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Zu Hamburg, im Cremon, stand das alterthümlich gebaute Haus des reichen Handelsherrn Andreas Martin Averdick. Die Firma desselben war in der kaufmännischen Welt weit berühmt; seine Geschäfte zeugten alle ohne Ausnahme von einem höchst soliden Charakter; seine Wechsel, zu welchem Betrage sie auch gezeichnet sein mochten, galten bei jedem Geschäftsmanne für baares Geld; seine Schiffe schwammen auf allen Meeren; sein bloßes Wort galt für ein unantastbares Heiligthum und sein Credit war unermeßlich.
Die äußere Erscheinung des reichen Kaufherrn war nicht von großer Wirkung: Er war klein von Figur, etwa korpulent, liebte dunkle Farben in seinem Anzuge und trug sich sehr einfach. Nichts Aeußerliches verrieth den Feuergeist, der in ihm wohnte, und ihn zu dem ersten Börsenherrn seiner Zeit machte; nur sein Gesicht wies sehr scharf ausgeprägte Züge, und sein dunkles Auge sprühte manchmal ein Feuer, das auf den Vulkan deutete, der hier unbemerkt, wie unter der Asche fortglimmte.
Der reiche Handelsherr hatte für nichts in der Welt Sinn, außer für sein Comptoir; so glaubten wenigstens Alle, die mit ihm in oberflächliche Berührung kamen und in Verbindungen mit ihm standen, die eben nicht über den Bezirk des Comptoirs hinausreichten. Und in der That konnte man auch keine andere Meinung von ihm fassen. Zwar stand er Keinem seines Gleichen nach, wenn es galt, im Aeußern, durch Feste oder Prunkgelage seinen Reichthum zu zeigen, ja er überbot sie wohl gar. Sein Haus, ihm schon von dem Großvater überkommen, war von außen unscheinbar, ja fast vernachlässigt; die große eichene, mit Eisen beschlagene Thür führte auf eine sehr große, aber finstere Diehle, die mit Waarenvorräthen aller Art so bedeckt war, daß man sich erst einen Weg bahnen mußte, um in das Comptoir zu gelangen, das an dem äußersten Ende derselben lag. Dagegen herrschte in den obern Stockwerken eine fürstliche Pracht, und man wußte nicht, ob man die Kostbarkeit des Mobiliars oder den Reichthum des goldenen und silbernen Geschirrs am meisten bewundern sollte. Nach der herrschenden Sitte hatte er vor dem Dammthor, in der reizenden Gegend des Bassins der Außen-Alster, eine mit gleichem Luxus eingerichtete Sommerwohnung; obgleich er fast nur zu Fuß ging, hatte er doch, für außergewöhnliche Fälle, in seinem Stalle die schönsten Pferde und Wagen; und im untersten Gewölbe seines Hauses befand sich ein Weinlager, das den kostbarsten an die Seite gestellt werden konnte. Er gab seine glänzenden Mahlzeiten, sowohl in der Stadt, als auf seiner Sommerwohnung, wie es die Sitte des Landes erheischte; er gestattete den Zutritt zu seinem Hause Jedem, der durch seine Verhältnisse oder durch beachtenswerthe Empfehlungen dazu berechtigt war, auf die liberalste Weise; er gab, wenn von Unterstützung gemeinnütziger Unternehmungen die Rede war, mehr als mancher Andere; kurz, er repräsentirte in jeder Hinsicht einen vollkommenen Gentleman.
Aber er repräsentirte ihn nur; denn er war bei allen diesen Ereignissen nicht mit dem Herzen. Man sah es ihm an, daß er allen Aufwand nur darum machte, weil er ihn zur Aufrechthaltung seines Credits für nöthig hielt. Unter diesen Umständen kam es nun bald dahin, daß Herr Averdick insgeheim für einen herz- und gefühllosen Geldmenschen galt, den man um seines Reichthums und um seiner Rechtlichkeit willen achten müsse, mit dem man aber außerdem nicht im Geringsten sympathisiren könne.
Aber so stolz der hier geschilderte Kaufherr auch in der That sein mochte, so war doch eine Stelle in seinem Herzen, die voll frischer Lebenshoffnung glühte; es war die Liebe, welche er für seine Tochter Ernestine fühlte, die die einzige Frucht einer überaus glücklichen, aber kurzen Ehe war. Hier ist nicht die gewöhnliche, weder kalte noch warme Liebe gemeint, die oft zwischen Blutsverwandten zu herrschen pflegt: es war ein mächtiges, geistiges Gefühl, das ihn zu der zarten Gestalt hinzog, die, achtzehn Jahr alt, von der gütigen Natur mit jedem Reiz des Körpers und der Seele geschmückt war. Nur eine Leidenschaft kämpfte noch in der Seele des Vaters mit der Liebe zu dem liebenswerthen Kinde, und errang nicht selten den Sieg; dieß war sein kaufmännischer Stolz. Es war vorauszusehen, daß eine dieser Leidenschaften unterdrückt werden müßte, und welche von beiden es auch sein möchte, so beherrschte sie die Seele des Kaufherrn so mächtig, daß ihr unfreiwilliges Erlöschen nicht ohne den verderblichsten Einfluß bleiben konnte.
Dieß der Hintergrund, auf welchem sich Vater Burkhardts Erzählung abspiegelt.
An einem schönen Sonntag Morgen, eine Stunde vor dem Beginne der Predigt, die Herr Averdick, nach einer löblich frommen Sitte des Hauses, nie zu versäumen pflegte, erschien Frau Marthe, die Schließerin des Hauses, in seinem Arbeitszimmer, das unmittelbar an dem Comptoir lag.
Der Kaufherr fuhr bei ihrem Eintritte auf, und sah sie einen Augenblick befremdet an: »Was ist das? Woher kommt Sie allein? Wo ist Ernestine?«
Frau Marthe räusperte sich und sagte dann mit einiger Verlegenheit: »Mamsell Ernestine ist noch nicht zu Hause, aber schon auf dem Wege hierher, und ich wollte Ihnen nur sagen, daß sie nicht lange mehr bleiben wird.«
»Hollah!« rief der Alte und sprang von seinem Sitze auf. »Hier sind Lügen im Spiel, hier gehen Winkelzüge vor! Wo kann meine Tochter sein, wenn sie nicht im Hause ist? Und wie konnte und durfte Sie sich unterstehen, ihr von der Seite zu gehen? Antworte Sie! Rede Sie! Rede Sie gleich, oder ...«
»Ach, guter Gott!« schrie die Wirthschafterin, »wie vermag ich denn nur ein Wort hervorzubringen, wenn Sie gleich so auffahren und mich mit harten Redensarten einschüchtern? Ich armes Lamm habe ja nichts verbrochen; und es hat Keiner etwas verschuldet, als der junge Herr Sander, der nicht glauben wollte, daß man mit Wind und Wellen nicht spassen müsse.«
»Was faselt Sie da von Wind und Wellen?« unterbrach der Kaufmann die Redselige, »und wie kommt der junge Sander in die Gesellschaft meiner Tochter? Antwort will ich! Runde, nette Antwort! Gleich! Augenblicklich!«
»Ich will ja reden, lieber bester Herr!« schluchzte Frau Marthe, »werden Sie doch nur nicht gleich so heftig. Wir fuhren ehegestern, die Mamsell und ich, ganz expreß mit Ihrer Erlaubnis, nach Nienstädten nach Herrn Rosen's Garten, wo es uns denn auch ganz wohl gegangen ist bis gestern Abend. Es war nämlich der junge Herr Sander, der auf Ihrem Comptoir arbeitet, nach der Börse hinausgekommen, und beredete die Gesellschaft, eine Wasserfahrt auf der Elbe zu machen, da er das Schifferhandwerk von seinem seligen Vater her gut verstehen soll. Wir geben also Alle unsern Consens und Mamsell Ernestine auch; aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß Herr Sander bloß rudern und keine Segel aufspannen soll.«
»Um Gottes Barmherzigkeit willen!« rief der Alte, bleich vor Schrecken, »meine Tochter hat sich der Leitung eines unvorsichtigen Buben anvertraut, und ist zu Grunde gegangen! Sie ist todt, das gute liebe sanfte Geschöpf!«
»Ach nein, ach nein, lieber Herr!« rief Frau Marthe. »Würden Sie dann wohl mich hier sehen? Niemals hätte ich eine solche Botschaft zu überbringen vermocht. Ihre Tochter lebt!«
»Nun denn,« sprach Vater Averdick mit einem tiefen Athemzuge. »Bringe Sie es zu Ende.«
»Ich bin gleich fertig,« fuhr die Alte fort. »Wir fuhren fröhlich ab und die jungen Leute lachten und scherzten mit einander. Da erblickte der junge Sander plötzlich eine Brigg, die unterhalb des Blankeneser Sandes vor Anker liegt. Er erkennt sie für Ihre »Alma,« die bereits vor mehreren Tagen von Malaga erwartet wurde. Nun ist kein Haltens mehr. Er will die Gesellschaft an Bord bringen, und der Schiffsmannschaft die Tochter ihres Rheders zeigen, und da sich in diesem Augenblick ein frischer Wind erhebt, zieht er, trotz unseren Bitten, das Segel auf, und das Boot fliegt mit großer Schnelligkeit dahin. Anfangs ging Alles gut; aber als wir in die Nähe des Schiffes kamen, mochte die Aufmerksamkeit unsers Steuermanns doch wohl etwas nachlassen; denn man rief uns bereits von dem Schiffe zu, auf unserer Hut zu sein. Hierdurch außer Fassung gebracht, noch mehr aber durch unser Geschrei erschreckt, machte er muthmaßlich eine falsche Wendung: denn unser Boot berührte das Ankertau der Brigg und schlug um.«
Vater Averdick vermochte kaum sich auf den Füßen zu erhalten. »Und Ernestine?« stammelte er.
Frau Marthe fuhr fort: »Was nun mit uns vorging, weiß ich nicht. Als ich wieder zur Besinnung kam, befand ich mich in der Cajüte der Brigg, und in der Nähe von Ernestinen, die in derselben Minute die Augen aufschlug. Auch die andern Mitglieder der Gesellschaft waren geborgen, und keine von den Damen hatte Schaden gelitten. Der Capitain schickte sogleich an's Land, damit Rosen's uns mit trockenen Kleidern versehen möchten, und wir haben uns darauf wieder vom Schiffe entfernt. Ernestine war von dem Schreck etwas angegriffen, und ich bestand deshalb darauf, daß sie etwas länger ruhen sollte. Ich aber bin vorausgeeilt, um Ihnen Alles zu sagen, ehe Sie von dem Vorfalle durch fremde Leute Nachricht erhielten.
»Gelobt sei Gott!« rief Vater Averdick mit einem dankbaren Blick zum Himmel. »Ich weiß nicht, was ich gethan hätte, wäre mir Ernestine gestorben. Aber den Sander thue ich augenblicklich von meinem Comptoir, und eine Strafpredigt will ich ihm halten ...«
»Ach lieber Herr,« unterbrach ihn Frau Marthe hastig. »Sie werden dem allmächtigen Gott nicht mehr vorgreifen; Sander hat für seine Thorheit schwer büßen müssen; er war der Einzige, der sein Leben ließ.«
»Sander todt!« rief der Kaufmann erschüttert; er stand eine Zeit lang sprachlos; der Umstand, daß ein Mensch, dem er eine empfindliche Strafe zugedacht hatte, in demselben Augenblick bereits vor einem höhern Richter erschienen war, raubte ihm alle Fassung.
In diesem Augenblick stürzte eine ältliche Frau in das Zimmer; die Thränen rannen ihr unaufhaltsam aus den Augen; ihr Gesicht war abgehärmt; ein unendlicher Schmerz sprach aus ihrer ganzen Haltung. Es war die hülflose Wittwe des Everführers Sander, die bereits Nachricht von dem Tode ihres Sohnes erhalten hatte.
»Erbarme sich Gott meiner und meiner unmündigen Kinder!« schluchzte sie. »Ich habe erst meinen Mann und nun den Sohn verloren, durch den wir unser Leben fristeten. Und wenn ich auch ohne ihn in Ueberfluß lebte, ich könnte mich doch nicht zufrieden geben. Es war ein gar zu gutes Kind, und es stößt mir das Herz ab, wenn ich bedenke, daß er so früh hat dahin müssen.«
Averdick, noch erzürnt über die Tollkühnheit des jungen Mannes, entgegnete rauh: »Der Sander ist selbst schuld an seinem Tode; es fehlte nicht viel und ein noch weit unabsehbareres Unglück wäre geschehen, es wäre Trauer in viele Familien gekommen!« Als er aber in das tiefbekümmerte Antlitz der Mutter sah, die vor diesem Empfange betreten zurückwich, sagte er sanft: »Was will Sie? Ich kann Ihr den Sohn nicht wiedergeben! Bete Sie zu Gott um Trost in Ihrem Schmerz. Um die Beerdigungskosten sei Sie ohne Sorgen, und den Gehalt Ihres Sohnes soll Sie von dem heutigen Tage ab als Pension beziehen, so lange bis Ihre übrigen Kinder groß sind und Sie ernähren können. Gehe Sie jetzt; ich will Ihrer nicht vergessen, meine Ernestine wird es auch nicht! – Gehe Sie!«
Die tiefgebeugte, wirksam getröstete, aber nicht vom Seelenschmerz befreite Mutter, verließ unter einem Sturm wechselnder Gefühle das Zimmer, während der Kaufmann fortfuhr: »Und Sie geht auch zur Ruhe, Sie pflegt sich und läßt sich nichts abgehen. Ich will nicht, daß irgend Jemand in meinem Hause Entbehrungen tragen soll, am wenigsten eine solche Person, die mir so treu dient, wie Sie. Ich selbst will hinaus zu Rosen's. Zur Kirche mag ich jetzt nicht, die Andacht ist hin! Meinen Wagen! – Adieu Frau Marthe! Trinke Sie ein Glas stärkenden Wein und lege Sie sich zu Bett.« –
*
Averdick fand seine Tochter, wenn auch noch etwas angegriffen, doch vollkommen wohl; die leichte Fiebergluth, die ihre Wangen röthete, machte sie nur noch liebenswürdiger. Der Vater saß da im Anschauen seines Kindes versunken, er hielt ihre Hand, fühlte mit allen Zeichen der Angst ihren Puls, nannte sie mit den süßesten Namen und ließ sich von der Familie Rosen die näheren Details dieses unglücklichen Ereignisses erzählen.
Der Hergang der Sache war, wie Frau Marthe berichtete: Man hatte dem Führer des Bootes zugerufen, einer heranlavirenden Elbjolle auszuweichen. Dieß habe er zwar gethan, aber er sei zu weit aus der Bahn gegangen, und sein leichtes Boot auf das vorstehende Ankertau der Brigg getrieben und gekentert. Uebrigens fügte man hinzu, daß der Steuermann jener Brigg sich um die Rettung der verunglückten Personen sehr verdient machte, und daß sie nur seiner Geistesgegenwart, seiner Entschlossenheit, seinen vortrefflichen Anordnungen ihr Leben zu danken hätten.
Der Capitain jener Brigg, der noch, von widrigem Ostwinde aufgehalten, die Stadt nicht hatte erreichen können, und seinen alten Ankerplatz inne hatte, war von der Anwesenheit seines Chefs benachrichtigt worden, und beeilte sich, ihn am Lande aufzusuchen. Er begrüßte seinen Herrn nach der treuherzigen Weise eines alten Seemannes, stattete in der Kürze seinen Bericht über die glücklich vollendete Reise ab, und sagte dann mit überwallendem Herzen: »Gottes Segen über Sie und Ihr Haus! Daß es aber jetzt nicht in die tiefste Trauer versenkt ist, das verdanken Sie einzig und allein meinem Steuermann Robert, der mit Gefahr seines eigenen Lebens das Leben Ihres Kindes erhalten hat.«
»Ich werde daran denken, Capitain!« sprach der Kaufmann mit einem Tone, der bezeugte, daß er seiner Würde nichts vergeben wollte. »Wenn das Schiff wohlbehalten an die Rhede gekommen ist, schickt mir den jungen Mann einmal in's Haus. Woher ist er gebürtig?«
»Aus Hamburg!« entgegnete der Capitain!
»So? Also ein Landskind? Hm! Ich kenne das Haus Robert nicht!« sagte der Kaufmann.
»Das glaube ich wohl!« sprach der Capitain. »Er ist der Sohn eines armen Segelmachers, der es nie zum eigenen Geschäfte hat bringen können, und andere Leute reich machen half, während er selbst darben mußte. Doch hat er für seinen Sohn Alles gethan, was in seinen Kräften stand, und der Segen des Herrn war mit ihm; denn der Robert ist ein Seemann geworden, der das Herz und den Kopf auf dem rechten Fleck hat.«
»So, so!« sprach der Kaufmann, »nun, es gibt in jedem Stande brave und rechtliche Leute, also auch unter den Segelmacher-Gesellen. Es bleibt dabei, Ihr schickt den jungen Mann gelegentlich zu mir. Adieu, Capitain, ich will meine Tochter selbst nach Hamburg zurückbringen und für die Zukunft werde ich mir alle Wasserparthieen verbitten, bei denen ich nicht gegenwärtig bin.«
*
Einige Tage später saß Herr Averdick in seinem Arbeitszimmer und war mit dem Durchlesen eines Briefes beschäftigt, der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ganz gegen alle Gewohnheit stand er von seinem Sitze auf und nahm seinen Weg nach dem Zimmer seiner Tochter, – ein außergewöhnliches Ereignis, was den jungen Leuten im anstoßenden Comptoir, die diese Bewegung ihres Prinzipals sogleich bemerkten, zu den verschiedensten Muthmaßungen Stoff gab.
Ernestine schrak leicht zusammen, als sie den Vater zu einer so ungewöhnlichen Stunde in ihr Zimmer treten sah; dann legte sie ihre Handarbeit weg, und sah ihn fragend an.
»Mein Kind!« sprach der Vater mit all der Liebe und Güte im Ton, die ihm, seiner Ernestine gegenüber, stets zu Gebot stand; »ich bringe dir eine, wie ich hoffe, angenehme Nachricht. Da ist ein Brief aus Bremen.«
Ein leichtes Roth deckte das Gesicht des Mädchens für einige Augenblicke; dann trat die frühere Blässe wieder ein. »Und dieser Brief aus Bremen?« fragte sie mit anscheinender Gleichgültigkeit, während ihr Herz doch hörbar klopfte.
