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Der zweite Aufzug

Das gleiche Zimmer. Es ist Spätnachmittag. Peter und Guntwar am Tisch einander gegenüber, Peter rechts, Guntwar links. Elisabeth im schmalen Gemach des Hintergrundes, bei einer Arbeit, steht auch einmal auf und versieht hier und dort etwas, setzt sich wieder. – Im Kamin das Feuer.

Peter: Du bist über den Bach zurückgekommen? Schön ist der Weg. Nicht?

Guntwar: Sehr schön. Wenn man plötzlich aus dem Wald heraustritt und hat nun die Aussicht auf das ganze Dörfchen unter sich und die Kirche in der Mitte und die Berge ringsum.

Peter: Ja, es ist schön. Die Natur hat doch noch Wirkung bei dir, trotzdem du soviel in dir auszumachen hast – wie?

Guntwar: Gewiß. Solche Schönheit sehe ich noch immer.

Peter: Nun ja, ich dachte nur bei mir; – ich weiß doch, daß du viel in dir zu tun hast; da war es ja schließlich begreiflich..

Guntwar: Da hast du recht. Ich genieße die Natur auch lange nicht so, als wenn ich in Ruhe wäre.

Peter (mehr teilnehmend als fragend): Es ist recht schwer für dich, wie? Ich sage das nicht nur, weil meine Frau mir davon erzählt hat, ich hab es selber gesehen gestern nacht, als wir uns trafen; du sahst nicht gut aus, sogar sehr elend.

Guntwar: Ja gestern, dawar es schwer. Und doch so schön! (Kurze Stille?) Gehst du auch oft nachts noch aus?

Peter: Ach nein, eigentlich sonst nicht, – nein –; es war ja auch so schöner Vollmond gestern.

Guntwar: Ach so, deswegen. – Ja, der Mond war schön. (Stille.)

Peter: Ich wollte dich noch fragen – über etwas, nicht wahr, wir können nun einmal darüber reden, – du bist jetzt hier und wohnst hier und bist auch sonst gekommen (Guntwar nickt) –; diese Stimmen oder Stimme, die du hörst; du weißt wohl, meine Frau hat mir davon erzählt, – ich meine, – wie hörst du sie nun? In dir? Von außen?

Guntwar (nach einer Stille): Das ist schwer zu sagen, Peter. In mir, im Geist lebendig. (Mit Geste.)

Peter: Also doch innerlich; sie schlägt nicht von außen ans Ohr –

Guntwar: Nein.

Peter: Ich dachte mir's. – Und du persönlich stehst nun unter dieser Stimme, tust, was sie befiehlt, tust alles, was sie dir sagt, lebst eben völlig unter ihr –

Guntwar: Sie befiehlt nicht nur, vor allem lehrt sie mich.

Peter: Aber sie befiehlt doch auch. Und zwar nicht nur innere, auch ganz äußerliche oder äußere Dinge, zum Beispiel Abreise und derart ..

Guntwar: Ja. Sie befiehlt vieles.

Peter: Und dem folgst du dann unverzüglich. (Stille.) Na – ich weiß nicht, ob du mich wirst verstehen können, warum ich diese Frage so eindringlich tue, ich weiß nicht, – oder ob all diese inneren Vorgänge dich hindern, dich in meine Lage zu denken. – Nun, wie gesagt, ich weiß es nicht. Aber kannst du dir die plötzliche Wirkung deiner Ankunft vorstellen? Du mußt nun bedenken, wir leben seit Jahren still und ganz zurückgezogen, meine Frau und ich, wir müssen das tun, du weißt, daß meine Frau vor Jahren auf Leben und Tod krank lag; – da sind wir nicht gewohnt, daß Depeschen kommen; stell dir einmal vor, das muß uns doch erschrecken! Und alle Aufregung, grade die plötzliche, muß von meiner Frau ganz ferngehalten werden. – Ich weiß nicht, ob du mich hierin verstehst? –

(Guntwar nickt Ja.)

