Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die guten Hirten von Bethlehem! Jawohl und:
»Laßt uns jederzeit
Arme Hirtenleut'
Halten wert und hoch in Ehren.«
So singt das fromme Lied – die Heidjer (Heidebauern) aber denken anders darüber:
»Schäfer und Schinder
Geschwisterkinder.«
Wenn auch über die hundert Jahre ehrlich gesprochen – durch hochwohllöbliche Obrigkeit rehabilitiert und die Makula von ihnen genommen: der Heidjer weiß, was er von Schäfern, Müllern, Leinewebern, Nachtwächtern und Fillern (Schindern), Kuhlengräbern (Totengräbern), Musikanten und Kamöjemachern (Schauspielern) zu halten hat.
So gut wie vor alters wird in der Mühle auch heute noch »gemoltert«, und Meister Adebar hat seine triftigen Gründe, niemals auf ihrem Dache zu nisten, er weiß, auch ihn würde der schlaue Müller beschummeln und um das Seine bringen. Und aus dem Schafstalle verschwindet auch heute noch manches neugeborene Lämmlein, vom Webstuhle manches Zöpfchen Garn, wer kann denn immer und überall dabei sein und aufpassen.
Um Gottes willen, aber nur denken darf man, wie man denkt! Man ja den Mund halten, man ja sich mit ihnen stellen. Vornehmlich mit dem Schaper.
Was ein richtiger Heideschaper, der ist erfahren in der geheimen schwarzen und weißen Magie. Der kann hexen und prophezeien. Und kurieren kann er. Wo der Schaper im Dorfe keinen Rat mehr weiß, pah, was will da so'n Medizindoktor? Ja und die Schaper, aufs Wettermachen verstehen sie sich, mit besonderer Kunst – wer wüßte nicht von ihrem weltberühmten Thomas, leider aber auch aufs Raupen- und Mäusemachen und ähnliche schädliche und schändliche Dinge. Darum, liebes Kind, wahr' dich, sei nett und immer höflich – nimm tief den Hut vor ihm ab, so du in der Heide einen Schaper siehst.
In der Brutlagsheide ist's passiert, nördlich der Aller. Steht hier an einem silberklaren Septembernachmittage der Gemeindeschaper von Wesendorf und hütet seine Schnucken. Weit ringsum ausgeschwärmt sind sie, o heilige Genügsamkeit und es schmeckt ihnen! Prachtheide freilich auch in der Brutlag, die Wesendorfer Schnucken können lachen; großartige Leckerbissen wachsen da zwischen den Bülten, wo sich's zum Hestenmoor allmählich senkt, Windhalm, Schwingel und Wollgras, saftige Rüschen (Binsen).
Die schlanken Läufe und krummhörnigen Köpfe, beides glänzend schwarz wie Ebenholz, und der Wolle Silbergrau, die lustigen Ringellöckchen. In der Herde ein ewig Geschnucker – stille stehen, mal verschnaufen eine Sekunde: gibt's nicht! Und die jährigen Lämmer Schnückenlämmer sind im ersten Jahre alle schwarz. Wenn sie's zu bunt treiben, kommt in würdevoller und zugleich drohender Haltung der alte Herdbock. Das dämpft im Handumdrehen den Uebermut. kohlschwarze, niedliche Bötel, treiben ihre Scherze. Besonders die Böcklein, die fangen an sich zu fühlen und es juckt sie in den sprossenden Hörnern. Na, na, der alte Herdbock wird gleich kommen.
Schnucken der Heide – gar nicht zu vergleichen sind sie doch mit den gewöhnlichen dummen Bähschafen draußen!
Ein [deftiger] Kerl, der Schaper, wie in Eins aus Kienholz grob zusammengezimmert. Die ebenmäßige Nase, die haarigen Ohren mit blinkernden Ringen und die harten Zotteln des grünlich-grauen Kraulebartes unterm Kinn, der sehnige Hals und darunter leibwärts der Heik: das altmodisch wunderliche Ungetüm von Überrock aus hausgewebter Schnuckenwolle, abgetragen und verwittert – schwarzgrünlich-graubraun, wie die Winterheide, wenn's taut. Von einem Plaggenhügel herunter, den Eichheister im Arm, in den Händen das Knüttzeug (Strickstrumpf), regiert der Alte seine löblich konservativen Untertanen. Rammfest steht er da, in Holtenstäweln (Stiefel mit Holzsohlen). Regungslos, wuchtig, gleich einem erzenen Standbilde seiner selbst ragt er auf in die reine Luft. Pollo, der Reichskanzler hockt ihm zu Füßen.
