jesus ist barmherzig, und wir sollten es mit unsern Nächsten auch seyn.«

Indessen war Nanni näher gekommen, legte ihren Bündel auf die Bank, setzte sich dazu, und forderte ein Glas Bier. Während die Kellnerin sich langsam anschickte, sie zu bedienen, stellte sich die Wirthin breit vor sie hin, faltete mit großen Augen die Hände, und rief mit pathetischer Verwunderung: »Heilige Mutter Gottes! Bist Du s denn wirklich, Nanni? Ich hätte Dich kaum mehr erkannt, so hast Du Dich verändert.«

Nanni erröthete sehr, und versetzte mit beklommener Stimme: »Grüß Dich Gott, Crescenz, wenn ich Dich noch duzen darf. Du hast's gut getroffen; hätte ich nur Deinem Rath gefolgt, ich wär' auch vielleicht eine honnette bürgerliche Bierwirthin geworden. Ehrlich und brav währt am längsten. Ich komme dagegen aus einem bösen Hause, und danke nur Gott, daß ich wenigstens unschuldig hinein gekommen bin, und mich bei Arbeit und Gebet mit meinem Schöpfer versöhnt habe. Nun geh' es, wie es wolle!«

»Beruhige Dich, arme Nanni. Ich habe von Deiner Geschichte gehört. Was konntest Du dafür, daß der Schnaittinger in's Wasser fiel und ertrank? Die Herren vom Gerichte können's nicht verantworten, daß sie Dich auf drei Jahre in's Elend brachten.«

»Das wär' auch nicht geschehen, liebe Crescenz, wenn mein Mann nicht mit im Gericht gesessen hätte. Aber wie Gott will. Dem Gefängniß dank' ich meine Bekehrung. Wie ich weiter fortkomme, das ist eine schwierige Frage. Was gibt's denn Neues in der Stadt, liebe Frau? Was macht der Herr Wieglmayr?«

»Er ist vorgestern gestorben, arme Nanni.«

»So? Gott schenk' ihm die ewige Ruh. Sein Tod macht mir wieder Muth zum Leben. Sieh, Crescenz, ich wollte mich in's Wasser stürzen, sobald meine im Strafhaus ersparten Groschen ein Ende gehabt hätten. Aber, da Wieglmayr nicht mehr da ist, so möcht' ich's doch wohl noch aufschieben.«

»Das will ich meinen, Nanni. Eine bekehrte Sünderin muß sich nicht das Leben nehmen; das ist die schwerste Sünde. Ueber Dein Fortkommen wollen wir zu Rath gehen. Komm herein in die Stube, daß ich Dir ein Stück Braten vorsetze. Du sollst auch meine Kinder sehen, und meinen Mann. Du brauchst aber vor ihm nicht zu thun, als ob wir uns kennten. Er hat Dich schon lange vergessen, und könnte Dich übel empfangen, wenn wir ihm sagten, wer Du bist. Die Mannsbilder wissen nicht, in welche Drangsale ein armes Weib gerathen kann, und doch sind sie gewöhnlich an unserem Unglücke Schuld.«

Sie gingen in die Stube. Der Mann war abwesend, nur ein einziger Gast saß, den Kopf in die Hände gestützt, an einem Tische, ein schnurrbärtiger Soldat vom Leibregiment. Als er den Kopf in die Höhe hob, rief Nanni unwillkürlich: »Das ist ja der Andres aus meinem Ort! Wie geht's, Andres? Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen.«