Peter: Dann ist's ja gut, dann kann ich ja weiter reden. Dann kannst du dir mein Erstaunen, mein Befremden muß ich sagen, über all dies Ungewohnte denken. Und all dies geschah so selbstverständlich von dir aus, so, als wäre es in der Ordnung, das befremdete mich erst recht. Ich selbst, – ich will mich nicht rühmen, aber ich kann es dir doch mitteilen, – übe die größte Rücksicht in allem und allen gegenüber, – und nun erst meiner Frau gegenüber, das kannst du dir doch denken, – aber ich verlange dafür auch Rücksicht von anderen. Das kann ich doch, das ist doch nur recht und billig, nicht? Und gerade du wirst dich weiter in mich versetzen können, du pflegst ja auch gewissermaßen deine Stimmungen, nicht?

Guntwar: Wie meinst du das: – pflegst?

Peter: Nun ja, – ich fehle da vielleicht etwas im Ausdruck, ich bin nicht immer gleich so mit dem Wort vertraut, – du kultivierst deine Stimmungen doch auch, sozusagen.

Guntwar: Aber kann man dies Stimmungen nennen?

Peter: Nun, oder sagen wir Zustände, wirklich, wir brauchen uns nicht so ängstlich an das Wort zu klammern. Also du tust es auch: du gehst zum Beispiel aus der Stadt in die Einsamkeit, wenn du welche brauchst, du läßt ja auch deine Frau allein –: dieses alles fällt doch unter das, was ich so bezeichnete, nicht wahr! – da wirst du dasselbe ja auch bei andern begreifen, wenn sie nicht gleich für Besuch eingerichtet sind – wie?

Guntwar: Ja.

Peter: Und ich meine: räumst du dir dieses Recht ein, – anderen mußt du es auch zugestehen. Soviel Verständnis hast du doch noch für die Menschen, trotzdem du – wie du sagst – ausschließlich mit dir selbst beschäftigt bist; – nicht?

(Guntwar nickt kurz Ja.)

Peter: Wenn ich dich jetzt also bitte, von nun an in ähnlichen Fällen uns wenigstens brieflich vorzubereiten, damit man sich etwas danach einrichten kann, so ist das nicht zu viel, nicht wahr?

Guntwar: Ich verstehe ganz und gar. Ich wußte nur nichts von alledem, sonst hätte ich es schon bedacht. Deine Frau schrieb in ihren Briefen stets so, als ob du auch herzlich Anteil nähmest, mich lieb hättest ..

Peter: Aber ich bitte dich: – siehst du denn das nicht ein: das hat doch gar nichts miteinander zu tun! Ich kann doch Anteil nehmen an jemanden und ihn aber doch bitten, in solchen Fällen wie dieser hier nicht eine Depesche, sondern rechtzeitig einen Brief zu schicken; ist denn das zuviel verlangt? Oder schließt es den Anteil aus?

Guntwar: Nein, nein, das tut es wirklich nicht; aber ich wußte nichts von dem allen.

Peter: Was wußtest du nicht? Aber ich versteh gar nicht, was hier viel zu wissen ist?! Das muß dir doch alles das bloße Taktgefühl sagen, – und du willst doch, daß man dir Taktgefühl zutraut, – ich weiß wirklich nicht –

Guntwar: Du hast ja in allem so recht! Nur wußte ich nicht, daß du so zu der Sache stündest, so zu meiner Person.

Peter: Guntwar, ich bitte dich! – ich begreife dich gar nicht! – das hat doch mit deiner Person ganz und gar nichts zu tun!

Guntwar: Doch hat es das. – Darf ich, bitte, offen reden –?

Peter: Bitte, – bitte, ist mir nur lieb. –

Guntwar: Sieh mal, du hast ja auch recht; aber nun wird dieses Telegramm nicht das einzige Mißverständnis bleiben. Ist es so, dann werden sich immer wieder Schwierigkeiten finden, immer wieder neue. Ein Verhältnis wie zwischen uns, wo ihr so viel älter seid, ich so jung, ihr habt euer Leben schon hinter euch, meines ist vor mir in der Idee, solch Verhältnis ist doch nur möglich, wenn man sich entgegenkommt in einer großen Liebe, die bindend verkittet hält, die doch immer wieder alles versteht, auch verzeiht; dann wird es schon gut.

Peter: «Weißt du wirklich, du mußt damit rechnen, daß ich schon älter bin (du sagst ja ganz richtig, wir haben ein Leben hinter uns), da kann ich nicht gleich deinen Worten so folgen, die mir ja auch überlegen sein mögen. Du mußt denken, du hast einen ganz einfachen Menschen vor dir, der nicht viel versteht von allen schönen Reden, gleichsam einen Handwerker, in aller Nüchternheit; die fetten Worte sind nichts für mich.