»Wie, Ernestine?« fragte der Vater ernst, »du solltest in der That nicht wissen?« Aber gleich darauf verzog sich sein Mund zum Lächeln und er fuhr mit freundlichem Spotte fort: »Du bist also ganz wie alle übrigen Mädchen, die von gar nichts zu wissen scheinen, wenn auch der langersehnte Bräutigam bereits mit Extrapostpferden vor der Thüre hält? Der junge Siegfried Möller, der dir vor Jahr und Tag so wohl gefiel, gegen dessen Bewerbung du nichts hattest, dessen Antrag du nicht zurückgewiesen, sondern mir zur Beantwortung überlassen hast; derselbe junge Mann, der den Kopf auf dem rechten Fleck und das erste Geschäft in Bremen hat, wird hier sein, und dich als sein Weib mit hinwegführen.«
Ernestine wechselte die Farbe; sie mußte sich Gewalt anthun, um nicht ohnmächtig hinzusinken. »Vater!« stammelte sie, »so unvorbereitet, so unerwartet?«
»Weßhalb unerwartet?« fragte der Vater. »Du hast es ja gewußt. Und weßhalb unvorbereitet? Meinst du, das Brautkleid und die übrige Aussteuer würde nicht zur rechten Zeit fertig werden? Ich habe schon Alles besorgt, und was noch fehlen sollte, wird ja binnen kurzer Zeit für Geld zu haben sein. Ich habe während meines ganzen Lebens nicht geknickert, und sollte jetzt den Geizhals spielen, da es die Aussteuer meiner Tochter gilt? Der soll mir kommen, der das zu behaupten wagt!«
Die Aussicht auf die baldige Heirath seiner Tochter und den damit verbundenen Zuwachs an Glanz und Pracht seines ohnehin so mächtigen Hauses, hatten den alten Herrn so verjüngt, daß er mit freudestrahlendem Gesicht im Zimmer auf und ab ging und sich vergnügt die Hände rieb. Ernestine, welche die Aufregung ihres Vaters sah, hätte ihm, den sie trotz der unbegränzten Liebe zu ihr fast knechtisch fürchtete, um keinen Preis, die Empfindungen ihres Herzens offenbaren können, und um der peinlichen Scene, während der sie alle Seelenmarter duldete, eine andere Wendung zu geben, fragte sie den Vater: ob Herr Siegfried Möller während seines Aufenthaltes in Hamburg bei ihnen logiren werde?
»Ei freilich, mein Kind!« sprach der Alte lebhaft. »Wo soll denn der Schwiegersohn anders logiren als bei'm Schwiegervater? Was du doch mitunter für kuriose Fragen thust! Ich soll ihn wohl nach Kayser's Hof oder nach der Obergesellschaft wandern heißen, nicht wahr? Nun, ich hoffe, er wird sich nicht über die Aufnahme, die er hier findet, zu beklagen haben; meine Ernestine ist eine viel zu sorgsame Hausfrau.«
Ernestine sah den Vater mit einem wehmüthigen Lächeln an, und dieß Lächeln setzte den ohnehin schon erregten Mann in die fröhlichste Stimmung; er küßte seine Tochter, nannte sie mit den süßesten Namen, und ging dann in sein Comptoir zurück, ohne seine rosige Laune auf der Schwelle desselben zurückzulassen. Dem grämlichem Cassirer, der sich ihm nahte, lachte er entgegen, so daß dieser erschrocken vor dem Unerhörten zurückwich, er lobte einen jungen, sonst nicht ganz fleißigen Mann, der ihm eine eben vollendete Arbeit vorlegte, mit unverkennbarem Wohlwollen, schenkte einem Andern, der eine offene Bittschrift auf den Platz des Prinzipals gelegt hatte, eine Summe Geldes, die dieser zur Abtragung einiger Schulden nur als Vorschuß erbat, und erregte durch diese außergewöhnliche Handlungsweise in dem stillen Comptoir eine Aufregung, wie sie dort seit Jahren nicht stattgefunden hatte.
Ernestine aber sah sich kaum allein, als sie in einen Strom von Thränen ausbrach und vom Schmerz überwältigt in einen Lehnsessel sank. Frau Marthe, die in diesem Augenblick in die Stube trat, eilte erschrocken herbei und rief: »Um Gottes willen, mein liebes, herziges Kind, was ist dir?«
»Mein Leben ist von nun an von jedem Glück entblößt!« sprach Ernestine. »Nur im Grabe ist Hoffnung für mich, und es ist mein heißes Gebet zu Gott, daß er mich bald durch einen sanften Tod von der Qual, die ich dulde, erlösen wolle.«
»Gott bewahre dich vor der Erfüllung dieses Wunsches, mein Kind!« sprach Frau Marthe erschreckt. »Wie kann ein kleines Ungemach dich so beugen? denn etwas Großes ist dir doch nicht geschehen? Oder ist es? Ist vielleicht dein Bräutigam, Herr Siegfried Möller, gestorben, oder ist er dir gar untreu geworden? Das wäre freilich etwas, das das Herz eines sanften, schönen und reichen Mädchens brechen könnte. Ich beschwöre dich, mein Herzenskind, rede!«
Aber Ernestine redete nicht; sie vernahm die Stimme ihrer alten Wärterin nicht mehr; eine tiefe Ohnmacht hielt sie umfangen und die geängstigte Marthe wandte Alles an, um die Besinnungslose wieder in's Leben zurückzurufen.
*
Einige Tage später, – die freudige Aufwallung des Herrn Averdick war in dessen Comptoir durch andere Ereignisse längst in den Hintergrund gedrängt worden, – saß der Kaufherr auf seinem gewohnten Platze, als sich ihm ein Mann nahte, der eine fast ehrerbietige Verbeugung machte, und nicht eher den Mund öffnete, als bis er dazu aufgefordert ward.
Der Kaufmann ließ den Fremden einige Minuten stehen, dann nickte er ihm zu und sprach: »Nun? Soll ich eine gute Botschaft hören? Ihr, Schiffsbaumeister, wißt sonst nichts als Geld und wieder Geld. Wollt Ihr auch Geld, Herr Frank, oder habt Ihr eine andere Nachricht?«
»Nun,« meinte Herr Frank, mit einem pfiffigen Lächeln, »das Geld ist sonst eine gute Sache, wenn man nur recht viel hat. Auch will ich es nicht verschwören, dergleichen von Ihnen zu fordern, und hoffe recht viel zu erhalten; aber für diesen Augenblick hätte ich doch eine Mittheilung anderer Art zu machen. Da ist Ihr neuer, großer Dreimaster, der Siegfried« – –
»Ich habe das Schiff so nennen lassen, weil mein künftiger Schwiegersohn diesen Vornamen führt!« sagte der Kaufmann. »Nun, was ist mit dem Dreimaster?«
»Er ist fertig!« antwortete der Baumeister. »Gestern Abend haben wir den letzten Nagel eingeschlagen. Das Schiff lacht einem Jeden entgegen, daß es eine Lust und Freude ist; und ich bin gekommen, um zu fragen, wann es vom Stapel gelassen werden soll?«
»Schon fertig?« fragte der Kaufmann, »das ist rasch gegangen! Ich bin sehr zufrieden mit Euch. Ich hoffe doch, daß Ihr Euch nicht dabei übereilt habt?«
»Sämmtliche Schiffbaumeister der drei verbündeten Städte können es getrost der schärfsten Prüfung unterwerfen!« gab Herr Frank selbstzufrieden zur Antwort. »Ich stehe für meine Arbeit.«
»Das ist ja fast zu rasch gegangen!« fuhr selbstzufrieden der Kaufmann fort. »Jetzt habe ich ein neues Schiff und noch nicht einmal einen Capitain dazu. Nun, der wird sich wohl auch finden. Ich bin sehr zufrieden, und will meinen Dank nicht bloß mit Worten abtragen.« Er schrieb einige Zeilen auf einen Zettel und überreichte ihn dem Baumeister. »Gebt diesen Bon meinem Cassirer. Die Summe, die Ihr dafür empfangt, sollt Ihr unter die Leute vertheilen, die bei dem Bau des ›Siegfried‹ thätig gewesen, sie sollen sich einen lustigen Tag machen. Für Euere eigene Person werde ich selbst später noch sorgen. Das Ablaufen wollen wir auf morgen festsetzen. Um sechs Uhr Nachmittag ist hoch Wasser. Ich werde mich einfinden; aber ohne alle Ceremonien; kein Mensch wird dazu eingeladen, wer sich aber zufällig einfindet, anständig bewirthet. Guten Morgen, Herr Frank.«
Der Baumeister zog sich zurück, und bald darauf nahm ein junger Mann seinen Platz ein. Das ganze Aeußere desselben bezeichnete den Seemann, sein Anzug war fein und stand ihm sehr wohl; die ganze Erscheinung machte einen höchst gefälligen Eindruck.
Der Kaufmann blickte den jungen Mann scharf an, betrachtete ihn von oben bis unten, und fragte dann ziemlich kurz: »Wer ist Er?«
»Mein Name ist Robert,« entgegnete der junge Mann fest. »Ich bin Steuermann Ihrer Brigg Alma.«
»So, so!« murmelte der Kaufmann zwischen den Zähnen. »Und was will Er von mir?«
»Nichts!« antwortete der junge Seemann etwas empfindlich. »Aber mein Capitain sagte mir, Sie wollten etwas von mir, und verlangte: ich sollte Sie in Ihrem Hause aufsuchen. Ich bin auch schon zweimal hier gewesen und nicht vorgelassen worden.«
»Das lügt Er!« fuhr der Kaufmann auf, »bei mir wird Jedermann vorgelassen, der mit mir zu sprechen hat.«
»Ich lüge niemals!« sprach der junge Seemann mit erhöhter Stimme. »Der Mensch mit dem widerwärtigen Gesichte draußen vor der Thüre hat mich zweimal zurückgewiesen, und nur als ich heute sagte, daß Sie durchaus verlangt hätten, mich zu sprechen, weil mein Capitain dieß wiederholt von mir forderte, wurde ich mit vielem Brummen hereingelassen. Es war auch die höchste Zeit; denn ich wäre gewiß und wahrhaftig nicht wieder gekommen.«
Der Kaufmann zog die Klingel und der Comptoirbote erschien. »Es ist ein für allemal Hausgesetz,« sprach der Erstere, »daß Jeder, ohne Ansehen der Person, der mit mir zu sprechen hat, auf der Stelle vorgelassen werden soll; oder wenn dieß einmal für den Augenblick geradezu unmöglich ist, gebeten wird, nach eigener Wahl ein wenig zu warten, oder wieder zu kommen. Weßhalb ist nun dieser junge Mann zu wiederholten Malen abgewiesen worden?«
»Sie hatten viele Geschäfte!« stotterte der Comptoirdiener, »und ich wollte jeden überlästigen Besuch vermeiden; einem so jungen Menschen kann es ja auf ein paar Gänge mehr oder weniger nicht ankommen.«
»Still!« herrschte der Kaufmann. »Was soll aus dem Geschäfte werden, wenn nun schon die Comptoirdiener eine Meinung haben wollen? Herr Cranz! Lohnen Sie den Unverschämten auf der Stelle ab, und warnen Sie ihn, daß er sich nicht wieder hier einzubürgern versucht! Hinaus mit ihm!«
Der Comptoirdiener ging stillschweigend, von dem bezeichneten Commis geleitet, hinaus, und der Kaufmann wendete sich jetzt wieder an den jungen Seemann: »Steuermann Robert von der Brigg Alma! Ich weiß jetzt Alles! Ich war vorhin in Geschäften vertieft und besann mich nicht sogleich. Gebe Er mir die Hand, ich danke Ihm herzlich für seine kühne, besonnene That. Gebe Er mir Gelegenheit, Ihm nützlich zu sein, Er soll sich nicht vergebens an mich wenden.«
Ein Strahl der Freude überzog das Gesicht des jungen Seemanns: »Nun, das ist doch ein Wort! Ich glaubte schon, Sie würden gar nicht mehr wissen, was geschehen ist. Nicht, daß ich glaubte, für meine Christenpflicht einen besondern Dank oder gar Lohn zu verdienen; aber es schmerzt tief, wenn wir Jemandem Gutes thun, und der Empfänger nimmt sich nicht einmal die Mühe, uns ein karges »Gott lohn's!« hinzuwerfen. Gewöhnlich machen's die vornehmen Herren mit uns geringen Leuten immer so, und deshalb – ich muß es Ihnen sagen – freut es mich doppelt, daß Sie sich des ganzen Herganges der Sache so freundlich erinnern.«
Die Offenheit des jungen Seemannes schien dem Kaufmann zu gefallen. »Es ist arg,« sprach er mit einem Anflug von Laune, »daß der Mann, dem wir hier im Hause so vieles verdanken, sich mehrere Male hierher begeben muß, ehe er von uns hört, daß wir seine That nicht vergessen haben.«
»Das ist mehr als genug, Herr!« antwortete der junge Seemann mit flammendem Blick. »Habe ich doch von Ihrer Tochter meinen Dank schon empfangen, ehe sie den Bord der Alma verließ! Sie sprach zwar nicht, denn sie war noch zu angegriffen; aber sie richtete einen Blick auf mich, der mir sagte, daß sie fühle, was ich gethan. Es war freilich eine nicht leichte Arbeit, und etwas tollkühn ging's dabei her; deshalb meine ich auch, daß der liebe Gott das Beste dabei gethan hat, und daß diesem der Dank vor allen Andern gebührt.«
»Meine Tochter ist anderer Meinung,« sprach der Kaufmann, »und hat mich deshalb gebeten, Ihn zu ihr zu schicken, sobald Er kommen sollte. Sie will sich selbst bei Ihm bedanken. Gehe Er zu ihr, spreche Er mit ihr, und warte Er dort, ich komme selbst nach. Und damit Er nicht wieder abgewiesen wird, – – Herr Ehlers! Geleiten Sie diesen jungen Mann zu der Frau Marthe, und bedeuten Sie ihr, daß sie ihn zu meiner Tochter führen soll.«
*
Ernestine hatte so eben einen Besuch ihres Bräutigams, des Herrn Siegfried Möller, gehabt, mit dem sie, seit jenem Ereigniß auf der Elbe, nicht im geringsten mehr zu sympathisiren vermochte, und setzte sich tiefaufathmend zu ihrer Arbeit, als Steuermann Robert eintrat.
Es gibt – kein philosophisches System wird das hinwegleugnen – Wesen auf Erden, die von dem Geschick dazu bestimmt sind, von dem Augenblick an, da sie sich sahen, sich einander für das Leben anzugehören. Bei dem ersten Anblick ist ihnen dieß klar, und ohne jemals ein Wort miteinander gewechselt zu haben, fühlen sie, daß sie nur im gegenseitigen Besitz glücklich sein können, oder untergehen müssen. Ein solches Paar hatte die unerforschliche Vorsehung in Robert und Ernestine einander gegenüber gestellt, und in demselben Augenblicke eine unübersteigliche Mauer zwischen ihnen aufgeführt; wollten sie tollkühn genug sein, daran zu rütteln, mußten sie unter den Trümmern derselben begraben werden.
Ernestine entfärbte sich bei Robert's Eintritt; sie erhob sich mühsam von ihrem Sitze und ging ihm einige Schritte entgegen. Robert glühte, das Herz saß ihm auf der Zunge; aber er vermochte nicht, ein Wort hervorzubringen.
Die Jungfrau bot dem erglühenden Jüngling die Hand; es durchzuckte ihn elektrisch, als sie ihn berührte; er wagte, sich seines Thuns kaum bewußt, einen leisen Druck, und die Thränen stürzten ihm aus den Augen, als er fühlte, daß sie ihn erwiederte.
»Mäßigen Sie sich, Robert!« bat Ernestine sanft. »Fassen Sie sich! Sie kennen den Zwang nicht und sind deshalb glücklich. Auf freiem Meere ist auch der Mensch frei und gehorcht nur den unveränderlichen Gesetzen der Natur. Aber hier am Lande müssen wir uns den conventionellen Rücksichten beugen. Ich bin Ihnen mein Leben schuldig, das ist viel, mehr als ich Ihnen je abzutragen im Stande bin; denn jede Freude, die ich auf der Erde noch genieße, jede Thräne des Kummers, die mir noch zu trocknen vergönnt wird, sie ist Ihr Werk. Wie kann ich jemals eine solche Schuld abtragen? Aber Sie sind frei und offen, und wie ich Sie erkannt zu haben glaube, ist es Ihnen gewiß nicht gleichgültig, wenn ich gestehe, daß ich Ihnen mein Leben gern schuldig bin.«
»Hören Sie auf!« bat Robert. »Was kann ich noch hören sollen, das angenehmer, einschmeichelnder für meine armen, bethörten Sinne klänge, als dieß? Ich bin ein armer Bursche von dunkler Herkunft; von der Natur mit nicht gemeinen Gaben versehen, und voll des festen Willens, mich mit meinem Talent in der Welt vorwärts zu bringen. Ich fühle Kraft in mir, mein Vorhaben durchzusetzen, und meine dunkle Vergangenheit durch eine glänzende Zukunft aufzuhellen; aber bis zu der Höhe, die ich jetzt vor mir sehe, habe ich noch nicht emporzublicken gewagt.«
Ernestine vermochte nicht, hierauf etwas zu erwiedern; sie hatte aber auch nicht die Kraft, dem jungen Mann ihre Hand zu entziehen, die dieser noch immer festhielt; sondern sah ihn mit einem vielsagenden Blick an, der die Glut in seinem Innern nur noch mächtiger entzündete. Zum Glück für beide trat in diesem Augenblick Frau Marthe mit einigen Erfrischungen ein, die sie dem jungen Mann anbot, und dabei erzählte, daß Herr Averdick gleich hier sein werde; denn sie habe ihn so eben aus dem Comptoir kommen sehen.
Frau Marthe war der Schutzengel der beiden jungen Leute gewesen; sie war im rechten Moment eingetreten, und hatte ihnen Zeit gelassen, sich bis zur Ankunft des Vaters zu fassen.
