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Er war stattlich anzusehen in dem schwarzen, mit silbernen Knöpfen besetzten Atlaswamse, und seine Schwägerin, die mit dem Kindlein aus dem Arme nahe dem warmen Kachelofen saß, meinte lachend: »Wenn du die Beine auch noch so spreizest und auch noch so zornig auf und nieder gehst mit deinen klirrenden Sporen, Hansjörg, und wenn du auch noch so 'n grimmiges Gesicht schneidest, ein hübscher Knabe bist du doch.«
»Das ist mir einerlei, Frau Schwägerin,« rief Portner, nahm den schwarzen, perlschnurumhangenen Hut vom Tische und blies über die Straußfedern, daß sie sich zitternd sträubten. »Der Herr Vizedom pfeift, und der Landsasse tanzt. Und da soll ich ein lustiges Gesicht schneiden?«
»Auf unsre Gesichter kommt's nicht an; aber unsern Mann müssen wir stellen, sonst gehen die Zeitläufte ohne uns weiter,« sagte der edle Burghüter von Rieden, der neben Frau Anna Felicitas am Ofen stand. »Bist du bereit?«
»Ich bin's,« antwortete Hansjörg. »Und meinen Mann stelle ich so gut wie einer; aber gerade weil ich das will, setze ich auch das Gesicht eines Mannes auf, Herr Vetter.«
»Was will ich denn andres?« rief Hans Andre 112 Portner. »Doch immer und alleweil können wir Landsassen auch nicht im Schmollwinkel sitzen und uns alte Geschichten erzählen!«
»Von König Friedrichs Ritt nach Amberg, von seinem toten Rosse und von dem Volke, das ›Vivat‹ geschrieen hat,« sagte Hansjörg Portner und bedeckte das Haupt.
Hans Andre aber meinte mürrisch: »Und wenn du's wissen willst, Hansjörg, für uns Landsassen giebt's jetzt kein andres Mittel – wir müssen dem Vizedom schmeicheln, schmeicheln um jeden Preis, wenn es uns auch nicht also ums Herz ist.«
»Ich schmeichle niemand,« sagte Hansjörg kurz, ging zur Kammerthüre und pochte: »Georg, komm, es ist Zeit!«
»Du verstehst das wieder ganz konträr, Hansjörg,« verteidigte sich der edle Burghüter. »Hohe Staatskunst im kleinen, das meine ich, das müssen wir treiben. Meint Ihr nicht auch, Mühmchen?«
»Von Staatskunst verstehe doch ich nichts,« lachte Frau Anna Felicitas hell auf. »Aber ich denke mir's ganz hübsch, einmal beim Vizedom zu tanzen – das heißt, ich dächt' mir's hübsch, wenn ich nicht was Hübscheres hätte. Gelt, Dorel?«
»Ewig schade, schönes Mühmchen, daß Ihr nicht mit nach Amberg reitet,« murmelte der edle Burghüter und verneigte sich.
»Schmeicheln um jeden Preis, wenn es uns auch nicht also ums Herz ist,« sagte die kleine Frau und warf einen lachenden Blick auf Hans Andre.
»Aber, Frau Muhme!«
»Nein, nein, Herr Vetter, nur keine Staatskunst zwischen unsern einfachen Wänden! Spart's Euch auf heute abend! Schön hat mich noch keiner gefunden.«
113 »Aber Anna Feli!« rief Georg Portner und schloß die Kammerthüre.
»Ich bin sprachlos,« murmelte der edle Burghüter.
»Ja, du, Jörg, bei dir ist's was andres; für dich muß ich die Schönste, die Liebste, die Beste sein,« rief die Portnerin noch immer lachend und erhob sich.
»Bist du auch,« sagte Georg Portner einfach. »Aber beliebt's den Freunden, so können wir reiten.«
Eilig trabten die Herren und Knechte durch das winterliche Thal. Die Wolken hingen tief herab, über die Schneedecke krochen die letzten Lichter des Tages, und allgemach legte sich die Dämmerung auf die Landschaft. Nur die Türme und Giebel fern am Horizonte starrten noch empor in einen breiten, blutroten Wolkenstreifen. Leise und friedlich sangen die Abendglocken.
