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Dritter Theil

Mynheer van Hoorn hatte bald nach seiner Ankunft in Batavia in dem reizend gelegenen Buitenzorg ein auf das Reichste eingerichtetes Haus bezogen, das von einem in der seltensten Pracht blühenden Garten umgeben war. Hier lebte er mit all' dem Glanze und all' dem Aufwande, der sich für einen ostindischen Nabob ziemte. Aber bei allem Reichthum, den er um sich entfaltete, trotz aller Gelüste, die er, wenn sie in ihm aufstiegen, befriedigen konnte, kam keine ächte Ruhe, keine wahre Zufriedenheit über ihn. Er hatte dieselbe Empfindung, die einst den Damokles befiel, als dieser, da er an der Tafel des Tyrannen schwelgte, plötzlich das scharfe Schwert erblickte, das an einem Pferdehaar über seinem Haupte hing. Es giebt eine Last im menschlichen Leben, welche derjenige, der sie sich einmal aufbürdete, nicht wieder von sich wälzen kann, und wollte er der Welt Schätze daran setzen. Es ist die Qual des bösen Gewissens, die ihn unablässig foltert, die ihm jeden Genuß verbittert und den Schlaf verscheucht, wenn er kaum das brennende Auge geschlossen hat.

Der reiche Bewindhebber hatte sich mit seinen Gästen von einem schwelgerischen Mahle erhoben und diese empfahlen sich mit ausgesuchter Höflichkeit zur weiteren Geneigtheit. Mynheer van Hoorn zog sich in jenes entlegene, mit künstlicher Sorgfalt kühl erhaltene Kabinet zurück, wohin er stets zu gehen pflegte, wenn er der Erholung bedurfte. Er sank in die luftigen Kissen des weiten Sessels und sog die würzigen Düfte ein, die ihn umwallten. Aber die ersehnte Ruhe kam nicht und der Bewindhebber fühlte einige Beklemmung, als er an einen seiner Kollegen gedachte, der ihm an der Tafel gegenüber saß, ihn stets mit einem stechenden Blick betrachtete und einige Male in sehr verfänglicher Weise das Wort an ihn richtete.

– Was wollte der Mensch von mir? fragte er sich selbst. Warum schwieg er still, wenn ich ihn geradezu fragte, was seine Aeußerungen bedeuteten, und warum lenkte er wieder auf Umwegen in das alte Geleise, wenn ich die Sache für abgemacht hielt?

Er sann nach, ohne eine Antwort auf seine Frage zu finden.

– Ich bin mir Manches bewußt. Ein hohes Spiel war es, was ich spielte, und ich meine, es hat mir keine goldenen Früchte getragen. Was wäre es gewesen, wenn ich, als das kühne Wagniß gelungen war, mein Spiel aufdeckte und sprach: Da liegt der Gewinn. Mein war die Arbeit, der Nutzen sei gemeinschaftlich. Sie hätten mich obenein zur Rechenschaft gezogen und das gewonnene Geld, in hundert Theile zerlegt, wäre zusammengeschmolzen, wie der Schnee im Frühjahr von den Feldern schmilzt und tropfenweise in die Erde sickert. Nein, nein! Besser doch so! Mein die Gefahr, aber mein auch der Sieg. War mein Spiel nicht gut? Habe ich nicht von der ersten bis zur letzten Karte meinen Platz behauptet? Wer kann beweisen, daß ich auch nur ein Mal falsch ausspielte? Wer kann es beweisen?

Mynheer van Hoorn schwieg. Ihm trat das Nachtgespenst wieder entgegen, welches ihn am Bord des »Oranienbaum« aufsuchte, wenn er die Blechkisten durchwühlte und zum zehnten Male eine Arbeit begann, die ebenso vergeblich war, als sie die neun ersten Male gewesen. Das war der Nachtisch zu dem schwelgerischen Mahle des Bewindhebbers.

Während der Vater in der Einsamkeit alle Qualen ertrug, die das Gewissen eines Mannes foltern, ging Anne-Marie in dem Schatten der Palmen, welche den Garten ihres Landsitzes umschlossen, auf und ab.

Ein Nebelschleier umflorte den sonst so heiteren Blick des lieblichen jungen Mädchens. Seit dem entscheidenden Auftritte mit Capitain Herperts de Saar am Bord des »Oranienbaum«, wo sie all' ihre Gedanken und Empfindungen, welche sie bisher sorglich verbarg und ihnen keine Deutung zu geben wagte, offen aussprach und sich zu einer Liebe bekannte, welcher sie für immer entsagte, war die heitere Unbefangenheit verschwunden. Nichts halfen die bittenden Worte des Vaters, nichts die zarten und höflichen Redensarten der jungen Mynheers, welche sich ihr huldigend nahten. Keiner von Allen entlockte ihr ein freundliches, hellklingendes Wort, das an frühere Tage erinnerte. Mitten in den rauschenden Gesellschaften, umgeben von den jungen Cavalieren, die sich um ihre Gunst bemühten und sie zur Königin des Tages zu erheben und ihr zu huldigen suchten, war sie allein. Und wenn sich alle Pracht vor ihren Blicken entfaltete, die der Reichthum in diesem Lande der Märchen und der Wunder hervorzuzaubern vermochte, erblickte sie in ihren Gedanken nur das stille Eiland im Ocean, den mit Schlingkraut verdeckten Abgrund und den fröhlichen Jüngling, der sie mit seinen starken Armen festhielt.

Solchen Träumereien war sie auch in jener Stunde hingegeben, als sie unter den Palmen ging. Sie war mit ihren Gedanken so weit entfernt von dem Orte, wo sie sich in Wahrheit befand, daß sie zusammenfuhr, als sie von Jemandem angeredet ward.

Als sie aufschaute, gewahrte sie einen Mann vor sich in der runden Seemannsjacke, der den breitkrempigen Strohhut in der Hand hielt.

– Vergebt mir, wenn ich Euch erschreckte, sagte der Mann. Aber ich konnte nicht anders. Ich mußte Euch sprechen.

Anne-Marie, die sich zu sammeln suchte, trat einen Schritt zurück und sagte:

– Wie konntet Ihr bis hierher gelangen? War keiner der Diener unseres Hauses gegenwärtig, der Euch bedeuten konnte, daß der Eintritt in diesen Garten Niemandem gestattet ist?

– Mich hat Niemand gesehen, gab er zur Antwort. Und wenn auch! Wer hätte mich zurückzuhalten gewagt? Ich hätte den Weg hierher gefunden und hätte ich mir mit Gewalt denselben erkämpfen müssen.

– Wer seid Ihr? fragte Anne-Marie erschreckt. Entfernt Euch sogleich – –

– Fürchtet nichts von mir! unterbrach sie der Mann. Mir liegt nichts entfernter, als eine Jungfrau zu beleidigen, die ich mit augenscheinlicher Gefahr aufsuchte, um ihre Hülfe und ihren Beistand anzuflehen. Ja, ich bedarf der Hülfe und des Beistandes, um von langen und schweren Leiden zu genesen.

Anne-Marie sah den Mann näher an. Sie erkannte auf dem braunen, durchwetterten Gesicht die Züge des Grams; sie sah in seinen Augen den Strahl der Verzweiflung leuchten und sagte mit dem Tone des Mitleids:

– Ihr seid unglücklich? Dann sprecht zu mir, und wenn es irgend in meiner Macht steht – –

Sie streckte die Hand unwillkürlich nach der Bügeltasche aus, die an ihrem Gürtel hing. Der Mann machte eine abweisende Bewegung und sprach:

– Es ist nicht das. Geld kann meinen Kummer nicht tilgen, noch das Leid mildern, das mir am Herzen nagt.

– Was kann ich sonst für Euch thun? fragte Anne-Marie, der bei dieser Aeußerung des finsteren Mannes abermals eine Furcht anwandelte.

– Gestattet mir, ein Wort zu Euch zu sprechen; einen Namen zu nennen und zu fragen, ob Ihr mit dem Schicksal desjenigen bekannt seid, der diesen Namen führte.

Anne-Marie entgegnete hierauf nichts, aber sie sah den Mann mit einem Blicke an, der eine neuerdings in ihr aufsteigende Bangigkeit verrieth.

– Ich nenne Euch einen Namen, der Euch vielleicht erschreckt, fuhr Jener fort, aber Ihr müßt es mir zu Gute halten. Ich nenne Euch Hendrick Jonker!

– Wer seid Ihr? fragte Anne-Marie zitternd und sah schreckensvoll auf den Mann, der ihr den Namen eines Jünglings zurief, den sie gerade in diesem Augenblicke fest in Sinn und Gedanken trug.

– Ich frage nach Hendrick Jonker, sagte der Mann, und habe ein großes, unveräußerliches Recht, nach ihm zu fragen. Von Amsterdam aus bin ich ihm über See weg hierher gefolgt, und nun ich ihn hier zu finden hoffte, ist er vielleicht weiter von mir entfernt, als er es jemals gewesen.

– Weit! Weit! seufzte Anne-Marie unwillkürlich.

– Zeigt mir die Straße, die zu ihm führt, und ich will sie wandern, wie hart und dornicht sie sein mag! fuhr er leidenschaftlich fort. Ich kümmere mich nicht um Hunger und Durst. Ich spotte der Gefahren, die sich mir entgegenstellen, wenn ich nur ihn finde, ihn, auf den alle meine Gedanken und Empfindungen gerichtet sind.

– Es ist die Straße ohne Spur, die zu ihm führt! entgegnete Anne-Marie. Es ist ein vereinsamter Stein, auf welchem ... O, geht! Geht! Ich kann und will nicht weiter mit Euch von diesem unseligen Ereigniß sprechen.

– So ist sie wahr, jene ganze unselige Geschichte, die ich aus dem Munde der Matrosen vom »Oranienbaum« vernommen? Wahr, daß sie den armen Jungen an das Land lockten und ihn dort zurückließen, wie man jene Verbrecher straft, die sich auf Tod und Leben gegen das Schiff vergangen haben? Tod und Verdammniß über den Jammervollen – –

– Haltet ein! rief Anne-Marie, mit Anstrengung aller ihrer Kräfte sich gewaltsam zusammenraffend, als sie das Angesicht des Mannes sich zum Wahnsinn verzerren sah. Wer seid Ihr denn, daß Ihr es wagen dürft, Euch zum Richter über Menschen und Thaten aufzuwerfen, die Ihr nicht kennt?

– Einer, der das größte und unbestrittenste Recht auf den Verlorenen hat. Ein Recht, das ich zwar muthwillig, in sündhafter Verblendung von mir stieß, das ich mir aber wiedergewinnen und mit meinem letzten Blutstropfen bezahlen will. Ich bin Hendrick Jonkers Vater.

Ein flammendes Roth flog über das Gesicht der Jungfrau, als sie sich unerwartet einem Manne gegenüber sah, der dem Hendrick, der seit jenem Auftritt am Bord alle ihre Gedanken und Empfindungen beherrschte, auf Erden am nächsten stand:

– Ihr seid –?

– Ja, ich bin es, der unglückliche Jan Wilms, der als ein Gezeichneter umherirrt, alle Qualen der Hölle in der Brust, und der keine Ruhe haben wird, bis sein Geschick sich erfüllt hat. Seht mich nicht so furchtsam an, Jungfrau. Ich bin nur mir selber fürchterlich. Ihr wißt nicht, was für entsetzliche Dinge geschehen sind, bevor es dahin kam, daß ich mich in dem Zustande befinde, worin Ihr mich jetzt vor Euch seht.

– Hendrick! sprach Anne-Marie unwillkürlich.

– Er weiß nichts von mir, sagte Jan Wilms. Er konnte nicht von mir zu Euch reden. Er weiß nicht anders, als daß er ein armer, ausgestoßener Waisenknabe ist, der den Seelen-Verkäufern in die Hände fiel und hierher nach Batavia geschleppt ward, wo ich ihn endlich zu finden hoffte und nun weiter von ihm entfernt bin, als ich es jemals war.

Mit einem Blicke des aufrichtigsten Mitleids sah Anne-Marie auf den Mann, der so tief erschüttert war, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Die Empfindung der Neugier regte sich in ihr. Gern hätte sie den Schleier gehoben, der ein Geheimniß barg, das nimmermehr eine glückliche Lösung haben konnte. Aber sie fürchtete auch, einen Abgrund aufzudecken, aus welchem das Entsetzen aufstieg, das ihre Sinne betäubte und sie mit sich in die bodenlose Tiefe hinabriß. Darum wagte sie nicht zu fragen und den Mann um die weiteren Mittheilungen seines Lebens zu bitten.

Da wurde sie durch ein zufälliges Ereigniß aus diesen Zweifelqualen gerissen. Es war ein Besuch gekommen und Blomtje, die vertraute Dienerin, war in den Garten geeilt, um ihre junge Gebieterin zu suchen. Sie rief ihren Namen mit lauter Stimme.

– Es kommen Leute, sagte Anne-Marie, schnell gefaßt, zu Hendricks Vater. Wir können jetzt nicht länger zusammen bleiben. Auch muß ich mich erst sammeln, bevor ich anzuhören im Stande bin, was Ihr mir zu sagen habt. Ich werde Euch Gelegenheit geben, mich zu finden. Nehmt diesen Ring. Wenn Ihr das Haus meines Vaters betretet, fragt nach der Jungfer Blomtje und zeigt ihr den Ring, den ich Euch gab. Sie wird Euch zu mir bringen. Lebt wohl, unglücklicher Mann, und möchte für uns Beide bald eine glückliche Stunde anbrechen.

Sie eilte den Gang hinauf, an dessen entgegengesetztem Ende Blomtje winkend und rufend erschien. Jan Wilms entfernte sich, um in unfreiwilligem Müßiggange den weiteren Gang der Ereignisse, den er nicht beschleunigen konnte, abzuwarten.

Mit dem neuen Tage begannen neue Sorgen. Es lebten viele Menschen in Batavia und seinen reichen Umgebungen, welche zu erwägen und zu prüfen hatten. Es gab deren, die abwechselnd von Furcht und Hoffnung erfüllt, dem endlichen Ausgange der Angelegenheiten, worin sie verflochten waren, nicht mit besonders leichtem Herzen entgegensahen. Aber Keiner fühlte sich bedrückter und beklommener, als Mynheer van Hoorn.

Der stolze Bewindhebber war zu Amsterdam längere Zeit mit einer außerordentlichen Vollmacht bekleidet gewesen. Er hatte in manchen Dingen für einen bestimmten Zweck eine besondere Gewalt empfangen, welche ihn ermächtigte, ohne irgend eine Anfrage, wie er es für gut finden würde, auf eigene Hand entweder zu handeln, oder es zu unterlassen. Er konnte Verträge lösen oder schließen, wenn er glaubte, daß Eines oder Anderes dem Ganzen nutzen könnte. Die Ursache, welche diesen Ausnahmefall hervorrief, war längst vorüber, aber die Diktatur war geblieben. Was damals vielleicht eine gebieterische Nothwendigkeit war, wurde jetzt zu einem Mißbrauche, zu einem Verbrechen.

Es war ein Packet mit unterschiedlichen Schriften vorhanden, welches über alle diese Verhältnisse genaue Auskunft gab. Diese Schriften fanden sich in den Händen eines vertrauten Agenten, der sie treu bewahrte. Herr van Hoorn hatte sie absichtlich nicht im eigenen Verschluß. Es konnte doch sein, daß sein ungesetzliches Verfahren an den Tag kam und man die Anklage in seinem eigenen Gewahrsam fand. Bei dem Agenten suchte sie Niemand. Und dieser zuverlässige Mann hatte versprochen, da er nicht stets in Amsterdam gegenwärtig sein konnte, sie zur rechten Zeit an Bord abzuliefern. Es war zu einer Zeit geschehen, als der Bewindhebber nicht zur Stelle war, und darum konnte dieser während der Reise in seinem Blechkasten nicht finden, was er nie hineingelegt hatte.

– Hunderttausend Gulden will ich mit Freuden zahlen, wenn ich die Schriften in der Hand halte. Ich gebe die Summe sogar für die Gewißheit, daß sie vernichtet sind. An Bord des Schiffes sind sie gekommen, dafür bürgt mir die Treue des Agenten, dem sie anvertraut waren. Wenn sie nur nicht in falsche Hände fielen! Wenn nur nicht dieser Herperts de Saar darum weiß, der mir oft so dummdreist entgegentrat und sich dann wieder scheu wie ein Nachtvogel zurückzog. Und ich kann nicht offen gegen ihn vorgehen. Es hieße ja, mich völlig blosgeben, während doch zuletzt eine Hoffnung ... O, verdammt, daß ich so blind zutappte! – Wenn es wirklich unglücklich ausgeht! – O, Anne-Marie, mein Kind, was für ein Unheil hätte ich dann über Dich und mich gebracht.

So saß er sinnend und brütend, als die malaiischen Diener in das Kabinet stürzten und Mynheer Halle-Jantzen meldeten, einen der reichsten Handelsherren von Batavia und Mitglied der Compagnie.

Cord Evertson erschrak. Dies war der Mann, der bei dem gestrigen Mittagsmahl ihm gegenüber saß und durch die seltsamsten Bemerkungen sein Blut in Wallung brachte. Was konnte dieser Mann jetzt von ihm wollen? Was konnte er sagen? Wenig Gutes war zu hoffen und alles Böse zu fürchten. Indessen erhob er sich, empfing den Gast mit kalter Höflichkeit und schickte die harrenden Diener mit einem Fluche zu allen Teufeln.

– Was verschafft mir den Besuch des Mynheer Halle-Jantzen? fragte er so verbindlich, als es ihm möglich war. Hoffe, daß Euch das gestrige Gastmahl wohl bekommen ist?

Mynheer Halle-Jantzen nickte zustimmend und da das, was er zu sagen hatte, völlig anderer Natur war, als das Auswechseln gewöhnlicher Höflichkeiten, hielt er es für passend, eine kurze Pause zu machen. Als diese vorüber war, sagte er bedächtig:

– Mynheer wird sich gewundert haben, daß ich gestern etwas zurückhaltend war und an mich hielt, wenn Ihr auf eine entscheidende Antwort drangt. Ich halte es für nöthig, Euch über diese scheinbare Seltsamkeit eine Aufklärung zu geben, und deshalb bin ich hier.

– Ihr spannt meine ganze Erwartung.

– Dann erlaube ich mir, Euch zu fragen, ob wir ungestört sind, oder ob wir vielleicht behorcht werden könnten. Ich wünsche dies sowohl um Euret- als um meinetwillen zu wissen.

– Kein Mensch ist in der Nähe. Ich bin davon fest überzeugt. Indessen begreife ich nicht, was Euch zu solcher merkwürdigen Vorsicht treibt.

– Die Ehre einer Genossenschaft, entgegnete Mynheer Halle-Jantzen fast feierlich. Wenn von einer Maatschappje, wie die unserige ist, ein Einzelner sich vergißt und sich zu Handlungen herbeiläßt, welche unter Umständen Verbrechen genannt werden können, ist nicht der Einzelne beschimpft, sondern der Makel haftet der Gesammtheit an. Ihr begreift das, Mynheer?

– Ich begreife das, erwiederte Cord Evertson van Hoorn, insofern Ihr es als einen allgemeinen Satz hinstellt. Was Ihr sonst dabei im Sinne habt, ist mir nicht deutlich.

Der Bewindhebber sprach diese Worte mit erkünstelter Ruhe. Sein Herz schlug bang.

– Wir sind allein, habt Ihr gesagt, fuhr Halle-Jantzen fort. Was wir mit einander sprechen, verweht der Wind. Jenseits der Thürschwelle ist Alles vergessen. Ich habe mit mir überlegt, ob ich die Ereignisse ihren Gang gehen lassen, oder ihnen vorgreifen und den Schritt thun sollte, der jetzt geschehen ist. Meine redliche Sorge für das Ganze rieth das letztere. Und somit sage ich Euch ohne alle Umschweife, daß hier schon lange vor Eurer Ankunft Gerüchte umliefen, die Euch, Mynheer van Hoorn, durchaus nicht gleichgültig sein können, da sie Eure Ehrenhaftigkeit in ein zweideutiges Licht stellen.

– Wer wagte es?

– Es waren eben Gerüchte und Ihr könnt die Versicherung hinnehmen, daß ich denselben stets mit Entschiedenheit entgegentrat. Es geschah und sie verstummten, obgleich ich es nicht verhindern konnte, daß sie nach einiger Zeit wieder auftauchten.

– Soll ein ehrbarer Kaufmann auf Gerüchte etwas geben? fuhr Cord Evertson van Hoorn auf.

– Wenn sie mit solcher Entschiedenheit auftreten, wie es geschieht, seit Ihr von Europa angekommen seid, ja! entgegnete Halle-Jantzen. Und doch hätte ich nicht das Aeußerste gewagt, allein Ihr selbst bestärktet mich durch Euer Benehmen, wachsam zu sein. Ich gewahrte Eure Unruhe, Eure Ungleichheit im Handeln, und seit unserer gestrigen Unterhaltung bei der Tafel, Mynheer, glaube ich an die Wahrheit jenes Gerüchtes.

– Und wie lautet denn endlich jenes furchtbare Gerücht? fragte Mynheer van Hoorn mit bebender Stimme.

– Sein Inhalt ist solchergestalt, daß er Euch um Ehre und guten Leumund bringen kann! antwortete Jener streng.

– Das Wort bezahlt Ihr mir! stieß der Bewindhebber heraus und versuchte, sich zu erheben.

– Ich bitte Euch, macht keine unnützen Anstrengungen, Mynheer. Ich werde Euch jede Genugthuung geben, die Ihr zu fordern berechtigt seid, und ich will um Euretwillen wünschen, daß Ihr diese Berechtigung habt. Allein Euer Aussehen und Euer ängstliches Benehmen widerspricht dieser Annahme.

– Wie könnt Ihr behaupten – –

– Ich behaupte, wozu ich mich berechtigt glaube. Irre ich mich, dann wird eine Sühne möglich sein. Irre ich nicht, so habe ich hiermit die Pflicht des früheren Freundes erfüllt und Euch gewarnt. Ich will von der Bestürzung, worin Ihr Euch befindet, keinen Nutzen ziehen. Ich will Euch Zeit geben, Euch zu sammeln. Wenn ich wiederkomme, sollt Ihr mir sagen, was Ihr jetzt zu sagen außer Stande seid. Habt wohl Acht auf Euch bis dahin, Mynheer, und bemüht Euch, das Rechte zu finden.

Herr Halle-Jantzen ging und ließ den Bewindhebber in einem entsetzlichen Zustande zurück.

*

Ein lärmender Kreis saß beim üppigen Mahl. Es war eine Gesellschaft, bestehend aus jungen Beamten der Compagnie, einigen Offizieren und Seeleuten des Halbdecks und mehreren Weibern. Es war eine Gesellschaft, die auf den Rang und das Herkommen ein geringeres Gewicht legte, als auf die kleinen Talente und Annehmlichkeiten, welche ihre Damen besaßen, und deren Reize sie so verführerisch und begehrenswerth machten.

Der Veranstalter dieser Festlichkeit, die sich bereits anschickte, die letzten Formen des äußeren Anstandes abzuwerfen und in eine wilde Orgie auszuarten, die nichts verschmähte und nichts achtete, war Mynheer Joris de Saar. Dieser war einer der jüngeren Beamten der Compagnie und der Sohn des Capitains vom »Oranienbaum.« Obgleich ziemlich tief in Schulden steckend und bereits mehrfach von seinen Vorgesetzten gewarnt, wußte er sich doch immer neuen Credit zu verschaffen und verstand es dann meisterhaft, das erborgte Gold mit vollen Händen zum Fenster hinaus zu werfen.

Die Mahlzeit hatte schon weit über die gebührende Zeit gedauert. Keiner der Gäste dachte mehr daran, zu speisen, und der kostbare Wein, der in den Karaffen und Gläsern blinkte, ward auch mehr verschüttet, als getrunken. Nachlässig lagen die Anwesenden auf den Stühlen umher. Sie hatten keine Zeit, sich um die diebischen Malaien zu bekümmern, welche von den auf den Tischen umherstehenden Leckerbissen und Flaschen fortschleppten so viel und was ihnen beliebte. Aller Augen waren auf die javanischen Tänzerinnen gerichtet, die eigens zu dieser Festlichkeit geladen waren, um durch ihre üppigen Tänze und verführerischen Stellungen und Gruppen dem Ganzen die Krone aufzusetzen.

Joris de Saar, der seine jungen Freunde unablässig aufforderte, sich der unbeschränktesten Lust hinzugeben, war selbst einer von denen, die am rücksichtslosesten sich in den Strudel stürzten, und der daher auch zu denen gehörte, die am ersten müde und matt auf dem Divan lagen, unfähig zur Sünde, oder Andern die Herrlichkeit derselben anzupreisen.

Um diese Zeit war es, als einer der Diener, der dem jungen Herrn am nächsten stand und um alle seine Thorheiten wußte, ganz erschrocken hereinstürzte und die Ankunft des Capitains Herperts de Saar meldete.

– Euer Vater ist da, Mynheer! rief der Diener und suchte ihn auf alle Weise zu ermuntern. Nehmt Euch zusammen, Mynheer. Der Capitain geht draußen zwischen den Gästen herum, die er mit nicht allzu heiterem Gesicht ansieht und die ihm ausweichen, wie sie können.

– Was will mein Vater? lallte Joris und versuchte sich zu erheben. Hat er die braune Effie gesehen?

– Die Weiber haben sich wohl gehütet, dem Capitain in den Weg zu kommen, sagte der Diener. Als sie hörten, daß er sich nahe, waren sie auf und davon.

Joris de Saar hatte sich zusammengenommen, so gut er es vermochte, und belferte hinter dem Diener her, der sich vor dem Capitain auf die Flucht begab. Joris gehörte zu jenen Charakteren, die, wenn sie erhitzt von Wein und Leidenschaften sind, alle Scheu und Sitte vergessen und sich in starrem Trotz gegen diejenigen auflehnen, welche sich ihrem Treiben zu widersetzen ein Recht haben. Der junge Beamte der Compagnie räumte sich dieses Recht um so williger ein, als er sich für einen selbstständigen jungen Mann hielt, ohne daran zu denken, daß das Einkommen seines Amtes nicht reichen würde, drei solche Bacchanale zu decken, wie das heutige gewesen war.

Der Capitain, vor dessen Anblick die Weiber wie eine Flucht scheu gewordener Tauben nach allen Seiten hin entwichen, begnügte sich damit, die Landoffiziere, welche er vorfand und die ihm, verlegen grüßend, entgegentraten, mit einer Handbewegung zu entlassen, während er den jungen Seeleuten, als ihn näher angehend, einige jener Höflichkeiten sagte, die man auf keinem Halbdeck der Welt mißverstehen würde. Dann entließ er sie mit der Verheißung, zur geeigneten Zeit sich der gegenwärtigen Stunde zu erinnern, und begab sich zu seinem Sohne, der ihn mit Mühe aufrecht stehend empfing.

– Nun, Mynheer? fragte er, ihn mit seinen vor Zorn funkelnden Augen anblickend. Was für eine Art von Aufführung ist dies und wie meinst Du, Bursche, daß ich sie aufnehmen werde?

– Ist allerdings keine schickliche Gelegenheit, wo Vater und Sohn zusammentreffen sollten, sagte Joris, sich zusammennehmend. Ich glaube, daß Ihr besser gethan hättet, umzukehren, als Ihr von ferne die Anstalten zu unserer kleinen Lustbarkeit sahet.

– Kleine Lustbarkeit! fuhr der Capitain auf. Ist das eine kleine Lustbarkeit, die man mit Summen bezahlt, die kein Nabob ungestraft hinwirft? Sind das schuldlose Zusammenkünfte, wobei verworfenes Weibsvolk die erste Rolle spielt? Aber ich will mich nicht einem Trunkenen gegenüber erhitzen, dem der Wein einen Anstrich von Muth giebt, von dem er bei nüchternem Verstande nichts weiß. Du wirst ausschlafen und ich werde morgen zur guten Stunde weiter mit Dir reden, damit Du erfährst, was Du erfahren mußt und was ich jetzt nur mit Mühe zurückhalte.

Der Capitain entfernte sich und gab den Dienern Befehl, dafür zu sorgen, daß der junge Herr alsbald zur Ruhe komme und morgen bei guter Zeit in seiner Wohnung erscheine. Als Herperts de Saar fort war, gewann Joris wieder die Oberhand. Er schrie nach seinen Leuten und verlangte, daß sie die auseinander gesprengte Gesellschaft von allen Ecken und Enden wieder zusammen trommeln sollten. Nur mit Mühe redete man dem Halbtrunkenen dies Tollmannswerk aus und schaffte ihn in sein Zimmer, wo sein vertrautester Diener bei ihm blieb, bis er fest eingeschlafen war.

Am anderen Morgen begab Joris sich, wie der Befehl lautete, zu seinem Vater. Vor Furcht zitternd, stand er vor demselben, der ihn mit gerunzelter Stirn ansah:

– Du irrst Dich sehr, wenn Du glaubst, daß ich Dich mit Vorwürfen überhäufen werde. Ich habe keine unnütze Zeit zu vergeuden. Dich kann nur die Noth bessern und diese ist vor der Thür. Höre mit wenigen Worten, was Dir und mir bevorsteht. Das unsinnige Leben, was Du führtest, seit ich in Europa verweilte, hat meinen Vermögensstand, der nie besonders bedeutend war, tief erschüttert. Wenn ich dazu angehalten werde, alle Schulden zu bezahlen, die Du auf meinen Namen machtest, bleibt nichts übrig und Du hast das doppelte Bewußtsein, Dein dereinstiges Erbe vergeudet und Deinen Vater an den Bettelstab gebracht zu haben.

– Meine Einkünfte – –

– Deine Einkünfte werden bald die Einkünfte Deiner Gläubiger sein, fuhr der Capitain fort. Verlieren wir die Zeit nicht mit unnützen Erörterungen. Schnelle Abhülfe allein ist es, die noth thut. Du mußt Deine Lebensweise ändern, von Grund aus ändern, und damit dies mit Erfolg geschieht, mußt Du heirathen.

– Heirathen?

– Ich sagte es. Und wenn man einem lüderlichen Burschen eine junge Dame nachweist, die schön und liebenswürdig ist und obenein noch beträchtliches Vermögen hat, so ist das ein Zwang, den man sich wohl gefallen lassen kann.

– Aber – ich bin so bestürzt – der Vater wird es mir nicht verargen, wenn ich frage, wer die Dame ist, der ich meine Freiheit zum Opfer bringen soll?

– Die Tochter des Bewindhebbers Cord Evertson van Hoorn, die schöne Anne-Marie, die, seit sie in Batavia ist, sämmtlichen jungen Männern die Köpfe verdreht. Nun, Mynheer Joris –?

– Der Vater will hoch mit mir hinaus. Anne-Marie ist schön, sehr schön, und Alle würden vor Neid platzen, wenn ich sie erhielte. Aber Eines hat wohl, mit Vergunst, der Vater nicht bedacht – –

– Und dies wäre?

– Mynheer van Hoorn ist ein Millionair. Jedermann schätzt ihn so. Wird dieser Nabob sein einziges Kind einem Manne geben, der in einer abhängigen, untergeordneten Stellung lebt?

– Laß dies meine Sorge sein! sagte der Capitain mit Ueberlegenheit. Wenn ich Dir sage, daß es geschieht, kannst Du es als eine völlig abgemachte Sache betrachten. Gegen Abend sei bereit, mich zu begleiten. Ich werde Dich bei Mynheer vorstellen. Der Herr Bewindhebber muß doch sehen, welchen Eidam ich ihm aussuchte. Nimm Dich zusammen, Joris, und sei gescheut. Für diesen Preis will ich Dir alle Deine dummen Streiche verzeihen.

Mynheer van Hoorn hatte Mittagstafel gehalten und sein Koch für alle nur denkbaren Leckerbissen gesorgt, um den Gaumen seines verwöhnten Gebieters zu kitzeln, aber es hatte demselben nicht geschmeckt. Jetzt zog er sich in sein Kabinet zurück und versuchte zu schlummern, allein der Schlaf wollte nicht kommen. Es war die Sorge, welche ihn verscheuchte. Die Sorge um den schweren Verlust, der ihn bedrohte. Jeden wachen Augenblick zermarterte er sich den Kopf, um den Faden zu finden, der ihn aus diesem Labyrinth führen sollte. Vergebens. Er verwickelte sich nur tiefer. Schwarze Gedanken stiegen in ihm auf und er sagte vor sich hin:

– Und wenn Alles fehlschlägt? Dann lieber mit einem Schlage ein Ende gemacht, als ein Leben voll Schande mit sich herumschleppen, zum Spott der Menschen, die kein Haarbreit anders gehandelt hätten, wenn ihnen die Gelegenheit geworden wäre.

Unter diesen und ähnlichen Gedanken, die wohl geeignet waren, das Leben eines Menschen zu verbittern, kam die Abendstunde heran, welche dazu bestimmt war, Besuche zu machen und zu empfangen. Der Bewindhebber bewegte sich zwischen den Personen, die ihm ihre Aufwartung machten, auf und ab, hier und da ein kurzes Gespräch anknüpfend, und sah sich nach allen Seiten um, als ob er nach Jemandem suche, den er hier nothwendig finden müsse.

Es war dies Mynheer Halle-Jantzen, der seinen Besuch angekündigt hatte. Die bezeichnete Stunde war längst vorüber und noch immer ließ sich derselbe nicht sehen. Was konnte das bedeuten? War dem Manne, der ihn bedrohte, irgend etwas zugestoßen, was ihn verhinderte, diese Drohung wahr zu machen? Oder war die Zögerung eine absichtliche, um ihn noch länger auf die Folter zu spannen?

Da nahte sich Jemand, der sich durch die Anwesenden mit vielen Verbeugungen und Entschuldigungen drängte und gerade auf den Bewindhebber lossteuerte. Es war Capitain de Saar, von seinem Sohne Joris begleitet, Beide im vollen Staatsanzuge.

– Der Ueberlästige! brummte Mynheer. Seit wir an Ort und Stelle sind, ist er mir vollends unbequem. Aber ich werde ihn schon so kurz als möglich abfertigen, daß ihm die Lust vergehen soll, seine Besuche fortzusetzen. Und wen schleppt er da mit sich? Gewiß seinen Affen von Sohn, den er sich unterstand, mir zum Schwiegersohn vorzuschlagen. Nun, wenn er dergleichen nochmals wagen sollte, wollen wir der Theerjacke darauf dienen.

Capitain de Saar, der keine Ahnung von dem liebreichen Empfange hatte, den der Bewindhebber ihm zudachte, ging auf diesen zu mit einem Gesicht voll Sonnenschein und sagte:

– Verzeiht, Mynheer, wenn ich Euch in den Weg trete, zu einer Zeit, da Ihr vielleicht –

– In der That, Capitain. Ich bin sehr überhäuft – –

– Nur wenige Augenblicke. Es liegt mir daran, eine versäumte Pflicht zu erfüllen.

– Ich weiß, daß Capitain de Saar ein pünktlicher Mann ist. Aber ist das nicht Mynheer Halle-Jantzen, der dort eintritt – –

– Es ist Mynheer Halle-Jantzen, entgegnete der Capitain mit verbissenem Aerger. Erlaubt mir aber jetzt, Euch meinen Sohn vorzustellen. Hier, mein Sohn, der wohlachtbare Cord Evertson van Hoorn. Mynheer, dies ist mein Sohn Joris – –

– Danke Euch, Capitain, unterbrach der Bewindhebber. Ist mir angenehm, den jungen Herrn bei mir zu sehen. Aber für den Augenblick muß ich mich entschuldigen – –

– Keinen Zwang, Mynheer. Geh', mein Sohn, bis Herr van Hoorn mehr Muße hat, die er Dir widmen kann. Es wird vielleicht recht bald der Fall sein.

