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In meiner Jugend gab es noch keine Kaleidoskope, keine Spielringe, in deren Kasten der spontinische Festmarsch eingezwängt war und zu jeder Stunde den Besitzer des Kleinods vergnügte.
Die Hausmusik meines braven Vaters bestand in einer Schwarzwälderuhr mit Orgelwerk, die er einst von einem fleißigen Mönch aus St. Blasius zum Geschenk erhielt. Zur Ergötzlichkeit seiner Kinder hatte uns der Vater einmal von der Frankfurter Messe eine Laterna Magica mitgebracht, die er in Nürnberg weit näher und wohlfeiler hätte haben können.
Es war damals eine glückliche Zeit für mich, den Sprößling eines braven Bürgerhauses. So oft die Schwarzwälderuhr eine Stunde schlug, orgelte sie auch ihr Stückchen: bald ein frommes Lied, dann wieder ein Bataillenstück, oder ein schaukelndes Menuet. Das Musiciren ergötzte uns Kinder den ganzen Tag hindurch. Der Abend versammelte uns in der altmodischen Stube der Großmutter, und wir hingen an ihrem Munde, wenn sie uns Legenden erzählte, oder die Heiligenbilder in ihren Gebetbüchern erklärte, oder von den drei großen Weltplagen predigte, die vor langer Zeit unser Vaterland mit ihren Schrecken bedroht hatten: von dem Großtürken, von dem Schweden und von dem wilden Pandur. Soliman, Gustav Adolph und Trenck hingen in saubern Holzschnitten, auf Pappendeckel geheftet, an der Wand.
Darüber wurde es später Abend, und weil der Vater gewöhnlich erst spät aus seiner Tabagie nach Hause kam, so blieb uns jungem Volk stets eine halbe Stunde übrig, um uns mit der Zauberlaterne zu beschäftigen und vor den Bildern zu fürchten, die sie auf die schneeweiße Wand unseres Wohnzimmers hinwarf.
Mein älterer Bruder, den man im ganzen Hause nur den Studenten nannte, weil er bereits das Gymnasium besuchte, war der Zauberer, der mit der Wunderlaterne umzugehen verstand. Nachdem die sorgliche Mutter alle Lichter ausgelöscht und die kleine Familie um die Großmutter versammelt, die immer von uns zu dem Spektakel mit herübergezogen wurde, richtete der Knecht, ein ehemaliger kaiserlicher Soldat und Orgelbauersgeselle, das Schlagwerk der Uhr und zog die Register an, daß sie immer ein neues Lied spielte, so oft ein neues Bild an die Wand kam.
Meistens paßten die Stücke zu einander. Wenn die Procession mit Kreuz und Fahne an die Reihe kam, so spielte die Uhr einen schönen Satz aus einem altkatholischen Kirchenliede, dessen Text mir leider nicht mehr gegenwärtig ist. Oder es ritt ein langer Zug von steifen bayerischen Chevauxlegers auf, deren grüne und rothe Farbe herrlich funkelte, und die Uhr spielte die Ouvertüre der Kreutzerschen Lodoiska. Den meisten Spaß machte uns ein Bild, welches mehrere verzerrte Gestalten in Tanzgruppen darstellte, und wozu unser schelmischer Hausknecht einen polnischen Bärentanz zu trommeln nie unterließ.
Dann waren noch Hexenfahrten zu schauen, und Dörfer mit dunkelrothen Dächern und riesenmäßigen weißen Schafen; Zwerggestalten mit großen Nasen und Buckeln; auch der Teufel, der einen Geizhals in den Pfuhl schleppte, fehlte nicht. Große Köpfe mit dunkeln Augen und bleckenden Mäulern gab es in diesem Bildervorrath auch, und unser Student machte sich öfters die Freude, diese Köpfe groß und klein werden zu lassen und uns damit in einen Schrecken zu versetzen, der nicht angenehmer seyn konnte.
Diese Freude währte einen ganzen Winter hindurch in völliger Frische. Der Sommer brachte indessen andere Vergnügungen, und wir dachten nicht mehr der gespenstigen Bildergalerie.
Aber die langen Adventabende kamen nach dem Sommer wieder, und die Schachtel mit der Laterne wurde wieder hervorgesucht. Ich weiß nicht, wie es kam, daß mehrere von den Bildern verblichen und unscheinbar geworden waren; ich vermuthe, daß der Student einige Experimente daran gemacht und die Farben zum Theil verwischt und abgekratzt hatte.
So waren die besagten Köpfe unter Anderem häufig ihres Charakters verlustig gegangen, und vorzüglich einer unter ihnen hatte das Fratzenhafte gänzlich verloren und sich zu einem ziemlich hübschen und blassen Medusenhaupt umgestaltet.
Dennoch spielten wir gern mit der Laterne. Aber siehe, unsere gute Schwester Antonie, ein liebes Kind von sieben Jahren, erkrankte während jener Adventzeit an einem Dahinschmachten, welches der ärztlichen Sorgfalt und der elterlichen Pflege grausam widerstand.