»Hat sich einer von euern Unterthanen geweigert?« fragte der Burghüter.
»Soviel ich weiß, keiner,« antwortete Georg.
»Ich glaub's!« lachte Hans Andre. »Bei mir zu Hause haben sich auch alle accommodiert. Und ist kein Wunder. Was bleibt dem armen Gesindel übrig? Wo sollen sie denn Käufer bekommen, und gesetzt den Fall, es glückte einem, wohin soll er denn emigrieren? In den Krieg? – Und kurfürstliche Regierung hat Mittel bei der Hand, die Halsstarrigen zu beugen. Da giebt's Einquartierungen, da giebt's Eisen und Stock, wenn einer beim Richter den Paß verlangt. Ist auch, meiner Treu, so ziemlich ein Ding, was der gemeine Mann glaubt.«
»Da bin ich denn doch andrer Ansicht!« rief Georg Portner heftig. »Und zudem – beim armen Manne fangen sie an und beschweren sein Gewissen, und bei uns hören sie auf.«
114 Hansjörg schwieg und ritt mit gesenktem Haupte hinter den beiden.
»Sie werden sich hüten!« rief Hans Andre. »Den gesamten Adel eines ganzen Landes wendet man nicht um wie einen schlappigen Handschuh. Das aber ist's ja, was ich sage: Wir dürfen uns nicht in unsern Häusern vergraben, wir müssen heraus und müssen uns zeigen, wo Gelegenheit ist, und dem Vizedom müssen wir schmeicheln.«
Hansjörg Portner spuckte vernehmlich aus und schwieg. Georg aber rief: »Hat sich der Kurfürst etwa vor den Landsassen in der Grafschaft Cham gescheut?« –
In der Dämmerung fuhr langsam ein Gespann heran. Das Weib neben den Kühen griff hastig an die Deichsel, lenkte den Wagen von der Straße in den Graben, hielt das Vieh an und bot demütigen Gruß.
»Das ist ja die Lankhardtin!« sagte Georg Portner freundlich und lenkte sein Roß herzu. »In der Stadt gewesen, Lankhardtin?« Neben dem Bruder hielt Hansjörg; der edle Burghüter ritt fürbaß.
»Ach, Herr Jesus, Euer Gnaden, das Unglück!« schluchzte das Weib.
»Was ist denn, Lankhardtin, was jammerst du denn?« fragte nun Hansjörg, während auch die Knechte herankamen.
»Da liegt er, Euer Gnaden! Sieht's Euer Gnaden nit?« schluchzte das Weib.
»Ja, wen hast du denn da im Stroh? Das ist doch ein Mannsbild, nicht?«
»Der Meinige ist's, wer denn?«
Der Mann auf dem Wagen ächzte.
»'raus mit der Rede! Was ist geschehen?« fragte 115 Hansjörg, derweil sich Georg von seinem Rosse herab über den Wagen beugte.
»Er hat ja doch beim gnädigen Herrn Landrichter – ach, der Herr Portner weiß ja nit – katholisch werden thun wir einmal nit, hat er immer gesagt, und da hat er ja doch den Schein –«
»Meinen Paß hab' ich holen wollen,« unterbrach der Mann auf dem Stroh sein Weib, versuchte sich aufzurichten und sank stöhnend zurück.
»Auswandern habt ihr wollen? Warum wissen denn davon die Junker nichts?« fragte Georg.
»In Religionssachen – dürfen – die Unterthanen nichts reden mit den Junkern, ist – strikter Befehl – bei schwerer Straf',« kam's stoßweise vom Wagen herüber.
»Immer schöner!« fuhr Hansjörg auf. »Aber das Wort hättet ihr uns doch gönnen dürfen!«
»Ach, der Herr Portner verzeiht schon,« antwortete das Weib; »er hat immer seinen Spruch gehabt und hat gesagt, es ist keinem zu trauen in dieser Zeit. Muß Euer Gnaden schon verzeihen.«
»Und was ist denn hernach geschehen?«
»Ganz genau, wie's zugangen ist, weiß ich auch nit. Wir hätten unser Gütel dem Schwager abgegeben, wenn wir den Schein – den Schein müssen wir haben, hat er immer gesagt, der Mann. Also, da ist er dreimal, viermal zum Herrn Landrichter aus Amberg 'nein und hat halt nicht nachg'lassen. Zuerst haben s' ihn fortgejagt, und doch ist er wiederkommen. Und zuletzt, vor drei oder vier Täg', hat Gnaden der Herr Landrichter g'sagt – Hans, wie hat er gleich g'sagt, der Herr Landrichter?«
»Geflucht hat er und hat g'sagt: Luder, halsstarriges, komm morgen um die Zeit, und da soll dir der Paß 116 geschrieben werden –,« stöhnte der Mensch auf dem Stroh.