Der Capitain sprach diese letzten Worte mit Nachdruck. Der Bewindhebber, der auf jede Aeußerung, die in seiner Nähe fiel, besonders achtete, fragte rasch:

– Was wollt Ihr damit sagen?

– Damit will ich sagen ... entgegnete der Capitain. Ah, mein Sohn ist fort. Wir sind also unter vier Augen und ich muß bitten, daß wir es einige Zeit bleiben, denn ich habe nothwendig mit Euch zu reden.

– Mich dünkt, ich sagte Euch schon, daß mich wichtige Geschäfte abhalten – –

– Die meinigen sind wichtiger, erwiederte der Capitain trotzig, faßte den Bewindhebber unter den Arm und führte ihn in ein Seitenzimmer. Hier rückte er Mynheer van Hoorn einen Sessel hin, setzte sich ihm gegenüber und sagte:

– Der junge Mann, den ich Euch zuführte, war mein Sohn, für den ich um die Hand Eurer Tochter warb – –

Herr van Hoorn wollte sich erheben. Der Capitain hinderte ihn daran und fuhr fort:

– Seid ohne Sorgen. Von meiner Seite ist keine neue Anwerbung zu befürchten. Diese muß von Euch ausgehen. Ihr selbst müßt Euch meinen Sohn von mir zum Schwiegersohn ausbitten – –

– Welche unerhörte Unverschämtheit!

– Ihr habt mich zu Zeiten einen klugen Mann genannt, sagte der Capitain mit spöttischem Lächeln. Jetzt nennt Ihr mich einen Unverschämten. Daraus folgt, daß ich volle Ursache haben muß, unverschämt zu sein, sonst wäre es ein Tollmannswerk. Nun denn, Mynheer! Die bewußte Hochzeit findet binnen hier und vier Wochen statt, oder ich mache der Herrlichkeit des Hauses van Hoorn ein Ende.

– Welche wahnsinnige Drohung ist das?

– Was an derselben thöricht oder gar wahnsinnig ist, wird sich nach wenigen Erörterungen herausstellen, entgegnete der Capitain kalt. Ihr fragtet vorhin, ob es nicht Herr Halle-Jantzen sei, der eintrat. Ihr fragtet das, weil jener Mann mit Euch über einen besonderen Fall sprechen will. Dieser besondere Fall ist aber nicht demselben allein bekannt. Er ist ein öffentliches Geheimniß, von dem Viele muthmaßen, das Manche wissen, aber das Keiner lösen kann, denn es fehlen die Beweise.

– Sie fehlen! sagte der Bewindhebber unwillkürlich und erschrak, als diese Worte über seine Lippen traten.

– Nein, Mynheer van Hoorn! rief der Capitain mit triumphirenden Blicken. Sie fehlen nur den Andern. Ich habe sie in Händen.

Mynheer war in den Sessel zurückgesunken. Dieser Schlag war zu gewaltig, zu unvorhergesehen. Keines Wortes mächtig saß er da. Seine Hände zitterten. Die Lippen bewegten sich. Er wollte sprechen, allein er vermochte es nicht.

Herperts de Saar ließ ihm volle Zeit, sich zu erholen, dann sprach er:

– Euer Agent zu Amsterdam ist ein Dummkopf. Nur ein solcher konnte Papiere von Werth, woran das Vermögen und die Ehre eines Mannes hängen, in die Hände eines Dritten geben, statt sie dem Eigenthümer selbst zu bringen. Dieser Dritte war ich, Mynheer. Ich empfing den Mann, der mit dem offenen Boote auf die Rhede hinauskam, und somit ist dies Räthsel gelöst. Begreift Ihr nun, weshalb ich mit so großem Interesse die Nachforschungen beobachtete, die Ihr in stiller Mitternacht anstelltet? Was Ihr suchtet und immer vergeblich suchtet, lag wohlbehalten in meiner Kajüte und wird jetzt als ein furchtbarer Ankläger gegen Euch auftreten, wenn Ihr bei Euerm Eigensinn beharrt.

– Ich zahle jeden Preis, den Ihr verlangt! stotterte der Bewindhebber.

– Der einzige annehmbare Preis ist Euch bekannt. Kein anderer wird genommen.

– Aber, meine Tochter, die den Mann nicht mag – –

– Die Tochter wird sich fügen, wenn sie Alles weiß – –

– Ihr zwingt mich, einen Mann für mein Kind auszuwählen, den – –

– Den Ihr auch nicht mögt! lachte der Capitain. Ja, mein Joris ist gerade kein Tugendspiegel; ich muß es selbst sagen. Etwas kränklich und verlebt ist er auch. Das bringt aber eine gute häusliche Pflege wieder in das Gleichgewicht. Nehmt im Uebrigen freundschaftlichen Rath an und fügt Euch der Nothwendigkeit, ehe es zu spät wird. Man ist Euch auf der Fährte, und wenn Ihr nicht zahlt, finden sich Andere, die meine Waare recht gern kaufen.

– Es ist ein falsches Spiel! sagte der Bewindhebber, sich ermannend. Was für Papiere können es sein, von denen Ihr sprecht? Was Ihr besitzen wollt, existirt gar nicht. Es ist Alles falsch.

– Ob dies der Fall ist, mögt Ihr mit eigenen Augen sehen, antwortete der Capitain. Begebt Euch mit mir in meine Wohnung und ich will Euch Alles stückweise vorlegen. Zum ersten Anfang habe ich Euch die Abschrift eines Briefes mitgebracht, dessen Inhalt eigentlich jede weitere Vorlage entbehrlich macht.

Der Bewindhebber empfing das Blatt. Er las die ersten Zeilen und ließ es aus der Hand fallen:

– Alles wird offenbar. Ich bin verloren.

– Alles bleibt verschwiegen und Ihr seid gerettet, wenn Ihr es selber wollt! entgegnete der Capitain rasch. Sobald mein Sohn und Eure Tochter öffentlich mit einander verlobt sind, werde ich Euch jene Papiere stückweise zuzählen und wir machen davon ein lustiges Feuerwerk.

– Ihr besteht auf Euern Kopf? fragte Herr van Hoorn. Kann nicht eine andere Forderung, sei sie noch so schwer, an die Stelle der Euren treten?

– Ich muß darauf bestehen. Nur so bin ich im Stande, mich vom Untergange zu retten und, mit Beseitigung von einfältigen Agenten, jenes Geschäft in Gemeinschaft mit Euch schwunghafter zu betreiben. Nun? Das letzte Wort!

– Da habt Ihr es! entgegnete der Bewindhebber mit einem schweren Seufzer. Ich nehme Euren Sohn zum Tochtermanne an. Vergönnt mir Zeit, meine Anne-Marie darauf vorzubereiten. In acht Tagen soll die Verlobung sein.

– Das genügt! sagte der Capitain aufbrechend und ging mit einer Verbeugung an Herrn Halle-Jantzen vorüber. Dieser trat dem Herrn van Hoorn gegenüber:

– Meinem Versprechen gemäß bin ich fast seit einer Stunde hier, die Antwort zu holen, um welche ich Euch das erste Mal vergeblich anging. Ich hoffe, Mynheer, daß Ihr Euch besonnen habt und mir Euer Vertrauen schenken wollt. Für diesen Fall, sage ich Euch, so viel dies in dem Bereiche der Möglichkeit und meiner Ehre liegt – –

– Ich ersuche Euch, Mynheer, in diesem Tone nicht mit mir zu sprechen und eine Unterhaltung, die so vieles Verletzende hat, überhaupt zu beenden und nicht wieder anzuknüpfen, sagte Herr van Hoorn. Ich habe weder etwas zu offenbaren, noch zu gestehen, noch zu bekennen, oder welcher ehrenkränkenden Ausdrücke Ihr Euch sonst zu bedienen wagtet. Dies wird genug sein, Euch in die gebührenden Schranken zurück zu weisen. Wie sehr ich die Pflichten erkenne, die mir als dem Herrn des Hauses, meinen Gästen gegenüber, obliegen – –

– Haltet ein, Mynheer, unterbrach ihn Herr Halle-Jantzen. Was ich that, geschah nicht so sehr um Euretwillen, als wegen Eures Kindes, und um den Stand zu schonen, dem wir Beide angehören. Ihr weiset diese Schonung zurück und das Recht mag nun seinen Lauf haben.

Herr Halle-Jantzen entfernte sich und der Bewindhebber ging, schweren Herzens, zu seiner Tochter, die ihn verwundert empfing, denn um diese Zeit pflegte der Vater sie nur selten aufzusuchen, da es die Stunde war, in welcher er seine Freunde und Geschäftsgenossen zu empfangen pflegte.

Auf seinen Wink entfernten sich die anwesenden Dienerinnen und er sagte in sehr gedrückter Stimmung:

– Ich komme von einer Unterredung mit dem Capitain de Saar.

– Dann frage ich Dich nicht weiter, warum Du so finster blickst. Es versteht sich von selbst, sagte Anne-Marie.

– Der Gegenstand unseres Gesprächs warst Du, meine liebe Tochter. Capitain de Saar stellte mir seinen Sohn vor und hielt wiederholt um Deine Hand an.

– Du wirst ihm die einzige Antwort gegeben haben, die einem solchen Antrage gebührt.

– Nein, liebe Anne-Marie. Ich habe es nicht gethan. Ich konnte es nicht thun.

– Du thatest es nicht? Du konntest es nicht thun? fragte die Jungfrau erstaunt. Welche Deutung soll ich diesen Worten geben? Vater! Wie kummervoll blickst Du mich an! Vater! Du verbirgst mir etwas Entsetzliches.

– Ja, mein Kind. Es zieht ein finsteres Unwetter auf. Das Erste, was Deinen jungen Lebenshimmel trübt. Möge es vorübergehen, ohne Dich zu empfindlich zu treffen.

– Um Gotteswillen, Vater! Was ist geschehen?

– Das Unwetter, von dem ich sprach und das Dich vernichten würde, ist nur durch ein Mittel abzuwenden, sagte der Bewindhebber zögernd.

– Und dieses eine Mittel ist?

– Daß Du dem Herrn Joris de Saar Deine Hand giebst und die Verlobung in acht Tagen stattfindet.

– Dann lasse nur die Blitze niederrauschen und mich zerschmettern! sagte Anne-Marie entschlossen.

– Mein liebes Kind, Du weißt nicht, was Du sprichst. Du kennst nicht die Armuth, die Noth.

– Sie kann nicht so schwer zu tragen sein, als es jenes verhaßte Joch sein würde! sprach Anne-Marie. Und wenn das schwerste Loos mir aufgebürdet wird, will ich doch von dieser Verbindung nichts hören. Kein Wort!

– Auch dann nicht, fragte der Bewindhebber, wenn es die Rettung Deines Vaters gilt?

– Deine Rettung? Was kann ein solcher Mensch zu Deiner Rettung thun? Und wozu braucht es eines Retters? Vater, Du quälst mich fürchterlich.

– Ich kann es Dir nicht sparen, antwortete in wirklicher Betrübniß Herr van Hoorn. In den Händen des Capitain de Saar liegt mein Glück und mein Unglück. Er allein vermag es, meine Tochter, mich bei Ehren und Würden zu erhalten.

– Vater! Du glaubst selbst nicht, was Du sprichst! entgegnete Anne-Marie in großer Aufregung. Ich bitte, ich beschwöre Dich! Bedenke, was Du sagtest.

– Ich habe es bedacht und wiederhole es Dir mit vollem Bewußtsein. Dieser Mann erhält für seinen Sohn das Versprechen Deiner Hand und Alles bleibt, wie es war. Wo nicht, wird Dein Vater nicht nur ein Bettler sein, er wird auch vor der Welt entehrt dastehen.

– Himmlischer, barmherziger Vater, das ist ja nicht möglich! Es kann ja nicht möglich sein! rief Anne-Marie händeringend. Sage es, Vater, daß es nicht ist; sage, daß Du mich täuschest.

– Was ich sagte, mein Kind, ist kein Gegenstand des Scherzes. Es ist die Wahrheit. Erspare mir die Scham, Dir Alles weitläufig auseinander zu setzen, wie und warum es geschehen ist. Genug für Dich, daß dies Unglück für uns eintrat. Du weißt nun Alles, und es ist Dir überlassen, zu handeln, wie Du es vor Deinem Gewissen verantworten kannst.

– Das werde ich, Vater! sagte die Jungfrau fest. Ehe ich mein Schicksal an diesen Verworfenen kette, sterbe ich.

– Und ich? erwiederte Herr van Hoorn in Todesangst. An Deinen Vater, der Dir einen Himmel auf Erden schuf, der Dich liebte, wie er nichts Anderes auf der Welt liebte, denkst Du nicht? Du kannst, um ihn vom Verderben zu retten, Dich nicht entschließen, das kleine Wort Ja auszusprechen?

Anne-Marie schwieg. Der Vater sah sie mit steigender Ungeduld an, und da sie noch immer nicht antwortete, sagte er endlich:

– Meine Mittheilungen haben Dich überrascht. Es ist unrecht von mir, sogleich auf eine Antwort zu dringen, welche zu geben Dir unmöglich ist. Gönne Dir Zeit. Ueberlege, prüfe und dann erst entscheide. Ich bin überzeugt, wenn Du Alles genau erwogen hast, wirst Du auch das Rechte finden. Gott sei mit Dir, mein theures Kind. Du wirst mir sagen lassen, wenn Du mich wieder sprechen willst. Dein Wort – dies Eine wolle bedenken – Dein Wort entscheidet über Leben und Tod!

Der Bewindhebber entfernte sich. Es geschah langsam, zögernd. Es schien, als erwartete er, daß Anne-Marie ihn zurückrufen und ihm sagen werde, daß sie in Alles willige und gern ihr ganzes Lebensglück für das seinige hinzuwerfen bereit sei.

Aber die Aermste wäre nicht im Stande gewesen, ein solches Wort auszusprechen, selbst wenn sie es hätte sprechen wollen. Sie lag auf ihrem Ruhebette, krampfhaft schluchzend und von den grausamsten Qualen gefoltert.

*

Drei Tage gingen vorüber. Drei Tage des tiefsten Schmerzes und der tödtlichsten Angst für die arme Anne-Marie, die sich noch immer nicht in das Entsetzliche finden konnte, was sie von ihrem Vater erfuhr, und die nur Eines begriff: daß der Augenblick, da sie ihre Hand in die des Joris de Saar legen müsse, auch der Augenblick sein werde, wo sie von jedem Glücke und jeder Freude des Lebens Abschied nähme.

Aber so konnte und durfte es nicht bleiben. Sollte nicht durch die Dienerschaft ein bisher noch schlummerndes Gerücht sich durch Stadt und Land verbreiten, mußte sich Anne-Marie ermannen und vor der Welt den Schein bewahren, bis die gefürchtete Stunde kam und der entscheidende Schlag fiel.

Eine befreundete Familie, welche sich für die junge und schöne Tochter des Bewindhebbers interessirte und dieselbe in ihre Kreise zu ziehen bemüht war, hatte ein Familienfest veranstaltet und die junge Dame dazu eingeladen. Obgleich Anne-Marie weit von der Stimmung entfernt war, die nöthig ist, wenn man sich zwanglos in Gesellschaften bewegen will, gab sie doch den Gründen Gehör, welche sie sich selbst klar machte, und ging zur bestimmten Stunde in das Haus, wo man sie sehnlichst erwartete und wo ihrer eine Ueberraschung harrte, auf welche sie nimmer gefallen wäre. Der Zufall hatte sie bereitet.

Eine ziemlich muntere Gesellschaft, bestehend aus einem erlesenen Kranze von Damen, sowie aus Kaufleuten, Beamten, Land- und See-Offizieren, bewegte sich zwanglos durcheinander. Hier und dort bildeten sich Gruppen, die sich mit einander unterhielten und sich dann auflösten, um das Gehörte weiter zu tragen.

In dem Zimmer, wo Anne-Marie mit einigen Freunden saß, wurde die Unterhaltung besonders lebhaft geführt. Man merkte der jungen Dame die Verstimmung an, worin sie sich befand, ohne natürlich die Ursache derselben zu ahnen, und bemühte sich, sie nach Kräften zu erheitern, oder doch zu zerstreuen.

Da trat ein Herr in das luftige Zimmer. Er schien etwas aufgeregt und wedelte sich mit seinem Taschentuche Kühlung zu. Die Dame vom Hause bemerkte es und drückte ihre Verwunderung aus, daß Mynheer van Waal, der immer der Ruhigste und Besonnenste unter den Besonnenen sei, sich in dieser Aufregung befinde.

– Ist es denn ein Wunder, wenn man auf eine unwürdige Weise geärgert wird? gab Herr van Waal zur Antwort. Die Engländer, eifersüchtig auf unsere wachsende Macht und nicht im Stande, uns so mitzuspielen, wie wir es mit den Portugiesen thaten, suchen jede Gelegenheit hervor, um uns in den Augen von Europa herabzusetzen. Sie verleumden uns, so oft sie es können, und verbreiten Geschichten in der Welt, die uns dem Abscheu der Nationen preisgeben. Eben jetzt liegt wieder ein solcher Fall vor.

– Eben jetzt? fragte die Dame des Hauses und die Uebrigen wiederholten diese Worte. O, erzählt doch, Mynheer, wenn Ihr der Meinung seid, daß es schicklich ist, den Fall, von welchem Ihr sprecht, in Gegenwart von Damen zu erwähnen. Und ich setze voraus, daß dies geschehen kann, denn sonst wäre es grausam gewesen, unsere Neugier zu erregen.

– Ich glaube nicht, daß etwas darin ist, das für eine Dame beleidigend sein könnte, sprach Mynheer van Waal. Es ist mir sogar lieb, eine Dame anwesend zu sehen, welche vielleicht den ganzen Ungrund der ärgerlichen Geschichte darthun kann.

– Eine von uns? riefen mehrere zugleich.

Mynheer van Waal bejahte es, wandte sich an Anne-Marie und sagte:

– Myjuffrouw ist, so viel ich weiß, erst kürzlich mit dem Schiffe »Oranienbaum« von dem Mutterlande hier angekommen und wird sich leicht dessen erinnern, was sich während der Ueberfahrt ereignete. Der ärgerliche Vorfall soll nämlich am Bord jenes Schiffes stattgefunden haben.

Anne-Marie war wie mit Purpur übergossen. Ihr Herz schlug, als der Name jenes Schiffes genannt wurde. Sie konnte freilich nur ahnen, wovon die Rede sein sollte, aber dies reichte gerade aus, sie in die höchste Aufregung zu versetzen und mit zögernder Stimme sagte sie:

– Ich kann nicht begreifen –

– Das habe ich wohl gedacht, entgegnete der Herr, indem er einen Brief hervorzog und auseinander faltete. Hier steht die saubere Geschichte verzeichnet, wie solche aus der Bombay-Zeitung ausgeschrieben ist. Ich will sie den Damen vorlesen.

Herr van Waal begann nun mit einem Tone, worin er seine ganze Entrüstung zu legen suchte, das Folgende zu lesen:

»Wir geben unsern Lesern diesseits und jenseits des Oceans durch Erzählung einer Thatsache abermals Gelegenheit, zu beurtheilen, wie unsere holländischen Nachbarn fortfahren, durch Barbarei und Grausamkeit sich in den Augen aller europäischen Nationen immer mehr zu entwürdigen und sich die gerechte Verachtung der Welt zuzuziehen, welche das Einzige ist, was sie verdienen.

»Das Schiff, der ›Nordstern‹, welches kürzlich, von London kommend, in unserm Hafen einlief, theilt uns das Folgende mit:

»Durch Windstillen und andere Zwischenfälle aufgehalten, begannen wir bereits Mangel an Trinkwasser zu leiden. Willkommen war deshalb die Aussage eines Mannes der Besatzung, daß auf einer unbewohnten Insel, in deren Nähe wir uns befanden, sich Süßwasser-Quellen befinden sollten. Wir gingen vor Anker und die Böte wurden unter dem Commando jenes Seemannes abgesandt, der bereits früher hier landete. Unsere Matrosen fanden die Quellen, aber auch noch etwas Anderes, das zu finden sie nicht vermuthet hatten, nämlich einen von Fieber und Hunger mit dem Tode ringenden Menschen. Es versteht sich von selbst, daß unsere Matrosen den gefundenen Unglücklichen an Bord brachten, wo ihm sofort die sorgsamste Pflege zu Theil wurde.«

Herr van Waal hielt einen Augenblick inne, um zu sehen, welche Wirkung sein Vortrag hatte. Alle Zuhörerinnen befanden sich in der größten Spannung und bemerkten nicht, daß Anne-Marie selbst dem Tode nahe schien. Der Herr fuhr fort:

»Nach zweien Tagen war der aufgefundene junge Mann durch die Bemühungen des Arztes so weit hergestellt, daß er seine Aussagen machen konnte, von denen das Nachfolgende ein wesentlicher Inhalt ist:

»Ich bin ein Waisenknabe, und heiße Hendrick Jonker. Gutmüthige Menschen nahmen sich meiner an und ich wäre gewiß ein glücklicher Mann geworden, wenn ich nicht den Seelen-Verkäufern in die Hände gefallen wäre. Diese schleppten mich fort und ich fand meinen Platz als Kajüten-Wächter am Bord des Schiffes »Oranienbaum«, welches bald, nachdem ich an Bord kam, unter Segel ging. Während der Reise suchte ich mich, so viel ich konnte, in meine unglückliche Lage zu schicken und that meinen Dienst unverdrossen, indem ich zugleich so viel vom Schiffswesen zu lernen suchte, als ich nur im Stande war. Aber mein guter Wille half mir nichts. Ich wurde auf das Grausamste behandelt, täglich mit Schimpfwörtern und Schlägen überhäuft und bekam selten mehr als eine halbe Ration. Als mir endlich die Geduld ausging und ich den Mannschaften im Zwischendeck meine Noch klagte, zugleich um ein Stück von ihrem Brode bat, um meinen nagenden Hunger zu stillen, wurden diese Männer so empört, daß sie für mich auftraten und sofort eine menschliche Behandlung für mich beanspruchten. Es ging dabei so lebhaft zu, daß man fürchten mußte, es werde nicht bei den bloßen Worten bleiben. Auch sah ich bald in der Hand eines Matrosen ein Messer blinken. Außer mir vor Schreck stürzte ich auf denselben zu und trotz meiner Schwäche gelang es mir, ihm dasselbe zu entreißen. Dies benutzte einer der Deck-Offiziere, der seine besondere Lust daran fand, mich zu quälen. Ich wurde gebunden und als Rebell vor ein Kriegsgericht gestellt. Nachdem man mich zehn Mal verhörte und die härtesten Qualen ausstehen ließ, wurde beschlossen, mich an der nächsten unbewohnten Insel auszusetzen, welches auch geschehen ist, und wo ich gewiß umgekommen wäre, wenn sich nicht die braven Engländer meiner erbarmten und mich in ihren Schutz nahmen.

»Dies ist im Wesentlichen der Inhalt der Aussage, welche jener junge Seemann auf unserer Redaktion zu Protokoll gab. Es ist unnöthig, hinzuzufügen, daß derselbe ein Gegenstand der allgemeinen Theilnahme geworden ist. Der Matrose Hendrick Jonker wird in die ersten Häuser geladen und es werden ihm von schönen Händen die reichsten Geschenke zu Theil. Jedermann sucht ihm die schlimme Vergangenheit vergessen zu machen. Es soll im Werke sein, ihm hier eine Heimath anzubieten, was um so leichter geschehen kann, da er den entschiedensten Widerwillen zeigt, sich nach Java zu begeben, was ihm freigestellt war.«

Herr van Waal legte das Blatt zusammen und sagte zu der Gesellschaft:

– Können es sich die Damen vorstellen, daß ein Mensch so viel Galle und Bosheit zu Papier bringen kann? Nun aber bitte ich das Fräulein van Hoorn uns zu sagen, was sie von dieser Angelegenheit denkt, an der sicherlich kein wahres Wort ist.

Die Gesellschaft wandte ihre Aufmerksamkeit der angeredeten Dame zu, die sich mühsam von ihrem Sitze erhob. Die Wirthin des Hauses, die den bedenklichen Zustand, worin sich Anne-Marie befand, erkannte, eilte erschrocken zu ihrer Hülfe herbei. Anne-Marie lehnte sich leicht auf die Schulter der hülfeleistenden Dame und sprach mit bewegter Stimme:

– Ich bitte um die Erlaubniß, mich entfernen zu dürfen, da ich mich nicht wohl befinde. Etwas Wahres ist an der Geschichte, welche hier auf das Abscheulichste entstellt ist. Eine weitere Auseinandersetzung vermag ich gegenwärtig nicht zu geben, und bitte nochmals, mich deshalb zu entschuldigen.

Die Dame des Hauses führte die Halbohnmächtige mit sich fort. Einige begleiteten dieselbe. Andere drängten sich um Mynheer van Waal, der, sich überrascht stellend, sagte:

– Wer hätte es gedacht? Am Ende ist die Geschichte doch wahr und ein Stückchen von dem stolzen Bewindhebber, der den Kopf stets so hoch trägt, daß er andere, gewöhnliche Leute nicht zu bemerken scheint. Seit der »Oranienbaum« von Holland herüber gekommen ist, laufen überhaupt seltsame Gerüchte in Batavia um. Meines Theils pflege ich von Geschwätz nichts zu halten, aber in diesem Falle muß man doch ein offenes Auge, und vor Allem ein offenes Ohr haben. Nur Vorsicht, damit man nicht selbst mit dem Kopfe in die Schlinge geräth, die einem Andern zugedacht ist. Vorsicht, meine Freunde! Vorsicht und Verschwiegenheit.

Er entfernte sich, den Finger auf dem Mund. Alle seine Zuhörer gelobten, der erhaltenen Weisung zu folgen und hielten so fest an dies Gelübde, daß in allen Theilen der Gesellschaft während des ganzen Abends von nichts Anderem die Rede war, als von jenem ärgerlichen Vorfalle am Bord des »Oranienbaum« und den daraus zu ziehenden Folgerungen.

Anne-Marie war zu Hause angelangt, sie wußte kaum zu sagen, wie. Der ärgerliche Vorgang hatte sie tief erschüttert und die Folgen, welche daraus entstehen konnten, waren nicht geeignet, sie zu beruhigen. Aber Eines war doch erreicht. Hendrick Jonker war nicht verloren. Sie wußte ihn gerettet und ihr Herz schlug bei dem Gedanken, daß sie ihn vielleicht einst wiedersehen könne. Doppelt widerwärtig erschien ihr nun die Verbindung mit Joris de Saar, auf welche ihr Vater bestand und wahrscheinlich bestehen mußte. Aber Hendrick Jonker war gerettet und sie konnte seinem Vater, der sich ihr in tiefer Zerknirschung, voll der aufrichtigsten Reue, näherte, die trostreiche Versicherung geben, daß er sein Kind wiederfinden werde. Das sollte auch gleich geschehen. Sie sandte einen zuverlässigen Diener an Jan Wilms mit dem Auftrage, sich sofort bei ihr einzustellen. Sie setzte ihn mit herzlichen Worten von dem, was sie erfahren, in Kenntniß und sah mit wehmüthiger Freude den Jubel, dem sich der Mann rücksichtslos hingab. Als er sich mühsam gesammelt hatte, sagte sie freundlich:

– Nun wißt Ihr, wo Ihr Euren Sohn finden und die Schuld vollends sühnen könnt, womit Ihr Euch belastet habt. Eilt nach Bombay. Eine Gelegenheit wird sich leicht finden und in dieser Börse findet Ihr die Mittel, welche Euch gestatten, die Reise glücklich zu vollenden. Geht, Ihr schwer beladener Mann; bittet Gott, daß er dieses Werk gelingen lasse und schließt den Gefundenen als einen Rettungsengel in Eure Arme. Mit dem ersten Kusse, den Ihr auf Eures Kindes Lippen drückt, ist der Fluch von Euch genommen.

– Dank Euch, Herrin! Dank aus vollem Herzen! rief Jan Wilms mit überströmenden Augen, indem er sich vor der Dame in die Kniee warf. Ihr seid gewiß der Engel einer, die nur die Gestalt der Menschen annehmen, um den Unglücklichen beizustehen und die Gefallenen wieder aufzurichten. Ja, Ihr habt mich aufgerichtet durch Euer tröstendes Wort! Ihr seid meine Retterin gewesen und ich fühle es, daß ein anderer Geist über mich gekommen ist. Ich gehe mit vollem Herzen und werde nun und nimmer vergessen, was ich Euch schulde. Möge Euch Gott tausendfach vergelten, was Ihr für mich gethan.

Jan Wilms erhob sich und verließ die Jungfrau, die ihn mit Thränen in den Augen verabschiedete. Er hatte nun keinen andern Gedanken, als wie er dahin gelangen sollte, wo sein Sohn weilte. Ein gütiges Geschick war seinen heißen Wünschen hold; er konnte bereits nach acht Tagen Batavia verlassen.

Auf offener See ereignete sich bald ein eigenthümlicher Vorfall. Zwei Schiffe segelten sich auf halber Schußweite vorbei, ohne sich zu begrüßen, ohne vielleicht eine flüchtige Notiz von einander zu nehmen. Auf dem Verdeck des Schiffes, welches seinen Cours nach Batavia setzte, befand sich Hendrick Jonker, der mit Herz und Sinn dahin strebte, wo er mindestens eine Seele wußte, die für ihn erglühte. Auf dem andern Schiffe, das nach Bombay steuerte, befand sich Jan Wilms, der dort in dem fernen Lande suchen wollte, was hier so nahe bei ihm war und von dem er sich immer weiter entfernte, je schneller das Schiff segelte, das für seine geflügelte Sehnsucht noch immer zu langsam ging.

Laßt ihn segeln und nicht finden.

*

Am Bord des Malaien-Fahrzeuges befand sich Hendrick Jonker nicht allzu wohl. Es ist nicht angenehm, sich unter dergleichen rohem Volke heimisch machen zu müssen, allein er fand sich, trotz der tausend Widerwärtigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, in das Unvermeidliche, in dem guten Glauben an eine fröhliche Zukunft die lästige Gegenwart ertragend.

Aber wohin wird nicht ein Europäer, und von diesen absonderlich ein Deutscher, verschlagen? Giebt es irgendwo ein Küstenland, wo nicht die Töne einer Sprache erklingen, die an den Ufern der Elbe und der Weser ihre Heimath hat? Auch auf diesem Malaien-Schiffe war ein solcher Gesell, der in früheren, verstürmten Jahren der Heimath den Rücken wendete. Er irrte im fernen Indien von Land zu Land und fristete, nachdem alle Hoffnungen nach und nach zu schanden wurden, auf diesem Malaien-Schiffe mit ergrauendem Haar ein trauriges Dasein. Jan Popp war so jung von Hause gekommen, er hatte so lange unter dem Himmel der Tropen geathmet, daß seine heimathlichen Erinnerungen kaum noch ein Schatten waren. Und doch liebte er es, still vor sich hin zu brüten und diesen wesenlosen Schatten nachzujagen, wobei ein wehmüthiges Lächeln um seine Lippen spielte.

An diesen in der Wüste des Oceans aufgefundenen Greis hatte sich Hendrick Jonker geschlossen, und Beide hielten so gute Kameradschaft, wie es zwischen zwei Personen mit verschiedenem Alter möglich war. Jan Popp gab ihm manche beherzenswerthe Winke, wie er mit den Eingebornen sich benehmen und welche Dinge er hauptsächlich vermeiden müsse, um mit ihnen nicht in Zank zu gerathen. Der Malaie im Zorn sei ein furchtbarer Feind, der den Gegenstand seiner Wuth auf Tod und Leben verfolge und nicht ruhe, bis er seine glühende Rache gekühlt habe. Es war ebenso rührend, als komisch, es mit anzusehen, wie sich Beide mit einander unterhielten und wie schwer es ihnen wurde, sich gegenseitig verständlich zu machen. Jan Popp hatte sich eine Sprache gebildet, die, aus deutschen, holländischen, malaiischen und portugiesischen Brocken zusammengesetzt, ein babylonisches Gewirr bildete, das seines Gleichen in der Welt nicht wiederzufinden berechtigt war. Aber Hendrick Jonker war ein gelehriger Schüler und sagte eines Tages, als Beide wieder längere Zeit mit einander gesprochen hatten:

– Danke Euch, Jan Popp. Muß nun gehen und den Dienst bei der Steuertalje nehmen. Könnt es glauben, daß ich Alles thun will, was Ihr mir anrathet. Ihr seid ein kluger Mann und habt viele Erfahrung. Zeige sich mich in Batavia gleich als der, der ich wirklich bin, kann es mir schlimm gehen. Was soll ich wohl gegen die mächtigen Mynheers anfangen, denen meine Erscheinung unangenehm ist? Sie werden Alles anwenden, um mich bei Seite zu bringen, was ihnen zum zweiten Male gewiß besser gelingen wird, als es das erste Mal geschehen ist. Ja, ich folge Euch und es wird auch gut gehen, denn ich lebe hier ja nun schon eine gute Weile unter den Malaien, und wenn ich mich zusammennehme, kann ich wohl einen von ihnen vorstellen.

– Daran thut Ihr Blixums well, Boy! sagte Jan Popp. Madre de Dios! Die Mynheers von der Compagnie sind schlimme Fellows. Sie haben eine Maatschappje, die nichts auf sich kommen läßt. Darum haltet Euch hart.

– Ich will es! sagte Hendrick Jonker, ihm die Hand reichend, und legte alsbald den Grund zu seinem Vorhaben, indem er Alles aufbot, um zwei junge Malaien, mit denen er öfter im Dienst zusammen kam und die minder störrisch als die andern waren, für sich zu gewinnen. Er machte nicht geringe Fortschritte in der Kunst, der er sich widmete, und als er bei der Ankunft auf Java von Jan Popp Abschied nahm, glaubte er sich der Aufgabe gewachsen, die er sich gestellt hatte.

Die Ereignisse zu Batavia gingen unterdessen ihren langsamen, aber sicheren Gang. Das Seil, woran die Entscheidung hing, war lang, aber unzerreißbar. Es galt ein doppeltes Ziel. Der Bewindhebber, Mynheer Cord Evertson van Hoorn mußte nicht blos entlarvt und aller Vortheile beraubt werden, die er sich durch seine unredliche Handlungsweise angeeignet hatte. Es war nicht genug, den stolzen Herrn von seiner Höhe herabzureißen und ihn in ein leeres Nichts zu verweisen. Man hatte zugleich darauf zu sehen, daß dies ohne alles Aufsehen geschehe, damit die Würde des Ganzen nicht leide, und hauptsächlich ward darauf Bedacht genommen, daß nicht England und Portugal Gelegenheit fänden, dies Ereigniß zu ihren Gunsten auszubeuten, indem sie die Unreellität der niederländischen Verwaltung in ein ungünstiges Licht stellten und gegründete Ursache erhielten, vor derselben zu warnen.

Unter diesen Umständen führte Mynheer van Hoorn kein beneidenswerthes Leben. Er hatte sich ganz und gar in sein Haus zurück gezogen und suchte Niemand mehr auf, nachdem er die Erfahrung eines ziemlich kühlen Empfanges gemacht hatte und der Zeitpunkt immer näher rückte, den Capitain de Saar als den letzten entscheidenden bestimmt hatte.

Anne-Marie war leidend. Sie vermied den Vater und dieser trug kein Verlangen, seine Tochter zu sehen. Er scheute sich, nachdem die letzten Bekenntnisse stattgefunden hatten, derselben nahe zu sein. Er vermied sein Kind, und dieses mied ihn. Die Tochter grämte sich, daß sie den Vater, den sie so innig liebte, jetzt vielleicht zu fürchten hatte.

Sie saß in ihrem Gemache, theilnahmlos vor sich hinblickend. Blomtje, ihre vertraute Zofe, die sich alle nur erdenkliche Mühe gab, die Aufmerksamkeit der jungen Herrin auf sich zu ziehen, ließ endlich von diesen unfruchtbaren Bemühungen ab und sagte:

– In der That, Jungfrau Anne-Marie, wenn Ihr nicht bald meinen Bitten Gehör gebt, werde ich mit Eurem Anzuge nicht fertig.