Queröd Heide, Well' an Welle ein braunes Meer, umgrenzt von sanft geschwungenen, wonnig umblauten Linien. Silberiger Sand blutet hervor unter dem knorksigen Kraut, wo Risse im Boden. Feuersteine liegen im Sande herum.
Voll atmet die Heide aus ihren köstlichen Duft. Wind frischt die Brust. Am Himmel segeln kleine, lichte Wolken eilig hintereinander dahin, und die Sonne blinzelt ihnen nach und hat ihren stillen Spaß daran. Die Wolkenschatten geistern über die Heide, über die weißen Birkenstämme, über das dunkle Wachholder- und Fuhrengrün. Und tiefste, wundertiefe Stille rings, die Schatten – es ist schier, als hörte man sie auch zugleich. Immerdar im Traume doch die Heide, ob Sonne oder Mond am Himmel. Wachen Auges und Ohres träumt sie, wenn im Sonnenglast die Libellen und Schmetterlinge und all die tausend sommerfrohen Käfer, Grillchen, Immen sie umschwärmen. Blüht sie aber, die Heide: o sieh, da schimmert ein rosiges, bräutlich-keusches Lächeln in ihrem verträumten, ernsten Antlitz. Ein Septembertag jedoch heute, gerade vorbei die Blüte, auf ein langes Jahr vorbei.
Doch was kümmert's den Schaper! Der Schaper steht da und knüttet und denkt an nichts; Pollo kratzt sich und denkt an nichts; die Schnucken trappeln herum und scharren und fressen und denken gleichfalls an nichts.
Da horch: Wagengerassel plötzlich auf der gänzlich verödeten alten braunschweigisch-lüneburgischen Heerstraße, die in etwa Steinwurfsentfernung ihren langen weißen Halbierungsstrich durch die Heidewelt zieht.
Sollte man's für möglich halten: ein Gespann!
Pollo, der Schaper, die ganze Herde hebt in Eins den Kopf wie am Schnürchen gezogen. Alles äugt hin, doch gleichgültigen, halben Blickes, wie man wohl unter währender Predigt nach einem Niesenden oder Hustenden sich wendet. Nur der stattliche alte Herdbock reckt den Kopf mit den kühn gewundenen Hörnern und blickt schärfer, unangenehm berührt, offenbar, ob der Störung, und er blökt etliche Male, kurz abgerissen, als keimten ihm Gedanken.
Im Wagen ist Streit entbrannt. Es ist der vielbewunderte, schöne, hochräderige Doktorwagen von Gifhorn und der Doktor kampelt sich wieder einmal mit Friedrichen, seinem Kutscher, herum. Richtewege auszuforschen nämlich, kühn, mit Todesverachtung, das bleibt nun mal des Doktors Passion. Friedrich denkt aber leider immer mit Sancho Pansa entgegengesetzt. Und Friedrich weiß seinen Standpunkt zu behaupten.
Nach dem abgelegenen Heidedorfe Ummern soll heute die Fahrt gehen. Eile ist von nöten. Der große Deicke-Fabelmann von Ummern hat geschickt, seinen Hütejungen, einen flachshaarigen, resoluten Bengel: vornüber in die Forke wäre der Bauer gefallen beim Ausmisten und das schon vor drei Tagen; drei Löcher im Pansen (Bauch) – grausam viel Weihdag (Schmerzen).
»Friedrich,« ruft der kleine Doktor, beißt sich die Unterlippe, lugt schiefen Blickes durch seine großen, blanken Brillengläser und hippelt wie ein aufrecht Hamsterlein: »Hörste endlich, Friedrich, hier wo 'rum könnten wir ab, schneiden sicher um 'ne volle Stunde.«
Friedrich schlenkert mit der Leite (Zügel) und tut, als wäre er taub.
»Zum Henker,« schnauzt der Doktor, »willste oder willste nicht?«
»Wi bliwt so bi, Schassee. Gaht hier ja glieks int Moor rinn. Versacken und versupen daut wi ganz sicher noch mal.«
»Maul halten, Esel,« der Doktor: »hab' ich hier zu befehlen oder du? Halt, da seh' ich 'nen Schäfer, halt, brrr, will doch gleich mal fragen; der hat sie in der Westentasche, die ganze Heide.«
»Christi Barmherzigkeit, nee, nee, Herr Dokter, man blot nich mit'n Schaper anbinnen! Hei behext uns 'n Weg, och un'n Patschenten ok taugliek! De Bur bliwwt dod, ganz sicher! Trau einer 'n Schaper!«
»Pah, Hühnerglauben! Ruhig, alter Dröhnbartel! Du alter Schrapenpüster! Alte Bangeböchse! Brrr, will'n gleich selber fragen, brrr!«
Die Pferde stehen.