In der heiligen Nacht, wo das Christkind alle christlichen Kinder mit seinen Gaben beschenkt, holte es den kleinen Engel Antonie in sein himmlisches Reich ab und unsere Weihnachtsbäume standen wie verlassene Trauerkerzen vor der Thüre, hinter welcher unsere Schwester auf ewig entschlafen war.
Der Schmerz unserer Eltern war groß und nicht minder aufrichtig der der Geschwister, insofern wir den ganzen Umfang der Trennung von Antonie begreifen konnten.
Die Zauberlaterne ruhte nun manche Woche. In den letzten Abenden des Winters brachte der Student sie wieder herbei, und wir ergötzten uns abermals an den bunten Bildern, bis jener Medusenkopf erschien, der unserem Vergnügen ein Ende machte, weil er gerade so aussah, wie unser Schwesterlein auf dem Sterbelager. Wir Alle waren von dieser Aehnlichkeit betroffen und erschüttert. Mutter und Großmutter schluchzten, und der Vater nahm das Bild hinweg.
Seit jener Zeit stand die Zauberlaterne bestäubt und einsam in der Rumpelkammer unseres Hauses, und es wurde ihrer nie wieder gedacht. – Aber die Schwarzwälderuhr behielt ihre vollen Rechte und schmückt noch heute in ihrer altfränkischen Gestalt, schier das einzige Erbtheil, welches mein Vater mir hinterließ, meine bescheidene Wohnung.
Die Uhr hat in wichtigen Momenten meines Lebens ihre Schuldigkeit vollkommen gethan, mit den Klängen jenes alten Kirchenliedes häufig Groll und Kummer in meinem Busen beschwichtigt und manchmal eine entscheidende Stimme in dem Rath meiner Entschlüsse geführt.
So z.+B. hatte ich einst die sonderbare Grille, mich zu verheirathen. Ein Mädchen von lieblichem Aussehen und honigsüßen Worten, nicht unberücksichtigt von den Gaben des Glücks, sollte meine Gattin werden, und schon bis zur Verlobung waren die Unterhandlungen gediehen. Die Verlobte saß bei mir zum Besuch, uns gegenüber ihr Vormund, ein alter, schlauer Patron, dem die Stadt nicht viel Gutes nachzureden wußte. Wir sprachen von den Hoffnungen unserer Zukunft, von dem Glück der Ehe und dem Paradiese, welches die nächste Woche vor uns aufthun sollte. Sie war so freundlich und so zuthulich; er war so gesprächig und geschmeidig; ich schwamm in gutmüthiger Ahnung zukünftiger Seligkeit. Da schlägt die unerbittliche Uhr die vierte Nachmittagsstunde und orgelt das Priesterlied aus Mozarts Zauberflöte: »Bewahret Euch vor Weibertücke.« Das Lied fiel mir schwer aufs Herz und die Braut mochte innerlich meine Ahnung theilen, denn sie warf einen verdrießlichen Blick zu dem Zifferblatt der Uhr empor, und das spöttische Verziehen ihres Mundes schien zu sagen: »Das altmodische Machwerk muß auch fort, sobald ich einmal in diesem Hause walte.« – Was sie errathen ließ, sprach der Vormund unverhohlen aus.
Ich war jedoch nicht dieser Meinung, und was bis jetzt die Liebe verschmäht hatte, das that nun die Klugheit. Ich zog nähere Erkundigungen über die Braut ein und merkte, daß sie nicht in mein Haus passe. Wir trennten uns geräuschlos, aber die Zukunft bewies, daß das schöne Mädchen in gar keine Haushaltung paßte. Sie hat das Unglück eines redlichen Mannes verursacht, der noch an einer Verbindung leidet, welche für mich meine Schwarzwälderuhr heilsam verhinderte.
Ein andermal hatte ich ein schönes Geld gewonnen und mich stach der Vorwitz, mein Leben köstlicher und mein Haus moderner einzurichten. Die Rechnungsüberschläge lagen vor mir auf dem Tische; ich sann hin und her, wie ich mir neue Bedürfnisse erschaffen möchte. Plötzlich spielt meine Uhr das gute harmlose Lied: »Freut euch des Lebens.«
Ein Anderer hätte vielleicht daraus ein neues Motiv geschöpft, recht lustig zu seyn, so lange das Lämpchen blinkt, und jede Lebensrose zu pflücken, ehe sie verblüht. Ich aber dachte meiner Jugend und des stillen emsigen Waltens meines Vaters, der jenes Lied öfters gesungen und gepfiffen hatte, wenn er so recht vergnügt in stiller Häuslichkeit bei den Seinigen saß und sich seines bescheidenen Wohlstandes freute, gerade weil er bescheiden war. – Die Thränen traten mir ins Auge und ich ließ Alles in meinem Hause und in meiner Lebensordnung, wie es war.