– Es liegt nichts daran, entgegnete diese gleichgültig.

– Wenn auch Euch nichts daran liegt, sagte Blomtje schmollend, so doch mir. Die Gesellschaftsstunde ist vor der Thür.

– Ich gehe in keine Gesellschaft.

– Aber ich! fiel Blomtje wichtig ein. Ihr wißt, daß ich die Erlaubniß habe, alle Freitage die Lustbarkeit zu besuchen, welche die Dienerschaft von Buitenzorg giebt. Ihr werdet das einmal gegebene Wort nicht zurücknehmen wollen. Aber wenn wir hier nicht fertig werden, verstreicht die beste Zeit –

– Geh' nur, Blomtje, ich bedarf Deiner nicht.

– Ist das wahr? fragte diese erfreut. Ich dürfte gehen, und was heute liegen bleibt, morgen aufarbeiten? Ach, wie seid Ihr so gut.

Und Blomtje eilte davon, um Anstalten zu ihrem Putze zu treffen.

Der Schauplatz, welchen die weiblichen und männlichen Diener der zu Buitenzorg residirenden Herrschaften zu ihren Lustbarkeiten gewählt hatten, war eine offene Halle. Früherhin zu andern Zwecken in der Mitte des Ortes gebaut, war sie eine Art von Gemeingut, welches man dem jungen lustigen Volk einstweilen überließ, da es keine andere Bestimmung hatte. Hier richtete sich die ganze Valetaille behaglich ein, um einmal wöchentlich in ihrer Weise die Herrschaften zu spielen, und es gab hier ebenso gut Intriguen, Protectionen und alle andern gesellschaftlichen Unvermeidlichkeiten, vor denen sich Jeder ängstlich zu hüten sucht und die Niemand zu vermeiden im Stande ist.

Wie in diesem Zirkel Alles genehm war, was sich in den herrschaftlichen Kreisen für schicklich gab, gestatteten es die Herren Kammerdiener und die jüngferlichen Zofen huldreichst, daß in ihrem Salon auch solche Personen erscheinen durften, welche nicht zu der dienenden Klasse des Ortes gehörten, sonst aber einige Standesgleichheit mit ihnen hatten, vorausgesetzt, daß sie flinke Tänzer und Tänzerinnen waren und wegen der Kosten der Bewirthung in ihre Zahlungsfähigkeit kein Zweifel zu setzen war. So fand sich mancher schmucke Bursche ein, ein willkommener Gast für die jungen Dirnen, die der unermüdlichen Tänzer nie genug haben konnten. Selbst mancher junge Mynheer stahl sich aus den langweiligen Kreisen daheim, um hier zwanglos unter dem leichtfertigen Volke eine lustige Nacht hinzubringen.

Als Blomtje, das muntere, heitere Malaienkind, eintrat, war der Tanz schon in vollem Gange. Sie sah sich nach allen Seiten um, und stellte sich auf die Zehen, um recht weit sehen zu können. Als sie aber nirgends gewahrte, was sie suchte, zog sie die Augenbrauen zusammen und ein Schatten des Unmuths flog über das fröhliche Gesicht. Hinter ihr stand ein junger Malaie, bildschön, mit leuchtenden Augen und in schimmerndes Weiß gekleidet. Er hatte eine Zeit lang seine Freude an das Benehmen der Dirne, dann sprang er auf sie zu, bedeckte mit seinen Händen ihre beiden Augen und rief:

– Rathe, wer bin ich?

– Hendrick! entgegnete sie, froh überrascht und wandte sich um, als er die Arme sinken ließ. Anfangs gedachte sie zu schmollen, weil er sie auf diese Weise neckte, aber es kam nicht dazu, denn er zog sie mit sich fort und drehte sich mit ihr im wirbelnden Tanze.

Die Beiden waren am vorigen Freitage mit einander bekannt geworden. Hendrick war mit der schüchternen Bitte an Blomtje herangetreten, ihm doch einen Tanz zu gönnen. Er wußte, daß die Dirne zu dem Haushalte des Mynheer van Hoorn gehörte und daselbst etwas galt. Sie fand Gefallen an dem jungen Tänzer. Beide blieben ungetrennt und als die Scheidestunde schlug, versprachen sie, am nächsten Freitage sich hier wiederzufinden.

Nachdem der wirbelnde Tanz vorüber war und Beide sich längere Zeit mit einander unterhielten, sagte Blomtje lachend:

– Nun schwatzet Ihr schon eine halbe Stunde mit mir und habt noch keinen Kuß von mir begehrt. Das ist doch sonst hier Brauch, und die Lust der Dirnen ist dann, diese Bitte abzuschlagen und den Tänzer schmachten zu lassen. Ihr seid nicht ein Bischen höflich.

– Mir verbietet der Respekt, höflich zu sein, sagte Hendrick und sah verlegen vor sich nieder. Ihr dient in einem vornehmen Hause, und ich bin nur ein armer Malaienjunge am Bord. Ja, wenn es umgekehrt wäre.

– So? sagte Blomtje schnippisch. Ihr möchtet wohl, daß ich ein schmutziges Kulikind wäre –

– Ihr brauchtet deshalb nicht schmutzig zu sein, lachte Hendrick. Aber wenn der Mann oben steht, zieht er die Frau zu sich herauf. Steht sie aber oben und will ihn nach sich ziehen, geht ihr die Kraft aus und er fällt noch tiefer, als vorher. Ja, wenn wir Beide auf gleicher Stufe ständen –

Blomtje sah ihn an. Hendrick nahm die günstige Gelegenheit wahr, ihr zu gestehen, daß er gern von der See Abschied nehmen und einen Dienst am Lande suchen möchte.

Bei diesen Worten sah er die Dirne mit einem Blicke an, den sie sich zu ihrem Vortheil deutete, und Beide beriethen eifrig, wie dies Ziel zu erreichen sei.

– Das ist Alles nichts! sagte Hendrick nach einer Weile. Wer wird mich nehmen? Niemand kennt mich. Keiner spricht für mich. Ja, wenn eine Herrschaft ein gutes Wort für mich einlegte –

Blomtje rief hastig:

– Ich glaube, meine Herrschaft thäte es, wenn ich sie darum bäte.

– Meint Ihr? fragte Hendrick. Und wer ist denn Eure Gebieterin, Ihr schmuckes Kind?

– Es ist die Tochter des mächtigen Bewindhebbers, Mynheer van Hoorn, die schöne Anne-Marie.

– Und eine so vornehme Dame sollte sich dazu hergeben, Unsereinen vor sich zu lassen und gnädig anzuhören?

– Warum nicht? Jungfrau Anne-Marie ist seelensgut und gar nicht stolz! fiel Blomtje lebhaft ein. Sie selbst ist sehr betrübt und niedergeschlagen, aber um so mehr ist sie bemüht, Andern Freude und Glück zu bereiten, wie sie nur kann.

– Aber weshalb ist denn die Dame so betrübt in der Zeit der fröhlichen Jugend? fragte Hendrick theilnehmend.

– Ich weiß es nicht, entgegnete sie ausweichend. Aber wenn ich es auch wüßte, würde ich es Euch doch nicht sagen. Eine treue Dienerin muß die Geheimnisse ihrer Gebieterin nicht ausplaudern.

– Das ist brav von Euch gedacht! sagte Hendrick lebhaft. Und Ihr seid der Meinung, daß Jungfrau van Hoorn mich vor sich lassen und anhören wird?

– Ich hoffe es. Seid nur morgen um diese Zeit in der Nähe unseres Hauses, das ich Euch genau bezeichnen will. Sie ist immer freundlich und gut, aber in den stillen Abendstunden noch mehr als sonst. Sobald ich kann, werde ich erscheinen und Euch einen Wink geben. Ich hoffe, Ihr werdet ihn gut benutzen.

– Das will ich meinen! sagte Hendrick rasch. Aber, liebe Blomtje, nun wollen wir nicht weiter von Geschäften reden, sondern daran denken, daß der letzte Tanz beginnt. Kommt, und laßt uns dem Volke zeigen, daß wir noch nicht müde geworden sind.

Und das junge Paar, von denen Jedes seine eigene Hoffnung nährte, flog im lustigen Wirbel dahin. Eines folgte den Bewegungen des Andern in wunderbarer Uebereinstimmung, allein ihre Gedanken schweiften nach den verschiedensten Richtungen aus.

Am andern Abend, als Blomtje ihre junge Herrin geschmückt hatte, weil diese einen angesagten Besuch nicht abweisen konnte, und bei dieser Gelegenheit ihr Herz ausschüttete, sagte Anne-Marie:

– Da es Dir so sehr am Herzen zu liegen scheint, will ich den jungen Mann hören. Bist Du überzeugt, daß er es treu mit Dir meint?

– Ausgesprochen hat er es nicht, antwortete Blomtje. Er sagte, ich diente in einem so vornehmen Hause, daß er gar nicht wagen dürfe, zu mir aufzusehen. Aber er tanzt so schön und er ist stets so heiter, daß ich ihn schon für mich gewinnen will, wenn er nur von seinem Schiffe los ist. Und wenn ich ihn erst festhalte, werde ich ihn nicht wieder von mir lassen.

– Du bist sehr zuversichtlich, Blomtje, sagte Anne-Marie. Aber wenn Du meinst, daß es zu Deinem Glücke dient, will ich gerne hören, was der junge Mann mir zu sagen hat. Ich werde einen Gang durch den Garten machen und dann in dem Kiosk unter den Palmen ausruhen. Dahin magst Du ihn bringen.

Blomtje küßte der jungen Gebieterin die Hand und begleitete sie in den Garten. Als Anne-Marie sich dem Kiosk näherte, flog sie vor die Thür hinaus. Der harrende Hendrick folgte ihrem Winke.

– Diesen Gang geht hinauf! sagte Blomtje zu ihm in fliegender Eile. In dem schimmernden Kiosk ist meine Herrin, und erlaubt Euch, einzutreten. Bringt nun Euer Wort gut an, und wenn Ihr erreicht habt, was Ihr erreichen wolltet, denkt daran, daß ich es bin, welche Euch die günstige Gelegenheit verschaffte.

– Ihr seid ein allerliebstes junges Ding, Blomtje! sagte Hendrick und eilte auf dem ihm bezeichneten Wege fort. Am Eingange hielt er zögernd an. Ein leises Zittern flog über seinen Körper.

Anne-Marie saß in dem dämmernden Raum des kühlen Kiosk und sah einen Schatten am Eingange sich bewegen.

– Wer ist da? fragte sie leise.

– Herrin, verzeiht! sagte Hendrick, der einen Schritt näher trat. Blomtje hat mir gesagt, Ihr würdet mir gestatten, Euch zu sehen.

– Seid Ihr der junge Malaien-Schiffer, von dem sie mit mir gesprochen?

– Ich bin es, Herrin, und wenn Ihr erlaubt –

– Ihr mögt die Bitte sparen. Blomtje hat mir bereits Alles gesagt und ich will gern versuchen, was ich bei meinem Vater vermag.

– Herrin, ich glaube nicht, daß Blomtje Euch gesagt haben kann, was ich eigentlich wünsche, denn sie weiß es nicht.

– Sie weiß es nicht? fragte Anne-Marie verwundert. Seid Ihr denn nicht ihr Liebhaber?

– Ich habe der Blomtje nie gesagt, daß ich ihr Liebhaber sein wollte. Ihre Freundlichkeit habe ich benutzt, um hierher zu gelangen.

Anne-Marie, die gleich zu Anfang bei dem Tone dieser Stimme zusammenbebte, erhob sich jetzt erregt und fragte:

– Um Gotteswillen! Wie durftet Ihr es wagen, so zu handeln, und was wollt Ihr hier?

– Nichts, Herrin, als Euch sehen und Euch sagen, daß ich glücklich von dem Felsen, auf welchem mich die Grausamen zurückließen, entkommen bin!

– Jesus! rief Anne-Marie freudig erschreckt. Hendrick! Hendrick Jonker! Mein zwiefacher Lebensretter! Seid Ihr es wirklich?

– Ich bin es, Herrin! Und werfe mich zu Euren Füßen, um Euch zu sagen, daß ich Allen, die mir Uebles thaten, gern vergebe um Euretwillen.

– Hendrick! Hendrick! schluchzte Anne-Marie und beugte sich zu ihm hinab. Sie war keines weiteren Wortes mächtig.

Nach einer Pause flüsterte sie:

– Wenn Dich Jemand erkennte?

– Sie werden nicht. Darum wählte ich diese Tracht und färbte mir Gesicht und Hände. Blomtje weiß selbst nicht anders, als daß ich ein Malaie bin, der auf europäischen Schiffen fuhr.

Anne-Marie hatte Alles, Alles vergessen. Sie dachte weder des Besuches, der sich bei ihr hatte anmelden lassen, noch der Magd, die draußen ungeduldig auf und ab trippelte und nicht begreifen konnte, weshalb das Gespräch in dem Kiosk so lange dauere.

Die Jungfrau lächelte über die List ihres jungen Freundes, der ihre Hand hielt, die er mit Küssen bedeckte und sprach:

– Erzähle mir Alles, Hendrick, was Du erlebtest, und wie Du von jenem Felsen gerettet wurdest. War es wirklich ein englisches Schiff, welches sich Deiner erbarmte? O, verhehle mir nichts!

Hendrick folgte dem Befehle und Beide waren so ganz dem Zauber der Gegenwart hingegeben, daß sie für alles Andere kein Gedächtniß hatten.

Endlich wußte sich Blomtje vor Ungeduld nicht länger zu lassen. Sie eilte dem Kiosk zu, so schnell sie nur konnte. Aber ebenso schnell prallte sie zurück, denn sie erblickte ihre Herrin und ihren Geliebten traulich neben einander sitzend, Hand in Hand, gegenseitig im Anschauen versunken.

Blomtje war vor Entsetzen außer sich. Anne-Marie, des stolzen Bewindhebbers Tochter, in zärtlicher Gemeinschaft mit einem malaiischen Matrosen, den sie bis vor einer Stunde noch nicht kannte; von dessen Dasein sie keine Ahnung hatte. In dem ersten Augenblicke wollte sie in den Kiosk stürzen und Beide mit einer Fluth von Vorwürfen überhäufen. Aber eine kurze Ueberlegung sagte ihr, daß dadurch nichts erreicht würde. Hier mußte anders gehandelt werden und das forderte vor allen Dingen Ruhe und Ueberlegung. Ihr ganzes Gemüth war von Groll erfüllt. So sehr sie – wenn auch nur um des eigenen Vortheils willen – ihrer jungen Herrin gewogen war, kehrte sich diese Anhänglichkeit alsbald im vollsten Haß gegen diese Dame. Anne-Marie wagte es, ihr den jungen Mann abspenstig zu machen, dem sie nun einmal ihre volle Neigung zugewendet hatte. Sie verließ den Garten. Unbekümmert um das Abenteuer in dem Kiosk, ging sie in das Haus zurück, mit sich berathend, wie sie am Besten das entdeckte Geheimniß zur Sättigung ihrer Rache benutzen könnte.

Der Abendwind erhob sich und spielte mit den blühenden Schlingpflanzen, welche den Eingang zum Kiosk halb verhüllten. Anne-Marie und Hendrick kehrten aus ihrer Traumwelt in die Wirklichkeit zurück.

– Flieh', Geliebter! Flieh'! Bevor es zu spät wird. Wo ist Blomtje? Ich sehe sie nicht.

– Die Dirne ist fort!

– Weh' mir, wenn sie uns verrieth! Wenn sie sah ... Was beginne ich? Aber vor Allem Du, Hendrick? Bringe Dich in Sicherheit. Ich beschwöre Dich um der Liebe willen, die wir uns soeben feierlich gelobten.

– Fürchte nichts für mich, entgegnete er rasch. Mir ist nichts furchtbar, nun ich weiß, daß Du die Meinige bist. Aber um Deinetwillen entferne ich mich. Doch nur unter einer Bedingung –

– Alles, was Du willst, mein Geliebter!

– Daß ich Dich wiedersehe! Bald!

– Wir sehen uns wieder. Ich werde Wege und Mittel finden, Dich zu sehen. Das gelobe ich.

– Dann lebe wohl! Noch einen Kuß! Möge uns Gott gnädig sein um der Liebe willen, die so heiß in unsern Herzen glüht.

Er war auf und davon. Anne-Marie schritt mit wankendem Fuße und bange klopfendem Herzen dem Hause zu. Auf demselben Wege kam ihr Blomtje entgegen. Das Mädchen that ganz unbefangen und erwähnte das Vorgefallene mit keiner Sylbe, sondern sagte:

– Wie wagtet Ihr es nur, so spät im Garten zu bleiben? Ich wurde abberufen, um die angekommenen Damen zu bedienen, und konnte erst jetzt hinaus, um Euch zu rufen. Gewiß seid Ihr in dem Kiosk eingeschlafen?

– Ja! sagte Anne-Marie kaum hörbar.

– Gern hätte ich meinen Bräutigam, denn so nenne ich den Hendrick schon, noch gesprochen, fuhr die Dirne kichernd fort und jedes Wort war ein Nadelstich in das Herz der armen Anne-Marie. Hoffentlich habt Ihr den armen Jungen gnädig entlassen?

– Gewiß! entgegnete diese zitternd und betrat das Haus.

Der Besuch, sichtlich verstimmt durch die Vernachlässigung, welche die junge Dame vom Hause durch ihr Ausbleiben zeigte, nahm die angebrachten Entschuldigungen ziemlich kühl auf und entfernte sich bald. Anne-Marie konnte sich früh in ihr Schlafzimmer zurückziehen. Sie schickte die Dienerin fort, nicht um zu schlafen, sondern um mit ihren Träumen allein zu sein. Die unerwarteten Begebenheiten hatten sie in eine fieberhafte Aufregung versetzt. Sie dachte nichts, als Hendrick Jonker und was sie thun müsse, um ein großes Unglück zu verhüten, welches die Enthüllung dieses Geheimnisses hervorrufen konnte.

Blomtje war draußen allein. In dem kleinen Kopf und Herzen stürmte es gewaltig. Die Wellen gingen hoch. Die Eifersucht hatte sich ihrer vollständig bemächtigt. Alle Liebe, welche sie für ihre junge Herrin empfand, ward von dieser Leidenschaft verschlungen. Sie dachte an nichts, als an Rache. Die Verwegene, die es wagte, den hübschen Jungen, dem sie ihre Neigung zuwandte, an sich zu reißen, mußte für diesen Frevel bestraft werden, und sie wollte es sein, welche diese Strafe auf sie herabrief.

Aber wie sollte sie dies beginnen? Konnte sie offen als die Anklägerin einer Dame von solchem Stande auftreten? Und wenn sie es thäte, wer würde ihr glauben? Ein Wort des Gegentheils, und sie wäre verloren. Schimpflich fortgejagt und als Verleumderin bestraft, würde die eigentliche Schuldige obenein ihres Mißgeschickes lachen und ihres Raubes in der größten Sicherheit sich freuen.

– Nein! sprach sie in immer erregterer Stimmung vor sich hin. Das genügt mir nicht. Ich muß es anders anfangen. Nicht ich darf als Klägerin auftreten. Ein Anderer muß es an meiner Statt thun. Es muß Jemand sein, der in Ansehen steht; dessen Worten man glaubt und der sie mit seiner Anklage zu schanden machen kann. O, die Schändliche, die mir glauben machte, sie wolle meiner jungen Liebe zu Gefallen ein Opfer bringen, und die nun selbst ... So plötzlich kann es nicht gekommen sein! unterbrach sie sich, schnell zu einem andern Gegenstande überspringend. Wer weiß, wo sie den Treulosen sah und in Liebe zu ihm entbrannte? Muß ich nun nicht glauben, daß ihr meine Bitte ein willkommenes Ereigniß war und daß sie mich heimlich auslachte, als ich den Geliebten selbst in ihre Arme führte? Und ob nicht dieser Abscheuliche, dieser Hendrick, mir eine Zuneigung heuchelte, nur damit ich ihn in die Arme der Anne-Marie führe. O, wie schändlich, wie abscheulich das ist! Aber ich will mich für die erduldete Schmach rächen. Ihr sollt es mir büßen und ich werde den Rechten finden, der Euch den Todesstoß beibringen soll.

Von der Straße her erscholl Lärmen. Es waren einige Nachtschwärmer, die von einem wüsten Gelage heimkehrten. Als sie näher kamen, vermochte man die einzelnen Stimmen zu unterscheiden.

Blomtje horchte auf.

– Das ist Claus Pietersen, der jüngste Clerk und der tollste Spieler, den wir in Buitenzorg haben. Und das ist ... Gewiß, das ist Joris de Saar. Wie er lacht und alle Andern überschreit! Dieser Herr ist immer freundlich mit mir gewesen, und wenn ich nur wollte, könnte ich ihn ganz und gar in der Tasche haben. Er ist auch splendid und hat mir schon manches Geschenk gemacht. Vorzugsweise, als es hieß, er werde in das Haus kommen und unsere Jungfer Anne-Marie zur Frau nehmen. Armer Joris, wenn Du wüßtest, wem sich Deine muthmaßliche Braut an den Hals geworfen hat. Und warum soll er es nicht wissen? Ich könnte es ihm sagen und er könnte der Mann sein, der mich rächte für das Unrecht, welches sie mir zufügte. Das wäre eine Strafe für sie, wenn sie vor dem Manne gedemüthigt stehen müßte, den sie mit solchem Hohne zurückgewiesen hat, als wäre sie die Tochter des General-Gouverneurs und noch etwas darüber hinaus. Ja, ja! So bringe ich es zu Stande! Gleich morgen soll es geschehen.

Als die Zeit am andern Morgen so weit vorgerückt war, daß die Einwohnerschaft von Buitenzorg sich zum Genusse des neuen Tages erhob, saß Joris de Saar verdrießlich und überwacht in der luftigen Vorhalle, geliebkost von all' den körperlichen Annehmlichkeiten, welche sich in Folge einer schwelgerisch-verbrachten Nacht einzustellen pflegen. Mürrisch fuhr er den Diener an, der ihm einige Worte zuflüsterte, und sah gleich darauf die junge Dirne im zierlichen Putze vor sich stehen, welche ihn in der letztverwichenen Nacht zu ihrem Ritter erkor, ohne daß er eine Ahnung davon hatte.

– Was bringst Du mir, Blomtje? fragte er gähnend. Vielleicht einen Gruß von Deiner Herrin? Hat sie sich anders besonnen und ist gnadenvoll gegen mich gesinnt?

– O, Mynheer, wie Ihr auch fragt! entgegnete Blomtje. Mit solcher Botschaft würde Jungfrau Anne-Marie mich wohl nicht fortsenden. Ich bringe Euch zwar etwas von meiner Herrin, aber keinen Gruß, und auch nicht, wie Ihr es nennt, etwas von einer gnadenvollen Gesinnung.

– Also, was ist es? fragte Joris, noch immer müde. Willst es mir nicht sagen, und bist doch deshalb gekommen? Aha, ich merke schon, Du willst den Botenlohn voraus haben. Ja, Schatz, daraus kann nichts werden, denn sie haben mich in der vergangenen Nacht rein ausgezogen. Meine Börse starb an der Schwindsucht. Und Du mußt mir nun schon Deine Waaren, wie so viele Andere thun, auf Credit geben.

– Ihr sollt sie haben, entgegnete Blomtje hastig. Ganz umsonst gebe ich sie Euch, denn Ihr seid immer freundlich mit mir gewesen und habt stets für mich eine offene Hand gehabt. Aber Eines müßt Ihr mir versprechen.

– Und was? Ihr Dirnen seid schlau und man muß sich mit Euch vorsehen. Ich verspreche also mit Vorbehalt. Was will Blomtje von mir?

– Daß Ihr mich rächen sollt!

Joris de Saar lachte laut auf.

– Nun, bei allen blitzenden Augen, worin ich mich jemals vergafft habe, das ist lustig. Eine Malaiendirne ruft sich einen Rächer auf. Soll ich vielleicht mit Schwert und Harnisch zu Felde ziehen und einen ungetreuen Liebhaber todtschlagen?

Die Dirne glühte hoch auf und ihre Augen leuchteten:

– Ihr sollt nicht über mich lachen, Mynheer. Ihr sollt nicht. Meint Ihr, Mynheer, weil Ihr groß und vornehm seid und ich nur klein und geringe bin, Ihr könntet mich verlachen? Wenn bei dem, was ich weiß, Einer auszulachen ist, so seid Ihr es und nicht ich.

– Was untersteht sich die Dirne? rief Joris de Saar auffahrend. Daß ich nicht noch einmal solche Worte höre!

– Ihr werdet sie hören, nicht ein Mal, sondern oft, und werdet nichts dagegen thun können. Und damit die Leute mit dem Lachen aufhören, wenn sie erst wissen, was bis jetzt nur ich ganz allein weiß, bin ich gekommen, um Euch zu unterrichten und Euch beizustehen, damit Ihr Eure Genugthuung bekommt, welches zugleich auch die meinige sein wird.

– Das ist ein so tolles, verworrenes Zeug, als ich jemals hörte, sagte Joris, der nicht wußte, wie er mit der Dirne daran war. Kurz und gut, Blomtje, Du sprichst deutlich und geradezu, damit ich Dich verstehen kann, oder Du lassest mich ungeschoren. Zu unnützen Schwatzereien habe ich keine Zeit.

– Ihr habt die Zeit und müßt sie haben, Mynheer, entgegnete die Dirne. Und darum vernehmt, was ich Euch zu sagen habe.

Blomtje erzählte nun ihr ganzes Verhältniß zu dem jungen malaiischen Seemanne, den sie zu ihrer Gebieterin führte und was zwischen jenen Beiden in dem Kiosk vorgefallen war.

Mit wachsender Aufmerksamkeit hörte Joris de Saar das Mädchen an. Er haschte die Worte von ihren Lippen und ließ sich Mehreres nochmals wiederholen. Als sie endlich aufhörte, sagte er:

– Was Du mir da erzählt hast, klingt so unglaublich, daß ich nicht im Stande bin, es für wahr zu halten. Entweder bist Du betrogen, oder Du willst mich betrügen. Gegen das erstere habe ich nichts, aber das letztere soll Dir nicht gelingen. Warte hier. Dieser Angelegenheit müssen wir weiter nachforschen.

Er ging hinaus. Blomtje, die seine Absichten nicht kannte, fühlte sich beklommen und wollte fort. Ein Diener wehrte ihr den Ausgang. Gleich darauf kam Joris mit dem Capitain zurück und sagte:

– Das ist die Dirne. Ihr mögt nun aus ihrem eigenen Munde vernehmen, was ich Euch in flüchtigen Worten mittheilte. Frisch auf, Blomtje, sage meinem Vater Alles, was Du mir gesagt hast.

– Ach, sprach Blomtje zitternd. Herr Capitain ... ich kann nicht ... Ihr seht mich so drohend an.

– Rede! unterbrach sie der Capitain. Hast Du gelogen, indem Du eine edelgeborene Dame verleumdetest, sollst Du der Strafe nicht entgehen; hast Du die Wahrheit gesagt, soll Dir Dein gerechter Lohn werden.

Die Dirne wiederholte nun unter Thränen und Schluchzen, was sie vorhin dem Joris frei und offen erzählte. Vater und Sohn sahen einander an und der Erstere sagte, als die Beichte vorüber war:

– Das ist die seltsamste Geschichte, die mir vorgekommen ist. Wenigstens soll sie dazu dienen, meine Pläne zu fördern.

– Ihr denkt noch daran! sagte Joris mit einem Anfluge sittlicher Entrüstung. Sollte ich mich mit einer Dame verbinden, auf der ein solcher Makel haftet?

Der Capitain sah seinen Sohn mit einem Blick des unsäglichsten Hohnes an und sagte dann kalt:

– Dein Zartgefühl wird sich erbitten lassen und über diese kleine Verirrung hinwegsehen. Ich besitze das Mittel, dem Bewindhebber seine Millionen zu erhalten, und Anne-Marie ist die Erbin dieser Millionen.

Joris schwieg. Der Capitain ließ sich mit der Dirne in eine genauere Unterredung ein und alle Drei verabredeten mit einander, wie man verfahren müsse, um des Sieges gewiß zu sein.

Ein schweres Unwetter zog sich über Anne-Marie und den armen Hendrick Jonker zusammen.

*

Mehrere Tage vergingen. Anne-Marie, welche sich nach dem Ereignisse jenes Abends befangen fühlte, gewann endlich die nothdürftige Fassung. Mit einiger Unruhe sah sie auf ihre junge Dienerin, und als sie eines Morgens auf den malaiischen Seemann hindeutete, unterbrach Blomtje sie mit den Worten:

– Der Treulose! Ich weiß nicht, was ihm in den Kopf gefahren ist. Er sieht mich vornehm über die Achsel an und will nichts von mir wissen. Aber ich räche mich und nehme mir einen Andern, der nicht so hochmüthig thut. Laßt den Narren laufen. Er soll es bereuen.

Als Anne-Marie es wagte, auf Hendrick hinzudeuten, klopfte ihr Herz bang. Die Aeußerungen des Mädchens beruhigten sie einigermaßen.

– Du bist im Stande, leicht zu vergessen! sagte Anne-Marie mit leiser Stimme.

– Ach, entgegnete diese rasch. Es war ja nur Verstellung, wenn ich Euch glauben machen wollte, er sei mir gleichgültig. Ich habe ihn wohl noch lieb, und wenn er zu mir käme und sagte: Blomtje, es thut mir leid, daß ich ein Narr war. Fuhr mir der Hochmuthsteufel schwer zu Kopfe, als ich mir einbildete, daß etwas Rechtes aus mir werden könnte. Dafür verspreche ich Dir, daß ich ein ruhiger und bescheidener Mann sein will, wenn ich wirklich etwas geworden bin. Ja, wenn er so sprechen wollte.

Anne-Marie dachte kein Arges. Sie ahnte nicht, daß ihre Dienerin, welche sie so oft mit Wohlthaten überhäufte, es darauf anlegte, sie zu verderben. Darum sagte sie mit herzgewinnender Freundlichkeit:

– Vielleicht, daß er es thut. Wo nicht, so wird Dir der Himmel Kraft geben, den Verlust zu ertragen. Wir vermögen viel über unser Herz, wenn wir nur wollen.

– Ich meine, sagte Blomtje, indem sie sich vor ihrer Gebieterin niederwarf und den Saum des Kleides an ihre Lippen drückte, daß Hendrick seinen Fehler gut machen würde, wenn es ihm Jemand sagte, vor dem er Respekt haben muß, und das könnte Niemand besser, als meine gute, liebe, süße, theure Herrin!

– Ich? rief Anne-Marie erschreckt und blickte fast furchtsam auf das vor ihr knieende Mädchen. Nein! Nein! Ich nicht!

Das Herz der Jungfrau pochte. Sie konnte nicht anders glauben, als daß Hendrick Jonker die Dirne zu beschwatzen gewußt, daß sie diese Bitte ausspreche, damit er Gelegenheit erhielt, wieder in der Nähe der Geliebten zu sein. Auch ihr Herz schlug laut bei dem Gedanken, dem nahe zu sein, dem sie sich mit voller Seele ergeben und dem für immer anzugehören sie feierlich geschworen hatte. Aber die Zusage wäre eine Täuschung gewesen. Darum vermochte sie nicht, den Wunsch der Dienerin zu erfüllen, den sie für aufrichtig erkennen mußte. Aber Blomtje ward immer dringender. Sie flehte mit so hinreißender Leidenschaft ihre junge Herrin an, daß diese nicht im Stande war, lange Widerstand zu leisten. Voll stürmischer Empfindungen, die der Gedanke an den Geliebten in ihr hervorrief, ertheilte sie ihre Einwilligung. Rasch erhob sie sich, die treulose Magd, mit einigen geflügelten Dankesworten und eilte dann nach dem Orte, wo sie Hendrick zu finden hoffte, bei welchem ihr eine gleiche Täuschung nur zu gut gelang.

Abermals warf die Sonne ihre längeren Schatten, als Hendrick, von Blomtje geleitet, in dem Garten erschien und den Weg betrat, der zu dem Kiosk führte.

– Nun geht und seid glücklich! sagte die Dirne zu ihm. Ihr habt mir Liebe gelogen und ich habe Euch wirklich geliebt. Für diesen Betrug haßte ich Euch und würde mich gerächt haben. Allein um ihretwillen verzeihe ich Euch.

– Mädchen! Blomtje! rief Hendrick Jonker. Das werde ich Dir nimmer vergessen.

– Es ist schon gut! sagte sie, sich von ihm, der sie in seiner Freude umarmen wollte, losmachend. Geht zu Eurer und meiner Herrin. Ich bleibe hier, um über Eure Sicherheit zu wachen und meinen Verlust zu beweinen.

Hendrick flog auf den Kiosk zu. Die Geliebte empfing ihn mit offenen Armen. Lachend und weinend sank sie an seine Brust. Zeit und Raum ward in einem und demselben Augenblick vergessen.

In dem Garten ward es lebendig. Capitain de Saar erschien mit seinem Sohne Joris. Ein triumphirendes Lächeln schwebte um Beider Lippen. Von der andern Seite kam ihnen Herr van Hoorn entgegen. Der Bewindhebber, der seit langen Tagen sehr kleinmüthig geworden war und melancholisch vor sich hinbrütete, hatte sein Zimmer gar nicht verlassen wollen und war nur durch die Ueberredungskunst eines schlauen Dieners dazu verleitet worden, der ihm gesagt hatte, daß irgend etwas Unerwartetes seiner dort harre. Als der Mann die beiden Saars erblickte, runzelte er die Stirn und sagte zu diesen gewendet:

– Seid Ihr vielleicht die Ueberraschung, die mir gemeldet ist?

– Wenn wir uns hätten melden lassen, antwortete der Capitain, wäre es nur in der Ordnung, denn es ist heute der Tag, an welchem Ihr Eure Erklärung wegen der bewußten Angelegenheit abzugeben habt. Eine solche Meldung ist aber nicht geschehen und aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte sie auch ganz und gar unterbleiben.

Herr van Hoorn, den Alles, was er in dieser Zeit hörte, unangenehm berührte, sah den Capitain an und fragte:

– Wie ist das gemeint, wenn es beliebt?

– Wenn sich das, was mir als eine Wahrheit mitgetheilt ward, wirklich so verhält, war die Antwort, könnt Ihr Euch Alles von selbst erklären. Eure Sache steht schlecht. Ein Schiff, welches direkt von dem Mutterlande kommt, brachte neue Nachrichten von der Eigenmächtigkeit, welche sich manche Herren von dem Verwaltungs-Rathe haben zu Schulden kommen lassen, und selbst die Vernichtung aller Papiere, welche sich, Ihr wißt es, wo, befinden, würde nicht hinreichen, Euch von einem Verdachte zu befreien, der eine Untersuchung zur Folge haben wird.

Der Bewindhebber ward bleich.

– Für jeden Fall kann ich auf Euren Beistand rechnen. Ihr wißt, daß Ihr mir denselben zusagtet, daß es von meiner Seite mit einem großen Opfer geschah und daß Ihr dies Opfer angenommen habt.

– Wenn die Verhältnisse es mir nicht verbieten, ein Opfer anzunehmen, welches zu bringen vielleicht allzu große Ueberwindung kostet, entgegnete der Capitain doppelsinnig. Aber man hat mir auch gesagt, daß Eure Tochter hier im Garten sei. Fürchtet Ihr nicht, daß der Abendwind die bösen Dünste, welche aus dem Jakarta aufsteigen, hierher tragen könnte? Das ist Gift für junge, zarte Personen.

– Meine Tochter? Hier? sagte der Bewindhebber. Und wenn es ist, woher ward es Euch bekannt?