Der Schaper sieht den Doktorwagen, läßt das Knüttzeug sinken und hebt wie ein Geier beobachtend den Kopf: »Wat, in Ummern wer patschent (krank) – un schickt nah'n Dokter, so'n Döskopp –?«
Erst als er den Schaper, blau vor Arger, zum dritten Male angerufen und gefragt hat, wird dem Doktor in Gnaden Antwort: »Man bautz rinn hier in de Mahtheid« – Ausspucken; Nachsinnen – »un man ümmer hotteweg nah Klock föß Nach der Richtung, wo die Sonne nachmittags um sechs ihren Stand hat. Stand der Sonne eine vielgebrauchte Richtungsbezeichnung unter den Heidebauern. hentaustüren« – abermaliges mehrfaches Ausspucken; Nachsinnen – »un dunn bi de olle Voßkuhle (Fuchsbau) van de drei Heidwege, de hier sünd, links aff den smallen (schmalen).«
Friedrichen läuft die Galle über: »olle Hexenmeister!« zischeln seine Zähne.
Der Alte, der's gehört hat, für sich: »Täuw man (warte), davör sast du mick betahlen!« Und zum Pollo gewandt, nach einer Weile hämisch: »Ha, small sünd se alle drei! Ole Dietwege Dietwege: Die uralten Spuren der Frachtwagen, labyrinthisch durcheinander laufend, da man auf dem Heidekraute besser fuhr wie im Sande und getrost frei nach der Himmelsgegend seinen Kurs nahm. Solche Dietwege kann man noch vielfach sehen in der Heide. fünd't – eine Traje (Wagenspur) bi be anner, paß up, Pollo, paß up!«
Friedrich haut wütend in die Pferde, der Wagen rumpelt in allen Fugen krachend von dannen.
Wehe, aber wehe, was passiert? In die Dietwege ist man geraten, natürlich, und nach einer fast zweistündigen, wahren Marterfahrt kommt der Wagen genau da, wo er verschwunden, wieder zum Vorschein. Doch schneckenlangsam, ein Anblick zum Weinen! Nabe ab, Reifen ab und einen doppelten Achsenbruch hat's gesetzt! Die Pferde sind mit Schaum bedeckt über und über und können kaum mehr jappen, und Herr und Knecht helfen schieben, schweißtriefend, laut ächzend. Und beide in Wut schimpfen den Schaper herunter – auf dem gleichen Fleck finden sie ihn wieder, mitsamt Eichheister, Strickstrumpf und dem Pollo; nur die Schnucken in ihrer Unrast haben sich weiter auf die Wachholder zerstreut; (wo sie eigentlich nicht hindürfen, die schlimmen Waldverderber).
Der Schaper aber läßt sie sich austoben, Kutscher und Doktor, ruhig weiterstrickend, ohne eine Miene zu verziehen, als hätte er's mit unartigen Kindern zu tun. Doch endlich hebt er die Nase und blickt auf und spöttisch verziehen sich die harten Lippen: auf den Punkt bezeichnet er ihnen unheimlichermaßen darauf die Stelle, wo sie abgekommen sind, um sodann wieder nach rückwärts einen richtigen Zirkelkreis zu umschreiben; der Alte kennt seine Heide und ihre Nucken.
Starr vor Staunen und Schrecken darob Herr und Knecht und sehen sich an. Und ganz blaß ist der Herr Doktor geworden, ganz verstört, der kluge Doktor von Gifhorn.
Kein Sterbenswort ist mehr gesprochen worden. Man weg, man schleunigst aus dem Bannkreise heraus. Um Gottes willen, daß den Pferden nicht auch noch was passiert!
Friedrich darauf mit dem zertrümmerten Wagen zurück nach Hause, der Doktor jedoch will zu Fuß eiligst weiter und solide auf der Landstraße seiner Pflicht nach; sein Gewissen peinigt ihn, der unglückselige Kranke, was soll daraus werden?
Kaum hat er's gedacht, als der Doktor plötzlich auch von außen zum Aufbruch gemahnt wird – von hinten, durch einen wohlgezielten Puff. Bis fast auf die Straße fliegt er, durch den Brahm (Ginster) und gegen eine Birke schließlich, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Groß sein Schreck, und beide Hände preßt er feste hinten an. Eine recht erbärmliche Figur macht der Doktor.
Was war's gewesen, der alte Herdbock hatte nur den richtigen Zeitpunkt wahrgenommen und seine Meinung zur Sache geäußert. Und befriedigt, in der stolzen Haltung des Siegers schreitet er nun langsam wieder zurück, zu den Seinen.
Vorwärts nun aber, Herrgott, hin endlich!
