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Harzburg, im Juni 1890.

Die erfolgreiche Anwendung der mit Guttapercha umpreßten Kupferdrähte zu unterirdischen Leitungen legte es nahe, dieselben auch zu unterseeischen Telegraphenleitungen zu benutzen. Daß Seewasser keinen nachtheiligen Einfluß auf die Guttapercha ausübte, hatten die bei den Minenanlagen im Kieler Hafen benutzten isolirten Leitungen bewiesen, die nach Verlauf von zwei Jahren noch ganz unverändert waren.

Den ersten Versuch einer Verbindung zweier Meeresküsten durch Guttaperchaleitungen machte schon im Jahre 1850 Mr. Brett, der sich eine Concession für eine submarine Telegraphenverbindung zwischen Dover und Calais hatte ertheilen lassen. Die von ihm gelegte unbeschützte Leitung hielt, wie zu erwarten war, nicht viel länger als die Zeit der Legung, wenn sie überhaupt je wirklich brauchbar war. Sie wurde im folgenden Jahre von den Herren Newall und Gordon durch eine mit Eisendrähten armirte Leitung ersetzt, die längere Zeit gut functionirte. Dies war der Ausgangspunkt der Untersee-Telegraphie, welche sich schnell zu einem der wichtigsten Verkehrsmittel entwickeln sollte.

Mit der den Engländern eigenthümlichen Beharrlichkeit in der Durchführung von Unternehmungen wurde nach diesem ersten glücklichen Erfolge gleich eine ganze Reihe anderer Kabellegungen geplant und in Angriff genommen, bevor noch die wissenschaftliche und technische Grundlage für dieselben feststand. Mißerfolge konnten daher nicht ausbleiben. Die Legung selbst machte im flachen Wasser der Nordsee keine Schwierigkeiten. Die Herstellung der isolirten Leitungen war in England von der Guttapercha-Compagnie in die Hand genommen, die meine Umpressungsmethode ungehindert anwenden durfte, weil ich meine Erfindungen nicht durch Patente geschützt hatte. Da diese Gesellschaft durch den ihr zur Verfügung stehenden englischen Markt immer die besten Guttapercha-Qualitäten verwenden konnte, so wäre sie in der Lage gewesen, ausgezeichnet gut isolirte Leitungen herzustellen, wenn die elektrische Prüfung und Controle der Fabrikation mit gleicher Sorgfalt geschehen wäre, wie sie bei uns obwaltete. Wissenschaftliche Kenntnisse und Methoden hatten aber damals in der englischen Industrie noch ebensowenig Eingang gefunden wie in der unsrigen. Man begnügte sich damit, zu constatiren, daß Strom durch die Leitung ging und die telegraphischen Instrumente befriedigend arbeiteten. Noch in viel späterer Zeit wurden meine Methoden einer systematischen Prüfung der Leitungen von den englischen Praktikern für » scientific humbug« erklärt! Trotzdem gelang es der Firma Newall & Co. im Jahre 1854 während des Krimkrieges, einen nicht armirten, nur mit umpreßter Guttapercha isolirten Leitungsdraht von Varna nach Balaclava in der Krim zu legen, und sie hatte das Glück, daß derselbe bis zur Eroberung von Sebastopol im September 1855, etwa ein Jahr lang, brauchbar blieb.

Bei dieser ungefähr 600 Kilometer langen Linie stellten sich schon Sprechschwierigkeiten durch die Flaschenladung der Leitung ein, die den Engländern trotz meiner Publikationen im Jahre 1850 noch unbekannt geblieben war. Als die in England gebräuchlichen Nadeltelegraphen auf der Linie den Dienst versagten, bestellten Newall & Co. bei meiner Firma Sprechapparate, mit denen sich der Betrieb auch gut ausführen ließ. Es war dabei ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß in den beiden feindlichen Lagern Sebastopol und Balaclava Berliner Apparate mit auf einander folgenden Fabrikationsnummern arbeiteten.

Inzwischen hatte Mr. Brett im September 1855 im Auftrage der Mediterranean Extension Telegraph Company den Versuch gemacht, zwischen der Insel Sardinien und der Stadt Bona in Algier ein schweres Kabel mit vier Leitern zu legen. Er benutzte dabei dieselben Legungseinrichtungen wie in der Nordsee, hatte aber das Mißgeschick, daß seine Bremseinrichtungen bei Eintritt tiefen Wassers nicht ausreichten und in Folge dessen das ganze Kabel unaufhaltsam in die Tiefe hinabrollte. Da auch ein zweiter Versuch im Jahre 1856 fehlschlug, so trat er von der Unternehmung zurück, die dann von Newall & Co. wieder aufgenommen wurde. Diese schlossen mit meiner Firma einen Vertrag über die Lieferung der elektrischen Einrichtungen und forderten mich auf, die elektrischen Prüfungen bei und nach der Legung zu übernehmen.

Diese erste Tiefseekabellegung war für mich ebenso interessant als lehrreich. Anfang September des Jahres 1857 ging ich mit einem Gehülfen und den nöthigen elektrischen Apparaten in Genua an Bord einer Sardinischen Korvette, welche die Expedition begleiten und uns nach Bona bringen sollte, wo der mit dem Kabel beladene Dampfer uns erwartete. Es war eine interessante Gesellschaft, die sich auf dem Kriegsschiffe zusammenfand. Außer den englischen Unternehmern und Kabelfabrikanten, Mr. Newall und Mr. Liddell, waren mehrere italienische Gelehrte, Telegraphenbeamte und Seeofficiere an Bord, unter ihnen der gelehrte Admiral Lamarmora, ein sehr liebenswürdiger und kenntnißreicher Officier, Bruder des bekannten Generals Lamarmora; ferner mehrere französische Telegraphenbeamte, die im Auftrage ihrer Regierung der Kabellegung beiwohnen sollten, darunter der bekannte Ingenieur Delamarche.

Schon auf der Fahrt nach der Insel Sardinien, die von herrlichem, ruhigem Wetter begünstigt war, wurden in diesem Comité die Methoden erörtert, welche bei der Legung angewendet werden sollten, um dem Mißgeschick der vorhergegangenen Versuche zu entgehen. Die Herren Newall und Liddell setzten auseinander, sie hätten bei der Legung ihrer Leitung nach der Krim gefunden, daß man nur schnell gehen und das Kabel ohne Widerstand auslaufen lassen müsse, dann sinke es langsam ohne Spannung zu Boden. Sie hätten zwar zur Vorsicht ein kräftiges Bremsrad angebracht, um das Kabel zurückhalten zu können, doch würde das bei schnellem Gange des Schiffes kaum nöthig sein. Diese Theorie des Herrn Liddell begegnete dem entschiedenen Widerstande des Herrn Delamarche, der den unglücklichen Legungsversuchen des Herrn Brett beigewohnt und nun die Theorie adoptirt hatte, das Kabel müsse in tiefem Wasser eine Kettenlinie bilden und unter allen Umständen reißen.

Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, mich in den mechanischen Theil der Legung einzumischen, es schien mir aber so ganz unmöglich, ein schweres Kabel, das ein Gewicht von wenigstens 2 Kilogramm pro Meter im Wasser hatte, durch Tiefen von mehr als 3000 Meter, wie sie auf der Strecke von Sardinien bis Bona vorkamen, in der von den Herren Newall und Liddell beabsichtigten Weise zu legen, daß ich ernstlichen Widerspruch dagegen erhob. Andrerseits konnte ich die Befürchtungen des Herrn Delamarche nicht theilen, und es kam daher zu einer heftigen Debatte zwischen mir und den Herren Liddell und Delamarche, in der ich die Legungstheorie entwickelte, die später allgemein adoptirt wurde. Sie besteht darin, das Kabel an Bord des legenden Schiffes durch Bremsvorrichtungen mit einer Kraft zurückzuhalten, die dem Gewichte eines senkrecht zum Boden hinabreichenden Kabelstückes im Wasser entspricht. Bei gleichmäßig schnellem Fortgange des Schiffes sinkt das Kabel dann in einer graden Linie, deren Neigung von der Schiffsgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Sinkens eines horizontalen Kabelstücks im Wasser abhängt, zur Tiefe hinab. Ist das sinkende Kabelstück nicht vollständig durch die Bremskraft balancirt, so findet gleichzeitig ein Hinabgleiten des Kabels auf der schiefen Ebene, die es selbst bildet, statt, man kann daher durch die Größe der Bremsung den nöthigen Mehrverbrauch an Kabel zur spannungslosen Ueberwindung von Unebenheiten des Bodens bestimmen.

Diese einfache Theorie fand den einstimmigen Beifall der Schiffsgesellschaft; auch Mr. Newall schloß sich zuletzt meiner Anschauung an und ersuchte mich, ihm bei den Vorbereitungen zu der Legung nach meiner Theorie behülflich zu sein. Das war aber schwer zu extemporiren. Die Bremse, die wir nach der Ankunft in Bona auf dem schon vor uns dort eingetroffenen Kabelschiffe vorfanden, erwies sich als viel zu schwach, um das Gewicht des Kabels bei größerer Tiefe zu äquilibriren. Ferner war die Dampfkraft des Schiffes zu gering, um die große Kraft, mit der das Kabel auf der schiefen Ebene hinabzugleiten bestrebt war, zu überwinden. Endlich fehlte jede Einrichtung, um diese Kraft zu messen und danach die Größe der nöthigen Bremsung zu bestimmen. Ich ließ zunächst vom Zimmermann ein einfaches Dynamometer herrichten, das ermöglichte, an der Größe der Durchbiegung eines von zwei Rollen begrenzten Kabelstückes durch den Druck einer belasteten mittleren Rolle die Größe der augenblicklichen Spannung des auslaufenden Kabels zu erkennen. Ferner ließ ich das Bremsrad möglichst verstärken und mit einer kräftigen Wasserkühlung ausrüsten. Endlich veranlaßte ich den Kapitän des Kriegsschiffes, dieses vor das Kabelschiff zu spannen, um die nöthige Kraft zur Ueberwindung des vom Kabel ausgeübten Rückzuges zu gewinnen.

So zur Noth ausgerüstet, begannen wir die Legung des Abends von Bona aus. Solange das Wasser flach war, ging alles gut, und man fand meine Vorkehrungen bereits überflüssig. Nach einigen Stunden, als die größeren Tiefen begannen, zeigte sich aber schon, daß die zu erzielende Bremskraft nicht ausreichte. Wir verlegten zu viel Kabel und hatten, als der Morgen graute, bereits mehr als ein Drittel des ganzen Kabels verbraucht, obschon noch nicht ein Fünftel des Weges zurückgelegt war. Es war noch gerade möglich, mit dem Kabelende eine flache Stelle in der Nähe der Insel Sardinien zu erreichen, wenn das Kabel von jetzt ab ganz ohne Mehrausgabe verlegt werden konnte. Auf Bitten des Herrn Newall übernahm ich es, dies zu versuchen, unter der Bedingung, daß mir die Leitung ganz überlassen würde. Ich belastete nun die Bremse mit allen Gewichten, die auf dem Schiffe zu finden waren. Sogar gefüllte Wassergefäße aus der Küche wurden dazu requirirt. Endlich genügte die Last, ohne daß die Bremse brach. Wir legten jetzt nach Angabe der Messungen ohne » slack«, wie die Engländer sagen, d. h. ohne mehr Kabel zu verbrauchen, als der überschrittenen Bodenlänge entsprach. Das Kabel war dabei dem Brechpunkte immer ziemlich nahe, wie sich dadurch zeigte, daß mehrfach einer der dicken Umspinnungsdrähte brach, wodurch immer eine große Gefahr für das Kabel herbeigeführt wurde. Doch wurde stets durch schnelles Eingreifen ein Bruch des Kabels verhütet, und als die Sonne sank und das Kabelende im Schiffe nahezu erreicht war, zeigte mein Dynamometer glücklicherweise flach Wasser an und wir waren am Ziele!

Die Freude war allgemein und groß, und selbst Mr. Liddell gratulirte mir zu dem errungenen Erfolge.

Es war dies das erste Kabel, das durch tiefes Wasser, d. h. Meerestiefen von mehr als 1000 Faden, glücklich gelegt ist. Man hat später so schwere Kabel mit vielen Leitern für längere Kabellinien in tiefem Wasser nicht wieder verwendet, weil die Schwierigkeit des Legens zu groß ist, und weil lange, dicht neben einander liegende Leitungen sich durch Induction gegenseitig stören. Um so lehrreicher, freilich auch um so aufregender und anstrengender war diese Legung für mich. Das Kabel muß Tag und Nacht ohne jede Ruhepause, die bei tiefem Wasser immer gefährlich ist, aus dem Schiffsbehälter, in welchem es um einen in der Mitte feststehenden Conus sorgfältig gelagert ist, um das Bremsrad herum und unter der Rolle des Dynamometers hindurch in die Tiefe hinabrollen. Jede Stockung auf diesem Wege bringt dasselbe in große Gefahr, da die Fortbewegung des Schiffes nicht schnell genug aufgehoben werden kann. Dabei muß fortwährend das Verhältniß der Bremskraft zur Meerestiefe und zu der Geschwindigkeit, mit der das Schiff über den Meeresgrund fortschreitet, sorgfältig regulirt werden, da sonst entweder großer, unnöthiger Mehrverbrauch von Kabel oder andrerseits die Gefahr einer Spannung des Kabels am Boden eintritt. Ferner muß eine ununterbrochene Messung der elektrischen Eigenschaften der isolirten Leitungen stattfinden, damit man das Auftreten eines Fehlers beim fortlaufenden Eintauchen neuer Kabeltheile ins Meer sogleich entdeckt. Es muß in einem solchen Falle die Legung sofort unterbrochen und das zuletzt gelegte Stück Kabel wieder zurückgenommen werden, um den Fehler zu beseitigen.

Die stete geistige Spannung und das Bewußtsein, daß jeder begangene Fehler den Verlust des ganzen Kabels zur Folge haben kann, macht eine Tiefsee-Kabellegung für das damit beschäftigte Personal, namentlich aber für den verantwortlichen Leiter des Unternehmens zu einer sehr angreifenden und bei längerer Dauer aufreibenden Arbeit. Ich konnte mich gegen Ende dieser Legung, bei der ich mir keinen Augenblick der Ruhe und Erholung gönnen durfte, nur durch häufigen Genuß starken schwarzen Kaffees aufrecht erhalten und brauchte mehrere Tage zur Wiedererlangung meiner Kräfte.

Diese Kabellegung führte mich zum ersten Male in südliche Gegenden. Während der ganzen Zeit hatten wir herrliches Wetter, und ich genoß die Reize des Mittelmeeres mit seinem tiefblauen Wasser, seinen blendend weißen Wellenköpfen und seiner erquickenden Luft, die man gar nicht tief genug einathmen konnte, in vollen Zügen auf der schönen Fahrt von Genua nach Cagliari und von dort nach Bona in Algerien. Einen überraschenden Anblick gewährte das hochgelegene, feste Schloß von Cagliari, das von hochstämmigen, gerade in voller Blüthe stehenden Aloëstauden völlig umgürtet war. Auf Rath des freundlichen Kapitäns der Korvette blieben wir nicht im Hafen, sondern nächtigten des Fiebers wegen auf dem Hofe der Schloßruine. Diese herrliche Nacht unter italienischem Sternenhimmel, hoch über dem am felsigen Ufer im Mondschein brandenden Meere, ist mir nie wieder aus dem Sinn gekommen.

Die während der Legung ausgeführten elektrischen Prüfungen zeigten, daß die Isolation sämmtlicher Leiter des Kabels mangelhaft war, doch genügte sie bei dreien derselben nach Vollendung der Linie im folgenden Jahre den contractlichen Bedingungen, die nur verlangten, daß der Stromverlust einen gewissen Procentgehalt nicht übersteigen sollte. Der vierte Leiter war mit einem größeren Fehler behaftet, und die Abnahme des Kabels wurde daher verweigert. Es gelang aber durch eine passende elektrische Behandlung – andauernden Betrieb mit ausschließlich positivem Strom – den Fehler soweit zu verkleinern, daß das Kabel abgenommen werden mußte.

Die auf dieser Kabellegung von mir entwickelte Theorie des Kabellegens habe ich erst im Jahre 1874 durch einen der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgelegten Aufsatz unter dem Titel »Beiträge zur Theorie der Legung und Untersuchung submariner Telegraphenleitungen« publicirt. In meinen Acten hat sich die Copie eines Briefes erhalten, in welchem ich nach der Rückkehr von der Kabellegung dem schon genannten Mr. Gordon, Associé der Firma Newall & Co., meine Theorie auseinandersetzte. Ich will diesen Brief hier folgen lassen, da er die erste ausführliche Mittheilung über meine Kabellegungstheorie bildet.

 

Berlin, den 26. September 1857.

Lieber Gordon!

Gestern von meiner Reise zurückkehrend, fand ich Ihren Brief vom 17. vor. Zunächst will ich Ihnen über den Bericht, den der heute aus Bona zurückgekehrte Ingenieur Viechelmann abgestattet hat, einiges mittheilen.

Es scheint unzweifelhaft, daß der Draht Nr. 1 beschädigt ist, und zwar liegt die Beschädigung in der Nähe der afrikanischen Küste und besteht darin, daß der Draht in leitender Verbindung mit dem Wasser steht. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Fehler da liegt, wo das Küstenende mit dem dünneren Kabel verbunden ist. Genau hat die Lage nicht bestimmt werden können, da es unbestimmt ist, wieviel Leitungswiderstand die Verbindung mit dem Wasser hat. Die Stelle kann jedoch nicht weiter als vier deutsche Meilen vom Lande liegen, ist wahrscheinlich aber viel näher.

Fig. 1

Durch die Größe der Ladung und durch Widerstandsbestimmungen im metallischen Kreise nach beifolgender Skizze (Figur 1) ließe sich die Lage des Fehlers genauer bestimmen, wenn Sie den Versuch machen wollen, den Draht von Bona aus wieder aufzunehmen. m und n sind die beiden Windungen eines Differenzialgalvanometers, w ein Rheostat. Durch denselben wird so viel Widerstand eingeschaltet, bis der Strom durch die beiden Windungen m und n gleich stark ist und die Nadel auf Null steht. Dann liegt der Fehler f in der Mitte, und man kann die Entfernung von der Küste berechnen.

Bei gut isolirten Drähten geht dies mit vollkommener Genauigkeit, bei schlecht isolirten, wie das Bonakabel es ist, wenigstens mit annähernder Genauigkeit. – Herr Viechelmann hat den Apparat im Zollamt zu Marseille zur Disposition gelassen. Im Telegraphenbureau liegt dort ein Brief von Viechelmann an Newall, in welchem die Auslieferungsordre enthalten ist.

Die Kabeltheorie betreffend, so ist meine Auffassung folgende.