»Und da ist er denn gestern in die Stadt, und da haben s' ihn packt und – Hans, wieviel –?«
»O je, laß mir mein' Ruh'! Fufzig werden s' mir wohl aufg'messen haben, daß ich liegen blieben bin –«
»Auf des Landrichters Befehl?« fragte Hansjörg Portner.
»Den hab' – ich mit – keinem Aug' nit – gesehen. Haben mich halt – Soldaten – packt und – in Keller zogen.«
Das Weib fuhr fort: »Und da hat mir's hernach einer aus Theuern verraten, er dürft' jetzt heim, ich könnt' ihn holen. Und da hab' ich ihn halt geholt, ihr Herren.«
Hansjörg murmelte etwas.
Georg aber fragte: »Und was ist jetzt mit dem Paß?«
Da richtete sich der Geschlagene mit Anstrengung auf und sagte: »Paß hin und Paß her. Jetzt erst recht, sobald ich wieder laufen kann. Ich hab' mein' Spruch, ich hab' mein' Spruch. Gelt Weib, wir haben unsern Spruch? Ich lieg' auf Rosen gebettet –« Er lachte und sank zurück. »Und die Engel steigen auf und nieder an einer goldigen Leiter – seht ihr's denn nit?«
»Ach, Herr Jesus, jetzt ist er wieder weg!« jammerte das Weib.
»Den Spruch, den Spruch haben wir fest, gelt Alte?« sagte der Mißhandelte.
»Wenn er mir nur nit unter 'n Händen stirbt,« flüsterte das Weib. »Is ja der ganze Buckel 'nunter und 'nunter ein geronnenes Blut!«
117 »Den Spruch, den Spruch!« murmelte der Mann auf dem Stroh.
»Hört ihr's, Herren?« fragte das Weib. »Jetzt ist er wieder weg!«
Die Knechte murrten, der Geschlagene aber sang mit gellender Stimme:
»Auf ihn will ich verträuen
In meiner schweren Zeit;
Es kann mich nicht gereuen,
Er wendet alles Leid.«
»Fahr heim!« befahl Georg. »Und dann renne zu meiner Frau und sage ihr, sie solle ihn anschauen. Und was sie dir heißen wird, das thust!«
Die Reiter wichen zur Seite, das Gespann kam herauf und rattelte den gefrorenen Weg entlang, hinein in die Dunkelheit.
»Er wendet alles Leid, ihm sei es heimgestellt – heimgestellt, heimgestellt!« sang der Bewußtlose mit gellender Stimme.
Ungeduldig wartete der edle Burghüter. Mit grollendem Unmute erzählte ihm Georg die Geschichte. Hansjörg ritt schweigend mit gesenktem Haupte hinter den beiden fürbaß.
»Ich sag's ja,« bemerkte der edle Burghüter gleichgültig; »kurfürstliches Regiment hat Mittel und Wege, und sie arbeiten alle zusammen an dem Werke. Und der arme Schächer wird's nun wohl an den Nagel hängen, das Emigrieren?«
»Ich glaube nicht,« sagte Georg nachdenklich. –
Hinten ritten die Knechte und besprachen auch die Geschichte.
»Das ist nicht recht von der Obrigkeit; einen, der 118 nichts Uebles gethan hat, soll man nicht also mißhandeln,« sagte der junge Mathes.
»Ach was,« lachte ein alter Knecht, des edeln Burghüters Diener, »laßt mich aus! Was kann denn unsereiner gegen die Obrigkeit? Nichts, rein gar nichts. Und sollen auch gar nicht dagegen; denn es steht geschrieben, jedermann sei unterthan der Obrigkeit. Also! Ist halt einmal wieder Bettelmannszeit im Land. Wer kann dawider?«
*
Der große Saal im Schlosse zu Amberg erstrahlte im Glanze der dicken Wachskerzen, und es war alles zum Feste bereit.