– Gute Freunde erzählen sich alles Bemerkenswerthe, gab der Capitain zur Antwort. Und bemerkenswerth ist es allerdings, daß eine Dame, wie Jungfrau Anne-Marie, stets die Einsamkeit sucht, statt mit jungen Mädchen ihres Alters die Zeit in heiteren Kreisen zu verbringen. Wollen wir nicht nach jenem Kiosk gehen?

Joris war bereits einige Schritte voraus. Die Liebenden saßen drinnen in stiller Sclbstvergessenheit neben einander. Die Jungfrau hatte ihr Haupt an des Geliebten Schulter gelehnt. Er hielt sie mit seiner Rechten umschlungen und küßte ihre Stirn. Da flog es wie ein dunkler Schatten an ihnen vorüber. Erschreckt sahen sie auf und erblickten den Bewindhebber in einer drohenden Stellung dicht vor sich stehen.

– Jungfrau Anne-Marie befindet sich in Gesellschaft, sagte der Capitain boshaft. Es war ungalant von uns, sie zu stören, und wir können uns nur mit unserer Unwissenheit entschuldigen.

– Ein Malaienhund in den Armen meiner Tochter! stöhnte der Bewindhebber. Eine unauslöschliche Schande ist über mich gekommen.

– Es geht Alles in Eins hin, Mynheer, sagte Capitain de Saar. Den Vertrag meinerseits zu halten, wird indessen Niemand verlangen. Du aber, mein Sohn Joris, kannst Deinen noblen Sinn dadurch beweisen, dass Du ein paar handfeste Kulis herbeirufst, die jenen frechen Hund schlagen, bis er den Geist aufgiebt.

– Rührt mich nicht an! rief Hendrick Jonker aufspringend. Wer seine Hand an mich legt, hat es zu bereuen!

– Ein Malaien-Ritter! rief Capitain de Saar lachend. Er wird uns einen Kampf auf Leben und Tod anbieten.

– Ich bin kein Malaie! entgegnete Hendrick. Ich bin ein Niederländer, so gut, als Einer von Euch. Wer sich untersteht, eine Hand nach mir auszustrecken, gegen den setze ich mich zur Wehre und lasse nicht von ihm ab, bis er darnieder liegt.

– Also eine Art Komödie wird hier gespielt? sagte der Capitain, aufmerksam werdend. Wer bist Du denn eigentlich, mein Bürschchen? Wir wollen dieser Verkleidung näher auf den Grund zu kommen suchen.

– Wer es auch sei! rief der Bewindhebber dazwischen, der jetzt erst im Stande war, sich zu fassen. Es ist ein Kerl, der in mein Haus dringt und sich wie ein gemeiner Dieb einschleicht, um mich zu bestehlen. Aber er soll seine Strafe empfangen, gleich auf der Stelle, wie sie einem Diebe, einem Räuber gebührt.

Anne-Marie eilte auf den Vater zu, den sie mit beiden Armen umschlang und ausrief:

– Lege keine Hand an ihn! Du tödtest mich, wenn Du ihn tödtest!

Der Bewindhebber machte sich von ihr los und rief:

– Hinweg von mir, Du Unwürdige! Du gehörst mir nicht mehr an. Ich kenne Dich nicht.

Nach diesen Worten drang er auf's Neue auf Hendrick Jonker ein, der ruhig den Angriff zu erwarten schien. Aber Anne-Marie klammerte sich in voller Verzweiflung an den Vater fest und schrie:

– Laß ab von ihm! Du wirst nicht einem Manne das Leben nehmen wollen, der das Leben Deiner Tochter zwei Mal rettete.

Joris de Saar, der nicht wußte, was das bedeuten sollte, sah den Vater fragend an. Der Capitain aber rief triumphirend:

– Daher also der bekannte Ton seiner Stimme? Ist das der Kajüten-Wächter des »Oranienbaum«?

– Der bin ich, entgegnete Hendrick Jonker. Ich bin der Mann, den Ihr unbarmherzig auf einer starren Klippe in offener See zurückließet, damit ich elend umkommen und verderben sollte. Aber Gott im Himmel, der barmherzig ist, hat es anders beschlossen und mir einen Retter gesandt –

– Halt, Bursch! donnerte Capitain de Saar ihn an. Du stehst mir, Deinem Chef, gegenüber und Du wirst Deinen Mund nicht öffnen, ehe ich es Dir nicht befehle. Das ist also der Deserteur? Nun, der See-Artikulsbrief wird Dich lehren, was Deine Strafe ist.

– Ich bin kein Deserteur! rief Hendrick Jonker. Ihr aber seid an mir zum Verbrecher geworden und ein entsetzliches Ende wäre über mich gekommen, wenn nicht die Engländer sich menschenfreundlich meiner erbarmten und mich nach Bombay brachten.

– Engländer? Bombay? fragte der Capitain lauernd. Ist das nicht die Geschichte, welche neulich, lächerlich aufgeputzt, von Haus zu Haus lief? Also erst ein Deserteur, und als solcher in die Schiffslisten eingetragen. Dann ein Holländer, der in britische Dienste tritt und in Bombay mit den Engländern conspirirt. Nun, mein Junge, Du giebst uns in Deiner Einfalt den Stoff zu einer Criminal-Untersuchung, welche Dir Deinen Kopf kosten kann. Vorläufig aber wollen wir Dich an einen Ort bringen, wo Dir die Lust vergehen soll, auf die Jagd nach Liebes-Abenteuer auszugehen.

Auf Joris' Rufen waren mehrere von den Hausleuten herbeigekommen und befanden sich dem Kiosk nahe. Allein sie wagten sich nicht in denselben hinein, denn von der andern Seite her bewegte sich eine Gruppe, welche die Aufmerksamkeit Aller auf sich zog. Es war dies der oberste Richter von Batavia und seine beiden ersten Beisitzer, mit allen Zeichen ihrer Amtswürde bekleidet und von einer zahlreichen Dienerschaft gefolgt. In Begleitung jener Herren befand sich auch Mynheer Halle-Jantzen. Dieser trat ohne Weiteres an den Bewindhebber heran und sagte zu diesem:

– Ihr habt den guten Rath verschmäht, den ich Euch vor einiger Zeit wiederholt ertheilte. Nun ist es zu spät, und der Kolonial-Rath hat für gut befunden, Eure Verhaftung zu verfügen.

– Meine Verhaftung? rief der Bewindhebber und raffte all' seinen Muth zusammen. Wer wagt es, seine Hand nach mir auszustrecken?

– Ich! sagte der Oberrichter und legte seine Hand auf die Schulter des Bewindhebbers. Durch diese Berührung seid Ihr meiner Gewalt unterworfen.

– Das ist ein Verfahren, gegen das ich feierlich protestire! fuhr der Bewindhebber fort. Es ist eine himmelschreiende Gewalt, die man gegen einen Mann wie mich verübt. Noch einmal: Ich protestire!

Halle-Jantzen trat zu ihm und sagte:

– Das erste Mal habt Ihr den Rath, den ich Euch gab, nicht beachtet, und Ihr seht, daß es Euch nicht zum Besten ausgeschlagen ist. Nutzt den zweiten besser. Er lautet: Protestirt nicht, sondern fügt Euch der Nothwendigkeit und sucht durch Eure Nachgiebigkeit es dahin zu bringen, daß man, um der früheren Maatschaft willen, Alles mit dem Mantel der Liebe zudeckt.

– Was habe ich zu thun? fragte der Bewindhebber tonlos, während sich Herr Halle-Jantzen mit einem der Beisitzer entfernte. Ehe er ging, gab er Herrn van Hoorn zur Antwort:

– Man wird Eure Angelegenheit sogleich vornehmen und sie beschleunigen. Durch Offenheit und Fügsamkeit lassen sich manche Umstände mildern. Das bedenkt, nicht nur um Euret-, sondern um Eures Kindes willen, die alles Leid mit Euch tragen muß und nicht das Geringste verschuldete.

Von dem Augenblicke an, da die Gerichts-Personen in dem Garten erschienen, hatte sich Anne-Marie nur zu ihrem Vater gehalten, und als der Oberrichter die Schulter desselben berührte, stieß sie einen durchdringenden Schrei aus:

– Ich lasse Dich nicht, Vater! Ich bleibe bei Dir, was auch geschehen möge.

Der Oberrichter nahm jetzt das Wort und sagte zu Herrn van Hoorn:

– Es steht mir zu, die Pflichten meines Amtes mit denen der Menschlichkeit zu vereinigen. Der Anfang eines Prozesses ist nicht dessen Ende. Das letztere vermag kein Mensch voraus zu sehen, da es Umstände giebt, unvorhergesehene Fälle, welche oft das Gegentheil von dem bewirken, was man bewirken wollte. Darum genügt es, wenn Ihr Euer Ehrenwort gebt, daß Ihr Euer Haus nicht verlassen und gestatten wollt, daß zwei Personen, die Euch sonst nicht zur Last fallen sollen, darin ihr Quartier nehmen.

– Ich gebe dies verlangte Wort, antwortete der Bewindhebber völlig niedergeschlagen, und gehe sogleich hinein.

Anne-Marie hing sich an ihn und suchte ihn zu stützen, nachdem sie noch einen schmerzlichen Abschiedsblick auf Hendrick Jonker warf. Langsam schritten Beide dem Hause zu, gefolgt von den Beamten, welche schon vorher dazu bezeichnet wurden.

Capitain de Saar, der hier alle seine Pläne scheitern sah, war in einer nicht zu schildernden Stimmung. Was er gethan hatte, schien umsonst. Selbst der Besitz jener Dokumente, die er sich auf eine widerrechtliche Weise angeeignet hatte, wurde nun nutzlos, nachdem die Untersuchung eingeleitet worden, in Folge der neueren Nachrichten, welche aus Amsterdam eingegangen waren. Allein so leicht giebt sich ein Mann, wie Herperts de Saar, nicht gefangen, und mit einer raschen Wendung trat er zu dem Oberrichter:

– Vielleicht, daß ich in dieser Angelegenheit dem Kolonial-Rathe zur Hand gehen kann. Es ist mir Manches bekannt geworden, was sonst Niemandem zugänglich war – –

– Wenn dies geschah, entgegnete der Oberrichter, konnte es nur auf eine widerrechtliche Weise geschehen, und das würde Euch in den Augen des Gerichts nicht besonders heben.

– Nun, Mynheer! sagte der Capitain. Ich wäre der Meinung, wenn man in einer wichtigen Angelegenheit sein Ziel erreichen kann, ist es thöricht, in der Wahl der Mittel allzu schüchtern zu sein. Es giebt – wir sind hier unter uns, Mynheer, also kann ich offen sein – es giebt einige Dokumente – –

– Allerdings! unterbrach ihn der Oberrichter. Wenn Ihr die Dokumente meint, die sich in den Händen eines gewissen Agenten befanden, so laßt Euch belehren, daß dieser Agent, der in der Maske eines ehrlichen Mannes einherging, von Hause aus ein großer Spitzbube war. Die Papiere, welche er unter der Adresse des Bewindhebbers an Bord des »Oranienbaum« sandte, waren werthlose Abschriften, während die Originale erst jetzt von Amsterdam an uns gelangt sind.

– Teufel! rief der Capitain und alles Blut wich aus seinem Gesicht.

– Der Teufel ist ein schlauer Gesell, der Den betrügt, der sich mit ihm einläßt! entgegnete der Oberrichter. Hiermit ist unser Gespräch am Ende. Zum Schlusse desselben nehmt auch Ihr einen guten Rath an. Bekümmert Euch nicht um fremde Angelegenheiten, so lange die Eurigen selbst bedenklicher Natur sind. Hört Ihr das, Mann? Eure Angelegenheiten und die Eures lockeren Sohnes. Weiter brauche ich Euch nichts zu sagen.

Der Oberrichter entfernte sich. Die beiden Saars standen wie angedonnert. Hendrick Jonker, der dies Alles wie im wüsten Traume ansah, sagte:

– Welche entsetzlichen Ereignisse gehen hier vor. Ach, Du arme Anne-Marie! Was wird mit Dir geschehen?

Bei dieser Stimme kam Leben in die Gestalt des Capitains zurück. Er fuhr auf den jungen Mann zu und packte ihn bei der Brust:

– Dich habe ich! Dich! Und ich will Dich nicht wieder von mir lassen! Du sollst mir als Buße dienen für alle Uebrigen. Greift den Buben und werft ihn in das abscheulichste Loch, das Ihr finden könnt. Morgen wollen wir ihn richten.

Die herbeigerufenen Kulis warfen sich auf Hendrick Jonker und schleppten ihn mit sich fort. Joris begleitete sie, nicht karg mit rohen Schimpfworten, die er dem Wehrlosen zurief, der nur leise zusammenzuckte, als die rohen Gesellen ihn mit ihren plumpen Fäusten packten.

Der Capitain entfernte sich grollend; eine Hölle im Herzen.

In dem eigenen Hause, das sonst von vornehmen Gästen wimmelte, in dessen reichen Zimmern sich die kostbarsten Genüsse darboten, saß jetzt einsam und verlassen Mynheer Cord Evertson van Hoorn, keines Wortes mächtig. Nichts fordernd, nichts begehrend, stundenlang keinen Laut von sich gebend, stierte er vor sich hin, unfähig zum Denken, wie zum Handeln, nur noch eine todte Maschine, die Jeder nach Belieben hin und her schieben konnte.

Anne-Marie irrte umher, wie ein Schattenbild. Es war ein erbarmungswürdiger Anblick, das sonst so frisch-blühende Mägdlein, bleich und abgehärmt, mit Thränen in den Augen, in den leeren Zimmern auf und ab wanken zu sehen.

– Dahin! Dahin Alles! Die Sonne ging mir unter, als sie mir kaum aufgegangen war und ich mich ihres ersten jugendlichen Strahles erfreute. Vater! Wie war es Dir möglich, Deiner Anne-Marie einen solchen Schmerz zu bereiten?

Sie stand vor ihm still und sah ihn mit verweinten Augen an:

– Sprich zu mir, Vater. Sitze nicht so stumm und starr da, wie ein ehernes Bild. Sie haben Dich angeklagt, Vater! Aber ich kann nicht glauben, daß es wahr ist. Die Saars haben dies Bubenstück ersonnen, um Dich zu schrecken und mich einzuschüchtern, damit ich meine Hand jenem verworfenen Menschen reichen soll, der ein Schrecken und Abscheu jeder ehrbaren Jungfrau ist! Vater! Ich muß in so früher Jugend bereits alle meine Freuden und Hoffnungen begraben. Sei barmherzig und raube mir nicht die letzte, an die ich mich mit aller Kraft meiner Seele klammere. Erhebe Dich in dem Gefühl Deiner Rechtlichkeit, tritt den Verleumdern gegenüber und sage ihnen, daß sie Lügner sind.

Mynheer van Hoorn vernahm die leidenschaftlich ausgestoßenen Worte seiner Tochter und streckte die Hand nach ihr aus:

– Mein Kind! Mein Kind!

Anne-Marie ergriff die Hand, hielt sie fest in der ihrigen und sagte mit lauter Stimme:

– Du hast mich gehört und verstanden?

Cord Evertson van Hoorn nickte.

– Gieb mir dir heißersehnte Antwort, Vater! Mein Herz droht zu zerspringen. Mache dieser entsetzlichen Folter ein Ende.

Der Bewindhebber ließ die Hand der Tochter fahren. Er sah zu ihr auf und bewegte die Lippen. Aber keines Wortes mächtig, wandte er sich von ihr ab und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

– Verloren! Verloren! schrie Anne-Marie und sank ohnmächtig nieder.

Blomtje, welche in der Nähe weilte, flog herbei. Sie kniete neben der bewußtlosen Gebieterin und sagte schluchzend:

– Wehe mir, daß ich es that! Ich werde es mir niemals verzeihen.

*

Capitain de Saar war nicht bei besonders guter Laune. Er hatte am gestrigen Tage gehandelt, aber die Folgen, die aus dieser Handlungsweise entsprangen, konnten auf ihn zurückfallen. Der Hauptanschlag, den Bewindhebber ganz und gar in seine Gewalt zu bekommen und ihn durch die Verheirathung Anne-Marie's mit seinem Sohne für immer an sich zu fesseln, war unrettbar verunglückt. Auch konnte ein solches Bündniß für ihn durchaus keinen Reiz mehr haben, denn die erste Folge der eingeleiteten Untersuchung war die, daß das Vermögen des Bewindhebbers vorläufig mit Beschlag belegt ward und für immer verloren ging.

Aber auch der Hendrick Jonker konnte ihm ernstliche Verlegenheiten bereiten. Wohl stand der Kajüten-Wächter dieses Namens in der Schiffsliste als Deserteur bezeichnet und ward bei der Ankunft in Batavia als solcher im Comptoir angegeben. Nun aber war er da. Der Capitain selbst hatte ihn ergriffen und in den Kerker geschickt. Wenn es auch gelang, ihn dort einige Zeit schmachten zu lassen, konnte er doch nicht immer darin bleiben, denn der Verräther schläft nicht und nur zu bald würde sich eine Stimme für den unschuldigen Unglücklichen erhoben haben. Dann war ein Verhör unvermeidlich, und selbst bei der günstigsten Wendung der Dinge, die aber Capitain de Saar kaum hoffen durfte, sah er einer langen Reihe von Verdrießlichkeiten entgegen. Er verwünschte und verfluchte den Tag, an welchem die Seelen-Verkäufer ihm diesen Jungen an Bord sandten, und grübelte darüber nach, wie er sich desselben am gewissesten entledige.

An ihm vorüber gingen alle Erlebnisse der überstandenen Reise, mit denen Hendrick Jonker in irgend einem Zusammenhange stand. Rückwärts wandten sich die Gedanken des Capitains von der Küste von Java, vorüber an der Steinklippe mit dem blumengeschmückten Abgrund, vorüber an der tollen Lustbarkeit des Hänselfestes und dem aus der Höhe herabstürzenden Wasserkübel, bis zu dem Ausbruch der kurzen Revolte, bei deren Schluß Hendrick Jonker mit gezogenem Messer auf der Vorderluke stand.

– Das ist es! sagte er zu sich selbst. Wer mir hier die rechte Fährte zeigte!

Die Nachricht, daß der vermißte Kajüten-Wächter von dem »Oranienbaum«, als Malaie verkleidet, am Bord eines Malaien-Schiffes befindlich, in Batavia angekommen sei und als gemeiner Dieb in dem Garten des Herrn Cord Evertson van Hoorn ergriffen und eingesperrt worden sei, verbreitete sich überall hin. Die Kunde erregte bei Allen, welche am Bord jenes Schiffes gewesen waren, ein lebhaftes Interesse. Auch zu den Ohren des Arztes war jene Kunde gedrungen und kaum hatte dieser den Fall bei sich überlegt, als er sich sofort aufmachte und bei dem Capitain eintrat.

– Was wollt Ihr? herrschte ihn dieser an. Wenn ich des Arztes bedarf, werde ich nach ihm senden. Guten Morgen, Mynheer.

– Capitain de Saar wird mich entschuldigen. Ich komme nicht als Arzt, sondern als Mensch, in rein menschlicher Absicht. Mein Wunsch ist, Euch vor einer Ungelegenheit zu bewahren.

– Recht menschenfreundlich. Nur schade, daß ich von dieser Gabe, die Ihr bietet, keinen Gebrauch zu machen im Stande bin. Nochmals, guten Morgen.

– Diesen guten Morgen wünsche ich Euch, wenn ich gleich fürchte, daß er Euch mangelt! entgegnete der Arzt. Der Hendrick Jonker, der uns unterwegs verloren ging, ist wieder da. Das dumme Volk nennt ihn einen Dieb. Nun, Mynheer, wir wissen besser, daß er kein Dieb ist.

– Entgeht er dem Galgen, rief Herperts de Saar, soll er der Katze, die dem Deserteur das Fell striegelt, nicht entgehen. Darauf verlaßt Euch.

– Es ist dem Mynheer wohl bekannt, daß der bis dahin vermißte Kajüten-Wächter auch kein Deserteur ist. Mynheer erinnert sich des Mittagessens, zu welchem Ihr mich einludet und welchen Preis ich dafür zahlte.

Capitain de Saar legte schnell bei und sagte freundlich:

– Ihr mahnt mich an eine eingegangene Verbindlichkeit, welche noch keine Lösung gefunden hat. Ich lobe die originelle Weise, mit welcher Ihr mich an meine Saumseligkeit erinnert. Bevor Ihr zu Hause angelangt seid, wird der damals versprochene Madeira sich dort vorfinden.

– Ich bin nicht gekommen, Euch um etwas zu mahnen, was ich nie von Euch anzunehmen gedenke, entgegnete der Arzt rasch. Ich erschien nur, um Euch zu warnen, eine ungerechte Anklage zu erheben, und Euch zu sagen, daß ich als Euer heftigster Gegner auftreten würde. Sagt nicht, daß der arme Hendrick Jonker desertirte. Ihr wißt wohl, daß es nicht wahr ist, und ich würde der falschen Anklage mit aller Entschiedenheit entgegen treten. Nun habe ich mein Anliegen vorgebracht und sage jetzt meinerseits: Habt guten Morgen, Mynheer.

Der Arzt entfernte sich.

– Der Junge ist mein böser Stern, sagte Capitain de Saar, als er sich allein befand. Wir müssen eine Nebelbank heraufbeschwören, die diesen Stern verhüllt und für immer unsichtbar macht. Wo finde ich Den, der mir diesen Dienst leistet? He, hollah! Ruft mir meinen Sohn! Ich lasse den jungen Herrn bitten, sich zu mir zu bemühen! Schnell, Kerle! Rührt Euch, oder ich lasse die Peitsche auf Euern Rücken tanzen.

Die Malaien-Diener, welche hereingestürzt waren, um die Befehle ihres Gebieters zu vernehmen, eilten noch schneller davon. Der Capitain sprach weiter:

– Der Joris muß Rath schaffen. Es ist seine Sache, wie die meinige, und er ist in Ränken und Schwänken erfahren. Verloren ist Alles, worauf ich mit so großer Zuversicht baute, und das danke ich dem Burschen. Hätte sich die Dirne nicht in ihn vernarrt, wäre sie nun und nimmer auf den Gedanken gekommen, meinen Antrag abzuweisen. Und nun soll dieser Bube mir noch andere Schwierigkeiten bereiten? Er soll eine Anklage gegen mich erheben, daß ich ihn ausgesetzt habe? Pah! Mag er dem Satan verfallen, den ich ihm auf den Hals hetzen will in der Person eines Taugenichtses, der für eine Handvoll Rupien seine eigene Gurgel daran setzt, um eine andere abzuschneiden.

Der Capitain sann hin und her, zugleich voll steigender Ungeduld, daß sein Sohn, nach welchem er schickte, noch immer nicht kommen wollte:

– Den Portugiesen Perez, den sie das Schwert von Lissabon nannten, haben wir fortgeschickt, um ein Werft zu beaufsichtigen, damit er uns hier nicht im Wege ist. Der Quartiersmann, der um das Hauptgeheimniß weiß, sitzt auf Edam und ärgert dem Volk die Pest an den Hals, bis sie ihn selbst frißt; den Malaien-Bastard haben wir wegen wiederholter Trunkfälligkeit und Diebstahl auf ein Strafschiff gesandt. So sind Alle, die ein Zeuge jenes Vorfalles waren, aus meinem Bereiche gerückt. Und nun soll der Bursche, der plötzlich und unerwartet vom Himmel fällt, auftreten ... Nein! Nein! Sein Loos ist gefallen.

Joris trat ein. Die Malaien-Diener hatten ihn von Würfel und Becher aufgejagt, zwei Gegenstände, die ihm und einem seiner Gesinnungsgenossen die Zeit kürzten. Er vergaß bei dieser angenehmen Beschäftigung, daß ihm im Laufe des vergangenen Tages eine Weisung von dem Chef des Comptoirs zugegangen war, des Inhaltes, daß ihm zum letzten Male aufgegeben werde, seinen Geschäften ordentlich und pünktlich vorzustehen und sich keine, auch nicht die geringste Vernachlässigung mehr zu schulden kommen zu lassen. Bei der ersten Veranlassung solcher Art würde er sofort seines Amtes enthoben.

Der Capitain, dem diese Zuschrift nicht unbekannt geblieben war, empfing den Sohn, der finster und verdrossen dreinschaute, mit bitteren Vorwürfen und sagte dann:

– Nach den Mittheilungen, die Dir gestern wurden, und nach den Beschäftigungen, welchen Du Dich heute hingiebst, statt Dich auf Deinem Posten im Comptoir zu befinden, hast Du Dich bereits als entlassen zu betrachten.

– Pah! Ich gebe nichts darum! sprach Joris leichthin. War nie nach meinem Geschmack, dieses Herumrutschen auf dem Schreibbock, und ich werde es auch ohne einen solchen Platz aushalten.

– Auch ohne den Gehalt und ohne die Aussicht auf ein Avancement, das Dir nicht fehlen konnte, wenn Du es nur gewollt hättest? Warum nicht? Einem Genie, wie Dir, ist Alles möglich. Bin aber doch neugierig, was Du beginnen wirst, nachdem die reiche Braut und die Brodstelle verloren sind.

– Will es mir überlegen, sagte der Sohn.

– Nur laß es schnell geschehen, fuhr der Capitain fort, sonst kommen Deine Gläubiger, lassen Dich in Gewahrsam bringen und machen auf diese Weise allen Deinen hochfliegenden Plänen ein Ende.

– Dann müßt Ihr mich auslösen! sagte Joris gleichgültig.

Der Capitain lachte laut auf:

– Es ist mir gerade jetzt nicht scherzhaft zu Muthe, aber diese Naivetät geht doch über alle Grenzen hinaus. Mein viellieber Sohn Joris, ich verspüre nicht die geringste Lust in mir, eine Hand auszustrecken, um Dich von dem Abgrunde, der Dich zu verschlingen droht, zurück zu reißen. Magst Du eine Zeit lang dort unten zubringen, wo Du mit den Gleichgesinnten heulen und zähneklappern wirst, bis Deine Gläubiger es müde werden, Dich zu füttern, und Dich laufen lassen. Aber, mein Jungchen, wenn ich auch den redlichsten Willen hätte, Dir beizuspringen, müßtest Du Dich doch mit diesem guten Willen begnügen, denn wir sind mit unserem Vermögen am Rande und es bleibt uns nichts, als eine magere Capitainsgage.

– Das ist nicht wahr! rief Joris erschreckt.

– Finde Dich darin, sagte der Capitain spottend. Wenn ich einmal Muße habe, will ich Dir den Beweis vorlegen. Nun aber gilt es, vorzubauen, damit wir nicht, außer dem Vermögen, auch noch den guten Namen und den Credit verlieren, der, Gott sei Dank, für meine Person noch besteht, und um dies zu bewerkstelligen, habe ich Dich rufen lassen.

Joris, der von dem Augenblicke an, da er die Nachricht von den zerrütteten Vermögens-Umständen des Vaters empfing, wie umgewandelt war, sagte rasch:

– Befehlt, was ich thun soll!

Der Capitain ließ sich auf eine genaue Beschreibung des Vorganges ein und fuhr dann fort:

– Du begreifst, daß der Junge um jeden Preis aus dem Wege geschafft werden muß. Aber nicht wir können das thun. Eine fremde Hand muß uns diesen Dienst leisten, und diese fremde Hand aufzufinden, soll Deine Arbeit sein. Du hast hinreichende Zeit dazu.

– Ich werde diese Hand finden! sagte Joris. Vergönnt mir nur eine kurze Frist zur Ueberlegung. Bald werde ich mit mir einig sein.

Joris hatte sich entfernt, aber schon nach einer halben Stunde kehrte er zurück:

– Habt Ihr nicht Kenntniß, ob der Hafen-Capitain zu Batavia die Aufsicht über die beiden Strafschiffe hat, die am Strande ankern?

– Dem ist so.

– Und seid Ihr nicht auf irgend eine Weise mit diesem Manne bekannt? Es schwebt mir dunkel vor, als ob ich dergleichen gehört hätte.

– Der Mann ist mir nicht nur bekannt; er ist mir sogar zum Dank verpflichtet, weil ich ihm einen wichtigen Dienst leistete, antwortete der Capitain. Aber was soll dies Fragen bedeuten?

– Dienst um Dienst, sagte Joris. Der Mann wird sich nicht weigern, Euch ebenfalls eine Gefälligkeit zu leisten, zumal wenn es eine solche ist, die ihm wenige Mühe und kein Geld kostet. Gebt mir eine Zeile für ihn, welche mich bei ihm einführt, und sagt darin, daß ich ihm den Wunsch vortragen würde, den Ihr selbst ihm auszusprechen für den Augenblick verhindert wäret.

Der Capitain schrieb die verlangte Empfehlung, die er seinem Sohne einhändigte und fragte:

– Was ist der Zweck dieser Vorkehrungen? Wirst Du mir ihn sagen?

– Der Zweck ist, das Hinderniß aus dem Wege zu räumen, was Euch belästigt. Wie ich es machen soll, weiß ich noch nicht recht; aber ich werde es wissen, bevor ich auf dem Hafendamm zu Batavia angelangt bin. Laßt mich nur meinen Gang gehen. Das Geheimniß hört auf ein Geheimniß zu sein, wenn mehr als Einer darum weiß. Aber das Werk ist nicht leicht und mit leerer Hand läßt es sich nicht sonderlich fördern.

Der Capitain reichte dem Sohne einige Dukaten und begann zu sprechen. Allein Joris schnitt ihm das Wort ab und sagte:

– Die Dukaten allein genügen. Die Moral mögt Ihr behalten. Das ist auch eine Ersparniß. Nun gehe ich meinen Weg. Bald sollt Ihr von mir hören.

Der Hafen-Capitain war ein mürrischer, alter Herr. Als Offizier dritten Ranges im Dienst invalide geworden, hatte man ihm einstweilen diesen Posten anvertraut und ihm für die nächste Zeit einen besseren versprochen. Dieses letztere Versprechen ward bei jeder schicklichen Gelegenheit vergessen, wie so manche andere vergessen sind, und der mürrische, schweigsame Mann kannte keine andere Lust, als sein Bambusrohr auf den Rücken der eingeborenen Arbeiter tanzen zu lassen und sich von dieser Anstrengung bei einem Glase Arrac-Punsch zu erholen.

Mit dieser letzteren Arbeit war er gerade beschäftigt, als Joris bei ihm eintrat und ihm das Empfehlungsschreiben seines Vaters überbrachte.

Der Hafen-Capitain besah es von allen Seiten, schüttelte mit dem Kopfe und legte es dann neben sich hin.

– Nun, Herr? fragte Joris nach einer Pause. Wollt Ihr nicht so gefällig sein und lesen, was Euch mein Vater geschrieben hat?

– Gern, Herr, will ich es thun.

– Warum geschieht es denn nicht?

– Weil ich nicht kann.

Joris sah den Hafen-Capitain an. In seinem Eifer, auch einmal Dienste zu leisten, hatten weder er noch sein Vater daran gedacht, daß ein Offizier dritten Ranges in jenen Tagen es in der Wissenschaft nicht so weit gebracht zu haben nöthig hatte, um Geschriebenes lesen zu können.

– Ja, Mynheer de Saar, sagte der Hafen-Capitain und liebäugelte mit dem halbvollen Glase. Wenn ich wissen soll, was in dem Dinge steht, müßt Ihr schon so gut sein und es mir vorlesen.

– Das will ich thun.

– Dank, Mynheer. Aber vorerst hätte ich noch eine kleine Amtsverrichtung. Stehen dort zwei von meinen Kerlen und halten Maulaffen feil. Mit Verlaub!

Er verließ die bretterne Hütte, in welcher er saß, und schritt auf zwei Arbeiter los, auf deren Rücken eine Hagelböe von Bambusschlägen herabwetterte, daß die Kerle, der Entladung einer solchen schweren Wolke nicht gewärtig, laut aufschrieen und sich platt auf die Erde warfen. Als der Hafen-Capitain sich die gehörige Motion gemacht hatte, gab er Jedem noch einen Fußstoß, befahl ihnen mit barschem Tone, fleißig zu sein, kehrte an seinen Platz zurück und sagte, den Rest seines Glases schlürfend:

– Wenn es Euch nun beliebt, Mynheer.

– Ihr macht kurze Arbeit und seid resolut, entgegnete Joris, den die Scene angeregt hatte.

– Das muß ich, sonst kommen die Kerle über mich, antwortete der Hafen-Capitain. Aber laßt mich jetzt wissen, was in dem Briefe steht.

Joris las ihm das Schreiben langsam und deutlich vor; dann fragte er:

– Wollt Ihr meinem Vater zu Willen sein?

– Warum sollte ich nicht? Capitain Herperts de Saar hat mir einmal die helfende Hand gereicht, warum sollte ich es nicht wieder thun? Was ist es, das gefordert wird?

– Mein Vater wird gewiß anerkennen, was Ihr für ihn thut, und Ihr mögt künftighin erwarten – –

Der Mann unterbrach ihn:

– Wenn den Mynheers das Künftige etwas Anderes wäre, als eitel Schnick und Schnack, brauchte ich nicht hier zu sitzen und den Pestdunst mit dem Dunst des Punsches zu verjagen. Bleibt bei dem Jetzt halten und sagt mir geradezu, was Ihr zu sagen habt.

Joris de Saar trommelte mit den Fingern auf den Tisch, ließ durch dieselben ein paar Dukaten gleiten, auf die er nicht weiter achtete, und sagte dann:

– Ihr habt am Bord eines der Euch anvertrauten Schiffe einen Matrosen, Alonso mit Namen, den sie auch den Malaien-Bastard nennen.

– Glaube, daß es so ist.

– Dieser Matrose wurde hierher gesandt, weil er sich dem Versuche einer Revolte anschloß, die auf dem Schiffe auszubrechen drohte, das mein Vater kommandirt.

– Das ist der Fall.

– Diesen Kerl möchte ich sprechen.

– Will ihn Euch holen lassen, denn an Bord einer solchen Spelunke zu gehen, kann ich einem Mynheer, wie Ihr es seid, nicht zumuthen.

Der Hafen-Capitain that, wie er versprach, und bald darauf stand Alonso mit der widerwärtigen Physiognomie, die ihn kennzeichnete, vor dem Clerk.

– Da habt Ihr ihn. Will wünschen, daß Ihr ihm den Mund öffnet, sagte der Capitain. Hält schwer. Gehe draußen auf und ab, um nicht zu stören. Könnt nur rufen, wenn Ihr mich braucht.

Der portugiesische Bastard blickte wild um sich. Die Hand fuhr nach dem Gürtel, als ob noch ein Messer daran hing, und er fragte unwirsch:

– Was soll's mit mir?

– Ihr wißt, um welcher Ursache willen Ihr Euch hier befindet, Alonso?

– Verdammt sind die, welche mich hierher brachten.

– Ihr seid bei alledem gut davon gekommen, Alonso. Wäre der Hendrick Jonker nicht unterwegs verunglückt, ginge es Euch an den Hals.

– Ich frage nichts darnach, ob sie mich hängen!

– Wenn das ist, könnt Ihr Euern Willen haben, denn daß Ihr es nur wißt, der Hendrick Jonker ist da.

Alonso trat erschreckt zurück:

– Das ist nicht wahr.

– Ob es wahr ist, werdet Ihr morgen sehen, wenn sie Euch zum Gericht abholen, wo der wiedererstandene Kajüten-Wächter, den ein Engländer aufgefunden und hierher gesandt hat, Euch gegenüber aussagt.

– Möge der Engländer dafür brennen!

– Wenn er auch brennt, werdet Ihr doch kalt gemacht, sagte Joris trocken. Unterbrecht mich nicht immer und hört zu, wie man Euch aus der Patsche ziehen will.

– Mich will Einer herausziehen? fragte Alonso kopfschüttelnd.