Fig. 2

Wenn A B (Figur 2) ein biegsames Kabelstück vorstellt, welches man durch einen gewichtlosen Draht B C am Himmel festgebunden hat, so wird das Kabel bis auf den Grund fallen, ohne im suspendirten Theile aus der geraden Linie zu kommen, da er in jedem Punkte gleich schnell fällt, m n, o p sind gleich lang. Jeder Punkt fällt gleich schnell nieder, und die neue Verbindungslinie n p muß wieder eine gerade sein. Die während des Falles auf den Draht B C zerreißend wirkende Kraft ist K = Q sin α, wenn Q das Gewicht des suspendirten Kabels im Wasser ist, oder das Gewicht eines senkrecht herabhängenden Kabelstückes B D, da A B sin α = B D. Ist die Kraft K geringer, wie für das Gleichgewicht nöthig ist, so rutscht das Kabel nach A zurück, und die Endgeschwindigkeit ist erreicht, wenn die Reibung im Wasser der fehlenden Kraft gleich ist. Ist dagegen K größer wie nothwendig, so bekommt das Kabel eine Geschwindigkeit nach B hin, es wird mithin der Verlust, d. i. die Differenz der Längen A B und A D wieder aufgenommen, und das Kabel legt sich in gerader Linie, also ohne Verlust, auf den Boden. Die Neigung α ist hiernach ganz unabhängig von der Größe der Kraft K. Sie zeigt einfach das Verhältniß der Geschwindigkeit des Sinkens zur Fortbewegung des Schiffes an. Wird nämlich das Kabelende B anstatt an dem gewichtlosen Draht B C über eine Rolle geführt, und geht die Rolle mit dem Schiffe von B nach E, während das Kabel die Höhe m n fällt, wird endlich das Kabel mit derselben Kraft K zurückgehalten, so ändert sich gar nichts in den Gleichgewichtsbedingungen. Wird die Bremse, welche das Kabel zurückhält, so angespannt, daß gerade Gleichgewicht eintritt, also K = Q sin α ist, so hat das Kabel gar keine axiale Geschwindigkeit; es fällt senkrecht nieder, und man hat den dem Winkel entsprechenden Verlust. Ist K größer, so legt man mit geringem oder ohne Verlust, ist K kleiner, so kann der Verlust sehr groß sein. Je schneller in letzterem Falle die Bewegung des Schiffes ist, desto länger wird A B, desto größer mithin die Reibung im Wasser und desto geringer der Verlust. Wird dagegen die Kraft K größer, wie für das Gleichgewicht erforderlich ist, so kann leicht der Verlust wieder aufgenommen sein, und es bildet das Kabel dann eine Kettenlinie. Sind die Uebergänge schnell, so wirkt die ganze Geschwindigkeit in der Richtung A B, welche das Kabel nach Anspannen der Bremse über den Gleichgewichtszustand hinaus bekommen hat, auf Zerreißen des Kabels. Bedenkt man die große Masse des suspendirten Kabels, so ist es klar, daß diese Axengeschwindigkeiten des Kabels leicht einen Bruch bewirken können. Der einzige sichere Anhaltspunkt ist das Verhältniß der Schiffsgeschwindigkeit zur Kabelgeschwindigkeit. – Ferner müssen vorhandene Meeresströmungen sehr in Betracht gezogen werden, namentlich wenn sie strichweise gehen. Ist die Strömung überall gleich und reicht bis auf den Meeresgrund, so bewirkt sie nur einen Mehrverbrauch an Kabel. Bei Gleichgewicht der Kraft K legt sich das Kabel in der Diagonale des Parallelepipedons, anstatt in der Diagonale des Parallelogramms nieder, und die Kabellänge verhält sich zur durchlaufenen Wegstrecke wie die Diagonale des Parallelepipedons, dessen Seiten die Schiffsbewegung, die Meerestiefe und die gleichzeitige Stromgeschwindigkeit sind, zur Schiffsbewegung. Sehr heftige Einwirkungen auf ein straff gelegtes Kabel können aber durch veränderliche Strömungen ausgeübt werden, da das Kabel dann in Form der Kettenlinie dem Wasserdruck widerstehen muß. Endlich bilden die auf- und niedergehenden, sowie auch die Seitenbewegungen des Schiffes große, auf Zerreißen des Kabels wirkende Kräfte, wenn nicht der Abwickelungsapparat sehr leicht ist, oder eine Ausgleichung angebracht wird, durch welche das Kabel hinter der Bremse verlängert oder verkürzt werden kann, damit keine Massenbeschleunigung eintritt. Der von mir vorgeschlagene Mechanismus zur Bestimmung und Regulirung der auf das Kabel ausgeübten Zugkraft berechnet sich leicht so (Figur 3):

.

Nach dieser Formel habe ich durch Löffler eine Tabelle berechnen lassen, die aber noch nicht in meinem Besitz ist, da L. noch in Köln ist. e war, wie Sie angeben, 25 Fuß, d i. 8,42 Meter. Das Gewicht Q war 160 Kilogramm, nach Angabe von Newall's Leuten, die es gewogen. Sie scheinen in Ihrer Näherungsformel Pfunde dafür genommen zu haben, haben also ungefähr die halben Werthe, wie sie mir in Erinnerung sind. Der Apparat wurde am Abend vor der Legung noch aus Holz zusammengezimmert. Vorher schien Herr Liddell nicht dafür gestimmt zu sein, und ich wollte mich nach gemachtem Vorschlage nicht aufdrängen. In der ersten Nacht hatte der Rahmen sich durch die Nässe geworfen, und die Stelle, wo die Höhe gemessen wurde, war ca. 2 Fuß niedriger wie die andre. Von Zuverlässigkeit der Messung kann daher bei einem so roh und flüchtig in aller Eile angelegten und berechneten Apparate keine Rede sein. Daß bald nach Beginn der Legung viel Kabel verloren ging, war klar. Ich schlug auch gleich stärkere Belastung der Bremse vor, doch konnte ich es nicht durchsetzen. Allerdings kamen Momente vor, wo die Kabellinie fast gerade war, wenn auch bei gewöhnlichem Gange ein Hang von 4 bis 5 Zoll vorhanden war, und ein solcher Moment konnte das Kabel zerreißen. Auch war die Bremse zu schwach, und ich war stets in Todesangst, daß sie durch die Belastung von mindestens 5 Centnern, die später, als Newall mir freie Hand gab, angebracht waren, brechen würde.« Da das Kabel unwiederbringlich verloren war, wenn die Bremse brach, so gehörte allerdings ein riesiger Entschluß dazu, die Belastung in dieser Weise zu gestatten. Es ist unzweifelhaft, daß wir am folgenden Tage das Kabel zu stark angespannt haben, wir haben sicher ganz ohne Verlust gelegt und vielleicht schon etwas Kettenlinienkraft im Kabel gehabt. Es kam dies daher, daß Niemand wußte, wie schnell das Schiff ging. Newall und Liddell glaubten nicht, daß wir 5 Knoten machten, während wir in der That 7½ gemacht haben. Da das Kabel mit 7½ Knoten Geschwindigkeit ablief, so konnte ich nur schließen, daß der Verlust noch zu groß sei, um die flache Stelle zu erreichen, mußte daher immer mehr belasten; hier kamen Momente vor, wo die Belastung reichlich 6 Tons erreichte, und Schwankungen gingen noch weiter. Daß kein ordentliches, gewöhnliches Log auf dem Schiffe war, war ein großer Uebelstand und hätte leicht den Verlust des Kabels zur Folge haben können. Die größte Gefahr beim Kabellegen besteht jedenfalls im Bruch einzelner Drähte. Daß wir diesmal so davongekommen sind, ist ein wahres Wunder. Ich würde nicht rathen, eine Kabellegung durch tiefes Wasser vorzunehmen, ohne den Draht vorher in seiner ganzen Länge einem beim Legen nie zu überschreitenden Maximalzuge ausgesetzt zu haben. Ich habe Newall einen Plan mitgetheilt, wie es sehr leicht zu machen ist. Dann werden schlechte Schweißstellen reißen, und man ist später ziemlich sicher. Ferner muß ein Dynamometer solide aus Eisen hergestellt werden mit genau berechneter Scala und so, daß bei der Maximalbelastung mindestens noch ein Fuß Pfeilhöhe bleibt. Es ist besser, eine gut ausgearbeitete Feder anstatt des Gewichtes anzuwenden, damit die Schwankungen des Instrumentes möglichst klein werden. Ferner würde es sehr vortheilhaft sein, den Draht hinter der Bremse über zwei feste und eine bewegliche Rolle zu führen, welche letztere durch ein Gewicht oder noch besser durch eine sehr kräftige Spiralfeder zurückgezogen wird. Dadurch lassen sich die Auf- und Niederschwankungen des Schiffes unschädlich machen.

 

den 28.

Da Löffler noch immer nicht zurück ist, so kann ich Ihnen noch keine bestimmte Mittheiluug über die berechneten Kräfte machen. Sie haben ganz Recht, daß die angenommenen Kräfte durch die Tiefen allein nicht gerechtfertigt werden. Ich glaube, daß man bis zur Hälfte der Tiefe, bis zu welcher ein Kabel sich noch trägt, mit ziemlicher, bis zu ein Drittel mit großer Sicherheit gehen kann. Bis zu ein Fünftel der Tiefe wird man mit 5 bis 10%, bis zu ein Drittel mit 10 bis 15% Verlust sicher ausreichen können, wenn das Wetter günstig ist. Bei größeren Tiefen muß der Verlust bedeutender werden. Newall's Plan, das Sinken des Kabels durch Schirme zu verlangsamen, ist im Princip unrichtig. Der Strömungen wegen muß das Kabel möglichst schnell sinken. Bei mittleren Tiefen ist es vortheilhafter, den Verlust durch etwas größere Belastung wieder aufzunehmen. Sind die Tiefen größer wie ⅓ bis ½ der Minimalhaltbarkeit des Kabels, so muß man das Zurückgleiten des Kabels durch senkrecht auf dem Kabel befestigte Scheiben möglichst verlangsamen. Ich glaube, dieselben werden am besten aus Eisenblech gemacht. Wenige große sind weit wirksamer wie viele kleine. Die Anbringung läßt sich auf viele Arten leicht ausführen. Man muß dann möglichst schnell gehen, um spitze Winkel zu erhalten. – Für Geschwindigkeitsmessungen lasse ich jetzt einen elektrischen Apparat machen, der neben der Bremse einen großen Zeiger dreht. Dasselbe muß durch das Bremsrad geschehen, so daß man jeden Augenblick das Geschwindigkeitsverhältniß und die ausgeübte Kraft kennt. Auf dem Schiffe müßten Sie sehr gute Beleuchtung anbringen und bei den Kabelführungen besonders den Fall im Auge haben, wenn Drähte brechen. Daß es gelungen, die beiden Drahtbrüche ohne Verlust des Kabels zu überstehen, ist ein Glück, wie es selten ist! – Ueberhaupt glaube ich, daß Sie alle Ursache haben, mit dem Resultat zufrieden zu sein. Ich halte es nicht für schwer, das Kabelende wieder aufzufinden. Ebenso halte ich die Reparatur des vierten, beschädigten Drahtes für ausführbar, wenn es von Wichtigkeit für Sie ist. Dies vorausgesetzt, haben Sie die Erfahrungen und eine richtige Theorie des Legens billig genug erhalten. Wollen Sie meine Vorschläge benutzen, so werden Sie künftig mit großer Seelenruhe eine Legung unternehmen können und den Verlust bald einbringen. Mit Ihrer neuen Bremse sollten Sie aber doch den Versuch machen, das Kabel bei größter Belastung abzureißen. Herr Newall sagte mir vor Eintreffen der Elba, er könne mit seiner Bremse das Kabel zerreißen, aber obschon wir am Tage der Legung den Bremshebel um die Hälfte verlängert und mindestens doppelt so viel Gewichte angehängt hatten, wie dem Hebel und Eisenband vernünftiger Weise zu tragen zugemuthet werden konnte, so haben wir doch diese Kraft lange nicht erreicht, abgesehen von den großen Kräften, die bei den Geschwindigkeitsänderungen und dem ersten Unglücksfalle ausgeübt wurden. Mit meinen Experimenten bin ich leider nicht sehr viel besser gefahren wie in England. Doch habe ich gesehen, daß man im metallischen Kreise allerdings etwas schneller sprechen kann wie im halbmetallischen, und daß es unmöglich ist, bei längeren Linien durch mehr wie einen einfachen Draht zu sprechen. Die Zukunft gehört daher dem metallischen Kreislaufe, und das Patent wird sich bezahlt machen. Ferner habe ich gesehen, daß unsere jetzige Construction des Inductionstelegraphen ausgezeichnet gut und sicher geht, und daß man mit unbedingter Sicherheit beliebig viele submarine Translationsstationen einrichten, also direct von England nach Ostindien z. B. sprechen kann. Ihre Apparate für Malta-Corfu gehen heute ab. Ich bin ganz sicher, daß sie gut functioniren. Nach meinen jetzigen Erfahrungen hätten die Inductoren kleiner und daher billiger werden können, doch ist es sicherer, Ueberschuß zu haben. Es sind so schöne und solide Apparate wie diese noch nicht aus unserer Werkstatt gekommen. Die größte Schwierigkeit machten die Contacte. Platina verbrennt zu schnell bei den starken primären Strömen, wir mußten daher überall, unsere Gold-Platinalegirung anwenden, was bei so dicken Stücken seine Schwierigkeit hatte. Vielleicht werden Sie mit den halben Inductoren auf der Maltalinie ausreichen (eine Rolle). Sie würden dadurch wesentlich sparen, da die Masse des mit Seide besponnenen Drahtes theuer ist.

Ich bitte mir recht bald anzuzeigen, wann und wo Sie den Mechaniker haben wollen, und ob Sie mit einem auszureichen gedenken. Ich glaube, Sie müßten intelligente Kräfte in Menge zur Disposition haben, denn jeder Irrthum kann selbst bei bester Vorbereitung sehr gefährlich werden.

Ich schicke diesen Brief direct nach Birkenhead, wo ich Sie noch vermuthe, und wo Wilhelm Sie besuchen wollte; ich bitte ihn Wilhelm zur Durchsicht zu geben.

Wäre es nicht besser, Ihre Malta-Linie erst im Winter zu machen, wo doch sicherer auf ruhiges Wetter zu rechnen ist? – October soll doch ein sehr gefährlicher Monat dort sein und erst im December wieder ruhigere Atmosphäre eintreten.

Mit herzlichen Grüßen
W. Siemens.

Die Erfahrungen, die ich bei der Legung des Kabels zwischen Cagliari und Bona machte, verschafften mir in der That die in vorstehendem Briefe schon ausgesprochene Ueberzeugung, daß sich Unterseekabel bei richtiger Construction und sorgfältiger Fabrikation durch alle Meerestiefen legen lassen würden, und daß sie dann auch langen und sicheren Dienst verhießen. Ich bemühte mich daher eifrig, die noch vorhandenen Schwierigkeiten zu beseitigen. Zu dem Ende war es nöthig, eine systematische Ueberwachung der Kabelfabrikation einzurichten, die Sicherheit gewährte, daß in dem ganzen, im Schiffsraume aufgespeicherten Kabel kein Fehler vorhanden sei. Dies ließ sich nur dadurch erreichen, daß man die Untersuchungsinstrumente empfindlich genug machte, um die Isolirungsfähigkeit der verwendeten Guttapercha selbst messen und in Zahlenwerthen angeben zu können. Wenn man dann den Isolationswiderstand der mit dieser Guttapercha bekleideten Leitungsdrähte in gleicher Weise in Zahlen bestimmte, so waren sie fehlerfrei isolirt, falls das gemessene Resultat mit dem der Rechnung übereinstimmte. War der Leitungswiderstand des fertigen Kabels nicht größer und der Isolationswiderstand desselben nicht kleiner, als die Rechnung ergab, so konnte man das Kabel für fehlerlos erklären.

Es war nicht zu erwarten, daß sich so exacte Prüfungen durch Strommessungen erzielen lassen würden. Auch zu den Bestimmungen der Lage von Fehlern, für die ich schon im Jahre 1850 die nöthigen Formeln gefunden und publicirt hatte, reichten die ungenauen Strommessungen nicht aus. Man mußte also zu Widerstandsmessungen übergehen, doch fehlte es dazu noch an guten, praktischen Meßmethoden und namentlich an einem festen Widerstandsmaaße. Endlich war bis dahin die Kenntniß der physikalischen Eigenschaften der Flaschendrähte, wie ich die unterirdischen Leitungen wegen ihrer Eigenschaft, als große Leydener Flaschen zu wirken, benannt hatte, noch zu wenig entwickelt, um ohne Gefahr eines Mißerfolges lange Unterseelinien zu planen.

Ich war mit dem Studium dieser Fragen seit 1850 eifrig beschäftigt. Meine Arbeiten fielen in die Zeit, in welcher der große Forscher Faraday die gelehrte Welt mit seinen grundlegenden Entdeckungen in bewunderndes Erstaunen setzte. In Deutschland wollten aber damals manche mit den herrschenden Theorien nicht vereinbare Anschauungen Faradays, namentlich die der elektrischen Vertheilung durch Molekularinduction, noch keinen rechten Glauben finden. Dies bewog mich, die Frage der elektrostatischen Induction, die für die Telegraphie nach meinen früheren Erfahrungen von so außerordentlicher Bedeutung war, ohne Rücksicht auf bestehende Theorien zu studiren. Ich gelangte schließlich zu einer vollständigen Bestätigung der Faradayschen Ansichten, für deren Richtigkeit es mir glückte, neue Beweise beizubringen. Durch meine angestrengte technische Thätigkeit leider vielfach in meinen Arbeiten unterbrochen, konnte ich meine Versuche erst im Frühjahr 1857 abschließen und legte dann ihre Ergebnisse in einem in Poggendorffs Annalen veröffentlichten Aufsatze »Ueber die elektrostatische Induction und die Verzögerung des Stromes in Flaschendrähten« nieder.

Es war mir durch diese Untersuchungen klar geworden, daß man nur bei Anwendung kurzer Wechselströme Aussicht hätte, auf längeren Kabellinien schnell zu correspondiren. In einem 1857 publicirten Aufsatze »Der Inductionsschreibtelegraph von Siemens & Halske« beschrieb ich die mechanischen Hülfsmittel zur Durchführung dieser Aufgabe. Sie bestanden wesentlich aus einem magnetisch polarisirten Relais, welches so construirt war, daß der durch einen kurzen Stromimpuls an den Contact gelegte Anker so lange an diesem liegen blieb, bis ein kurzer Strom entgegengesetzter Richtung ihn zum isolirten Anschlage zurückführte. Die kurzen Wechselströme wurden in der secundären Spirale eines Inductors erzeugt, indem durch die primären Windungen desselben die Telegraphirströme geleitet wurden.

Als die Herren Newall & Co. noch in demselben Jahre – 1857 – eine Kabellinie von Cagliari nach Malta und Corfu legten, versah ich die Stationen dieser Linie mit solchen Inductionsschreibtelegraphen. Auf der Insel Malta wurde eine Translationsstation errichtet, welche ermöglichte, auf dem dünnen Kabel direct zwischen Cagliari und Corfu mit befriedigender Geschwindigkeit zu correspondiren. Um die gute Isolation dieser Linie sowie anderer, die im östlichen Theile des mittelländischen Meeres verlegt werden sollten, sicher zu stellen, übernahm meine Firma die elektrische Prüfung der isolirten Leitungen in dem Kabelwerk der Herren Newall & Co. in Birkenhead. Als Assistent wurde mir hierfür ein talentvoller junger Mann, Mr. F. Jenkin, zugewiesen, der sich später einen Namen als Elektriker gemacht hat.