Doch nur ein paar hastige lange Schritte und – den Jungen von Ummern sieht er plötzlich vor sich, schnaufend, ganz außer Atem, und er winkt dem Doktor und ruft, daß es weithin über die Heide schallt: »man äewer Ors (rückwärts) wedder trügg – nich mehr nödig, dod is de Bur, dod!«
Und hat der Schaper darauf sich gebückt und gewaltigen Schwunges eine große Plagge geschleudert unter die Schnucken, mitten hinein in den dicksten Haufen, und voll grimmigen Hohns aufgelacht hat er:
»Noch 'ne Matte Getreidemaß. för'n Witten!« –
Hanebutt ruft's, der Poltergeist. Schnell, Cord, an die Haberkiste, ihm gehorchen, es nicht mit Hanebutten verderben!
Da, wiederum, ungeduldig, voll verhaltener Tücke: »Noch 'ne Matte för'n Witten!«
Aber das Schnarchesägen in der Knechtekammer wird nur lauter – Eichenknastholz; Cord schläft und des Schloßherrn Leibroß, der dicke Schimmel, hungert.
Und Hanebutt sieht's nun: überhaupt noch nichts eingeschüttet gehabt hat der Schimmel, sein Liebling, nicht Hack und nicht Mack, schändlich!
Gräuliche Verwünschungen stößt der Poltergeist aus, faucht, knackst wie ein Schuhu und zum dritten Male schrillt messerscharf sein Ruf: »Noch 'ne Matte för'n Witten!«
Vergeblich, das ganze alte Castrum derer hochedeln Herren von dem Knesebecke schlummert weiter.
Ihren Rausch schlafen sie aus, nämlich, Herrschaft und Gesinde.
War ein grauslich Schmieren im Schlosse, noch als die Sonne bereits überm Malloh herauf, die Leu- und Oherwiesen übergoldend, die fünf Zinsmühlen längs dem Knesebecke. Ha, lustig gezecht wurde noch, als die Dorfeingesessenen mit Sensen und Harken zu Felde gingen. Denn noch mal wieder gefreit hat der alte Herr Paridam von dem Knesebecke, ein hochgeborenes Täubchen, blond und blaß und minniglich, aus dem vieledeln, doch armen Geschlechte der Estorffs im Ülzerlande. Das soll ihm nun die Vollmondsplatte streicheln und den wohlgepflegten, ritterlichen Knebelbart.
Hanebutt hört auf zu wüten, besinnt sich und krakelt in sich hinein: »will euch schon kriegen!«
Ein gespenstischer Hahn, steht er plötzlich da, riesengroß, knallrot, mit einem siebenzackigen Kamm auf dem Kopfe und blauschillernden, tiefherabhängenden Halsklunkern und mit stahlscharfen Sporen an den Füßen. Und ein höhnisches Gegacker stößt er aus, hebt das linke Bein und macht ein paar Tritte kurz hintereinander weg, lockert das Gefieder, fuchtelt mit den Flügeln – da und zurück wirft er plötzlich den Kopf, die Kehle bläht sich auf, der Schnabel holt tief von unten herauf aus: »Kikerkiäh!« erdröhnt's, wie geblasen aus der Posaune des Weltgerichtes, die ganze alte, tiefvermauerte Ahnengruft unter der Schloßkapelle sollt's in eins auf die Beine bringen. Doch nur ein einzig Menschlein hört's und erwacht: Bernd, der Kleinknecht; Cord dagegen, der Großknecht, dreht seufzend sich auf die andere Seite und sägt einen neuen Ast an. Verschwunden aber ist der Hahn, als wäre er wie eine Bombe im Krähen zerplatzt.
Die Wirtschaft heute früh, o weh –! und den Schlaf aus den Augen reibend, wendet sich der Bernd und wirft einen giftigen Blick auf den Schläfer neben sich: »Täuw man, hüt' faste mick daan glöwen mit dinen Hanebutt!«
Einen Pick haben die beiden Knechte aufeinander. Seit die neue Magd in der Küche schaltet, die schöne Abelke, krausköpfig und vollbusig, so ihnen jählings in Minne die Herzen entzündet, beiden zugleich. Cord aber ist der Begünstigte, weil er schlanke Beine hat und einen Schnurrbart; der Bernd dagegen mit seinen Säbelbeinen, seinen Sommersprossen, seinen abstehenden Ohren. Und der Schimmel – immer 'ne Matte extra, das schlägt ihm an, freilich. Seinen Narren hat Hanebutt ja nun mal in den Schimmel gefressen. Auch striegelt er ihn und feiern kann der Cord, zur Abelke gehen, Bernd aber muß sich herumquälen mit dem Blessen, seinem klapperigen Braunen. Nun aber ist das Maß voll. Das weiß jedes Kind: kein Poltergeist läßt im Allergeringsten sich »für'n Lütjen brauchen« (necken), stracks hat er »seinen bösen Kopf auf« und dann Wehe!