Dieser trat ein. Er sah die beiden jungen Leute stumm und verlegen einander gegenüber stehen und lachte: »Nun? Sind die Bon's der Dankbarkeit und des Nievergessens edler Thaten schon gehörig ausgewechselt? Fast muß ich es glauben, da ich meine Tochter so stumm da stehen sehe, und der junge Herr den Hut, wie zum Abschiednehmen, in der Hand hält. Dann wird wohl die Reihe an mir sein. Nehme Er auch meinen Dank hier nochmals, Steuermann Robert, und halte Er sich überzeugt, daß ich Ihn, so oft sich Gelegenheit bietet, durch die That bekräftigen werde. Wir wollen einmal sehen, was sich für Ihn thun läßt. Sein Capitain, der selbst ein sehr tüchtiger Mann ist, gibt Ihm das beste Zeugniß. Er muß sich in der Welt vorwärts bringen!«
Robert, der dem Kaufmann gegenüber, seine völlige Fassung wieder gewonnen hatte, und aus Ernestinens Liebe zu ihm, die er alsobald erkannte, Kraft schöpfte, antwortete in seiner kecken Weise: »Das ist mein Wille, und ich warte nur auf die Gelegenheit dazu.«
»Er muß sich die Gelegenheit suchen!« war die Antwort. »Kennt Er den Werft des Schiffbauers Frank?«
»Warum denn nicht?« sprach Robert. »Ich bin noch vor ein paar Stunden darüber hingegangen. Der Mann macht schöne Arbeit. Namentlich ist Ihr neuer Dreimaster, der »Siegfried,« ein schönes Schiff geworden. Es kann bald vom Stapel gelassen werden.«
»Morgen!« sagte der Kaufmann. »Punkt sechs Uhr Nachmittags. Er ist von mir eingeladen, dem Ablaufen beizuwohnen. Er hat ohnedieß von Stunde an nichts mehr am Bord der Alma zu suchen, weil ich Ihn zum Capitain des Siegfried mache, wenn Er anders mit dieser Veränderung zufrieden ist.«
»Nur zufrieden?« rief Robert ergriffen. »Nehmen Sie die Versicherung – – –«
»Schon gut, mein Freund!« unterbrach ihn der Kaufmann. »Zeige Er mir durch die That, daß Er meines Vertrauens würdig war, und wir werden auch ferner gute Freunde bleiben.«
Ernestine sagte dem jungen Mann ebenfalls einige Worte, die ein Glückwunsch zur Standeserhöhung sein sollten, aber sie kamen so verwirrt zum Vorschein, daß nur Robert darin einen Sinn zu entdecken vermochte, während der Vater lachend sagte: »Laß es nur gut sein, Ernestinchen, du bringst doch keine Rede zu Stande, und wir bedürfen ihrer auch nicht.« Gegen Robert gewendet nahm er jetzt einen andern Ton an, und sagte: »Ihr seid jetzt mein Capitain und habt als solcher, ohne besonders eingeladen zu werden, freien Zutritt zu meiner Tafel und zu den Festen, die ich gebe. Ich sehe gern, daß die Leute, die in meinem Solde stehen, froh sind, und biete ihnen selbst jede Gelegenheit dazu, die nur irgend mit dem Gange der Geschäfte vereinbar ist. Da Ihr indessen meiner Tochter das Leben gerettet habt, Capitain Robert, so habe ich Euch noch eine andere Ehre zugedacht; Euer Schiff soll das Brautschiff sein.«
»Welches Brautschiff?« fragte der Jüngling bestürzt und richtete einen trüben, ahnungsvollen Blick auf Ernestine; diese schlug die Augen zu Boden.
Der Kaufherr war in diesem Augenblicke zu sehr von seiner eignen hohen Stellung durchdrungen; er schien nicht zu ahnen, daß irgend ein nicht ebenbürtiger Mann die Augen bis zu seiner Tochter erheben könne; denn sonst müßte er aus den Blicken der jungen Leute Verdacht geschöpft haben, aber er blieb sich völlig gleich und fuhr fort: »Aha! Capitain Robert weiß noch nicht, was vorgegangen ist. Meine Tochter ist Braut mit dem Kaufmann Siegfried Möller aus Bremen; die Hochzeit wird binnen vierzehn Tagen sein; bis dahin habe ich für Euer Schiff eine Fracht besorgt, habe Euch die Ladung an Bord gesendet, und Ihr könnt gleich nach dem Hochzeitstage segeln. Der Hochzeit selbst sollt Ihr aber noch beiwohnen und Euer Schiff soll dabei als Brautschiff figuriren. Daß es stattlich genug aussehen wird, soll unser Beider Sorge sein. Und nun, Capitain, geht Euern Geschäften nach, Ihr habt viel zu thun, wenn Ihr Alles in der Euch gegebenen kurzen Frist beschaffen wollt; der Capitain der Alma hat Euere Entlassung schon erhalten; mein Cassirer wird Euch im Comptoir die nöthigen Gelder aushändigen und noch etwas darüber für Euere eigene Einrichtung. Adieu.«
Robert verbeugte sich stumm, richtete einen langen, schmerzlichen Blick auf Ernestine und verließ das Zimmer. Der alte Averdick sah ihm nach:
»Curioser Mensch! Hätte sich doch auch bedanken können. Wenn wir ihm auch Verpflichtungen schuldig sind, so hätte er doch anerkennen können, was man für ihn thut. Ein Schiff wie der Siegfried ist, wird nicht alle Tage gefunden, und wenn uns das Commando desselben angetragen wird, hat man doch ein freundliches Wort in Bereitschaft.«
Er verließ brummend und kopfschüttelnd das Zimmer seiner Tochter, ohne sich um sie zu kümmern, und diese dankte Gott aus der Fülle ihres Herzens dafür; denn sie wäre nicht im Stande gewesen, ihre innere Aufregung und die Ursache derselben vor dem strengforschenden Blick des Vaters zu verbergen.
*
Es war ein lieblicher Sommerabend; Ernestine hatte sich nach dem Landhause ihres Vaters fahren lassen, um dort ganz ungestört sich selbst zu leben, ihr Geschick zu bedenken, und es zu beweinen. Geboren im Glanz und in der Fülle des Reichthums, geschmeichelt von Allen, die sich ihr nahten, beneidet von Hunderten, die sich ein ähnliches Loos wünschten, fühlte sie sich namenlos unglücklich und war es auch in der That; denn sie sollte ihr Herz, das bereits einem Andern gehörte, einem Mann opfern, für den sie nicht das Geringste empfand, und den sie nur zu einer Zeit lieben zu können glaubte, als sie diese Leidenschaft noch nicht wirklich kannte. Und für wen schlug ihr Herz? Für einen Mann, auf welchem nicht der geringste Makel haftete, der aber auch in allen bürgerlichen Verhältnissen tief unter ihr stand, und nur erst durch ihren eignen Vater an einen Platz gestellt worden war, von welchem aus es ihm einst gelingen konnte, sich geltend zu machen. Würde ihr Vater jemals die Einwilligung zu einer solchen Verbindung geben, selbst wenn es möglich gewesen wäre, die frühere mit Möller aufzugeben? Nimmermehr. Und eben weil sie die Wahrheit dieser Verneinung fühlte, saß sie, von Kummer gebeugt, in einer schattenreichen Laube des Gartens und weinte bittere Thränen.
Da vernahm sie in der Nähe ein Geräusch; sie horchte auf, und vor ihr stand Robert. Ohne ein Wort zu sagen, streckte er die Hand nach ihr aus, dann legte er sie auf sein Herz und blickte sie fragend an.
Ernestine war keines Wortes mächtig, sie schaute durch Thränen zu dem Geliebten auf; dann verhüllte sie ihr liebliches Gesicht und verbarg es in der Blumenwand der Laube.
Endlich ermannte sich Robert und sprach in seiner kurz-energischen Weise: »Ich weiß, daß ich strafbar bin: erstlich daß ich hier, ohne dazu aufgefordert zu sein, erscheine, und dann, daß ich mich geberde, wie ein unsinniger Mensch. Aber ich kann nicht anders; Gedanken und Empfindungen, wie sie mich jetzt durchströmen, habe ich noch nie gekannt, sie verwirren meinen Sinn, sie treiben mir das Blut in die Wangen und zum Herzen, und doch habe ich mich noch nie so glücklich gefühlt, als eben jetzt. Ich weiß, es ist eine Tollkühnheit, eine Raserei, Sie zu lieben, Ernestine, aber ich liebe Sie doch, ich kann nicht anders.«
»Wenn man Sie erblickt, Robert!« bat Ernestine, »ich bitte, entfernen Sie sich.«
»Wenn Ihnen meine Gegenwart mißfällig ist, will ich augenblicklich gehen,« antwortete Robert, »aber aus Furcht vor einem Dritten nicht. Ich muß Aufklärung über mein Schicksal haben, und die kann ich nur hier finden. Reden Sie, Ernestine! Denken Sie nicht an diesen widerwärtigen Bräutigam aus Bremen, den man erst hat verschreiben müssen, bevor er gekommen ist; denken Sie auch nicht an Ihren Vater; denken Sie nur an den Mann, der vor Ihnen steht, der Ihnen sein ganzes Dasein freudig weiht, fragen Sie sich, ob Sie Liebe für ihn empfinden, ob Sie mit Ihm den Gang durch's Leben wagen möchten. Erst diese Frage beantwortet, dann ist es Zeit genug, auch das Uebrige zu erwägen.«
»Ach, Robert! ...« begann Ernestine, aber sie vermochte nicht, weiter zu sprechen. Ohne Worte, mit einem Blick der innigsten Liebe reichte sie ihm die Hand. Robert ergriff sie mit lautjubelndem Herzen, er fühlte sich sanft zu der Geliebten hingezogen und sank zu ihren Füßen; ihre Arme umfingen ihn, ihre Lippen begegneten sich in einem glühenden Kusse und der Bund für's Leben war geschlossen.
Eine Stunde war vergangen; Ernestine und Robert saßen in der Laube, die eine Zeugin ihres jungen Glückes gewesen war, neben einander. Sie hatten die Seligkeit eines solchen Augenblicks geschmeckt; jetzt erwogen sie in ernstem Gespräch das Gefährliche ihrer Lage, und entwarfen Pläne für ihre ungewisse Zukunft.
»Alles wird sich unseren Wünschen fügen, sobald wir es ernstlich wollen und mit einander einig sind!« sprach Robert. »Auf mich kannst du dich verlassen, Ernestine, im Leben, wie im Tode, in Freud' oder Leid, ich werde dich nie verlassen.«
»Nimm ein gleiches Gelübde von mir,« sagte Ernestine unter Thränen und Küssen, »ich gehöre dir und werde nicht von dir weichen mein Lebelang. Denke für dich und mich, handle wie du es für gut findest, und wenn du mit dir einig bist, so rede; du sollst in mir eine Braut finden, die dir blindlings folgt. Noch heute Morgen hätte ich, wenn auch mit gebrochenem Herzen, mich meinem Schicksal gebeugt; jetzt geschieht es nicht, und sollte ich darüber zu Grunde gehen.«
Auf's Neue wechselten sie die Gelübde ewiger Liebe und Treue und als sie sich einander Zeit und Ort des Wiederfindens bestimmt hatten, schieden sie mit der Ueberzeugung, einen schweren Kampf bestehen zu müssen; aber Beide voll des Glücks, ein Herz für sich schlagen zu wissen, das nur mit dem Tode zugleich für seine junge Liebe erkaltete.
Robert war genöthigt, sich in den Strudel der Geschäfte zu stürzen. Seine Entlassung von dem Capitain der Alma war bald bewirkt; aber die neue Einrichtung seines Schiffes, dessen ganze Schönheit sich erst entwickelte, als es auf dem Wasser lag, nahm fast jede Stunde des Tages in Anspruch. Da er indessen die Mittel dazu in Händen hatte, ging Alles rasch von Statten. Die Takelung ward von Schauerleuten, die der Sache gar wohl gewachsen waren, unter Aufsicht eines tüchtigen Bootsmannes vollendet; die Everführer brachten während der Zeit die kostbare Ladung in ihren Schuten von allen Seiten herbei, während die eigentliche Besatzung des Schiffes, theils den an Bord befindlichen Schauerleuten bei'm Takeln und dem Wegstauen der Ladung behülflich war, theils auch mit dem Langboot und der Schaluppe zwischen Schiff und Land hin und her fuhr, um alle Lebensmittel und sonstigen Utensilien an Bord zu bringen, die man während der Reise bedurfte.
Der alte Averdick hatte seinen Stolz darein gesetzt, einmal ein Schiff auszurüsten, woran Niemand, außer ihm, den geringsten Anspruch hatte. Das Schiff war auf seine Kosten gebaut, und bis auf den letzten Pfennig bezahlt; das Takelwerk und die Segel waren in seinen eignen Fabriken angefertigt, und die zum Theil sehr kostbare Ladung war sein ausschließliches Eigenthum.
Jetzt stand der Tag der Abreise nahe bevor, und auch der Hochzeitstag Ernestinen's rückte heran. Robert, der stets sein Herz auf der Zunge trug, dem sein guter Genius bisher noch keinen falschen Menschen entgegengeführt hatte, und der daher zu Jedermann das unbedingte Zutrauen hatte, er werde ihm mit einer gleichen Offenheit entgegen kommen, entschloß sich jetzt, in Uebereinstimmung mit Ernestine, einen entscheidenden Schritt zu thun. Er begab sich in das Haus des Kaufmanns und bat um die Erlaubniß, mit dem Schwiegersohn desselben einige Augenblicke ungestört reden zu dürfen. Verwundert darüber, was der, nach seinem Ausdrucke »neugebackene Capitain« ihm zu sagen haben könne, das nicht jeder Mensch wissen dürfe, begab er sich in ein entferntes Zimmer und entbot den jungen Mann zu sich. Robert trat raschen Schrittes ein, und nach den ersten flüchtigen Grüßen, die der Bremer Handelsherr mit einem vornehmen »Nun?« unterbrach, begann Robert:
»Sie sind gewiß so wenig als ich, ein Freund von Umschweifen und werden es deswegen ganz natürlich finden, wenn ich ohne Einleitung zur Sache komme. Gott weiß, wie viel mich diese Unterredung kostet; aber ich kann sie mir und Ihnen nicht ersparen: Sie haben um Ernestine, die Tochter dieses Hauses geworben; man hat sie Ihnen zugesagt, die Hochzeit ist anberaumt. Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, mir zu sagen, aus welchem Grunde Sie diese Heirath schließen, und überzeugt zu sein, daß ich volle Ursache habe, diese Frage zu thun.«
»Ich begreife nicht, mein Herr,« sagte Siegfried Möller, »wie Sie zu dieser mehr als sonderbaren Aeußerung kommen. Wenn Sie mir weiter nichts zu sagen haben, so ...«
Er machte Miene, sich zu entfernen, Robert hielt ihn auf: »Weichen Sie mir nicht aus, mein Herr! Es handelt sich bei dieser Frage nicht um müßige Neugier, sondern um das Glück einer theuern Person; dieß mögen Sie mit hohem Ernste bedenken. Ich habe Ihrer Braut das Leben gerettet; gewähren Sie mir dafür die einzige Gunst, meine Frage klar, ohne Umschweif und als Mann von Ehre zu beantworten: Aus welchem Grunde heirathen Sie Demoiselle Ernestine?«
»Nun denn,« entgegnete Möller, »um der Seltsamkeit dieser Situation willen, und um ihr baldigst ein Ende zu machen: die junge Dame ist in jedem Sinne eine acceptable Parthie; in keiner der beiden Städte hätte sich für mich eine annehmbarere gefunden. Ernestine ist hübsch, ist gut erzogen und wird sich zu meiner Hausfrau schicken. Was aber den Kaufmann mehr als Alles anzieht, ist das Haus, dem sie angehört; zwar kann meine Verbindung mit der Firma Averdick die meinige nicht heben; aber beide zusammen verbunden, werden eine Macht in sich vereinigen, die jeder andern Handelsverbindung spotten dürfte.«
»Sie handeln, wie ein sehr kluger Kaufmann, Herr Möller,« sprach Robert bitter. »Also nicht Liebe, reine, heiße, innige Liebe, die alles Irdische und Himmlische opfert, um nur in den Besitz des geliebten Gegenstandes zu gelangen, hat Sie vermocht, dieses Bündniß zu schließen?«
»Gesinnungen dieser Art, die nur einem Tollen ziemlich sind, bitte ich, mir nicht unterlegen zu wollen;« sprach Herr Möller. »Was würde aus Handel und Wandel werden, wenn die ersten Repräsentanten desselben solchen überspannten, romanhaften Ansichten Raum gäben? Wenn sonst alle obwaltenden Verhältnisse als annehmbar gefunden werden, so ist es genug, wenn zwischen dem Paare, das sich verbinden soll, keine Abneigung obwaltet; alles Uebrige findet sich in einer besonnenen vernünftigen Ehe von selbst. Und nun, mein Herr, dächte ich, wären wir am Ende.«
»Nein, mein Herr! Wir sind nicht am Ende. Da Sie, nach Ihrem eignen Geständnisse, keine innige Liebe für Ernestine fühlen, so kann ihr Verlust Sie auch nicht betrüben. Ich bin zum Bevollmächtigten der jungen Dame ernannt und spreche in ihrem Namen. Ernestine fühlt keine Neigung für Sie, sie bittet Sie, den Gedanken an ein Bündniß mit ihr aufzugeben, sie des früher gegebenen Worts zu entbinden, ein Herz nicht besitzen zu wollen, das nichts für Sie empfindet. Dafür verspricht Ihnen Ernestine, allen Ansprüchen auf den Reichthum ihres Vaters zu entsagen, und verlangt nur soviel zu behalten, als nöthig ist, um ihr Leben in bescheidener Zurückgezogenheit zu fristen. Sie will diese Erklärung vor Zeugen ablegen, wann und wo Sie selbst wollen. Sie sind dann im Besitz der Averdick'schen Güter, können mit dem Reichthum eines halben Indien's spielen und zertreten nicht ein Herz, das Ihnen ein so seltenes Vertrauen bewiesen hat.«
Robert hielt inne und erwartete eine Antwort. Herr Möller sah ihn mit einem vernichtenden Blicke an und sagte: »Ich weiß nicht, ob es ein Toller ist, der mit mir spricht, oder ob Sie so thöricht waren, mir die Botschaft einer Tollen zu überbringen. Letzteres will ich, um meines künftigen häuslichen Friedens, nicht glauben, also bleibt es bei dem Erstern; denn nur in der Voraussetzung, daß Sie in diesem Augenblicke nicht Ihrer Sinne mächtig sind, kann ich vergessen, was mir gesagt worden ist, und wie es gesagt wurde. Lassen Sie es bei diesem Ausspruche; denn wenn ich Sie für vollkommen gesund halten müßte, wo wäre eine Entschuldigung zu finden, die Ihren Frevel rechtfertigte? Oder halten Sie es für keinen Frevel, Ihre schmutzige Herkunft mit dem Glanz eines berühmten Hauses umhüllen zu wollen? Gehen Sie augenblicklich, mein Herr, und suchen Sie wieder in den Besitz des gesunden Menschenverstandes zu kommen, den Sie verloren haben.«
»Es ist mehr gesunder Menschenverstand in mir, als Sie vielleicht zu glauben geneigt sind, mein Herr!« sprach Robert, »und der Beweis dafür soll Ihnen nicht entgehen. Jetzt erkläre ich unser Gespräch für abgebrochen, und ich weiß, wir werden kein ähnliches haben. Leben Sie wohl; Jeder handle jetzt für sich; wir haben auf dieser Welt nichts mehr mit einander zu schaffen.«
Er entfernte sich ohne Abschied und ließ den Kaufmann in sprachlosem Erstaunen zurück. Auf dem Flur des Hauses stand Frau Marthe und ging dem die Treppe herabstürmenden Robert entgegen; dieser drückte ihr einen Zettel in die Hand und verließ das Haus; Frau Marthe eilte mit dem Empfangenen in das Zimmer ihrer jungen Gebieterin.