Eine sehr interessante Aufgabe brachte mir die Kabellinie durch das rothe und indische Meer von Suez bis Kurrachee in Indien, deren Ausführung der Firma Newall & Co. übertragen war. Meine Firma übernahm für letztere die elektrische Ueberwachung dieser Kabellegung sowie die Lieferung und Aufstellung der nöthigen Apparate. Die größte der bis dahin gelegten Kabellinien, die Linie von Sardinien nach Corfu, war ungefähr 700 Seemeilen lang, bot also kaum einen Anhalt für die Construction und den Betrieb einer Linie von 3500 Seemeilen Länge wie die geplante Kabellinie nach Indien. Nach den dort gemachten Erfahrungen war es möglich, durch Wechselströme Linien von 700 Seemeilen Länge mit Sicherheit und hinlänglicher Leistungsfähigkeit zu betreiben. Es waren danach zwischen Suez und Kurrachee vier bis fünf Zwischenstationen anzulegen, die mit selbstthätiger Translation ausgerüstet werden mußten, um ohne lästige und störende Handübertragung arbeiten zu können. Die Einrichtung dieser Translationsstationen hatte bei langen submarinen Linien besondere Schwierigkeiten, da die im Kabel zurückbleibende Ladung Störungen herbeiführte, wenn man nicht, wie bei der Corfulinie, mit secundären Strömen telegraphiren wollte. Gegen letztere Art des Betriebes sprachen aber praktische Gründe, die namentlich in der größeren Complicirtheit der ganzen Einrichtung bestanden.

Ich construirte daher ein neues System von Sprechapparaten, das später mit dem Namen »Rothes Meersystem« bezeichnet ist. Es wurden dabei nicht durch Induction erzeugte Wechselströme, sondern Batterieströme wechselnder Richtung benutzt. Dies bedingte, daß beim Schluß eines jeden Wortes eine Unterbrechung der zweiten, entmagnetisirenden Batterie und eine Entladung des Kabels eintreten mußte, bevor dieses mit dem Relais wieder leitend verbunden wurde. Hierzu dienten besondere, einfache Einrichtungen, welche in der Beschreibung des Systems, die ich 1859 unter dem Titel »Apparate für den Betrieb langer Unterseelinien« in der deutsch-österreichischen Telegraphen-Zeitschrift erscheinen ließ, ausführlich beschrieben sind. Es wurden auf dem ersten Theile der Linie zwischen Suez und Aden, der im Frühjahr 1859 gelegt wurde, solche Translationsstationen in Cosseir und Suakim angelegt. Sie functionirten sehr sicher und gut, so daß sich durch den mit Entladungscontact versehenen Morsetaster so schnell wie auf Landlinien zwischen den Endstationen correspondiren ließ, während man sich bei Ausschluß der Translationsstationen nur sehr langsam auf der 1400 Seemeilen langen Linie verständigen konnte.

Ich gelangte aber während meines Aufenthaltes in Aden durch ein besonderes Hülfsmittel dahin, auch auf der directen Linie schnell und sicher zu sprechen und die zwischenliegenden Translationsstationen überflüssig zu machen. Durch das Studium der elektrischen Eigenschaften unterirdischer Leitungen war mir klar geworden, daß man alle Nebenströme, welche die telegraphischen Zeichen verwirren, am besten beseitigen könnte, wenn man dem gebenden Kabelende bestimmte, der Kabelcapacität entsprechende positive und negative Elektricitätsmengen plötzlich zuführte und ebenso an der Empfangsstation nur bestimmten Elektricitätsmengen den Austritt aus dem Kabel gestattete. Anfangs glaubte ich dies durch Einschaltung einer Polarisationsbatterie erzielen zu können, welche so große Elementenzahl und so geringe Elektrodenfläche hätte, daß die zur Umladung der Batterie erforderliche Elektricitätsmenge eben noch zur Bewegung des Relaisankers ausreichte. Ich hatte mir eine solche Polarisationsbatterie von 150 Platinaelementen mitgebracht, fand aber, daß der Widerstand der Batterie beinahe so viel schadete, als die Polarisationswirkung nutzte. Da kam mir das glückliche Ereigniß zu Hülfe, daß der etwa 150 Seemeilen lange Ueberrest des Kabels von Aden aus verlegt wurde, um später bei der Fortsetzung des Linienbaues verwendet zu werden. Es war dies ein elektrischer Condensator, der ohne den schädlichen Leitungswiderstand der Polarisationsbatterie dasselbe leisten mußte, was ich von dieser erwartete. Ich ließ daher das entferntere Kabelende nach erfolgter Auslegung isolirend schließen und schaltete darauf das Kabel als Erdverbindung ein. Das Resultat war über alle Erwartung glänzend. Man konnte jetzt Morseschrift ohne jede Schwierigkeit nicht nur direct von Suez empfangen, sondern zu meiner Ueberraschung auch dorthin geben, ohne die Sprechgeschwindigkeit einzuschränken.

Dies war die erste Anwendung des Condensators in der Kabeltelegraphie, ohne den es nicht möglich sein würde, auf den langen atlantischen Linien so schnell und sicher zu sprechen, wie es jetzt die ausgezeichneten Thomsonschen Spiegelgalvanometer erlauben. Anstatt isolirter Kabelenden wendet man heute Papier- oder Glimmercondensatoren an, die man damals noch nicht besaß.

Für die Legung selbst hatte ich eine systematische Methode zur Controle der elektrischen Eigenschaften des Kabels eingeführt, welche alle Unsicherheiten und Mißverständnisse ausschloß. Es wurde am Ausgangsorte der Legung eine Uhr aufgestellt, die in bestimmten Zeitabschnitten das Kabelende selbstthätig isolirte, darauf mit der Erdleitung und endlich mit dem Telegraphenapparate verband. Das Schiff konnte daher ohne Mitwirkung der Landstation alle Messungen ausführen, und dasselbe galt von der Landstation, die ihre Messungsresultate fortlaufend dem Schiffe telegraphirte, so daß dieses stets die erforderlichen Data besaß, um nach meinen Fehlerbestimmungsformeln die Lage eines plötzlich eintretenden Fehlers berechnen zu können. Diese Ueberwachungsmethode erwies sich als höchst nothwendig, denn die berüchtigte hohe Temperatur des rothen Meeres erweichte die Guttapercha sehr und führte häufig Fehler herbei. Trotz aller Sorgfalt, welche man auf ihre Beseitigung verwendete, stellte sich nach der Ankunft in Aden heraus, daß ein – glücklicherweise beträchtlicher, also leicht auffindbarer – Fehler im Kabel vorhanden war, der das Sprechen mit der letzten Station Suakim unmöglich machte. Die Fehlerbestimmung von Aden aus ergab, daß der Fehler ziemlich in dessen Nähe, d. h. in der Meerenge von Bab-el-Mandeb lag. Obgleich Mr. Newall und seine Ingenieure kein rechtes Vertrauen zu meiner Bestimmung der Fehlerlage hatten, wurde das Kabel doch dicht hinter der von mir angegebenen Stelle aufgefischt und geschnitten, worauf sich zur allgemeinen Ueberraschung und Freude ergab, daß der nach Suakim führende Theil des Kabels fehlerfrei war! Der Fehler lag ziemlich genau an der berechneten Stelle und wurde durch Einfügung eines kurzen Stückes neuen Kabels beseitigt.

Der » scientific humbug« war durch diesen glücklichen Erfolg mit einem Schlage zu Ehren gekommen. Es war dies dadurch ermöglicht, daß ich bei dieser Legung die Strommessungen durchweg durch Widerstandsmessungen ersetzt hatte. Ein festes Maaß des elektrischen Leitungswiderstandes gab es damals noch nicht. Jacobi hatte zwar versucht ein rein empirisches Maaß allgemein als Widerstandsmaaß einzuführen, indem er Stücke Kupferdrahtes von gleichem Widerstande an Gelehrte und Mechaniker versandte und empfahl, diesen Widerstand allgemein als Einheit anzunehmen. Doch stellte sich bald heraus, daß die Widerstände sich änderten und wiederholte Copirung die Aenderungen noch um viele Procente vergrößerte. Meine Firma hatte bis dahin den Widerstand einer deutschen Meile Kupferdrahtes von 1 mm Durchmesser als Einheit angenommen und Widerstandsskalen auf Grundlage dieser Einheit hergestellt. Es zeigte sich aber, daß das Kupfer selbst bei möglichster Reinheit wesentlich verschiedenen specifischen Widerstand hatte und auch seinen Widerstand im Laufe der Zeit änderte. Die Webersche absolute Einheit als Grundmaaß anzunehmen, verbot der damalige Stand der elektrischen Meßkunst, der noch keine Uebereinstimmung in den verschiedenen Darstellungen dieser Einheit erzielen ließ. Unter diesen Umständen entschloß ich mich, das reine Quecksilber zur Grundlage eines reproducirbaren Widerstandsmaaßes zu machen, und schlug vor, den Widerstand eines Quecksilberprismas von 1 qmm Querschnitt und 1 m Länge beim Gefrierpunkte des Wassers als Widerstandseinheit anzunehmen. Ich werde auf dieses Widerstandsmaaß bei der Beschreibung meiner betreffenden Arbeiten noch zurückkommen und will hier nur bemerken, daß die von meiner Firma angefertigten, nach dem Gewichtssystem geordneten Widerstandsskalen der Quecksilbereinheit sich bereits bei der Legung des Kabels von Suez nach Aden als sehr nützlich erwiesen und zum ersten Male sichere Fehlerbestimmungen ermöglichten. –

Die Kabellegung im rothen Meere war für mich auch reich an interessanten persönlichen Erlebnissen. Schon am Tage nach der Einschiffung in Triest, in den ersten Tagen des April, war ich so glücklich, ein prächtiges Zodiakallicht am Abendhimmel zu sehen. Die Gelehrten stritten sich damals und streiten sich auch heute noch über den Grund dieser Erscheinung. Ich glaube, diejenigen haben Recht, welche in dem Zodiakallichte einen Beweis dafür erblicken, daß die in der äquatorialen Zone mit gesteigerter Geschwindigkeit aufsteigende, an Wasserdämpfen reiche Luft über dieser Zone einen hohen Ring bildet, der durch die Wirkung der Centrifugalkraft noch erhöht wird. Die Erscheinung entsprach vollständig den in physikalischen Lehrbüchern befindlichen Abbildungen und dauerte bis zum völligen Erlöschen etwa eine Stunde.

Nach angenehmer, ruhiger Fahrt trafen wir bei prachtvollem Wetter in Corfu ein, wo wir mehrere Stunden anhielten und Zeit hatten, die interessante Stadt und ihre herrliche Umgebung kennen zu lernen. Damals gehörten die ionischen Inseln noch den Engländern. Als ich nach einer Reihe von Jahren Corfu wieder besuchte, war es inzwischen in griechischen Besitz übergegangen, und die Stadt kam mir gegen früher recht heruntergekommen und ärmlich vor.

Bei schönstem Wetter durchschifften wir das an Erinnerungen so reiche adriatische und mittelländische Meer, landeten bei Alexandria und fuhren auf der erst kurz vorher eröffneten Eisenbahn nach Kairo, wo wir einige Tage Aufenthalt nahmen, um dem mit dem Kabel beladenen Schiffe Agamemnon, welches den Weg um das Kap der guten Hoffnung machen mußte, die nöthige Zeit zur Ankunft in Suez zu geben. Ich benutzte diese Gelegenheit zur Besichtigung der Stadt, die durch ihre reichen historischen Erinnerungen und als Berührungspunkt der Kulturen Europas und Asiens mich und meine Ingenieure im höchsten Grade interessirte. Als wir am 14. April die Cheops-Pyramide besuchten, hatten wir das Glück, auf ihrer Spitze eine interessante physikalische Erscheinung zu beobachten, über die ich später unter dem Titel »Beschreibung ungewöhnlich starker elektrischer Erscheinungen auf der Cheops-Pyramide bei Kairo während des Wehens des Chamsin« in Poggendorffs Annalen berichtet habe.

Schon während unseres Eselrittes von Kairo zur Pyramide erhob sich ein außergewöhnlich kalter Wüstenwind, der von einer eigenthümlichen, röthlichen Färbung des Horizontes begleitet war. Während unseres Aufstieges oder vielmehr unseres Transportes durch die Araber, die stets bei den Gizehpyramiden lagern und es sich nicht nehmen lassen, die Besucher derselben auf die über ein Meter hohen Stufen hinaufzuheben oder besser hinaufzuwerfen, nahm der Wind eine sturmartige Stärke an, so daß es einigermaaßen schwer fiel, sich auf der abgeplatteten Spitze der Pyramide aufrecht zu erhalten. Der Wüstenstaub war dabei so stark geworden, daß er als weißer Nebel erschien und uns den Anblick des Erdbodens gänzlich entzog. Er stieg allmählich immer höher empor und hüllte nach einiger Zeit auch die Spitze ein, auf der ich mich mit meinen zehn Ingenieuren befand. Dabei hörte man ein merkwürdiges, zischendes Geräusch, welches keine Folge des Windes selbst sein konnte. Einer der Araber machte mich darauf aufmerksam, daß beim Aufheben seines ausgestreckten Fingers über seinen Kopf ein scharfer, singender Ton entstand, der aufhörte, sobald er die Hand senkte. Ich fand dies bestätigt, als ich selbst einen Finger über meinen Kopf emporhob; zugleich verspürte ich im Finger eine prickelnde Empfindung. Daß es sich hierbei um eine elektrische Erscheinung handelte, ergab sich daraus, daß man einen gelinden elektrischen Schlag bekam, wenn man aus einer Weinflasche zu trinken versuchte. Durch Umhüllung mit feuchtem Papier verwandelte ich eine solche, noch gefüllte Flasche mit einem metallisch belegten Kopfe in eine Leydener Flasche, die stark geladen wurde, wenn man sie hoch über den Kopf hielt. Man konnte dann aus ihr laut klatschende Funken von etwa 1 cm Schlagweite ziehen. Dies bestätigte die von Reisenden schon früher beobachteten elektrischen Eigenschaften des Wüstenwindes in ganz unzweifelhafter Weise.

Im weiteren Verlaufe unserer Experimente fand ich Gelegenheit, den Beweis zu führen, daß die Elektricität auch als wirksame Vertheidigungswaffe zu gebrauchen ist. Die Araber hatten die aus unsern Weinflaschen hervorbrechenden Blitze gleich mit offenbarem Mißtrauen betrachtet. Sie hielten dann eine kurze Berathung, und auf ein gegebenes Signal wurde ein jeder meiner Begleiter von den drei Mann, die ihn hinaufbefördert hatten, gepackt, um gewaltsam wieder hinabtransportirt zu werden. Ich stand gerade auf dem höchsten Punkte der Pyramide, einem großen Steinwürfel, der in der Mitte der Abplattung lag, als der Scheik der Arabertribus sich mir näherte und mir durch unsern Dolmetscher sagen ließ, die Tribus hätte beschlossen, wir sollten sofort die Pyramide verlassen. Als Grund gab er auf Befragen an, wir trieben offenbar Zauberei, und das könnte ihrer Erwerbsquelle, der Pyramide, Schaden bringen. Als ich mich weigerte, ihm Folge zu leisten, griff er nach meiner linken Hand, während ich die rechte mit der gut armirten Flasche – in offenbar beschwörender Stellung – hoch über den Kopf hielt. Diesen Moment hatte ich abgewartet und senkte nun den Flaschenkopf langsam seiner Nase zu. Als ich sie berührte, empfand ich selbst eine heftige Erschütterung, aus der zu schließen der Scheik einen gewaltigen Schlag erhalten haben mußte. Er fiel lautlos zu Boden, und es vergingen mehrere, mich schon ängstlich machende Sekunden, bis er sich plötzlich laut schreiend erhob und brüllend in Riesensprüngen die Pyramidenstufen hinabsprang. Als die Araber dies sahen und den fortwährenden Ruf »Zauberei« des Scheiks hörten, verließen sie sämmtlich ihre Opfer und stürzten ihm nach. In wenigen Minuten war die Schlacht entschieden und wir unbedingte Herren der Pyramide. Jedenfalls ist Napoleon der »Sieg am Fuße der Pyramiden« nicht so leicht geworden wie mir der meinige auf ihrer Spitze!

Da das Wehen des Chamsin bald aufhörte und die Sonne die gefährdete Pyramide wieder hell beleuchtete, so erholten sich auch die Araber von ihrem Schreck und kletterten wieder zu uns in die Höhe, um der erhofften »Bakschisch« nicht verlustig zu gehen. Der Zauberei hielten sie uns aber offenbar auch beim friedlichen Abschiede noch für verdächtig.

Auch an kleinen Abenteuern zur See fehlte es bei dieser Kabellegung nicht. Das Wetter war durchweg windstill und schön, wie es im rothen Meere, wo Regenfall zu einer großen Seltenheit gehört, stets zu sein pflegt. Nur die erschlaffende Hitze war störend. Mein Reisethermometer zeigte bei Tage fast immer 30° und bei Nacht 31° Réaumur, eine Temperatur, die man zwar mit voller nordischer Kraft längere Zeit ohne Schwierigkeit erträgt, die auf die Dauer aber doch recht lästig wird. Am Tage lebt man in stetem Kampfe mit der Sonne, vor deren Strahlen Kopf und Rücken sorgfältig geschützt werden müssen. Nachts fehlt die erhoffte Kühlung gänzlich. Zwar die Sternenpracht des südlichen Himmels bei der in Wirklichkeit ägyptischen Finsterniß der Nächte ist erhebend – aber sie ersetzt doch nicht die ersehnte Kühlung.

Eines Nachts, als ich in meinem » test-room« die Isolation des Kabels zwischen Cosseir und Suakim überwachte, hörte ich plötzlich lautes Schreien und heftige Bewegung an Bord. Der an der Schiffsspitze mit fortgesetzten Tiefensondirungen betraute Mann war über Bord gegangen. Da das ganze Deck mit Gaslicht hell beleuchtet war, so konnten viele der dort beschäftigten Leute den laut um Hülfe rufenden Mann im Wasser sehen und ihm Rettungsringe zuwerfen, die überall an Bord bereit gehalten wurden. Das Schiff wurde angehalten und Boote wurden ausgesetzt, die für eine unbehaglich lange Zeit im nächtlichen Dunkel verschwanden. Endlich kamen sie triumphirend zurück. Der Mann hatte sich schwimmend über Wasser gehalten und war so glücklich gewesen, von keinem der vielen Haifische ergriffen zu sein, die sich im dortigen Meere tummeln und besonders gern weiße Menschen verzehren sollen, während sie die schwarzen nur selten belästigen. Er zitterte heftig, als er an Bord kam, und hatte noch sein offenes Messer in der Hand. Nach seinem Geschick befragt, erzählte er, daß er von einer Menge Haifische umringt worden wäre, aber glücklicherweise hätte sein Messer ziehen und sich mit ihm vertheidigen können, bis die Boote zu seiner Rettung erschienen wären. Uns allen gruselte es bei der lebendigen Schilderung seiner Gefahren und Kämpfe. Da kam der Bootsmann in den Kreis, der sich um den Mann gebildet hatte, um dem Kapitän zu melden, daß einige der Kautschukringe, die man dem Verunglückten nachgeworfen, wieder aufgefunden seien und daß merkwürdiger Weise mehrere derselben Messerstiche aufwiesen. Der Mann hatte die weißen Ringe in seiner Todesangst für weiße Haifischbäuche gehalten – der Hai legt sich bekanntlich auf den Rücken, wenn er schnappen will.

Der Haifisch spielt im Matrosenleben der heißen Zone eine große Rolle, da er dem Schiffsvolke das erquickende Seebad verleidet. Der Matrose haßt denselben daher leidenschaftlich und martert ihn mit Vergnügen, wenn es ihm gelingt, eines solchen habhaft zu werden. Ich war Zeuge, wie mit einem kleinen Anker, auf dessen Zacken Fleischstücke aufgespießt waren, zwei mächtige, mindestens zwölf Fuß lange Haie gefangen und an Bord gezogen wurden. Es war ziemlich gefährlich, ihnen zu nahen; sie hatten gewaltige Kraft und ein so zähes Leben, daß sie noch lange, nachdem ihnen sämmtliche Eingeweide genommen waren, mit den Schwänzen um sich schlugen.