– Daran denkt Keiner. Aber wenn Ihr in Untersuchung kommt, gerathen auch Andere in die Schlinge, und das wollen sie verhüten. Darum kommt Euch die Milde auch zu Gute. Man wird Euch Urlaub verschaffen; Ihr werdet ein Stück Geld in die Hand bekommen. Ihr werdet lustig sein und an den Ort gerathen, wo der Hendrick Jonker sich befindet. Er wird mit Euch zusammenrennen.

– Wird er? rief Alonso und seine Augen funkelten.

– Er wird es und das Andere ist dann Eure Sache! antwortete Joris und rief den Hafen-Capitain:

– Ich fange mit dem Burschen nichts an. Er bleibt zähe, wie eine Cocusfaser. Mein Vater wird besser mit ihm fertig werden; darum nehme ich ihn mit.

– Das wird nicht angehen! sagte Jener bedenklich. Wenn er desertirt?

– Dann wird er wieder aufgegriffen, an Euch abgeliefert und als Deserteur gehängt, sagte Joris. Außerdem, Mynheer, stelle ich Bürgschaft und somit, denke ich, ist die Sache abgemacht.

Joris legte noch ein Goldstück auf den Tisch. Der Hafen-Capitain schielte nach demselben hinüber und sprach:

– Wenn Ihr es auf Eure Kappe nehmen wollt, mag es geschehen.

– Nehme es auf meine Kappe, sagte Joris leichthin und reichte dem Hafen-Capitain zum Abschiede die Hand. Kommt, Bursch! Die Zeit ist gemessen.

Joris ging mit Alonso unangefochten ab. Als sie eine Strecke entfernt waren, gewahrte Joris einen der Diener seines Hauses, der ihn zu erwarten schien, denn er eilte auf den jungen Herrn zu und flüsterte ihm in's Ohr:

– Ich weiß Alles.

– Es ist gut. Nun, Alonso, wir Beide brauchen nicht mehr zusammen zu gehen. Müßt Euern Weg allein machen. Hier habt Ihr zwei Rupien zu vertrinken. Macht Ihr Eure Sachen gescheut, schaffe ich Euch einmal wieder einen freien Tag. Dieser Mann wird Euch die Richtung angeben, die Ihr einschlagen müßt, um den zu finden, den Ihr sucht.

Der junge Mynheer entfernte sich, um seinen Vater in Kenntniß zu setzen, daß er Alles wohl ausgerichtet habe, und sich dann in seinen gewöhnlichen Kreisen von den Anstrengungen des Tages zu erholen. Der Diener rief dem Portugiesen, der noch zögerte, ungeduldig zu:

– Kommt, Mann. Ich habe viel zu thun und kann mich nicht lange aufhalten mit Euch.

– Will verdammt sein, fuhr dieser auf, wenn ich auch nur einen Schritt gehe, bevor ich einen Schluck genommen, um den Durst zu verjagen, der mir in der Kehle brennt. Sehe dort ein solches Schappje und will mich gleich hinein machen.

– Wenn es nicht ein so schmutziger Kerl wäre, sagte der Diener vor sich hin, würde ich ihn anpacken und fortziehen. So aber traue ich mich nicht, ihn zu berühren. – Hört, Landsmann, der Durst kann warten, aber ich nicht. Geht gleich mit, oder ich lasse Euch stehen.

– Wenn Ihr, wie ich, wochenlang nichts bekommen hättet, als faules Regenwasser zum halb gar gekochten versalzenen Reis, würdet Ihr nicht so sprechen, antwortete Alonso ziemlich gelassen. Nun mache ich mich an's Werk. Darum harret geduldig aus. Lange soll es nicht währen.

Alonso war mit einem Satze in die kleine Strandschenke. Er hielt Wort. Lange blieb er nicht darin, aber er hatte in der kurzen Zeit das Unglaubliche geleistet. Das glühende Gesicht und die funkelnden Augen deuteten an, daß er gerade in der Stimmung sei, worin man sich befinden müsse, wenn man mit einem Unschuldigen ohne Ursache anbinden und ihm seine gesunden Gliedmaßen zerschlagen wolle. Der Diener war klug genug, den Zustand zu begreifen, in dem sich der Portugiese befand, darum schwieg er still, und als sie eine Weile neben einander hergegangen waren, sagte er:

– Dort in jenem Hause werdet Ihr ihn finden.

Es war in der That so. Das Haus gehörte einem alten Malaienweibe, das sich damit nährte, lediges Seevolk, wenn es außer Dienst war, zu herbergen. Hier hatte Hendrick Jonker sich untergebracht. Trotz der Eigenmächtigkeiten, welche die stolzen Mynheers sich gestatteten, war es doch nicht gelungen, den Hendrick Jonker als einen gemeinen Dieb festzuhalten und zu behandeln. Er wurde entlassen und ihm angedeutet, daß er mit dem nächsten Schiffe, welches in Fahrt gesetzt werde, an Bord gehen und seine fernere Dienstzeit ableisten müsse.

Hier saß er nun, einsam vor sich hin brütend. Er hatte die braune Farbe abgewaschen, hatte die Malaientracht abgelegt und trug wieder die Uniform der Ostindischen Compagnie: Grün und Orange. Die zweite und letzte Unterredung mit der Geliebten war eine bedeutsame gewesen. Sie hatte nicht nur das Verhältniß der Liebenden zu einander unzweifelhaft festgestellt. Anne-Marie hatte ihm auch Kunde gegeben von der Anwesenheit seines Vaters und daß dieser nach Bombay gereist sei, um ihn dort aufzusuchen.

– So stehe ich denn nicht allein in der Welt! Ich habe einen Vater, der mich sucht, und meine Mutter ist nicht blos in meinen Träumen vorhanden. Ach, Du lieber, gnädiger Herrgott, der Du mich schon aus so manchen Fährlichkeiten errettet hast, gieb mir meinen Vater wieder!

In diesen Betrachtungen ward er durch das wüste Geschrei gestört, welches der Malaien-Bastard bei seinem Eintritt in das Haus erhob.

– Hollah! rief er, auf die erschrockene Wirthin losfahrend. Hollah nochmals, altes Gerippe, mache Dich auf und schaffe mir einen Punsch, heiß und stark, wie ich ihn brauche, und dann sage mir, wo ich den Kerl, den Hendrick, finde, der mir unterweges desertirt ist. – Nun? Willst den Punsch brauen, Du alter Satan?

– Halte keine Schenke und gebe keinen Punsch an fremdes Volk! entgegnete die Alte, furchtsam auf den halbtrunkenen Portugiesen blickend. Darum seid so gut und geht in das Haus nebenan, wo Ihr Alles findet, was Ihr verlangen könnt.

– Willst mir sagen, wohin ich gehen soll? Bin gewohnt, zu gehen, wohin ich will. Nun mache Dich an den Punsch und schaffe mir den Kerl zur Stelle, den ich suche, oder es geht Dir an den Hals.

Der Portugiese machte eine so drohende Bewegung, daß die alte Frau erschreckt auffuhr und nach Hülfe rief.

Hendrick vernahm das Angstgeschrei und eilte alsbald seiner Wirthin zur Hülfe:

– Was habt Ihr hier zu suchen? Was wollt Ihr von der alten Frau dort? Hier ist kein Wirthshaus. Ihr habt es gehört. Wenn Ihr aber, wie ich vernahm, mit dem Matrosen Hendrick Jonker etwas zu verhandeln habt, so sagt es kurzweg, denn ich bin es.

Alonso sah den jungen, kräftigen Burschen an. Seine Augen blitzten unheimlich:

– Ja, wahrhaftig, Du bist es! Kenne Dich gleich wieder. Siehst gerade so aus, wie an dem Tage, da Du auf der Vorderluke standest und das Messer schwangst, das Du mir weggenommen und nicht wiedergegeben hast. Hollah, Du Messerdieb! Ich bin hier, um mein Eigenthum zurückzufordern. Willst mir das Messer geben oder nicht?

– Ich weiß nichts von dem Messer, womit Du einem Menschen zu Leibe wolltest und das ich Dir glücklicherweise entriß, bevor es zu spät war. Mache, daß Du fortkommst, wenn ich Dir Gutes rathen soll, denn hier ist Deines Bleibens nicht. Wir dulden hier im Hause keine Trunkenbolde und Händelmacher.

Mit der Wuth eines Tigers fuhr Alonso auf den jungen Mann zu und führte einen so gewaltigen Schlag nach ihm, daß Hendrick gewiß zusammengestürzt wäre, wenn er getroffen hätte. Aber der reichlich genossene Punsch that seine Wirkung und Hendrick, der sich zur Seite bog, blieb verschont. Alonso taumelte seitwärts und hielt sich an einen hölzernen Tisch, auf welchem er einen Hammer fand, den man kurz vorher gebraucht hatte, um die losgegangene Platte wieder zu befestigen. Alonso packte den Hammer und schrie:

– Nun bist Du hin!

Die Wirthin, welche das Aeußerste befürchtete, eilte vor die Thür hinaus und rief die Vorübergehenden um Beistand an. Keiner hatte Lust, sich in eine Rauferei einzulassen. Da kamen zum Glück ein Paar von der Hafenrunde herzu. Der Hafen-Capitain fühlte sich wegen des Alonso nicht recht sicher und hatte zwei seiner zuverlässigsten Haltfeste abgesandt, um auf ihn zu fahnden. Diese traten ein.

Das Werk war bereits geschehen. Aber nicht der trunkene Portugiese, sondern der nüchterne Hendrick hatte den Sieg davon getragen. Alonso lag blutend am Boden.

Neugierige strömten herbei. Die Wache legte sogleich Hand an. Hendrick erzählte, wie Alles gekommen sei, und die Wirthin bestätigte die Aussage. Aber der Portugiese, der sich von dem betäubenden Fall erholte, warf einen vernichtenden Blick auf den jungen Seemann, den er hatte tödten wollen, und sagte laut genug, daß Alle es hören konnten:

– Er hat mich umgebracht.

Keine Betheuerung half. Hendrick ward festgenommen und abgeführt. Joris de Saar ging wie zufällig vorüber und erkundigte sich nach der Ursache des Auflaufes. Einer der Hafen-Wächter gab Bericht und Joris sagte achselzuckend:

– Dachte es wohl, daß dieser dabei sein mußte. Nun, das Holz zu seinem Galgen ist hoffentlich schon gefällt. Haltet ihn gut fest.

Hendrick hörte diese Worte und erkannte den Mann, der sie sprach. Einen Augenblick überlief es ihn siedend heiß, aber er bezwang den aufwallenden Zorn und folgte den Wächtern, die ihn mit rauher Stimme zum Aufbruch mahnten.

Alonso ward hinterdrein getragen. Er hatte die Besinnung verloren.

*

Mit großer Sorgfalt hatte der Colonial-Rath sich der Sache des Bewindhebbers angenommen. Nach einer reiflichen Berathung war zu Recht erkannt worden, daß Herr van Hoorn der ihm zugeschriebenen Verbrechen wirklich schuldig sei. Zugleich aber wurde beschlossen, daß man, um der Gesammtheit nicht zu schaden, die Sache so geheim als möglich halten wolle. Man schlug den Weg des Vergleichs vor. Das Verbrechen des Einzelnen würfe stets einen Schatten auf das Ganze und was einer der Bewindhebber gethan, das könne das Volk von jedem der Anderen voraussetzen. Darum mußte Herr van Hoorn bei der äußeren Weltehre bleiben. Als man über die Einzelnheiten einig war, wurde Herr Halle-Jantzen mit dem Vollzuge dieser Angelegenheit beauftragt.

Herr van Hoorn hatte sich während der unfreiwilligen Haft, welche er auf seinem Landsitze in Buitenzorg zu bestehen hatte, auffallend geändert. Er war noch stiller und einsilbiger geworden, als zur Zeit, da die Verwickelungen begannen und er die erste Ahnung von dem möglichen drohenden Ausgange erhielt, der jetzt so nahe bevorstand. Keiner der Diener hörte von ihm ein Scheltwort, oder erfuhr eine Mißhandlung. Er war stumpf geworden für die Freuden der Tafel, sowie für jeden anderen Sinnen-Genuß. Wenn man ihm nicht zur gewohnten Zeit das Nöthige brachte, äußerte er kein Verlangen darnach. Es schien fast, als bedürfe er nichts mehr. In diesem Sinne war die prachtvolle, reiche Umgebung, worin sich Herr van Hoorn befand, eher ein Hohn, als alles andere. Nur wenn Anne-Marie, die ein inniges Mitleiden mit dem Zustande ihres Vaters hatte und den eigentlichen Sachverhalt nicht zu überschauen vermochte, zu ihm trat und ihn mit Thränen in den Augen ansah, flüsterte er: »Armes Kind! Arme Anne-Marie!« und streckte die Hände aus, als habe er sie um Verzeihung zu bitten.

Anne-Marie, die nur begriff, daß ihr Vater um den größten Theil seines Besitzes gekommen war, antwortete dann:

– Lieber Vater. Nicht der äußere Reichthum ist es, der allein glücklich macht. Möge er schwinden, wenn wir dafür den inneren Frieden kaufen können.

– Solches Gut ist nicht zu kaufen, seufzte Herr van Hoorn. Die Reise von Amsterdam auf hier hat meine Kraft gebrochen. Ich bin zu nichts mehr nutze. Darum habe ich meine Stelle niedergelegt und dem Gouverneur angezeigt, daß ich aus dem Verwaltungsrath scheide.

– Du wirst nach Deiner Einsicht handeln, Vater, sagte Anne-Marie. Ich bin mit Allem zufrieden. In diesem Verhältniß oder in jenem. Was ich verloren habe, werde ich nie wiederfinden.

Um diese Zeit war es, wo Herr Halle-Jantzen erschien, um die ihm von dem Colonial-Rath gewordenen Aufträge zu vollziehen. Bei seinem Eintritt erhob sich die junge Dame, schloß den Vater bewegt in ihre Arme und ließ die beiden Männer allein.

– Beliebt Mynheer anzuhören, was ich ihm zu sagen habe? fragte der Bevollmächtigte des Colonial-Rathes.

Herr van Hoorn gab seine Einwilligung.

– Dann bitte ich Euch, fuhr Jener fort, daß Ihr die Verhältnisse, welche früher zwischen uns obwalteten, als beseitigt anerkennt und in mir keinen Nachbar, sondern nur einen Mann erblickt, der bevollmächtigt ist, Eure Angelegenheit zu einem endgültigen Schluß zu bringen.

– Ihr seid als ein solcher willkommen, antwortete Herr van Hoorn eintönig.

– Eure Entlassung ist eingegangen und angenommen, sagte Halle-Jantzen. Die Uebergriffe, welche Ihr Euch erlaubtet, liegen zu Tage. Wenn der Verwaltungsrath sein volles Recht gebrauchen wollte, würde es schlimm um Euch stehen. Aber man schont sich selbst, indem man Euch schont, und legt Euch Bedingungen vor, von deren Annahme es abhängt, ob Ihr unangefochten aus allen Fährlichkeiten hervorgeht. Wollt Ihr diese Paragraphen durchgehen?

Herr Halle-Jantzen entfaltete ein beschriebenes Blatt und reichte es dem ehemaligen Bewindhebber. Dieser las es und sagte:

– Wenn ich dies Blatt unterschreibe, bin ich ein Bettler.

– Nicht so ganz, fuhr Jener mit unerschütterlicher Ruhe fort. Dieses Papier sichert Euch eine lebenslängliche Pension von dreitausend Gulden, mit der Anweisung, sie in Amsterdam zu erheben und zu verzehren. Außerdem hat man mit Rücksicht auf die Jugend Eurer Tochter und auf das Unglück, das sie so unverdient trifft, derselben eine Summe von zwanzigtausend Gulden auf unsere Haupt-Kasse zu Amsterdam angewiesen. Somit ist Alles gesagt, was ich zu sagen habe, und es bleibt nur übrig, daß Ihr die Euch gebotenen Bedingungen annehmt, oder Ihr weist sie ab und habt die daraus entstehenden Folgen selbst zu tragen.

– Bleibt mir eine Wahl? entgegnete Herr van Hoorn bitter. Er warf einen langen, schmerzhaften Blick auf das dargereichte Blatt; dann ergriff er eine Feder und setzte mit zitternder Hand seinen Namen darunter: Nun ist mein Loos geworfen.

– Ich danke Euch, daß Ihr Euch der Nothwendigkeit fügt, sagte Herr Halle-Jantzen nicht ohne Bewegung, indem er das Blatt an sich nahm. Wenn wir auch für den Rest unseres Lebens entfernt von einander sein werden, bleibe ich doch gern unserer früheren Verhältnisse eingedenk und will mich freuen, wenn ich Nachrichten von Euerm Wohlergehen empfange.

– Ich soll nach Europa zurück?

– Hier möchtet Ihr kaum unangefochten bleiben können, würdet es auch in Betracht der veränderten Umstände nicht wollen. Unter dieser Voraussetzung ist es mir angenehm, Euch zu melden, daß binnen acht Tagen das Compagnie-Schiff »Weltefreden« nach Holland zurückgeht und ich den Auftrag habe, Euch und Eurer Tochter die beiden Staats-Kajüten anzubieten.

– Ich nehme ein Erbieten an, das ich nicht zurückzuweisen im Stande bin. Sind wir am Ende?

– Völlig, Mynheer. Es ist nichts mehr zurück.

– Dann werdet Ihr es erklärlich finden, daß ich mich nach Ruhe sehne. Ihr entschuldigt –?

– Lebt wohl, Mynheer, sagte Halle-Jantzen, sich erhebend. Haltet mich nicht für grausam, weil ich kalt und ruhig scheine. Ich empfinde in dieser Stunde mehr, als ich glaubte, daß es der Fall sein würde.

Er entfernte sich. Nach einer Pause trat Anne-Marie ein und warf sich an die Brust des Vaters.

– Es ist entschieden, Vater!

– Ja, mein Kind, sagte Herr van Hoorn weich. Du kehrst als eine Ausgestoßene und Verbannte nach Holland zurück. Ich darf mich nicht beklagen, denn was ich leide, habe ich verschuldet. Du aber, armes, unschuldiges Kind –

– Nicht weiter, Vater. Klage Dich nicht, mir gegenüber, an! sagte Anne-Marie. Du bist unglücklich und ich kenne meine Pflicht. Sie befiehlt mir, Dir zur Seite zu stehen und dies Unglück tragen zu helfen. Stütze Dich nur auf mich, Vater. Du wirst erkennen, daß ich den Muth und die Kraft haben werde, Dich aufrecht zu erhalten. Wir werden fortan in der Beschränkung leben und Du wirst erfahren, daß Deine Anne-Marie in dieser Beschränkung so glücklich sein wird, als sie überhaupt zu sein vermag. Wann ist die Zeit der Heimreise?

– Binnen acht Tagen.

– Du wirst mich bereit finden. Sorge Dich um nichts. Ich ordne Alles an.

Und mit einer Umsicht machte sich Anne-Marie an das übernommene Werk, welche ihr Niemand zugetraut hatte. Sie überwachte das Einpacken der Effekten und schied Alles aus, woran sie kein Recht zu haben glaubte. Die Diener wurden verabschiedet, und als die Reihe an Blomtje kam, sagte sie mit zitternder Stimme:

– Dir habe ich vor allen Anderen am meisten vertraut und Dich geliebt. Dafür hast Du mir am wehesten gethan. Verzeihe Dir selbst, wie ich Dir verzeihe.

Die Dirne entfernte sich, aufgelöst in Thränen.

Anne-Marie vollendete ihr Werk. Als am Tage vor der Abreise der Capitain des »Weltefreden« erschien, um anzuzeigen, daß er in vierundzwanzig Stunden die Anker lichten werde, entgegnete ihm die junge Dame:

– Wenn Ihr die Güte haben und uns Eure Leute senden wollt, um das Gepäck an Bord zu bringen, werdet Ihr uns sehr verbinden. Es steht Alles bereit und wir selbst werden morgen mit dem frühsten erscheinen.

Zur bestimmten Stunde gingen Herr van Hoorn und Anne-Marie an Bord des Schiffes, das den Anker lichtete. Als es aus der Jakarta-Bucht in die offene See hinaussteuerte, sagte Anne-Marie, den Blick nach dem Lande gewendet:

– Nun scheide ich auf ewig von Dir, mein theurer, inniggeliebter Hendrick.

Der Hendrick Jonker, an welchen Anne-Marie in der Stunde der Abreise mit so inniger Zärtlichkeit dachte, saß im Kerker. Von Tag zu Tag hoffte er, man werde ihn zum Verhör rufen und seine Unschuld werde sich dann sogleich offenbaren. Allein umsonst. Die feuchte, ungesunde Luft, welche er in den dunklen Räumen einathmete, die verdorbene Kost, die ihn kaum halb sättigte, die giftigen Insekten, die ihn bis auf das Blut peinigten und ihm keine ruhige Stunde gönnten, untergruben seine sonst so eiserne Gesundheit.

Der Kerkermeister, der mit den Saars im guten Einvernehmen stand, denn solche Kerle sind für ein Stück Geld den Mynheers aus den Kolonieen stets zu Willen, sagte:

– Nun ist er reif und muß fort von hier, sonst kriege ich die Pestilenz auf den Hals. Will es dem Capitain melden, damit er Rath schafft.

Herperts de Saar empfing die Botschaft des Kerkerknechtes und schaffte Rath. Er gehörte zwar nicht zu den beliebtesten Capitainen und galt in vielen Beziehungen für anrüchig. Allein in Fällen, wie in dem vorliegenden, wo es galt, die Würde eines Befehlshabers, dem Matrosen gegenüber, zu schützen, selbst wenn der Letztere in seinem vollen Rechte war, fand er bereitwillige Ohren. Ein eigentlicher Prozeß ward nicht eingeleitet. Man zog ein einfaches, abgekürztes Verfahren vor, und in dieser Beziehung reichte die Aussage hin, daß Hendrick Jonker desertirt sei. Drei Zeugen, welche diese Aussage mittelst Handschlages bekräftigten, waren bald gefunden und der Angeklagte ward dazu verdammt, auf sechs Monate nach Edam verbannt zu werden und in dem dortigen Pest-Hospital Dienste zu leisten.

Der Kerkermeister war dazu bestimmt, dem Gefangenen dies kund zu thun. Der entmenschte Kerl that es mit einer Art von Wollust, indem er sich den Bart strich und mit den Augen blinzelte. Hendrick stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Der Büttel greinte und sagte:

– Wie kann der Narr so schreien? Hier in diesem Loche hättest Du das Pestfieber bekommen und Dich lange damit herumgeschleppt. Müßtest es schon jetzt haben, wenn Du nicht eine so unverantwortlich feste Gesundheit hättest. Dort bist Du in dreien Tagen hinüber. Ist das nicht ein Gewinn? Nun aber mache Dich fertig. Noch mit dem Einbruch der Nacht geht das Fahrzeug unter Segel, das Dich mitnehmen soll.

Hendrick Jonker nahm Abschied von den feuchtkalten Mauern des einen Kerkers, um zwischen den Planken des anderen Kerkers sein müdes Haupt niederzulegen und sich den Ufern jenes Eilandes zuführen zu lassen, wo nie ein Lächeln des Glückes erklang; wo nie der helle Ruf der unschuldigen Freude vernommen ward.

*

Blomtje war seit der Abreise ihrer jungen Herrin ein Bild des Jammers. Diesen Ausgang hatte sie nicht geahnt, nicht gewollt. Abgehärmt saß sie da und wiederholte sich die Abschiedsworte ihrer Herrin: »Dir habe ich vor allen Anderen am meisten vertraut und Dich geliebt. Dafür hast Du mir am wehesten gethan.«

Da kam ein Mann des Weges daher, der gerade auf die kleine Hütte zuschritt, welche Blomtje in der Nähe der van Hoorn'schen Villa bewohnte. Er ging nicht hoch aufrecht, sondern schritt langsam und gebückt einher, wie Einer, der von einer schweren Last gedrückt wird. In der Hand trug er einen Stecken, der ihm zur Stütze diente. Das Haar, welches in noch ziemlich reichlicher Fülle unter dem Strohhut hervorquoll, war silbergrau. Das Gesicht ward von tiefen Furchen durchzogen, welche Kummer, Sorge und mannigfache Entbehrungen hineingegraben hatten.

Blomtje hatte den Kommenden bemerkt, ohne ihm eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und erschrak fast, als sie von ihm angeredet wurde.

– Verübelt es mir nicht, wenn ich Euch störe, sagte der Mann. Aber ich war an der Pforte, die in jenen Garten führt. Sie ist verschlossen.

– Sie wird auch lange verschlossen bleiben.

– Ich habe eine Botschaft an die junge und schöne Herrin, die daselbst wohnte. Wo finde ich sie?

– Auf Java nicht mehr.

– Das wolle Gott nicht! entgegnete der Mann erschreckt. Als ich hierher kam und durch Zufall der Dame begegnete, erschien sie mir als ein rettender Engel. Ich entsinne mich Eurer jetzt auch. Ihr wart die Dienerin der schönen Dame und wißt, daß ich einen Ring von ihr erhielt, der mir Zutritt zu ihr schaffen sollte, so oft ich ein Anliegen hätte. Und sie, auf deren Hülfe ich allein noch bauen kann, sollte fort sein? Nein! Nein! Das ist ja nicht möglich.

– Es ist, wie ich Euch sage! sprach Blomtje traurig. Und daß es so ist, wird mein Tod sein, denn ich habe es zum Theil verschuldet. Nun ich Euch näher betrachte und Euch höre, kenne auch ich Euch wieder. Ihr sucht einen Verlorenen.

– Einen Verlorenen! Einen Verstoßenen! Einen armen Knaben, der als vater- und mutterlose Waise in die Welt gestoßen ward, sagte der Mann in tiefer Bewegung. Wo werde ich ihn finden?

– Es ist der unglückliche Vater! sprach Blomtje vor sich hin und fuhr dann, zu ihm gewendet, fort: Ich kann Euer Begehren nicht erfüllen, denn ich weiß von nichts. Mir liegt nur noch ob, das traurige Schicksal meiner Herrin zu beweinen und den Himmel für meine Schuld um Verzeihung zu bitten. Wenn Ihr aber wissen wollt, wo der arme Hendrick Jonker geblieben ist, dann geht in das Haus des Capitain Herperts de Saar. Er allein ist im Stande, Euch die genügende Auskunft zu geben.

Der Vater des armen Hendrick schied mit einem stummen Gruße von der Schwelle, welche er mit so schönen Hoffnungen betreten hatte. Nach vielen Mühen und Entbehrungen war er in Bombay angekommen. Kein Mensch erinnerte sich dort noch des holländischen Knaben, den der Dreimaster »Nordstern« von einer unbewohnten Insel auf hier brachte, und nur durch einen Zufall erfuhr er nach langen, vergeblichen Forschungen, daß derselbe mit einem Malaienschiffe nach Java versegelt sei. Nun hatte er keinen anderen Gedanken, als ebenfalls dahin zu gelangen und der Spur, die sich ihm neuerdings darbot, zu folgen. Wochenlang mußte er harren, bis es ihm gelang, die neue Suchfahrt zu beginnen. Und jetzt, wo sie endete, stand er abermals mit verbundenen Augen da und tappte mit den Händen vor sich hin.

In dem Hause des Capitains bereitete sich eine dunkle Scene vor. Der Vater stand an dem Bette des Sohnes. Die wüsten Orgien der letzten Zeit hatten dem ohnehin schwächlichen Körper desselben einen empfindlichen Stoß gegeben. Die letzte Lebenskraft erlosch. Im wüthenden Schmerze wälzte er sich auf dem Lager herum. Er krümmte sich, wie ein Wurm, der getreten wird, und nicht mehr vermögend, seinen Empfindungen Worte zu leihen, stieß er nur heiser klingende, unverständliche Töne aus. Der Vater stand vor ihm mit zusammengekniffenen Lippen. Sein Gesicht war äußerlich ruhig; aber in seinem Innern wogten die Leidenschaften mächtig auf und ab. Von allen Hoffnungen, welche der ehrgeizige Mann Zeit seines Lebens hegte, war auch nicht eine in Erfüllung gegangen. Was er durch kunstvolle Intriguen zur Wahrheit hatte machen wollen, ward durch eine neue Intrigue zu Grunde gerichtet. Vergebens war ein ganzes Leben mit Projekten, Plänen und Entwürfen vollbracht, die zu Glanz, Ansehen und Macht führen sollten. Es nahm ein unerquickliches, schaales Ende.

Der Arzt, welcher vor Kurzem eingetreten war und sich auf das Sorgfältigste mit dem Kranken beschäftigt hatte, wandte sich jetzt dem Capitain zu und führte ihn einige Schritte mit sich fort.

– Was wollt Ihr mir sagen? fragte der Capitain vorahnend mit dumpfer Stimme.

– Wenn Ihr von Euerm Sohne Abschied nehmen wollt, so lange er Euch noch kennt, muß es gleich geschehen. In einer Viertelstunde ist es zu spät. Er fällt in Raserei, bis ihn die ewige Barmherzigkeit gnädiglich erlöst.

Der Vater trat an das Lager des Sohnes und sprach:

– Joris, wir müssen scheiden.

Joris sah den Vater an, als verstehe er ihn nicht. Der Capitain wiederholte seine Worte und streckte die Hand nach der des Sohnes aus. Das Gesicht desselben ward durch ein krampfhaftes Zucken verzerrt und bedeckte sich mit blutrothen Flecken.

Der Arzt war hinzugetreten und faßte die Hand des Capitains, indem er energisch ausrief:

– Es ist zu spät. Keinen Abschied mehr für diese Welt. Geht hinaus, um einem Anblick auszuweichen, den Ihr in Euerm Leben nicht verwinden würdet.

Capitain de Saar ließ sich fortführen. Rückwärts gewendet, warf er noch einen letzten scheuen Blick auf den Sterbenden, der ein thierisches Geheul ausstieß. Zuneigung hatte er für denselben nie empfunden, sondern ihn nur zum Werkzeuge benutzt, um seine ehrgeizigen Pläne zu fördern und durch ihn zu erlangen, was ihm selber zu erreichen nicht möglich ward. Es schieden in dieser Stunde zwei Menschen von einander, die, obgleich durch die engsten Bande des Blutes verbunden, nie sich zusammen fanden und niemals einander verstanden, da kein geistiges Band sie mitsammen verknüpfte.

Da trat Jan Wilms ein. Der Capitain sah den Mann vor sich stehen, mühsam auf seinen Stecken gestützt, den Hut in der Hand, um Erbarmen flehend.

– Bettler! rief de Saar. Weg von dieser Schwelle! Peitscht ihn hinaus!

– Ja, Bettler! sagte Jan Wilms. Aber ich bettle nicht um Brod oder Geld, sondern um ein Wort des Erbarmens. Habt Mitleid mit einem Vater, der seinen Sohn sucht und ihn nicht finden kann.

– Sucht Ihr Euern Sohn, Mann? fragte der Capitain. Seht nur genau zu und Ihr werdet ihn finden, von seinem Lasterleben niedergeworfen, mit ekelhaften Wunden bedeckt, in blinder Raserei zur Hölle fahrend. Drinnen liegt ein solcher, wenn Euch darnach gelüstet, ein Geschöpf zu sehen, dem ähnlich, das Ihr sucht.

– Nein, nein! sagte Jan Wilms abwehrend. So ist es nicht. Mein Fall ist ein anderer. Ich bin ein Unglücklicher, der durch die Welt gejagt wird, um einen Sohn zu suchen, den ich nie sah und den ich um Vergebung bitten muß, bevor ich sterbe, daß ich zum Verbrecher an ihm geworden bin.

Herperts de Saar suchte sich zu sammeln. Er blickte den Mann, der mit dem Flehensblicke vor ihm stand, näher an und sagte rasch:

– Sprecht nicht in Räthseln, sondern sagt deutlich und gerade aus, was Ihr wollt. Ein Vater hat wenig Ohr für ein fremdes Leid, wenn ihm der einzige Sohn unter den Händen gestorben ist.

– Ach, Du armer, kinderloser Mann! rief Jan Wilms, von seinen Empfindungen fortgerissen. Sieh herab auf einen Vater, der kinderlos war sein Leben lang, und nun er weiß, daß ihm ein Sohn lebt, Jahre lang nach ihm sucht, ohne daß er ihn finden kann.

– Was weiß ich von Eurem Sohne? entgegnete der Capitain barsch.

– Ihr wißt darum und kein Anderer! antwortete Jan Wilms rasch. Ihr wißt, wo mein Kind geblieben ist. Ihr habt es gemartert und gequält und zuletzt an einer unbewohnten Insel ausgesetzt. Herperts de Saar, wo hast Du meinen Sohn? Wo hast Du Hendrick Jonker?

– Ha! Ha! Ha! rief der Capitain wild lachend. Soll man nicht den Teufel loben, der seine Karten so schön mischt? Ihr seid der Vater des Jungen, der die Ursache all' des Mißgeschickes ist, das mich betraf? Ihr seid der Vater von dem Hendrick Jonker, der schuld ist, daß ich dem Rande eines Abgrundes zutaumelte, der mich jeden Augenblick zu verschlingen droht? Nun denn, mein Junge! Ich will nicht alles Glück allein für mich behalten. Ich will nicht der Einzige sein, der sich von dem Todtenbette seines Kindes mit Abscheu und Ekel abwendet. Ihr sollt auch Euern Theil davon haben. Euer Sohn ist als Deserteur zum sechsmonatlichen Dienst in dem Pest-Hospital zu Edam verurtheilt. Sucht ihn dort und wenn Ihr ihn findet, mag ihn das Schicksal meines Joris treffen. Das ist die Genugthuung, die ich habe.

Lachend wandte er dem erschrockenen Jan Wilms den Rücken, der auf die Straße hinaus trat. Mit bange klopfendem Herzen eilte er nach der Stadt. Er zweifelte, er wollte zweifeln, ob Alles so sei, wie dieser Entsetzliche es ihm verkündete. Zitternd betrat er die Räume des Comptoirs. Noch nie hatte er mit so banger Furcht eine Nachfrage gehalten, als in dieser Stunde. Zagend sprach er die Worte aus, und als ihm die Antwort zu Theil wurde, daß seine Vermuthung gegründet sei, sank er ohnmächtig zu Boden.

Mitleidige Hände waren bereit, ihn aufzuheben, und ein junger Chirurgen-Gehülfe bemühte sich, ihm eine Ader zu schlagen. Aus der langen und tiefen Ohnmacht zum Bewußtsein zurückgekehrt, warf er sich in die Kniee und flehte laut um die Gunst, man möge ihn nach Edam schicken, wohin allein all' sein Tichten und Trachten gehe.

– Den Mann hat die Java-Sonne um den Verstand gebracht, sagte kopfschüttelnd einer der Beamten des Comptoirs. Bei gesunden Sinnen käme kein Mensch auf einen solchen Einfall.

– Wenn er aber Lust dazu hat, werdet Ihr es ihm doch nicht wehren? entgegnete ein Anderer, fast verweisend. Es wird sonst nur nichtsnutziges Volk dahin geschickt, und es wäre nicht zu verachten, wenn ein reputirlicher Mann aus freien Stücken sich dahin begäbe. Ist's wirklich Euer Ernst, Mann, daß Ihr nach Edam wollt?

– Mein feierlicher Ernst, wiederholte Jan Wilms. Habe dort eine heilige Pflicht zu erfüllen und könnte keine Ruhe im Grabe finden, wenn sie unerledigt bleiben müßte.

– Solche christliche Gesinnungen muß man ehren, sagte der Beamte nicht ohne Spott. Wer wollte es auf sein Gewissen nehmen, daß Jemand aus der Welt gehen mußte, ohne ein geleistetes Gelübde zu erfüllen, wenn man es ändern kann? Kommt mit mir, Mann! Ihr sollt Euern Willen haben. Es muß etwas ganz Apartes sein mit dem Erfüllen eines Gelübdes, weil Ihr so darauf versessen seid, daß Ihr Euer Leben in die Schanze schlagt. Nun, Ihr sollt noch heute Euern Willen haben. Die Expeditionen nach jenem Eilande sind gerade mein Fach.