Wie jedoch ihm beikommen? Zu hören ist er ja, der Poltergeist, alle Tage und deutlich genug, aber sehen läßt er sich nicht, wie's nur anfangen? –
Auch Hanebutt im Stalle neben dem Schimmel ist in Betrachtungen versunken: Die längste Zeit ist er nun wohl bei den Knesebeckischen gewesen. Im efeuumrankten alten Schlosse – heimisch hat er sich darinnen gefühlt schon manchen lieben Tag. Dafür war er aber auch dankbar den Schloßleuten, Saatgetreide ausgelesen, Holz gespaltet hat er ihnen, Wasser geschleppt und aufgespült, gescheuert und geputzt bis oft der Buckel ihm brannte vom Bücken. Geradezu geschunden hat er sich für sie. Und warum? Ja wenn's kein Gewissen gäbe. Auch die Poltergeister haben ein Gewissen. Denn ach seine schweren Missetaten weiland! Als Schnapphahn, jawohl! Am drögen Vetter (Galgen) dafür der Lohn. Und keine Ruhe danach im Grabe, natürlich, im Grabe unterm Galgen: umgehen zu müssen bis zum jüngsten Tage, oh 's ist ein Jammer!
Ganz blümerant wird ihm, schon will er ein Auge zudrücken für diesmal und sachte auf lange verschwinden – da, was geschieht?
Der tückische Bernd kommt geschlichen: eine Matte mit – Sägespänen setzt er vor dem Schimmel nieder, lacht sich was hinten im Halse und verschwindet wieder.
Schändlich!
Durchs ganze Schloß gellt sein Wutgeschrei, Rache schwört der Poltergeist.
Im Nu ist er im Wartturm. Eine Fledermaus sich hier gefangen, die Leber ihr herausgerissen, damit fort und sie hinter den Schornstein geschmissen, oben überm Rittersaal, um sie herbeizubannen, die »Undinger«. Sofort haben die auch Witterung gehabt und sind gekommen und hinabgefahren durch den Schornstein ins Schloß.
Aus ist's mit der Ruhe und Behaglichkeit, nicht schlafen können sie mehr, Herrschaft und Gesinde, zur richtigen nachtschlafenden Zeit. Schreckliches Geschlurfe immer bis zum ersten Hahnenschrei, Pochen, Hin- und Hertrappeln, Rollern und Bollern, als wenn gekegelt würde; dazwischen Heulen und Ächzen, Katern und Krächzen, Blahren, Grunzen, Meckern, Bellen und Miauen, und wie menschliche Laute dann wieder dazwischen hinein, abwechselnd Hohnlachen und Schmerzensgeschrei. Dann ist's auf dem Boden, dann in der Rauch-, dann in der Rumpel-, dann in der Rüstkammer, sogar unterirdisch zuweilen, im Keller zwischen den Kruken und Fässern, und in der Wagenremise, im Holzstall, im Speicher, in der Küche zwischen dem Geschirr – jede Nacht wo anders, ja oft überall zugleich.
Haben im Schlosse zuletzt nicht mehr aus und ein gewußt.
Nach Isenhagen zum Kloster der heiligen Mutter hat da Herr Paridam geschickt in seiner Not und ist die Domina gekommen mit all ihren Nonnen. Räucherwerk haben sie abgebrannt, mit dem Weihwedel besprengt jeden Winkel im Castrum, volle drei Tage lang ist exorzieret worden, doch alles vergebliche Mühe.
Die Fledermausleber – endlich findet man sie, ja und nun weiß man Bescheid. Schnell Baute tun (den Bann brechen): auf den Mist damit!
So. Ausfahren muß das Gelichter nun wieder. Innerhalb 24 Stunden. Aber einen Denkzettel sollen sie mit auf den Weg haben. Herr Paridam deshalb, halb närrisch vor Wut, sich seinen längsten Spieß aus der Rüstkammer geholt, 14 Schuh lang, und ein großes Treiben stellt er an mit allen seinen Knappen und Knechten und bewaffneten Lehnsleuten.
Jedoch keine Klaue, keine Feder, unsichtbar hat sich natürlich alles schleunigst gemacht. Zuletzt aber, als man schon die Hifthörner am Munde und abblasen will, da ist's Herrn Paridam wie leises Gekrakel immerfort dicht vor ihm her: »Kikerik, Kikerek.«
Was, ha, äffen soll er sich noch lassen. Wutschnaubend der Ritter hinterdarein, kreuz und quer im Schlosse herum, bis zuletzt zum obersten Turmboden hinauf, dicht unterm Hahnenbalken, da verstummt das Gekrakel. Und da mit einem Male: ein erschröcklich Ungetüm von einem Hahnen sieht er plötzlich vor sich auf dem Hahnenbalken sitzen, aufrecht, wie ein Geharnischter.