Guntwar: Liebe ist kein fettes Wort. (Stille.) Sieh, wie es bei deiner Frau ist, mein Leben, meines Lebens Idee und Richte gibt ihrem langen Leben selber Richte und Erfüllung: – da ist dann alles Liebe, da überbrückt es sich von selbst, da sind keine Schwierigkeiten; – so ähnlich, wenn auch nicht ganz so stark, aber doch so ähnlich dachte ich's bei dir.

Peter: Meine Frau ist gut, so gut! Wirklich, nur wenn man das Leben mit ihr zusammen verbracht hat, kann man das recht beurteilen. Du hast so unsagbar viel an ihr; ich glaube, darüber kann man nicht reden. Sie opfert sich auf in jeder Hinsicht, wirklich, sie treibt es bis zum Übermaß, bis zur eigenen Schädigung; – aber da darf man dann, – eben weil man dies weiß, – ihr Opfer nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Ich muß dich wirklich sehr darum bitten, – und es ist ganz selbstverständlich, daß du es tust, nach den Umständen, es ist gar nicht darüber zu reden! – Meine Frau ist noch so zart von ihrer Krankheit her, – aber sie achtet ja nicht darauf, – daß es förmlich ein Verbrechen ist, sie irgendwie zu sehr in Anspruch zu nehmen. – Und was die fetten Worte angeht, – ich weiß nicht, ob du auch solche Menschen schätzt und ehrst, die ihre Empfindungen nicht immer auf der Zunge tragen. Aber fühlen können sie's doch auch, nicht wahr!? Können auch religiös sein und nichts weniger als Heiden. Gott ist ihnen vielleicht zu hoch, als daß man so immer von ihm spricht; – es gibt ja auch stilles Gebet; – habe ich nicht recht?

Guntwar: Es gibt so wundervolle Menschen, so herrlich tiefe, schweigsame. Und du als Künstler, du kannst es auch, mußt es sein; was du sagst, sagst du durchs schweigende Bild; ich aber muß reden, mein Beruf befiehlt das, mir sind die Lippen aufgetan. Freilich, da denkst du fehl: – Gott ist allen gemein, Christus jedes Menschen, keiner besitzt ihn für sich allein, er trägt sie alle. So mußt du ihn auch tragen in allen.

Peter: Nun ja, – ich kann über Gott nicht so schnell reden, – ich sagte es dir ja: Gott ist eigentlich viel zu groß für Worte, – findest du nicht? Du hast vielleicht diese Empfindung nicht?

Guntwar: Doch ich habe sie.

Peter: Nun gut, dann wirst du mich ja verstehen.

Guntwar: Ich glaube, ich beginne dich tief zu verstehen.

Peter: Desto besser; wenn es auch ein wenig schnell geht; du kennst mich ja kaum. Weißt ja nichts von meinem Leben.

Guntwar: Ist das so nötig?

Peter: So – was du sagst! Aber das lassen wir mal. – Kennst du Thomas a Kempis?

Guntwar: Noch nicht.

Peter: Wirklich, den mußt du lesen. Er ist wundervoll. Wirklich ganz wundervoll, Guntwar! Lies den doch mal! Ach, so tief und still, mir wohl das liebste Buch, – so ganz schlicht.

Guntwar: Hast du es hier, daß ich es lesen kann?

Peter: Ich borg dir's, ja. – Da sind Gespräche Christi mit der Seele, – die mußt du lesen. –

(Er ist jetzt ganz verändert in Stimme und Gesicht?)

Guntwar (leise): Du glaubst fest Christus?

Peter (nach stillem Zögern): Ich weiß nicht, was du mit dieser Frage willst, Guntwar – Ich weiß nicht, ob du mich ausfragen willst –

(Frau Mirjam kommt von rechts. Sie geht zu Guntwar und Peter vor, setzt sich.)

 

Frau Mirjam. Peter. Guntwar. Elisabeth.

Frau Mirjam (streicht Peters Hand): Nun – habt ihr euch recht unterhalten –?

Peter: Ja, Guntwar und ich.