Der Vizedom und seine Ehefrau standen in der Wohnstube nebenan und warteten auf die Gäste.
»Wenn nur der Abend vorüber wäre!« sagte der Hochgebietende seufzend und lehnte sich an den großen Kachelofen. »Kurfürstliche Durchlaucht hat gut reden von Staatskunst. Er befiehlt das große Werk, und ich muß sein Großgeld in Kleingeld wechseln und unter die Leute bringen!«
Die Gnädige ließ sich auf einen Stuhl nieder, legte die gefalteten Hände in den Schoß des seidenrauschenden Kleides, wandte den Kopf mit Mühe ein wenig in dem steifen Spitzenrade und sah dann wieder starr geradeaus: »Gott, was für ein Volk! Und das nennt sich edel und vest! Scheußlich! Drei Stunden habe ich neulich gelüftet hinter dem Burghüter von Rieden – wie heißt er doch?«
»Portner von Theuern,« kam die Antwort.
»Portner!« sagte die Gnädige, und in dem starren Gesichte bewegten sich nur die Lippen und die spöttisch zitternden Nasenflügel. »So 'n Mistbauer!«
119 »Na, so arg ist's ja doch nicht,« kam die Antwort aus dem gähnenden Munde des Vizedoms. »Uralter Adel.«
»Mistbauern allesamt, wie sie auf dem Nordgau sitzen,« wiederholte die Gnädige mit Nachdruck; »die Mendel auf Lintach und die Loefen auf Ebermannsdorf und die Münzer auf Kümmersbruck und die Zantner auf Zant und –« Sie schöpfte Atem.
»Wenn Weiber einen Abscheu haben, dann schütten sie das Kind mit dem Bad aus,« bemerkte der Hochgebietende.
»Hier wird nichts gebadet. Geh mir, ich weiß, was ich weiß! Da muß ich nun gewiß wieder manchem lutherischen Hunde die Pfoten schütteln, der heute früh den Dung selber aus seinem Schmutzneste aufs Feld gefahren hat!« rief die Gnädige und rührte sich nicht aus ihrer erhabenen Haltung. »Drauf im Namen der Jungfrau! Wozu denn warten? Zuletzt wähnen die Gesellen, es fehle den Bayern die Schneid!«
Der Vizedom machte ein spöttisches Gesicht: »Sachte, Herr Pater, sachte!«
Rauschend fuhr die Gnädige herum. Aber sofort besann sie sich und saß wieder da mit dem unbewegten Gesichte wie vorher: »Was bedarf ich dazu des Paters?«
»Pfaffen und Weibern geht's nie geschwinde genug,« lachte der Hochgebietende und bekam einen Krampfhusten. »Staatskunst!«
»Weißt du, was deine Staatskunst ist?« fragte die Gnädige scharf.
Der Vizedom schwieg.
»Warten, bis die Aepfel reif sind und von selber fallen,« sagte das Weib.
Es klopfte, und der Kammerdiener meldete mit 120 tiefer Verbeugung, draußen stehe einer, der wolle Seine Gnaden sprechen.
»Rote Rüben?« sagte der Vizedom vor sich hin.
»Ja, so redet er fort und fort, Euer Gnaden.«
»Hereinlassen!« befahl der Hochgebietende.
Ein kleiner, verwachsener Mann stand vor dem Vizedom und wandte keinen Blick von den Augen des Herrn.
»Vier Wochen?« fragte dieser von oben her.
»Sechs Wochen in Regen und Schnee,« flüsterte der Kleine.
»Auerbach, Waldeck, Nabburg –?«
»– und Neunburg vorm Walde,« fiel der andre ehrerbietig ein.
»Und?« fragte der Vizedom.
Der Verwachsene zuckte die Achseln. »Das gemeine Volk?« Er machte ein verächtliches Gesicht, hielt die Linke flach vor sich und wischte mit der Rechten darüber, als wollte er eine Tischplatte rein machen. »Die Märkte und Städte? Hier einer, dort einer – die andern? Ha, wie die Bauern! Die Dragonaden fressen den Starrsinn.« Und abermals wischte er mit der Rechten über die Linke.
