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Viertes Kapitel.
Liebeskummer; Liebeslust; Soldatenfreude. Ein Volksmann.


Es reisen heutzutage allerlei wunderliche Leute in der Welt herum: solche, die nach Arbeit streifen; solche, die der Arbeit entlaufen; Musterreiter und Musterläufer aller Art; Zudringliche und Blöde, neugierige Stöberer und Lebens- und Europamüde; Reiseprediger und Revolutzer auf Reisen; – auch Engländer, auch Polacken –Einer der seltsamsten Wunderkäuze, wunderhitzig und handscheu im höchsten Grade, war aber Derjenige, der just am Vormittag, da Annele das Bädle im Eisenbach verlassen, in jenem Revier erschien, herumstrich wie ein Geist, das Bädle umkreiste und bespionirte, ohne sich hineinzuwagen, dann verschwand, dann plötzlich wieder zum Vorschein kam – zwanzigmal in einer Stunde.

Bald wagte er sich zur Thüre der untern Zechstube ... aber wich gleich mit zögerndem Fuß zurück; – dann schlüpfte er von der andern Seite in den Garten, und vigilirte nach allen Fenstern; entfloh sofort auf den Hügel, wo die Kirche, und lugte umher mit [94] scharfen Augen; oder er huschte über die Wiesen am Fuß der Gartenterrasse, um auf der jenseitigen Halde aufzutauchen, ehe man sich's versah. Immer auf verstohl'nem Lauf, immer auf der Spähe nach irgend einem Gegenstand, der nicht zu finden, weder an den Fenstern des Badhauses, noch im Garten desselben, noch auf der grünen Flur, noch irgendwo. – Einmal war er so keck, bis an's Sommerhäuschen vorzudringen; darinnen saß das Fräulein Mathilde, neben ihr ein stolzer schöner junger Herr, dem der Offizier von Weitem anzumerken, wenn er schon im bürgerlichen Rocke. – Derselbe Offizier war am selben Morgen zu Pferde über's »Höchst« hereingekommen, um seine Liebe, seine Braut zu überraschen. Und siehe: er war ihr begegnet, just, da sie in's Bad gehen wollte, zur Zeit, da ihre Schwestern, ihre Tante, und sogar der Papa Hinterbein bereits im Bade sich befanden.

Allerdings überrascht, aber auf's freudigste, hatte Mathilde dem Geliebten die Hand gereicht, und sogar zum Kusse die Wange. Dann war sie, des Bades vergessend, mit ihrem Herzensfreund in das Sommerhäuschen geschlüpft, und des Kosens war viel, da willkommene Nachrichten zu verkünden.

Liebster Hugo, sprach Mathilde, die vor Lust und Behagen erröthete, so geht denn alles gut?

Vortrefflich; erwiederte er: mein Urlaub ist auf ein halbes Jahr verlängert worden, meine Papiere, die Einwilligung meiner Mutter und des Kaisers zu unserer Ehe sind da. – Noch ein Winter voll bräutlicher Seligkeit, ein Dutzend von Bällen, wo wir ganz uns selber leben und Tanz für Tanz hindurch schwelgen dürfen, der Sehnsucht wonnigliche Pein genießend – und [95] am Rand des Frühlings – zum Osterfeste unsere Hochzeit! Dann die Reise in meine Garnison, allwo ich Dich einführen werde als eine Königin meines Herzens und der Schönheit, so daß sogar die stolzen Lembergerinnen sich vor Dir neigen, und der fremden Grazie vom Rhein ihre Huldigung darbringen werden. Ha, wie freu' ich mich, wenn Dir, o Mathilde, gefällt, was ich Dir sage, und wenn dein Vater nichts gegen diese meine Pläne haben wird!

Und zu ihm flüsterte Mathilde, rosig verklärt, du darfst dich freuen, mein Hugo. Die Tante hat mich erst gestern noch versichert, daß mein Vater einverstanden!

Natürlich folgte hier eine fröhliche Umarmung.

Und der Späher vor dem Fenstergitter des Sommerhäuschens machte ein wehmüthiges Gesicht, kratzte sich ein bischen neidisch hinter'm Ohr, und seufzte still vor sich: Die haben's gut; doch mein Lieb' läßt sich nicht sehen, und ich vergeh' vor Ungeduld!

Während er also verging und nicht vom Fleck kam, trat Hugo mit seiner Braut in's Freie. Sein Auge begegnete dem des ungeduldigen Spions, der sich jedoch mit einer linkischen Verbeugung in's Weite machte. – Wer ist der Bursche? fragte der Offizier, ungern gestört durch einen Dritten; und Mathilde, dem Letztern einen gleichgültigen Blick nachsendend, antwortete: Weiß nicht recht. Er ist mir nicht unbekannt, muß ihn schon irgendwo gesehen haben ... kenn' ihn aber nicht. – Und so war's abgethan, und zum Spaziergang rüstete sich das Paar – und der Fremde war wieder einmal weg. –

Tante Laura, die gleichsam verjüngt dem warmen [96] Born entstiegen, begegnete ihrem Vetter, ihrer Nichte, und die Freude war groß, die Bewillkommnung innig. – Wie mein Schwager sich freuen wird! betheuerte die Tante: Lieber Hugo, er spricht seit gestern nur von Ihnen, und Ihrem Glück steht ferner nichts im Wege. Geht, Kinder, wandelt hin in die strahlende üppige Natur, und genießt den prächtigen Morgen. Ich gehe, mein bischen Toilette zu machen, und erwarte Euch in einer Stunde hier im Garten. Verstanden?