(Frau Mirjam sieht Elisabeth im Erker, sie steht auf, gebt zu ihr, holt sie nach vorn. Da steht auch schon Peter da, mit dem Hut in der Hand, zum Ausgehen bereit.)

Frau Mirjam: Aber du willst jetzt gehen, Peter –? Willst du nicht bei uns bleiben?

Peter: Danke, danke schön. Ja, ich will noch ein wenig spazieren. Ich hab ja schon gesprochen, mit Guntwar, was zu sprechen war. Laß mich nur!

Frau Mirjam (dichter zu ihm): Aber Peter –

Peter (laut zu allen): Nein, nein, seid nur für euch allein; wirklich, ich würde da doch nur stören. Adieu! Adieu!

(Er will gehen.)

(Frau Mirjam faßt ihm bei der Hand, kommt mit ihm vor, nach rechts. Guntwar und Elisabeth peinlich und verlegen gehen nach dem Gemach im Hintergrund, wo sie während des Folgenden sprechend verbleiben. Es beginnt zu dunkeln.)

Frau Mirjam: Was ist dir nur, Peter?

Peter: Ach, laß doch, jeder von uns hat seine Freiheit, nicht wahr; und ihr könnt euch doch allein viel mehr geben oder sein, als wenn ich dabei bin. Ich will dir da in nichts etwas rauben, Mirjam.

Frau Mirjam: Aber wir warten darauf, Peter, daß du uns mit zuhörst.

Peter: Nun ja, pro forma, das kennt man doch; aber warum soll die Form hier gelten, wenn sie anderswo so ganz und gar nicht in Rücksicht genommen wird, Mirjam? Das seh ich nicht ein. Und ihr habt euch auch von Anfang an immer allein besprochen, Guntwar und du, warum soll's denn jetzt anders werden?

Frau Mirjam: Wie es anfing, Peter, das weißt du wohl, wie du ihn mir abtratest, wie meistens Jüngere, die sich mir leichter auftun. Aber nicht, Peter, bevor du nicht Guntwar auf deine Weise geprüft und für wert befunden hattest, ihn mir abzutreten; damit ich dir nachher all sein Eröffnen offenbarte, wie ich's mit jedem Wort bisher gehalten habe.

Peter: Warum weichst du nur so aus, Mirjam, es ist ja gar kein Grund dazu vorhanden. Worauf es hier im Kern eigentlich ankommt, ist doch, daß ich nicht fähig bin, all seine Ideen und Erlebnisse zu begreifen, will sagen, sie gutzuheißen, und daß ich deshalb, das weiß und fühle ich doch wohl, Mirjam, daß ich eben zu dumm für euch bin.

Frau Mirjam: Rede doch nicht so, Peter, laß doch dies grausame Spielen!

Peter: Es ist kein Spiel, Mirjam, wirklich nicht, es ist mein bitterer Ernst. Ich bin zu dumm für euch und stehe außerdem moralisch nicht hoch genug für solchen Bund, solche Gemeinschaft; das ist wahr, das hat er mir erst eben gesagt.

Frau Mirjam: Was hat er dir gesagt – ?

Peter: Ja, ja, so war der Inhalt. Ein sehr langer Satz, ich habe natürlich nicht mehr alles behalten; aber das war der Inhalt; ach, ich irre mich nicht! Mir fehlt die rechte Liebe, die fehlt mir eben, und da ist nun einmal mit mir nichts anzufangen. Da bin ich überflüssig. So oder derartig hat mich Guntwar zurechtgewiesen. Aber das tut ja nichts.

Frau Mirjam: Ach, Peter!

Peter: Ja, Mirjam! Ihr habt eben beide die Liebe, habt sie alle drei, da versteht sich gleich alles von selbst: Ankunft und Schranke und Rücksicht und Fürsorge. Ich, – Mirjam, muß an den Dingen kleben bleiben, (Geste) will hoch und kann nicht; ihr aber könnt fliegen und braucht euch nicht mehr zu kümmern, ob einer da unten zurückbleibt. So hoch könnt ihr fliegen.

