Sophokles
Elektra
Sophokles

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Dritter Auftritt

Chrysothemis: Freudig komm ich, Liebste, hergelaufen,
das Schickliche mißachtend, um nur schnell zu kommen!
Denn Freude bring ich dir und Ruhe von den Übeln,
die du bisher ertragen und bejammert hast!

Elektra: Wo könntest du Trost für meine Leiden finden,
für die doch keine Heilung mehr zu sehn ist?

Chrysothemis: Orest ist da! – vernimm's von mir –
so leibhaft, wie du mich erblickst!

Elektra: Bist du toll, du Ärmste, und lachst
über deine Leiden wie die meinen?

Chrysothemis: Nein! Bei unserm väterlichen Herd!
Ich spotte nicht, denn er ist da!

Elektra: O ich Unselige! Von wem vernahmst du dieses Wort,
daß du ihm so vertraust?

Chrysothemis: Mir selbst allein, und keinem sonst –
weil klare Zeichen ich gesehn – vertraue mir!

Elektra: Welche Zeichen, Unglückseligste, hast du denn gesehn?
Was schautest du, daß du in solchem Feuer glühst?

Chrysothemis: Bei den Göttern, hör mich an! Und hast du es von mir vernommen,
heiß mich künftig weise oder närrisch!

Elektra: So rede, wenn es dich erfreut!

Chrysothemis: So sag ich alles, was ich sah!
Ich kam zu Vaters altem Grab
und seh von seines Hügels Kuppe
frisch gegossne Milchquelln fließen,
und rings herum bekränzt mit allen
Blumen, die's nur gibt, des Vaters Gruft.
Staunend, da ich solches sah, schaut ich umher,
ob jemand in der Nähe streife.
Doch da mir alles ruhig erschien,
trat ich näher an das Grab,
und sehe dicht am Rand der Ruhestatt
frisch geschnittnes Lockenhaar!
Wie ich Arme dies erschau,
erklingt mir in der Seele ein vertrautes Bild,
daß vom liebsten aller Menschen, von Orest,
ich diese Zeichen seh.
Und als ich's aufhob, brach ich nicht
das heilge Schweigen, doch freudig füllte
sich mein Aug' mit Tränen!
Und jetzt noch bin ich sicher, wie zuvor,
daß solcher Schmuck von ihm nur stammen kann!
Denn wen zierte solcher außer mir und dir?
Doch ich hab's nicht getan, noch du!
Wie auch? Vermöchtest du denn ungekränkt
zu Göttern fortzugehn aus diesem Haus?
Gewiß steht auch der Mutter nicht der Sinn danach,
und hätte sie's getan, so könnt's uns nicht verborgen bleiben!
Nein, von Orest sind diese Gaben!
Drum, Liebste, fasse Mut! Es gesellt sich nicht
den selben Menschen stets der selbe Daimon bei!
Uns beiden war er bisher gram.
Mag dieser Tag uns künft'ge Freuden schaffen!

Elektra: (ermattet)
O Törin! Wie dauerst du mich längst!

Chrysothemis: Warum? Erfreute mein Wort dich nicht?

Elektra: Du weißt nicht, wie sich dein Sinn verirrt!

Chrysothemis: Ich soll nicht wissen, was ich klar gesehn?

Elektra: Tot ist er, Unglückselige! Und was er dir versprach
an Rettung, ist dahin! Blick nicht auf ihn!

Chrysothemis: Weh mir, von wem hast du's gehört?

Elektra: Von einem, der sein Verderben selber sah!

Chrysothemis: Wo ist er? Denn Staunen faßt mich an.

Elektra: Im Haus! willkommen, und der Mutter nicht zuwider!

Chrysothemis: O weh, ich Arme! Doch von wem sind
die vielen Spenden an des Vaters Grab?

Elektra: Am eh'sten wohl von einem,
der des toten Orests gedenkt.

Chrysothemis: Weh mir! Freudig flog ich hierher,
dir solche Kunde zu bringen,
unwissend, wie unser Unheil steht,
und find die alten und noch neue Leiden!

Elektra: Wahrlich, so ist's! Doch folgst du mir,
so wirfst du ab des jetz'gen Leides Last!

Chrysothemis: Soll ich die erwecken, die der Tod verschlang?

Elektra: Nicht davon sprach ich! So von Sinnen bin ich nicht!

Chrysothemis: Und was verlangst du, das ich leisten könnte?