»Und die Landsassen?« fragte der Vizedom.
Der Kleine griff in sein Wams und holte ein Taschenbuch hervor: »Hier, Euer Gnaden, die Frucht einer sechswöchigen Arbeit.«
Nachlässig griff der Vizedom nach dem Hefte und blätterte darin.
»Hier bei jedem Namen der Stern oder das Kreuz, Euer Gnaden,« erklärte der Kleine und hob sich auf den Fußspitzen.
»Und woher?« fragte der Vizedom in seiner wortkargen, befehlenden Art.
121 »Ha,« lachte der Spion. »In der Pöse beim Johannsgnug die Lüselinge einspannen und horchen, horchen – oder den Knecht schmieren – oder das Weib heimsuchen. – Und hier, gestatten Euer Gnaden, hier sind die Aufzeichnungen über die Beamten – was man so nebenbei hört und sieht –«
»Und ist's auch alles wahr?« fragte der Vizedom und sah den Verwachsenen durchdringend an.
»Es ist, als hätte ich mein adelig Siegel daruntergedrückt und dazu geschrieben: ›Auf adeligen Glauben und Treue!‹« sagte der Spion und verzog das breite, graue Gesicht.
Der Vizedom machte eine verächtliche Handbewegung:
»Wir werden sehen!«
»Und was befiehlt Euer Gnaden weiter?« fragte der Kleine und sah lauernd zu seinem Gebieter empor.
Der Vizedom sann:
»Während der nächsten Monate bedarf ich deiner in der Stadt, Rotrübe.«
Dann sprach er noch ein paar leise Worte.
Der Verwachsene neigte sich tief und schlich aus dem Gemache.
Der Hochgebietende war unter einen Wandleuchter getreten und las eifrig in dem abgegriffenen Hefte.
»Das ist Staatskunst,« sagte er nach einer Weile, klopfte auf das Büchlein und steckte es in sein Prunkgewand.
Die Gnädige war die ganze Zeit über regungslos auf ihrem Stuhle gesessen. Nun verzog sie den Mund, als hätte sie etwas Ekelhaftes zwischen die Zähne gebracht.
Der Vizedom hatte sie fest angesehen. Jetzt lehnte 122 er den Rücken wieder an den Kachelofen und sagte hüstelnd, fast als wollte er sich entschuldigen:
»Je nun, mit Hunden muß man jagen.«
»Drauf im Namen der Jungfrau,« zischte die Gnädige; »aber mit Soldaten und nicht mit schleichenden Hunden! Und was gilt's? Sie fallen wie die Mücken!«
»Und woher nimmst du deine Wissenschaft, wenn ich fragen darf?« sagte der Vizedom und neigte bedächtig das graue, kurzgeschorene Haupt.
»Pah, was ist's denn für ein Volk?« fragte das Weib. »Kurfürstliche Durchlaucht spielt auf, und die Mistbauern tanzen.«
»Sie tanzen nicht!« sagte der Hochgebietende.
»Nicht? Und warum denn nicht? Warum denn nicht?«
»Weil's keine Mistbauern sind,« antwortete der Vizedom spöttisch. »Sachte, sachte! Man muß übrigens nur die Augen aufmachen, dann weiß man Bescheid. Ich will von den Eingewanderten, von denen aus Altbayern, schweigen; das ist Bein von unserm Bein und Blut von unserm Blut, und das duckt sich ungern. Aber auch die andern vom Adel, die Alteingesessenen! Da, stell doch so 'n großen, flachshaarigen, blauäugigen Junker – kennst du die andern Portner, die auf Theuern? Ja! – stell neben einen solchen zwanzig, fünfzig, hundert schwarze, verdruckte, kleine, krumme Bauernkerle vom flachen Land oder so 'n Rudel säbelbeinige, zwerghafte Trottel aus den Walddörfern hinter Freudenberg – das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht!«
»Habe auch schon große, flachshaarige, blauäugige Bauern gesehen hier zu Lande,« behauptete die Gnädige.