Frau Mirjam: Peter! Peter! Hör doch nur! Hör mich doch nur an! Ach, du weißt ja nichts, von allem nichts, du bist blind, du siehst ja nichts. Ich sehe doch, Peter, und was ich sehe, ist wahrhaftig. Meine Liebe, die sieht ja, unsere Liebe, Peter, mein und deine, und was sie sieht, ist wahr. Peter, sie sieht in deine Seele und in die seine auch. Und da sieht sie, seh ich, daß eure beiden Seelen in der Liebe verwandt sind, Peter; du hast ja so große Liebe! Glaub mir doch, Peter, um unserer Liebe willen glaub es mir! Sie sind verwandt und meine der seinen und meine der deinen, alle drei sind wir verwandt. Hörst du wohl, Peter?

Peter: Hör mal, Mirjam, du mußt dich wirklich nicht so aufregen, wirklich nicht! Denk doch nur an deine Krankheit! Du weißt ja, ich verstehe das alles nicht so rasch, und wenn du so heftig wirst, erst ganz und gar nicht. Eines aber begreife ich, – und du hast es ja deutlich gesagt: ich bin blind, Mirjam. Ein Blinder aber ist und bleibt blind. Da ist nichts zu wollen, und ist das Licht auch noch so hell, er sieht's eben nicht. Er muß tappen und tasten und fällt zuletzt in die Grube. – Ich bin blind und weiß auch nichts, weiß nur das eine, das ist, – darin bin ich nicht unwissend! – ich begehe hier einen Raub an Gott, einen Raub ganz öffentlich. Nicht wahr, nicht wahr, Mirjam! Dafür werde ich ja auch büßen müssen, laß mich nur, laß mich nur gehn, lange dauert es nicht mehr –

(Seinen Hut auf und nach links ab.)

(Frau Mirjam steht da, reglos, und ihr unbewegter Blick füllt sich mit Tränen. Frau Mirjam, Guntwar und Elisabeth begegnen sich dann in der Mitte der Bühne. Die Kinder sehen die Mutter weinen, sie tun alle die Hände zusammen, leise Worte geflüstert gehen hin und her, man vernimmt sie nicht. Nur Guntwar sagt): Ich weiß.

Frau Mirjam (dreht sich zwischen den Kindern um, umfaßt sie beide mit den Armen, hebt das Haupt wie erblindet und flüstert über ihnen): Kinder! Kinder! Was ist das nur! Warum will er nur nicht!? Und diese Segnung, so hoch und so wahr! – Ach, Kinder, ich bleibe bei euch.

(Der Vollmond gleitet hinter dem Gebirge auf, sieht ins Zimmer, steigt dann höher.)

Guntwar (leise): Ich muß dir erzählen, Mutter, denn nun kam das Licht. Nun kam das Leben. Nun kam Erleuchtung.

Frau Mirjam (strahlend durch Tränen): Kam sie nun wirklich? Endlich! Ach, ich wüßt es ja! Du mußt erzählen!

(Elisabeth küßt Guntwar auf die Stirn. Sie setzen sich dann wie in der Szene des ersten Aufzugs, Guntwar diesmal halb angelehnt auf dem Ruhebett; Elisabeth geht erst zum Ofen und wirft Scheite auf ehe sie sich setzt.)

Frau Mirjam (deckt die Augen mit der Hand): Wie kam dies alles? Du mußt alles sagen.

Guntwar:
Wie ich das ganz Unnennbare in Worte
Fassen soll, weiß ich nicht. Doch du siehst tief.
Und weißt so viel, was –

(anderen Tones)

Hat sich nie ein Schmerz,
Nie eine Qual, Verworrenheit, dumpfe Muße
Dir frei gelöst durch gütigen Niedersturz
Von unsichtbarer Liebe aus der Höhe
Tief in die Tiefe dein?

Frau Mirjam (die Hände vor das Gesicht geschlagen):
Daß alles licht ward
Mit einem Mal, hell, strahlend, ganz verklärt,
Wie eine Wolke sich hob, sich tönend löste –