»Bist Du nicht Schiffer-Wastls Tochter? Wahrhaftig, Du siehst Dir nimmer gleich, bist sehr von Deinem Glanz herabgekommen. Na, weine nur nicht; gib mir die Hand. Wir sind ja doch Landsleute, und ich bin gerade auch kein Glückskind. Setze Dich zu mir, wir wollen einander trösten. Ich hätte schon lange Feldwebel seyn sollen, wenn's mit rechten Dingen zugegangen wäre. Aber ich habe kein Glück, und zu allem Malheur mußte ich noch heute Morgen meinen Herrn verlieren, der mir zwar viel Prügel gegeben, aber mich am Ende liebgewonnen hatte, wie seinen Bruder. Ich hätte mich nie von dem Hauptmann Rollo getrennt; da muß er aber vorgestern mit einem österreichischen Uhlanenoffizier Händel kriegen, und sie fordern sich heraus, und heute Morgen schießt ihn der Oesterreicher draußen beim Kugelfang maustodt. Ich wußte davon nichts; als ich ihm heut früh um fünf Uhr die Uniform anzog, sagte er ganz treuherzig und liebreich zu mir: »Andres, Du bist zwar oft ein Schlingel gewesen, aber immer doch mein bester Freund. Es ist möglich, daß ich bald sterbe oder schnell verreisen muß. Hier hast Du meine Brieftasche und meinen Geldbeutel. Mache, daß Du mit dem Schlag sechs bei dem Bierkeller am Kugelfang mich erwartest. Entweder komm' ich, und Du gibst mir Alles wieder, oder es kommt ein Anderer, und Du behältst dann Alles als ein Erbtheil und Andenken von mir. Die Kameraden theilen sich in meine übrigen Effecten, weil ich doch keine Anverwandten mehr habe. Willst Du mir ein paar Seelenmessen lesen lassen, so thu's, obschon ich nicht viel davon halte. Wenn sie nicht helfen, so schaden sie doch auch nicht.« – Ich stand mit offenem Maule, und ein anderer Capitän holte den Meinigen ab. Schlag sechs war ich aus dem Keller, und gleich darauf kam der andere Capitän, auf seinem Pferde galoppirend, und kündigte mir an, daß ich nur meinen Herrn holen möchte, der beim Kugelfang erschossen liege. Ich lief, aber da war nicht zu helfen. Der Chirurg und ich brachten den Todten herein, und ich lieferte an den Auditor dessen Schlüssel aus. So hat jetzt die ganze Geschichte ein Ende, und Gott weiß, wo ich wieder einen so guten Herrn hernehme.«

Er schwieg unter Thränen, Nanni saß erschüttert, ohne ein Wort zu reden, und nach einer Pause fragte die Wirthin den Soldaten, ob ihm der Hauptmann viel hinterlassen. Andres zeigte eine ziemlich gefüllte Börse, und eine kleine Brieftasche, deren Anblick Nanni's Empfindungen im höchsten Grade anregte. Sie hatte einst das kleine Portefeuille dem treulosen Rollo zum Geschenk gemacht. Der Undankbare hatte sie verlassen, aber ihr Andenken stets bewahrt, obschon er wahrscheinlich lange vergessen, von wem er es erhalten.

»Gib mir die Brieftasche, Andres,« sagte sie hastig, »verkaufe sie mir, sie war vor langen Jahren mein Eigenthum, ich gebe Dir dafür, was ich kann.« Zugleich knüpfte sie das Schnupftuch auf, worinnen sie ihre wenigen im Gefängniß ersparten Thaler bewahrte. Andres schob das Geld zurück, schlug die Brieftasche auseinander, worinnen außer einer Haarlocke und einem Comödienbillet nichts befindlich, und versetzte: »Für Geld geb ich das Ding nicht her. Aber ein Geschenk will ich Dir schon damit machen. Da; wenn meines Hauptmanns Thaler auch schon lange durch meine Gurgel gegangen sind, so bleibt mir doch noch immer der Geldbeutel, worinnen sie steckten. Und der wird mich bis zum Tod an meinen lieben Herrn erinnern. Gehab Dich wohl, Landsmännin. Gebe der Himmel, daß wir uns glücklich wiedersehen.«

Er stülpte sein Kasket mit trotziger Wehmuth auf den Kopf, und ging seiner Wege. Die Wirthin begleitete ihn, und fand bei ihrer Rückkehr Nanni in Thränen aufgelöst, die Brieftasche in den Händen haltend, aus deren grünseidenem Futter ihre Finger mechanisch ein feines Blättchen hervorgezogen hatten, das sie anstarrte, obgleich ihre Gedanken anderswo schweiften. »Was machst Du denn da?« fragte Crescenz, und betrachtete das Blättchen neugierig.

»Ich weiß nicht,« versetzte diese, reichte der Wirthin das Papier, und verhüllte sich schluchzend das Angesicht.

Crescenz buchstabirte das gedruckte Papier durch, und sagte dann, gleichsam hinwerfend: »Eine saubere Erbschaft, ein Lotterieloos von Frankfurt. Das gehört zu dem Comödienbillet und zu der Haarlocke. Das Datum ist aber neu, … es wär' ein verdammter Streich, wenn das Ding etwas gewonnen hätte. Das gehörte Dein von Rechts wegen. Sieh da, just tritt der Jude Wolff in den Kegelgarten. Ich muß ihn doch fragen.«

Sie lief hinaus zu dem jüdischen Handelsmann, der seinen Mäklergaumen mit dem kühlenden Tranke netzte und zeigte ihm das Loos.