»An alten Bäumen wächst auch manch ein 123 Schößling, den man nicht gerade auf Pergament malt,« antwortete der Vizedom trocken.
»Und sie fallen doch, die Landsassen, die Mistjunker,« wiederholte die Gnädige regungslos. »Drauf im Namen der Jungfrau!«
»Sie fallen nicht!« sagte der Hochgebietende und schlug mit der flachen Rechten auf das Büchlein, das er im Wamse trug. »Da einer, dort einer, von freien Stücken kaum einer.«
»Bis sie der Hunger zu Paaren treibt,« murrte die Gnädige mit starrem Antlitze.
»Was ist härter als Stahl und mitleidloser als Stein?« fragte der Vizedom nachdenklich, als spräche er mit sich selber.
»Weiß ich's?« kam die Antwort zurück.
»Pfaffen und Weiber im Bunde!« murmelte der Hochgebietende.
»Was murmelst du?« kam's vom Stuhle her. »Ich kann es nicht verstehen.«
»Gewaltmaßregeln vor der Huldigung wären ja doch heller Unsinn,« habe ich gesagt.
»Und wann müssen sie huldigen?« fragte die Gnädige.
»Im April.«
»Und dann?«
»Dann kann die Arbeit beginnen,« sagte der Vizedom und zog seufzend das Büchlein aus seinem Wamse.
*
Es war schon spät am Abende.
Im Saale des Amberger Schlosses drängten sich die Gäste des Vizedoms: die Räte und Sekretäre der kurfürstlichen Regierung, die Offiziere der starken Garnison und der landsässige Adel – die Herren 124 und die Besiegten, eine bunte Gesellschaft. Die Gnädige hatte ihre Abneigung überwunden und auch den Junkern die Hand zum Kusse gereicht – es geht ja doch nur auf den Handschuh, hatte sie schaudernd zu sich selbst gesagt. Und der Vizedom bemühte sich, Seiner Durchlaucht große Absicht in kleiner Münze unter die Leute zu bringen – er war der gnädige Herr gegen die Räte und Sekretäre, die ihn umkreisten wie die Planeten den Sonnenball; er war der gewandte Kavalier, der den Offizieren lächelnd und unauffällig ihre besondere Ehre erwies; er war der Staatsmann, der dem Adel des eroberten Landes mit jeder Miene, mit jedem Händedrucke zu sagen schien: Kommt, die Wege sind geebnet, kommt, und der neue Herr wird keinen Dienst vergessen, den ihr ihm und seinem Regiment erweist!
Aber die Luft war dennoch dumpf im großen Saale, und zwischen den Falten der Wandteppiche lauerten kleine Gespenster, die jeden Augenblick hervorzukommen drohten. Und dann wehe! Der Boden war dennoch heiß, wenn auch die Jugend im kunstvollen Reigen darüberglitt. Der Sieger trug den Kopf hoch, weil er der Herr war im eroberten Lande, und der Besiegte trug ihn wo möglich noch höher, als wollte er sagen: Mein durchlauchtiger Herr ist wohl besiegt, aber ich – wer hat denn mich bezwungen? Und dazwischen war's, als bräche aus einem dunkeln Auge ein Blitz, der alles aussprach, was über keine Lippe kommen durfte: lutherischer Hund! Papist und Jesuwider!
»Ein schönes Weibsbild, die Zantnerin,« sagte der Kemnater, trat hinter Hansjörg Portner und legte die Hand auf seine Schulter. Hansjörg wandte sich jählings:
125 »Ihr seid's, Herr Vetter?«
»Ist doch ein Wunder, daß du mich noch kennst, Sohn meiner Schwester,« lachte der Kemnater. »Bist nun schon dreimal an mir vorübergegangen!«
»Thut mir leid, habe Euch nicht gesehen,« entschuldigte sich Portner.
»Und immer guckst du nach dem schwarzhaarigen Weibsbild, so oft ich dich treffe,« lachte der andre.
Hansjörg Portner sah ihn zornig an und öffnete den Mund.