Guntwar (hebt an):
Ich ging in Nacht und war in Zweifel und Bedrängnis,
Sterne und Himmel vor meinen Augen weit; –
Da plötzlich fand ich mich in anderen Welten,
Wo dieser Erde-Welt nur noch ein schwaches Wissen war,
Und dennoch war es göttlich, war treu-väterlich.
Als jetzt mit Kümmernis und Sorg hoher Verständigung
Zufolge sich ein Heil von droben löste,
Das sausend niederstieg zu Erde-Umfangen.
Und wie ein Blitz das Dunkle jäh vor sich erhellt,
Erhellte sich mir im Umfangen jenes Licht
Zu Namen Christi, und miteins begriff ich nun
Von Gut und Böse heilig das jenseitige Gesetz.
Und fühlte nun die Freiheit Gottes und in Gott
Und seines Willens Erbarmen ohne Marter ich.
Ich sah, ich sah das Kreuz einfältig in Dreifaltigkeit
Durch Weltenräume in unfaßbarer Bewegung sich Beugen,
Miteins bezwingend, was Himmel, Stern und Erdewelt
Verhüllt durch Ferne: – eines Zeichens Dienerschaft.
Und diesem allen dürft ich gegenwärtig sein.
Fühlte mein Heil und aller solchem heiligen Niedersturz
Mitinbegriffen, der mir Kopf und Herz gerührt.
Fortan steht jenes Zeichen in mir, über mir;
Mir ist, als wüßt ich das weltselige Geheimnis längst,
Um die andere litten, die Weltmeisterschaft.
Fortan ich selber Untertan, mit Augen tief
Geschlossen dem, was frecher sich ins Herze drängt,
Ahn' ich in mir des Weges Mühen und den Weg
Und meine Leistung und durch Gnad mein Scherflein zu
Der irdischen Besingung des allmächtigen Heils.
Zu Geist in Geist; o Mutter, ich muß stille sein!

Frau Mirjam (Haupt unbändig im Licht):
Ich wüßt es tief im Traum,
Ich ahnt es licht im Sinn,
Deiner Fahrt Beginn
Schloß noch Raum an Raum.

Blind an Leib und Gesicht
Bin ich dir beigestanden;
Sah doch in deinen Banden
Deutlich ein Gesicht.

Wie sie sich aufwärts rang,
Die namlose Seele,
Bis es ihr gelang:
Durch Gnad fiel alle Fehle.

(Deckt sich das Gesicht mit den Händen) O Guntwar –

(Augen wieder frei, still gefaßt).

Du warst in Leib und Erde befangen; aber deine Seele war Christ, rein im Sinn, und sie träumte ihren Christustraum mitten unter den Sternen und Welten. Erdebilder griff sie noch, doch sie träumte das Himmlische. Eines Tages mußte da Erde zu Erde werden. Und wie wollte sie sprechen; aber sie mußte ja stammeln, weil sie noch zu Sternen sprach. Wie wollte sie auferstehen – und mußte stammeln! Du weißt noch deiner Mutter Tod. Da ließest du ihre geliebte Seele, die dir Liebe um Liebe gegeben hatte, auffahren als ein mildes, leuchtendes Gestirn. Das war nicht irdisch, Guntwar, das war die Ahnung der Liebe, die niemals sterben kann, weil sie nicht aus Erde-Stoff ist. Dieser Ahnung hattest du nur in Erde-Stoff das Kleid gegeben. Darum war deine Qual zwischen den Worten, zwischen den Welten auch; bis endlich du ins Schweigen gingst, da fiel der Blitz Gottes in dich herab. Da erkanntest du, daß das Wahrhaft-Lebendige nicht ganzen Ausspruch hätte durchs Bild, daß das Wort nur Bild, das Bild nur Schein, daß es unwahrhaftig wäre! I. Kor. XIII, 12. Es war wahrlich der Blitz aus der Hand Gottes, denn Gott allein konnte so niederkommen! Da gingest du ins Schweigen, und meine Seele ging mit, voll lauter Hoffnung war sie und ahnte viel. Aber doch ahnte sie nicht diese heilige Heimsuchung! Höher als ich je denken konnte, Guntwar!

Guntwar:
Heimsuchung fand wohl statt,
Das wuchernde Feld
Ward gesichelt glatt,
Meine Macht ward zerspellt.

Licht: Lebendiges schoß auf,
Zweig aus Zweig im Gefild,
Meine Seele trieb mild
Blut und Blätter zu Hauf.

Meine Seele treibt noch
Aus geweiheter Erde,
Licht sind meine Wurzeln.
Mein Wesen drängt zu Gott.