Man gab auf's baldige Wiedersehen sich das Wort, und die Tante blieb allein in der »Gallerie« zurück, ahnend, daß sie nicht lang allein sein würde. –

In der That verging nicht viele Zeit, und es nahte im leichten Morgenrock, so jung als nur immer möglich aufgeputzt, der Doktor Faust, das unvermeidliche Portfolio unter'm Arm, die Hand voll von grüner und farbiger Pflanzenbeute. Der »Gutemorgen«, den sich Tante und Doktor wünschten, war ein später, nichts destoweniger ein überfließend herzlicher. Wie sie geschlafen und geruht, wie sie geträumt und gebadet, wie viel die Uhr und wie beseligt die Herzen geschlagen – das sprachen sie durch mit Innigkeit, mit mehr oder weniger Poesie ... Dann kam die Reihe an die Begebenheit des Tags, die Ankunft des Oberlieutenants Hugo von Wildian, in k. k. österreichischen Diensten, in Garnison zu Lemberg, und jetzo im Urlaub zu Freiburg. Mit allen Einzelheiten erging sich Tante Laura im Bericht, und redete schmelzend von dem endlichen Glück Mathildens und ihres Verlobten, die endlich alle Hindernisse überwunden, die endlich des Vaters Zweifel in Nachgeben, der Mutter Weigern in Einwilligung umgestimmt und umgewandelt, weil sie nach [97] manchem Zaudern endlich frei vom Herzen geredet, die wahre Liebe, die da erobert und überzeugt, auf den Lippen! – Honigsüß schilderte Laura mit beredten Blicken die Weihe des Bundes, die zum nächsten Osterfeste die Glücklichen erwartete: die Weihe am Altar, des Ehestandes heilig Sakrament!

Diese Laura-Rede, dieser Laurablick schüttelten des Doktors Herz aus seiner blöden Ruhe auf ... zur selben Minute wurde Laura durch den gellenden Klang der Glocke auf dem Thurm des Kirchleins unterbrochen – und: o rares Wunder! der Doktor wurde dichterisch erregt, und brach in Verse aus, die zwar nicht die seinigen, aber doch wenigstens oder ungefähr Göthe's, den er passabel auswendig wußte, und brockenweise zum Besten gab, wenn's galt, darzuthun, daß er nicht ganz umsonst den Schreibnamen »Faust« überkommen.

»Welch ein heller Ton« –

so rief er, verzückt aufschauend:

»Zieht mit Gewalt das Wort aus meinem Munde?

Verkündiget Ihr dumpfe Glocken schon
Des Osterfestes erste Feierstunde?«

Nicht doch; lächelte Laura: 's ist das Elfuhrglöckchen auf der Kapelle, das da läutet.

Aber Doktor Faust ließ sich mit nichten irre machen:

»… An diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben!«

Wie so? lieber Freund, wie so? fragte Laura mit [98] leiser aber dringlicher Neugier. Der Doktor fuhr im metallreichsten Baß fort:

»Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich durch Wald, und Wiesen hinzugeh'n ...!«

– –Hier legte er seine botanische Beute als ein Opfer zu Laura's Füßen nieder –

»Und unter tausend heißen Thränen
Fühlt' ich mir eine Welt entsteh'n ...;«

(Das Portfolio, das er ebenfalls der staunenden Tante zu Füßen warf.)

»Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück!
Nur Blödigkeit hält mich, mit kindlichem Gefühle
Vom letzten, ernsten Schritt zurück!«

Von welchem Schritt, liebster Freund? fragte betreten und äußerst jungfräulich stockend die Tante Laura.

Und Faust, den Vorrath seiner Verse der Gelegenheit und Sachlage anpassend, gab den letzten Trumpf aus, der Tante Hände fassend, küssend, lassend:

»Und Du! was hat Dich hergeführt!
Wie innig fühl' ich mich gerührt!
Was willst Du hier? Was wird das Herz mir schwer?
Armsel'ger Faust! Ich kenne Dich nicht mehr!«

Da – da lag er selbst zu Laura's Füßen ... und ungesehen von Doktor und Tante streckte sich wiederum das Gesicht des Spähers von vorhin aus den Sonnenblumenbüschen.

[99] In größter Verlegenheit hob Laura den verzückten Faust eilends auf, und wisperte ihm zu: Um Gotteswillen, Freund – auch ich kenne Sie nicht mehr! Welche Leidenschaft, welche Glut ... welche Jünglingsliebe! Wenn Jemand das gesehen hätte ...!

Worauf der Doktor:

»O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck Dir sagen,
Was unaussprechlich ist ...!«

– Was? die Liebe? Versteh' ich Sie? bat dringend, flehend, gespannt die Tante.

Und Er: Was denn, o Theure?was denn, frage ich?

»Der große Hans, ach, wie so klein,
Lag hingeschmolzen Dir zu Füßen!«

Und mit dem Muth des Herkules, wie ich noch nie gewagt, mich nie noch unterwunden, frage ich: Sollen Mathilde und Hugo, Hugo und Mathilde allein zum nächsten Osterfest die Glücklichen seyn?