»Na, na,« fiel ihm der Oheim in die Rede, »ist auch ein bildsauberes Weiberl, und thut sogar unsereinem wohl, hinzugucken, wenn er auch ein alter Kerl ist. Aber arm, Hansjörg, arm; na, du wirst's ja selber wissen. Und der große Schwarze, der Schreiber, scheint auch ein ganz besonderes Gefallen an ihr zu finden.«
»Wer ist's?« fragte Portner und wandte keinen Blick von der jungen Zantnerin und ihrem Kavaliere.
»Kriemhofen, kurfürstlicher Sekretarius,« gab der Kemnater Bescheid. »Guter Adel, reich, wohnt mit seiner Mutter hier. Auf Wiedersehen, Hansjörg!«
Er verschwand im Gewühle.
»Und wenn sie auch noch so grinsen, der Vizedom und die kurfürstlichen Räte, es ist dennoch nicht geheuer im Saale,« flüsterte der edle Burghüter. »Meinst du nicht auch, Hansjörg?«
»Ja.«
»Aber es macht mir Vergnügen, hierhin zu horchen und dorthin. Die Hochmütigsten sind doch die Soldaten. Denk nur, sagt da vorhin einer ganz laut, ich kenne ihn wohl: ›Was gilt's? Ueber Jahr und Tag ist die ganze Oberpfalz katholisch!‹ – Meint ein andrer: ›Aber die Herren Landsassen?‹ – und lacht und schaut mit schiefen Augen auf mich herüber.«
126 »Das habt Ihr Euch bieten lassen?« fragte Hansjörg zornig.
»Ach was, ich kann doch nicht im kurfürstlichen Schlosse Händel anfangen!« sagte Hans Andre.
»Anfangen?« raunte Portner. »Ich dächte, er hätte angefangen. – Wer war's?« setzte er heftig hinzu.
»Ach was, wenn du alles gleich so hitzig nimmst!« murrte der edle Burghüter. »Zu mir hat er's gesagt, oder vielmehr, zu mir hat er's nicht gesagt; ich hab's nur zufällig gehört, und es ist gar nicht für mich bestimmt gewesen – für dich ganz gewiß nicht.«
»Von den Landsassen hat er gesprochen als von lächerlichen Leuten,« sagte Hansjörg Portner drohend. »Nochmals! Wer ist's gewesen?«
»Es ist mir entfallen,« antwortete der edle Burghüter trotzig.
Der Neffe wandte ihm den Rücken. – Der Vizedom kam auf seinem Rundgange zu Hansjörg Portner.
»Warum steht Ihr abseits, guter Freund?« fragte er vertraulich. »Keine Lust zum Tanzen?«
Portner verneigte sich tief und stand hochaufgerichtet vor dem Gebietenden: »Nein, Euer Gnaden.«
»Ihr habt studiert?« fragte der Vizedom und sah mit seinen kalten, grauen Augen herablassend und gnädig zu dem Junker empor.
»Jurisprudenz, Euer Gnaden,« antwortete Portner.
»In Altdorf und Bologna, hernach seid Ihr zwei Jahre in venetianischen Kriegsdiensten gestanden, nicht?«
Hansjörg sah verwundert auf das kühl lächelnde Antlitz des Vizedoms:
»Euer Gnaden kennt meine Biographie genau!«
Der Gewaltige lächelte noch immer:
»Man hat ein Auge auf seine Leute, Junker.«
Hansjörg verneigte sich.
127 »Und wollt Ihr Eure Kenntnisse in Theuern vergraben?« fragte der Vizedom plötzlich ernsthaft.
»Ich habe keine Gelegenheit, sie zu verwerten,« antwortete Portner.
»Die könnte sich finden, mein Freund.«
»Ich wüßte nicht, Euer Gnaden.«
»Pelkover,« sagte der Hochgebietende.
»Wolf Pelkover hat sich accommodiert und ist Pfleger zu Waldmünchen geworden,« antwortete Hansjörg.
»Nun also?« fragte der Vizedom leichthin.
»Mein Bruder und der Hammer zu Theuern bedürfen meiner, Euer Gnaden.«
»Ihr füllt Euern Platz überall aus,« sagte der Hochgebietende gnädig und reichte dem Junker die Hand.