Mutter, – Mutter, es wird ein Leben werden heilsam–

Unterm Geist-Licht liegt die Welt verschlossen. Wieder wandte sich der Strahl, in unbeschreiblicher Gebärde, das Heil, wandte sich's zu. Stark steht die Erbarmung über unwissender Verworrenheit. Siegreich über feiger und kraftloser Verlogenheit. Diese Zeit! Unsere Zeit, Mutter! Sie ahnen nichts, sie schauen nichts, sie treiben hin und treiben her, und doch bereitet es an allen Ecken und Enden neu sich Altäre. Richtet her, kündet an. Es grüßen sich Menschen, seit Ewigkeiten sich Bekannte, wortlos Hand zu Hand. Schweigende Schar vor dem Herrn, ja, eine Schar, die sich bereitet. Siehe, sie sieht mein Auge! Das Halleluja möchte ich anstimmen, das Halleluja bändige ich in mir, noch ist die Schweigens-Zeit. Ich weiß wohl, wie mir ist. Zum mindesten: noch müssen wir auf Umwegen wandeln. Ich weiß wohl.

Frau Mirjam: Auch ich seh es so klar. Ach, es ist so klar! So durchdringend Licht! Ich muß wie den Blick mir schützen! Ach, Guntwar! Dieser dein Weg und die Verworrenheit und diese Führung! Ja, licht, ja, einzig groß! (Nach einer Stille.) Wenn Peter es sieht, alles so weit aufgetan, so nur zum Hineinblicken, ja, jetzt kann er sehen! Und wie wird er es! Und hören! Beide werden wir hören, Guntwar, dir zuhören, was dir von Wissen und Leben und Allem zuteil wurde. Ach, es ist so viel!

Guntwar: Ich bin so nichts! Nun mehr als je ein Bettler! Doch von meinem Reichtum muß ich schenken. Meine Mutter, es zieht so gewaltsam mich fort! Ach, ich bin nun wohl reich zur Spende, ich nicht aus mir, aber der Lebendige steht bei mir. Mitten unter die Menschen muß ich treten, es zu künden; ich weiß, wer mit mir ist. Aber zu Anfang: sie fassen es nicht, sie mißdeuten groß und klein. Doch wird es gut. – Es wird wahrlich gut. Ja, es wird bereitet. Sie alle werden wohl bereitet werden, ein jeder auf seine Art. Ich weiß nichts dieser Art, denn sie steht beim Vater. Ich kann nur bei mir verbleiben, tun, was geboten wird. Ich brauche nicht zu sorgen, denn Sein ist jede Sorge; aber auf mich habe ich Acht zu haben. Ich rede, Er gebietet's; stumm bin ich der Wüste gleich, Er gebietet's. Es wird wohl werden, und ich werde wohl bestehen, davon ich nichts weiß, wird für sich reden, und was ich weiß, wird bescheiden sein. Ich will fort, Wasser tragen helfen.

Frau Mirjam: Das mag ja wohl sein, Guntwar, alles liegt vor dir. Doch zuerst: hier mußt du anfangen. Wo man so sehnsüchtig wartet, kannst du nicht vorübergehen. Darfst nicht! Weißt du nichts davon, Guntwar? Die Stimme ist dir stille geblieben hiervon? Wie, Guntwar? Ach, ich glaub es nicht! (Hand auf Hand Guntwars.) Ich glaub es nicht; du wirst es wissen. Aber wie ich harre, bange danach, weiß nur Er. Ich warte nun schon länger, Guntwar, als mein Leben geht. So wenigstens ist mir. Und da bin ich ruhig, da wird es ja sein müssen. Guntwar! Doch will ich auch demütig sein und mich ganz in den Willen geben.

Guntwar: Ich habe hier zu bleiben, hier zu beginnen, Mutter. Solche Worte, Mutter, wie die deinen, tragen die Stimme in sich. Ich will beginnen. –

Frau Mirjam (leise wie Hauch): Ja, – Guntwar –

Guntwar: Aber zuerst laß uns nüchtern werden! Mutter, gut klar! Ruhig wach! Die Rüstung anlegen, die so gut beschützt, – laß uns mit geruhigen Schritten gehen! Daß es uns nicht überwältige, fliegen voreilig und liegen dann vergehend im Trocknen. Wachen wir klar! Wachen wir gut! Wachen wir gut wachsam! Bring Licht, Elisabeth.

(Man sieht Elisabeth aufstehen. Wie sie gegen die Tür rechts zugeht, schließt sich die Bühne.)

(Ende des zweiten Aufzugs.)


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