Als wir im Hafen von Suakim vor Anker lagen, war es streng verboten zu baden, da sich in der Nähe sehr viele Haifische umhertummelten. Eines Abends saßen wir nach Sonnenuntergang, der dort sehr schnell völlige Dunkelheit im Gefolge hat, wie gewöhnlich beim » dinner« auf dem Schiffsdecke, als plötzlich » shark« von mehreren Stimmen gerufen wurde und gleichzeitig der Hülferuf eines Menschen erscholl. Die Boote wurden niedergelassen, und man sah deutlich in dem vom Schiffe ausgehenden Lichte sich etwas im Wasser bewegen, was für einen Haifisch gehalten wurde. Es liefen daher mehrere nach ihren Revolvern, die immer bereit lagen, da es ein üblicher Sport war, während der Fahrt des Schiffes nach ins Wasser geworfenen leeren Sodawasserflaschen zu schießen. Glücklicherweise zeigte sich vor Beginn der Kanonade, daß der vermeintliche Haifisch ein Matrose war, der dem Verbote entgegen ein Bad nahm und von seinen Kameraden durch den » shark«-Ruf in Angst versetzt war.

In Suakim angekommen, erhielten wir alsbald den Besuch der Höchstgebietenden des Ortes, des türkischen Paschas und des Ortschefs. Es waren zwei höchst würdige Gestalten, die sich mit orientalischer Grandezza bewegten und ängstlich jeden Schein vermieden, als ob sie sich über irgend etwas wunderten. Es wurde ihnen ein Teppich ausgebreitet und Tschibuk und Kaffee servirt. Sie rauchten und tranken mit Würde, ohne sich nach uns umzusehen, die wir sie umstanden. Da sagte mein Freund, unser Oberingenieur William Meyer, der die Expedition begleitete: »Sieh mal, Werner, was der Lange mit dem schönen weißen Bart für ein famoser Kerl ist; den könnte man in Berlin für Geld sehen lassen!« Zu unserer Ueberraschung drehte sich der Betreffende langsam nach uns um und sagte im schönsten Berliner Dialekt: »Ih, Sie sprechen deutsch?« Auf unsere Antwort, daß wir Deutsche wären, uns aber wunderten, daß er deutsch sprechen könne, antwortete er: »Ich bin ja aus Berlin. Besuchen Sie mich!« Dann drehte er würdevoll seinen Kopf zurück und nahm weiter keine Notiz von uns. Meyer besuchte ihn am nächsten Tage und lernte einen ganz umgänglichen Mann in ihm kennen, wenn er sich nicht in türkischer Begleitung befand. Er war als Schneidergeselle vor 50 Jahren von Berlin aus in die Welt gegangen, wollte nach Indien, erlitt aber im rothen Meere bei Suakim Schiffbruch, blieb dort, wurde Mohammedaner und schließlich Stadthaupt. Dabei war er ein reicher Mann geworden. Er zeigte meinem Freunde alle seine Besitzthümer, nur den Harem wollte er ihm trotz aller Bitten nicht zeigen und verbat sich zuletzt ernstlich, über seine Frauen zu sprechen.

Als wir in Aden unsre Geschäfte beendet hatten, wollte ich mit Meyer auf dem nächsten Dampfer der Peninsular & Oriental Company, der Alma, so schnell als möglich nach Europa zurückkehren. Dasselbe beabsichtigten die Herren Newall und Gordon. Als der Dampfer eintraf, war er aber voll besetzt, und man verweigerte uns die Aufnahme. Erst durch eine von Herrn Newall erwirkte Ordre des Gouverneurs von Aden erlangten wir dieselbe, freilich nur als Deckpassagiere, da keine Kajüten mehr frei waren. Wir nahmen hieran keinen Anstoß, denn wir hatten während unsres mehrmonatlichen Aufenthaltes auf dem rothen Meere stets angekleidet auf dem Deck geschlafen, weil die Hitze unter Deck unerträglich war.

An Bord fanden wir eine wirklich luxuriöse Einrichtung und elegantes, fast üppig zu nennendes geselliges Leben, das mit unserm Dasein in der letzten Zeit stark contrastirte. Herren und Damen wechselten am Tage wiederholt ihre eleganten Toiletten, und zwei Musikchöre lösten sich ab, um die Langweiligkeit der Seefahrt zu bekämpfen. Wir kamen uns in unsern abgerissenen Gewändern recht ungehörig für diesen feinen Kreis vor, und die uns treffenden Blicke der Damen schienen auch voll Verwunderung über einen so unpassenden Zuwachs der Schiffsgesellschaft zu sein. Doch wurden wir von dem ersten Lieutenant dem Höchstgestellten der Reisegesellschaft, dem englischen Gesandten für China vorgestellt, der den französisch-englischen Krieg mit China soeben glücklich zu Stande gebracht hatte. Derselbe gab uns gnädige Audienz, wobei er mit uns in eines Jeden Muttersprache einige Worte wechselte, da er stolz auf seine ausgebreitete Sprachkenntniß war und sie gern zeigte. Nach Einbruch der Nacht suchte sich Jedermann auf dem Deck einen Lagerplatz aus, aber unsere Ruhe wurde noch lange durch die Damen gestört, die sich nicht entschließen konnten, in ihre heißen Kajüten hinabzusteigen.

Wir hatten erst einige Stunden geschlafen, als wir auf eine rauhe Weise aus unseren Träumen geweckt wurden. Ein heftiger Stoß machte das ganze Schiff erzittern, ihm folgten zwei andere, noch heftigere, und als wir entsetzt aufgesprungen waren, fühlten wir auch schon, wie das Schiff sich zur Seite neigte. Ich hatte glücklicherweise meine Stiefel nicht ausgezogen, nur Hut und Brille abgelegt. Als ich mich nach diesen umsah, bemerkte ich meinen Hut bereits auf dem Wege zum niedersinkenden Schiffsbord und folgte ihm unfreiwillig in gleicher Richtung. Von allen Seiten erscholl ein wilder, angsterfüllter, ohrenzerreißender Aufschrei, dann ein allgemeines Gepolter, da alles auf Deck Befindliche den Weg in die Tiefe antrat. Instinctiv strebte Jeder dem höheren Schiffsbord zu, die Meisten vermochten ihn zu erreichen. Mir ging es schlechter, da ich beim Suchen nach Hut und Brille Zeit verlor. Schon strömte das Wasser über die Bordkante und mahnte mich, an die eigene Rettung zu denken. Das Deck war in wenigen Sekunden in eine so schräge Lage gekommen, daß es nicht mehr möglich war, auf ihm emporzuklimmen. Doch die Noth macht riesenstark! Ich stellte Tische und Stühle so übereinander, daß ich ein im hellen Mondschein sichtbares Schiffstau, das vom hochliegenden Bord herunterhing, erreichen und an ihm emporklimmen konnte.

Dort oben fand ich fast die ganze Schiffsgesellschaft schon versammelt und mit bewundernswürdiger Ruhe die Entwicklung des Dramas erwartend. Da drangen durch die Stille der Nacht schwach weibliche Hülferufe, und eine Stimme erklärte, daß noch viele Damen in den zur Hälfte bereits überflutheten Kabinen wären. Alles war bereit, bei ihrer Rettung mitzuwirken, aber es war schwierig, sie zu bewerkstelligen, weil das schon mehr als 30° schiefliegende, glatte Deck keinen Halt mehr darbot. Jetzt leistete mein Schiffstau gute Dienste. Ein mit der Schiffslocalität vertrauter Seemann ließ sich an ihm zum Kabineneingange hinab und befestigte eine Dame daran, die wir dann emporzogen. Das ging aber zu langsam, denn noch harrte eine große Anzahl der Rettung. Es wurde daher mit Hülfe anderer Schiffstaue eine lebendige Kette gebildet, durch welche die armen, großentheils in ihrem Lager von dem durch die offenen Kabinenfenster eingeströmten Wasser überraschten, zitternden Damen von Hand zu Hand hinaufbefördert wurden. Wenn irgend wo ein Hinderniß eintrat, ertönte das Commando »Halt!« und es mußte dann jeder seine Last so lange tragen, bis die Beförderung wieder in Gang kam. Bei einem solchen Halt erkannte ich beim Mondesscheine in der sich ängstlich an mich schmiegenden, von Wasser triefenden Dame die stolze, junge Kreolin, die wir noch vor wenigen Stunden in dem Verehrerkreise, den ihre Schönheit um sie gebildet hatte, aus bescheidener Ferne bewundert hatten.

Das schnelle Sinken des Schiffs nach dem Aufstoßen auf einen verdeckten Korallenfelsen erklärte sich durch den schon erwähnten Umstand, daß die Kajütenfenster sämmtlich geöffnet waren, das Wasser daher ungehindert Eingang in den Schiffsraum fand. Das Schiff lag bald ganz auf der Seite, und die große Frage, an der jetzt Leben und Tod alles Lebendigen auf ihm hing, war die, ob es eine Ruhelage finden oder kentern und uns sämmtlich in die Tiefe schleudern würde. Ich errichtete mir eine kleine Beobachtungsstation, mit deren Hülfe ich die weitere Neigung des Schiffes an der Stellung eines besonders glänzenden Sternes verfolgen konnte, und proklamirte von Minute zu Minute das Resultat meiner Beobachtungen. Alles lauschte mit Spannung diesen Mittheilungen. Der Ruf »Stillstand!« wurde mit kurzem, freudigem Gemurmel begrüßt, der Ruf »Weitergesunken!« mit vereinzelten Schmerzenslauten beantwortet. Endlich war kein weiteres Sinken mehr zu beobachten, und die lähmende Todesfurcht machte energischen Rettungsbestrebungen Platz.

Wir konnten im Scheine des Mondes und des hell glänzenden Sternenhimmels deutlich erkennen, daß wir auf einen größeren, an einer Stelle ziemlich hoch aus dem Wasser herausragenden Felsen zugefahren waren, der jetzt nur noch einige hundert Meter von uns entfernt lag. Die an Bord der Leeseite befestigten Rettungsboote konnten mit Ueberwindung einiger Schwierigkeiten flott gemacht werden, und jetzt wurden nach altenglischer Seepraxis zuerst die Frauen und Kinder ans Land geschafft. Es war das zwar sehr unpraktisch, da die armen Geschöpfe auf dem Lande in einer verzweifelt hülflosen Lage waren, doch wurde der Grundsatz mit voller Consequenz durchgeführt.

Als wir, William Meyer und ich, bei Anbruch des Tages an die Reihe kamen, fanden wir die Damen fast ohne Ausnahme in einem höchst bedauernswerthen Zustande, da sie nur nothdürftig bekleidet und größtentheils ohne Schuhzeug waren. Der vielleicht noch niemals von einem menschlichen Fuß betretene Felsen war durchweg mit scharfen Korallenspitzen besetzt, welche die unbekleideten Füße blutig ritzten. Hier that Hülfe am nöthigsten. Ich gehörte zu den Glücklichen, die Schuhzeug besaßen, und hatte auch mein Taschenmesser behalten. Mit dem nächsten Boote kehrte ich daher nach dem Wrack zurück und fischte mir eine dicke Matte von Linoleum und eine andere von dünnerem Stoff heraus, mit denen ich nun am Ufer eine Sandalenwerkstatt eröffnete. Mein Freund, der nicht so glücklich war, Stiefel gerettet zu haben, erhielt zuerst ein Paar Sandalen und übernahm es dann dankbar, die bewegungslos am Boden kauernden Damen mit solchen auszurüsten. Er erinnerte sich noch nach Jahren mit Freude der dankbaren Blicke aus schönen Augen, die ihm dieser Samariterdienst eintrug.

Doch was nun? Es saßen jetzt am Morgen des Pfingstsonntages etwa 500 Personen auf dem nackten Korallenfelsen von vielleicht einem Hektar Größe, der über acht Seemeilen außerhalb des gewöhnlichen Kurses der Schiffe lag. Wir waren in der schönen, stillen Nacht, in der Steuermann und » lookout« wahrscheinlich sanft entschlummert waren, in das berüchtigte Korallenfeld gerathen, das südlich von den Harnischinseln liegt und von allen Schiffen ängstlich gemieden wird. Auf zufällige Rettung war daher um so weniger zu rechnen, als der gänzliche Mangel an Trinkwasser ein langes Abwarten der Hülfe unmöglich machte. Das Schiff ging zwar nicht völlig unter, und wir konnten Lebensmittel aller Art in hinlänglicher Menge bergen, aber der Wasserbehälter hatte sich mit Seewasser gefüllt, und die Destillirblase, mit der das nöthige süße Wasser überdestillirt wurde, war nicht zu heben. Das noch in den Kabinen befindliche Wasser bildete daher unsern einzigen Besitz, von dessen sparsamer Verwendung es abhing, wie lange wir den Kampf ums Dasein noch fortführen konnten.

Doch es drohte noch eine andere große Gefahr. Die Schiffsbesatzung bestand bei den schönen und großen Dampfern der Peninsular & Oriental Company, die den Dienst zwischen Suez und Indien damals versah, fast nur aus eingeborenen Leuten, da Europäer dem Klima des rothen Meeres nicht lange zu widerstehen vermögen. Unter den etwa 150 Personen, welche die Bemannung der Alma bildeten, befanden sich daher außer den Schiffsofficieren nur drei oder vier Europäer. Der Kapitän war krank und soll bald nach dem Schiffbruch in Folge der Aufregung gestorben sein. Die Officiere hatten durch die schlechte Schiffsführung ihr Ansehen eingebüßt und vermochten die Disciplin unter der Mannschaft nicht mehr aufrecht zu erhalten. Diese fing daher an zu meutern, versagte den Gehorsam, erbrach die geborgenen Koffer der Reisenden und benahm sich rücksichtslos gegen die Damen. In dieser Noth vollzog sich ein Akt freiwilliger Staatenbildung. Die thatkräftigsten der jüngeren Männer, zu denen namentlich eine Anzahl auf der Heimreise von Indien begriffener englischer Officiere gehörten, bemächtigten sich der alten Gewehre mit Bajonnet, die wohl mehr zur Dekoration als zu ernstlichem Gebrauche auf dem Schiffe waren, und proklamirten das Standrecht. Ein sich widersetzender, trunkener Matrose wurde niedergestoßen und auf der Höhe des felsigen Hügels ein Galgen als Zeichen unsrer Macht errichtet. Dorthin wurden auch alle geborgenen Lebensmittel geschafft und ein Wachtzelt aufgeschlagen, vor dem ein Posten patrouillirte. Das wirkte beruhigend und hielt die Schiffsmannschaft in Gehorsam.

Vor allen Dingen war es nöthig, Schutz gegen die Sonne zu schaffen, die um diese Jahreszeit Mittags senkrecht auf die Insel niederstrahlte. Es begann daher eine eifrige Thätigkeit, um mit Hülfe der Segel und Raaen Zelte zu bauen. Ferner wurde eine Küche eingerichtet, und die Lebensmittel, namentlich das Wasser sowie die Vorräthe an Bier und Wein wurden in Sicherheit gebracht. Hierbei that sich besonders Mr. Gisborne, der leitende Ingenieur der Kabellegung hervor, der eine Art Diktatur auf der Insel ausübte. Mr. Newall war gleich bei Anbruch des Tages mit einem der drei Boote, die uns zur Verfügung standen, nach Mokka, dem nächsten Orte an der arabischen Küste, gefahren, um Hülfe zu suchen. Er fand sie dort aber nicht – vielleicht weil in Folge des kurz vorher stattgefundenen Bombardements von Djedda durch die Engländer die Stimmung gegen die Europäer sehr ungünstig war – und fuhr daher weiter nach der Straße von Bab-el-Mandeb, in der Hoffnung, dort einem Schiffe zu begegnen. Es war diese Fahrt auf einem gebrechlichen, offenen Boote ein kühnes Unternehmen, aber unsere einzige Hoffnung hing daran! Und in der That, es glückte dank einem ausgezeichneten Fernrohr, das ich mir zu dieser Reise von Steinheil in München hatte bauen lassen.

Als nämlich das englische Kriegsschiff, welches einige Tage nach uns Aden verließ, um die Zwischenstationen zu besuchen und unsere dort stationirten Ingenieure abzuholen, am frühen Morgen die Straße von Bab-el-Mandeb passirt hatte, stand unser Ingenieur Dr. Esselbach mit meinem Fernrohr auf Deck und musterte die unendlich sich ausdehnende Meeresfläche. Da erblickte er einen weißen Punkt, den er für das Segel eines europäischen Bootes hielt, weil die Eingeborenen nur braune Segel führen. Er machte die Schiffsofficiere und schließlich den Kapitän selbst darauf aufmerksam, der sich durch mein Fernrohr von der Richtigkeit der Beobachtung überzeugte und den Kurs sofort auf den weißen Punkt richtete. Zu großer Ueberraschung Aller entwickelte sich dann aus diesem Punkte das den Seeleuten wohlbekannte Boot des Passagierdampfers, und schon aus weiter Ferne erkannte man Herrn Newall an seinem charakteristischen langen weißen Barte.

Inzwischen hatte sich das Leben auf dem Korallenfelsen in erwarteter Weise weitergesponnen. Von 9 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags mußten wir ruhig unter den Zeltdächern liegen, um der Sonnengluth besser widerstehen zu können und das Bedürfnis nach Getränken nicht zu sehr zu wecken. Darauf wurde gekocht und so gut es anging dinirt, wobei in den ersten Tagen jeder eine kleine Flasche pale Ale bekam, da das Wasser für Frauen und Kinder reservirt wurde. Den Wein, der auch vorhanden war, konnte Niemand vertragen; er erhitzte das Blut derartig, daß diejenigen erkrankten, die es versuchten, ihn zu trinken. Die ersten beiden Tage ging alles so leidlich, dann aber begann eine große Abspannung und verzweifelte Stimmung Platz zu greifen. Treue alte Diener verweigerten kleine Dienstleistungen, wenn ihnen auch Goldstücke dafür geboten wurden. Selbst die Schafe und Hunde, die man ans Land gebracht hatte, verloren allen Lebensmuth. Sie drängten sich mit unwiderstehlicher Gewalt unter die Zeltdächer und ließen sich lieber tödten als den unbarmherzigen Sonnenstrahlen wieder preisgeben. Nur die Schweine übertrafen an Ausdauer selbst den Menschen; sie umkreisten unausgesetzt suchend die Insel, bis sie im Kampfe um ihr Dasein todt zu Boden fielen.

Am dritten Tage gelang es einer kleinen Zahl von uns, die noch so viel Kraft und Selbstüberwindung besaßen, um bei niedrigem Sonnenstande Arbeiten auszuführen, die äußere Schiffswand zu durchbrechen und sich den Eingang in die Eiskammer des Schiffes zu eröffnen. Es fand sich in ihr freilich kein Eis mehr vor, aber noch eine mäßige Quantität kalten Wassers. Dasselbe wurde ebenfalls den zahlreichen Frauen und Kindern reservirt, doch erhielt jeder Mitarbeiter als Lohn ein Glas frisches, kühles Wasser. Noch nach vielen Jahren habe ich mich dieses erquickenden Trunkes bei quälendem Durst und trockenem Gaumen oft dankbar erinnert.