– Danke Euch, Herr, gab Jan Wilms zur Antwort. Habe kein anderes Geschäft mehr auf Erden, als dies.

Der Commis und der Matrose gingen zusammen fort; der Erste, um den Andern dorthin zu senden, wo der Tod auf jedem Schritte in die Fußtapfen des Wanderers tritt, bis er ihn überholt und den kalten Abschiedskuß ihm auf die Stirn drückt.

Um diese Zeit war der Hafen-Capitain in einiger Unruhe. Ohne dazu befugt zu sein, hatte er dem Malaien-Bastard Urlaub ertheilt und dieser war, arg zugerichtet, in ein Strandhaus gebracht, wo ein Wundarzt seine Station hatte, um bei schnell vorkommenden Verwundungen oder Verletzungen, denen der Seemann öfter ausgesetzt ist, zur Hand zu sein. Wenn der Kerl in Streitigkeiten verwickelt war und Aussagen machen mußte, konnte seine Eigenmächtigkeit bekannt werden, und seine ohnehin karge Existenz ward dadurch auf das Spiel gesetzt. Besorgt ging er nach jenem Strandhause, ließ sich zu dem Arzte führen und forderte denselben auf, ihm den Mann zu überliefern, denn dieser gehöre unter seine Zucht und könne am Bord des Strafschiffes ebenso gut Pflege und Wartung finden wie hier.

– Das ist nicht angängig, war die Antwort. Wenn Euch der Mann, der Eurer Aufsicht anvertraut war, entschlüpfte, bin ich nicht dazu hier, ihn Euch an Bord zu bringen und dadurch Eure Fahrlässigkeit zu verdecken. Zudem ist derselbe in einem Zustande, daß die geringste Veränderung des Ortes eine Erschütterung nach sich zöge, die den Tod zur Folge haben könnte. Darum bleibt der Mann hier und Ihr könnt Gott danken, wenn Ihr mit heiler Haut davon kommt, was ich aber nicht glaube.

– Warum glaubt Ihr es nicht? fuhr Jener heraus. Der angenommene Zorn sollte seine Angst verbergen.

– Weil ich fürchte, daß ich den Mann nicht am Leben erhalten kann.

– Ist es meine Schuld, daß der Kerl sich Arme und Beine zerschlagen läßt?

– Er stirbt nicht an zerschlagenen Armen und Beinen, sagte der Wundarzt. Die Verwundungen sind derartig, daß sie leicht zu heilen sind. Aber der Körper ist innerlich durch und durch zerrüttet und äußerlich zeigt er Spuren von grausamen Mißhandlungen. Der Arzt, unter dessen Aufsicht dieses Haus steht und mit dem ich darüber verhandelte, ist gleicher Meinung mit mir. Durch die schlechte Behandlung, welche der Mann erlitten hat, ist der Keim seines Todes gelegt, und wir haben bereits den Antrag gestellt, daß eine Untersuchungs-Commission gebildet werde, die das Treiben am Bord der Strafschiffe prüfen soll. Diese Commission ist schon ernannt, und wenn Ihr an Bord zurückkommt, werdet Ihr sie bereits in voller Thätigkeit finden.

Erschrocken eilte der Hafen-Capitain von dannen. Als er auf seiner Station anlangte, kam ihm sein Gehülfe mit der Schreckensbotschaft entgegen, daß drei Mynheers am Bord wären und nach einer kurzen Untersuchung bereits so vieles Ungehörige entdeckt hätten, um den Hafen-Capitain sowohl, als dessen Gehülfen vorläufig ihres Amtes zu entheben und den Arrest zu verfügen.

Alonso ward vom Fieber geschüttelt. Das Krankenbett machte endlich die wilde Bestie zahm. Die Vergangenheit zog in hundert Gestalten an ihm vorüber und es kam etwas wie Reue und Zerknirschung über ihn. Er bebte zusammen bei dem Gedanken an das wilde Leben, das er führte; an alle Nichtswürdigkeiten, die er beging, und unter schwerem Seufzen und Stöhnen verlangte er nach einem Priester.

Es lebte in Batavia ein alter Mönch, der einst auf einem portugiesischen Schiffe sich befand, das von den Holländern gekapert wurde. Der Padre war nicht ausgelöst worden und fristete bei einigen Glaubensgenossen sein Dasein, so gut es gehen wollte. Diesen Padre holte man herbei und brachte ihn zu dem portugiesischen Matrosen.

Der alte geistliche Herr, der ein langes Leben voll Mühen und Entbehrungen zurückgelegt und im Hinblick auf ein künftiges, besseres Dasein jedem Anspruch an das gegenwärtige entsagt hatte, sprach im liebevollen Tone zu dem verwilderten Gesellen, der ihn mit großer Aufmerksamkeit anhörte. Geduldig ließ es Alonso geschehen, daß der Priester ihm die Hände faltete, und als dieser befahl, ihm das Gebet nachzusprechen, was er ihm vorsagen werde, nickte er zustimmend. Anfangs bewegte Alonso nur die Lippen, aber nach und nach wurden die Worte verständlicher und gegen das Ende hin fühlte man, daß derselbe auch empfinde, was er spreche.

Am nächsten Tage kam der Priester zur guten Stunde wieder, nachdem er vorher eine kurze Unterredung mit dem Arzte hatte. Alonso empfing den geistlichen Besuch mit einem matten Lächeln und sagte:

– Ehrwürdiger Herr, ich bin so matt, daß ich glaube, es ist aus mit mir.

– Wenn Du es selbst sagst, mein Sohn, entgegnete Jener, brauche ich Dich nicht erst darauf vorzubereiten. Ja, Deine Stunden sind gezählt.

– Ach, Gott im Himmel! schrie Alonso. Ach, allerheiligste Jungfrau, erbarme Dich mein!

– Die heilige Mutter wird sich Deiner erbarmen und für Dich bitten! fuhr Jener fort. Aber Du mußt auch Alles thun, um einer solchen Fürbitte theilhaftig zu werden. Nur der wahrhaft Reuige und Büßende wird der Gnade des Herrn theilhaftig.

– Ich will Alles thun, was Ihr von mir verlangt, stöhnte Alonso. Nur daß ich nicht ewig in der Hölle brennen muß. Sagt mir, was ich thun soll.

– Beichte mir, mein Sohn! sagte der Priester ernst. Ich sehe es Dir an, daß noch Manches Dein Gewissen beschwert. Sage es offen und frei. Verbirg mir nichts, denn nur so kann ich Dir die Absolution ertheilen.

– Ja, ich weiß noch Vieles, antwortete Alonso. Und das von dem Matrosen Hendrick, der mich schlug, weiß ich auch.

– Was für ein Matrose ist es, von dem Du sprichst, und was kannst Du von ihm sagen?

– Es ist eine schlimme Geschichte, ehrwürdiger Herr, sprach Alonso. Ich möchte gern Alles sagen und suche es mühsam zusammen.

– Besinne Dich, mein Sohn, bat der Priester. Ich will einen Gang durch das Zimmer thun und ein Paternoster beten.

Er that es und ließ durch einen Wärter den Arzt und den Chirurgen rufen, damit er Zeugen habe, wenn vielleicht etwas gesagt würde, das von Wichtigkeit sei. Alle Drei traten an das Bett des Kranken und Alonso sprach möglichst zusammenhängend so Vieles, woraus hervorging, daß nicht Hendrick Jonker, sondern er den Streit herbeigeführt habe, und aus welchem Grunde dies auf Befehl des Capitains de Saar und seines Sohnes geschehen sei.

– O Du allerheiligste Jungfrau! sagte der Priester entsetzt. Welche schreckliche Geschichte ist dies. Aber, liebwertheste Herren, mich will bedünken, daß es nicht ausreicht, wenn dies Erkenntniß vor uns abgelegt wird. Es müßte eine gerichtliche Person gegenwärtig sein, die eine Schrift darüber aufnehme und sie besiegelte, damit sie vor Gericht als vollgültiger Beweis gelten könnte. Glaubt Ihr, Herr Doktor, daß Alonso noch ein solches Verhör zu bestehen im Stande ist?

– Das hoffe ich! sprach der Arzt. Wir wollen sofort jede mögliche Vorkehrung treffen. Kommt, Herr College. Ich weiß einen mir befreundeten Notarius in der Nähe, den ich sofort mit seinem Schreiber herbeirufen werde. Unterdessen bringt Ihr Alles hier in Ordnung.

Die nöthigen Vorbereitungen wurden alsbald getroffen. Der Arzt brachte den Notar sammt dem Schreiber, und der Erstere, den der Arzt schon vorläufig von Allem unterrichtet hatte, schickte sich an, sein Amt zu beginnen. Der Priester hatte dem Alonso nochmals in das Gewissen geredet und dieser erklärte sich bereit, Alles reumüthig zu bekennen und mit einem heiligen Eide zu bekräftigen.

Das Verhör nahm seinen Gang. Der Notar hatte die aufgenommene Akte in aller Form Rechtens vollzogen und versicherte, daß er den Inhalt derselben sofort zur Kenntnißnahme des hohen Gerichtshofes bringen werde.

Der Priester blieb bei Alonso zurück:

– Dein Gewissen ist nun von jeder Qual befreit. Du bereust wahrhaftig und die Sünde ist von Dir genommen. Du magst getrost Deine Augen schließen, denn Du wirst eingehen zu Deines Herrn Freude.

Alonso lächelte. Die so widerwärtige Physiognomie dieses verstürmten, verwilderten Gesellen hatte von dem Abstoßenden vieles verloren. Der Frieden, der in seinem Innern waltete, machte sich äußerlich bemerkbar, und, als der letzte, entscheidende Augenblick kam, flog ein Lächeln über das Gesicht.

– Gott sei der unsterblichen Seele gnädig! sprach der Priester und machte das Zeichen des Kreuzes über die Leiche. – – –

– Es ist abscheulich, sagte der Oberrichter, nachdem er den Bericht des Notars entgegennahm. Was bedünkt Euch, Mynheer Halle-Jantzen?

Diese Worte richtete er an das Mitglied des Verwaltungs-Rathes, der gerade anwesend war, und dieser entgegnete:

– Das Maaß dieses Saar ist voll. Ich werde sogleich die Angelegenheit anhängig machen. Die Compagnie kann keinen Offizier im Dienst behalten, an dessen Bord so viele offenbare Nichtswürdigkeiten vorgehen. Das Uebrige ist dann Eure Sache. Hoffen wir, daß wir jetzt das Unkraut mit der Wurzel zugleich vertilgen.

– Ich werde nicht ruhen, bis Jedem der gebührende Lohn geworden ist! sagte der Ober-Richter. Dem Verbrecher seine Strafe; dem unschuldig Verurtheilten eine glänzende Genugthuung.

– Ihr meint den Matrosen Hendrick Jonker, der nach Edam geschickt ward? Es muß sofort Ordre zu seiner Rückberufung gegeben werden.

– Wenn die Ordre nur zur rechten Zeit kommt! sprach der Oberrichter besorgt. Entsetzlich wäre es, wenn der junge Mann dem Pesthauche zum Opfer gefallen wäre.

– Gott wird verhüten, daß es geschieht, sagte Halle-Jantzen. Bei alledem thun wir unsere Schuldigkeit. Wenn der junge Mann wohlbehalten hierher zurückkehrt, will ich dafür sorgen, daß die Compagnie ihn für das erlittene Unrecht schadlos hält. Es geschieht in unseren Verhältnissen so manches Schlimme, das wir nicht zu verhindern im Stande sind. Wir wollen mindestens darnach trachten, daß dasjenige, was wir auszugleichen vermögen, nicht unausgeführt liegen bleibe.

Die beiden würdigen Männer trennten sich. Als am anderen Morgen Capitain de Saar sich kaum von seinem Lager erhoben hatte, erschien der General-Gewaltiger der holländisch-ostindischen See- und Landmacht und sagte, indem er dem Capitain näher trat:

– Ihr seid mein Gefangener!

– Wer Teufels seid Ihr? fuhr der Capitain auf.

Der General-Gewaltiger entgegnete, ihn unterbrechend:

– Wer ich bin, ist Euch wohlbekannt und Ihr werdet in Eurem eigenen Interesse ersucht, jede Brutalität zu vermeiden. Ihr seid zur Untersuchung gezogen und bis zur ausgemachten Sache des Kommando's entsetzt. Aus besonderer Rücksicht kündige ich Euch Haus-Arrest an, muß Euch aber bemerklich machen, daß jeder Fluchtversuch vergeblich ausfallen und Eure Angelegenheit nur verschlimmern würde.

– Und man will mir nicht sagen, weshalb diese unverantwortliche Maßregel über mich verhängt wird? fragte der Capitain.

– Es liegt durchaus nicht in meiner Verpflichtung, Euch im Voraus mit dem bekannt zu machen, was Eurer harrt! sagte der General-Gewaltiger, sich entfernend. Aber damit Ihr wißt, woran Ihr seid, sage ich Euch freiwillig: Der Stein, worüber Ihr stolpert, heißt Hendrick Jonker.

– Hendrick Jonker! Der Capitain sprach diesen Namen mit Verwünschungen aus. Er wiederholte ihn mit noch stärkeren Flüchen, als er an einem der folgenden Tage den Gerichtssaal verließ, wo man ihm das Urtheil gesprochen hatte:

»Capitain Herperts de Saar, bisher Befehlshaber des »Oranienbaum«, bleibt wegen überwiesener Gewaltthätigkeiten seines Postens entsetzt und verliert die Berechtigung, je wieder bei der Flotte angestellt zu werden. Außerdem ist er verpflichtet, dem Matrosen Hendrick Jonker einen Schadenersatz von fünftausend Gulden zu zahlen. In Anbetracht früherer guter Dienste bewilligt die Compagnie ihrem ehemaligen Capitain den dritten Theil seines Gehaltes als Pension.«

– Hendrick Jonker! Mit diesem Namen auf den Lippen verließ Capitain Herperts de Saar den Gerichtssaal. Dieser Name war der letzte Laut, den die Umstehenden hörten, als er nach langen Leiden durch den Tod erlöst wurde. Noch in seinem letzten Augenblicke war ihm die Gestalt des jungen Mannes erschienen, den er absichtlich in das Verderben stürzte.

Aber die ewige Liebe und Erbarmung hatte es anders beschlossen.

Das sechste Buch.

Hendrick Jonker betrat den Boden von Edam. Bei der Landung nahm man ihn in Empfang und brachte ihn zu dem Direktor des Lazareths, der zugleich der oberste Arzt desselben war.

Doktor Cornelis Bruun war einer der originellen Figuren jener Tage, welche die Gegenwart nicht mehr kennt, weil sie mit ihrer Kultur Alles beleckt und die Menschen, wie die Dinge gleich macht. Als ein wilder junger Bursche hatte er die Universität von Leyden besucht. In den Hörsälen und in den Kliniken war er wenig, in den Wein- und Bierschenken desto häufiger zu finden. Nachdem er zwei Liebschaften und drei Duelle gehabt, einem Professor die Fenster eingeworfen und den Rector magnificus auf offener Straße verhöhnt hatte, wurde er relegirt und trat als Chirurg in die Dienste der Compagnie. Einmal den Boden Hollands hinter sich, sah er denselben nicht wieder. Zwanzig Jahre lang blieb er im Dienste der Küstenfahrer. Die Häfen auf Ceylon und Manila, Celebes und Batavia waren die Aus- und Eingangspunkte seiner Reisen. Da setzte ein schwerer Fall dem ruhelosen Wanderer ein unwillkommenes Ziel. Er fluchte alle tausend Donnerwetter vom blauen Himmel herunter. Er gelobte die unmöglichsten Dinge auszuführen, wenn er sein gesundes Bein wieder bekäme. Umsonst. Doktor Cornelis Bruun gehörte unwiderruflich zur Legion der Hinkenden und mußte darauf verzichten, die Leitern der Dreidecker bis in den untersten Raum auf- und abzusteigen.

Vor zwanzig Jahren hatte er wohlgemuth das Land verlassen. Nach zwanzig Jahren betrat er wieder den festen Boden, um bis an sein Lebensende auf demselben zu hausen. Als ein unwissender Chirurgen-Gehülfe hatte er seine ärztliche Laufbahn zur See begonnen. Mit der Theorie seiner Wissenschaft befaßte er sich wenig. Seinen Bücher-Vorrath trug er bequem unter dem linken Arm, und auf offener See gab es keine öffentlichen Bibliotheken und Hörsäle. Aber er hatte den richtigen Blick, der den rechten Arzt kennzeichnet, und die Praxis war seine gewissenhafte Lehrerin, zu deren Füßen er saß und auf ihre Weisungen mit Andacht horchte. Ein zwanzigjähriger Dienst in den Schiffslazarethen bringt dem Arzte tausend unauflösliche Räthsel, und Preis ihm, wenn er nur einen Theil derselben zu lösen vermag. Als Doktor Cornelis Bruun seufzend von dem Fallreep seines letzten Schiffes in das Boot stieg, nahm er so viele Räthsel mit sich an das Land, daß die Weisen und Gelehrten der drei größten medizinischen Fakultäten von Europa nicht im Stande gewesen wären, sie zu lösen.

Der Doktor hatte eine lustige, schwimmende Heimath gehabt. Eine endlose Welt voll hüpfender Hügel und Thäler, mit silbernen Scheiteln und grünen Gründen. Jetzt, wo er eine feste Heimath hatte und die Palmen zu seinen Häupten rauschten, war er in der Fremde. Die Menschen um ihn her waren ihm gleichgültig. Er kannte sie und sie kannten ihn nicht. Er verstand nichts von ihrer Weise zu leben und zu sein. Sie nannten ihn einen Sonderling, der sich nicht in Land und Leute schicken könne oder wolle. Nur im Hospital war er zu Hause. Unter den Kranken fühlte er sich heimisch, denn die Kranken sind sich überall gleich, am Bord wie an der festen Wall.

Da scholl von Edam die Kunde herüber, daß der Vorstand des Hospitals gestorben sei. Es war eine Art von Verbannungsort, dieser Posten, und die Aerzte in dem Dienste der Compagnie schauerten leise zusammen, wenn sie davon reden hörten. Aber Cornelis Bruun fand diese Abgeschlossenheit nach seinem Geschmack und forderte die Bestallung als Lohn für langjährige und treue Dienste. Schon am Tage nach der Verleihung, die mit ungewöhnlicher Schnelle erfolgte, war er auf dem Wege dahin, und seit der Stunde, da er jenes Haus des Grauens und des Schreckens betrat, verließ er es nicht wieder. An der Schwelle desselben empfing er jeden neuen Kranken. Die Genesenen begleitete er bis zu derselben und gab den Todten das Geleite bis dahin. Darüber hinweg hatte er den Fuß nicht mehr gesetzt.

– Du bist willkommen in diesem Hause, mein Sohn, sagte der Doktor zu Hendrick Jonker, ihm die Hand reichend. Aus diesem Blatte entnehme ich, daß Du verurtheilt bist, sechs Monate in diesem Hause Dienste zu thun. Sie nennen es eine Verurtheilung. Ich nenne es den Ruhepunkt nach langer, stürmischer Fahrt. Auf diesem zweiten Blatte steht verzeichnet, weshalb Du verurtheilt bist. Das lege ich ungelesen bei Seite. Wir haben hier keine Verbrecher und keine Verurtheilte. Hier giebt es nur Menschen, die krank sind, am Leibe und an der Seele, und ich bin daher gesetzt, um ihre Genesung zu fördern, oder, wenn das nicht möglich ist, ihnen den letzten Segenswunsch mit auf die Reise in die Ewigkeit zu geben. Nun komm, mein neuer Kranker. Ich will Dich zu den alten führen, damit Du mit ihnen bekannt wirst und ihnen die Hülfe leistest, welcher sie bedürfen.

Der Doktor trat mit ihm in den ersten Saal, worin mehrere Kranke lagen. Hendrick begleitete ihn mit Zittern und Zagen. Seine Kniee wankten. Seine Wangen waren bleich. Plötzlich stieß er einen Schrei der Ueberraschung aus. Der Doktor vernahm es und sah ihn fragend an.

– Verzeiht, Mynheer, sagte Hendrick Jonker stotternd. Aber jener Mann dort auf dem Bette – –

– Er ist sehr krank. Was soll es mit ihm?

– Dieser Mann war Quartiersmann am Bord des »Oranienbaum«. Er hat mir alles gebrannte Herzeleid angethan und ist schuld an all' meinem nachmaligen Unglück.

– Dann, mein Sohn, sollst Du der Pfleger dieses Mannes sein, sagte der Doktor. Du kannst mit ihm Dein Probestück beginnen.

– Ich sagte Euch, Mynheer, was ich von jenem Manne erdulden mußte – –

– Das war in der weiten Welt, wo die Menschheit sich gegenseitig hetzt und jagt. Hier giebt es weder Beleidigte, noch Beleidiger. Hier sind nur Kranke und ihre Pfleger. Wir Alle haben einen gemeinsamen Feind. Das ist der Tod. Oft zwar wirft er uns und eilt mit seiner Beute davon. Aber oft erringen wir auch den Sieg und schlagen ihm ein Schnippchen. Das thue Du auch und nun komm her, damit ich Dich unterweise, was Du zu thun hast.

So saß nun Hendrick Jonker mit Angst und Zagen an dem Bette des Quartiersmannes. Er reichte dem Dürstenden den Labebecher und dachte dabei an den Becher, den dieser Mann ihm einst reichte, und als er eingeschlafen war, ihn verrätherisch im Stiche ließ.

Zwei Tage vergingen. Auf Augenblicke erhielt der Quartiersmann die volle Besinnung. Dann sah er Hendrick Jonker in das Gesicht, erkannte ihn und nannte seinen Namen. Sprechen konnte der Mann nicht viel, aber zwischen dem Kranken und seinem Wärter bildete sich ein Verständniß. Ein Wink der Hand, eine leise Neigung des Hauptes wurde zu einem untrüglichen Zeichen. Am Abend des dritten Tages schien der Kranke kräftiger, als zuvor. Er vermochte sich ohne besondere Schwierigkeit aufzurichten. Hendrick sah es und flüsterte dem eintretenden Arzte zu:

– Das ist das Leben.

Der Arzt sah nach dem Bette hinüber und antwortete:

– Das ist der Tod. Das Licht flackert noch einmal hell auf, bevor es verlöscht. In einer Stunde muß er daran. Mache es ihm leicht, mein Junge.

– Ja, Mynheer! sagte Hendrick Jonker und nahm seinen vorigen Platz ein, um zum ersten Male in seinem Leben einen Menschen sterben zu sehen.

– Hendrick! stöhnte der Quartiersmann leise hervor.

– Was wollt Ihr, Mann? Soll ich Euch den Wasserkrug reichen?

– Ich bedarf nichts mehr. Ich muß d'ran, Hendrick.

– Vielleicht kommt Ihr noch davon.

– Glaubte es bis vor einer Stunde. Jetzt nicht mehr. Höre, Hendrick! Ich habe Dir viel Leides zugefügt. Das liegt mir schwer auf dem Herzen.

– Werft es ab, Mann. Ich denke nicht mehr daran.

– Ich kann nicht, Hendrick.

– Will Euch helfen, sagte Hendrick Jonker.

Er faltete die Hände des Sterbenden, nahm sie zwischen die seinigen und sprach:

»Und vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.«

Der Quartiersmann sprach ihm nach:

»Und vergieb uns unsere Schuld – –«

Er kam nicht weiter. Die Stimme stockte. Das Auge brach.

– Es ist Alles vergeben! Schlafe in Frieden.

– Der Mann im Bette Nummer sieben ist gestorben! lautete die Meldung. Die Todtenglocke begann ihr kurzes Geläut. Sie erklang an diesem Tage zum vierten Male.

Die Leiche ward fortgetragen. Als der Doktor und Hendrick an der Schwelle, bis wohin sie mitgegangen waren, umkehrten, sagte Hendrick, indem er sich leise schüttelte:

– Mynheer, ich glaube, nun bin ich daran.

Cornelis Bruun sagte nichts, aber er griff nach dem Arm des jungen Mannes und hielt ihn mit starker Hand aufrecht.

Um diese Zeit war es, wo Jan Wilms den Boden von Edam betrat.

– Wer seid Ihr? fragte der Doktor den Mann, welcher zu ihm in das Zimmer trat.

– Ein Mann, der von Batavia hierher gekommen ist, um in Eurem Hause Dienste zu thun.

– Ihr seid dazu verurtheilt?

– Nein, Mynheer. Ich bin freiwillig gekommen. Habe es mir als eine Gunst, als eine Gnade erbeten.

– Was ist die Ursache solchen Thuns?

– Die Vaterangst, Mynheer. Ich bin ein unglücklicher Vater, der Jahre lang von Land zu Land umherirrt und sein einziges Kind sucht, ohne es finden zu können. Endlich zeigt sich eine deutliche Spur und diese Spur führt zu der Insel Edam.

– Wie heißt Ihr, Mann?

– Jan Wilms ist mein Name.

Der Doktor sann einen Augenblick nach und sagte dann:

– Es giebt hier keinen dieses Namens.

– Ich weiß es, Mynheer. Der, den ich suche, trägt einen anderen Namen. O, das ist eine lange, traurige Geschichte – –

Der Doktor wehrte ab:

– Was jenseits dieser Schwelle liegt, gehört für mich dem Reiche der Todten an. Welchen Namen führt der von Euch Gesuchte?

– Hendrick Jonker!

– Den sollt Ihr sehen, wenn er auch Euch nicht sehen kann.

– Ist er todt? schrie Jan Wilms laut auf.

– Er schlägt sich noch mit dem Tod herum und wehrt sich tapfer, entgegnete der Doktor in seiner Weise. Seht zu, ob Ihr ihm den Kampf erleichtern könnt.

– Das will ich! sagte Jan Wilms entschlossen. O, Inke Duins, nun kann ich endlich mein Gelöbniß lösen.

Der Vater saß an dem Bette des Sohnes. Er pflegte ihn mit jeder nur erdenklichen Sorgfalt und wandte keinen Blick von ihm ab. Wenn ihm vor Uebermüdung einmal die Augen zufielen, taumelte er aus seinem Traumschlafe auf und machte sich die lebhaftesten Vorwürfe. Er kühlte die brennenden Lippen des Schmachtenden und trocknete ihm den kalten Schweiß von der Stirn.

Eines Morgens lag der Kranke besonders ruhig da. Jan Wilms, der ihn keinen Moment aus den Augen ließ, sagte:

– Wenn ich ihm so fest in das Gesicht sehe, ist mir fast, als fände ich Züge darin, die denen seiner Mutter gleichen. Die arme Inke Duins, die unglücklich war, als sie diesen Namen führte, und die unglücklich blieb, als sie meinen Namen erhielt. Was habe ich für wüstes Zeug angerichtet und wie schwer ist meine Seele belastet. Das ist unser Sohn, der da vor mir liegt, arme Inke. Er wird mir unter den Händen sterben und ich kann mein Wort nicht lösen und ihn Dir bringen, oder doch ihn zu Dir senden, wenn meine Kraft nicht mehr zur Heimkehr ausreicht. Wer weiß auch, ob Du nicht bereits Deinem Kummer erlegen bist und längst in der kühlen Erde ruhst, wenn der Bote zu Dir kommt und Dir melden will, daß Dein Sohn da ist. Dein und mein Sohn! Ob er es denn auch ganz gewiß sein mag? Es kann ja wohl noch mehrere Leute geben, die den Namen Hendrick Jonker führen. Das Gesicht sagt es freilich, daß er aus ihrem Blute stammt. Aber es giebt auch Gesichter, welche lügen, und ich möchte gern die volle Gewißheit haben.

Er sank in ein tiefes Sinnen. Die Gedanken kreuzten einander und erst allmälig sprang in dem wirren Chaos ein lichter Funken auf:

– Als ich das erste Mal in Java war und an den Küsten umherkreuzte, kam ich mit einem alten Malaien zusammen, den ich mit meinen Armen festhielt, als er im Rausche über Bord stürzen wollte. Es war eine dankbare Kreatur, dieser Malaie. Wollte es mir in seiner Weise vergelten. Er lehrte mich, wie man allerlei Zeichen in den menschlichen Körper tätowiren und sie so fest darauf bannen könne, daß sie niemals verlöschten, sondern bis an das Lebensende darauf haften blieben. Habe die Kunst, die ich damals lernte, vielfach versucht, hier und dort an allerlei Menschenkind. Und nun fällt mir ein ... In jener Nacht, als ich mich zum zweiten Male nach Indien verhandelte ... Es war die Stube der Inke. Sie lag auf dem Bett und konnte sich nicht regen ... Nicht weit davon stand das Lager des Kindes ... Da fiel mir ein, es zu kennzeichnen. Ich grub in seinen linken Oberarm das Kreuz und setzte die Buchstaben J. W. daneben ... Ja, so war es! Jetzt, da mir das in den Sinn kam, steht es so deutlich vor mir, als wäre es gestern geschehen. Ist nun dieser da vor mir wahrhaft mein Sohn, muß ich ja jenes Zeichen finden –

Jan Wilms befand sich in großer Aufregung. So nahe dem Ziele, sich die gewisse Ueberzeugung zu verschaffen, fehlte ihm der Muth, sie herbeizuführen. Er beugte sich nahe zu Hendrick herab und sah ihn lange an. Dann schlug er die leichte Decke zurück und streifte das Gewand mit zitternden Händen von dem Oberarm. Da leuchtete ihm das rothe Kreuz entgegen und die Anfangsbuchstaben seines Namens standen daneben.

– Er ist es! rief er. Seine Augen gingen ihm über. Er sah nichts mehr. Die Kniee brachen unter ihm zusammen.

So fand ihn nach einiger Zeit der Doktor. Dieser rüttelte ihn auf, und da er Anfangs glaubte, der Mann sei als ein fahrlässiger Wächter eingeschlafen, sagte er einige ernste Worte. Als er aber den tieferschütterten Mann näher betrachtete, hielt er inne und fragte:

– Was ist Euch?

– Ach, Mynheer! Nun erst habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß es wirklich mein Sohn ist, an dessen Bette ich sitze, war die Antwort. Seht hier dies christliche Zeichen auf dem Oberarm. Es ist mein Werk. Der da vor mir liegt, ist gewiß und wahrhaftig mein Kind.

– Nun, Mann, so muß ich wohl Eurer Entdeckung eine zweite hinzufügen, entgegnete der Arzt. Schon eine Weile stehe ich hier und betrachte Euch Beide. Ihr seht den Sohn, der vor Euch liegt, aber Ihr gewahrt nicht die Veränderung, welche mit ihm vorging. Seht Ihr nicht, daß die dunklen Flecken von der Stirn verschwunden sind? Hört Ihr nicht den ruhigen Athemzug des Schläfers? Gewahrt Ihr auch nur einen Tropfen Schweiß? Verschwunden Alles. Das Fieber ist gebrochen. Nun kehrt die Genesung langsam, aber sicher wieder.

Cornelis Bruun brachte dem entzückten Vater dies Alles nach und nach mit größter Vorsicht bei und empfahl Mäßigung, da jede ungewöhnliche Aufregung nur störend wirken könne. Dann ging er und ließ den Jan Wilms allein mit allen den Gedanken und Empfindungen, die demselben so neu und unbegreiflich waren.

Ein eigenthümliches Leben entspann sich nun auf dem engen Raum, wo das Bett des Hendrick Jonker stand, dessen volle Jugendkraft mit jedem Tage mehr und mehr die Oberhand gewann. Keine mütterliche Wärterin kann dem Säugling eine treuere Pflege widmen, als es Jan Wilms dem Hendrick that. Dieser empfand es wohl und sagte:

– Ihr seid so gut und lieb, wie mir scheint, daß es ein Vater sein würde, der den kranken Sohn vor sich sieht. Ach, wie schön muß das sein!

– Du hattest keinen Vater, der Dir Liebes that, mein Junge?

– Ich hatte keinen Vater und keine Mutter, die mich liebten und pflegten, sagte Hendrick traurig. Ich weiß überhaupt von meinem Vater nichts; aber von der Mutter vermag ich zu erzählen.

– So hättest Du die Mutter gekannt? fragte Jan Wilms erstaunt.

– Nein, Herr. So war es nicht gemeint. Wirklich gesehen habe ich sie nicht. Aber sie ist mir im Traume erschienen und hat mir immer tröstend zugesprochen.

– Du sahst sie im Traume?

– Ja, Herr. Immer wenn es mir recht schlimm ging, erschien sie mir mit tröstlichen Worten, und immer wurde dann mein Schicksal ein besseres. Das erste Mal, als ich sie sah, war sie jung und schön. Sie hatte helle Augen und war so freundlich, wie nur die Anne-Marie jemals gewesen ist.

Jan Wilms verstand nicht, was es bedeute, aber er ahnte es, und dem Sohne die Hand drückend, fragte er:

– Und die Mutter?

– Ja, die Mutter. Nach Jahren habe ich sie wiedergesehen. Sie hatte gealtert. Aber ich kannte sie gleich wieder und hörte mit klopfendem Herzen, was sie mir Schönes und Tröstliches sagte. Und jetzt – es ist noch nicht lange her – in der Zeit, da ich hier im Fieber lag, sah ich sie auch. Ach, Herr, sie ist alt geworden. Ihr Gesicht zeigt tiefe Furchen und das Haar, das ich sonst so dunkel glänzen sah, ist bleich.

– Ich glaube, daß es so ist! sprach Jan Wilms vor sich hin.

– Aber freundlich war sie, wie immer, fuhr Hendrick fort. Und nun fällt mir auch ein, daß sie mit mir sprach. Die Worte, welche ich damals nicht recht verstand, werden mir jetzt deutlich. Sie sprach von meinem Vater, der hinausgegangen sei, mich zu suchen, und daß sie hoffe, er werde mich finden und glücklich sein. Ja, Herr, das sagte die Mutter. Mir ist es, als hätte ich es erst eben jetzt gehört. Ach, wenn es doch wahr werden möchte.

– Es kann wahr werden! sprach Jan Wilms überwallend.

– Ihr seid rasch mit dem Worte bei der Hand! sagte der Doktor, der seine Kranken und, Genesenden nie aus der Acht ließ. Ihr laßt den jungen Menschen zu viel sprechen, was ein neues Fieber zur Folge haben kann. Besser, daß man ihm etwas erzählt, und das will ich jetzt übernehmen. Geht, Mann, und schöpft draußen eine Viertelstunde lang frische Luft. Ich will Euch hier schon vertreten.

Jan Wilms ging. Cornelis Brunn setzte sich zu Hendrick Jonker und erzählte ihm eine Geschichte. Sie ähnelte dem Schicksal des Jan Wilms und der Inke Duins auf ein Haar. Die Geschichte fand einen begierigen Hörer.

Als nach einer längeren Weile Jan Wilms wieder durch die eine Thür eintrat, entfernte sich der Doktor durch die andere. Aber Hendrick saß auf dem Rande des Bettes, breitete dem Kommenden die Arme entgegen und rief mit überströmenden Thränen:

– Vater, lieber Vater! So finden wir uns endlich!

– Das walte Gott, der mir armen Sünder gnädig und barmherzig ist! rief Jan Wilms und drückte den Gefundenen fest an sich.

Abermals waren zwei Tage vergangen. Es waren Botschaften aller Art von Batavia eingetroffen. Eine derselben galt dem Matrosen Hendrick Jonker. Sie verkündete demselben die Entdeckung seiner völligen Unschuld und rief ihn nach Batavia zurück, um die ihm gebührende Ehrenerklärung und die von dem Colonial-Rath ihm zugebilligte Entschädigung zu verlangen. Der Doktor Cornelis Bruun hatte diese Kunde zunächst empfangen und ihm war es anheim gegeben, wann er den Behelligten, von dessen gegenwärtigen Umständen man nichts wisse, davon in Kenntniß setzen wolle.