Von dem Hause des Kaufmanns begab sich Robert in die Wohnung des Doktors Mumsen, eines wackern Arztes und Menschenfreundes, der zugleich der Hausdoktor im Averdick'schen Hause war. Ernestine war der Augapfel des Arztes und wurde von diesem seit ihrer frühesten Jugend verhätschelt. Sie hegte daher auch wahrhaft kindliches Zutrauen zu ihm, und hatte ihm schon früher, halb im Ernst, halb im Scherz, – doch ohne damals etwas Besonderes dabei zu denken, – das Versprechen abgelockt, ihr, zur Zeit einer dringenden Gefahr, mit Leib und Leben beizustehen, um sie derselben zu entziehen. Doktor Mumsen hatte ihr dieß feierlich versprochen. Ernestinen schien dieser Moment jetzt gekommen zu sein; denn es war ihr ärger als der Tod, nachdem sie Robert kennen gelernt hatte, sich mit dem ihr bestimmten Bräutigam zu verbinden. Der Zettel, den Robert durch Frau Marthe an Ernestine gelangen ließ, unterrichtete sie von dem gänzlichen Mißlingen seines Besuches bei Möller und benachrichtigte sie, daß er zu dem Arzte gehe, um seinen Beistand, auf Grund des frühern Versprechens, in Anspruch zu nehmen, und ihm anzudeuten, wie dieß geschehen könne.
*
Der Hochzeitstag kam heran. Auf dem Landhause des Herrn Averdick sollte Abends um sechs Uhr die Trauung sein; alle Gäste, wozu sämmtliche Honoratioren Hamburg's gehörten, waren dorthin beschieden. Bereits am frühen Morgen prangte der zum Brautschiff bestimmte Siegfried mit hunderten von Flaggen, die von den höchsten Mastenspitzen bis über Reiling hinabhingen, ein Musikcorps spielte auf dem Verdeck allerlei muntere Weisen, während das Schiffsvolk an einer wohlbesetzten Tafel zechte, und die Besatzungen der nahgelegenen Schiffe gastfrei bewirthete; denn so will es an den Hochzeitstagen der Herrschaft die Sitte.
Capitain Robert ging gedankenvoll auf dem Verdeck hin und her und nahm an der lauten Freude keinen Antheil. Er war mit seinem Geiste fast abwesend; denn er grübelte sehr ernst über tiefe Pläne, die er vorbereitet hatte, und erschrack deßhalb, als er sich plötzlich angeredet sah.
Er blickte auf, und sah verwundert, nicht ohne einen Anflug von Unruhe, den Vater Ernestinens vor sich stehen. Dieser sah ihn mit einem durchdringenden Blicke an, und führte ihn an das äußerste Ende des Quarterdecks, wo ihr Gespräch von keinem der Mannschaft gehört werden konnte.
»Ist Alles am Bord in der gehörigen Ordnung,« begann der Kaufmann, »und kann das Schiff, wenn es sein muß, noch heute segeln?«
»In der nächsten Minute, – wenn es sein müßte!« entgegnete Robert, einer weitern Erklärung begierig entgegen sehend.
»Es muß sein!« war die Antwort, die Averdick nach einer Pause gab. »Der Zufall will Euern ersten Ausflug als Commandeur begünstigen, Capitain Robert. In drei Stunden ist es Ebbe und der Wind weht frisch aus dem Südosten. Ich habe einen Lootsen mit mir an Bord gebracht, und wenn Euch das Glück wohl will, könnt Ihr Euch heute Nacht noch auf Seewasser schaukeln.«
Robert erblickte den Lootsen, der die Leute, welche nicht an Bord gehörten, sich zu entfernen gebot, und der Schiffsequipage, diejenigen Arbeiten übertrug, welche dem Segeln eines Schiffes vorhergehen, und welche am Bord des Siegfried's hauptsächlich zunächst darin bestanden, sämmtliche Staatsflaggen abzunehmen.
Der junge Capitain rieb sich die Augen, als ob er aus einem langen Schlaf erwachte, und richtete einen fragenden Blick auf den Kaufherrn, dem die Anstalten, welche der Lootse, in Gemeinschaft mit den Steuerleuten, zur Abreise traf, noch nicht schnell genug zu gehen schienen. »Darf ich wohl fragen,« begann der junge Mann, »was diese sonderbare Eile zu bedeuten hat?«
»Ja, mein Herr! das dürfen Sie!« sprach der Kaufmann und hielt nur mühsam einen lauten Ausbruch seines Zorns zurück. »Glauben Sie mir, Sie sollen volle Antwort haben, deutlich und ohne allen Umschweif! Ich habe heute Morgen meine Tochter an ihrem Hochzeitstage mit verweinten Augen, das Herz voll Kummer und Elend angetroffen! Ist Ihnen das Antwort genug? Mein Schwiegersohn, Herr Siegfried Möller, hat mich von der Unterredung in Kenntniß gesetzt, die Sie ihm aufgedrungen haben, und welche wahnwitzige Ideen von Ihrer Seite dabei zur Sprache gekommen sind. Ist Ihnen dieß Antwort genug?«
Robert sonst für jeden äußern Eindruck so leicht empfänglich und auf keine Gegenrede, die ihn, gleichviel in welchem Sinne, betraf, die Antwort schuldig bleibend, stand, betroffen von dem Unerwarteten, stumm vor dem Kaufmann, der ihn mit entschiedener Stimme ersuchte, ihm in die Cajüte zu folgen.
»Richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich, mein Herr!« sprach der Kaufmann befehlend. »Sie haben wie ein junger unbesonnener Mensch gehandelt, als Sie in meiner Tochter Herzen Gefühle erweckten, die das arme Mädchen zu ihrem Unglück hat kennen lernen. Wären Sie einer wahrhaft edeln Empfindung fähig gewesen, hätte Sie ein wirklich klarer Geist beseelt; so würden Sie die Kluft erkannt haben, die sich zwischen Ihnen und Ernestinen ausdehnt; Sie hätten dem schwachen Mädchen einen Kampf erspart, aus welchem sie nun doch, wenn auch mit gebrochenem Herzen, als Siegerin hervorgehen muß; Sie hätten mir, dem Vater, vertraut, und wären mit meiner Achtung, wenn auch auf andern Wegen, einer glänzenden Zukunft entgegengeführt. Sie haben, wie ein muthwilliger Knabe, Bande der Liebe zerrissen, die Sie nicht wieder anzuknüpfen im Stande sind, die Bande der Liebe, die mich bis dahin an meine Tochter ketteten. Was würde aus Ihnen werden, wenn ich Ihnen, mit der vollen Gewalt meines Einflusses, als zürnender Vater entgegenträte? Ich würde Sie wie einen ohnmächtigen Wurm zertreten, und nie würde Ihr Name mehr von eines Menschen Lippe in Ehren genannt worden sein. Aber Ihrem guten Sterne schreiben Sie es zu, daß ich erkenne, daß ein Mensch, der im Staube geboren ist, sich nie vom Fluche seiner Geburt ganz los machen kann; daß er, ewig am Niedern klebend, niemals einer höhern Gesinnung fähig ist; daß seine kühnsten Thaten und Entwürfe nur in einem bewußtlosen Ringen bestehen, die, mit gemeinen Mitteln in's Werk gerichtet, nur ein gemeines Ziel sich ausersehen haben.«
Robert erwachte aus seiner Erstarrung und wollte mit Heftigkeit etwas entgegnen, da unterbrach ihn Averdick: »Schweigen Sie, mein Herr! Wir sind sogleich am Ende, und werden uns nie wieder begegnen. Halten Sie Ihre Ehre am Bord als Capitain aufrecht, indem Sie der Absicht des Lootsen, mit der beginnenden Ebbe, den Hafen zu verlassen und in See zu gehen, nichts in den Weg legen, sondern alle seine Anordnungen sanctioniren. Sollten Sie meinem Wunsche hierin zuwider handeln, so würden Sie zwar in der Sache nichts ändern; denn die Fahrt hätte ihren Fortgang, sich selbst aber würden Sie nur lächerlich machen. Jetzt habe ich weiter nichts mit Ihnen zu thun, als den Wunsch auszusprechen, Sie nicht wieder zu sehen, und Ihnen die Lebensrettung Ernestinen's zu bezahlen. Es wird geschehen, mein Herr, fürstlich geschehen. Ich bin mit meinem Schwiegersohn dahin übereingekommen, daß das Leben meiner Tochter um jeden Preis zu billig erkauft ist, und darum empfangen Sie diese Schenkungsakte. Durch dieselbe ist der Siegfried mit seiner ganzen Ladung und seinem ganzen Inventarium der Ihrige. Schalten Sie darüber nach eignem Gutdünken; vergeuden Sie es in wenig Stunden, oder gründen Sie sich damit eine Stellung in der Welt! Wir sind am Ende!«
Er verließ die Cajüte, aber am Eingange derselben erschien einer der Lehrlinge vom Comptoir.
»Um Gotteswillen, Herr Averdick! Kommen Sie so schnell als möglich nach Hause! Ihre Tochter hat einen krampfhaften Zufall bekommen, wir sind in der äußersten Angst und Bestürzung; der Doktor betrat das Haus, als ich Sie aufzusuchen ging.«
»Ihr Blut komme über dich!« sprach der Kaufmann tief ergriffen, mit einem durchdringenden Blick auf Robert, und eilte fort.
Unaufhaltsam flog er durch die Straßen, nicht ohne Kopfschütteln von den Leuten betrachtet, an denen er ohne Gruß vorüberrannte, und die nicht begreifen konnten, was den reichen Handelsmann bewegen könne am Hochzeitstage seiner Tochter mit verstörtem Gesichte eine so schnelle Promenade durch die Straßen der Stadt vorzunehmen. Rasch betrat er sein Haus, und wandte die Schritte nach dem Zimmer seiner Tochter; aber hier trat ihm der Arzt entgegen und winkte ihm ernst zurück.
Averdick sah dem wohlbekannten Arzt in's Gesicht und sagte:. »Wie ist's? Kennen Sie mich nicht? Ich bin Ernestinens Vater und will zu meinem kranken Kinde!«
»Das darf ich Ihnen jetzt nicht gestatten?« entgegnete der Arzt fest.
»Und weßhalb nicht!« sprach der Vater. »In welchem Zustande kann Ernestine sich befinden, der mir verböte, sie zu sehen? Machen Sie mir sogleich Platz!«
»Halt, Herr!« entgegnete der Arzt. »Ihr Eintritt in dieß Zimmer kann die arme Kranke auf der Stelle tödten; bestehen Sie noch darauf, in dieß Zimmer gehen zu wollen?«
»Ich bleibe; aber erklären Sie mir ...« bat der Vater und warf sich erschöpft in einen Sessel.
»Sie sollen Alles wissen,« antwortete der Arzt und setzte sich ihm zur Seite. »Ihre Tochter hat von ihrer frühesten Jugend an das größte Zutrauen zu mir gehabt; sie hing mit unaussprechlicher Zärtlichkeit an mir, und ich habe es ihr durch die treueste Anhänglichkeit vergolten; ja, ich hatte sogar einst die Schwachheit, ihr zu versprechen, sie gegen Jeden, der ihr ein Leides zufügen wollte, in Schutz zu nehmen, und ihr Hülfe angedeihen zu lassen, wäre es auch gegen den eigenen Vater. Längst hatte ich dieses Versprechen vergessen; da ward ich plötzlich von ihr daran erinnert; sie erklärt mir: daß sie den Mann nicht lieben kann, der ihr aufgedrungen wird; daß ihr Herz bereits für einen Andern schlage; daß dieser Andere der junge Mann sei, der mir diese Botschaft von ihr überbringe, und daß sie mich beschwöre, sie mit ihm zu vereinen. Kaum hatte ich mit dem äußersten Erstaunen diese Botschaft empfangen, als der junge Mann sich an meine Brust wirft und mich anfleht, ihm zu dem Besitz des Mädchens zu verhelfen, ohne die er nicht leben kann. Ich sitze Ihnen gegenüber, ein alter Mann, wie Sie; ich liebe Ernestine, wie Sie, und, – verdammen Sie mich, wenn Sie können, – ich hatte die Schwachheit, ihr meinen Beistand zu versprechen. Ja, Herr, ich versprach es; ich hatte zugleich die Absicht, mein Versprechen zu erfüllen; durch eine vorgeschützte Krankheit wollte ich sie von ihrem Kinde unter jedem Vorwande fern halten, während welcher Zeit Ernestine mit ihrem Geliebten entfliehen sollte. Sehen Sie, mein Herr, diese Sünde wollte ich auf mich laden, wollte einen Vater betrügen helfen, und mein heiliges Amt zum Deckmantel dieser Sünde brauchen. Nun aber hat mir Gott in seinem großen Zorn die Bahn des Verderbens gekreuzt und den sündlichen Scherz zur furchtbaren Wahrheit gemacht!«
Die Blicke des Kaufmanns hingen fest an den Lippen des Arztes; sie wollten jedes Wort erhaschen, das über dieselben trat. Als jener geendet hatte, begann er: »Ist das Ernst oder Scherz, was ich von Ihnen vernehme? Ist meine Tochter wahrhaft krank, oder spielen Sie mir Ihren Scherz mit einer so furchtbaren Wahrheit vor, daß ich darüber die Wirklichkeit vergessen und jenen Bösewichtern Raum zur Flucht geben soll? Antworten Sie!«
»Gott ist über uns,« entgegnete der Arzt, »und in diesem feierlichen Augenblicke gegenwärtig; ihn nehme ich zum Zeugen, daß ich die reinste Wahrheit sprach. Als Ernestine sich bereits zum Abschiede aus dem Vaterhause rüstete, stürzte sie, von den vielen widersprechenden Gefühlen, die sie bestürmten, plötzlich in meine Arme, und rief mit überströmenden Augen: »Wer sagt mir, was ich thun muß? Soll ich der Liebe folgen, oder der Pflicht? In jedem Kampfe bricht mein Herz!« Sie sank ohnmächtig zusammen, ich geleitete sie auf ihr Lager; und als sie wieder zum Bewußtsein erwachte, erleichterte ihr ein Blutstrom die beschwerte Brust.«
Frau Marthe kam in diesem Augenblick aus dem Krankenzimmer geschlichen und meldete, daß die Kranke erwacht sei. Der Arzt folgte ihr sogleich.
Vater Averdick, blieb mit den widersprechendsten Gefühlen in der Brust, zurück. Er ging ernst sinnend auf und ab, und suchte seine Gedanken und Gefühle, die verworren durcheinander stürmten, zu ordnen, aber umsonst; er gewann keine klare Einsicht in das Chaos, das ihn umbraus'te, und erst nach einer geraumen Weile fiel es ihm ein, daß es nöthig sein werde, die auf heute angesagten Feierlichkeiten abzubestellen, und den zahlreich eingeladenen Gästen wissen zu lassen, daß ihre Gegenwart nur störend sei. Obgleich es für den Kaufmann nicht leicht ein betrübteres Geschäft geben konnte; so ergriff er doch mit Hast eine Gelegenheit, die sich ihm darbot, seiner dumpfen Unthätigkeit ein Ende zu machen, und berief deßwegen seine Leute, um ihnen seine Befehle mitzutheilen.
So eben hatte er diese höchst betrübenden Vorkehrungen getroffen, als Herr Siegfried Möller in das Zimmer trat und sich ihm gegenüberstellte.
Auf einen Wink des Kaufmanns entfernte sich die Dienerschaft, und dieser nahm darauf das Wort: »Es hat sich plötzlich vieles verändert,« begann er mit bewegter Stimme, »mein werther Sohn ...«
»Ich muß Ew. Edeln um Entschuldigung bitten,« unterbrach Herr Siegfried Möller den Kaufmann mit eisiger Kälte. »Mich will bedünken, daß eine Benennung dieser Art, nach dem, was heute vorgegangen, wohl füglich nicht wird Statt haben können. Meiner Meinung nach wäre es gut für uns beide, wenn sie niemals Statt gehabt hätte; denn wir ersparten uns beiderseitig einen großen Scandal, der nicht sobald in Vergessenheit gerathen wird.«
»Mein Herr,« sprach Averdick.