Elektra: Daß du auf dich nimmst, das zu tun, wozu ich rufe!

Chrysothemis: Kann ich helfen, so weigre ich es nicht!

Elektra: Bedenke nur, mühelos wird es nicht glücken!

Chrysothemis: Ich seh's, und will tragen, was ich kann!

Elektra: So höre denn, was ich entschlossen bin zu tun!
Was den Beistand von den Freunden angeht,
weißt du wohl, daß es keinen gibt, weil Hades
sie ergriffen und hinweggeraubt hat.
Ich aber, solang ich hörte, daß der Bruder
im Leben blühte, hoffte, daß er einst wiederkäm
als Rächer für des Vaters Mord.
Nun aber, da er nicht mehr ist, blick ich auf dich,
daß du nicht zagen wirst, den Missetäter,
der mit eigner Hand vollbracht des Vaters Mord,
vereint mit deiner Schwester zu erschlagen:
Aigisthos! Denn nichts mehr darf ich dir verhehlen!
Wie lange willst du leichten Herzens warten,
worauf noch hoffen? die du Grund genug
zu seufzen hast, weil man dir deines Vaters
reiches Erbe hat geraubt, zu seufzen, daß du
in unvermählter Freudenlosigkeit verwelken mußt!
Denn daß du dieses jemals noch erlangst,
darfst du nicht hoffen! So unbedacht wird
Aigisthos niemals sein, daß er dir noch mir
ein Geschlecht ersprießen ließe, das ihn verdürbe!
Doch folgst du meinem Rat, so darfst du dich der Treue
rühmen für den Vater und den toten Bruder auch!
Dann wirst du, so wie du geboren, eine Freie künftig sein
und würdig dich vermählen! denn es blickt jeder
gerne nach den Edlen! Und siehst du nicht,
welch großen Ruhm du dir und mir gewinnen wirst,
wenn du mir folgst? Denn wer unter Bürgern oder Fremden,
der uns so sieht, wird nicht mit solchem Lob uns dann begegnen:
›Seht diese beiden Schwestern, Freunde,
wie sie vereint das Vaterhaus erretteten!
Die beide vor den Feinden, als diese herrlich
noch einhergeschritten, nicht achtend ihres Lebens,
als Rächer dieses Mords erschienen sind!
Die muß man lieben, muß sie ehren
bei allen Festen, ob ihres großen Muts!‹
So wird man von uns reden,
daß, ob wir leben oder sterben,
der Ruhm uns niemals ausgehn wird!
Drum, Liebe, laß dich überzeugen!
Hilf dem Vater, dulde für den Bruder
und rette mich aus dieser Not, so wie dich selbst!
Bedenk auch dieses noch: schmählich zu leben
ist schmählich für edel Geborene!

Chor: In solchen Dingen ist Bedachtsamkeit gewiß
so sehr dem Sprecher wie dem Hörer Helferin!

Chrysothemis: Hätt' sie, ihr Fraun, schon ehe sie begann,
nicht so verkehrt gedacht,
sie hätte sich die Vorsicht wohl bewahrt,
die ihr nun fehlt!
Da du dich selbst zu solcher Kühnheit wappnest
und mich zu Hilfe rufst, siehst du denn nicht:
als Weib wardst du geboren, nicht als Mann,
und schwächer ist dein Arm als der der Feinde!
Auch wächst ihr Glück von Tag zu Tag,
und uns zerrinnt's zu nichts!
Wer also, der gesinnt ist, solchen Mann zu fassen,
vermag der Trübsal zu entgehn?
Sie zu, daß wir, so leidend,
nicht größres Leid uns schaffen,
wenn jemand unsre Reden hört!
Denn nicht befreit und nützt es uns,
wenn wir jetzt schöne Worte finden
und dennoch ruhmlos sterben!
Sterben ist ja nicht das Ärgste,
sondern wenn man sich zu sterben sehnt,
auch dieses nicht vermag!
Darum flehe ich dich an:
bevor wir völlig untergehn
und verödet unser Stamm:
bezähme deine Wut!
Was du mir hast anvertraut,
will ich als ungesagt und ungeschehn bewahrn!
Nimm doch Verstand an nach so langer Zeit,
daß du, die nichts vermag, der Macht sich beugt!

Chor: Gib nach! Nichts Bessres kann der Mensch gewinnen
als kluge Vorsicht und bedachten Sinn!