Herr Paridam holt aus mit seinem Spieß und triumphiert:
»Erzhexenmeister, nun sollst du aber was anderes gewahr werden, ha, nun hab' ich dich!«
Auf den Hahn einstechen will er, doch: »Brrr!« – hinausschwingt dieser sich durch die Eulenluke in die freie Luft!
Ausfährt der Poltergeist und mit ihm zum Schornstein hinaus im selben Augenblick die ganze übrige Bagage, wie auf Kommando.
Das hahnene Ungetüm draußen – immer größer wird's und seine Flügel rauschen, als flatterte hoch überm Schloßdach ein großmächtiges hochzeitliches Laken im Winde.
Dreimal um den Turmknopf kreist's nun, pfui und nach dem dritten Male läßt's was fallen, dem Ritter prick auf die Nase, und ertönt aus der Höhe eine Stimme:
»Kikerik, Kikerek,
Hast 'n ollen Dreck!«
Eine Hundegeschichte.
»Jürn regiert«, plinken sich die Nachbarn zu.
So ist's, Jürgen Prielop in Sprackensehl, der große Vollmaier und Kirchenvorsteher bringt seine Leute auf den Schwung. Keine Arbeit ist ihm zu Dank, und als sie ihr Teil weg haben, die Knechte und Mägde, geht's schändlichermaßen auch noch über das liebe Vieh, dessen doch der Gerechte sich erbarmt: dem täppischen, kleinen Pollo – einen barschen Fußtritt versetzt er ihm, für sein Wedeln und freundliches Tun. Das unschuldige Hündlein, sechs Wochen alt, ist ja allein schuld, daß Vater Jürgen heute seinen bösen Kopf auf hat. »Er hat seinen bösen Kopf auf« = schlechter Laune Seines bloßen Daseins halber. Nämlich der alte Pollo, Pollo der Große, der nie Besiegte, der Einzige, Unvergleichliche – an der Räude mußte er in der Nacht elendiglich verrecken. So 'n Ende!
Einen solchen Hund sieht die Welt nicht wieder! Echte Schäferhundrasse, langhaarig, graubraun; eine prachtvolle wahre Fuchsrute hinten, buschig und schön, aufrechte Ohren wie ein Wolf, Löwenmähne, Bärenpranken; ah und die treuen, klugen, die tiefen, stolzen, braunen Augen, der verständige Blick – der Blick, der unvergeßliche Blick!
Wie soll man sich den Jürgen nun ohne seinen Pollo denken?
Groß ist sein Schmerz. Allein muß er nun schmöken und im Kalender lesen, allein sich im Lehnstuhl bedenken, und frühstücken und vespern, in den Krug und Nachbarn besuchen gehen, allein zu Felde und nach dem Land sehen, allein sich högen und allein sich gnitten. Und die verlassenen Schafe!
Hin ist hin. Pah, der Thronfolger, jeder andere Köter: keinen Schuß Pulver wert sind sie, alle miteinander.
Mittags ist's und die Kohlsuppe wird aufgetragen, und da endlich setzt sich Vater Jürgens Schmerz und er faßt einen verwegenen Plan. Pollo erhält ein ehrenvoll Begräbnis, ganz nach Verdienst und Würdigkeit. In geweihter Erde, hinter einem feierlichen Wachholderbusche, wenn auch bescheiden abseits am Zaune. Da der Friedhof in Prielops Gerechtsame liegt, ließ sich's unauffällig machen.
Niemand im Dorfe hat eine Ahnung davon, und der Bauer lacht sich 'was in die hohle Hand: das sollten sie man wissen, der Küster und der Pastor.
O weh, der geprellte Küster aber kommt bald dahinter, rennt spornstreichs zur Pfarre und lamentiert: »Sünde und Schande, Herr Pastohr, kein Christentum mehr in der Gemeinde – auf 'm Hund, buch–stäb–lich! Herr Pastohr und das will Kirchenvorsteher sein, will Beispiel geben.«
Stracks wird Vater Jürgen gerufen.