»Ich bitte Ew. Edeln, mich ruhig ausreden zu lassen,« fuhr Jener fort. »Ich habe alle Paragraphen des unter uns geschlossenen Vertrages gehalten, und brauche nicht zu erröthen. Der Bruch kommt von Ew. Edeln Seite, und wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar durch ein Kind, das eia Vater stets nach seinem Willen muß lenken können, wenn es ihm in der That beliebt, wahrhaft Herr in seinem Hause zu sein.«
Averdick fühlte sich durch diese Aeußerung tief gekränkt. Er hatte seine Tochter über alles geliebt, und sollte nun um dieser Liebe willen, die ihn mitunter zu einer Schwachheit verleitete, und ihm, in Betreff des Gegenstandes, die Zügel der Herrschaft aus der Hand gewunden hatte, solche bittere Vorwürfe vernehmen, von einem Manne vernehmen, dem er seinen größten Schatz hatte zu eigen geben wollen. Er richtete einen zürnenden Blick auf den stolzen jungen Mann, der sich ihm mit der Miene der Ueberlegenheit gegenüberstellte, und sprach: »Ist es möglich, daß ich mich so sehr irren konnte? Ich muß von Ihnen Vorwürfe vernehmen? Und wären es noch Vorwürfe! Ich muß es dulden, daß Sie mich höhnen? Muß es ungerächt dulden? denn unsere Gesetze haben keine Strafe auf einen Frevel solcher Art gesetzt, und eine Rauferei verbietet mein Alter und mein ehrbarer Stand. Wenn Sie, nach dem unglückseligen Vorfall, nicht mehr darnach trachten, in ein verwandtschaftliches Verhältnis mit mir zu treten, so muß ich das dulden und werde es zu ertragen wissen. Der Gott der Gnade, auf den ich Zeit meines Lebens vertraute, der mich die große Kunst gelehrt, zur Zeit des Glücks nicht übermüthig zu werden, hat mich auch mit Kraft ausgerüstet, um dem auf mich einstürmenden Mißgeschick nicht unterliegen zu müssen. Daß Sie aber sich so weit vergessen, die Hand meiner Tochter mit übermüthigem Hohne zurückzuweisen, und sich so hoch über mich erheben, das kann ich Ihnen nie verzeihen, und alle Väter werden Sie deßhalb verdammen. Jetzt preise ich das Geschick meines Kindes, wie bedauernswerth es auch sein mag; jetzt fällt es plötzlich wie Schuppen von meinen Augen, und ich sehe mit Entsetzen, wie namenlos unglücklich Ernestine an Ihrer Seite hätte sein müssen; denn Sie haben ein leeres Herz.«
»Ich werde Sie ungehindert ausreden lassen,« entgegnete der stolze, junge Mann mit Kälte. »Sie sind im Nachtheil und nehmen Ihre Zuflucht zum Wort, da Sie es mit der That nicht mehr zwingen können. Ich hatte Pläne genug auf diese Verbindung gebaut, und entbehre schmerzlich, da ich sie nicht erfüllt sehen kann; weßhalb soll ich also nicht berechtigt sein, dem Manne, der mir an der Ausführung derselben hinderlich ist, Vorwürfe zu machen? Beklagen Sie sich, so viel Ihnen irgend gefällig ist; ich werde in der That nicht um eine Antwort verlegen sein, denn ich habe das Recht auf meiner Seite. Wenn Sie sich aber erschöpft haben, dann bitte ich, zum Abschlusse kommen zu wollen; denn die Zeit meines Aufenthaltes in Hamburg ist gemessen.«
»Enden Sie, mein Herr, enden Sie!« sprach Averdick mit einer Mischung von Stolz und Schmerz. »Ordnen Sie Alles nach Ihrem Wunsche, nach Ihrer Bequemlichkeit und wenden Sie sich deßhalb an meinen ersten Buchhalter. Ich werde keiner Ihrer Verfügungen in den Weg treten, und bitte nur um dir einzige Gunst, Sie nie mehr sehen, nie mehr etwas von Ihnen hören zu dürfen.«
»Nach Ihrem Belieben!« sprach Herr Siegfried Möller mit einer nachlässigen Verbeugung, und verließ sogleich das Zimmer, um sich zur Regulirung seiner Angelegenheiten in das Comptoir zu begeben.
Vater Averdick sah mit tiefem Schmerze dem Hinausgehenden nach; dann aber preßte er seine Hände krampfhaft gegen die Brust, die von den heftig wogenden Gefühlen zu zersprengen drohte, und eine bittere Thräne rollte von seiner Wange herab. So fand ihn der Arzt, und führte ihn zu seiner Tochter, die sich etwas erholt hatte, und sich darnach sehnte, den Vater um Vergebung für die Sünde zu bitten, die sie hatte begehen wollen. Der bekümmerte und gekränkte Vater begab sich in das Krankenzimmer und setzte sich neben das Ruhebett seiner Tochter, die bei seinem Anblicke tief aufathmete und in eine neue Ohnmacht sank.
*
Der »Siegfried« flog mit einem günstigen Winde stromabwärts und konnte bereits am andern Morgen in die offene See gehen. Der Lootse hatte, unter dem Beistande der beiden Steuerleute, die ganze Fahrt geleitet; Capitain Robert hatte während derselben seine Cajüte nicht verlassen. Die kostbaren Dokumente, die Herr Averdick vor ihm ausgebreitet hatte, lagen noch unbeachtet auf demselben Platz, wohin Jener sie gelegt, und der Stumpfsinn, der sich des jungen Schiffsführers bemächtigt hatte, gab seiner nächsten Umgebung zu den unerfreulichsten Bemerkungen Anlaß.
Als das Schiff sich der rothen Tanne näherte, die an der Mündung des Elbstromes stationirt ist, kam der Lootse in die Cajüte des Capitains und erweckte ihn nur mit Anstrengung aus seiner Betäubung. »Mit Gunst, Herr! Ich habe Euch während der ganzen Reise nicht gestört, aber nun wird es nothwendig. Wir sind an der Elbmündung, und bald wird die Schaluppe des Lootsen-Galiots hier sein, um mich abzuholen. Ich gebe also das Commando des Schiffes in Euere Hände zurück und bitte Euch mir einen Schein auszustellen, daß ich das Fahrzeug ohne Schaden so weit gebracht habe, als es meine Pflicht erheischte. Seid so gut, Herr, und eilt, denn die Zeit drängt.«
Capitain Robert nickte mir dem Kopfe; er schrieb dem Lootsen das verlangte Attest und überreichte es ihm.
Dieser steckte das empfangene Papier, das ihm bei seiner Rückkehr nach Hamburg als Legitimation dienen mußte, sorgfältig in die Brusttasche, und fuhr fort: »Ich wünsche Euch eine glückliche Reise und eine eben so glückliche Wiederkehr, wenn diese früher oder später Gottes Wille ist. Nochmals erinnere ich Euch, im Namen des Herrn Averdick daran, der mir dieß ganz besonders aufgetragen hat, daß es eine eigene Klausel seines Vertrages mit Euch sei, so spät als möglich, wenn es sein kann, niemals nach Hamburg zurückzukehren. Schont den Mann, der so Vieles für Euch gethan, und befolgt seinen Befehl buchstäblich. Euere Papiere, die dort vor Euch liegen, und die einer sorgfältigern Einsicht von Euerer Seite bedürfen, weisen aus, daß Ihr auf Newyork klarirt seid. In Amerika hat schon mancher Deutsche sein Glück gefunden; wie viel mehr wird es Euch zu Theil werden, da Ihr mit so großen Mitteln dorthin gelangt. Faßt frischen Muth, Herr! Und wenn Ihr es auch nicht um Euertwillen thut, so bedenkt, daß Ihr jetzt Gebieter über das Leben Vieler seid, die Eueren Befehlen untergeordnet sind, und die blindlings thun müssen, was ihnen von Euch befohlen wird.«
Er schüttelte dem Capitain treuherzig die Hand und begab sich auf das Verdeck; denn der »Siegfried« befand sich jetzt der Lootsen-Galiot gegenüber und die Segel wurden back gebraßt, damit die Schaluppe, welche den Lootsen abforderte, ungestört anlegen konnte.
Kaum hatte Jener das Schiff verlassen, und die Segel wurden wieder in die frühere Richtung gebracht, als Capitain Robert das Verdeck betrat. Er hatte seinen namenlosen Schmerz gewaltsam zurückgedrängt, um der gebieterischen Nothwendigkeit zu folgen, die jetzt seine ganze Thätigkeit in Anspruch nahm. Mit ernstem festem Tone gab er seine Befehle; mit keinem Laute verrieth er, daß noch ein anderes Gefühl Raum in seiner Brust hatte, als dieß, alle Vorbereitungen zu einer glücklichen Fahrt mit der größten Umsicht zu treffen; seinem Scharfblicke entging nichts: die geringsten Versehen erspähte er in demselben Moment und rügte sie mit hohem Ernst; als aber Alles angeordnet war, und die Mannschaft sich die nöthige Erholung in unbefangenen Gesprächen gönnte, ging Capitain Robert in seine Cajüte, warf sich erschöpft auf sein Lager, und strömte seinen Schmerz in heißen Thränen aus.
Die Wellen des Delaware rauschten unter dem Kiel des »Siegfried« und im Angesichte der neuen Welt ward Robert um so schmerzlicher von dem Kummer unglücklicher Liebe ergriffen, deren Gegenstand jetzt so weit, weit von ihm entfernt war. Aber mit starkem Herzen fügte er sich in das Unvermeidliche; und kaum hatte sich der Anker in die Tiefe gesenkt, als er in die Schaluppe sprang, dem Ufer zuruderte, und sich in den Strudel des Geschäftslebens stürzte, das ihn hier von allen Seiten in kaum geahnter Lebendigkeit umbraus'te.
*
Drei Jahre waren vergangen. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Während derselben schloß sich manches kummervolle Auge, mancher tiefe Schmerz fand Linderung, manche bescheidene Hoffnung die nicht geahnte Erfüllung. Aus dem Staube stieg der entschlossene Emporkömmling auf der Leiter des Ruhmes oder des Zufalls bis zur schwindelnden Höhe empor, und der begünstigte Sohn des Glückes stürzte von einem zerschmetternden Blitzstrahl getroffen, aus der wolkenfreien Höhe in den tiefen Abgrund.
In einer der belebtesten Straßen Newyorks lag das Haus des wohlangesehenen Handelsherrn und Schiffseigenthümers, Herrn Robert, der mit den ihm zu Theil gewordenen Reichthümern den Grund zu einem Geschäfte gelegt hatte, das, begünstigt von einer Reihe von seltenen Zufällen, und mit glücklicher Benutzung der sich darbietenden Conjunkturen geleitet, in dem kurzen Zeitraume von drei Jahren zu dieser Bedeutung herangewachsen war, und seinem Besitzer ein Ansehen verschaffte, das diesen zu den kühnsten Hoffnungen für die Zukunft berechtigte.
Am Schlusse des dritten Jahres, als bereits alle Gehülfen das Comptoir verlassen hatten, saß Herr Robert allein in seinem Arbeitscabinet und überblickte wohlgefällig den Abschluß der Bücher, der sich über alle Erwartung günstig herausstellte: »So werde ich denn nun bald das Ziel erreicht haben, wonach ich mich so lange sehnte, und das Ziel aller meiner Bestrebungen war, seit ich den ersten Fuß in die neue Welt setzte. Bin ich Euch wirklich der Armselige, dem Staube Entkrochene, der seine erbärmliche Herkunft nicht verleugnen kann, und mit gemeinem Sinne nur stets am Gemeinen hängt? Es soll Tag für Euch werden, ich will den Vorhang vor Eueren staunenden Blicken hinwegreißen, und die Hülle des Lichtes soll Euch blenden. Sieh her, stolzer Vater, was aus mir geworden ist, und ob ich nicht ein erwünschter Eidam für deine Tochter bin? Wirst du mich auch jetzt noch mir einem höhnischen Lächeln von deiner Schwelle weisen, wenn ich sie betrete, und mich durch Spott beugen wollen? Und du, Schändlicher, der du einst mit allem Uebergewicht des Millionairs meine Bitte, Ernestinens Glück nicht zu vernichten, verhöhntest, dir will ich ein Schach bieten, worüber die ganze Handelswelt erstaunen soll. Bisher habe ich meine Blicke nur auf das Innere dieses Welttheils gerichtet, nur in seinen Häfen meine Schiffe ankern lassen. Jetzt will ich meine erworbenen Schätze dazu nützen, mein Ansehen im deutschen Vaterlande, wo die vornehmen Patrizier den Sohn des Segelmachers kaum duldeten, zu gründen, und euerm ungemessenen, schrankenlosen Stolze, einen noch ungemessenern, noch schrankenlosern entgegen stellen. So komm denn du stolzes Brautschiff, dessen lustig wehende Flaggen sich einst gleich Trauerwimpeln schnell und unerwartet herabsenkten, komm und breite deinen stolzen Segel aus, damit ein günstiger Wind dich der lange gemiedenen Küste entgegen trage.«
Und voll dieses Gedankens sprang er auf, festentschlossen mit dem Anbruche des nächsten Tages denselben zu verwirklichen, und mit dem nächsten Frühjahre die Ueberfahrt nach Deutschland anzutreten.
*
Eine halbe Meile unterwärts Hamburg liegt auf dem hochragenden holsteinischen Elbufer das freundliche Dörfchen Nienstädten, das dem Schiffer so überaus gastfrei entgegen blickt. Eines der Häuser desselben, das höher wie die andern liegt, beherrscht den ganzen Strom. Es ist keine stolze Villa; die bescheidenen Räume, die es bietet, können nur dem Anspruchlosesten genügen, der fern von dem Gewühle großer Städte mit seinem geretteten Nothpfennig hierher flüchtet, und den Abend seines Lebens in Ruhe hinbringen will. Der Garten, der dasselbe umgibt, hat reichlich tragende Fruchtbäume, und sorgfältig bestellte Beete, die auf eine gesegnete Erndte hoffen lassen, und die fleißigen Bewohner finden nach vollbrachter Arbeit, eine erquickende Ruhe unter den schattenreichen Bäumen, die sich am Ende des Gärtchens, hart am abschlüssigen Elbufer erheben.
Hier saß eines Nachmittags ein ältlicher Mann und schaute nachdenklich auf den Strom, der seine Wellen langsam dahin rollte, und mit den leichten Böten auf seinem Rücken spielte, die in hellen Farben prangend, im Sonnenglanze aufleuchteten. Wenn ein Schiff vorüberzog und seine weißen Segel stolz ausbreitete, dann verfolgte der alte Mann es mit der sichtbarsten Theilnahme; und wenn es hinter den Bergen verschwand, rang sich ein schmerzlicher Seufzer von seiner Brust.
Schon neigte sich die Sonne tiefer dem westlichen Horizonte zu; die Fluth ging nur noch spärlich ein, und der Nordwest nahm allmählich ab; da gewahrte der Alte ein hochragendes Schiff, das um die Ecke von Schulau steuerte, und sich durch die Blankeneser Sande wand. Als es sich aber dem Sitze des alten Mannes gerade gegenüber befand, hatte die Fluth ihr völliges Ende erreicht, der Wind hatte sich gelegt, und das Schiff trieb rückwärts. Da ließ es schnell seinen Anker fallen, und die Segel senkten sich, von flinken Matrosen auf den Raaen befestigt. Der Blick des alten Mannes ruhte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf dem Schiffe; dann fiel er in ein düsteres Sinnen; dann wieder fuhr er, wie aus einem Traume aufgeschreckt, in die Höhe, und sah wieder auf das Schiff, das sich nahe vor ihm auf den Wellen wiegte.
»Wie ist mir?« sprach er vor sich hin. »Täuscht mich mein Auge, das seit längerer Zeit seinen sichern Scharfblick verloren hat, oder ist es Wirklichkeit, was ich vor mir sehe? Nein! es kann nicht sein! Der Unglückselige wird nicht die Verpflichtung, die ich ihm auferlegte, vergessen haben; er wird nicht hierher zurückkehren. – Und doch! Je mehr ich das Schiff betrachte, je gewisser werde ich davon überzeugt, daß es der Siegfried ist, an dessen Bord einst Ernestinen's Brautflaggen wehten. – Sollte er es in Wahrheit wagen? – Und warum nicht? Was kann ich, der arme, schwache, tiefgebeugte Mann ihm thun? Was kann ich ihm befehlen? Er ist begütert, reich; ich habe ihn reich, begütert gemacht; und ich bin arm, verlassen, kaum dem Bankerott entronnen, Besitzer eines Kohlgartens und einer Rente, die mich und mein Kind nothdürftig vor dem Verhungern schützt! Nein! ich kann in dieser Ungewißheit nicht ausharren, ich muß mir Gewißheit verschaffen.«
Er verließ seinen Platz und ging, so rasch als es ihm nur möglich war, dem Hause zu. Bald kehrte er mit einem Fernrohr zurück, und betrachtete nun lange und aufmerksam das Schiff, das ruhig und bewegungslos vor ihm lag. Endlich ließ er ab, und sagte mit einem tiefen Athemzuge: »Ja! er ist es! Es ist der Siegfried! Und wenn mein Auge, das seit dem Erscheinen desselben von Thränen umflort ist, mich nicht täuschte, so sah ich ihn, dessen Namen ich nicht aussprechen mag, dem ich die Rechte, die er auf mein Kind zu haben meinte, mit einem großen Theile meines Reichthums abkaufte. Wie stolz er auf dem Verdeck einherschreitet! O! himmlische Barmherzigkeit, die du mir schon so viele Opfer auferlegtest, muß ich auch noch diesen bittern Kelch leeren?«
Er lehnte sich auf seinen Sitz zurück, sah starr vor sich hin, von tausend sich kreuzenden Gedanken bewältigt, und wehrte den Thränen nicht, die über seine Wangen herabströmten.