Elektra: Du überraschst mich nicht!
Ich wußte wohl, daß du verwerfen würdest,
wozu ich aufrief! So muß ich denn dies Werk
mit eigner Hand und ganz allein vollbringen!
denn ungetan laß ich es nicht!

Chrysothemis: Ach, wärst du doch dieses Sinns gewesen
bei des Vaters Tod! Alles hättest du vollbracht!

Elektra: Des Sinnes war ich! doch der Geist war schwach!

Chrysothemis: Diesen Geist behüte dir dein Leben lang!

Elektra: So mahnst du mich, weil du nicht handeln willst!

Chrysothemis: Weil wer so handelt, übel fährt!

Elektra: Als klug beneid ich dich, doch haß ich deine Feigheit!

Chrysothemis: Mit gleicher Ruhe werd ich's hören,
wenn du mich eines Tages lobst!

Elektra: Nie wird dir dies von mir geschehn!

Chrysothemis: Dies zu entscheiden, bleibt uns noch lange Zeit!

Elektra: So gehe! denn in dir ist kein Gewinn!

Chrysothemis: Er ist es! doch bei dir kein rechter Sinn!

Elektra: Geh hin! trag es nur deiner Mutter zu – deiner!

Chrysothemis: Mit solchem Zorn zürn ich dir nicht!

Elektra: Sieh doch, in welche Schande du mich stürzt!

Chrysothemis: Nicht Schande, doch Besonnenheit!

Elektra: Und deinem Urteil soll ich folgen?

Chrysothemis: Hast du ein weiseres, geh uns voran!

Elektra: Wie schrecklich, gut zu reden und doch so schlecht zu tun!

Chrysothemis: Du nennst genau das Übel, dem du selbst verfielst!

Elektra: Wie? scheint dir nicht, daß ich mit Recht so rede?

Chrysothemis: Doch kommt es vor, daß auch das Recht uns Schaden bringt!

Elektra: Nach solcher Satzung leb ich nicht!

Chrysothemis: Tust du die Tat, gibst du einst mir noch recht!

Elektra: Ich tue sie, von dir nicht abgeschreckt!

Chrysothemis: Ist es so? Willst du nicht neuerlich
mit dir zu Rate gehen?

Elektra: Hassenswert ist schlechter Rat!

Chrysothemis: Du siehst nicht ein, was ich auch sage!

Elektra: Längst hab ich dies beschlossen, nicht erst jetzt!

Chrysothemis: So gehe ich! denn weder vermagst du
meine Reden gutzuheißen noch ich die deinen!

Elektra: So gehe denn! Nie werde ich dich suchen,
und wenn du es auch noch so sehr begehrst!
Denn töricht wär's, dem Leeren nachzujagen!

Chrysothemis: Nun, wenn du selber meinst, Vernunft zu haben,
dann hab Vernunft auf deine Art!
Doch wenn du erst ins Unheil stürzt,
wirst du noch loben, was ich sprach!
(sie geht ins Haus)

Chor: Warum, wenn wir da oben
die sinnbegabten Vögel sehen,
die denen treu die Speisen schaffen,
von denen sie entsproßt, die sie gepflegt,
vollbringen wir dies nicht wie sie?
Doch bei dem Wetterstrahl des Zeus
und bei des Himmels Themis auch,
wird Strafe lange uns nicht fehlen!
O Ruf! dring in die Erde
hinab als Klagelied,
verkünde den Atriden,
die in der Tiefe ruhn,
wie Schmach sie trifft!

Daß dieses Haus am alten Leide krankt
und Streit die Kinder nun entzweit,
die Liebe nicht vereint.
Wie einsam wankt Elektra
die um den Vater klagt,
so schluchzend wie die Nachtigall!
Den Tod nicht achtend, nein, bereit
das Licht nicht mehr zu schauen,
wenn sie nur faßt die beiden Täter!
Welch Mädchen ist so edel wohl
vom Vater her geboren?

Denn keiner von den Edlen,
mag er auch elend leben, Kind,
will schänden solchen Ruhm.
Du wähltest dir ein tränenvolles Leben,
bereit das Schnöde zu besiegen
zu doppeltem Gewinn:
das weiseste und beste Kind zu sein!

Besiegend deine Feinde,
sei künftig reich und mächtig,
wie jetzt durch sie bedrückt!
Ich traf dich nicht im Glück;
doch treu dem höchsten Gut,
gewinnst du dir den Preis,
den Zeus der Tugend zollt!


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