»Gehört das Ihnen, Frau Bräumeisterin?«

»Ja, Herr Wolff.«

»So! Es ist verboten, in fremden Lotterien zu spielen.«

»Hm, es ist viel verboten, aber es geschieht doch. Die Ziehung ist schon gewesen, nicht wahr? Hätt' es etwas gewonnen, das verbotene Loos?«

Wolff rieb sich die Stirne, putzte seine Brille, und über sein Gesicht strahlte eine Verklärung der Habsucht, die der aufmerksamen Crescenz nicht entging. Er holte aus seiner eigenen Brieftasche eine große Liste hervor, sah nach, auf einige roth unterstrichene Stellen mit groß gedruckten Zahlen, und immer lebhafter glänzten seine Augen. Crescenz bemächtigte sich des Looses, und fragte decidirt: »Nun?«

»Lassen Sie mir das Ding, Frau Wirthin; es hat 'ne Kleinigkeit gewonnen. Ich gebe Ihnen einige Louisd'or Profit.«

»Wie viel hat's gewonnen?«

»Ich gebe Ihnen fünfhundert Gulden.«

»Ei ja, dann ist's ein paar tausend werth.«

»Was? ich geb' Ihnen tausend Gulden.«

»Nichts da, jetzt geb' ich's für zehntausend nicht. Wollen Sie mir die Liste nicht sehen lassen? Gut; – ich kenne den Herrn Maron sehr genau, wir liefern ihm das Bier. Er wird mir schon zum Gelds helfen.«

»Gott!« schrie Wolff in der höchsten Extase. »Was der Herr Maron kann, kann ich doch auch. Mach' ich nicht immer den sauern Weg zu Ihnen, und trinke hier mein Bier? Frau Bräumeisterin, Sie sind eine glückliche Frau, Gott hat Sie gesegnet, gönnen Sie mir einen kleinen Profit, und ich schaff Ihnen für das Drittelchen Ihr Geld, noch heute, in Baarem und in gemachten Wechseln. Frau Bräumeisterin, ich bin ein Familienvater, und so ein Glück kommt selten vor. Sie werden mir nicht vergessen … Schauen Sie her, das Drittelchen hat Theil am großen Loos. Fünfzigtausend Gulden gehören Ihnen, und davon geben Sie mir, was Sie glauben, daß ich verdient habe. Der Collecteur ist gestern hier angekommen, per Extrapost, und hat den Major Gideon gesucht, der aber das Loos an den Oberstlieutenant verhandelt hat, der gestorben ist, und der es wieder an Jemand gegeben hatte, man weiß nicht mehr an wen. Frau Bräumeisterin, Sie sind glücklich, gönnen Sie mir auch was. Der Herr Maron hat ohnehin viel Geld, mehr als genug, und ich habe ein Dutzend Kinder. Schlagen Sie ein, es kommt Ihnen nicht darauf an. Bis heut' Abend schaff' ich Ihnen das Geld und bin verschwiegen wie ein Fisch.«

»So mag's seyn, Herr Wolff. Das Geld gehört zwar nicht mein, sondern einer Freundin, aber sie wird nicht weniger dankbar seyn, als ich es gewesen wäre.«

Der Jude flog, und Nanni glaubte des Todes vor freudigem Schreck zu werden, als ihr Crescenz ankündigte, daß sie plötzlich wie durch einen Zauberschlag eine reiche Frau geworden.


Hier schließen wir die wahrhaftigen Schicksale der schönen Nanni. Es ist nichts Weiteres hinzuzusetzen, als daß die unglückliche, von ihren Verblendungen und Irrnissen zurückgekommene Frau ihre Retterin mit thätlichem Danke belohnte, den braven Andres mit einem Capitälchen bedachte, dessen Veranlassung er nie so recht erfuhr, und daß sie in neuester Zeit in Paris lebt, fern vom Schauplatz ihres frühern Wandels, allem männlichen Umgang auf's Strengste entsagend. Sie hat an der den Lesern bekannten Urschy eine Gesellschafterin gefunden, die alle ihre jetzigen Lebensansichten theilt, und die von der reichen Freundin zur Theilnehmerin an einem Etablissement aufgenommen wurde, welches halb Paris mit dem gesuchten Artikel ächten baierischen Sauerkrauts versieht. Wer die Heldin dieser wahrhaftigen Geschichte persönlich zu kennen wünscht, der erkundige sich nach ihr in Frankreichs Hauptstadt, in der Rue basse du rempart, wo sie noch im Jahre 1829 frisch und gesund mit dem besten Anstand lebte.



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