Als auch der vierte Tag ohne Aussicht auf Erlösung verging, bemächtigte sich selbst der Muthigsten dumpfe Verzweiflung. Ein Dampfschiff, dessen Rauch wir in weiter Ferne erblickt, war vorübergefahren, ohne uns zu entdecken. Am folgenden Morgen hieß es wieder »Dampfschiff in Sicht!« aber der Ruf erweckte diesmal nur schwache Hoffnung. Doch der Rauch kam näher, und die schon schlummernden Lebensgeister erwachten aufs neue. Das Schiff näherte sich uns bald, bald entfernte sichs wieder; die Hoffnung begann sich zu regen, daß es uns suche. Da endlich schien es unsre Signale zu bemerken, es nahm den Kurs direkt auf die Insel. Kein Zweifel mehr! die Rettung nahte, und ihre Gewißheit machte auch die beinahe schon Todten wieder lebendig. Wir erkannten unser Begleitschiff bei der Kabellegung und Newall, unsern Retter, an seinem Bord.

Es waren unvergeßliche Scenen, die sich jetzt abspielten. Auf dem Schiffe herrschte rege Thätigkeit zur Ausführung der Landung. Niemand schien Notiz zu nehmen von dem vielhundertstimmigen Freudenjubel, der der Schiffsmannschaft entgegentönte. Der Anker rasselte nieder und die Boote schossen ins Wasser. Sie trugen Tonnen voll Wasser und flache Holzgefäße, die dann durch kräftige Matrosenhände auf dem Lande aufgestellt und mit Wasser gefüllt wurden. Man wußte durch Mr. Newall, daß uns das Wasser mangelte, und wollte zunächst unsern Durst stillen. Es stürzte sich auch sofort Alles auf die großen Holzgefäße und suchte mit der hohlen Hand Wasser aus ihnen zu schöpfen. Aber das ging langsam, und Andere drängten nach. Da wurde einfach der Kopf niedergebeugt und mit gierigen Zügen das köstliche Naß geschlürft. Auch die Thiere hatten das Wasser gespürt und drängten sich mit unwiderstehlicher Kraft heran, obgleich sie Tage lang schon wie todt unter den Zeltdächern gelegen hatten. Ein großer Hammel schob alles bei Seite und steckte seinen Kopf zwischen dem einer schönen Blondine und dem eines Negers in das Faß, ohne daß diese sich stören ließen. Es waren Bilder, die gewiß Allen unvergeßlich geblieben sind, die sie gesehen haben.

Da die Zahl von etwa fünfhundert Passagieren und Schiffsvolk für den Transport durch das kleine Kriegsschiff zu groß war, wurde von seinem Kapitän beschlossen, die Schiffsmannschaft mit einer Matrosenwache des Kriegsschiffes auf der Insel zurück zu lassen und wegen ihrer Meuterei in strenger Zucht zu halten, die sämmtlichen Passagiere aber an Bord zu nehmen und nach Aden zurückzubringen. So kamen wir, in fürchterlicher Enge auf dem Deck des kleinen Schiffes zusammengepreßt, wieder in Aden an, wo man schon mit Unruhe die telegraphische Nachricht unserer Ankunft in Suez erwartet hatte. Auf Befehl des Gouverneurs von Aden mußte der nächste indische Passagierdampfer trotz seiner Ueberfüllung noch fast die ganze Zahl der Schiffbrüchigen aufnehmen. Wir ertrugen aber gern die Beschwerden dieser Ueberfahrt und der weiteren von Alexandria nach Marseille und dankten Gott, daß wir nicht ein tragisches Ende auf dem einsamen Korallenfelsen der Harnisch-Inseln gefunden hatten.

Weder in Kairo noch in Alexandria hatten wir Muße, unsere sehr defecte äußere Erscheinung zu verbessern. Fast Alle hatten ihr gesammtes Gepäck beim Schiffbruch verloren, auch fehlte, es den Meisten an Geldmitteln. Erst in Paris, wohin es unaufhaltsam ging, bot sich Gelegenheit zu neuer Ausrüstung. Wir mußten sämrntlich den Weg über Marseille nehmen, da der Hafen von Triest durch die Franzosen blockirt war und die Reise über Italien des Krieges in der Lombardei wegen nicht anging. Die Nachricht der französischen Kriegserklärung und des Todes von Alexander von Humboldt hatte ich während der Kabellegung mitten im rothen Meere erhalten. Auch die späteren großen politischen Ereignisse waren uns durch das Kabel mitgetheilt worden, so daß wir in steter Kenntniß der Weltereignisse geblieben waren.

Es hätte übrigens nicht viel gefehlt, so wäre ich mit Meyer in Malta sitzen geblieben. Der Kapitän des französischen Passagierdampfers erklärte bestimmt, er dürfe keine Passagiere ohne Paß nach Marseille bringen, wir müßten uns daher in Malta mit Pässen versehen, wenn wir die unsrigen beim Schiffbruch verloren hätten. Da der Kapitän uns den betreffenden Konsuln als in Alexandria übernommene Schiffbrüchige vorstellte, so erhielten alle Uebrigen ohne jede Schwierigkeit Konsulatspässe ausgefertigt; nur der preußische Konsul – ein mit diesem Amte betrauter, dort ansässiger Geschäftsmann – erklärte, daß er dazu nicht autorisirt sei, da wir keine vorschriftsmäßige Legitimation vorweisen könnten. Erst nach sehr heftigen Scenen gab er nach, und wir konnten das Schiff noch eben vor der Abfahrt erreichen.

Die indische Linie wurde im folgenden Jahre von Aden bis Kurrachee verlängert, wobei William Meyer die Leitung der elektrischen Arbeiten übernahm. Leider blieb die Linie nicht lange in brauchbarem Zustande. Im Rothen-Meer-Kabel waren schon während der Fortsetzung der Linie nach Indien Isolationsfehler aufgetreten, welche die Correspondenz erschwerten. Unsre Elektriker nahmen zwar eine Reparatur vor, bei der sie alle groben Fehler beseitigten, doch traten immer neue auf, die schon im nächstfolgenden Jahre die ganze Linie unbrauchbar machten, weil das Kabel im rothen Meere durch Korallenbildung am Boden festgehalten wurde und daher nicht mehr zu heben und zu repariren war. Der Grund dieses traurigen Ereignisses war einmal darin zu suchen, daß die Unternehmer das Kabel nicht im tiefen Wasser, in der Mitte des Meeres, sondern nahe der nubischen Küste, an der die Zwischenstationen lagen, im flachen Wasser niederlegten, wo die Korallenbildung auf dem Meeresboden sehr schnell vorschreitet. Man war aber damals auch noch nicht zu der Ueberzeugung gekommen, daß bei Unterseekabeln nicht die Billigkeit, sondern die Güte in erster Linie anzustreben ist. Man überlegte nicht, daß jeder Fehler, wenn er nicht reparirt werden kann, das ganze Kabel entwerthet, und daß aus jedem kleinen Isolationsfehler mit der Zeit ein großer wird. Fast alle in der ersten Zeit von den Engländern gelegten unterseeischen Kabel, sowohl die im Kanal, im mittelländischen und rothen Meere, wie auch das erste atlantische Kabel, welches im Sommer 1858 nach einem verfehlten Versuche im vorhergegangenen Jahre durch den Ingenieur Whitehouse gelegt wurde, gingen zu Grunde, weil man bei der Construction und Herstellung, sowie bei den Prüfungen und der Legung sich nicht von richtigen Grundsätzen hatte leiten lassen.

In Erkenntniß dieser Thatsache übertrug die englische Regierung unsrer Londoner Firma im Jahre 1859 die Controle der Anfertigung und die Prüfungen von Kabeln, welche sie zu legen beabsichtigte. Bei diesen Prüfungen wurde zum ersten Male ein konsequentes, rationelles Prüfungssystem angewendet, welches Sicherheit gab, daß das vollendete Kabel fehlerlos war, wenn die Leitungsfähigkeit des Kupferleiters und der Isolationswiderstand des isolirenden Ueberzuges den specifischen Leitungswiderständen der benutzten Materialien vollständig entsprachen. Es ergab sich, daß die Isolirung dieser neuen Kabel über zehn Mal so groß war, als man sie bis dahin bei Unterseekabeln erreicht hatte.

Mein Bruder Wilhelm und ich haben den der englischen Regierung über die Ausführung dieser Prüfungen und die dabei angewendeten Methoden und Formeln erstatteten Bericht im Juli 1860 in einem von Wilhelm gehaltenen Vortrage unter dem Titel »Umriß der Principien und des praktischen Verfahrens bei der Prüfung submariner Telegraphenlinien auf ihren Leitungszustand« der British Association mitgetheilt und unsere Erfahrungen dadurch zum Gemeingut gemacht.

Seit dieser Zeit sind keine fehlerhaft isolirten Kabel mehr verlegt, und die Dauer derselben hat sich überall da als befriedigend erwiesen, wo nicht locale Gründe oder äußere Gewalt Zerstörungen bewirkten. Solche localen zerstörenden Ursachen fanden sich bei Kabellegungen in flachem Wasser – sowohl im mittelländischen wie auch im schwarzen Meere – in einem kleinen Thiere, welches zur Klasse der den Holzschiffen so gefährlichen Holzwürmer (Xylophaga) gehört. Bei den in den Jahren 1858 und 1859 von der Firma Newall & Co. im östlichen Theile des mittelländischen Meeres gelegten Kabeln ohne Eisenhülle wurde schon in dem Jahre der Legung ein großer Theil der Hanfumspinnung des mit Guttapercha isolirten Leiters zerfressen. Dabei hatten die Thierchen aber auch vielfach die Guttapercha selbst angegriffen, und es fanden sich zahlreiche Stellen, wo sie sich bis zum Kupfer durchgefressen und dadurch die Isolation gänzlich zerstört hatten. Sogar eine Eisenumhüllung schließt eine Zerstörung der im flachen Wasser liegenden Kabel durch den Holzwurm nicht vollständig aus, da Stellen, an denen ein gebrochener Draht abgesprungen ist, ihm Zugang verschaffen, und da die junge Brut auch die schmalen Zwischenräume zwischen den Schutzdrähten passiren und dann innerhalb der Schutzhülle sich zu gefährlicher Größe entwickeln kann. Bruder Wilhelm hatte zur Beseitigung dieser Gefahr für flaches Wasser ein besonderes Kabel construirt, bei dem Längsfäden von bestem Hanf, die um den durch Guttapercha oder Kautschuk isolirten Leiter gelagert waren, dem Kabel die nöthige Tragfähigkeit geben sollten, während eine Lage schuppenartig übereinandergreifender Kupferblechstreifen die Kabelseele vor dem Holzwurm zu schützen bestimmt war. Ein derartiges Kabel erhielt unsre Londoner Firma, die inzwischen in Charlton bei Woolwich eine ansehnliche Werkstatt für mechanische Arbeiten und eine eigene Kabelfabrik angelegt hatte, im Jahre 1863 von der französischen Regierung für die Strecke von Cartagena nach Oran in Auftrag. Der damalige Generaldirektor des französischen Telegraphenwesens, M. de Bougie, hatte bereits wiederholt eine kostspielige Kabellegung von der französischen zur algerischen Küste versucht, ohne dadurch eine befriedigende telegraphische Verbindung erzielt zu haben. Er wollte jetzt eine solche auf billigstem Wege über Spanien durch ein ganz leichtes Kabel zu Stande bringen und beauftragte uns mit der Anfertigung und Legung eines kupferarmirten Kabels zwischen Cartagena und Oran.

Die französische Regierung hatte sich die Beschaffung des Dampfers sowie die Bemannung und Führung desselben durch Angehörige der kaiserlichen Marine vorbehalten. Der Generaldirektor, der mir von der Pariser Ausstellung des Jahres 1855 her, bei der wir beide als Jury-Mitglieder functionirt hatten, wohlbekannt war, beabsichtigte selbst der Legung beizuwohnen. Wilhelm und ich wollten gemeinschaftlich die Leitung übernehmen, und so trafen wir denn im December 1863 in Madrid zusammen, wohin ich von Moskau, wo ich mich gerade aufgehalten, über Petersburg, Berlin und Paris fast ohne Unterbrechung in fünf Tagen gefahren war.

Mein Bruder hatte sich inzwischen – im Jahre 1859 – mit der Schwester des schon mehrfach genannten Mr. Gordon, einer geistvollen und liebenswürdigen Dame, verheirathet. Er brachte seine Frau mit nach Madrid, da sie die Mühen und etwa mit der Legung verbundenen Gefahren durchaus mit ihm theilen wollte. In Madrid war es unangenehm kalt und windig, so daß ich eine Verbesserung im Klima seit dem Verlassen Moskaus eigentlich nicht bemerken konnte. Wir reisten bald weiter nach Aranjuez, Valencia und Alicante, ohne auch da eine behaglichere Temperatur zu finden. Der Winter war ungewöhnlich kalt in Spanien, und es machte einen überraschenden Eindruck, auf dem ganzen Wege von Alicante bis Cartagena Dattelpalmen und mit goldigen Früchten reich beladene Orangenbäume mit Schnee belastet zu sehen. Auch in Cartagena, wo wir einige Tage auf das Kabelschiff warten mußten, war es in den kamin- und ofenlosen Häusern so bitterkalt, daß meine Schwägerin später oft behauptet hat, mein aus Rußland mitgebrachter Pelz hätte sie in Spanien vor dem Erfrieren geschützt. Erst in Oran thauten wir wieder auf. Die nöthigen Vorbereitungen waren bald getroffen, und wir gaben uns der Hoffnung hin, die ganze Legung in wenigen Tagen vollenden zu können. Doch »zwischen Lipp' und Kelches Rand schwebt der finstern Mächte Hand« – nach vierwöchentlichen Mühen und Ueberstehung großer Gefahren hatten wir das Kabel verloren und mußten noch froh fein, nicht Schaden an Leben und Gesundheit erlitten zu haben.

Vom kühlen Standpunkte des vorgeschrittenen Alters aus beurtheilt, war diese Kabellegung ein großer Leichtsinn, da Kabel, Schiff und Legungsmethode durchaus unzweckmäßig waren. Als Entschuldigung dafür, daß wir sie trotzdem unternahmen, kann nur Folgendes angeführt werden: wir wollten unter allen Umständen ein eigenes Kabel legen, weil wir sahen, daß unsre Erfindungen und Erfahrungen ohne jede Rücksicht auf uns, und sogar ohne unsre unzweifelhaften Verdienste um die Entwicklung der submarinen Telegraphie auch nur zu erwähnen, von den englischen Unternehmern verwerthet wurden, und ferner, und wohl hauptsächlich, weil die von Bruder Wilhelm erfundene Kabelconstruction und Auslegevorrichtung so durchdacht und interessant waren, daß wir es nicht über das Herz bringen konnten, sie unbenutzt zu lassen.

Das Kabel würde in jeder Hinsicht ausgezeichnet gewesen sein, wenn es seit seiner Fabrikation unverändert geblieben wäre. Wir mußten uns aber leider überzeugen, daß seine Festigkeit, obwohl die Hanffäden durch Tränken mit Tanninlösung gegen das »Verstocken« vermeintlich geschützt waren, sich sehr verringert hatte. Trotz seines geringen Gewichtes war es kaum noch haltbar genug, um durch die großen Meerestiefen zwischen der algerischen und spanischen Küste mit einiger Sicherheit gelegt zu werden. Noch schlimmer fast war es, daß mein Bruder für die Kabellegung einen neuen Mechanismus erfunden hatte, der hier zum ersten Male probirt werden sollte. Derselbe bestand darin, daß das Kabel auf eine große Trommel mit stehender Axe gewickelt wurde, die zur Auf- und Abwicklung des Kabels durch eine besondere kleine Dampfmaschine gedreht werden mußte. Mir schien diese von meinem Bruder sehr genial durchgeführte Einrichtung doch recht bedenklich, denn die gleichmäßige Drehung einer so schweren Trommel war, namentlich bei bewegter See, mit Schwierigkeiten verknüpft, deren Umfang sich noch nicht übersehen ließ, und die durch die Trommeldrehung abgewickelten Kabellängen konnten nur dann richtig bemessen werden, wenn man Schiffsgeschwindigkeit, Meerestiefe und Strömungen jederzeit genau kannte. Da das Wetter aber ruhig und schön war, und ich zudem einen elektrisch betriebenen Geschwindigkeitsmesser construirt hatte, der seine erste Probe bestehen sollte, und der, wie ich hoffte, die Schiffsgeschwindigkeit immer sicher angab, so beschlossen wir, trotz der eingetretenen Schwächung der Tragfähigkeit des Kabels den Versuch zu wagen.

Leider erwiesen sich meine Befürchtungen als gerechtfertigt. Nachdem das schwere Uferkabel gelegt und die Auslegung des mit ihm verbundenen leichten Kupferkabels vielleicht eine Stunde lang ohne Störung fortgegangen war, so daß meine Hoffnung auf guten Erfolg bereits merklich stieg, riß das Kabel plötzlich und sank in die schon ansehnliche Tiefe hinab, ohne daß ein besonderer Grund dafür zu erkennen gewesen wäre. Es war unmöglich, das ausgelegte Kabel wieder aufzunehmen, da es durch mächtige Steingerölle am Meeresboden festgehalten wurde. Wir hatten in Folge dessen keinen hinlänglichen Ueberschuß an Kabel mehr, um eine Legung nach Cartagena unternehmen zu können, beschlossen daher, den kürzeren Weg nach Almeria einzuschlagen und zunächst hinüber zu fahren, um eine passende Landungsstelle dort aufzusuchen.

Die Fahrt nach Almeria bei herrlichem Wetter und spiegelblanker See war entzückend. Die Stadt wird durch eine bergige Landzunge verdeckt, die sich weit in die See hinausstreckt. Für uns war diese schöne Lage allerdings recht ungünstig, denn sie nöthigte uns, einen so weiten Umweg um das vorspringende Kap zu machen, daß die geringere lineare Entfernung von Oran dadurch beinahe wieder ausgeglichen wurde. Wir landeten aber, um Vorräthe einzunehmen, und genossen die Gastfreundlichkeit der Ortsbewohner, die es sich nicht nehmen ließen, uns feierlich zu empfangen und uns zu Ehren ein Fest in den Räumen des Theaters zu improvisiren. Was uns auf diesem Feste am meisten überraschte, war die klassische Schönheit der Frauen, deren Gesichtszüge unzweifelhaft maurischen Typus zeigten. Besonders ein junges Mädchen fiel uns auf, das durch einstimmiges Votum unsrer aus allen westeuropäischen Nationen zusammengesetzten Schiffsgesellschaft für das Ideal weiblicher Schönheit erklärt wurde.

Wir ahnten an diesem genußreichen Abende nicht, daß der nächste Tag uns Gefahren bringen sollte, die überstanden zu haben mir noch heute wunderbar erscheint.