Jan Wilms war der treue Führer und Begleiter seines Sohnes Hendrick; allein er war es nicht mehr mit dem Feuer und der Ausdauer, wie zu Anfang. Oft mußte er, müde geworden, innehalten, wenn die Beine ihm den Dienst versagten. Er begann zu keuchen, weil ihm der Athem fehlte. Oefter flog ein leises Zittern über seinen Körper und mitten im hellen Sonnenschein befiel ihn ein Frösteln. Jan Wilms fühlte es und die dunkle Ahnung, welche früher oft sein Herz beklemmte, wurde zur Gewißheit. Darum sagte er einstmals, als er mit dem Sohne von einer kurzen Wanderung heimkehrte:

– Du hast gehört, was Dir der gute Doktor heute Morgen verkündete. Du kannst nach Batavia zurückkehren und Glück und Ehre warten dort Deiner. Ich will auch das Meinige dazu beitragen. Die Gabe des Vaters ist geringe, gegen das Leid gerechnet, das er Dir zufügte.

Hendrick legte ihm die Hand auf den Mund und sagte bittend:

– Davon sprich nicht. Wir haben uns gegenseitig gebeichtet. Es ist Alles vergeben und vergessen und wir werden glücklich sein, wenn wir daheim beisammen sind.

– Das ist meine Meinung, erwiederte Jan Wilms. Aber wir können nicht vorher wissen, wann diese Stunde anbricht und ob es gewiß ist, daß wir beisammen bleiben, oder ob uns irgend ein Ereigniß wieder trennt. Darum will ich, daß, wenn Du jetzt wieder unter Menschen erscheinst, dies nicht unter dem Namen geschieht, den Dir die Barmherzigkeit der Menschen geliehen hat, sondern unter dem Namen, der Dir von Gott und rechtswegen gebührt. Ich habe daheim in Amsterdam vorgesorgt, daß dies geschehen könne. In diesem Taschenbuche findest Du Alles. Es enthält den Trauschein Deiner Eltern, Deinen Taufschein, mit dem Vermerk, daß Du als Hendrick Jonker getauft, aber völlig berechtigt bist, den Namen Hendrick Wilms zu führen, und endlich den Brief meines Vaters, den er in seiner Herzensangst in Rotterdam schrieb und der erst nach langen, langen Jahren durch einen Zufall in meine Hände fiel. Nimm hin, mein Sohn, was ich habe und Dir bieten kann. Es ist das ganze Erbtheil Deines Vaters.

Hendrick schlang den Arm um den Nacken des Jan Wilms und wollte sich an ihn schmiegen, aber er wich erschreckt zurück:

– Vater! Was ist Dir? Dein Gesicht nimmt einen seltsamen Ausdruck an. Du bist krank.

– Es wird so sein, sagte Jan Wilms. Mein Herz drückt sich zusammen und dehnt sich dann so weit aus, als wollte es zerspringen. Armer Junge, Du hast meine Hülfe noch so sehr nöthig und ich kann sie Dir nicht gewähren. Glaube vielmehr, daß Du mich stützen mußt.

– Gern, Vater! Lehne Dich nur recht fest auf mich. Wir gehen hinein und Du legst Dich nieder. Die Ruhe wird Dir wohlthun. Du hast Dich zu sehr angestrengt um meinetwillen. So! Da sind wir nun. Jetzt thue auch, um was ich Dich gebeten habe.

– Will es thun! – Ach! Wie es mir vor den Augen flimmert! Hendrick! Wo bist Du denn?

– Hier, Vater! rief dieser erschreckt. Kannst Du mich nicht erkennen?

– Hei! Hei! Ist das Feuer? Ich sehe in die helle Gluth, die mich versengt!

Jan Wilms kreischte diese Worte in steigender Angst. Das Fieber hatte ihn mit starken Armen gefaßt und wollte ihn nimmer lassen.

Cornelis Bruun erschien und that, was unter diesen Umständen seine Schuldigkeit war. Zu Hendrick aber sprach er:

– Das Schiff, welches von Java gekommen ist, kehrt morgen dahin zurück. Der Schiffer, welcher die Ordre hat, Euch mitzubringen, läßt Euch sagen, daß Ihr zur Nacht an Bord kommen müßt.

– Das geht nicht an, sagte Hendrick.

– Ihr weigert Euch, einem Befehl des Kolonial-Rathes zu gehorchen?

– Soll ich ihn verlassen? antwortete Hendrick, auf den Vater zeigend. Ich will es nun und nimmer thun.

– Wenn aber der Schiffer, an seine Ordre haltend, Gewalt braucht?

– Er soll es versuchen! entgegnete Hendrick entschlossen.

– Junger Mann, sprach der Doktor. Ihr wißt nicht, was Ihr thut. Der Mann dort hat ein schweres Verbrechen auf sich geladen und gesühnt. Er wird es mit seinem Tode besiegeln. Ich sage Euch das. Jan Wilms stirbt und wird Euch nicht wiedererkennen. Ihr bleibt umsonst hier und setzt Euch der Gefahr aus, zum zweiten Male das böse Fieber zu bekommen, das Euch dann nicht wieder fahren läßt. Zudem würde, wenn Ihr davon kämt, Euer gegenwärtiger Ungehorsam Euch später einen üblen Empfang bereiten.

– Mag es sein! rief Hendrick. Und wenn sie mich wieder in den Kerker werfen und mich peinigen! Ich frage nichts darnach. Jetzt aber ist hier mein Platz und weder mit List, noch mit Gewalt sollen sie mich von demselben entfernen.

Er warf sich neben dem Lager des Vaters in die Kniee. Der Doktor sah auf ihn herab und fuhr mit der umgekehrten Hand über die Augen:

– Ich dachte es wohl. Es ist eh, wunderliches Ding mit dem Menschenherzen. Habe deren unter diesem Dache viele kennen Sein und jedes war ein anderes. Nun, wie Gott will. Muß also den Schiffer bedeuten, daß er ohne den Hendrick heimkehren soll, und weshalb es geschieht. Denke, daß die hochmögenden Herren ebenfalls ein Herz in der Brust tragen, wenn es auch vielleicht aus einem anderen Stoffe geformt ist, als das, welches der Junge da mit auf die Welt bekommen hat. Ewig schade wäre es, wenn es nicht noch eine Weile frisch und fröhlich darin schlagen sollte.

Und der Doktor ging hinaus, um seiner nächsten Pflicht obzuliegen.

Jan Wilms mußte sein Schicksal erfüllen. Die Sünde war gesühnt. Den Sohn, den er unbarmherzig verhandelte, hatte er unter tausend Gefahren, unter tausend Sorgen und Entbehrungen gefunden und von dem Abgrund des Todes zurückgehalten. Hendrick ging in das volle, frische Leben ein. Er zahlte mit dem seinigen die Buße, welche zu tilgen war. Jan Wilms erkannte es klar, als die Wuth des Fiebers vorüber war und zum letzten Male das Bewußtsein in den zerrütteten Körper zurückkehrte. Er war klar mit sich selbst und sagte es dem Sohne, der weinend vor ihm saß und, die Hände des Sterbenden an seine Lippen pressend, ausrief:

– Nein, nein! Du darfst mich nicht verlassen, nachdem ich Dich kaum wiederfand. Du mußt genesen und mit mir heimkehren zur Mutter, die uns Beide mit offenen Armen empfangen wird. Vater! Verlasse Deinen Sohn nicht.

– Ich muß, Hendrick. Es ist mein Recht, das mir widerfährt. Was sollte ich auch noch daheim? Wen könnte ich erfreuen und glücklich machen? Ich fand Dich und Du gehst an meiner Statt. Die Papiere, die ich Dir übergab, sind ausreichend, um überall, wohin Du geräthst, zu beweisen, daß Du mein Sohn bist. Gott wird barmherzig sein und die arme Mutter Deine Heimkehr erleben lassen. Bringe ihr meinen letzten Gruß und sage ihr, daß ich in der Hoffnung gestorben sei, sie habe mir wahrhaft und aus vollem Herzen vergeben. Hörst Du, Hendrick, mein Kind? Willst Du meinen letzten Willen erfüllen?

– Treu und redlich, Vater.

– Und wenn Du dort Dein Werk gethan hast, begieb Dich nach Hamburg. Bringe denjenigen von den Meinigen, die Du noch am Leben findest, meine letzten Grüße und bitte sie, daß sie Dir, meinem Sohne, nicht entgelten lassen, was ich verschuldete. Und dann – –

Das Wort starb ihm auf den Lippen. Sein Gesicht veränderte sich zusehends. Hendrick rief in seiner Herzensangst nach dem Doktor. Cornelis Bruun kam herbei und sagte:

– Gott helfe ihm glücklich von hinnen; mit meiner Kunst ist hier nichts mehr gethan.

Eine Viertelstunde später läutete in dem Hofe des Hospitals das Todtenglöcklein.

Als Hendrick von dem Friedhofe zurückkam und sich von dem Arzt verabschiedete, sagte dieser, ihn auf der Schwelle entlassend:

– Euch hat der Himmel sichtlich beschützt. Ihr seid dem Fieber entronnen, als es Euch mit eiserner Faust packte, und Ihr habt ihm Widerstand geleistet, als Ihr den kränksten Mann pflegtet, der seit lange unter diesem Dache den letzten Athem aushauchte. Geht nun heim. Ihr werdet nach einer so stürmischen Jugend einen friedlichen Abend genießen. Denkt an den alten Cornelis Bruun, der Euer Herz erkannte, und betet für meine Kranken, daß Gott ihnen thue, wie er Euch gethan.

Er verabschiedete sich mit einem Händedruck von dem jungen Manne, den er liebgewann in seiner Einsamkeit; unter Kranken und Verbannten das einzige volle und gesunde Menschenherz.

Das war an einem frischen Morgen, als das Mitglied des Colonial-Rathes, Herr Halle-Jantzen, seinen Landsitz zu Buitenzorg verließ und, in die Stadt fahrend, sich geradesweges nach dem Comptoir begab. Es lagen einige dringende Geschäfte vor, die noch heute erledigt werden mußten, und die Herren, welche zu diesem Zwecke versammelt waren, hielten sich frisch zu der Arbeit, denn ohne Noth verweilte Niemand gern in diesen gefährlichen Räumen.

Einer der Clerks, welcher den Dienst hatte, trat gegen das Ende der Verhandlungen ein und machte dem Vorsitzenden eine Meldung.

– Es ist gut, sagte Herr Halle-Jantzen. Und da wir eben mit unserer Arbeit am Rande sind, laßt den Mann eintreten. Wo habt Ihr den Bericht des Doktors?

– Hier, Mynheer! sagte der Clerk und führte den jungen Mann ein, den zu melden er erschienen war.

– Tretet näher, Hendrick Jonker, sagte Herr Halle-Jantzen und nickte ihm freundlich zu. Ihr seid es doch?

– Ich bin es, Mynheer, der unter diesem Namen in die Schiffslisten eingetragen ist, wenn ich gleich, wie ich aber erst seit Kurzem erfahren habe, Hendrick Wilms heiße.

– Wir wissen es aus dem Schreiben des Doktors, entgegnete Herr Halle-Jantzen. Der Mann berichtet vieles Gute über Euch, weshalb wir Euch dafür öffentlich belobigen. Wißt Ihr, welcher schlimme Beisatz Eurem Namen in der Schiffsliste zugesetzt ist?

– Weiß es, Mynheer, sagte Hendrick. Aber ich schwöre Euch, daß es eine Unwahrheit ist. Ich bin nicht desertirt.

– Nein, Ihr seid es nicht, sagte Halle-Jantzen. Die erneuerte Untersuchung hat Eure völlige Unschuld ergeben, und Capitain de Saar, welcher Euch fälschlich anklagte, ist von rechtswegen zu einem Schadenersatz von fünftausend Gulden verurtheilt, die in meinem Gewahrsam sind und für Euch bereit liegen.

– Ach, Mynheer ... Wie könnte ich das annehmen?

– Was Euch das Gesetz zuspricht, dürft Ihr als Euer wahrhaftes Eigenthum betrachten. Uebrigens ist der Capitain todt und ohne weitere Erben. Ihr entzieht Niemandem etwas, worauf er hätte hoffen können. Nun aber, junger Mann, hat die Compagnie noch mit Euch abzurechnen. In Anbetracht dessen, wie Ihr in den Dienst kamt, in Anbetracht, wie Ihr während des Dienstes Euch führtet, und endlich, zur Ausgleichung dessen, was Ihr durch uns Uebles erfahren, haben wir für Recht erkannt, daß Ihr die Euch gebührende Monatsgage von dem Tage ab, da man Euch ungesetzlich von dem Schiffe entfernte, bis zu Eurer Rückkehr von Edam bei Heller und Pfennig ausgezahlt erhaltet. Dann aber überreiche ich Euch dieses Papier. Es enthält Eure Entlassung aus dem Dienste der Compagnie mit dem Charakter eines Deck-Offiziers erster Klasse und mit der Anweisung auf eine lebenslängliche Pension von zweihundert Gulden, welche allen Denjenigen bewilligt wird, denen die Compagnie eine besondere Entschädigung schuldet. Nun geht mit Gott und seid glücklich. Was Euch gebührt, wird Euch noch heute eingehändigt, und das Compagnie-Schiff, welches binnen hier und acht Tagen nach Amsterdam versegelt, ist angewiesen, Euch die kostenfreie Ueberfahrt mit der Eurer jetzigen Stellung gebührenden Verpflegung zu bewilligen. Gebt mir die Hand, Mynheer Wilms, denn das seid Ihr jetzt. Ich wünsche Euch eine glückliche Heimkehr in das Vaterland.

Der Vorsitzende gab dem jungen Seemanne die Hand, die übrigen Herren thaten dasselbe und entließen ihn mit freundlichen Worten.

Hendrick Wilms war draußen, er wußte nicht wie. Die ihm gemachten Verheißungen gingen noch im Laufe des Tages in Erfüllung. So lange er am Lande war, ging er wie im Traume umher. Als er in der Uniform eines Deck-Offiziers ersten Ranges sich im Comptoir verabschiedete und das Passagier-Billet zur Ueberfahrt nach Europa erhielt, traten ihm die Thränen in die Augen. Es war der »Oranienbaum«, mit welchem er nach Java versegelte. Aber Herperts de Saar beherrschte nicht mehr das Halbdeck desselben, und als er über den Fallreep trat, kam ihm sein alter Hochbootsmann entgegen und sagte, ihm die Hand bietend:

– Hätte nicht geglaubt, daß Ihr bei so jungen Jahren mein Kamerad werden und mit mir dieselbe Uniform tragen würdet. Da es aber so ist, biete ich Euch meine Kajüte zur Hälfte an und denke, daß wir während der Reise als ein paar gute Backsmaaten mitsammen verkehren werden.

Unter solchen heiteren Klängen ging der »Oranienbaum« unter Segel, mit zwei Hochbootsmännern vor dem Fockmast.

*

Weitab liegt der Schauplatz der vorigen Scenen. Hier zeigt sich Amsterdam im Frühnebel. Die Wolken hängen tief und ein feiner Sprühregen rieselt auf die Straßen herab.

Auf der Amsterstraat stand ein Haus, welches nicht hart an der Straßenfront lag. Es war etwas einwärts gebaut und hatte einen kurzen Vorhof. Das Erdgeschoß war nicht bewohnt. Ein langes, dunkles Zimmer, das früher zu einem Comptoir gedient hatte, stand leer. Im Hintergrunde des schmalen Flurs befand sich die Küche. Hart an derselben stieg die Treppe zu dem ersten Stock empor, und hier pflegten sich die Bewohner dieses Hauses aufzuhalten.

Es waren ihrer Zwei, die in tiefster Eingezogenheit lebten, nur von einer einzigen Magd bedient, welche dem kleinen Haushalte Vorstand. Besuche empfing man nicht, außer ein paar Mal in der Woche den Arzt, der um des alten Herrn willen erschien. Die junge Dame, welche den Doktor Brand stets empfing und zu dem Kranken führte, sprach mit demselben nur das Nöthigste. Es wurde überhaupt wenig gesprochen in diesem Hause, und außer demselben traf man die junge Dame nur, wenn sie nach der Kirche ging und von derselben wieder zurückkehrte.

Eben jetzt hatte der Doktor den kränkelnden alten Herrn wieder besucht und beurlaubte sich von der jungen Dame.

– Ich kann also ruhig sein? fragte diese.

– Ihr dürft es, Myjuffrouw, entgegnete der Doktor. Für den Winter habt Ihr nichts zu befürchten. Der Zustand Eures Vaters hat sich merkwürdig gebessert, und wenn Ihr Euch entschließen könnt, mit dem Beginn des Sommers auf das Land zu ziehen – –

– Wir wollen es möglich zu machen suchen, sagte die Dame verlegen.

– Besser wäre es freilich, wenn wir unsern Kranken nach Rotterdam und von dort stromaufwärts in die balsamische Luft des Rheingau's senden könnten.

– Es wird dies wohl ein frommer Wunsch bleiben müssen, sagte die Dame.

– Dem Wunsche könnte die Erfüllung folgen, wenn Ihr selbst es wolltet, entgegnete der Arzt rasch.

– Ich bitte Euch, Mynheer, sagte die Dame. Bereits mehrere Male habt Ihr ähnliche Worte fallen lassen und jedes Mal bat ich Euch, es zu unterlassen. Ihr kennt unsere Verhältnisse. Die Vermögens-Umstände des Vaters erlauben uns dergleichen kostspielige Reisen nicht. Warum also Wünsche wecken, die niemals in Erfüllung gehen können?

– Weshalb ist diese Erfüllung unmöglich? rief der Doktor lebhaft und erregt. Habt Ihr nicht Freunde, wenn Ihr sie nur zu haben begehrt?

– Mynheer –! unterbrach die Dame.

Jener fuhr fort:

– Laßt mich vollenden, bitte ich Euch. Oftmals habe ich mir ein Herz gefaßt, um Euch mein Innerstes klar darzulegen, und jedes Mal hat mich ein unbestimmtes Gefühl davon zurückgehalten. Laßt mich Euch offen und ehrlich die Neigung bekennen, die ich für Euch empfinde –

Die Dame unterbrach ihn abermals, indem sie freundlich sagte:

– Von allen Menschen, die ich kenne, möchte ich am wenigsten Euch ein verletzendes Wort sagen, und es würde geschehen müssen, ließe ich Euch ausreden. Darum verschließt das Geständnis, was Ihr mir offenbaren wolltet, auch ferner in Eurer Brust.

– Ihr weist mich ab? fragte der Arzt betreten. Ihr wollt den ehrlichen Antrag, den ich zu machen im Begriff stehe, nicht einmal anhören?

– Ich sagte Euch schon, daß Ihr vor allen Andern hoch in meiner Achtung steht, entgegnete die Dame, ihm die Hand reichend. Aber Niemand kann seinem Herzen gebieten. Das meinige ist nicht mehr frei. Es ist einem Jünglinge geweiht, der mir zwei Mal das Leben rettete und dessen Bild mit unauslöschlichen Zügen in mein Herz gegraben ist. Er weilt fern von hier. Vielleicht ist er nicht mehr am Leben. Wir werden uns Beide niemals Wiedersehen. Aber das Andenken an ihn wird nie in mir verlöschen und die Treue, die ich ihm gelobte, will ich ihm halten bis zu meinem letzten Athemzuge.

Der Doktor sah sie mit einem traurigen Blicke an. Er empfand warm und innig für das schöne Mädchen, die in ihrem Kummer unwiderstehlich war. Ihre Freundlichkeit hatte ihn zu dem Glauben verleitet, als hege sie mehr als ein gewöhnliches Wohlwollen für ihn. Und nun wurde er auf eine so bittere Weise enttäuscht. Aber er faßte sich und sagte:

– Nehmt meinen Dank für Euer Vertrauen. Zwar schmerzt es, aber es ehrt mich zugleich. Mein Verhältnis zu Euch und Eurem Vater wird dasselbe bleiben, wie vorher, und wenn ich irgend etwas thun kann, was Euer Glück zu fördern im Stande ist, werdet Ihr mich stets zu Euern Diensten bereit finden.

– Dank' Euch, Doktor, entgegnete die junge Dame bewegt. Ich bin stolz auf Eure Freundschaft und will mich derselben würdig beweisen.

Sie schieden. Der Doktor Brand ging in trüber Stimmung seinem Berufe nach. Die junge Dame suchte ihren Vater auf. Bei ihrem Eintritt flog ein mattes Lächeln über das Gesicht des alten Herrn, der in dem Armstuhl saß, zusammengefallen, an Leib und Seele gebrochen. Er streckte der Kommenden die Hand entgegen und flüsterte:

– Anne-Marie! Verzeihe mir, Anne-Marie!

Wer hätte in dieser zusammengedrückten Gestalt, wer an dieser zitternden Stimme den stolzen Bewindhebber erkannt, der das Halbdeck des »Oranienbaum« unumschränkt beherrschte und den Capitain und die ersten Offiziere desselben als seine Untergebenen zu betrachten gewohnt war? Es war ein Anblick zum Erbarmen.

– Lieber Vater! bat Anne-Marie, ihm die Wangen streichelnd. Du weißt, ich höre diese Worte nicht gern und Du mußt sie mir zu Liebe nicht mehr sagen. Uns hat ein gemeinsames Unglück betroffen, das wir auch gemeinsam tragen müssen. Wohl hätte ich mich über Dich zu beklagen, allein nicht um jenes traurigen Ereignisses willen, sondern darum, daß Du nicht meinen Bitten folgst und den alten Gewohnheiten treu bleibst.

Er schüttelte mit dem Kopfe.

– Du verschmähst es, Deinen Wein zu trinken, wie Du es von je gewohnt warst. Du begnügst Dich mit der einfachsten Speise, und wenn ich Dir, selten genug, eine bessere Schüssel bringe, weisest Du sie unwillig ab. Alle anderen Annehmlichkeiten, die Du sonst gern hattest, sind für Dich nicht mehr vorhanden, und Du begräbst Dich in dieser Einsamkeit, darin Du Dich verzehrst.

– Wir sind arm! seufzte Herr van Hoorn.

– Wir sind nicht mehr reich, entgegnete Anne-Marie, allein wir haben genug, um uns Alles zu verschaffen, was zu einem angenehmen Leben gehört. Wie Du in dieser Beziehung unbegreiflich bist, Vater. Mit vollen Händen gabst Du stets, um den Glanz, den Du so sehr liebtest, um Dich zu verbreiten. Und seit wir hier wohnen, bist Du von dem Allen das Gegentheil. Mit ängstlicher Scheu betrachtest Du den einzelnen Gulden, bevor Du ihn hergiebst, und selbst mich ermahnst Du zur Sparsamkeit, wenn Du gleich weißt, daß ich nichts verschwende.

Der Vater nahm abermals die Hand der Tochter, die er streichelte, und sagte dann:

– Wird einst an den Tag kommen. Nun aber bin ich müde und will schlafen.

– Ich lasse Dich allein, Vater! Zur Theestunde komme ich wieder und hoffe Dich dann heiter zu finden.

Als Anne-Marie sich entfernt hatte, erhob sich Herr van Hoorn von seinem Stuhl. Er ging bis an die Thür, um sich, zu überzeugen, daß seine Tochter nicht mehr in dem Nebenzimmer verweile, und schob dann den Riegel vor. Hierauf kehrte er zu dem Fenster zurück, neben welchem sein Schreibtisch stand, auf dem ein Schrank befindlich war, der mehrere Thüren hatte. Mit einer kindischen Freude blieb er vor demselben stehen, zog einen kleinen Schlüssel hervor und öffnete die Thüren. Heller Goldglanz blitzte ihm daraus entgegen. Er sah seinen Schatz mit einer seligen Empfindung an und sprach:

– Alles für sie! Alles für sie!

Dieser Schatz war das einzige Tichten und Trachten des Herrn van Hoorn. Auf die Vermehrung desselben bezogen sich alle seine Gedanken. Er hatte keine Empfindung mehr, als diese. Was er bei seiner Ankunft in Holland an Werthsachen besaß und welches ihm – das Haus, welches er bewohnte, nicht gerechnet – gelassen war, verwandelte er in Goldmünzen und legte sie in diesen Schrank. Die Jahresrente, welche er bezog, wurde nicht zur Hälfte verbraucht. Der größere Theil mußte dazu dienen, den verborgenen Schatz zu mehren. Anne-Marie hatte sich oft darüber gewundert, daß der Vater stets ohne Geld sei und daß es schwer halte, etwas von ihm zu bekommen. Wohin es nur gerieth? Aber da sie keinen großen Werth auf Geld und Gut legte, waren diese Gedanken nur vorübergehend. Der Goldhaufen war in einigen Jahren ziemlich angewachsen und sein Besitzer schwelgte in dem Anschauen dieses Eldorado.

– Es ist für sie! sagte er leise, indem er das Gold betrachtete. Ich habe sie arm gemacht; sie muß hier bei mir verkümmern. Aber wenn ich sterbe, und ich sterbe bald, dann wird sie eine reiche Dame sein. Das habe ich ihr gemacht. Es ist die Genugthuung, die ich ihr schuldig bin, und damit sie nicht nöthig hat, sich dafür zu bedanken, soll sie es erst nach meinem Tode finden, wie es auf diesem Papiere steht.

Es war ein versiegelter Brief, auf dessen Adresse stand:

 

»An meine Tochter Anne-Marie.
Nach meinem Tode zu öffnen.
Cord Evertson van Hoorn.«

 

Nachdem sich der ehemalige Bewindhebber an dem Anblick seiner Münzen gelabt hatte, fuhr er zusammen. Er glaubte ein Geräusch gehört zu haben und verschloß mit zitternder Hand den Schrank.

– Sie wollen, ich soll ausgehen! Ich soll reisen, weit weg von hier! Das darf ich nicht. Ich müßte das Geld mit vollen Händen wegwerfen, und das hieße, sie bestehlen, die schon so schnöde beraubt ist. Und wenn ich aus dem Hause ginge, wer sollte diesen Schatz bewachen, der ihr gehört? Nein, nein! Mein Platz ist in dieser Stube. Ich bin der Wächter ihres künftigen Glückes.

Er schob den Riegel von der Thür zurück, setzte sich in seinen Sorgenstuhl und schloß die Augen. Die Natur forderte ihr Recht. Aber ein freudiger Schimmer ruhte auf dem kranken Gesicht. Er schien von dem Glücke zu träumen, das er, seiner Meinung nach, für das Kind seines Herzens in aller Stille geschaffen hatte.

Das war das Leben in dem Hause auf der Amsterstraat.

Ein anderes Stillleben stellte sich in einem Häuschen dar, welches nicht weit von der Amsterstraat in einer Seitenstraße lag. Es wurde von zweien Frauen bewohnt, die eine kleine Rente zu verzehren hatten, welche ihnen von einem früher betriebenen Geschäfte übrig blieb, und das Mangelnde durch ihrer Hände Arbeit ergänzten.

Beide saßen einander gegenüber am Fenster, mit einer Nähterei beschäftigt. Die Aeltere war noch ziemlich rüstig, während die Jüngere bleich und hinfällig aussah. Sie trugen schwarzwollene Kleider und eine weiße Kopfbinde. Es war die Tracht trauernder Wittwen.

– Nun will ich uns den Thee bereiten, sagte die Aeltere, sich erhebend. Du magst unterdessen hier aufräumen. Wir haben unser Tagewerk redlich gethan und können uns die Ruhe gönnen.

Die Jüngere that, wie ihr geheißen wurde, ohne etwas zu erwiedern. Nach einiger Zeit saßen die beiden Frauen, wie früher bei der Arbeit, jetzt bei dem Thee einander gegenüber. Die Aeltere schenkte die Tasse der Jüngeren voll, schnitt ihr das Brod, reichte ihr den Zucker und war mit einer Milde und einer rührenden Sorge bemüht, derselben Alles so leicht und bequem zu machen, als nur irgend möglich. Dabei versuchte sie mehrere Male, ein Gespräch anzuknüpfen und der Jüngeren die Rede abzugewinnen. Die Letztere erhob sich nach einiger Zeit, reichte der Aelteren schweigend die Hand und verfügte sich in die Kammer, wo ihr Bett stand.

Traurig schüttelte die Zurückgebliebene den Kopf, dann trug sie das Geräth beiseite und trat an das Fenster, welches sie öffnete und die frische Abendluft hereinströmen ließ.

Wer hätte in dieser stillen Frau in dem einfachen Gewande und mit den abgemessenen Formen die blonde Gath erkennen mögen?

– Die arme Inke, sagte sie zu sich selbst. Sie lebt einen Tag nach dem andern hin und schafft ihr Tagewerk, ohne für etwas auch nur vorübergehend Theilnahme zu empfinden. Der Doktor sagt zwar, es sei nicht schlimm. Ihr Zustand wäre nicht beklagenswerth, da ihre Gedanken nicht so stark wären, um sie das Unglück, von welchem sie betroffen wurde, fühlen zu lassen. Nur durch irgend ein großes Ereigniß würde sie vielleicht ihre volle Besinnung wieder erlangen. Aber dann müsse dieses Ereigniß für sie ein besonders glückliches sein, denn sonst wäre das Schrecklichste vorher zu sehen. Die arme Inke. Woher soll für sie ein glückliches Ereigniß kommen? Mag es denn lieber bleiben, wie es ist. Sie weiß es nicht. Aber daß ich dies Leiden täglich und stündlich sehen muß, ohne etwas thun zu können, es zu lindern, das ist meine Strafe für die früher begangene Sünde; die Buße, die mir auferlegt ist und die ich in stiller Ergebung trage.

Das war die zur Erkenntniß gekommene blonde Gath. Das war Agathe Duins, die ehemalige Geliebte des verkommenen Schouten-Dieners Jasper Wilms; die wüthende Gegnerin des tollen Jan; die grausame Mutter, die der Tochter das Kind stahl; die unnatürliche Großmutter, die den schuldlosen Enkel in das Elend hinausstieß und die Ursache ward, daß ein Vater das Fleisch und Blut des einzigen Kindes verhandelte. Es hatte viele Kämpfe gekostet und mancher harte Widerstand war zu bewältigen gewesen, bevor diese Wandelung mit Agathe Duins vor sich ging. Aber allmälig ging ihr die bessere Erkenntniß auf; sie ward geduldiger während der Pflege ihrer unglücklichen Tochter und der Frieden, die Demuth und die Milde hielten ihren Einzug in das gewandelte Herz.

Der Herbstwind strich scharf durch das geöffnete Fenster. Frau Agathe Duins ging, um es zu schließen. Ein Vorübergehender grüßte sie:

– Guten Abend, Frau. Wie geht es mit Eurer Tochter in diesen Tagen?

– Danke Euch, Herr Doktor, wegen der Nachfrage. Es ist eben dieselbe Erscheinung.

– Ihr seht also, daß ich recht habe. Nur ein ganz besonderes Ereigniß, welches eine große Erschütterung zur Folge hat, wird eine Aenderung ihres Zustandes herbeiführen. Nun, gute Nacht.

– Beliebt Euch nicht, einen Augenblick bei uns einzutreten, Herr Doktor? fragte Frau Agathe Duins.

– Habe noch einen Besuch zu machen. Jungfrau van Hoorn auf der Amsterstraat hat zu mir geschickt. Ihr Vater ist plötzlich kränker geworden. Der arme Mann schleppt ein armseliges Dasein mühsam hin. Ihm wäre ein sanftes Ende zu wünschen. Dieser Tage spreche ich einmal vor. Nun, gute Nacht.

Doktor Brand ging weiter. Frau Agathe Duins schloß ihr Fenster.

Die Nacht ging vorüber und es kam der neue Tag. Er war ein so sonniger und wonniger Herbsttag, wie die gute Stadt Amsterdam lange keinen gesehen hatte. Die Leute, welche auf den Straßen gingen, sahen Alle fröhlich aus, und der »Gute Morgen«, den sich die Vorübergehenden zuriefen, klang voller und vergnügter, als sonst. Das sah man auch dem jungen Seemanne an, der in der Uniform eines Deck-Offiziers erster Klasse der Compagnie die Heerengracht entlang ging und sich nach allen Seiten hin neugierig umschaute, als sei er zum ersten Male in Amsterdam. Endlich blieb er vor einem Hause stehen:

– Da ist es! Da muß es sein! Richtig! Der Eingang zum Keller ist noch mit Lägels und Kauschen behangen, wie damals, und auf dem Kellerhals liegen zwei stattliche Gienblöcke. Ach, wenn doch – –

Er unterbrach sich und war mit einem Sprunge die Kellertreppe hinunter:

– Ist Herr Douwe Aukes bei Wege?

– Der Herr, nach welchem Ihr fragt, sagte der Mann im Schurzfell, der ihm entgegentrat, ist seit drei Jahren todt. Ich bin ein Verwandter von ihm und habe das Geschäft an mich gebracht.

Die Blicke des jungen Deck-Offiziers irrten umher und hingen an der Nische, wo Eberhard Fischer ihn lehrte, die Buchstaben nachzumalen und das Ein mal Eins herzusagen.

Der junge Meister konnte sich in das seltsame Behaben des Gastes nicht finden und fragte:

– Beliebt Mynheer etwas?

– Kommt Herr Eberhard Fischer noch her? stieß Jener rasch heraus.

– Den Mann kenne ich nicht, sagte der Meister kurzab.

Der Deck-Offizier eilte der Treppe zu, kehrte sich aber wieder zu dem Meister um und sagte:

– Ich sollte eigentlich Blockdreher werden und war zu dem Meister Douwe Aukes in die Lehre gegeben. Hernach preßte man mich für Ostindien und von daher komme ich jetzt.

– Nun begreife ich, sagte der Meister. So seid Ihr also der Hendrick Jonker, von dem ich so oft habe reden hören.

– Der bin ich, antwortete dieser wehmüthig, indem er die Treppe hinaufstieg. Es ist seit jener Zeit Vieles anders geworden in Amsterdam.

Hendrick sagte recht. Er war bereits in der Twiete gewesen, wo Vater und Mutter Beensch wohnten, deren Kostkind er gewesen. Er hatte alle anderen Plätze besucht, woran sich für ihn eine Erinnerung knüpfte. Nirgends fand er etwas von dem wieder, was er verlassen hatte. Jetzt ging er nach dem Stadthause, woselbst er seinen ersten Besuch gemacht hatte, um eine Erkundigung anzustellen. Man hatte ihn nach ein paar Stunden wieder bestellt. Er trat in das ihm bezeichnete Comptoir und der Beamte entgegnete auf seine Frage:

– Die Wohnung der Frau Agathe Duins und der Frau Inke Wilms, welche Ihr wissen wolltet, ist gefunden. Wir haben sie auf diesen Zettel geschrieben.

Hendrick dankte und eilte davon.

Der schöne, sonnenhelle Tag hatte selbst auf Inke Wilms einen belebenden Einfluß ausgeübt. Sie saß am offenen Fenster und athmete die milde Luft in vollen Zügen ein. Ihre Mutter befand sich in der Küche und rüstete das Mittagbrod. Da trat Hendrick mit einem lauten Guten Morgen in das Haus.

Frau Agathe Duins, die von ihren früheren Tagen her die Uniform der Ostindienfahrer wohl kannte, trat aus der Küche und fragte nicht ohne Verwunderung, was der Herr suche.

– Seid Ihr Frau Agathe Duins?

– Das ist mein Name.

– Dann habe ich eine Botschaft an Euch auszurichten, Myfrouw.

– Ich bin bereit, sie zu hören.

– An Euch und an Frau Inke Wilms, fuhr Hendrick fort. Eigentlich mehr an die Letztere, als an Euch.

– Meine Tochter ist nicht ganz wohl, sagte Frau Agathe Duins. Will aber Mynheer nicht näher treten?

Sie öffnete die Thür zu der kleinen Hinterstube und ließ den Gast eintreten.

– Sie lebt! sagte Hendrick vor sich hin. Die Mutter lebt!