Dieser verneigte sich tief. – Der Vizedom hielt die Hand fest und sah sehr gnädig aus:
»Menschen, wie Ihr seid, mein Freund, muß es gut gehen auf Erden.«
Hansjörg Portner stand hochaufgerichtet und löste seine Hand. »Und der Herr Vizedom kennt mich ja doch gar nicht!«
Der Hochgebietende biß sich unmerklich auf die Lippe und sagte mit einer leichten Handbewegung:
»Nun also, macht Eure Sache gut, auf daß man stets Gutes von Euch höre!«
Hansjörg Portner verneigte sich tief. Dann aber sah er dem Gewaltigen gedankenvoll nach und murmelte:
»War das nun der Vizedom oder war's der Burghüter von Rieden?«
»Sehr gnädig gewesen, Seine Gnaden?« sagte eine Stimme hinter Hansjörg.
»Ihr, Herr von Zant?« rief der Junker und wandte sich hastig.
128 »Wir!« lachte der Zantner und schüttelte ihm die Hand. »Gluck, gluck, gluck, Hansjörg! Die Flügel sind ausgebreitet, die Henne ruft, und die Küchlein können unterkriechen.«
»Ich verstehe Euch nicht, Herr!«
»Unterkriechen, Hansjörg! Sehr gnädig gewesen, Seine Gnaden, nicht?«
»Unverdientermaßen, Herr,« lautete die finstere Antwort.
»Sehr gnädig gewesen, und im Glanze der Sonne erblassen die Sterne,« lachte der Zantner. »Ich glaube, meine Ruth würde sich freuen, wenn du sie begrüßen wolltest.«
»Glaubt Ihr? Ich denke, sie hat genug Kurzweil mit unsern Feinden!«
Verwundert sah ihm der Zantner ins Gesicht:
»Holla, da hat's ja wohl noch Zeit mit dem Unterkriechen? Feinde? Ja, sag, ist sie denn zum Trübsalblasen nach Amberg geritten?«
»Unterkriechen?« fragte Portner. »Unterkriechen bei unsern Feinden, Herr? Niemals!«
»Guter Freund, ich geb' dir einen Rat: Mach mit, und es kommt dir nicht mehr halb so toll vor!«
»Und das sagt Ihr?«
»Cum grano salis!« murmelte der gelehrte Herr und sah mit großen Augen in das Gewühle. Und es war, als tanzte der Spott um seine Lippen.
»Ich dachte schon, Ihr wolltet uns gar nicht sehen,« flüsterte Ruth von Zant und sah treuherzig zu Hansjörg Portner hinauf. »Das wäre aber nicht schön gewesen, Herr.«
Die Pfeifer und Geiger lockten zum Tanze, und der Junker führte das Fräulein von Zant im Reigen.
129 »Nicht schön gewesen?« fragte Portner.
»Nein!« sagte Ruth.
»Und Ihr habt Euch ja doch vortrefflich unterhalten?«
Verwundert blickte Ruth empor zu ihm. »Und woher wollt Ihr das wissen?«
Hansjörg schwieg.
»Es war mir eigentlich recht angst auf diesen Abend, daß ich's nur gestehe,« plauderte Ruth. »Und dann hat mich auch die Frau Vizedomin so kalt angesehen, daß es mir ganz heiß geworden ist. Ihr müßt nur wissen, Herr Portner, so 'n unwissendes Ding von draußen herein, wo die Hunde und Füchse einander gute Nacht sagen und aus der Ferne die Wölfe heulen dazu. Mau weiß ja gar nicht, was man reden soll.«
»Und dann habt Ihr Euch trotz allem vortrefflich unterhalten,« sagte Portner.
»O ja!« lachte Ruth und sah ihm voll ins Gesicht. »Besser schon, als –« sie stockte – »als heute mit Euch. Heute,« setzte sie mit Nachdruck hinzu.
»Vergebt,« flüsterte Portner und neigte sich ein wenig zu ihr herab, »es ist mir heute nicht scherzhaft zu Mute.«
»Scherzhaft, Herr Portner?« Sie sah ihn mit großen Augen an. »Glaubt Ihr, es sei mir scherzhaft zu Mute?«
»Und warum Euch nicht?« fragte der Junker.
Sie ballte die kleine Faust und machte ein zorniges Gesicht: »Unter unsern Feinden, Herr Portner?«
»Dank' Euch für dieses Wort!« flüsterte Hansjörg. 130