Um das Folgende recht verstehen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß unser Schiff nicht für Kabellegungen gebaut, sondern von der französischen Regierung erst ad hoc auf dem englischen Markte beschafft war. Es war ein englischer Küstenfahrer, dessen frühere Bestimmung gewesen, Kohlenschiffe nach London zu ziehen. Diese Schiffe sind nicht für hohe See gebaut; sie haben einen flachen Boden, keinen Kiel und auch keinen erhöhten Schiffsschnabel zum Brechen der Wellen. Der innere Raum dieses so sehr ungünstig gebauten Schiffes war nun zum größten Theil von einer mächtigen hölzernen Trommel mit stehender eiserner Axe ausgefüllt, auf die das ganze Kabel gewickelt war, die Belastung war daher für hohen Seegang sehr ungünstig vertheilt. Doch das Wetter war unausgesetzt schön und das Meer ruhig. Dies änderte sich etwas, als wir nach der Abfahrt von Almeria das Kap umschifft hatten und das offene Meer vor uns sahen. Es blies eine mäßige Brise von Südwest, und schwarze Wolkenhaufen lagerten hinter der Landzunge längs der Küste. Dabei fiel uns auf, daß die nächste dieser dunklen, tiefgehenden Wolken einen langen Rüssel zum Meere hinabsenkte und das Meer unter ihm in wilder Bewegung war, so daß es im fortdauernden Sonnenscheine wie ein glänzendes, vielgeklüftetes Eisfeld erschien. Unser Schiff fuhr nach unserer Schätzung etwa zwei Seemeilen an diesem hochaufschäumenden Felde vorbei, das vielleicht eine halbe Seemeile breit war, während die Tiefe sich nicht schätzen ließ. Auffallend war, daß der Rüssel, der oben mit der Wolke breit verwachsen war, sich dann aber schnell verjüngte, nicht ganz mit der bewegten Wasserfläche in Berührung kam, sondern durch einen klar erkennbaren Zwischenraum von ihr getrennt blieb; auch war keine besondere Erhebung der schäumenden Wasserfläche unter ihm zu erkennen, sondern die ganze Fläche schien gleichmäßig haushoch über das Meeresniveau erhoben zu sein. Dabei machte das Rüsselende eine unzweifelhafte Kreisbewegung über der weißen Meeresstelle, so daß es ungefähr alle zehn bis zwanzig Minuten auf denselben Punkt zurückkehrte.

Leider konnten wir die Beobachtung dieses interessanten Schauspiels, einer sogenannten Wasserhose, nicht lange fortsetzen, da sich diese ziemlich schnell in östlicher Richtung an der Küste hinzog und wir auch durch eine andere merkwürdige Erscheinung von ihr abgezogen wurden. Das Schiff gerieth nämlich plötzlich in so heftige Schwankungen, daß wir uns nur mit Mühe aufrecht zu erhalten vermochten. Es waren kurze, hohe Wellenzüge, sogenannte todte See, in die wir gerathen waren. Offenbar passirten wir den Weg, den die Wasserhose genommen hatte. Dem Kapitän waren die heftigen Schwankungen des Schiffes bei der ihm wohlbekannten Bauart desselben zwar sehr bedenklich, er behielt aber den Kurs in Richtung der Wellenthäler bei, in der Hoffnung, bald wieder in ruhigeres Fahrwasser zu kommen. Da fielen mir dumpfe, kurze Schläge auf, die das ganze Schiff bei jeder Schwankung erzittern machten. Wie ein Blitz durchzuckte mich der Gedanke »die Trommel hat sich gelöst und wird bald mit unwiderstehlichen Schlägen das Schiff zertrümmern«. Ich stürzte in die Kajüte zu meinem Bruder, der bereits schwer mit der Seekrankheit kämpfte; nur er kannte die Construction der Trommel und die Art ihrer Befestigung genau, er allein konnte uns also vielleicht noch retten. Ich fand ihn schon auf den Füßen – todtenbleich, aber gefaßt. Auch er hatte sofort die Ursache der gefahrdrohenden Schläge erkannt und das hatte genügt, um jede Spur der Seekrankheit zu verscheuchen. Im Schiffsraume sah er in der That, daß die Trommelaxe ihr oberes Lager gelöst hatte, und daß die zum Schutze der Lager und der Trommel selbst sorgfältig vorbereiteten und angebrachten Werkstücke aus besonders hartem Holze fehlten. Die französischen Schiffszimmerleute wollten anfangs keine Kenntniß von ihrem Verbleib haben, als aber die Schläge sich verstärkten und mein Bruder ihnen zurief, wir wären Alle verloren, wenn die Hölzer nicht sofort gebracht würden, kam ihnen die Erinnerung und die Hölzer wurden zur Stelle geschafft. Die Leute hatten das ihnen unbekannte feste Holz bewundert und die Stücke für überflüssig gehalten.

Bei den heftigen Schwankungen wollte es aber nicht gelingen, die Hölzer wieder in die vorgeschriebene Lage zu bringen; inzwischen verstärkten sich die Schläge so, daß Alle von Furcht ergriffen wurden, das Schiff werde sie nicht länger ertragen. Da rief uns mein Bruder durch die offenstehende Deckluke zu, »die Schwankungen sind zu groß, steuert gegen den Wind!« Der Kapitän gab auch sogleich das betreffende Commando, und das Schiff drehte gegen die Wellen. Einen Augenblick darauf sah ich zu meinem Erstaunen, wie die Schiffsspitze unter Wasser tauchte und die Wellen bereits über den vorderen Theil des Deckes spülten. Ich erkannte sogleich den Grund der Erscheinung. Das Schiff war in voller Fahrgeschwindigkeit zu plötzlich gegen den Wind gedreht, und als eine Welle einmal die Schiffsspitze überspült und hinuntergedrückt hatte, behielt es die geneigte Lage bei und wurde durch seine Geschwindigkeit auf der schiefen Ebene hinab in die Tiefe getrieben. In diesem kritischen Augenblicke übernahm ich unwillkürlich selbst das Commando und rief in den nahen Maschinenraum ein lautes »Stopp!«, wie der Kapitän es zu thun pflegte. Glücklicherweise gehorchten die Maschinisten augenblicklich. Doch die Schiffsgeschwindigkeit konnte sich nur langsam verringern. Wir standen Alle auf dem erhöhten Hinterdecke des Schiffes und sahen, wie das Vorderdeck immer kürzer wurde und das Meer sich immer mehr unserm Standpunkte näherte. Dann brandete es an dem erhöhten Hinterdeck, und es bildete sich ein mächtiger Strudel, in dem das Wasser durch die offne Deckluke in den Bauch des Schiffes strömte. Unser Ende schien zu nahen. Da wurde der Strudel schwächer, und nach einigen weiteren bangen Momenten erschien die Schiffsspitze wieder über Wasser, und wir schöpften neue Lebenshoffnung, denn auch die heftigen Schwankungen und die verhängnißvollen Schläge hatten jetzt aufgehört.

Mein Bruder, der im Schiffsraume das Herannahen der Gefahr nicht hatte beobachten können, wurde durch das plötzlich über ihn und die Trommel sich ergießende Meerwasser völlig überrascht. Um so größer war seine Freude, als der Einsturz des Seewassers aufhörte und es ihm bald darauf möglich wurde, die Holzstützen anzubringen und dadurch die gefährlichen Schläge der Trommelaxe zu beseitigen. Der Kapitän ging jetzt vorsichtig wieder in den Kurs auf Oran über. Das Schiff machte zwar noch immer bedenklich große Schwankungen, aber man gewöhnte sich daran und war froh, daß die Trommel sich nicht wieder rührte. Die große Aufregung hatte bei Allen die Seekrankheit vertrieben, und als es dunkel wurde, suchte Jeder sein Lager auf, und bald herrschte allgemeine Ruhe.

Ich hatte noch nicht lange geschlafen, als mich lautes Commando und Schreckensrufe auf Deck jäh erweckten; unmittelbar darauf legte sich das Schiff in einer Weise auf die Seite, wie ich es sonst nie erlebt habe und auch heute noch kaum für möglich halten kann. Die Menschen wurden aus ihren Betten geworfen und rollten auf dem ganz schräg stehenden Fußboden der großen Kajüte in die gegenüberliegenden Kabinen. Ihnen folgte Alles, was beweglich auf dem Schiffe war, und gleichzeitig erlosch alles Licht, da die Hängelampen gegen die Kajütendecke geschleudert und zertrümmert wurden. Dann erfolgte nach kurzer Angstpause eine Rückschwankung und noch einige weitere von nahezu gleicher Stärke. Es gelang mir gleich nach den ersten Stößen, das Deck zu gewinnen. Ich erkannte im Halbdunkel den Kapitän, der auf meinen Zuruf nur nach dem Hinterdeck zeigte mit dem Rufe » voilà la terre!« In der That schien eine hohe, in der Dunkelheit schwach leuchtende Felswand hinter dem Schiffe zu stehen. Der Kapitän hatte, als er sie gesehen, das Schiff ganz plötzlich gewendet, und dadurch waren die gewaltigen Schwankungen hervorgerufen. Er meinte, wir müßten abgetrieben sein und befänden uns dicht vor den Felsen des Cap des lions. Plötzlich rief eine Stimme im Dunkeln » La terre avance!«, und wirklich stand die hohe, unheimlich leuchtende Wand jetzt dicht hinter dem Schiff und rückte mit einem eigenthümlichen, brausenden Geräusche heran. Dann kam ein Moment so schrecklich und überwältigend, daß er nicht zu schildern ist. Es ergossen sich über das Schiff gewaltige Fluthen, die von allen Seiten heranzustürmen schienen, mit einer Kraft, der ich nur durch krampfhaftes Festhalten an dem eisernen Geländer des oberen Decks widerstehen konnte. Dabei fühlte ich, wie das ganze Schiff durch heftige, kurze Wellenschläge gewaltsam hin und her geworfen wurde. Ob man sich über oder unter Wasser befand, war kaum zu unterscheiden. Es schien Schaum zu sein, den man mühsam athmete. Wie lange dieser Zustand dauerte, darüber konnte sich später Niemand Rechenschaft geben. Auch die in der Kajüte Gebliebenen hatten mit den heftigen Stößen zu kämpfen, die sie hin und her warfen, und waren zu Tode erschreckt durch das prasselnde Geräusch der auf das Deck niederfallenden Wassermassen. Die Zeitangaben schwankten zwischen zwei und fünf Minuten. Dann war ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte, alles vorüber, aber die leuchtende Wand stand jetzt vor dem Schiffe und entfernte sich langsam von ihm.

Als nach kurzer Zeit die ganze Schiffsgesellschaft sich mit neu gestärktem Lebensmuthe auf dem Schiffsdecke zusammenfand und die überstandenen Schrecken und Wunder besprach, meinten die französischen Officiere, das unglaublichste Wunder sei doch gewesen, daß unsere Dame gar nicht geschrieen habe. Die echt englische, mit steigender Gefahr wachsende Ruhe meiner Schwägerin schien den lebhaften Franzosen ganz unbegreiflich.

Wie wir später hörten, war die Wasserhose, die wir bei Almeria beobachtet hatten, an der spanischen Küste ostwärts hinabgegangen, hatte sich dann zur afrikanischen hinübergezogen, und wir hatten sie offenbar auf diesem Wege gekreuzt. Daß wir mit unserm so wenig seetüchtigen und so unzweckmäßig belasteten Schiffe dies gefährliche Experiment glücklich bestanden, ist mir ganz unbegreiflich. Als die Wasserhose über uns fortgegangen, blieb das Meer noch einige Zeit in wilder Bewegung und war, soweit man beobachten konnte, mit schäumenden Wellenköpfen bedeckt. Da sahen wir eine Naturerscheinung von einer Pracht und Großartigkeit, wie sie die kühnste Phantasie sich kaum ausmalen kann. Soweit das Auge reichte, erglühte das ganze Meer in dunkelrothem Lichte. Es sah aus, als wenn es aus geschmolzenem, rothglühendem Metall bestände, und namentlich die Schaumköpfe der Wellenzüge strahlten so helles Licht aus, daß man alle Gegenstände deutlich erkennen und selbst die kleinste Schrift lesen konnte. Es war ein schaurigschöner Anblick, der mir noch heute, nachdem über ein Vierteljahrhundert darüber hingegangen ist, ganz deutlich vor Augen steht! Wir befanden uns an einer Stelle des Meeres, die von Leuchtthierchen dicht bevölkert war. Ein Glas, welches ich mit Meerwasser füllte, leuchtete im Dunkeln hell auf, wenn man das Wasser heftig bewegte. Die wilde, strudelnde Bewegung, in die das Wasser durch die Wasserhose versetzt war, hatte die sämmtlichen Leuchtthierchen, die man bei Tage auch mit unbewaffnetem Auge noch deutlich erkennen konnte, in Aufregung versetzt, und ihrer allgemeinen, gleichzeitigen Leuchtthätigkeit verdankten wir den wunderbaren Anblick des glühenden Meeres.

In Oran, wo wir einige Stunden später ohne weitere Störung unserer Reise landeten, mußten wir nun überlegen, was weiter zu thun wäre. Nach genauer Berechnung hatten wir noch Kabel genug, um Cartagena zu erreichen, wenn das Kabel mit dem geringsten Mehrverbrauchs ausgelegt wurde, der erforderlich war, um es ohne Spannung auf dem nicht ganz ebenen Meeresboden zu lagern. Mein Bruder war durch die glücklich überstandenen Gefahren kühner geworden und wollte die Legung ohne Weiteres mit den vorhandenen Einrichtungen noch einmal versuchen. Ich widersetzte mich dem aber, weil ich alles Vertrauen zu der Trommel und dem mit ihr belasteten Schiffe verloren hatte. Wir kamen denn auch endlich zu dem Entschluß, das Kabel umzukoilen und die Legung auf die gewöhnliche Weise mit Conus und Dynamometer auszuführen.

Als die mühsame und zeitraubende Umwickelung des Kabels vollendet und die verhängnißvolle Trommel beseitigt war, schritten wir zu dem zweiten Legungsversuche. Das Wetter war wieder prachtvoll, und die Legung ging ohne alle Schwierigkeit vor sich. Die Meerestiefe erwies sich aber größer, als in den französischen Meereskarten angegeben war, und wir mußten das Dynamometer bedenklich stark belasten, um nicht zu viel Kabel auszulegen. Ich controlirte den Verbrauch an Kabel durch mein elektrisches Log, das sich bis dahin immer gut bewährt hatte. So ging es ohne Störung, bis wir die hohe Küste bei Cartagena schon deutlich vor Augen hatten. Plötzlich versagte mein Log – wie sich später herausstellte, weil seine Schraube sich in Seetang verwickelt hatte. Da meine letzte Rechnung aber ergeben, daß wir Kabel gespart hatten und mit Ueberschuß in Cartagena ankommen würden, so ging ich zu meinem Bruder und forderte ihn auf, das Dynamometer weniger zu belasten, um gesicherter gegen den Bruch des Kabels zu sein. Er war darüber sehr erfreut und wollte mir nur erst zeigen, wie schön und gleichmäßig das Kabel bei der jetzigen Belastung abliefe, da sahen wir auf einmal, wie das Kabel ganz sanft auseinanderging. Das Bremsrad stand augenblicklich still, das abgerissene Ende verschwand in der Tiefe und damit eine für unsre damaligen Verhältnisse große Geldsumme, da wir die Kabellegung auf eigenes Risiko übernommen hatten. Doch was uns augenblicklich mehr noch als der Geldverlust ergriff, war das erlittene technische Fiasko. Die Arbeit von Monaten, alle Mühen und Gefahren, die nicht wir allein, sondern auch alle unsre Begleiter des Kabels wegen erlitten hatten, waren in einem Augenblicke, einiger verstockter Hanffäden wegen, unwiederbringlich verloren. Dazu das unangenehme Gefühl, Gegenstand des Mitleids der ganzen Schiffsgesellschaft zu sein! Es war eine harte Strafe für unsere Waghalsigkeit.

Als wir wenige Stunden nach dem Kabelbruche in Cartagena landeten, waren wir über einen Monat lang ohne Nachrichten aus Europa geblieben. In Almeria hatten wir bei unserm flüchtigen Besuche auch nicht viel mehr gehört, als daß der Krieg mit Dänemark wegen der Herzogthümer Schleswig und Holstein entbrannt wäre. Im Hotel zu Cartagena fanden wir nun französische und englische Zeitungen, und damit stürmten alle die großen politischen Neuigkeiten des letzten Monats aus dem Vaterlande auf uns ein. Es war ein ganz merkwürdiger Umschwung in den Zeitungsartikeln über Deutschland seit der Kriegserklärung und den kriegerischen Erfolgen gegen das von England begünstigte Dänemark eingetreten. Wir waren bisher gewohnt, in englischen und französischen Zeitungen viel wohlwollendes Lob über deutsche Wissenschaft, deutsche Musik und deutschen Gesang, sowie auch daneben mitleidige Aeußerungen über die gutmüthigen, träumerischen und unpraktischen Deutschen zu lesen. Jetzt waren es wuthentbrannte Artikel über die eroberungssüchtigen, die kriegslustigen, ja die blutdürstigen Deutschen! Ich muß gestehen, daß mir dies keinen Verdruß, sondern große Freude bereitete. Meine Selbstachtung als Deutscher stieg bei jedem dieser Ausdrücke bedeutend. So lange waren die Deutschen nur passives Material für die Weltgeschichte gewesen; jetzt konnte man zum ersten Male schwarz auf weiß in der Times lesen, daß sie selbstthätig in den Lauf derselben eingriffen und dadurch den Zorn derer erregten, die sich bisher für allein dazu berechtigt gehalten hatten. Im Verkehr mit Engländern und Franzosen hatte ich während der Kabellegungen vielfach schmerzliche Gelegenheit gehabt, mich davon zu überzeugen, in wie geringer Achtung die Deutschen als Nation bei den andern Völkern standen. Ich hatte lange politische Debatten mit ihnen, die immer darauf hinauskamen, daß man den Deutschen das Recht und die Fähigkeit absprach, einen unabhängigen, einigen Nationalstaat zu bilden. »Nun was wollen die Deutschen denn eigentlich?« fragte mich nach einer längeren Unterhaltung über die seit dem französisch-österreichischen Kriege wieder lebendiger gewordenen nationalen Bestrebungen in Deutschland der uns begleitende Generaldirektor der französischen Telegraphen, der als ehemaliger Verbannungsgenosse des Kaisers Napoleon in Frankreich hochangesehene M. de Vougie. – »Ein einiges Deutsches Reich«, war meine Antwort. »Und glauben Sie«, entgegnete er, »daß Frankreich es dulden würde, daß sich an seiner Grenze ein ihm an Volkszahl überlegener, einheitlicher Staat bildete?« – »Nein«, war meine Antwort, »wir sind überzeugt, daß wir unsre Einheit gegen Frankreich werden vertheidigen müssen«. »Welche Idee«, sagte er, »daß Deutschland einig gegen uns kämpfen würde. Bayern, Württemberg, ganz Süddeutschland werden mit uns gegen Preußen kämpfen«. »Diesmal nicht«, antwortete ich, »der erste französische Kanonenschuß wird Deutschland einig machen; darum fürchten wir den französischen Angriff nicht, sondern erwarten ihn guten Muthes«. M. de Vougie hörte das kopfschüttelnd an; es schien ihm doch die Idee aufzudämmern, daß die Pandorabüchse der Nationalitätenfragen, die sein Gebieter im Kriege mit Oesterreich für Italien geöffnet hatte, sich schließlich gegen Frankreich wenden könnte. Wie ich drei Jahre später, als die Frage der Annexion Lauenburgs an Preußen die Gemüther beschäftigte, mich bei dem Generaldirektor in Paris anmelden ließ, rief er mir in Erinnerung an unsere politischen Gespräche schon von Weitem entgegen: » Eh bien, Monsieur, vous voulez manger le Lauenbourg?« – » Oui, Monsieur«, rief ich zurück, » et j'espère que l'appetit viendra en mangeant!« Er ist in der That stark gewachsen, dieser Appetit, und auch befriedigt, und an meine Prophezeiung wird M. de Vougie gedacht haben, als er mit seinem Kaiser den siegreich in Frankreich einziehenden deutschen Truppen weichen mußte. Der erste französische Kanonenschuß hatte in der That ganz Deutschland einig gemacht.