Ach, mein Freund! – Die Tante bedeckte ihre Augen schamhaft Der Doktor machte sie wieder sehend, und fuhr wie ein gewiegter Verführer fort: Beste, Theure, Liebste! Soll nicht endlich auch uns in den Osterferien 1848 das Glück erblüh'n, das ewige, unaufhörliche, stets auch begehrliche, nimmer bethörliche? Sebastian und Laura? Laura und Sebastian? Frau Doktorin Faust, geborne von Wildian? Sebastian und Wildian? Klänge das nicht schön fortan?

Und in seine Arme sank im Schatten des »Schopfs« die zarte überwundene Laura, und lispelte: Unwider [100]stehlicher, es sei denn, wie du willst! – Lange Umarmung. –

Und wiederum sagte der handscheue Spion hinter den Sonnenblumen zu sich selber: Die haben's gut! In dem Bädle da geht's Küssen gar nicht aus ...! Aber meine Lieb' ist nicht zu seh'n, zu finden ... und weiß Gott, wer die jetzo herzt und küßt, wenn's im Bädle überall hergeht, als wie da im Garten ...? – Jetzo mußte der alberne Bursche niesen, und die Liebenden kamen zu sich.

's ist Jemand in der Nähe, geh'n wir geschwind, flüsterte Laura erschrocken, und Faust gab ihr galant den Arm. – Der Fremde konnte nicht ausweichen, stellte sich an, als hätt' er nichts gesehen, grüßte demüthig das an ihm vorübergehende Paar. Der Doktor, der in seiner jetzigen Stimmung, mit Laura Arm in Arm, das Jahrhundert in die Schranken gefordert hätte, fragte patzig: Wer seyd Ihr, guter Freund? Was wollt, was macht Ihr hier?

Und, nach Brauch und Gewohnheit verlegen den Hut in den Händen reibend, knüllend und drehend, fragte der Fremde entgegen: »Wenn die Frau da so gut seyn möchte, mir zu sagen, ... wo denn »auch ... das Annele aus'm Leuen steckt?«

Verletzt von dem Prädikat »Frau«, so ihr der Tölpel beigelegt, rauschte Laura stolz vorüber mit den Worten: Was weiß ich? Er mag selbst nachsehen. Was weiß ich von dem Annele?

Ein paar Schritte weiter, klagte sie dem Doktor innigst: Welch ein Hohn, welche Ironie des Zufalls! Unser Paradies und jener Dummkopf, wie kommen die zusammen? Ich denke, der Bursche hat nichts gesehen, [101] und das Geheimniß – o Freund – laß' es uns bewahren. Glücklich im Verborgnen heißt doppelt glücklich seyn ...und die Welt soll nur wenige Wochen vor unserm Osterfest erfahren, was uns heute schon still beseligt und erfreut. – – Amen; sprach der Doktor hierauf. –

Seinerseits murrte der mit offnem Maul zurückgebliebene Landfahrer: »So! Nun, da bin ich schön angerennt. Glaub's wohl, daß die Alte nicht weiß, wo ihr der Kopf steht ...! Und wenn ihr das Annele am Rock hinge, sie sähe es jetzo nicht. Aber mit all dem hab' ich eben doch das Annele nicht ...! o weh, ach Gott, o je, o weh! – 's ist wahr – ich könnte wohl fragen ... die Leut' im Hause verstehen Deutsch ... aber ich bin nicht so keck ... Ja, wenn ich wüßte, daß die Leute noch nicht wissen, was bei uns gepassirt ...! Aber 's ist schon so: Wenn Einer was Braves thut, so redt' kein Mensch davon ... so wie jedoch 'was g'schieht, wo Einer in's G'schrei kommt, da schwätzen's alle Zungen nach! Du mein Gott! ist mir das Herz so schwer! Wenn ich nur wüßte, daß der Badwirth und die Lisabeth noch nichts wissen ...?«

Mit diesen Worten wollte er sich wieder, wie ein Dieb, aus'm Garten abdrehen, ... aber ... halt! just unter'm Gatterthor lief er so zu sagen in die Hände der Räthin, der Assessorin, die von ihrem zweiten Spazierwandel heimkehrten.

Die Assessorin erkannte den Burschen gleich: He! rief sie aus: Seyd Ihr nicht der Stiefsohn der Frau Kunegund, der sie gestern nach Hause abgeholt? – Verlegen und brandroth scharrte Lenhard mit den Füßen, und stotterte: – »'s ist schon so, Frau Amtmännin ... [102] Sie haben's errathen, ... viel Glück beisammen, Adje wohl!« – Wollte sich durchmachen; aber die Räthin hielt ihn auf mit der Frage, was er denn heute schon wieder hier wolle. –

Der Bursche stackste weiter, all' seine Verschlagenheit zusammennehmend: Ha ... drum hat die Stiefmutter ein Tüchle in ihrer Kammer vergessen und zurückgelassen ... und das Annele aus'm Leuen soll ich von ihr grüßen, und ...