Da nahte sich ihm seine Tochter, die unglückliche, bedauernswerthe Ernestine, die das Glück der Liebe nur hatte kennen lernen, um es in dem Augenblicke, da sie den ganzen vollen Werth desselben erkannte, für immer zu verlieren. Man sah es dieser trauernden Gestalt an, daß nie mehr ein Sonnenblick der Freude sie kräftigen würde, und daß nur Liebe zu dem Vater und die gewonnene Ueberzeugung, daß der alte Mann ohne sie ganz verlassen sein würde, sie nothdürftig aufrecht erhielt. Sie nahte sich dem gebeugten Greise, umfaßte ihn mit Zärtlichkeit und fragte mit dem unnachahmlichen Liebreiz, der ihr eigen war: »Mein lieber Vater! wache auf aus deinem dumpfen Brüten; es sind keine freudigen Erinnerungen, die sich deiner Seele bemächtigt haben; ich bitte dich, höre auf zu sinnen und schenke deiner Ernestine ein freundliches Lächeln.« – Averdick horchte der bekannten Stimme, die eine so große Gewalt über ihn hatte; er liebkoste das so innig geliebte Kind und sagte mit verhaltener Rührung: »Bist du da, meine Ernestine? Mein gutes, unglückliches, tugendhaftes Kind! Was willst du? Ich will Alles thun, was du von mir forderst; ich bin dir das schuldig. Was ich dir sonst noch schuldig bin, Reichthum, Ehre und Wohlleben, kann ich dir nicht bezahlen, und du mußt Mitleid und Nachsicht mit dem bösen Schuldner haben. Unterbrich mich nicht, Ernestine, ich weiß, was du mir sagen willst; aber ich weiß auch, was ich sagen muß. Mein Geschäft ging zurück; der Mann, den ich groß gemacht hatte, und dein Herz von mir abwandte, empfing einen nicht geringen Theil deines Eigenthums; denn ich konnte dein Leben nicht zu theuer bezahlen. Nun hätte ich aber dennoch vor aller Welt wie ein geachteter Kaufmann dastehen können, wenn nicht der Mann, dem ich deine Hand zugedacht hatte, jener Undankbare sich zu meinem Nebenbuhler aufgeworfen und die Kenntniß, die er während unsers engen Bündnisses von meinen Geschäften genommen, sich zu Nutz gemacht, und so sich bereichert hätte, indem er mich immer mehr schwächte, und zuletzt dem Sturze nahe brachte.«
»Sie sind noch nicht gestürzt, mein Vater!« sprach Ernestine, ihn liebkosend.
»Nein, mein Kind!« entgegnete der Kaufmann und richtete sich hoch auf. »Die Ehre meines Hauses ist vor der Welt gerettet; es lebt Keiner, der von mir auch nur eines Pfennigs Werth zu fordern hätte; Keiner, den ich nicht mir vollster Befriedigung entlassen hätte. Die Welt kann nicht sagen, daß ich dem Bankerott nahe war; denn sie hat es nicht gefühlt, sie kann nur sagen, daß es eine Grille von mir war, ein so glänzendes Geschäft aufzugeben, und mich hier auf ein Bauergehöft zurückzuziehen. Sagen sie doch, wie ich einmal vernommen, meiner Handelsweise läge ein tiefer Plan zum Grunde: denn während ich hier in scheinbarer Dürftigkeit und völligem Nichtsthun lebe, lasse ich durch geschickte Agenten mein Geschäft mit verstärkten Mitteln in Amerika fortsetzen, und werde mich in meiner vollen Glorie zeigen, sobald es an der Zeit sein werde; denn sie wollen die alte Prophezeihung nicht zu Schanden gemacht wissen, daß es in Hamburg eine Firma Averdick geben soll, so lange noch drei Steine aufeinander stehen.«
Bei diesen Worten streifte sein Auge über den Strom hin, und er erblickte das Schiff, das er für einige Augenblicke aus dem Gedächtnisse verloren hatte. Er klammerte sich zitternd an seine Tochter an, und sprach, auf den Strom hindeutend: »Da liegt das Unglücks-Fahrzeug, von dessen Masten einst die Flaggen wehten, die das frohe Fest deiner Hochzeit bezeichneten; ach! ich hatte mir eingebildet, daß es ein frohes Fest für dich sein würde. Nun ist es zurückgekommen; der Mann, der mir einst mein kostbarstes Juwel stahl, hat es zurückgeführt, vielleicht um, – wer kann die Gedanken der Menschen errathen, und wer ihre Herzen ergründen? – vielleicht um mit meinem Unglücke, das ihm nicht verborgen geblieben sein kann, Spott zu treiben.«
»Nicht doch, Vater!« unterbrach ihn Ernestine hastig. »Wie kommt dieser Gedanke in deine Seele? Nein, einer solchen Bosheit ist Robert nicht fähig. Ich weiß nicht, was ihn bestimmt, nach Deutschland zurückzukommen; aber ich höre eine Stimme, die mir zuflüstert: Robert ist kein Bösewicht.«
»Und was will er hier?« fragte Averdick. »Was ist sein Zweck, seine Absicht? Ich will von den Menschen vergessen sein; sie sollen nicht mehr von mir reden. Nun aber wird sein Erscheinen wieder alle früheren Geschichten aufregen; sie werden ihm erzählen von dem alten Kartoffelkönig in Nienstädten, wie man mich eine Zeit lang nannte; und wenn er dann gar die Dreistigkeit hätte, hierher zu kommen, und sich über uns lustig machte; oder wohl gar, in einer Anwandlung von Großmuth uns ein Almosen zuwerfen wollte, ich würde es nicht überleben.«
»Er wird es nicht!« sprach Ernestine sanft weinend. »Er wird es wahrhaftig nicht! Robert, – du zürnst mir nicht, daß ich den Geliebten meines Herzens, den Retter meines Lebens so nenne, – denkt nicht so klein, wie du gern glauben möchtest. Seit wir hier wohnen, sehe ich täglich die Stelle vor mir, wo er einst freudig sein Leben wagte, um das meinige zu erhalten. Der Mann, der in die Fluthen sprang, einer Unbekannten beizustehen, der von dem ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an sich so herrlich benahm, ist einer solchen Gesinnung nimmer fähig. Ich vertheidige ihn gegen dich, gegen Jeden, der ihn zu schmähen sich erlaubt, mit aller Kraft, die mir zu Gebote steht; ich werde es thun, so lange noch ein Funken Leben in mir ist, und will den Glauben an seine reine Liebe mit in mein stilles Grab nehmen, das mich nur zu bald umfangen wird; denn ich fühle besser, als ein Arzt es mir sagen kann, wie der Tod bereits an meinem gebrochenen Herzen nagt.«
Ernestine! Meine Ernestine!« rief der Alte mit bebenden Lippen und umschlang sein bleiches Kind mit zitternden Armen. »Willst du mein Leben? Nimm es hin, ich will es dir mit Freuden geben; aber von deinem Tode sprich nicht zu mir. Ich fühle es, daß ich Unrecht that; ich will dich ferner durch solche Aeußerungen nicht kränken, ich will es gewiß nicht thun. Was ich etwa dir Mißfälliges denken sollte; denn meine Gedanken kann ich nicht beherrschen, das will ich tief in meiner Brust verschließen, und diesen Gedanken nie Worte leihen. Weine nicht, meine gute Ernestine; wir wollen nicht mehr daran denken, wollen nicht mehr auf den Strom und auf das Schiff hinblicken, das so viele traurige Erinnerungen in uns weckt. Ich fühle mich angegriffen, mein Kind, ich will mein Lager suchen.«
Vater Averdick verließ, von Ernestine geleitet, den Garten, und nicht ohne noch einen schmerzlichen Scheideblick auf den Strom und das Schiff zu werfen, begab er sich in seine Kammer. Ernestine aber kehrte wieder zurück und betrachtete das Schiff, das den Geliebten beherbergte, mit einer Mischung der verschiedensten Gefühle, und vertiefte sich in das Meer der Erinnerungen, das mit Riesenmacht vor ihr auftauchte, und sie von allen Seiten umrauschte.
Zwei Tage später wurde das Stillleben der Kaufmannsfamilie durch ein Ereigniß unterbrochen. Der alte Mann fühlte sich seit der Ankunft des Siegfried unpäßlich, und konnte das Bett nicht verlassen; Ernestine hatte ihm erzählt, daß das Schiff am nächsten Morgen mit der Fluth den Anker gelichtet hätte, und vollends bis an die Stadt gesegelt sei; dann hielt sie still duldend bei dem Kranken aus, und suchte ihn durch freundlichen Zuspruch aufzuheitern, während ihr Herz unter der Last der Gefühlte, die es bestürmten, zu brechen drohte.
Da öffnete sich die Thür des Krankenstübchens, und herein trat Herr Schramm, der vormalige erste Buchhalter des Vaters. Er grüßte seinen verwunderten Prinzipal mit altväterischer Höflichkeit, grüßte respektvoll die Tochter desselben, und setzte sich dann auf einen Stuhl, den Ernestine ihm neben das Bett des Kranken stellte.
Herr Averdick sah den Zeugen seines frühern Glückes erwartungsvoll an. Er war zu sehr von der strengen und unerschütterlichen Ehrlichkeit seines Buchhalters und von dessen Anhänglichkeit an seine Person überzeugt, als daß er hätte glauben sollen, dieser werde ihn, seiner ausdrücklichen Weisung entgegen, nur aus müßiger Neugier besuchen, und erwartete daher mit Recht, daß den alten Mann irgend etwas Außergewöhnliches herführen müsse. Ernestine blieb keine theilnahmlose Zuschauerin dieser Scene.
»Mein Kommen wird Sie in Erstaunen setzen,« sprach Herr Schramm, »und wahrlich, meine Mittheilungen sind wunderbar genug. Ich habe Ihnen Manches zu erzählen, was sich schwer begreifen läßt; ehe es aber geschieht, muß ich Ihnen eine Frage thun, und Sie müssen mir solche frei und offen beantworten.«
»Ich werde antworten, ehrlich antworten!« entgegnete Averdick. »Fragen Sie!«
»Als Sie vor drei Jahren Ihre Handlung aufgaben, und sich in eine selbstgewählte Einsamkeit zurückzogen,« fragte Schramm, »blieben Sie da wirklich diesem gefaßten Vorsatz treu, oder setzten Sie, aus mir unerklärlichen Gründen, an andern Orten Ihre Geschäfte mit großen Mitteln und mit der Keckheit eines Hazardspielers fort, der mit einem Wurfe Alles gewinnen aber auch Alles verlieren kann?«
»Ich weiß nicht, weßhalb Sie eine solche Frage an mich thun,« antwortete Averdick, »da Sie aber bloß meine schlichte Antwort wollen, so betheuere ich Ihnen, daß ich von dem Tage an, da ich mein Comptoir verließ, und hierher zog, auch nicht das kleinste Geschäft mehr gemacht habe. Jetzt reden Sie.«
»Nun denn, so weiß ich nicht, was ich denken soll,« sprach der Buchhalter. »Auch ich lebe seit der Auflösung Ihres Hauses in bescheidener Zurückgezogenheit von meinem Ersparten; aber öfter treibt mich doch der Thätigkeitstrieb unter Menschen. Nun hörte ich zwar oft Gerüchte mancherlei Art, die die Firma Averdick in Amerika wieder aufstehen ließen; aber ich gab nichts darauf, weil es mir gar zu sonderbar erschien. Später hörte ich ein Gleiches von Leuten erzählen, die ein müßiges Geschwätz durchaus nicht lieben, und hier und da wollte sogar Einer in direkte Verbindung mit dem neuen Hause in Amerika getreten sein. So seltsam dieß nun auch war, habe ich doch nie recht daran geglaubt, und Ihnen davon eine Mitteilung machen mögen. Aber jetzt ...«
»Nun?« unterbrach Averdick den Erzählenden lebhaft, und das Erscheinen des »Siegfried« auf der Elbe fuhr durch seinen Sinn. »Was werde ich hören müssen? Was ist neuerdings geschehen, wodurch jene albernen Mährchen an Wahrscheinlichkeit gewinnen?«
»Ihr Schiff ›Siegfried‹ ist an die Stadt gekommen, und der Capitain, dem Sie es einst vertrauten, führt es noch. Er behauptet, nach wie vor in Ihrem Solde zu stehen, und nur für Ihre Rechnung Geschäfte zu machen. Er kann nicht genug Rühmliches von Ihrem Newyorker Hause reden, und, in der That, wenn seine Aussagen auf Wahrheit beruhen, so übertrifft Ihr jetziger Reichthum Ihren frühern bei weitem. Der Capitain muß übrigens, so wie das Haus, das ihn absendete, und das nun durchaus das Ihrige sein soll, einen mächtigen kaufmännischen Scharfblick besitzen; denn der ›Siegfried‹ ist nur mit solchen Waaren beladen, die hier seit längerer Zeit am Platze fehlen und deßhalb sehr gesucht sind. Der Capitain verkauft seine Güter mit ungeheuern Avancen und der Verdienst dieser einzigen Reise beträgt allein schon ein bedeutendes Kapital.«
»Ernestine!« sprach Averdick schwach, »reiche mir deine Hand. Fühle, wie mein Puls jagt, wie meine Stirn brennt. Bleibe bei mir, mein Kind; denn ich fürchte mich, als ob ich von Hexerei und Zauberspuk umgeben wäre. Schramm! haben Sie mir auch die reine Wahrheit gesagt?«
»Ich betheuere Ihnen vor Gott, und bei meiner Hoffnung auf ein seliges Ende, daß ich auch nicht ein Wort erfunden habe; sondern daß Alles die reinste Wahrheit ist. Wäre ich an Ew. Edeln Statt, ich begäbe mich selbst nach Hamburg, um an Ort und Stelle die geeigneten Erkundigungen einzuziehen. Mir und Andern würde Capitain Robert nicht Rede stehen; aber Ihnen dürfte er doch nichts geheim halten.«
»Nun denn, es sei,« sprach der Kaufmann nach einer Pause. »Ich will den sauersten Schritt thun, und mich nach dem Orte zurückbegeben, wo ich mich den größten Wechselfällen des Geschicks beugen mußte. Gott wird mir Muth und Kraft geben, auch dieß zu überstehen. Ich will, sobald ich wieder hergestellt bin, Sie in Ihrer Wohnung aufsuchen, und dann, gemeinschaftlich mit Ihnen, die nöthigen Erkundigungen einziehen. Arbeiten Sie unterdessen vor, so viel Sie nur irgend können. Leben Sie wohl, wir werden uns bald wieder sehen.«
*
In der Mitte des reichbelebten Hafens der alten Stadt Hamburg lag nahe am Westergat der Dreimaster »Siegfried,« unfern von derselben Stelle, die er einst an jenem verhängnißvollen Tage als Brautschiff eingenommen hatte. Gedanken und Empfindungen der verschiedensten Art bestürmten die Brust des Capitains, der auf der Galerie des Quarterdecks seinen Sitz eingenommen hatte, während die Mannschaft sich eifrig mit dem Löschen der Ladung beschäftigte. Da kletterte ein Mackler, Namens Heils, den Fallreep hinan, und begab sich, nachdem er sich mit der Mannschaft durch einiges Kopfnicken abgefunden hatte, geradesweges nach dem Quarterdeck. Hier händigte er dem Capitain einige Papiere ein, gleichsam als gültige Beweise, daß er die ihm übertragenen Geschäfte zur vollen Zufriedenheit beendigt habe.
»Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Herr Heils,« sprach der Capitain, »und werde mit der Courtage nicht knickern.«
Der kleine bewegliche Börsen-Appendix verbeugte sich mehrere Male rasch hintereinander, und ergriff das Wort mit großer Hast; denn er hatte die Wollust der Rede lange entbehrt: »Hat nichts zu bedeuten, mein werther Herr; steht bei Ihnen Alles in guten Händen. Wenn ich nur Geschäfte machen kann, bin ich in meinem Element, und frage nicht lange: weßhalb? warum? wofür und weßwegen? sondern ich führe sie aus, genau, wie sie mir aufgetragen werden. Nicht alle Leute sind so, und in der Stadt gibt es welche, denen die Geschäfte des Averdick'schen Hauses vieles Kopfbrechen verursachen. Mir geschieht das nicht, ich bleibe ganz gleichgültig, obgleich jene Leute im Grunde ganz recht haben; denn es bleibt doch unerklärlich ...«
»Was, mein Herr! Was?« unterbrach Capitain Robert den Schwätzer mit finsterer Miene
»Nun, werthester Herr Capitain,« sprach der Mackler kleinlaut, »wir meinen Alle nur, daß es doch ein seltsames Ding mit dem Fortbestehen der Averdick'schen Firma ist. Erst spurlos verschwunden, dann wieder unerwartet auftauchen, und bedeutender, mächtiger, als früher. Unbegreiflich.«
»Hier ist nichts Unbegreifliches, als die Bornirtheit müßiger Schwätzer!« rief der Capitain mit Stirnrunzeln. »Es ist Alles in der besten Ordnung gegangen, und ein freier Mann hat das vollste Recht, sein Geschäft an einem Orte aufzugeben, um es an einem andern, der ihm besser gefällt, wieder zu eröffnen. In diesem Falle befindet sich Herr Averdick, das springt, meines Bedünkens, klar in die Augen. Und nun genug dieser Albernheiten, wenn Ihnen an meiner Kundschaft noch irgend etwas gelegen ist.«
»Verehrtester Herr Capitain,« begann der Mackler kleinlaut, ließ sich aber doch gleich darauf wieder von seiner Schwatzhaftigkeit hinreißen, »geben Sie mich ja nicht auf; Sie sind ein seltener Mann, der einem armen Familienvater auch einen kleinen Verdienst gönnt. Ich will mich nicht mehr wundern, finde das, was Sie sagen, ganz natürlich; mehr können Sie nicht verlangen, mehr nicht fordern. Was ich in der Stille denke, das behalte ich für mich. Aber wenn Sie auch in dieser ganzen Angelegenheit nichts als Natürlichkeit finden wollen, so gibt es doch noch andere Wunder in der Welt, die Sie mir nicht wegdisputiren werden. Heute, mein Herr, heute spricht schon kein Mensch mehr von Ihren und Herrn Averdick's Angelegenheiten; denn etwas Neues, etwas noch Unerhörtes ist geschehen.«
»Verschonen Sie mich mit Ihren Stadtklätschereien!« sprach Capitain Robert, kurz abbrechend.