Das Cartagena-Oran-Kabel war ein unglückliches für uns. Als das verlorene Kabel durch ein neuangefertigtes, etwas verstärktes ersetzt war, begab sich mein Bruder noch in demselben Jahre wiederum nach Oran. Alle Einrichtungen waren unter Benutzung der bei den früheren Legungen gemachten Erfahrungen aufs beste getroffen, das Kabel neu und hinreichend stark, die Bedienungsmannschaft geübt, das Wetter günstig – kurz, es war ein Mißerfolg diesmal gar nicht anzunehmen. Ich erhielt auch zur erwarteten Zeit aus Cartagena die ersehnte Depesche, daß das Kabel glücklich gelegt und bereits Depeschen zwischen Oran und Paris gewechselt seien. Leider folgte dieser Depesche nach wenigen Stunden schon eine andere, nach der das Kabel aus unbekannten Gründen nahe der spanischen Küste gebrochen war. Eine genauere Untersuchung ergab, daß der Bruch an der Stelle eingetreten war, wo die spanische Küste plötzlich bis zu großer Meerestiefe steil abfällt. Die Ueberschreitung solcher Abfälle, so wie überhaupt gebirgigen Meeresgrundes ist immer sehr gefährlich. Lagert sich das Kabel derart, daß es über zwei Felsen fortgeht, die sich so hoch über den Meeresgrund erheben, daß es über ihnen hängen bleibt, ohne den Boden zu berühren, so nimmt es die Form einer Kettenlinie an, deren Spannung so groß werden kann, daß es reißt. Eine solche Kettenlinie hat das Kabel jedenfalls am Fuße des steilen Abfalls gebildet, denn der Riß erfolgte erst einige Stunden, nachdem das Kabel sich fest gelagert hatte.

Ein Aufnehmen des Kabels wurde versucht, blieb aber ohne Erfolg, da der Grund felsig, das Meer sehr tief und das Kabel für diese Tiefe nicht haltbar genug war. Kurz, wir hatten auch das zweite Kabel vollständig verloren und mußten noch froh sein, durch den Umstand, daß officielle Depeschen zwischen Oran und Paris factisch befördert waren, von der Verpflichtung entbunden zu sein, noch einen Legungsversuch zu machen.

Die großen Verluste, welche diese Kabellegungen uns brachten, bewirkten eine kleine Krisis in unsern geschäftlichen Beziehungen. Mein Associé Halske fand kein Gefallen an solchen mit Gefahren und herben Verlusten verbundenen Kabellegungen und fürchtete auch, daß die Unternehmungslust meines Bruders Wilhelm uns in dem großartig angelegten englischen Geschäftsleben in Geschäfte verwickeln könnte, denen unsre Mittel nicht gewachsen wären. Er verlangte daher die Auflösung unsres englischen Hauses. William Meyer trat als Geschäftsführer der Firma auf Halskes Seite. Obgleich ich die Gewichtigkeit der vorgebrachten Gründe anerkennen mußte, konnte ich mich doch nicht entschließen, meinen Bruder Wilhelm in einer so kritischen Lage im Stich zu lassen. Wir kamen also überein, daß das Londoner Haus vollständig von dem Berliner getrennt und von mir privatim mit Wilhelm übernommen werden sollte. Dies geschah, und das Londoner Geschäft nahm jetzt die Firma Siemens Brothers an. Bruder Karl in Petersburg trat demselben ebenfalls als Theilnehmer bei. Zwischen den nun selbstständigen drei Firmen in Berlin, Petersburg und London wurden Verträge abgeschlossen, welche die gegenseitigen Beziehungen regelten.

Ich will schon hier bemerken, daß auch das im Jahre 1869 von der Londoner Firma im schwarzen Meere gelegte kupferarmirte Kabel gleicher Construction wie das Cartagena-Oran-Kabel nicht von langer Dauer war. Es wurde als Theil der Indo-Europäischen Linie, von der später die Rede sein wird, zwischen Kertsch und Poti parallel dem Ufer von meinem Bruder Wilhelm mit bestem Erfolge gelegt, aber schon im Jahre nach der Legung durch ein Erdbeben an vielen Stellen gleichzeitig zerstört. Bei den Versuchen, dasselbe wieder aufzunehmen, stellte sich heraus, daß dies nicht möglich war, da es großentheils mit Geröll und Erdboden bedeckt war. Dies und der Umstand, daß die Unterbrechung des Telegraphendienstes gerade in dem Augenblick stattfand, wo an der Küstenstation Suchum-Kalé eine starke Erderschütterung verspürt wurde, lieferten den Beweis, daß die Zerreißung des Kabels wirklich durch das Erdbeben bewirkt war. Es ist dies auch sehr erklärlich, da dem Meere durch zahlreiche Wasserläufe immer Erdreich und Geröll zugeführt werden, die sich auf der Uferböschung ablagern; von Zeit zu Zeit muß ein Nachrutschen dieser Massen stattfinden, wobei ein darin eingebettetes Kabel nothwendig zerrissen wird. Durch ein Erdbeben mußte dieser Vorgang gleichzeitig an allen Stellen eingeleitet werden, wo durch neue Ablagerungen das Gleichgewicht schon gestört war.

Aus diesen und ähnlichen Vorgängen haben wir die Lehre gezogen, daß man Submarinkabel niemals auf dem Abhange steiler Böschungen verlegen soll, namentlich aber nicht da, wo durch einmündende Flüsse dem tiefen Meere oder Binnensee Erdreich und Steingeröll zugeführt werden.

Wir können die Zeit der im Vorhergehenden beschriebenen Kabellegungen als unsre eigentlichen Lehrjahre für derartige Unternehmungen betrachten. Anstatt des gehofften Gewinnes haben uns dieselben viele Sorgen, persönliche Gefahren und große Verluste gebracht, aber sie haben uns den Weg geebnet für die Erfolge, die unsre Londoner Firma später bei ihren großen und glücklich durchgeführten Kabelunternehmungen gehabt hat. Ich werde auf diesen zweiten Abschnitt unserer Kabellegungen später zurückkommen, aber nur kurz darauf eingehen, weil ich persönlich geringeren Antheil an den damit zusammenhängenden Arbeiten genommen habe.

Ich wende mich jetzt dazu, die schon früher bis zum Jahre 1850 geführte kurze Uebersicht meiner wissenschaftlichen und technischen Arbeiten fortzusetzen.

In den Jahren 1850 bis 1856 war ich mit Halske eifrig bemüht, die telegraphischen Apparate und elektrischen Hülfs- und Meßinstrumente für wissenschaftliche und technische Zwecke zu verbessern. Es war ein noch ziemlich unbebautes Feld, das wir bearbeiteten, und unsere Thätigkeit war daher recht fruchtbar. Unsere Constructionen, die namentlich durch die Weltausstellungen in London und Paris schnell verbreitet wurden, haben fast überall die Grundlage der späteren Einrichtungen gebildet. Wie schon bemerkt, wurden nur wenige dieser Neuerungen patentirt, die Mehrzahl derselben wurde auch entweder gar nicht oder doch erst in späteren Jahren in Zeitschriften beschrieben. Dies erleichterte zwar ihre allgemeine Einführung und brachte uns viele Bestellungen, aber es entging uns dadurch auch vielfach die allgemeine Anerkennung unsrer Urheberschaft. Ich werde hier nur einige Richtungen darlegen, in denen sich unsre Constructionen bewegten.

Außer der praktischen Durchführung des Morseschen Reliefschreibers für Handbetrieb beschäftigte uns in diesem Zeitabschnitte die Ausbildung dieses Apparates zum Schnellschreiber für unser automatisches Telegraphensystem, das zunächst für die großen russischen Linien bestimmt war und zuerst auf der Linie Warschau-Petersburg im Jahre 1854 zur Anwendung kam. Die Depeschen wurden bei diesem Telegraphensystem durch den sogenannten Dreitastenlocher vorbereitet, der dazu diente, die Morsezeichen in einen Papierstreifen einzulochen, indem durch Niederdrückung der ersten Taste desselben in dem Streifen ein einfaches rundes Loch, durch Niederdrückung der zweiten Taste ein Doppelloch ausgeschnitten wurde. Die nöthige Fortschiebung des Streifens geschah selbstthätig, während der zur Trennung zweier Worte erforderliche größere Zwischenraum durch Niederdrückung der dritten Taste bewirkt wurde. War auf diese Weise eine Depesche in den Papierstreifen eingelocht, so wurde dieser in dem sogenannten Schnellschriftgeber mit Hülfe eines Laufwerks zwischen einer mit Platin bekleideten Walze und einer Contactfeder oder Bürste hindurchgezogen. Dabei erzeugten die einfachen Löcher einen Punkt, die Doppellöcher einen Strich auf der Empfangsstation. Da sich herausstellte, daß gewöhnliche Magnete mit Eisenanker nicht schnell genug arbeiteten, so verwendeten wir für die Relais sowohl wie für die Schreiber Magnete mit leichten, in den feststehenden Drahtrollen drehbaren Kernen, die aus Drahtbündeln oder ausgeschnittenen dünnen Eisenröhren gebildet waren, wodurch die gewünschte Geschwindigkeit der Wirkung sicher erzielt wurde.

Einen durchlochten Papierstreifen hatte schon Bain im Jahre 1850 bei seinem elektrochemischen Telegraphen angewendet, doch fehlte ihm ein geeigneter Mechanismus zur schnellen Lochung der Streifen. Wheatstone hat meinen Dreitastenlocher im Jahre 1858 für seinen elektromagnetischen Schnellschreiber mit Vortheil benutzt, freilich ohne die Quelle zu nennen, aus der er geschöpft hatte.

Der Eisenbahnsignaldienst, mit dem unsre Firma von Anfang an vorzugsweise beschäftigt war, brachte weitere Aufgaben. Es sollten auf allen deutschen Eisenbahnen längs der Linien Läutewerke aufgestellt werden, die beim Abgange eines Zuges von einer Station auf der ganzen Strecke hörbare Glockensignale zu geben hatten. Solche Läutewerke hatte bereits der Mechaniker Leonhardt für die Thüringer Bahn angefertigt, sie functionirten aber mangelhaft, weil es schwer fiel, die großen galvanischen Batterien, die auf den Stationen zur Auslösung der Werke erforderlich waren, in gutem Stande zu erhalten. Der Gedanke lag nahe, Magnetinductoren anstatt der Batterien anzuwenden, doch waren die bis dahin bekannten Magnetinductionsmaschinen von Saxton und Stöhrer für diesen Zweck nicht geeignet. Wir construirten nun eine neue Art solcher Inductoren, die sich ausgezeichnet bewährt und alle anderen Constructionen später vollständig verdrängt hat. Das Wesentliche unseres Inductors war, daß als rotirender Anker ein Eisencylinder verwendet wurde, der mit tiefen, sich gegenüberstehenden Längseinschnitten versehen war, die eine Rinne zur Aufnahme des umsponnenen Kupferdrahtes bildeten. Nach der Form seines Eisenquerschnittes erhielt dieser Anker den Namen Doppel-T-Anker; in England ist er unter dem Namen Siemensarmature bekannt. Die am Ende ausgehöhlten Stahlmagnete, welche den rotirenden Cylinder umfaßten, konnten getrennt von einander längs desselben angebracht werden, daher eine kräftigere magnetisirende Wirkung ausüben und sich gegenseitig weniger schwächen. Inductoren dieser Art werden heute überall ausschließlich angewendet, wo man durch Stahlmagnetismus kräftige Ströme erzeugen will.

Meine cylinderförmigen Anker mit transversaler Wickelung besaßen vor den älteren Constructionen den großen Vorzug, daß sie bei kräftiger Wirkung wenig Masse und namentlich bei schneller Drehung geringes Trägheitsmoment hatten. Ich benutzte sie daher auch zur Construction eines sehr einfachen und sicher functionirenden magnetelektrischen Zeigertelegraphen, bei dem der Cylinderinductor durch eine Kurbel mit Räderübersetzung schnell gedreht wurde, während jede halbe Umdrehung einen abwechselnd positiven und negativen Strom durch die Linie schickte, von denen jeder den Zeiger des Empfangsapparates um einen Buchstaben des Zifferblattes fortschreiten ließ. Es genügte, die Kurbel nacheinander auf die zu telegraphirenden Buchstaben einzustellen, um dieselben auf der Empfangsstation in gleicher Reihenfolge sichtbar zu machen. Der Elektromagnet des Empfangsapparates bestand aus einem um seine Axe drehbaren Eisencylinder mit Polansätzen, die zwischen den Polen zweier kräftigen, hufeisenförmigen Stahlmagnete oscillirten. Je nachdem ein positiver oder negativer Strom die feststehenden Windungen des Elektromagnetes durchlief, mußte daher der eine oder der andere Magnet den drehbaren Anker anziehen und dadurch den Zeiger des empfangenden Apparates fortbewegen. Diese schnell und sicher arbeitenden magnetelektrischen Zeigerapparate wurden namentlich für den Eisenbahndienst vielfach verwendet und werden auch jetzt noch häufig benutzt.

Eine größere und allgemeinere Bedeutung hat die eben beschriebene Einrichtung polarisirter Magnete – d. h. solcher, bei denen der oscillirende Anker oder Magnet zwei Ruhelagen hat, je nachdem zuletzt ein positiver oder ein negativer Strom die Elektromagnetwindungen durchlaufen hat – durch ihre Anwendung bei Relais bekommen. Auf der Benutzung polarisirter Relais beruht die Möglichkeit, mit kurzen inducirten Strömen das Morsealphabet zu telegraphiren, indem die eine Stromrichtung den Strich auf dem Papierstreifen einleitet, während die andere ihn beendet. Die Länge des erzeugten Striches hängt also nicht von der Stromdauer, sondern von der Dauer des Zeitintervalles zwischen zwei auf einander folgenden kurzen Strömen wechselnder Richtung ab.

Auf diesem Principe beruhen mehrere unserer Telegraphenconstructionen, von denen hier nur der Inductionsschreibtelegraph erwähnt werden mag. Bei ihm wurden die zum Betriebe erforderlichen kurzen Ströme wechselnder Richtung durch einen in sich geschlossenen Elektromagneten erzeugt, der mit einer primären Wickelung aus wenigem, dickem Draht und einer secundären aus vielem, dünnem Draht versehen war. In den primären Windungen wurden in üblicher Weise die zum Telegraphiren des Morsealphabets erforderlichen Ströme erzeugt. In den secundären, mit Linie und Erdleitung verbundenen Windungen entstanden dann bei Beginn und Schluß der in der primären Leitung cirkulirenden Ströme kurze, kräftige Inductionsströme wechselnder Richtung, die im Telegraphenapparate der Endstation die verlangten Morseschriftzeichen hervorbrachten. Zu den Magnetinductoren wurden magnetisch geschlossene Elektromagnete mit massiven Eisenkernen verwendet, um die Spannung der Schließungs- und Oeffnungsströme möglichst gleich groß zu machen.

Mit solchen Inductionsschreibtelegraphen konnte man mittelst eines einzigen Daniellschen Elementes durch oberirdische Linien mit Sicherheit auf die größten Entfernungen telegraphiren. Auch für unterirdische und unterseeische Linien erwiesen sich die inducirten Wechselströme als sehr vortheilhaft, denn sie ermöglichten es, auf größere Entfernungen und mit größerer Geschwindigkeit zu arbeiten. Wie schon erwähnt, wurde die Linie Sardinien-Malta-Corfu im Jahre 1857 mit unseren Inductionsschreibtelegraphen ausgerüstet. Auch zum Betriebe des im darauf folgenden Jahre gelegten ersten atlantischen Kabels wurden von dem leitenden Elektriker, Mr. Whitehouse, inducirte Ströme benutzt, bis die leider bald nach der Legung eintretende Zerstörung der Isolation ihre weitere Anwendung verhinderte. Später ging man bei langen Unterseelinien allgemein zur Anwendung der Thomsonschen Spiegelgalvanometer mit Batterieströmen zurück.

Auch für Landlinien stellte sich bei Anwendung der kurzen inducirten Ströme der Nachtheil ein, daß diese sehr kräftig sein mußten, um die nöthigen mechanischen Bewegungen am Ende der Linie ausführen zu können. Da aber die Instandhaltung sehr großer Batterien, wie sie der Betrieb langer Linien mit Gleichstrom oder Batterie-Wechselstrom erforderte, beschwerlich und kostspielig war, so versuchten Halske und ich, auf mechanischem Wege Batterieströme niedriger Spannung in Gleichströme höherer Spannung umzuwandeln. In den Weltausstellungen zu London und Paris stellten wir mehrere, zu diesem Zwecke von uns construirte Mechanismen aus, doch litten dieselben anfänglich an dem Uebelstande, daß die erzielten Ströme hoher Spannung nicht von gleichmäßiger Stärke waren. Erst durch die Construction meiner sogenannten Tellermaschine wurde die Aufgabe der Erzeugung von Gleichströmen nahezu constanter Spannung durch Voltainduction wirklich gelöst.

Diese Tellermaschine besteht im Wesentlichen in einer großen Anzahl von Elektromagneten, die in einem Kreise gruppirt sind, und über deren Polen der sogenannte Teller, eine kegelförmige Eisenplatte, deren Spitze im Centrum des Kreises der Magnete gelagert ist, in Rotation versetzt wird. Die Magnete sind mit doppelten Windungen versehen, von denen die inneren stets zur Hälfte in den Leitungskreis einer Batterie von wenigen großen Elementen eingeschaltet werden und durch passende Contactführung – indem die Contacte der Tellerabrollung stets um ein Viertel des Kreises voraneilen – die Rotation des Tellers bewirken, während die äußeren sämmtlich zu einem in sich geschlossenen, leitenden Kreise verbunden sind. Der über den Magnetpolen fortrollende Eisenconus erzeugt nun in den secundären Windungen der in den Localkreis eingeschalteten Magnete einen Inductionsstrom einer Richtung, dagegen in denen der gleichzeitig ausgeschalteten Magnete einen Inductionsstrom entgegengesetzter Richtung. Die beiden Inductionsströme würden sich das Gleichgewicht halten, und es könnte überhaupt kein Strom in dem secundären Windungskreise entstehen, wenn nicht an zwei einander gegenüberliegenden Stellen dieses Kreises eine fortlaufende Ableitung angebracht wäre, durch welche die entgegengesetzt gerichteten Ströme beider Hälften aufgenommen und zu einem continuirlichen Strome vereinigt würden. Diese Ableitung geschieht durch Schleiffedern, welche durch die verlängerte Axe des Eisenconus gedreht werden.

Die Tellermaschine wurde im Jahre 1854 von mir construirt und in mehreren Weltausstellungen, zuerst in der zu Paris im Jahre 1855, vorgeführt. Ein Exemplar derselben ist nebst vielen anderen Apparaten unserer Construction dem Berliner Postmuseum einverleibt, das wohl überhaupt die vollständigste Sammlung älterer Telegraphenapparate besitzt, die in der Welt existirt. Interessant ist die Tellermaschine deshalb, weil sie die erste Lösung des Problems, constante gleichgerichtete Ströme durch Induktion zu erzeugen, darstellt und dabei genau denselben Weg verfolgt, den zehn Jahre später Professor Pacinotti bei seinem berühmten Magnetinductor eingeschlagen hat; das dem Pacinottischen Ringe zu Grunde liegende Princip der Stromverzweigung war in ihr bereits enthalten. Meine Maschine bildet also die Vorgängerin der modernen Dynamomaschine mit continuirlichem Strom und zugleich die des Transformators. Hätte man bei ihr von der Selbstbewegung des Tellers abgesehen und diese durch mechanische Drehung der Axe mit den Schleiffedern bewirkt, so würde man schon damals eine wirksame dynamo-elektrische Maschine gehabt haben, und zwar mit Ueberspringung der Periode der Anwendung des Doppel-T-Ankers, durch welche man erst zu ihr gelangte. Es kann dies als ein Beweis der Schwierigkeit dienen, die mit der ersten Erkenntniß der nächstliegenden Wahrheiten oft verknüpft ist. Ich kann auch nur mit einer gewissen Beschämung des Umstandes gedenken, daß ich nach Aufstellung des Princips der Dynamomaschine nicht gleich daran dachte, die bei der Tellermaschine benutzte Parallelschaltung der entgegengesetzt inducirten Windungshälften anzuwenden, sondern erst mehrere Jahre später durch Pacinottis Vorgang darauf geführt wurde.