Eia, da kommt Ihr zu spät, guter Freund; unterbrachen ihn die Damen beide: das Annele ist heut knall und fall verreist, nach dem Hirzenbach umgekehrt ... und es wundert uns, daß Ihr dem Annele nicht begegnet seyd ...? Sie ging die Straße, die wohl auch Ihr mit Euerm Wägelein gekommen seyd? –

Käsweiß werden, schier in Thränen ausbrechen, und wie ein Trunkener davon taumeln, bergan, auf's Gerathewohl, war bei dem Lenhard eins. – Der Mensch ist verrückt, oder hat einen Rausch, sagten die Frauen, die ihm verwundert nachschauten, und später mit größerer Verwunderung erfuhren, daß Lenhard sich noch nicht im Bädle habe sehen lassen, geschweige, daß er mit Roß und Wagen angekommen.

Des Metzgers Sohn aber rannte fort, als säße der böse Feind ihm auf den Fersen, dem Walde zu, und warf sich nieder unter den ersten Bäumen, deren Laub und Dickicht ihn vor den Menschen und der Sonne versteckten. Die Thränen, die ihn lang gedrückt, brachen nun los unaufhaltsam, und sein Haar raufte ... an seine Stirne klopfte er mit Fäusten, schmälend seine Thorheit und verwünschend sein Mißgeschick.

»O das böse Gewissen!« jammerte er: »O, wenn [103] man sich vor den Leuten nicht sehen lassen darf ...! O du böses Weibsbild, du schlechte Kunegund! Du bist verlesen und schon so gut wie todt, wenn du mir einmal unter die Hände kommen solltest! – Ach, jetzt bin ich aber im Unglück, und hab' für alle Zeit mein Annele gesehen! Ach, wenn ich doch nur über'n Sommerberg gegangen wäre, statt über die Braunsteingruben! Ich wäre ihr begegnet, ... ich hätt' ihr Alles gesagt ...! aber ich hab' nicht wandern dürfen, wo die Leute wandern ... sie hätten mit Fingern auf mich gezeigt… verspottet und verhöhnt hätten sie mich ...! Und 's Annele – ach – es ist für mich verloren und dahin! Jetzo hat sie schon Alles erfahren ... ist ihr schon Alles bekannt ...! ich darf mich mein Lebtag nicht mehr in Hirzenbach sehen lassen ...! Ich elender Mensch! was thu' ich, was fang' ich an? Wie so gut wär' es, wenn ich sterben könnte jetzo, justement auf der Stelle da. Mir ist Alles verleidet! Ich bin kaput, meine Lieb' ist kaput ... nur der Tod kann mir helfen! Komm' heran, weißer Tod, komm heran!«

Wie bekannt, kommt aber der Tod expreß dann nicht, wann man ihn ruft, und ihn sich selbst zu geben, mittelst eines Messerstichs oder mittelst Aufhenkens, hatte Lenhard keine Lust. Der ächte Sohn seines Vaters, wie schon Kunegund' gesagt – war er schwach zum Erbarmen, wenn der erste Jähzorn oder der erste Raptus vorüber. Ein Anderer hätte etwa das nächste beste Wirthshaus aufgesucht, um Lieb' und Leid zu vertrinken ... von diesem Schlag war indessen Lenhard nicht. Er mochte in seiner Verzweiflung weder zechen noch, schlemmen, noch tanzen, noch kegeln und Würfelspiel treiben; – aber er lag hin in trägem Ueberdruß, ließ [104] die Wolken ziehen, die Bäume rauschen, die Vögel streichen. Alles mochte um ihn her seinen Gang gehen, wenn Er nur lag, wie Blei. Und also verdämmerten allgemach bei ihm die Gedanken ... er brütete, er duselte, und am Ende schlief er ein, wie ein Sack. – – Und da er wieder erwachte, war immer noch nicht der weiße Tod zur Hand, wohl aber die schwarze Nacht, und noch tiefer schloff er in's Dickicht, um noch einmal seinen Sinnen vorläufigen Abschied zu geben. Und noch einmal einzuschlummern. Was er auch mit Erfolg ausführte, und fortmachte, bis er genug hatte: bis der Morgen ihm »Guten Tag« sagte. – – Da hatte Lenhard gewonnen; wie ein schwerer, schwerer Traum lag die jüngste Vergangenheit hinter ihm, und er entschloß sich kurz, noch ein wenig in die Zukunft hineinzuleben. – »'s wird ja den Hals nicht kosten!« dachte er, und wäre wie ein munteres Eichkätzchen aus dem Lager gesprungen, wenn ihm seine Gliedmaßen von wegen des ungewohnten Nachtlagers aus Wurzeln und Knorren nicht so verzweifelt weh gethan hätten. Wie gerädert, wie gekreuzigt kam er sich vor, – zugleich regte sich in ihm der ganz ordinäre Mensch, den da hungert, den da dürstet, nach einer Entbehrungs- und Fastenpein von etwa vierundzwanzig Stunden. – »Ich sollte doch aufstehen!« sprach er sich selber zu: »solltest doch deines Wegs in die Welt gehen, Lenhard! Aber – wie das anfangen? Und wo ist denn eigentlich dein Weg? was bleibt dir zu thun? was hast du zu beginnen, Lenhard?« – Doch sein Gehirn, sein Herz war wie todt; sie gaben ihm keine Antwort, und er sinnirte noch lang, den Kopf in die Hände gestützt, und es wollte nicht hell werden vor seinem bischen Seele ...