»Aber Prielop, was soll das heißen? Nein, das kann nicht sein! Freilich, so lieb man ja auch einen guten Hund haben kann, habe selber zwei, Sie wissen –
»Och, Herr P'stohr, sei verstaht da ja wat van: dat was Sei kein gewöhnlichen Hund, min Pollo! So 'ne klauke Vismacholl (Physiognomie), ick segg Sei, liek as 'n Avkat. Hei harr mehr Grips in'n Kopp, as de ganzen Sprackensehler tausam, wi beide utgenamen; mit minen ollen Pollo, Herr P'stohr, harrn Sei up Latinsch snaken könnt.«
Der Hund verstünn de Kunst (»der Hund versteht die Kunst«: er kann Schafe hüten), hei was 'n ganzen staatschösen Schaperhund, Herr P'stohr, ganz mordschen! Bautz ümmer ran: un rum de Schape, un anfaten dä hei nich, un nich rut ut de Foor (Grenzfurche), ümmer up un dahl, »hachel, hachel« – de Tunge lang ut'n Hals, nich: »kiek mal weg«, keinen Ogenblick. Allens mak hei richtig. Ganz alleene könn ick'n bi de Schape laten. Wenn ick'n morgens de Koppel wiesen dä und sä: »Kiek, Pollo, düsse Koppel haste vandag afftauhäuen, bet Vespertied, Klock söß. Nu paß up, dat se ornlich wat in de Knacken kriegt. Man nich tau hilde (eilig), lat sei nich tau rasch de Koppel rup, de ollen Schape, nahst sünd se dünn quälfretsch (wählerisch) un du hast man blot innen Gnitt dabi.« Zweemal: »Blaff! Blaff!« antwurt hei mick dünn un ick könn ruhig nah Hus gähn. Nee, min Pollo!«
»Der Pollo! hab' ihn gekannt, freilich!« nickt Hochwürden, und Vater Jürgen schwögt weiter:
»Och un ok'n wachsamen Hoffhund, Herr P'stohr, wo sick man wat rögen dä bi Dag und bi Nacht, hei güng daup los, as Paulus up de Korinther! Pottsdeuker un Appel harr hei, un wenn ick sä: »Pollo, such, Apport!» – allens finn hei wedder. Ja un ok bi de Jagd was hei tau bruken. Nahwer Drenkmanns Karo äwerst, Herr P'stohr, de fleutjet un högt sick sicher wat, dat hei nu dod is. Jeja, nich ruken könn'n de beiden sick, liek heil und deil äwerslucken woll ümmer furns de eine den annern; Pollo äwerst kreeg den Karo regelmäßig dahl. Ja un irst lange de besten Frünn – woher dunn mit einmal de Wut up'nanner? 'n oll Hamelbein was da schuld an.«
Hochwürden wird ungeduldig, Vater Jürgen aber läßt ihn nicht zu Worte kommen:
»Blot ein Laster, da was hei nich van aff tau bringen, de Pollo. In Behren, bi Föster Schräger, harr hei 'ne Brut sitten, un wenn hei an de denken dä, was't vörbi: furns (sofort) henn, up de Städ, da gaww't kein Stüren un Holen, Herr P'stohr, da könn'n Se 'n liek um dod wammsen. Klöternatt mannichmal wedder trügg, Haue dunn, un melankolschen oft, ne ganze Tied, äwerst –«
»Schon gut, Prielop –«
»Och un Musche (Monsieur) Karo – Herr P'stohr, dat mudd ick Sei noch vertellen: de harr denn würklich mal gegenbuhlerische Affsichten, au Kinners –«
»Schon gut, Prielop, schon gut!« Hochwürdens Geduld ist nun erschöpft. »Ein Hund, Prielop, bleibt ein Hund. Mit Unterschied, gewiß, freilich. Der brave Pollo, aber's hilft nichts, 'raus muß er wieder.«
»Och, Herr P'stohr, hei liggt da ja nu mal un slöppt in Frieden; un'n nu wedder utkuhlen, minen Pollo, nee, dat bring ick nich äwert't Hart! Herr P'stohr, Sei widd mick doch ok nich vör dat ganze Dörp blamieren, dat ick dat daun sall?«
Der Pastor zuckt die Achseln.