»Nein, Capitain!« sprudelte der Mackler heraus, »ich kann nicht schweigen, und wenn es an Kopf und Kragen ginge. Es stößt mir das Herz ab, wenn Sie die Neuigkeit nicht erfahren, wenn Sie sie nicht durch mich erfahren.«
»Habt Ihr schon wieder einen Bankrott ausgewittert?« fragte Robert finster. »Ist schon wieder der Name eines ehrlichen Mannes daran, das Opfer Euerer Verläumdung zu werden?«
»Nichts Verläumdung, Herr!« schrie der Mackler im höchsten Eifer. »Wahrheit! reine, unverfälschte Wahrheit! Ein mächtiges Bremer Haus steht nahe am Bankrott! Siegfried Möller, der vormals designirte Schwiegersohn des Herrn Averdick fallirt, muß falliren binnen hier und wenigen Tagen, wenn Gott kein Wunder thut.«
Ein Strahl der Freude leuchtete aus den Augen des Capitains: »Wiederholen Sie mir dieß noch einmal! Siegfried Möller muß falliren. Verschweigen Sie mir nichts, nicht den geringsten Nebenumstand! Sprechen Sie deutlich, lieber, liebster Herr Heils.«
Nun war der kleine Mackler in seinem Element. Er begann eine lange Erzählung, deren Hauptinhalt war, daß Siegfried Möller bald nach seiner Trennung von Herrn Averdick mehrere empfindliche Stöße erlitten habe; daß er sich darauf dem amerikanischen Handel zugewendet, um durch einige kühne Unternehmungen, das Verlorne wieder zu gewinnen. Aber hier sei er erst dem Verderben in die offenen Arme gelaufen; denn was er auch begonnen habe, immer sei ihm ein Anderer, der von seinen Projekten genau unterrichtet gewesen sein müsse, zuvorgekommen, und wenn er gedacht, er werde eine ergibige Ernte halten, sei ihm nur das leere Nachsehen geblieben. »Er hat starke Zahlungen zu machen,« schloß Jener, das weiß man gewiß, und Geld ist nicht in Cassa. Wenn er keinen Aufschub erlangen kann, ist er herum; denn es sind schwere Wechsel im Anzuge.«
Der kleine Mackler hielt inne; denn er wollte erst erfahren, ob seine Erzählung auch willkommen fei; als er aber sah, daß Capitain Robert ruhig blieb, ja daß sogar dieser ein gewisses Wohlbehagen an der Mittheilung des Kleinen zu finden schien, fuhr dieser fort: »Das ist aber auch dem hochmüthigen Thoren ganz recht. Die ganze Börse gönnt es ihm, daß er nun so klein wird, wie ein Gewürzkrämer in den Vorstädten. Was hat er nicht für eine Rolle gespielt! wenn er einmal von Bremen hierher kam! und wie unverantwortlich hat er nicht an dem guten braven Herrn Averdick und dessen Jungfer Tochter gehandelt. So etwas trägt seine Früchte; so etwas wird von Oben herab bestraft, so etwas ...«
»Es ist gut so!« unterbrach Capitain Robert den Schwätzer, indem er sich von seinem Sitze erhob. »Gehen Sie nur wieder an Ihre Geschäfte, und tröste Gott jedes rechtliche Menschenkind, dessen guter Leumund in Ihre und Ihresgleichen Hände fällt.«
Der Mackler zog sich kleinlaut zurück, Capitain Robert blieb allein. Er versank in Nachdenken; aber aus den einzelnen Reden, die er von Zeit zu Zeit vor sich hin murmelte, konnte man sehr leicht den Zustand seines Innern ermessen.
»So ist denn nun das Ziel erreicht! – Ihr, die ihr mich so tief demüthigtet, sollt euch vor mir beugen! Alle sollt ihr es, ich will euch beherrschen! – Und du, geliebte Ernestine, sollst glücklich werden, durch mich glücklich werden. – Aber jener Hochmüthige, der sich so stolz über mich erhob, der mich zertreten wollte, gleich einem Wurm, und an der Heiligen, die ich anbetete, zum Frevler ward, er soll büßen! – Alle sollen den Versöhnungskuß von mir empfangen, nur er nicht; Alle sollen aufgenommen werden in das Bündniß des Friedens, nur er nicht; Alle sollen frohe und glückliche Tage sehen, nur er nicht! Ihn will ich quälen bis auf's Blut, und ihn dann, wenn er genug geängstigt wurde, vor allem Volke von der Höhe herabschleudern in den Abgrund der Verdammniß!« Er streckte bei diesen Worten die Hand unwillkührlich zum Himmel, als wollte er sein Gelübde durch einen Schwur bekräftigen, und begab sich dann in seine Kajüte.
*
Herr Averdick war nicht sobald hergestellt, als er sich auf den Weg zur Stadt machte, und Herrn Schramm, seinen Buchhalter, aufsuchte. Schon auf dem Wege dahin begegnete der Kaufmann vielen bekannten Gesichtern, denen er gerne ausgewichen wäre, wenn es sich nur irgend hätte thun lassen; denn er fürchtete, es möchte ihn Einer oder der Andere anreden, und ihn nach Dingen fragen, die er, unvorbereitet, wie er war, nicht beantworten konnte. Dahin kam es indessen nicht, sondern man begnügte sich damit, ihn ehrerbietig zu grüßen; ja es hatte den Anschein, als ob man jetzt noch größern Respect für ihn hege, als früher. In der größten Spannung kam dieser in der Wohnung des Herrn Schramm an, und bestürmte ihn sogleich mit tausend Fragen.
»Es ist Alles so, wie ich es Ihnen gesagt habe,« antwortete dieser. »Ihr Schiff, der »Siegfried,« liegt in dem hiesigen Hafen, Commandeur desselben ist der von Ihnen selbst installirte Capitain Robert, der zugleich die Geschäfte des Supercargo mit einer seltenen Umsicht betreibt. Die Papiere des Schiffs lauten auf das Haus Averdick, einst in Hamburg, jetzt in Newyork, als Eigenthümer desselben. Die Ladung, die er brachte, ist gleichfalls durchweg das Eigenthum des gedachten Hauses, und an der Börse ein gesuchter Artikel, da sie nur aus Gegenständen besteht, woran der hiesige Platz zur Zeit Mangel leider; es werden große Summen daran verdient. Alle Geschäftsabschlüsse werden in Ihrem Namen vorgenommen.«
»Wie soll ich mir dieß Räthsel erklären?« sprach Averdick nachsinnend. »Was will dieser Robert, daß er sich mir auf diese Weise gegenüber stellt? Ich muß Aufklärung haben, es entstehe daraus, was nur immer wolle. Begleiten Sie mich an die Börse!«
Averdick betrat mit seinem Buchhalter den innern Raum der Börse. Er glaubte, die Kniee müßten unter ihm zusammenbrechen, als er sich an dem Orte sah, der ihn einst so groß und mächtig gekannt hatte. Aber als waltete nicht der geringste Unterschied zwischen Jetzt und Damals ob, wich man ihm von allen Seiten aus, begrüßte ihn mit allen Zeichen achtungsvoller Freundschaft oder demüthiger Unterwerfung, und versicherte ihm mit Händedrücken und Verbeugungen, wie sehr man sich freue, ihn endlich wieder an der gewohnten Stätte des Ruhmes zu sehen, die namentlich ihm einen so ausgebreiteten Ruf verdanke.
Von mehreren Seiten kamen alte Bekannte, begrüßten ihn mit unverstellter Freude, boten ihm ihre Dienste an, und priesen seine kaufmännische Klugheit, die ein wahrhaftes merkantilisches Meisterstück zu Tage gefördert hatte. Der alte Mann war in nicht geringer Verlegenheit, da er nur von den Thatsachen, aber nicht von den Motiven unterrichtet war; er erging sich deßwegen nur in einigen allgemeinen Redensarten, und erwähnte flüchtig des Capitain Robert.
Er hatte kaum den Namen desselben genannt, als man abermals Gelegenheit nahm, seine Klugheit zu preisen. Niemals, hieß es, hätte er einen weisern, verständigern Mann zu seinem Geschäftsführer erlesen können, wie die glänzenden Resultate bewiesen, die dieser zu Tage gefördert; und wenn irgend einer von ihnen in den Fall käme, die Leitung eines Theils seiner Geschäfte in fremde Hände zu geben, so möge es stets ein Mann wie Capitain Robert sein. Es wäre gewiß noch eine Zeitlang in ähnlicher Weise fortgegangen, wenn nicht in diesem Augenblicke der Vielgepriesene erschienen wäre, und der Fluth der Lobsprüche dadurch einen Damm entgegengesetzt hätte.
Man machte dem Näherkommenden sogleich Platz, so daß dieser ungehindert zu seinem Prinzipal gelangen konnte; dann aber schloß man einen Kreis um sie und horchte aufmerksam, um nur kein Wort von der Unterhaltung zu verlieren, die sich jetzt entspinnen mußte.
Der alle Averdick machte unwillkührlich eine Bewegung des Erstaunens, als er sich seinem ehemaligen Capitain gegenüber sah. Er richtete einen fragenden Blick auf ihn, ohne den ehrfurchtsvollen Gruß desselben zu erwiedern, und stützte sich auf die Schulter seines treuen Begleiters.
»Ich preise mich glücklich,« sprach der Capitain, »in einem Augenblicke vor Ew. Edeln zu erscheinen, der mir Gelegenheit gibt, Ihnen die angenehme Nachricht zu überbringen. Die mir von Ihnen auf eine so ehrenvolle Weise übertragenen Geschäfte sind vor einer Stunde völlig beendigt, und Ew. Edeln dürfen nur befehlen, wie die großen Fonds, die sich jetzt noch in meinen Händen befinden, zu verwenden sind, und wohin der ›Siegfried‹ seinen Lauf zu dirigiren hat.«
»Welcher Art auch die Aufträge gewesen sein mögen, die Sie von mir empfangen haben wollen,« begann der Kaufmann, – aber der Capitain unterbrach ihn rasch und fuhr fort:
»Diese Aufträge sind von mir gewissenhaft aufgefaßt und ausgeführt, und ich bin zu jeder Minute bereit, darüber die strengste Rechenschaft abzulegen. Es ist dazu Alles vorbereitet, und wenn Ew. Edeln die Güte haben wollen, mich zu begleiten, werden Sie in wenigen Augenblicken klar sehen.« Er nahm den Arm des Kaufmanns und führte ihn aus dem Gedränge der Börse in einen nahe gelegenen Gasthof, woselbst er seine Wohnung genommen hatte.
Kaum befanden sie sich ohne Zeugen in einem Zimmer des Gasthofes, als der alte Averdick mit fester Stimme sprach: »Nun, mein Herr, werde ich endlich erfahren, was alle diese Seltsamkeiten bedeuten, und wohin sie führen sollen? Welche Geschäfte habe ich Ihnen aufgetragen, und welche Bewandtniß hat es mir dem großen Handelsgeschäft, das unter meiner Firma in Newyork eröffnet worden ist? Geben Sie mir eine runde, nette Antwort; denn ich bin nicht Willens, mich länger von Ihnen am Narrenseile herumführen zu lassen.«
»Hätten Sie,« erwiderte Robert nicht ohne Bitterkeit, »während der Tage Ihres Glanzes einen edlern Begriff von Liebe und Dankbarkeit gehabt, Sie würden mir unmöglich solche Frage vorlegen. Haben Sie vergessen, mit welchen zarten Banden ich mit Ernestinen verbunden war? Haben Sie vergessen, daß wir uns unwandelbare Liebe und Treue gelobten, und daß wahre Liebe von Tag zu Tag sich mit immer stärkern Banden an den Gegenstand seiner Neigung gefesselt fühlt? Sie freilich dachten nicht so; Sie stießen mich von sich gleich einem Aussätzigen, und weil ich Ihnen doch durch die Rettung Ihres Kindes einen Dienst erwiesen hatte, so suchten Sie mich mit einer so guten Manier als möglich los zu werden.«
»Nichts mehr von dieser Rettung!« sprach Averdick aufgeregt. »Ich habe sie dir bezahlt, wir sind quitt.«
Robert's Auge ruhte mit Wehmuth auf dem Alten. »Ja, mein Herr, Sie haben mich bezahlt, Sie glauben es wenigstens. Aber wie eine allwaltende Vorsehung jede unüberlegte und widerrechtliche Handlung straft, so auch bei Ihnen, als Sie mir einen Dienst der Menschlichkeit abkaufen wollten. Es geschah in einem Augenblick der Leidenschaftlichkeit, der Aufregung. Wo war Ihre Weisheit, als Sie einen Mann, der Ihnen so innig ergeben war, von sich stießen, und ihn hinausjagten in die Welt? Und dann das Geschenk, das Sie in meine Hände legten? Es war das Werk des aufwallenden Zorns, des ungemessensten, schrankenlosesten Stolzes! Es betrug einen wesentlichen Theil Ihres Vermögens, der bei den damaligen Conjunkturen, bei nur einigermaßen verständiger Anwendung zu Millionen anwachsen mußte. Was dachten Sie, Herr Averdick, als Sie, nur um sich Ihrem Feinde als großmüthigen Gegner zu zeigen, mir diese Summe hinschleuderten?«
Averdick schlug die Augen zu Boden, er hatte nicht den Muth, Robert in's Gesicht zu schauen; das Gewicht seiner Schuld lastete schwer auf ihm.
»Sehen Sie mich freundlich an, Herr Averdick!« nahm Robert nach einer Pause das Wort. »Ich bin nicht Ihr Gegner, wie Sie wähnen; ich bin Ihnen, um Ernestinens willen, mit Sohnestreue zugethan und habe in diesem Sinne gehandelt. In den ersten Augenblicken des Zornes freilich, als ich von Ihnen auf eine so schmähliche Weise aus meinem Vaterlande hinweggewiesen wurde, hätte ich Sie vor meinen Augen untergehen sehen können, und welcher Mensch an meiner Stelle hätte nicht eine ähnliche Empfindung gehabt? Aber bald siegte die bessere Kraft in mir; und als ich mich allein mit meinem gebrochenen Herzen mitten in der See befand, schwur ich, mich auf eine edle Weise an meinem Gegner zu rächen. Ich habe meinen Schwur gelöst. Meine erste freie That war, die Vernichtung der Schenkungsacte; sie geschah in Gegenwart der Schiffsofficiere. Von nun an war ich wieder Ihr Capitain, und da ich keine weiteren Instructionen vorfand, als die, nach Newyork zu segeln, so mußte ich nach eigner Einsicht handeln. Kaum hatte ich die mir anvertraute Ladung zu hohen Preisen verkauft und große Summen erworben; kaum hatte ich diese zu neuen glänzenden Unternehmungen in Ihrem Namen verwendet, als ich von Europa aus die Nachricht erhielt, Sie hätten Ihr Comptoir geschlossen. Diese Neuigkeit machte lebhafte Sensation an der Börse von Newyork; die neuen Unternehmungen waren noch zu keinem Endresultat gediehen, ein plötzliches Mißtrauen konnte Alles zu Schanden machen. Da galt es einen kühnen Entschluß. »Ja!« rief ich, den auf mich einstürmenden Fragern entgegen, »ja, das Geschäft der Averdick's ist in Hamburg aufgehoben; aber nur, um es hier wieder zu eröffnen. Bald wird er hier landen, und mich hat er einstweilen vorausgesendet, um ihm die Stätte zu bereiten.« Man nahm Anstand mir zu glauben, doch wagte man auch nicht offenen Widerspruch; zwei Tage darauf waren alle meine neuen Unternehmungen glücklich beendigt und mein Kapital verdreifacht.«
Averdick sah seinen Geschäftsführer an; dieser fuhr fort: »Von dieser Stunde an war das Glück mir treu und hat mich nicht einen Augenblick verlassen. Ihre Firma blühte zu einem nie geahnten Glanz empor. Die müßige Neugier war bald abgefunden; eine bedenkliche Krankheit hätte Sie ergriffen, hieß es, zwar wären Sie genesen, dürften aber noch immer die Reise über See nicht wagen. Zuletzt fragte Niemand mehr; man hatte volles Zutrauen zu mir; ich war der dirigirende Chef Ihres Hauses. Alles ist wohlbestellt, und während ich hierher eilte, blieb ein Mann von erprobter Treue an der Spitze des Geschäftes zurück. Ich war niemals ein Mann von niederer Denkungsart; die drei Jahre, welche ich in der neuen Welt zubrachte, haben mich wahrlich nicht verschlechtert. Darf ich nun hoffen, endlich von Ihnen mit freundlichern Blicken angesehen zu werden?«
Averdick war zu tief bewegt, er vermochte nicht zu sprechen; er reichte seinem Capitain die Hand und drückte sie herzlich, indem er sein Gesicht an der Brust des ehrlichen Buchhalters verbarg, damit man seine Thränen nicht sehen sollte.«
Alle drei waren bewegt; Keiner sprach ein Wort.
Erst nach und nach sammelten sich die Gemüther. »Lebensretter meines Kindes!« begann der alte Averdick, »du hast dich edel gerächt; ich schäme mich nicht, es dir zu bekennen, daß ich dich hoch über mir sehe, und zu gestehen, daß ich, in gleicher Lage, nicht so gehandelt haben würde. Jetzt, mein Sohn, ist es mir ein Trost, eine Freude, dir sagen zu können, daß Ernestine dir noch immer treu gesinnt ist, und dir ihre ganze Liebe bewahrt hat. Zwar wirst du umsonst die frischblühende Jungfrau in ihr zu finden hoffen; Kummer und Sorgen haben ihre Wangen gebleicht, und der Gram hat ihr Herz gebrochen. Aber es wird dir doch lieb sein, sie zu sehen, zu begrüßen und dich freuen, daß sie nicht die Beute ihres frühern Bräutigams geworden ist, an dessen Seite sie vielleicht längst dem Tode verfallen wäre.«
»Reden Sie nicht von jenem Herzlosen, mein Vater!« unterbrach ihn Robert. »Auch ihn erwartet die entscheidende Stunde. Der freche Uebermuth, der im mächtigen Stolze sich vermaß, die halbe europäische Handelswelt an seinen Triumphwagen zu spannen, wird von seiner Höhe herabstürzen, ehe Ihr es denkt. Wir sind jetzt am Ziel unserer Unterhaltung; noch fesselt mich ein wichtiges Geschäft; kehren Sie einstweilen nach Hause zurück, bringen Sie Ernestinen meine Grüße, meine Hoffnungen und die Versicherungen meiner unwandelbaren Liebe. Sobald ich mein wichtiges Tagewerk beendigt habe, suche ich Sie in Ihrer Behausung auf.«
Man trennte sich. Averdick begab sich mit seinem treuen Schramm nach Nienstädten hinaus; Robert kehrte an Bord seines Schiffes zurück. Kaum hatte er sich in seine Cajüte begeben, als man ihm einen Herrn meldete, der ihn zu sprechen wünschte. Capitain Robert gab Befehl, ihn hinunter zu führen, und seine Unterhaltung mit dem Fremden nicht zu stören.
Dieser erschien. Es war Herr Siegfried Möller, der mächtige Handelsmann aus Bremen, der sich so weit herabließ, einen Kauffahrtheicapitain am Bord seines Schiffes aufzusuchen.