[105] Horch! was klingt doch durch den Wald? Das ist nicht das Lied des Hirtenbuben, nicht der Rinder und der Schafe Blöcken, nicht der Wind vom Gebirge, nicht das lustige und lebendige Geschrei der Holzknechte, die zur Arbeit wandern. – Gesang, Gesang aus Männerkehlen ... eine Weise, die Lenhard schon oft in besserer Zeit gehört ...! Er sammelt seine Sinne, die Erinnerung wird in ihm wach ... das ist das Lied vom »Prinz Eugenius, dem edlen Ritter« ...! – Die Macht der Töne wirkt auf den Burschen wie ein Balsam. Seiner Rippenschmerzen eben so wenig gedenkend, als der Leiden seines Herzens, schwingt er sich empor, stolpert dem Gesang entgegen, und nicht lang, und er steht vor einem bunten Zug von jungen Kerlen, die frohmüthig daherziehen durch den Forst, mit ihren Sonntagskleidern angethan; der ein Röschen im Knopfloch, jener ein Flitterband an der Mütze, der Hut eines Andern besteckt mit Federn und mit Sträußen – alle sammt und sonders kreuzwohlauf und singend, schnalzend, juchzend nach Leibeskräften.

Sieh, sieh: auch ein paar bekannte Gesichter ziehen an den Burschen heran, Gesichter von Gerweiler, von Fliederingen und von noch einigen Waldgemeinden; Gesichter, die auf Märkten und auf'm Gäu, auf Kirchweih und bei Hochzeiten ihm schon oft begegnet. – Sie auch erkennen ihn, und strecken ihm die Hände dar, und »Grüß Gott« »Willkomm« und »Lueg, der Lenhard!« von allen Seiten. –»Woher, wohin?« fragt Er. »Neustadt zu! zum Spielen: zur Konskription!« antworten sie. – Und wieder stimmt Einer, der vorn im Zuge, ein Soldatenlied an, und alle [106] Stimmen fallen freudig ein, und mitten in dem Schwarm, mit alten Kameraden Arm in Arm, ist Lenhard, ehe er sich recht verweiß, und wer da mitsingt und mitläuft und lustig und kreuzwohlauf wird, wie die Andern, ist just derselbe Lenhard, der vor wenigen Stunden den Tod gerufen, und gern verzweifelt wäre, wenn sich's nur leicht hätte thun lassen. – Und aus Höfen und Hütten, die am Wege liegen, schließen sich Alte und Junge dem lärmenden Zuge an, und in der Neustadt trifft derselbe ein – noch ein gut Stück früher, als befohlen und erwartet. – –

Der Rekruten viele waren schon vorher eingetroffen; zur gleichen Frist kamen andere an ... es folgten dann noch Rotte auf Rotte einander auf dem Fuße. – Die Stadt wimmelte von jungen Leuten und anderm Volke auf einmal, so daß alle Schenken überfüllt mit Gästen, die Straßen vollgepfropft mit Hin- und Herstreifern, mit Rossen und Wagen. Spielleute machten schon da und dort auf; in Strömen floß schon am Morgen der goldne Wein, von dem die Einen Trost und Fassung, die Andern soldatische Lustigkeit und tapfere Haltung in Stimme und Geberden erwarteten. Die Loosung hob indessen an, und so wie Einer vom Rathhause herunter kam, die Nummer und den Flitterstrauß am Hute, wurde ihm ein Vivat gebrüllt, ein Tusch geblasen, und in der Mitte der Gefährten, die schon gezogen, ein Glas nach dem andern kredenzt. Welch ein tolles Leben, welch' ein bacchanalisch Treiben!! An den matten Herzschlag der Eltern, die in Gefahr, ihre Söhne zu verlieren, dachte keine junge Seele; den schlimmen Augenblick in einen schwelgerischen zu verwandeln, den Verstand im Fasse zu ersäufen, um sich [107] anzustellen, als wären sie des Soldatenlooses froh, begehrten Alle, die da loosen mußten.

In dem Getümmel, das um Mittag – nach der Ziehung – am stärksten und unbändigsten, war auch Lenhard's Kopf ziemlich mitgenommen worden, und der Bursche hatte einen Handel abgeschlossen, der ihm für jetzo äußerst vortheilhaft erschien. Er hatte nämlich Haut und Haar einem reichen Bauernsohn als Einsteher verkauft; Er, der selbst schon durch einen Stellvertreter im Armeekorps repräsentiert war. – So hab' ich – philosophirte er vor'm vollen Humpen – so hab' ich nicht nöthig, meinen Alten, der mich so mißhandelt, um Geld anzubetteln, bin versorgt und werd' in dem »Zweierleituch« ein ganz anderer Kerl seyn, als der arme Tropf Lenhard in Heurlingen gewesen! Mein Alter wird sich doch schwer sorgen um mich, und das gehört ihm auch ... und – kommt Zeit, kommt Rath! ... die Stiefmutter soll sich in Acht nehmen! Wer weiß, ob ich nicht einmal in voller Montur und Armatur dem Weibsbild in Weg komme, und alsdann gnad' ihr Gott! Hin ist sie und kaput, so wahr ich diesem Glas und diesem Schoppen den Hals breche!