Laut aber setzte er hinzu:

– Ich kann also Eure Frau Tochter nicht sprechen? Auch nicht sehen?

Die eigenthümliche Art und Weise, wie Hendrick diese Frage betonte, machte einen solchen Eindruck auf die Alte, daß sie fragte:

– Um Gott, Mynheer, wer seid Ihr und was bringt Ihr in dies stille Haus?

– Ich komme von Batavia und bringe Euch einen Gruß von Euerm Tochtermann, dem Seefahrer Jan Wilms.

– Von ihm! –

– Ihr wißt, weshalb er nach Ostindien gegangen ist. Er sollte es nicht wieder verlassen.

– Ist er gestorben?

– Das böse Fieber raffte ihn hin. Ich bringe Euch den Todtenschein mit, und seinen letzten Gruß. Euch, Frau Agathe, läßt er bestellen, daß Ihr mit so wenig Groll als möglich an ihn denken möchtet. Er bezahle seine Schuld mit dem Tode und sein Gelöbniß sei erfüllt.

– Von welchem Gelöbniß sprecht Ihr? fragte Frau Agathe in großer Spannung.

– Als er von hier ging, versprach er seinem Weibe, daß er nicht ruhen wollte, bevor er seinen und ihren Sohn gefunden. Er hielt Wort. Nicht eher ist er zur Ruhe gegangen, bis er den Sohn fand und ihn zu der Mutter nach Holland sandte.

– Und dieser Sohn? ... O, allgütiger Himmel! Seid Ihr ...? Sagt ein Wort!

– Ich bin der Hendrick Wilms oder der Hendrick Jonker, wie Ihr mich nennen wollt, antwortete der junge Deck-Offizier. Bin ich willkommen?

Frau Agathe war von dieser unerwarteten Botschaft so überrascht, daß sie nicht am Stande war, zu sprechen. Sie sank auf einen Stuhl und Hendrick mußte sie halten, weil sie in Gefahr gerieth, zu sinken.

– Großmutter! sprach er leise.

Ein frohes Lächeln flog über das Gesicht der alten Frau. Sie erholte sich allmälig und sagte:

– O, Du bist tausend Mal willkommen! Aber ist es denn auch ganz gewiß?

– Ich will Euch nachher so untrügliche Beweise vorlegen, daß jeder Zweifel schwinden soll, entgegnete Hendrick. Aber nun sprecht auch von der Mutter. Ich will, ich muß sie sehen! Wo ist sie?

– Gedulde Dich nur einen Augenblick. Ich sage Dir Alles. Sie ist wirklich krank, wenn sie auch scheinbar wohl aussieht. Der Doktor sagt, es sei wenig Aussicht auf Besserung, es wäre denn, daß eine große Erschütterung ... Ach, Gott! Deine Ankunft wäre vielleicht das Mittel, eine solche Erschütterung hervorzubringen. Das aber wage ich nicht, ohne vorher mit dem Doktor gesprochen zu haben. Er wohnt nicht weit von hier. Gleich gehe ich hin.

– Und kann ich denn die Mutter nicht wenigstens sehen? fragte Hendrick ungeduldig.

– Sie ist in der Vorderstube. Da sie auf nichts achtet, was um sie her vorgeht, wird sie auch Dich nicht bemerken, wenn Du leise in die Thür trittst. Aber rede sie nicht an, bevor ich wiederkomme.

Frau Agathe Duins entfernte sich. Hendrick stand in dem Rahmen der Thür und sah seine Mutter, die regungslos auf ihrem Stuhle saß und vor sich hinblickte.

– Ja! Sie ist es! Das ist die freundliche, blasse Frau, die mir immer im Traume erschien und so herzlich zu mir sprach. Nun finde ich sie doch wieder! O, daß ich hinein dürfte und an ihren Hals fliegen! Aber ich will mein Wort halten und mich bezwingen. Ich will auf den Doktor warten. – Sie regt sich. Es scheint, als wolle sie aufstehen. Dann könnte sie mich gewahr werden und erschrecken. Das wäre vielleicht ihr Tod. Gott schütze davor!

Er trat zurück und zog die Thür nach sich.

Bald darauf kam Frau Agathe mit dem Doktor Brand, den sie glücklicherweise zu Hause gefunden hatte. Er sprach mit dem jungen Seemann und sagte:

– Ich gehe hinein zu Eurer Mutter. Wenn Ihr hört, daß ich laut Euern Namen rufe, tretet ein, eher nicht.

Der Doktor ging in die Vorderstube.

Mit verhaltenem Athem lauschten Großmutter und Enkel. Sie hörten den Doktor anhaltend sprechen. Inke Wilms gab kein Lebenszeichen. Erst allmälig ward sie aufmerksam, und als der Name ihres Gatten genannt wurde, wiederholte sie denselben mehrere Male. Die Großmutter hörte es und sagte:

– Sie hat den Namen Deines Vaters genannt. Das ist lange nicht geschehen. Aber es ist ein gutes Zeichen, denn ihr Bewußtsein wird wach.

Der Doktor hatte wieder scharf und eindringlich gesprochen. Frau Inke hörte ihn mit vorgebeugtem Kopfe an. Sie schien die Worte von seinen Lippen zu saugen. Plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei aus.

Frau Agathe Duins und Hendrick fuhren zusammen. Die lebhafteste Unruhe bemächtigte sich ihrer und nur das strenge Verbot des Arztes hielt sie ab, einzutreten.

Einige Augenblicke blieb es still; dann aber rief der Doktor mit gewaltiger Stimme:

– Hendrick Jonker! Deine Mutter sucht Dich!

Laut aufjauchzend stürzte Hendrick in die Stube und sank vor der Mutter nieder, die ihn krampfhaft schluchzend in ihre Arme schloß.

– Lassen wir sie allein! sagte der Doktor, indem er Frau Agathe zurückhielt. Jetzt oder nie tritt die Genesung ein.

Mutter und Sohn hatten sich wieder. Nachdem die erste heftige Erschütterung vorüber war, saßen sie neben einander und sprachen lebhaft. Bald sprach Hendrick und die Mutter lauschte auf jedes Wort, das aus dem Munde des geliebten Sohnes kam, wie auf ein Evangelium. Bald sprachen Beide zugleich, ohne daß sie vernahmen, was sie sprachen, und nur ihr gegenseitiges Glück in ihren Augen lasen.

Fest hielt die Mutter den Sohn umschlungen, den sie an ihr Herz drückte:

– Nun ist alle Trübsal vergessen. Hinweggeschwemmt ist alles Leid, das ich erduldete, vor dem neuen Glück, das ich gefunden und nimmer von mir lassen will.

– Und wie ich Dich nur flüchtig sah, wußte ich, daß Du meine Mutter seist, denn ganz so, wie ich Dich jetzt vor mir sehe, hatte ich Dich oft erblickt! rief Hendrick.

– Das war im Traum, mein lieber Sohn, entgegnete die Mutter. Nun aber bin ich in der Wirklichkeit bei Dir und ich will stark werden, damit ich noch lange in Deine lieben Augen schaue und glücklich bin.

So saßen sie bei einander und Niemand störte das schuldlose Glück.

Am andern Morgen erschien der Doktor. Er wollte sehen, ob Alles gut vorübergegangen sei und ob die große Erschütterung keine ernsten Folgen gehabt habe. Alle Drei saßen einträchtig beisammen. Sie hatten sich so Vieles zu sagen und hatten so Vieles zu hören. Frau Inke Wilms kam dem treuen Arzte entgegen und ihm die Hand reichend, sagte sie mit inniger Rührung:

– So lange schon habt Ihr Euch um mich bemüht und erst jetzt vermag ich, Euch für Eure Aufopferung zu danken. Ihr seht so heiter aus, Mynheer? Es mag wohl eine große Freude für einen Arzt sein, wenn er ein Menschenleben rettete und dem, der schon verloren war, durch seine Kunst der Familie wiedergab. So thatet Ihr mir und mit dieser Gabe schenkt Ihr mir zugleich Freude und Glück für die übrige Dauer meiner Lebenszeit. Möge Gott es Euch vergelten und die Schuld an Euch bezahlen, welche ich ungetilgt lassen muß.

– So gehe ich denn beruhigt weiter, sagte der Doktor. Ich freue mich Eures Glückes und wünsche, daß dort, wo ich jetzt erscheine, mir ein Gleiches bevorstehen mag. Aber ich glaube es nicht.

– Ihr bringt das Glück mit Euch. Ist es auch eine Mutter, die ihren Sohn fand und die nun vor Freude und Lust zittert, wie sonst vor Leid und Kummer? fragte Frau Inke Wilms. Seit ihrer Genesung hatte sie nur Sinn für das Verhältniß, worin sie lebte.

– Es ist eine Tochter, die ihren Vater verlieren wird, entgegnete der Doktor. Der alte Herr war bereits auf dem Wege der Besserung, allein seit gestern Abend ist eine Krisis eingetreten, die wenig Gutes hoffen läßt. Als ich heute in aller Frühe dort war, wurde ich in dem Glauben bestärkt, daß Herr van Hoorn nur noch wenige Tage, vielleicht gar nur Stunden zu leben hat. Ich will auch gleich wieder zu ihm gehen.

Bei der Nennung dieses Namens sprang Hendrick auf und fragte schnell:

– Herr van Hoorn? Sagtet Ihr nicht so?

– Was ist Euch, junger Mann? fragte der Doktor verwundert.

Hendrick fuhr fort:

– Deutet es nicht übel, wenn Ihr mich mit einer so ungebührenden Hast fragen hört. Der Name, den Ihr nanntet, ruft tausend Erinnerungen in mir wach. Mit einem Herrn van Hoorn traf ich in Java zusammen – –

– In Java! unterbrach ihn der Doktor. Der Herr, den ich meine, ist vor einigen Jahren von dort wieder auf hier gekommen. Er war Kaufmann – –

Der Doktor zögerte. Er wußte nicht, ob er die Verhältnisse des ehemaligen Bewindhebbers, die ihm wohl bekannt waren, hier erwähnen sollte. Allein Hendrick ließ ihm nicht Zeit zur näheren Erwähnung, sondern rief:

– Cord Evertson van Hoorn, Bewindhebber der Ostindischen Compagnie. Ist es dieser, den Ihr meint?

– Er ist es! sagte der Doktor.

– Gefunden! jubelte Hendrick. Gefunden, noch ehe ich suchte. O, theurer Herr! Ihr habt uns so vieles Gute gethan, daß es unverschämt ist, Euch noch weiter zu bemühen. Aber Ihr wißt nicht, wie viel mir daran liegt, den Aufenthalt des Mannes zu erfahren, von dem Ihr sprecht.

– Kanntet Ihr den Herrn? In welcher Beziehung standet Ihr zu demselben?

– Wie soll ich das sagen? Ich hatte das Glück, ihm zu dienen. Ihm und ... O, Mynheer, die Ungeduld verzehrt mich. Wo wohnt Herr van Hoorn? Er ist krank, sagtet Ihr. Ist sie gefährlich, die Krankheit? Und wo ist –

Er hielt inne. Seine Wangen glühten. Die beiden Frauen, welche diesem Gespräche mit Erstaunen zuhörten, traten besorgt näher. Hendrick wehrte sie ab und sagte:

– Laßt nur! Mir ist nichts. Ich muß nur Mynheer bitten, mir die Wohnung des Herrn van Hoorn zu nennen.

Dem Doktor waren eigenthümliche Gedanken in den Sinn gekommen. Er erinnerte sich des letzten Gespräches, welches er mit Anne-Marie hatte, und des Geheimnisses, das sie ihm anvertraute. Ein Blick auf den jungen Mann schien ihm dasselbe zu erhellen. Er faßte Hendricks Hand und sagte:

– Wart Ihr es, der einst dem Fräulein van Hoorn einen wichtigen Dienst leistete? Man spricht von einem jungen Manne, der ihr zwei Mal das Leben rettete.

– Sie hat es nicht vergessen! rief Hendrick. O, Anne-Marie!

– Begleitet mich! sagte der Doktor. Unterwegs besprechen wir das Weitere.

Hendrick umarmte die Mutter:

– Schilt nicht, daß ich Dich jetzt schon verlasse. Ich komme bald wieder und dann sollst Du Alles wissen. Alles, was bis jetzt in meinem Herzen tief verborgen lag, will ich Dir offenbaren. Kommt, Doktor! Ihr schenkt mir auch das Leben, indem Ihr mir diesen Weg zeigt.

Beide gingen nach der Amsterstraat und in das Haus, wo der Bewindhebber wohnte. Dieser saß in seinem Armstuhl und war eingeschlafen. Anne-Marie saß neben ihm und lauschte seinen Athemzügen:

– Wenn nur der Doktor käme! So oft der Vater Athem holt, glaube ich, es sei das letzte Mal. Armer Mann. Erst schwer betroffen vom selbst verschuldeten Leid; jetzt darniedergebeugt von dem Kummer um mich.

Herr van Hoorn erwachte. Seine Lippen bewegten sich, ohne daß man etwas verstand. Endlich stöhnte er:

– Es ist aus!

Anne-Marie wollte es ihm ausreden, aber er achtete nicht weiter darauf, sondern nestelte einen kleinen Schlüssel von einem Bande los, das ihm um den Hals hing. Sie war ihm dabei behülflich. Er drückte den Schlüssel in ihre Hand und deutete mit vieler Mühe auf den Schrank an der Wand. Anne-Marie, die natürlich glaubte, es liege etwas darin, was er zu haben wünsche, trat an denselben heran, um ihn zu öffnen. Der Vater folgte ihr mit den Augen. Als die Thüren aufsprangen und Anne-Marie die Goldstücke erblickte, die neben einander aufgeschichtet lagen, schrie sie vor Ueberraschung aus und eilte zum Vater.

– Dein! flüsterte dieser. Sei glücklich!

Bald darauf erschien der Doktor. Er ging zu dem Kranken, den er einige Zeit beobachtete und dann sagte:

– Das Licht ist dem Verlöschen nahe. Ihr müßt auf Alles gefaßt sein, Myjuffrouw.

– Ich bin es! antwortete Anne-Marie.

– Ihr verliert eine Stütze für das Leben, sagte der Doktor. O, daß Ihr einen Ersatz dafür finden wolltet!

– Doktor! unterbrach ihn Anne-Marie mit der Miene des Vorwurfs.

– Ihr denkt besser von mir, fuhr er fort, als daß Ihr glaubtet, ich wollte Euch an etwas erinnern, was ein Mal gesagt ward und nicht wieder. Aber ich möchte gern Euer Vertrauen gewinnen. Vielleicht, daß ich für diese edle Gabe, die ich über Alles schätzen würde, Euch eine Vergeltung bieten könnte.

Anne-Marie sah ihn fragend an.

– Euer Herz sei nicht mehr frei, sagtet Ihr. Ihr spracht von einem Jüngling, dem es gehöre. Dieser Jüngling kann nur auf Java sein. Lebt Ihr nicht der Hoffnung, daß er nach Europa kommen und Euch suchen wird!

– Nie! Nie!

– Man muß nicht ungläubig sein, liebe Freundin. Die Liebe glaubt und hofft bis zu ihrem Tode. Ich kenne auch einen jungen Mann, von dem man sagte, daß er nie wiederkehren werde, und nun ist er doch da zur Freude seiner Mutter, die ihn zum ersten Male an ihr Herz schloß.

Anne-Marie ergriff die Hand des Doktors und sagte:

– Ihr wißt etwas Besonderes, was Ihr mitzutheilen zögert, weil Ihr vielleicht für mich fürchtet. Aber besorgt nichts. Ich bin stark und habe viel ertragen lernen. Von welchem jungen Manne, von welcher Mutter sprecht Ihr?

– Er hielt sich für eine Waise, als ihn der unbarmherzige Preßgang ergriff und ihn an Bord des »Oranienbaum« schleppte, wo er als Kajüten-Wächter – –

– Hendrick Jonker! rief Anne-Marie.

– So hieß er sonst, sagte der Doktor. Jetzt heißt er Hendrick Wilms, und wenn Ihr diesen Namen ruft, stehe ich nicht dafür, daß er nicht Euch zu Füßen stürzt.

– Allbarmherziger Jesus! rief sie wankend. Der Doktor nahm ihren Arm, führte sie in die nächste Stube und fragte:

– Darf er eintreten?

Anne-Marie antwortete nicht. Sie war dazu außer Stande. Als aber auf einen Wink des Doktors der junge Seemann eintrat, sank sie sprachlos und mit leisem Weinen in seine Arme. Vorsichtig zog sich der Doktor zurück und ging zu dem schlummernden Alten.

Sie hatten sich, um sich nicht wieder zu trennen.

Die Tage kamen und gingen. Mit ihnen die Ereignisse. Mynheer van Hoorn hatte seine Schuld dem Leben bezahlt. In seinen letzten Stunden erkannte er nur noch Anne-Marie. Für alles Andere, Personen und Sachen, hatte er kein Gedächtniß mehr. Die Trauer der verwaisten Jungfrau war innig und tief. Was man auch dem ehemaligen Bewindhebber vorwerfen mochte, sein Kind hatte er aufrichtig und wahr geliebt. Für sie war er ein liebevoll sorgender Vater gewesen. Um ihretwillen hatte er die letzten Jahre seines Lebens gedarbt.

Hendrick hatte in Amsterdam eine zwiefache Heimath gefunden. Die eine auf der Amsterstraat in der Behausung der Geliebten, die andere in dem Häuschen seiner Mutter. Um dem Gerede der Leute zu entgehen und den guten Leumund des jungen Mädchens zu wahren, stellte er nach einigen Tagen, als die Leiche Cord Evertsons van Hoorn zur Ruhe bestattet war, seine Besuche in dem Hause auf der Amsterstraat ein und führte Anne-Marie seiner Mutter zu. Hier war es, wo Beide sich täglich und stündlich fanden. Sie bauten an dem Tempel ihres künftigen Glückes, die Mutter und der Sohn mit der jungen, blühenden Schwiegertochter, und Inke Wilms ward zusehends kräftiger. Es erwachte etwas von dem alten Geiste in der so lange und so schwer Gebeugten, das die Augen leuchten und die Wangen erröthen machte. Die Gath aber saß, eine stumme Zeugin, von ferne. In ihr keimte die Ahnung von einem Glücke, welches sie niemals kennen lernte.

Hendrick aber erhob sich und sagte:

– Sei es. Mit dem neuen Jahre werde unser Bund geschlossen. Bevor ich aber mich dieses Glückes erfreue, will ich und muß ich mein letztes Gelübde erfüllen. Lange genug habe ich gezögert. Schon ist der Herbst vorüber und der Winter beginnt sein Recht auszuüben. Es ist nicht mehr rathsam, sich zur See zu begeben, und ich muß den langen, beschwerlichen Landweg wählen. Je eher wir uns trennen, desto eher finden wir uns wieder. Sieh mich nicht so traurig an, Anne-Marie. Weine nicht, Mutter! Ihr wißt ja, daß es sein muß, und werdet Euch leicht über die kurze Trennungszeit hinweghelfen. Es gilt der Ruhe meines armen Vaters.

Sie umarmten sich still. Es ward beschlossen, daß die Abreise nach dreien Tagen stattfinden solle.

*

Abermals ist es in Hamburg und abermals um die Weihnachtszeit. Allein es sind nicht, wie das letzte Mal, schwimmende Weihnachten, sondern die Erde ist von dem strengen Froste gehärtet und die Elbe liegt da, ein breiter Eisspiegel, welcher das Bild der Sonne wiederstrahlt.

Mancherlei hat sich verändert in der Zeit. Nur auf dem Sahl auf dem Kehrwieder herrschten der alte zufriedene Sinn und die alte Genügsamkeit. Die Personen, die dort lebten, sind noch dieselben, wenn sie auch alterten und erkannten, daß der Tag nicht fern sei, da auch ihnen ein Wechsel bevorstehe.

Claus Wilms, der jetzige Schutenführer-Baas, war ein ganzer Mann; voll und kräftig, wie es sein Vater in den besten Jahren gewesen war. Im gesegneten Wohlstand, an der Seite eines Weibes lebend, die ihm eine treue und gehorsame Gefährtin gewesen war, führte er ein glückliches, durch keine Wolke getrübtes Dasein. Er stand am Fenster und schaute auf die Straße hinab, mit Gedanken an die Zukunft seiner Kinder beschäftigt, die tüchtig heranwuchsen. Die kleine Dora war das schöne Ebenbild ihrer Mutter in jeder Tugend der Häuslichkeit geworden, und wie einst Trina der alten Mutter Dorte, so stand sie jetzt der ihrigen in allen häuslichen Geschäften zur Seite. Der Jan hatte in der Schule etwas Tüchtiges gelernt. Der Vater ließ es an nichts fehlen, und als die Lehrer ihn mit den besten Zeugnissen entließen, trat er in das Comptoir des Hauses Averdick und Sohn als Lehrling ein. Jetzt war diese Lehrzeit vorüber und mit dem neuen Jahre kam der junge Jan Wilms in das Geschäft als Commis mit einem guten Salair.

Frau Trina trat zu ihrem Manne. Sie legte ihre Rechte leicht auf seine Schulter. In der Linken trug sie einen Schwamm, womit sie die einzelnen Wassertropfen auffing, welche von den Scheiben herabrollten, da die Sonne die Eisblumen aufzuthauen begann.

– Du schaust nach den Kindern aus? fragte sie. Die können noch nicht zurück sein. Dora hat einzukaufen, und wenn sie Alles mitbringt, was ich ihr aufschrieb, ist der Korb ziemlich schwer. Da geht es ein wenig langsam. Ich kenne das.

– Was wolltest Du nicht, sagte Claus. Eine Hausfrau, wie Du – –

– Komm! Komm! Nicht darum sage ich es, daß Du mich loben sollst. Wir haben beiderseitig unsere Schuldigkeit gethan und sind mit einander zufrieden. Das fühlt sich und braucht nicht immer erst gesagt zu werden. Nun, nun, Alter! Sieh nicht gleich so verdrießlich darein. Weiß ja doch, daß Du große Stücke auf mich hältst. Der Jan kommt jetzt auch nicht. Er hat es beim Weggehen ausdrücklich gesagt, daß er nicht vor drei Uhr nach Hause käme. Und jetzt ist es erst halb Zwei.

– Du hast immer recht, Alte; ich weiß es schon! entgegnete Claus. Ja, was ich denn sagen wollte. Mit dem Jan hat es weiter keine Noth. Der macht seinen Weg. Aber was die Dora betrifft – –

– Nun, was ist es mit der Dora? unterbrach ihn seine Frau. Hast Du etwas an ihr auszusetzen? Oder untersteht es sich gar ein Anderer? Ich will nicht hoffen, daß es geschehen ist und Du es ruhig einstecktest.

– Hei! lachte der Vater. Wie es da gleich zum Dache hinausbrennt. Ich wollte nur sagen, daß die Dora sich recht herauswächst und alle Tage hübscher wird. Mir fällt das ordentlich auf.

– Jetzt erst? fragte Trina. Ich wußte es schon längst. Ihr Mannsleute seid doch sonst nicht blind für so etwas.

– Das kann ich beweisen, sprach Claus. Da ist der Jakob Maybusch, der die Gewürzkrämerei auf dem Neuenweg an sich gebracht hat, der sagt dasselbe. Sein alter Großvater und unser Vater waren gute Bekannte und so zieht sich die Freundschaft unter uns Söhnen und Enkeln fort. Ja, was ich sagen wollte. Dieser Jakob Maybusch war neulich des Lobes voll von der Dora und ich stehe für nichts, was geschieht, wenn er eines Tages die Sahltreppe hinaufkommt und an die Thür pocht.

– Narrenspossen! sagte Frau Trina. Aber ihr Gesicht strahlte und ihr Herz schlug, als sie des stattlichen jungen Mannes und seines schönen Geschäftes gedachte, das im vollen Flor stand.

Das Gespräch der Beiden wurde durch das Oeffnen der Thür gestört. Es war Vater Pieter Wilms, der aus seiner Kammer trat, wo er der Ruhe gepflegt hatte. Er nickte den Beiden zu, die ihn zu seinem Sorgenstuhl geleiteten.

Es war ein hochbetagter Mann, der Pieter Wilms. Von den Geschäften hatte er sich schon seit Jahren zurückgezogen und auch den Sahl verließ er immer seltener. Aber er war noch beständig wohlauf, kannte die Apotheke nur vom Hörensagen und sein Gedächtniß war ihm treu geblieben. Bis auf den geringsten Umstand erinnerte er sich der vergangenen Tage und die Erlebnisse jener Zeit standen klar vor ihm. Er sprach von dem gegenwärtigen Weihnachten und von den früheren, die jedes Mal mit einem furchtbaren Ereignisse schlossen, besonders aber von dem letzten, da er sich mit seinem Sohne Jan versöhnte, der nie wieder ein Wort von sich hören ließ, seitdem er an Bord des Beurtschiffes ging.

– Das macht, sagte der alte Herr, es waren schwimmende Weihnachten. Die haben Alles mit sich hinweggespült. Alles. Er hat wohl seinen Sohn nicht gefunden und ist darüber zu Grunde gegangen. Alles das danke ich dem Teufel, dem Michel.

– Der Bösewicht hat seinen Lohn bekommen, gab Claus zur Antwort. Es war ihm nicht genug mit dem Betteln und Vagabondiren. In der letzten Zeit hatte er sich mit Dieben und Mordbrennern zusammen gethan. Bei einem Einbruch und einer Brandstiftung in Hamm und Horn haben sie ihn erwischt und er ward zu Staubbesen und Ausstellung am Kaak verurtheilt. Während der Exekution ist er todt niedergestürzt, ehe er noch die Hälfte der Ruthenstreiche empfing.

– Gott sei dem Sünder gnädig! sagte Vater Pieter, die Hände faltend. Ich will nicht weiter an ihn denken.

– Da thut Ihr recht, sagte Frau Trina. Weil aber die Dora noch nicht zu Hause ist, will ich dafür sorgen, daß Ihr nicht zu lange auf den Thee warten müßt.

Noch war der Kessel nicht zum Sieden gebracht, als Dora, schwer bepackt, anlangte. Es war ihr gewiß nicht leicht geworden, aber sie schaute fröhlich darein und bestellte einen schönen Gruß von dem jungen Herrn Maybusch, bei dem sie so überaus gut und billig eingekauft habe. Bald nach ihr erschien auch der junge Comptoirist. Der aber hatte nicht viel Zeit zum harmlosen Begrüßen und Schwatzen. Er schien sichtlich aufgeregt und bat seine Schwester, daß sie doch den Vater rufen möchte, mit dem er nothwendig zu sprechen hätte und drinnen den Großvater nicht stören wollte.

Verwundert folgte Claus der Aufforderung, die noch nie an ihn gestellt wurde. Es war damals nicht Sitte, daß die Väter zu den Söhnen entboten wurden. Die Söhne hatten die Väter zu fragen, ob es ihnen gelegen wäre. Aber die Verwunderung mußte wohl höheren Interessen weichen, denn das Gespräch, welches in der Stube des Sohnes geführt wurde, dauerte so lange, daß die Frauen unruhig wurden und Trina es beinahe versäumt hätte, dem Vater Pieter zur rechten Zeit seinen Thee zu bringen.

Es dämmerte bereits, als das Gespräch endete. Jan griff nach dem Hute und rief der Mutter, die besorgt fragte, wo er hin wolle, von der Treppe aus zu: Er komme gleich wieder und bringe Jemand mit.

Frau Trina ward aus dem Allen nicht klug und wandte sich an ihren Mann, der sie bei der Hand nahm und sagte:

– Ich habe dem Vater etwas zu erzählen. Du kannst mit hinein kommen und zuhören.

Erstaunt folgte die Frau. Es ward ihr ganz beklommen zu Muthe, fast so beklommen, wie damals, da Jan Wilms aus Ostindien wiederkam, um des Vaters Vergebung zu erbitten.

Vater Wilms hatte seinen Thee getrunken, als die Beiden eintraten. Er sah sie an und fragte:

– Was habt Ihr nur? Ihr seht ja so ernsthaft aus.

– Es hat sich in der Nachbarschaft etwas zugetragen, was sich die Leute erzählen und was wohl der Mühe werth ist, mit anzuhören, sagte Claus. Wenn es dem Vater recht ist, will ich es ihm mittheilen. Er hat wohl den Großböttcher Clemens gekannt, Vater?

– Ist mir noch recht gut erinnerlich, der Mann, sagte der Vater nach einer Weile.

– Meister Clemens hatte einen jüngeren Sohn, der eine Art von Thunichtgut war. Es war immer Streit im Hause, bis endlich der Clemens seinen Sohn verstieß und dieser in die weite Welt ging.

– Davon ist mir nichts bekannt.

– Es ist aber geschehen und seltsam genug an einem Weihnachtsabend.

Frau Trina rief ein verwunderndes Ach! und Pieter Wilms sagte, sich vornüber beugend:

– Ein Vater, der einen jüngeren Sohn, der nicht gut thun will, am heiligen Weihnachtsabend verstößt, und ein Sohn, der in die weite Welt geht? Was soll das heißen?

– Er wird es erfahren, Vater. Der Clemens war sehr bekümmert um das Schicksal des Verschollenen. Er machte sich selbst auf, um ihn zu suchen. Aber umsonst. Er konnte ihn nicht finden.

– Und der verlorene Sohn? fragte Pieter Wilms erregter. Ist er verschollen geblieben, oder kehrte er wieder?

– Ja, Vater, sagte Claus. Er kehrte wieder voll Reue, um Vergebung bittend und fest entschlossen, seine Verirrungen durch strenge Bußen zu sühnen. Mit dem Segen des Vaters ging er an sein Werk.

– O Gott! Gott! rief Pieter Wilms in großer Aufregung. Er ging, um ein Kind zu suchen, das er selbst in das Elend geschickt hatte, aber er wird es nicht gefunden haben und ist aus Gram gestorben. Er muß ja gestorben sein, sonst würde er ein Zeichen von sich gegeben haben. Rede, mein Sohn. Ich fühle wohl, daß Du mich vorbereiten willst, indem Du von einem fremden Manne erzählst, was mir selbst begegnete. Du weißt etwas von Deinem Bruder Jan. Verhehle mir nichts. Ich bin auf Alles gefaßt. Jan ist todt und das arme Kind ist nicht gefunden.

– Es ist gefunden, Vater! entgegnete Claus lebhaft. Nach jahrelangen Mühen und Sorgen hat Jan seinen Sohn gefunden. Er fand ihn, vom ostindischen Fieber ergriffen, am Rande des Grabes schwebend. Treu hat er ihn bei Nacht und bei Tag gepflegt, und als der Sohn genas, haben sich Beide in Liebe gefunden. Darauf ist unser Jan erkrankt, und obgleich der Sohn ihm die empfangene Pflege treu vergalt, ist er nicht davon gekommen.

– Gott sei seiner Seele gnädig! betete Vater Wilms. Ich habe ihn immer in der Stille als todt beweint. Nun wird mir die Gewißheit.

– Aber ehe der Jan gestorben ist, hat er dem Sohne seinen letzten Willen kund gethan. Er hat seinem Hendrick befohlen, nach Europa zu gehen, um Ihn aufzusuchen und Ihm zu sagen, daß er aufrichtig bereute und gut gemacht habe, was gut zu machen war. Er sei mit Gott versöhnt und hoffe, daß wir uns dereinst Alle dort oben wiederfinden würden.

– Amen! Amen! Das werde wahr! betete Vater Wilms andächtig. Gott lasse den Reuigen in Frieden ruhen.

Er bewegte die Lippen, als bete er leise für die Erlösung des Sohnes, dann aber rief er laut:

– Aber der Enkel! Der Hendrick Wilms! der nach Europa kommen soll –?

– Er wird auch kommen, Vater!

– Er wird! – Warum sagst Du nicht, er ist? Woher kannst Du das Alles wissen, was Du mir erzähltest, wenn nicht von ihm selber? Sage, mein Sohn! Ist der Hendrick da?

– Ich glaube, Vater, daß der junge Mann sich gemeldet hat auf dem Comptoir von Averdiek, um sich nach uns zu erkundigen. Weil nun mein Sohn dort arbeitet, hat er Alles mit angehört und dem Hendrick zugerufen, er sei auch ein Wilms vom Kehrwieder.

– Und er hat ihn hierher gebracht? Nicht wahr, er brachte ihn? O, laßt ihn eintreten! Ich sehne mich darnach, ihn in meine Arme zu schließen. Hendrick! Hendrick! Dein alter Großvater ruft. Wo bist Du?

– Hier! Hier! rief Hendrick und stürmte durch die Thür. Hier bin ich und bringe den letzten Gruß von dem Vater, seine letzte Bitte um Vergebung.

Hendrick umschlang die Kniee des alten Mannes, der den gefundenen Enkel stillweinend in die Arme schloß.

Erst nach einer geraumen Weile gelang es, die allgemeine Aufregung zu bewältigen und das Gespräch in ruhigere Bahnen zu lenken. Vater Wilms hob das thränenfeuchte Angesicht empor und sagte:

– Welche Weihnachten! Es sind wohl die letzten, die ich erlebe, aber ich will sie fröhlich genießen. Seitdem mein nun in Gott ruhender Sohn mich verließ, hat diese Stube keinen Tannenbaum gesehen. Das soll aufhören! Geht, Kinder! Schafft einen Baum herbei! Setzt ihn mitten in die Stube und besteckt ihn von oben bis unten mit Lichtern. Und wenn Ihr es noch so hell macht, es kann nicht schöner leuchten, als es mir jetzt im Herzen glüht. Glückselige Weihnachten! Kinder! Glückselige Weihnachten!

*

Vater Wilms hatte recht gesprochen am heiligen Abend. Es waren die letzten Weihnachten, die er erlebte. Als Hendrick nach Amsterdam zurückkehrte, wiederholte der alte Herr jenes Wort. Und nun lag er draußen vor dem Thore, an der Seite seines ihm vorangegangenen Weibes.

Zum zweiten Male kam der Lenz und befreite Bach und Strom von dem fesselnden Bann des Winters. Die Schifffahrt war im vollen Gange. Claus Wilms, der wohlbestallte Schutenführer-Baas, ließ sich von Schiff zu Schiff rudern, um selbst nachzusehen, ob seine Leute überall ihre Schuldigkeit thäten. Eben steuerte er zu dem Westergat hinaus, um an das Außen-Schlängels zu gelangen, als ein stattliches dreimastiges Galiot unter holländischer Flagge sich näherte. Es trieb mit dem Strome und Herr Hafenmeister Ripke hatte bereits seinen Platz auf dem Halbdeck eingenommen.

Dem Claus war es, als habe er eine Erscheinung:

– Sollte das unser Hendrick sein? Er schrieb, daß er auf hier kommen würde. Aber ich dächte ... Das muß ich gleich wissen. Frisch, Hans Decker, fahre dem Holländer seitlängs.

– Willkommen, Oheim Claus! erscholl es von der Galerie her, als die Jolle an den Fallreep legte. Ei, was habt Ihr für einen guten Lugaus gehalten! Seid willkommen am Bord, guter Claus-Ohm, und gebt dem Hendrick die Hand.

Claus schlug in die dargebotene Hand des jungen Capitains und sagte:

– So bist Du nun glücklich binnen?

– Bin es! antwortete Hendrick. Und was ich Euch versprach, das bringe ich mit. Geht hinunter in die Kajüte, Claus-Ohm! Dort findet Ihr meine alte Mutter. Und mein junges Weib, meine Anne-Marie, ist bei ihr.

– Halt und stopp! rief der Hafenmeister dem Bootsmann zu und ließ die Teutaue um die Poller schlagen. Capitain, Ihr seid auf Euerm Liegeplatz.

– Das will ich meinen! entgegnete dieser, indem er dem Oheim in die Kajüte folgte und bei dem Eintreten in dieselbe sprach: Bis hierher hat uns Gott geholfen! Allseits willkommen binnen.


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