Anscheinend überrascht trat ihm Robert entgegen. »Darf ich fragen, mein Herr, wie ich zu der Ehre Ihres Besuches komme? Sie vergessen Ihre Stellung wahrlich zu sehr, indem Sie sich herablassen ...«
Möller unterbrach ihn: »Ich habe nothwendig mit Ihnen zu sprechen, und suchte Sie deßhalb in Ihrem Gasthofe auf; dort erfuhr ich, daß Sie sich am Bord Ihres Schiffes befänden ...«
»Und jetzt kommen Sie, mich dort aufzusuchen? Ich erkenne diese Aufmerksamkeit, wie ich soll, und brenne vor Begierde, zu erfahren, was Sie mir mitzutheilen haben. So viel ich mich erinnere, hatte ich erst ein Mal in meinem Leben das Glück, mich mit Ihnen zu unterhalten. Ich bat Sie damals, ein großes Unglück zu verhüten und die alte, tausend Mal dagewesene Geschichte vom gebrochenen Herzen nicht zu widerholen; aber leider fand meine Bitte kein geneigtes Ohr.«
Möller wechselte die Farbe: »Bei dem, was ich Ihnen mitzutheilen habe, und von Ihnen verlangen will, müssen Sie sich der Vergangenheit nicht erinnern, sonst fürchte ich, mein Spiel zu verlieren. Sie müssen nur des gegenwärtigen Augenblicks gedenken. Ich trete Ihnen freimüthig gegenüber ...«
»Diese Herablassung weiß ich zu schätzen. Sie sind Bremens erster Handelsmann ...«
»Nicht mehr! feindlich stand mir seit lange schon das Glück entgegen, alle meine Unternehmungen schlugen fehl; wie rastlos ich arbeitete, es war umsonst; wie schnell ich auch zu eilen vermeinte, ich kam zu spät; und wenn nicht schleunig ein unverhofftes Ereignis eintritt, wodurch ich mich vom Untergange retten kann, bin ich in drei Tagen bankerott.«
»Sir scherzen! Wir sollte das zugehen? Sie dürfen ja nur mit den Augen winken und Millionen stehen Ihnen zu Gebote.«
»Heute nicht mehr! Mein Credit begann bereits zu wanken; man betrachtet mich mit Mißtrauen; darum ist schnelle Hülfe noth, oder ich bin verloren.«
»Und an mich richten Sie dieß Gesuch? An einen armen Schiffscapitain? Ja, jetzt glaube ich an den Untergang Ihres Glücksterns, da Sie so sehr irren konnten.«
»Weg mit der Maske, mein Herr!« rief der Kaufmann erregt. »Ich habe Sie durchschaut. Alle Ihre Machinationen liegen am Tage. Sie sind der Retter, der Schützer der Firma Averdick! Sie haben in der Meinung des Pöbels die ganze Stadt Hamburg vom Untergange gerettet; weil man sich vor diesem einbildete, die Stadt ginge mit der Firma Averdick zu Grunde. Abgeschmackte, tolle Einbildung! Aber der große Haufe glaubt nun einmal daran, darum sind Sie sein Abgott und jetzt gewissermaßen allmächtig!«
»Das Alles wissen Sie?« fragte Robert verwundert.
»Ich weiß noch mehr als das!« fuhr Jener immer eifriger fort. »Ich weiß, daß Sie sich stets genaue Kenntniß von meinen Unternehmungen zu verschaffen wußten, und wenn ich die Ausführung derselben begann, waren Sie mir zuvorgekommen. Wie ein böser Dämon schlichen Sie ungesehen vor mir auf; unbefangen und ungewarnt fiel ich jedes Mal in Ihre Netze. So haben Sie mich geschwächt und endlich dem Verderben in die Arme geschleudert.«
»Warum sehen Sie sich nicht besser vor?« entgegnete Robert mit schneidendem Spotte. »Warum hatten Sie Leute in Ihrem Comptoir, die sich ihren Gehalt von mir verdoppeln ließen und mir dafür meldeten, was sich selbst Unscheinbares in Ihrer Nähe begab. Pfui, mein Herr, ein Kaufmann, der auf dem Gipfel des Glückes steht, muß nicht knickern. Hätten Sie Ihrem Buchhalter jährlich ein paar hundert Thaler mehr hingeworfen, hätte er Ihre Geheimnisse besser aufbewahrt.«
»Ha! Meine Ahnung!« rief Möller außer sich; »aber ich werde mich rächen! Er soll meinem Zorne nicht entgehn!«
»Beruhigen Sie sich, mein Herr!« sprach Robert langsam. »Der Mann, von dem Sie sprachen, hat sich Ihrem Zorne bereits entzogen; er ist auf dem Wege nach Amerika.«
»Und ich empfange keine Genugthuung?« rief Jener zähneknirschend.
»Doch, mein Herr!« sprach Robert. »Jener Mensch, der jetzt vor Ihrem Zorne flieht, war ein Bösewicht; er besaß Ihr unumschränktes Vertrauen, und mußte Ihnen blind ergeben sein; er that es nicht und fällt der allgemeinen Verachtung anheim. Ich habe ihn benutzt, so lange ich ihn brauchen konnte, das ist Weltlauf; jetzt brauche ich ihn nicht mehr, und lasse ihn fallen.«
»Was gewinne ich, wenn Sie einen Verräther mit der ihm gebührenden Verachtung strafen?« fragte Möller.
»Jeder von uns erhält mit dem Maße gemessen, womit er vorher selbst den Leuten zumaß!« sprach Robert trocken. »Das ist der Lauf der ewigen Gerechtigkeit! Sie haben Ernestinens, Sie haben mein Lebensglück gestört; wollen Sie dafür auf Rosen gebettet sein? Jede That, auf Erden gethan, findet auch hier ihren Richter!«
»Und sind Sie der von Gott mir gestellte Richter?« fragte Möller. »Habe ich aus Ihrer Hand Lohn und Strafe zu empfangen? Vermessen Sie sich nicht in Ihrem Glücke; Hochmuth ist ein schadenfroher Feind, der uns hinterrücks anfällt, und uns von dem schroffen Gipfel unbarmherzig in den Abgrund schleudert.«
»Herrlich! Herrlich!« rief Robert. »Diese Sentenz von Ihnen hat einen unbezahlbaren Werth; Sie haben die Wahrheit derselben theoretisch und praktisch erkannt. Aber, meine Zeit ist gemessen; ich kann meine Geschäftsstunden nicht der bloßen Unterhaltung widmen, so lehrreich diese auch in gewisser Beziehung für mich ist. Kurz denn, mein Herr, was führt Sie zu mir?«
»Sie haben meinen ganzen Wohlstand untergraben,« sprach Möller. »Meinen Credit haben Sie vernichtet, den Ruhm meiner Firma verdunkelt; lassen Sie es jetzt genug sein. Ich verlange von Ihnen keine Unterstützung, keinen thätigen Beistand irgend einer Art, ich bitte nur, daß Sie mich nicht mehr verfolgen.«
»Das heißt?« sprach Robert ausforschend.
»Lassen Sie mich ungestört meinen Weg gehen!« bat dieser. »Vergönnen Sie mir, Mittel und Wege zu ersinnen, die im Stande sind, meinem gesunkenen Credit wieder aufzuhelfen. Ich verzichte darauf, der Erste unter meines Gleichen zu sein, ich will nur die Ehre meines Namens rein erhalten, ich möchte kein Bankerotteur sein! Es ist schrecklich, so grausam vor der Welt gebrandmarkt dazustehen.«
»Das wissen Sie?« fragte Robert. »Und doch hätten Sie den Mann, der einst Ihnen Vater sein sollte, ruhig dieses Schicksal treffen lassen; es würde ihn getroffen haben, wenn nicht ich, der Verkannte, der Verbannte, großmüthig dazwischen getreten wäre! Wehe Ihnen! Welches Loos ist hart genug für Sie, um Sie für Ihren Frevel zu bestrafen?«
»Daß ich dieß Alles hören muß!« grollte Jener.
»Konnten Sie etwas Anderes zu hören erwarten?« sprach Robert. »Hat Ihr Fuß Sie nicht an Bord des Siegfried getragen? Desselben Schiffes, das man dem Bettler als einen Zehrpfennig hinwarf? Diese Masten trugen einst die Flaggen der Freude an einem Morgen, der Ihr glänzendster Ehrentag sein sollte; hätten Sie damals als ein Ehrenmann mit mir geredet, es wäre Vieles ungeschehen geblieben; mein Herz wäre gebrochen; aber ich hätte vielleicht den Sieg über mein Herz gewonnen, ich hätte vielleicht Ernestine zu leiten vermocht, und unser Aller Leben wäre vorwurfsfrei. Sie aber haben durch Ihren ungemessenen Stolz Alles mit Füßen getreten, Sie haben die Saat der Zwietracht und des Verderbens mit vollen Händen ausgesäet, wundern Sie sich nun nicht, wenn sie hoch über Ihr Haupt zusammenschlägt.«
»Ich weiß einen Rettungsanker für mich!« sprach Möller, der nur für seine unglückselige Lage Sinn hatte. »In Cadix und Malaga ist in diesem Augenblick ein großes Unternehmen zu wagen! Ich habe die Trümmer meines Vermögens gesammelt und setze sie daran, um mit einem Wurfe Alles zu gewinnen, oder zu verlieren! Ich fürchte keine Concurrenz, als nur die Ihrige, und deßhalb flehe ich Sie fußfällig, in der höchsten Angst der Verzweiflung an, treten Sie nur dießmal nicht mit mir in die Schranken!«
Siegfried Möller warf sich in die Knie vor dem stolzen Capitain. Dieser weidete sich einige Augenblicke an der demüthigen Stellung seines Feindes; dann hob er ihn auf und fragte mit einem durchdringenden Blick: »Und auf dieses Geschäft haben Sie Ihre ganze Hoffnung gesetzt?«
»Die letzte, einzig mögliche!« betheuerte Möller.
»Dann thut es mir leid, Ihnen nicht gefällig sein zu können!« sprach Robert mit eisiger Kälte, »gestern habe ich durch meine Bevollmächtigten die bewußten Geschäfte für meine Rechnung abschließen lassen.«
Möller taumelte zurück. Er mußte sich erst sammeln und rief dann mit Verzweiflung in den Blicken: »Ist das Wahrheit? Bei den Wunden des Erlösers! rede!«
»Es ist Wahrheit!« antwortete Robert fest.
»So bin ich verloren!« rief Jener und stürzte auf das Verdeck.
Robert blickte ihm mit einer Miene des Triumphes nach.
*
Mehrere Tage waren seitdem vergangen. Der alte Averdick, durch Robert's Großmuth überwunden, hatte seine Erlaubniß zur Vermählung mit Ernestinen gegeben, und Robert suchte nun, das Mädchen seiner Liebe für seine Wünsche geneigt zu machen. Sie gingen in dem Garten zu Nienstädten Hand in Hand auf und nieder, und setzten sich dann auf den Platz unter den schattigen Linden, von welchem aus man die ganze Elbe überschaut.
»Dringe nicht ferner in mich!« bat Ernestine. »Wenn ich jetzt deine Gattin würde, würde ich dich nur unglücklich machen. Meine Gesundheit ist zerrüttet, ich wanke dem Grabe zu; die Unglücksfalle meines Vaters haben mich tief gebeugt, ich habe sie, um des schuldlosen Greises willen, zweifach empfunden. Warum soll ich meine welke Hand in die deine legen und dich so mit in das Grab nachziehen? Sei mir für die kurze Zeit, die ich noch auf Erden zu wandeln habe, ein treuer, lieber Bruder, der meine Schwächen mit Geduld erträgt, und wenn meine Bitte etwas über dich vermag, so laß mich dich an der Seite einer andern jugendlich schönen Gattin, die deinen Werth erkennt, zum Altare gehen sehen.«
»Nimmermehr!« rief Robert. »Nur an deiner Hand betrete ich diesen Pfad, oder nie.«
»Ich werde niemals die Deinige, Robert,« sprach Ernestine fest. »Meine Tage sind gezählt, meine Kraft ist gebrochen; ich würde nur dein Unglück machen, und dazu liebe ich dich viel zu sehr. Lasse es darum bei meinem Ausspruche; wir müssen uns dem Unvermeidlichen fügen.«
»Ernestine!« sprach Robert ernst. »Ist das dein letzter, fester Entschluß?«
»Gewiß, mein Bruder!« antwortete sie. »Und wenn mir vor Wehmuth das Herz darüber brechen sollte, ich werde ihn nicht ändern.«
In diesem Augenblicke trat Vater Averdick mit dem alten Schramm in den Garten.
»Ein Unglück, Kinder!« sprach der Vater. »Siegfried Möller hat fallirt. Heute Morgen ist dieser Vorfall an der Börse bekannt geworden. Der Unglückliche soll den Verstand verloren haben, und mit bloßem Haupte auf die Straße hinausgestürzt sein; Niemand weiß wohin!«
»Schrecklich!« rief Ernestine und barg das Gesicht an Robert's Brust; dieser konnte sich eines leisen Frösteln nicht erwehren.
»Das Traurigste für uns ist,« fuhr der Alte fort, »daß man sich erzählt, wir hätten ihn zu Falle gebracht; die Firma Averdick in Newyork habe ihn so zu intriguiren gewußt, daß Möller endlich hätte fallen müssen. Das ist mir sehr unlieb; denn wenn es auch nicht wahr ist, nicht wahr sein kann, so ist doch der Schein gegen uns und die Leute werden sagen, wir haben uns von einer unedeln Rache hinreißen lassen.«
»Das werden sie sagen!« sprach Robert tonlos vor sich hin; er zitterte heftiger, die Nemesis ergriff ihn.
Ernestine sah die Veränderung, die in den Innern ihres Freundes vorging; ein dunkles Roth überflog ihre Wangen und Stirn, sie ergriff die Hand des Bewegten, und rief: »Robert! Welche Veränderung in deinem ganzen Wesen? Was soll ich denken? Hätte das Gerücht die Wahrheit gesprochen? Hätte wirklich die Begier dich zu rächen, dein Herz so sehr verändert? Dann wehe mir und dir!«
»Ernestine!« bat Robert, sich gewaltsam ermannend. »Die Leute wissen nicht was sie reden. Kaufmännische Taktik kann nicht Verbrechen genannt werden. Ich habe ...«
»Du hast einen Mann in Tod und Verzweiflung gejagt!« rief sie mit überströmenden Augen. »Weh' mir, daß ich dieß von dem Geliebten meines Herzens sagen muß; weh' dir, daß du diese Schuld auf dich ludest! Fortan ist keine Vereinigung, auch die entfernteste nicht, unter uns mehr denkbar. Ich vergebe dir, daß du den schönen Traum meiner Seele vernichtetest, ich vergebe dir, daß du mein Herz brachst; aber ich will dich nie mehr wiedersehen!«
Vater Averdick und sein alter Freund wollten begütigend dazwischen treten, aber Ernestine wies sie sanft und ernst zurück und sprach: »Beweinen will ich ihn, bis der Tod meinen Leiden, – gewiß bald, – ein Ende macht; aber ich kann nicht an der Brust eures Mannes ruhen, der planmäßig den Untergang eines Menschen herbeiführen konnte, weil dieser ihm einmal eine Kränkung zugefügt hatte.«
In der Nähe ward es laut. Man hörte das Heranstürmen einer Menschenmenge, verworrenes Leben und Schreien und dazwischen den Ruf: »Halt ihn auf! Halt ihn auf!« Da raschelte es an der lebendigen Hecke, womit der Garten eingefaßt war, und ein Mann mit fliegenden Haaren, zerrissenen Kleidern und starrblickenden Augen sprang über die, selbe weg, gefolgt von einem Haufen der Dorfbewohner, der aber nicht in den Garten des Kaufmanns einzudringen wagte, sondern neugierig außerhalb der Hecke auf den weitern Verlauf der Dinge harrte.
»Siegfried Möller!« riefen Averdick und Schramm wie aus einem Munde, und Ernestine warf sich lautweinend an die Brust ihres Vaters, während Robert regungslos dastand und die Erscheinung anstierte.
»Ein Bankerotteur! Ein Bankerotteur!« rief Möller mit kreischender Stimme. »Juch heissa! Hinaus, in die See! Hin nach Newyork, wo die Unholde hausen; die mir, gleich Vampyren, das Blut ausgesogen haben! Hollah! Vorwärts! Vorwärts!«
Er flog den breiten Gang hinab; die Männer hinter ihm her, aber zu spät; er sprang am Ende desselben über die Barriere und stürzte, über hundert Fuß tief, auf den Strand nieder. Er hatte vollendet.
Die Landleute brachten seine Leiche, die in der Behausung des alten Averdick aufgestellt ward. Ernestine fuhr bei dem Anblicke derselben zusammen, und rief, indem sie ihrem Zimmer zueilte, mit überströmenden Augen: »Lebe wohl, Robert! Dort oben finden wir uns entsündigt wieder!«
Der alte Averdick und sein Leidensgefährte, die die eifrigsten Vertheidiger streng rechtlicher kaufmännischer Handlungsweise gewesen, ließen den unglücklichen Capitain, ohne ihm ein Wort zu sagen, bei der Leiche zurück. Er entfernte sich einsam von der sonst so gastlichen Schwelle und ging trüben Sinnes in die Nacht hinaus.
Vater Averdick wollte nicht wieder in das Getümmel des Geschäftslebens zurückkehren; er blieb in feiner ländlichen Behausung, bei Ernestinen, die täglich mehr dahinschwand, und übertrug einem entfernten Verwandten seines Namens, unter Schramm's Leitung, die Führung des ihm neu überkommenen Geschäftes.
Acht Tage nach jenem erschütternden Vorfalle ging Capitain Robert am Borde des Siegfried in See.
Das Haus Averdick blühte immer kräftiger empor, und sicherte dem Anscheine nach, wenn der Volksausspruch gilt, das Bestehen des alten Hamburg's noch für Jahrhunderte.
Von Robert hörte man lange nichts. Nach Jahr und Tag las man an der Börse folgendes Placat:
»Das Hamburger Schiff ›Siegfried,‹ kommandirt vom Capitain Robert, ist in der Nacht vom 24. zum 25. April, unweit der rothen Tanne, auf Scharhörn gestrandet. Weder von der Mannschaft, noch von der Ladung ist das Geringste geborgen. Die Wellen haben das Wrack beinahe gänzlich verschlungen.«
Der Tag, an welchem diese Nachricht bekannt wurde, war der Begräbnißtag Ernestinens.
*