Sprach's, trank auf einen Zug aus und schmiß die Gläser entzwei. Dem Wirth, der herbeilief, um den Unfug zu rügen, während die umhersitzenden Rekruten das Ding schön fanden und beklatschten, schrie Lenhard grob in's Gesicht: »Oho, Ihr meint wohl, ich würde Euch den Schoppen und das elende Glas da nicht bezahlen können? Dummer Kerle! des Metzger-Thoma von Heurlingen Lenhard bleibt Euch bygott nichts schuldig, Gesell! Da ist Blech, und da ist welches, und ich kauf' dir die ganze Butike da über'm [108] Kopf ab, wenn du willst, du ungattiger Wirth!« – Zog dabei ein paar Hände voll Kronenthaler aus den Hosentaschen, schepperte damit auf'm Tisch, steckte aber alsdann sein Geld wieder bedächtig ein. Lenhard hatte vom Geizhals mehr, als vom Verschwender an sich – in diesem Stück unähnlich seinem Vater, der nicht gern rechnete, und vor einem Defizit die Augen zumachte, wie der Vogel Strauß – um sich unsichtbar zu machen– den Kopf im Sande versteckt. –

Der Wirth war allerdings vor solcher Geldmacht ganz verändert, und gab gute Worte statt der bösen. Aber Lenhard hatte schon nicht mehr Zeit, auf seine Entschuldigungen zu hören, denn bereits war er im Verkehr mit einem fremden Herrn, der seine kräftige Rede an den Wirth mit angehört, und gleich darauf mit einer vertraulichen Frage den stolzen Metzgersohn angesprochen. –

Die Frage hatte geheißen: »Hast du nicht gesagt, du seyst von Heurlingen?« – Die Antwort war, daß Lenhard den Frager sehr flämisch anschaute. Der Herr sah reputirlich aus, war sehr haarig und bärtig, trug eine Brille, war noch ziemlich jung von Jahren. Er ärgerte sich nicht über die flämische Anschauung, pfropfte dagegen auf die erste Frage die zweite: »Hast du nicht gesagt, du seyst des Metzgers Sohn aus Heurlingen?«

Nun fragte Lenhard seinerseits grob und boshaft: »Was sagt mir der Herr ›Du?‹ Hab' ich mit Ihm schon die Säue gehütet? Ich bin des Herrn ›Du‹ nicht; aber der Lenhard Thoma von Heurlingen bin ich, und wer mit mir was will, braucht's nur zu sagen!«

Darauf der bärtige Herr freundlich lächelnd: »So [109] will ich etwas mit dir haben, aber in Güte und Liebe, – auf so zu sagen gesetzlichem Wege.« – Was ist das? machte Lenhard, das Ohr leihend: Auf'm Amt, oder wie! – »Nein, nein, Gott bewahre, daß ich meinem Vetter den Streit verkündete!« versetzte der Herr, und nahm vertraulich des Lenhard's Hand: »Kennst mich denn gar nicht mehr ...? den Schriftverfasser Griffel, deines Vaters Schwestersohn?«

Nun blitzte der Lenhard auf, lachte, war vergnügt und schüttelte des Fragers Hände mit dem frohen Ausruf: Je, der Vetter Melcher! Nun, wie kommst denn du daher? Haben uns, denk' wohl, seit manchem Jahr nicht gesehen! Weißt? ich war noch ein Bub, so hoch wie der Tisch, und du bist schon ein artlicher Musje gewesen! Nun, wie geht's und steht's? Warum hiesig! Bei'm Donner, das freut mich!

»Je nun, wie wird's mir gehen, wie werd' ich stehen?« sagte der Vetter; »in Waldkirch ist's vorbei, bin mit dem Amt nicht ausgekommen; hab's in Staufen probirt ... 's war nichts. Die Staatsdiener sind gerad' des Teufels, hassen die freisinnigen Anwälte bis auf's Blut! Jetzt will ich mir die Sachlage auf'm Wald ansehen; vielleicht bleib' ich irgendwo sitzen ... wenn nicht, so geh' ich nach der Schweiz oder nach Neuyork. In Deutschland ist nichts mehr für einen braven, gesinnungstüchtigen Mann zu thun ... bis es anders kommt!« – Der Vetter machte bei diesen letzten Worten ein wichtig Gesicht, musterte im Flug die Gesellschaft, die an dem Tische saß, und saß selber flugs neben Lenhard nieder: »Ich bin auf'm Weg, den Onkel, deinen Vater, zu besuchen. Gehen wir zusammen?«

[110] Jetzt wurde Lenhard auf'm Fleck nüchtern, katzennüchtern, wie die Nachtbrüder sagen. Die Wahrheit dem Vetter aufzutischen, unterstand er sich nicht. Deßhalb log er ein bischen, antwortend: Hm, hm, wär' mir 'ne Freude, wär' mir 'ne Ehre, aber 's geht nicht. Muß schon hier bleiben, und morgen reis' ich in's Unterland, und übermorgen bin ich schon Soldat. Ihr könnt's dem Vater sagen, Vetter Melcher. 's wird ihn wundern, aber ich kann nicht anders.