»Ja so, Herr P'stohr,« tritt ihm Jürgen darauf näher, vertraulich, wichtig, »ja so, dat harr ick bienah vergeten, Pollo hat de Karte ok wat vermakt: twintig Daler, jawoll, un teihn Daler för 'n Armenblock.«
Hochwürdens Lippen kräuseln sich gutmütig und schleunig verschwindet der Bauer: »Adjüs ok, Herr P'stohr, ick bedank mick ok veelmals!«
Tage vergehen, Pollos Grab bleibt, wie es ist. Endlich aber reißt dem Küster die Geduld: »Herr Pastohr,« sagt er, als er Sonnabend den Kirchenzettel zu holen kommt, »Herr Pastohr, der Köter liegt ja da ümmer noch? Und nu gar noch mit 'nem Kranz daauf.«
»Was Sie sagen, mein Lieber, da muß ich Prielop doch fragen, was das bedeuten soll. – Wie, aber den Pollo jetzt noch ausgraben, pfui in der Verwesung, das gute Tier? Will Ihnen 'was sagen, mein Lieber: mag in Gottes Namen Gras darüber wachsen, freilich, das wird das Beste sein. Hören Sie, er will sich's auch 'was kosten lassen, der Alte, für die Gemeinde. Na, so drücken wir denn mal 'n Auge zu, Pollo hat's verdient, freilich, gönnen wir ihm den stillen Wächterplatz am Zaun.«
Nach langen Wochen, da eines Nachmittags begegnet Hochwürden dem Alten. Man klöhnt über das gute Heuwetter und wie die Saaten schön stehen, und als man sich endlich vorm Pfarrgarten trennen und der Bauer die Mütze lüften und »inklappen« will in die ihm freundlich dargebotene Hand, da fragt Hochwürden: »Nun, Prielop, Sie lassen ja gar nichts darüber verlauten, wie steht es denn eigentlich mit Pollos Testament?«
Der Alte – ganz unschuldig und überrascht tut er: »Wo? Wat? Dat Testament, Herr P'stohr? Jeja, bat verflixte Testament! Herr P'stohr, wer harr bat van 'n ollen Bengel dacht – nu is't lutwöhrig worr'n: dat was Sei 'n Lork, jawoll, de harr Kneep (Kniffe) in 'n Kopp! Wat dat hei? Drei Tage vör sinen Tod hat hei sick anners besunnen, da hat hei de dörtig Daler sine Brut vermakt un weg sünd se, Adjüs ok, Herr P'stohr!«
Bälgentreter Lühmann kann nicht mehr, er hat seine Achtzig auf dem Buckel. Hüsers Luten (Ludwig) sollte sein Nachfolger werden – sollte! denn es kam leider anders.
Ermahnt ihn der Herr Kantor am Probesonntage, unterm Läuten, noch im letzten Augenblicke, voll böser Ahnungen: »Die Hauptsache beim Bälgentreten, hören Se, Hüser, wie gesagt, die Hauptsache ist, verstehen Se mich, daß die drei Balken immer dahl sind. Merken Se sich das. Daß Se mir ordentlich aufpassen, Hüser, hören Se, sonst werden Se stantepeh wieder abgesetzt.«
»Herr Kanter,« antwortet Hüsers Luten und tut ganz gereizt, »man keine Bange nich, Herr Kanter, will mick woll rinnfreten in den Kram.«
Und das verwachsene Männlein, ein ehrsamer Flickschneider von »Profeschon«, dienert rechts und dienert links sich selber was vor, reibt sich die knochigen Schneiderhände und tut mächtig groß.
Der Gottesdienst beginnt. Die ganze Gemeinde legt los, aus voller Puste:
»Sollt ich meinem Gott nicht singen,
Sollt ich ihm nicht dankbar sein!
Denn ich seh in allen Dingen,
Wie so gut er's mit mir mein' –«
Da, horch: »Rack – rack – rack –« die Orgel, um Gottes willen, was ist? Und Gepolter zugleich, zwischendurch halbunterdrücktes Stöhnen –?
Die Bauern risch auf die Beine. Reihenweise stehen sie in den Priechen, Schulter an Schulter und reckhalsen, wunderwerken:
»Kinners, wat is düt?«
»Is denn de Bulle un in de Ordel tau Gange?«
»Is am Enn gor 'n unsaubern Geist da in?«
Stopp macht nun der Kantor und fährt sich über die Glatze, mit beiden Händen. Sieh und da tritt auch schon der Herr Pastor aus der Sakristei – alle vier Kirchenvorsteher ihm entgegen: schnell alles zum Orgelboden hinauf und dann mit dem Kantor in die Bälgenkammer. Da, ach Gott, welch ein erbärmlicher Anblick! Hüsers Luten – längelang auf den Bälgebalken liegt er, in Angstschweiß gebadet, zitternd, leichenblaß. Aber in heller Wut rappelt er sich nun an den Latten vom Blasebalg auf, befühlt erst den Buckel und die Beingelenke, dann aber bricht zornübermannt er los:
»Herr P'stohr, Herr Kanter, ha, ick vernehm mick da nich ut! Dahlhollen sall ick se doch de ollen Balkens, alle drei – jawoll alle drei taugliek, so heww ick Odd'r ( ordre). Ne äwerst keine Minschenmöglichkeit! Wat de bütelsten (äußersten) twee sünd, unner Ellbog und Knei, bi de güng't ja upletzt, äwerst« – und dem betreffenden Balken zugleich einen Fußtritt versetzend – »den middelsten, unnern Buk, den Hund kann ick nich twingen, de bört (hebt) mick ümmer hoch as 'n ollen doden Kater.«