Endlich hat auch die gute Uhr einmal mein Bischen Habe gerettet. Ein Dieb brach bei mir ein; ich erwachte aus dem Schlummer und hörte den Taugenichts in meiner Wohnstube. Ehe ich jedoch nach meinen Pistolen langen konnte, lief der Kerl schon wieder davon, weil die Uhr, als wie durch ein Zauberwerk veranlaßt, ohne erst eine Stunde zu schlagen, mit dem lärmenden preußischen Kriegsliede: »Schwerin ist wirklich todt,« hervorbrach und einen solchen Spektakel anrichtete, daß der schüchterne Räuber, vielleicht noch ein Anfänger – eiligst Reißaus nahm.
Darum behalte ich die alte gute Uhr lieb und werth und zürne ihr nicht, wenn sie hin und wieder, vom Alter kindisch gemacht, mit einem Liedchen anhebt, welches eigentlich noch nicht an die Reihe kommen sollte. Gewisse Ungleichheiten des Charakters machen ja oft einen Menschen liebenswürdig, warum nicht auch eine Uhr?
So eben sieht mir ein Freund über die Achsel, der Alles las, was ich bisher niedergeschrieben, und fragt mich: »Bist Du denn bei Troste, lieber Max? der Titel Deines Aufsatzes spricht von einer Zauberlaterne und Du redest
doch schon seit geraumer Zeit nur von dem Uhrwerk, das Dir Dein Vater hinterließ? Du täuschest die Leute mit Deinen Titel-Aufschriften, wie die Zeitschrift, für welche Deine Arbeit bestimmt ist, so manchen neugierigen Leser täuscht,
Der Aufsatz wurde ursprünglich für den ersten Jahrgang des »Zeitspiegels« geschrieben.
D. V. indem sie sich
Zeitspiegel nennt und doch von wichtigen Begebenheiten der Zeit nichts darinnen zu verspüren ist. Ich glaubte, alle Kriegsbegebenheiten und politischen Verknüpfungen aus allen vier Weltgegenden darinnen verzeichnet zu finden, und sehe mit Erstaunen, daß nur von Erzählungen, Kunst u.s.w. darinnen die Rede ist. Was hat dieses Alles mit unserer Zeit gemein?«
Ich erwiedere ihm hierauf: »Was meinen Aufsatz betrifft, so kannst Du davon halten, was Du willst, und es steht Dir frei, die Erinnerungen meiner gemüthlichen Kindheit sammt ihren Wonnen und Klagen für Zauberlaternbilder zu halten oder nicht. Was aber den Zeitspiegel betrifft, so muß ich Dir schon deßhalb darauf dienen, weil ich dem Herausgeber desselben diese Firma selbst empfahl. Das politische Leben liegt außer dem Bereiche dieses Journals, und zwar aus den triftigsten Gründen. Was aber im Fache der Romantik der heutigen Zeit auf dem Wendepunkt des Geschmacks Noth thut, was die Kunst in unserer Zeit baut und schafft, was die Geschichte, die ernste Prophetin, in tausendfachen Bildern von unserer Zeit voraus verkündete, lange ehe diese Zeit selbst da war, wie das bürgerliche Leben und die Schicksale einzelner Individuen in unserer sich bildeten, und wie die Sitten voriger Jahrhunderte zu bestimmten Epochen ein Vorbild davon gaben – das ist der interessante und weitverbreitete Kreis, worinnen sich unsere Zeitschrift bewegen will und darf. In dem Spiegel der Gegenwart strahle sich die Vergangenheit ab, weil die Vergangenheit immer der Anfang der Erscheinungen ist, die sich unserem Auge offenbaren. In den großen Begebenheiten unserer Tage liegen Thaten der Vorzeit als Keim, und große Männer vergangener Jahrhunderte sind die eigentlichen Väter der ausgezeichneten Heroen unserer Zeit. Und nicht allein in der bunten und seltsamen Welt der Sagen und Mährchen liegt ein Schatz des Lebens und der Weisheit verborgen, den wir auszubeuten haben. Und wenn wir in unseren romantischen Gebilden, in denen der Heimath sowohl, als in den aus der Fremde entlehnten, die Forderungen unseres heutigen Geschmacks nicht nur allein andeuten, sondern auch befriedigen, so haben wir keinen unverdienstlichen Schritt gethan. Der Geschmack ist immer der Begleiter eines gebildeten Lebens, und wenn wir ihn versinnlichen, so schildern wir das Leben selbst, und folglich auch die Zeit. Vom schlechten Geschmack kann hier die Sprache nicht seyn, er ist nur ein Auswuchs der Bildung, und wenn auch ein Riesenschwamm, doch nur ein Schwamm. Den Kern zu treffen und nur am Kern zu halten, ist unser Streben, und das Losungswort, um das wir uns versammeln: »Durch den Nebel zum Licht, durch die Vergangenheit zur Gegenwart!«
Mein Freund erräth halbe Worte und schüttelt mir vertraulich und befriedigt die Hand. Wie könnte er auch anders, zu einer Zeit, wo dicht neben unserer Vaterstadt ein hochsinniger Fürst den Grundstein des Walhallatempels legte, der Vergangenheit zum Gedächtniß und der Gegenwart zur Ermuthigung?