»Ei, das ist schade; ei, das ist kurios!« rief Melchior, den Lenhard in's Gebet nehmend: »Wie kannst du deinen Vater verlassen? Wie magst du, ein wohlhäbiger Bursch', den Fürstenkittel anziehen, und ein buntmaskirter Söldner der Gewalt und Willkühr werden? Ei, thu' doch das nicht, und wenn's dich reizt und lockt und juckt, so sag' mir doch, warum?«

Hm, hm, stotterte Lenhard, der vergeblich Wein trank, um sich zu ermannen: Was wird's sein? Drum hab' ich mich mit meinem Alten überworfen, und wir haben uns den Handel aufgesagt. Weißt du, Vetter? 's ist jetzo eine Stiefmutter im Haus, und ein rechter Sohn kann sich mit so einer linken Mutter nicht vertragen. Der Vater dauert mich – er haust übel mit dem Weib – aber ich hab's halt nicht anders machen können, wie gesagt. So werd' ich denn Soldat, ein freiwilliger obendrein. So wie die Leute schwätzen – so gibt's bald Krieg im Land, und da will ich meinen Mann stehen, und mich tapfer herumschlagen. Ist als dann eine Kugel für mich gegossen – in Gottes Namen! Meinen Alten wird's aber auf'm Todbett reuen und plagen, daß er mich so schlecht traktirt hat, und der Stiefmutter wird's, denk' wohl, heimkommen in der [111] Ewigkeit. Sag's ihnen nur, Vetter Melcher; Du sollst leben!! – Lenhard trank noch einmal aus; aber mit dem Restchen Wein ließ er auch ein paar Thränen im Glase.

Der Vetter that Bescheid und kümmerte sich nicht ein bischen um die Zähren des Lenhard; vielmehr musterte er abermals die Gesellschaft am Tische, und da er mehrere ältere Landleute bemerkte, die mit verkniffenen Gesichtern dasaßen, und auch ein paar Rekruten, die trutzig und unbehaglich dreinsahen, so rückte er näher an die Leute heran, wendete sich geradezu an sie, und sagte sehr eindringlich, und als wär's schon lang von ihm ausstudirt und zu Faden geschlagen: »Jetzt schaut einmal her, Ihr verständigen Männer und liebe junge Leute. Da ist Einer, den von Haut und Haar die Konskription nichts angeht, und der seinen alten Vater im Stich läßt, um ein Soldknecht zu werden. Schlimm genug für Diejenigen, die da müssen und sind doch Eure Söhne und Brüder, die Ihr zum Handwerk oder zur Landwirthschaft erzogen habt, die Euch helfen sollten in Eueren alten Tagen, und müssen dennoch zum Militär, weil der Polizeistaat sich anmaßt, vom Land den Blutzehnten zu erheben! Aber noch gar freiwillig ein Fürstenknecht zu werden! Versteht Ihr, begreift Ihr das? Und dennoch ist es an der Zeit, da all' das Heerwesen aufhören muß, um in der Volkswehr, von der Niemand ausgenommen, und die nur bestimmt, den eignen Heerd zu schützen, aufzugehen! Denn wir kämpfen jetzo – auf gesetzlichem Wege – für die Rechte und die Freiheiten des Volks. Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Preßfreiheit und Schwurgerichte müssen wir haben. Das stehende Heer muß aber [112] aufhören, und die Fürsten sollen nicht mehr ihre eigenen Leidenschaften, ihre Tyrannei und Willkühr mit jenen bewaffneten Söldnern durchsetzen, die das Mark des Landes verzehren, und die wackersten Jünglinge zu Maschinen und willenlosen Werkzeugen der Gewalt stempeln. Keine stehenden Armeen mehr, sage ich, und die wahren Freunde des Vaterlands sagen es mit mir. Sprecht, verständige Männer! hab' ich recht? Seyd Ihr nicht einverstanden?« Die Zuhörer machten große Augen. Ein alter Bauer jedoch konnte es nicht verheben, und antwortete dem Melchior mit Eifer: Pfui, Herr, wie mag Er doch so schändlich von unserm Fürsten reden? Der ist ein guter, guter lieber Herr, dem man nichts Böses nachsagen kann, der allen Leuten thut, was recht, der Jedem gibt, was ihm gehört. Ich selber hab' schon die Ehr' gehabt, mit ihm zu diskuriren, und ich weiß, was ich rede, bei'm Eid!

Als der Melchior merkte, daß des Alten Einsprache von den Nachbarn unterstützt werden wollte, hob er von Neuem und zwar kalt wie ein Fisch an: »Ei, nicht doch, lieber Freund – wer hat gegen unsern Fürsten Böses gesagt? Ich wäre der Letzte, der das thäte; aber auf den Fürsten kommt's auch heutzutage nicht an. Die Völker haben ihre Jahreszeiten, als wie Ihr auf dem Lande auch: den Sommer, den Herbst, den Winter, und dann wieder das Frühjahr. Liebe Freunde! Ein solcher Völkerfrühling ist für uns angebrochen: wir wachen auf aus starrem Winterschlaf. Die Könige und Herzoge sind's vor der Hand nicht, um die sich's handelt. Jetzt sind es die Minister, die Minister ganz allein. Darum haben wir die Konstitution: das heißt: darum redet das Volk mit. Ob da der Fürst gut oder [113] schlimm, ein Bürger- oder ein Adelsfreund ... das kommt auf eins heraus. Wir kennen nur die Minister, nur an sie halten wir uns; denn sie sind uns Rechenschaft schuldig ... bis die Konstitution abgelöst wird von etwas Anderm. Versteht mich daher nicht falsch ...; ich bin ein Fürsprecher vor Gericht, ein Anwalt, ein geborner natürlicher Vertreter des Volks, wenn ich auch nicht in der Kammer sitze. Dafür sind darinnen tüchtige Männer von meinen Kollegen ... der Hecker von Mannheim zum Beispiel, hinter dem das ganze badische Volk steht, und der mit seinen Freunden für die Rechte und Freiheiten des Volkes streitet. Und bei uns muß es anders werden ... es muß, sag' ich Euch. Es ist auch Gottlob schon vieles anders geworden; zum Exempel: Ihr selbst, liebe Freunde, Ihr habt Euch schon zu Euern Gunsten verändert. Wie lang ist's her – mir selber denkt's noch gut – daß Ihr Landleute die Advokaten nicht habt ausstehen können? Und jetzo seht Ihr Alle bereits ein, daß wir Eure getreusten Brüder und Helfer sind. Euer Mißtrauen hat mit Recht in Vertrauen umgeschlagen, und Ihr sollt Euch wohl dabei befinden; ich geb' Euch mein Wort darauf. Die Beamten haben Euch chikanirt; jetzo haben Wir sie unter'm Daumen. Die Edelleute haben Euch gebrandschatzt, die Pfaffen Euch gezehntet; ... siehe da: durch uns sind die Lehenssteuern und die Frohnden und die Zehentgiebigkeiten abgeschafft worden. Betrachtet jetzt einmal, wie so vieles jetzt schon besser geworden, und denkt nach, wie viel noch viel besser werden kann und auch werden wird! Gott verläßt keinen Deutschen! ein wahres Sprichwort. Und jetzt wird Euch doch Alles klar seyn, was ich Euch sagen wollte? He?«

[114] Die Rede des Melchior Griffel, mit einer Zungenfertigkeit vorgetragen, die zum Verwundern, war freilich für die Zuhörer eine Reihe von Orakelsprüchen gewesen. Nichtsdestoweniger gaben sie in ihrer schlichten Einfalt dem biedern Ausdruck des Redners die Ehre, und stimmten ihm bei. Der alte Bauer, der sich gegen den Sprecher gerührt, war nun der Erste, der ihm die Hand reichte, die Andern folgten nach, und die Jüngern unter ihnen meinten, sie hätten noch niemals etwas Besseres, Volksthümlicheres und Verständlicheres gehört. Auch Lenhard, der sich kurz vorher von den Angriffen des Vetters verletzt gefühlt hatte, machte sich darüber Vorwürfe, und sagte ihm leise in's Ohr: »Nimm's nicht übel, Melcher, wenn ich dennoch unter die Soldaten gehe. Ich kann jetzt nun einmal nicht anders, und die Kapitulation wird auch vorübergehen, wie Alles in der Welt.«

Und auch zum Lenhard neigte sich freundlich der Vetter, und sprach mit ganz anderm Tone: »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, Vetter. Ein durchaus wahres Wort. Wollen wir das Rechte, so wird es uns auch kommen. Du bist als wie zum Kämpfer für die Freiheit bestimmt, Lenhard. Dein heutiger Schritt beweist, daß du selbstständig sein willst, und dein Joch zerbrochen hast. Ich lobe dich darum, und du sollst weiter von mir hören. Dein Alter mag fühlen, was er an dir verloren; ich will ihm in's Gewissen reden, daß es eine Art haben soll. Ich will bei ihm deine Sache führen. Er soll dich noch mit aufgehobenen Händen bitten, zu ihm zurückzukehren. Das schwache Alter hat keinen Werth, keine Würde, als die sein Eigensinn und seine Brille ihm täuschend [115] vor die halbblinden Augen blendwerkt. Der Jugend, den Männern der That gehört die Welt; mit ihrem beschränkten Rath sollen uns die Mehlköpfe verschonen. Und so wollen wir denn noch eins trinken auf die junge Freiheit, die da nach langer Knechtschaft in die Welt kommt, und von einander scheiden, Lenhard. Auf Wiedersehen – zu einer Zeit, wo das Wort ganz frei und kein Scherge mehr auf Erden seyn wird.« – Hier deutete Melchior auf einen Gensdarmen, der vorwitzig spähend in die Stube getreten war, und hielt für gerathen, aufzubrechen. Mit allen Zeichen der Verehrung wünschten ihm seine Zuhörer glückliche Reise, und sein Lob sprach noch am kräftigsten jener alte Bauer aus, indem er ausrief: »Der macht's noch viel besser als unser Pfarrer, der doch ein Maul hat, wie ein Sabel, und dem's von der Leber geht, wie abgehaspelt!«

Melchior machte sich – wie der Apostel Brauch– zu Fuß von dannen. Noch im Gewühl der Stadt begegnete er einem andern Herrn, der ziemlich bestaubt einherkam. – »Nun, wie geht's? was machen die Geschäfte?« fragte ihn der Herr mit vertraulichem Blinzeln: »ich komme von da oben herab; dort steht Alles gut.« – »Und ich will hinauf; antwortete Melchior: von unten kann ich gut Zeugniß geben. Der Boden ist fruchtbar, ich habe wacker gesäet; jetzt nur noch ein günstig Lüftchen aus Westen, und die Saat wird aufgehen, daß es eine Freude!!«


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