Durch eine Mittheilung im Leipziger polytechnischen Centralblatte wurden im Jahre 1854 die Telegraphentechniker in große Erregung versetzt. Die Mittheilung ging dahin, daß es dem österreichischen Telegraphenbeamten Dr. Gintl gelungen sei, zwischen Prag und Wien mittelst des Morseapparates durch denselben Leitungsdraht gleichzeitig in entgegengesetzten Richtungen zu telegraphiren. Es sollte dies dadurch ermöglicht sein, daß die Relais mit zwei Wickelungen versehen wären, von denen die eine vom Linienstrome und die andere in derselben Zeit von einem ebenso starken Localstrome in entgegengesetzter Richtung durchlaufen würde. Dieser zweite Kreislauf sollte durch einen besonderen Contact in demselben Augenblicke wie der Linienstrom geschlossen werden. Dr. Gintl fand jedoch bald, daß dieser Weg nicht zum Ziele führte, weil es unmöglich war, zwei Contacte wirklich in demselben Momente eintreten zu lassen, und weil die am Ende jedes Zeichens erfolgende Unterbrechung des Hauptstromes auch den von der anderen Seite kommenden Strom stören mußte. Daher verließ Gintl diesen Weg und suchte die Aufgabe unter Anwendung des Bainschen elektrochemischen Telegraphen zu lösen. Seine Versuche ergaben hier ein besseres Resultat und verleiteten ihn zu der Ansicht, zwei Ströme entgegengesetzter Richtung könnten denselben Leiter durchlaufen, ohne sich gegenseitig zu stören. In einem Aufsatze »Ueber die Beförderung gleichzeitiger Depeschen durch einen telegraphischen Leiter«, den ich in Poggendorffs Annalen veröffentlichte, wies ich die Unzulässigkeit dieser Ansicht nach und entwickelte die Theorie des elektrochemischen Gegensprechens, zeigte aber auch, daß diese Methode praktisch nicht durchführbar wäre. Zugleich gab ich eine Methode des Gegensprechens mit elektromagnetischen Apparaten, die das gewünschte Resultat vollkommen erzielte. Dieselbe Methode wurde unabhängig von mir auch durch den späteren Oberingenieur unserer Firma, Herrn C. Frischen in Hannover, gefunden; sie ist heute unter dem Namen »Gegensprechschaltung von Frischen und Siemens« bekannt und wird noch jetzt vielfach verwendet. Am Schlusse des genannten Aufsatzes behandelte ich die Theorie des Sprechens mit zwei Apparaten in gleicher Richtung durch denselben Draht und die des gleichzeitigen Doppel- und Gegensprechens, theilte auch die Stromverzweigungen mit, durch welche diese Aufgaben zu lösen sind.

Im Jahre 1857 publicirte ich in Poggendorffs Annalen eine größere Arbeit »Ueber die elektrostatische Induction und die Verzögerung des Stromes in Flaschendrähten«, die das Endresultat mehrjähriger Versuche über die physikalischen Eigenschaften der unterirdischen Leitungen darstellt. Ich gab in dieser Arbeit die Fortsetzung und weitere Entwicklung der schon im Jahre 1850 von mir aufgestellten Theorie der elektrostatischen Ladung unterirdischer Leitungen. Es wurde dieser Theorie in physikalischen Kreisen anfänglich kein rechter Glaube geschenkt; suchte doch selbst Wilhelm Weber die an den preußischen unterirdischen Leitungen auftretenden Störungen noch durch Selbstinduction zu erklären. Dazu kam, daß auch Faradays geniale Theorie, nach welcher die elektrostatische Vertheilung nicht durch directe elektrische Fernwirkung, sondern durch eine von Molekül zu Molekül des Dielektrikums fortschreitende Vertheilung bewirkt wird, bei den meisten Physikern der älteren Schule noch keine Anerkennung zu finden vermochte. Man erklärte den thatsächlichen Einfluß der zwischen zwei Leitern befindlichen Materie auf die Größe der elektrischen Ladung durch ein mehr oder weniger tiefes Eindringen der Elektricität in den Isolator und die dadurch bewirkte Verminderung der Entfernung zwischen den auf den beiden Leitern wirksamen Elektricitätsmengen. Ich entschloß mich daher zur Ausführung einer Experimentaluntersuchung, um die factisch bestehenden Zustände ohne Anknüpfung an eine der vorhandenen Theorien festzustellen. Meine Untersuchung, welche durch die damals noch sehr unvollkommene Entwicklung der Untersuchungsmittel und Methoden wesentlich erschwert wurde, führte mich zu einer vollen Bestätigung der Faradayschen Molekularvertheilungstheorie. Es ergab sich, daß die Bewegungsgesetze der Wärme und Elektricität in Leitern auch für die elektrostatische Induction Gültigkeit haben, und daß mithin die Form des Ohmschen Gesetzes für den elektrischen Strom auch auf sie anwendbar sei. Ich erhielt auf diesem Wege mit Hülfe der Faradayschen Theorie die Poissonschen Ausdrücke für die Dichtigkeit der Elektricität auf der Oberfläche der Körper und konnte den experimentellen Nachweis führen, daß in allen Fällen die Theorie Faradays zur Erklärung der Erscheinungen ausreicht. Ich habe diese Theorie damals in mehreren Richtungen weiter entwickelt und mit ihrer Hülfe Aufgaben gelöst, wie z. B. die Berechnung der Capacität einer aus beliebig vielen, hintereinander geschalteten Leydener Flaschen verschiedener Capacität gebildeten Batterie, eine Aufgabe, die auf anderem Wege bis dahin nicht zu lösen war. Leider fand ich nicht eher als im Frühjahr 1857 die nöthige Muße, um meine Arbeit druckfertig zu machen. Inzwischen hatten schon berühmte englische Physiker, wie Sir William Thomson und Maxwell verschiedene meiner wissenschaftlichen Resultate vorweggenommen, namentlich waren von Thomson dieselben Formeln für die Capacität der Flaschendrähte und die Verzögerung des Stromes aufgestellt, welche ich auf einem ganz anderen, mehr elementaren Wege entwickelt hatte. Maxwell hat in seinen unvergänglichen Arbeiten Faradays Theorie streng mathematisch bearbeitet und den Nachweis geführt, daß sie überall in vollem Einklange mit der Potentialtheorie steht. Wir sind daher durchaus berechtigt, die elektrische Vertheilung mit Faraday als eine von Molekül zu Molekül fortgepflanzte Wirkung aber nicht zugleich als eine directe Fernwirkung zu betrachten, denn nur der eine dieser Vorgänge kann in Wirklichkeit bestehen.

Am Schlusse der eben besprochenen Arbeit habe ich den unter dem Namen der Siemens'schen Ozonröhre bekannten Apparat beschrieben und die Theorie seiner Wirkung entwickelt. Es gelang mir durch denselben, auf elektrolytischem Wege Sauerstoff in Ozon umzuwandeln. Diesem Apparate steht noch eine große Zukunft bevor, da er es ermöglicht, Gase der Elektrolyse zu unterwerfen. Dieselben werden dadurch in den sogenannten activen Zustand versetzt, der sie befähigt, direct mit anderen Gasen chemische Verbindungen einzugehen, die anderweitig nur auf großen Umwegen zu erreichen sind.

Ich habe schon erwähnt, daß noch in der Mitte dieses Jahrhunderts eines der größten Hindernisse, welche der Entwicklung der Naturwissenschaften und namentlich der physikalischen Technik entgegenstanden, das Fehlen feststehender Maaße war. In naturwissenschaftlichen Schriften wurden zwar ziemlich allgemein Meter und Gramm als Maaße für Längen und Gewichte benutzt, die Technik litt aber dessenungeachtet an einer unerträglichen Zersplitterung und Unsicherheit. Immerhin bildeten Meter und Gramm wenigstens feste Vergleichspunkte, auf die man alle Maaßangaben beziehen konnte. Ein solcher Festpunkt fehlte aber gänzlich für die elektrischen Maaße. Zwar hatte Wilhelm Weber schon in Gemeinschaft mit Gauß das bewunderungswürdige System der absoluten magnetischen und elektrischen Einheiten theoretisch entwickelt, hatte auch die Methoden exacter Messung und die dazu erforderlichen Instrumente außerordentlich vervollkommnet. Es fehlten aber Maaßetalons, welche die absoluten Einheiten wirklich darstellten und Jedermann zugänglich waren. In Folge dessen war es gebräuchlich, daß jeder Physiker sich für seine Arbeiten ein eigenes Widerstandsmaaß bildete, was den Uebelstand mit sich führte, daß seine Resultate mit denen Anderer nicht vergleichbar waren. Jacobi in Petersburg machte dann den Vorschlag, einen beliebigen Kupferdraht, den er bei einem Leipziger Mechaniker deponirte, allgemein als Einheit des Widerstandes anzunehmen. Dieser Versuch war aber fehlgeschlagen, weil der Widerstand des Drahtes sich mit der Zeit änderte und die versandten Copien desselben bis um zehn Procent von einander abweichende Werthe zeigten. Der von Halske und mir anfangs als Einheit benutzte Widerstand einer deutschen Meile Kupferdrahtes von 1 mm Durchmesser, der in Deutschland und anderen Ländern für die praktische Telegraphie ziemlich allgemein verwendet wurde, erwies sich auch nur als ein Nothbehelf. Ich überzeugte mich bald, daß es ganz unthunlich sei, ein empirisches Grundmaaß, wie Jacobi es that, aufzustellen, da der elektrische Widerstand keine so feste und controlirbare Eigenschaft der Körper ist wie etwa die Dimension und die Masse der festen Körper. Auch war es aussichtslos, die ganze Welt zur Annahme eines irgendwo deponirten Widerstandsmaaßes zu bewegen.

Nach diesen Betrachtungen blieb nur die Wahl zwischen der absoluten Weberschen Widerstandseinheit und einer überall mit größter Genauigkeit reproducirbaren empirischen Einheit. An die Annahme der absoluten Einheit war damals leider nicht zu denken, da ihre Reproduktion zu schwierig war, so daß Wilhelm Weber mir gegenüber selbst Abweichungen von einigen Procenten für unvermeidlich erklärte. Ich entschied mich also dafür, das einzige bei gewöhnlicher Temperatur flüssige Metall, das Quecksilber, dessen Widerstand sich durch Molekularveränderungen nicht ändern kann und durch Temperaturänderungen weniger als derjenige der zur Herstellung von Widerständen brauchbaren festen Metalle beeinflußt wird, zur Grundlage eines reproducirbaren Widerstandsmaaßes zu machen. Im Jahre 1860 waren meine Arbeiten so weit gediehen, daß ich mit dem Vorschlage, den Widerstand eines Quecksilberprismas von 1 m Länge und 1 qmm Querschnitt bei 0° C. als Einheit des Widerstandes anzunehmen, an die Oeffentlichkeit treten und meine Methode der Darstellung dieser Quecksilbereinheit publiciren konnte. Es geschah dies durch einen in Poggendorffs Annalen erschienenen Aufsatz: »Vorschlag zu einem reproducirbaren Widerstandsmaaße«.

Obgleich Herr Mathiessen in London der Annahme meiner Einheit heftig opponirte und dagegen einen Draht aus Gold-Silberlegirung vom ungefähren Widerstande einer Weberschen Einheit als empirische Einheit empfahl, wurde mein Vorschlag doch bald allgemein angenommen, und die Wiener internationale Telegraphenconferenz vom Jahre 1868 erhob die Quecksilbereinheit zur gesetzlichen Einheit des Telegraphenwesens. Trotzdem setzten die englischen Physiker ihre Bestrebungen fort, das von der British Association adoptirte, von Sir William Thomson vorgeschlagene Centimeter-Gramm-Secunde-System des Widerstandes – die sogenannte c.g.s.-Einheit – also den zehnfachen Widerstand der Weberschen absoluten Einheit zum internationalen elektrischen Widerstandsmaaße zu machen. Die British Association setzte eine Specialcommission ein, der Sir William Thomson und auch mein Bruder Wilhelm angehörten, und diese übte nun eine lebhafte Agitation für die allgemeine Annahme der British Association Unit aus, obgleich eine wirklich exacte Darstellung derselben noch nicht gelungen war. Man verließ sich aber auf die zu erwartenden Fortschritte in den elektrischen Meßmethoden und fand mit Recht, daß die Annahme eines theoretisch feststehenden, auf die dynamischen Grundmaaße basirten Widerstandsmaaßes die Rechnungen mit elektrischen Kräften wesentlich erleichtern würde. Obgleich sich dagegen einwenden ließ, daß die überwiegende Mehrzahl der auszuführenden Rechnungen mit elektrischen Widerständen dem geometrischen und nicht dem dynamischen Gebiete angehörte, und daß die von mir vorgeschlagene reproducirbare Einheit mit geometrischer Grundlage ebensogut eine absolute zu nennen sei wie die auf dynamischer Grundlage ruhende Webersche Einheit oder die Modifikation derselben, die von englischer Seite als Einheit vorgeschlagen wurde, so ist später doch die c.g.s.-Einheit des Widerstandes im Princip als internationales Widerstandsmaaß angenommen worden. Ich werde hierauf im Folgenden noch einmal zurückkommen.

Der meinem Bruder Wilhelm und mir von der englischen Regierung ertheilte Auftrag, die Fabrikation der von ihr subventionirten Kabel zu controliren, veranlaßte uns zu sehr eingehenden Versuchen über die Eigenschaften der Unterseeleitungen und namentlich zur Ausarbeitung einer rationellen Methode für die elektrische Prüfung derselben. Das Malta-Alexandria-Kabel war das erste, welches überhaupt einer systematischen Prüfung und Controle während seiner ganzen Anfertigung unterworfen wurde, und welches sich in Folge dessen auch nach seiner Auslegung als vollkommen fehlerfrei erwies und dauernd gut geblieben ist. Ermöglicht wurde eine solche rationelle Prüfung durch das exacte, oben beschriebene Widerstandsmaaß und unsere, den Gewichtssätzen entsprechend eingerichteten Widerstandsskalen, welche die schnelle Darstellung jedes gewünschten Widerstandes in Quecksilbereinheiten gestatteten, ferner durch wesentliche Verbesserungen, welche die Untersuchungsmethoden und Meßinstrumente durch uns erfuhren. Zur Untersuchung des Einflusses, den der in großen Meerestiefen herrschende hohe Druck auf die Kabel ausübt, wurden verschließbare, stählerne Reservoire erbaut und die Isolation der Kabel gemessen, während sie in denselben einem starken Drucke unterworfen wurden. Es bestätigte sich dabei die schon während der Legung des Kabels durch das rothe Meer von uns beobachtete Thatsache, daß die Isolirfähigkeit der Guttapercha sich durch den Wasserdruck vergrößert, wodurch die Möglichkeit festgestellt wurde, Submarinlinien auch durch die größten Meerestiefen zu legen. Wir entwarfen ferner Tabellen für die Größe der Verminderung, welche die Isolationsfähigkeit von Guttapercha, Kautschuk und anderen Isolationsmaterialien durch steigende Temperatur erfährt, sowie für die Vertheilungsfähigkeit – specific induction – dieser Isolatoren. Unsere Versuche ergaben, daß in diesen Punkten das Kautschuk und die Mischungen desselben der Guttapercha weit überlegen sind, ein Umstand, der uns ausgedehnte Versuche anstellen ließ, eine gute Isolirung von Leitungen durch Umkleidung mit Kautschuk zu erzielen, Versuche, die aber nicht ganz zu den erstrebten praktischen Ergebnissen führten.

Ein im Jahre 1860 der British Association von uns mitgetheilter Aufsatz – betitelt »Umriß der Principien und des praktischen Verfahrens bei der Prüfung submariner Telegraphenlinien auf ihren Leitungszustand« – faßte die wesentlichsten Ergebnisse unserer Untersuchungen zusammen und bildet die Grundlage des später allgemein adoptirten Systems der Kabelprüfungen und Fehlerbestimmungen. Obgleich aber diese Publikation in englischer Sprache und meine Mittheilung an die Pariser Akademie vom Jahre 1850, in der meine Fehlerbestimmungsmethoden im Princip ebenfalls schon enthalten waren, in französischer Sprache veröffentlicht wurden, haben spätere Schriftsteller und Erfinder doch nur in wenigen Fällen Rücksicht auf dieselben genommen und die darin angegebenen Methoden mit geringen Abänderungen aufs neue erfunden und publicirt. Ich will nicht unterlassen, hier darauf hinzuweisen, damit die Geschichte der Entwicklung der Elektrotechnik nicht dauernd gefälscht wird. Ein vor kurzem erschienenes, mit vielem Fleiß compilirtes Buch unter dem Titel » Traité de télégraphie sousmarine« von E. Wünschendorff giebt mir Veranlassung zu dieser Bemerkung. Gleich zu Anfang dieses Werkes wird der erste Erfinder der elektrischen Telegraphie, der deutsche Dr. Soemmering als » Professeur russe« bezeichnet, der bei Petersburg und 1845 bei Paris Leitungen unter Wasser gelegt hätte und dadurch Erfinder der submarinen Telegraphie geworden wäre. Wenn dies auch eine, für ein historisches Werk allerdings auffallende Verwechslung des deutschen Dr. Soemmering mit dem viel später in Petersburg lebenden deutschen Professor Jacobi ist, so ist doch zu bemerken, daß diese und andere Projecte unterseeischer Leitungen vor dem Jahre 1847 nur als Phantasiespiele zu betrachten sind, die zu brauchbaren unterirdischen Leitungen nicht führen konnten. Erst meine nahtlos mit Guttapercha umpreßten Leitungen lösten das Problem der Herstellung unterirdischer und unterseeischer Linien, und die 1848 für die Minen im Kieler Hafen von mir gelegten Leitungen und die eisenarmirte Kabelleitung durch den Rhein bei Cöln im Frühjahre 1850 bildeten die factische Grundlage der Unterseetelegraphie. Der deutsche Name des Franzosen Wünschendorff mag vielleicht zu der das ganze Werk umfassenden Nichtbeachtung deutscher Leistungen beigetragen haben!


In den zuletzt beschriebenen Abschnitt meiner Thätigkeit fielen noch zwei Ereignisse, die von wesentlicher Bedeutung für mich waren.

Im Jahre 1859 wurde ich zum Mitgliede des Aeltestencollegiums der Berliner Kaufmannschaft gewählt, welches zugleich Handelskammer der Mark Brandenburg ist. Die Wahl findet durch namentliche Abstimmung aller Gewerbe und Handel treibenden Firmen statt und gilt daher als eine besondere Auszeichnung. Ich erlangte durch sie den Vortheil, mit den Berliner Industriellen in nähere persönliche Verbindung zu kommen.

Im Jahre 1860 wurde ich bei Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums der Berliner Universität zum Doctor honoris causa der philosophischen Facultät promovirt. Diese Ernennung zum Ehrendoctor in meiner Heimathstadt Berlin erfreute mich vor Allem deswegen, weil ich in ihr eine Anerkennung meiner wissenschaftlichen Leistungen erblicken konnte und durch sie in gewissermaaßen collegiale Beziehung zu meinen wissenschaftlichen Freunden gebracht wurde.

Auf meine politische Thätigkeit, der ich mich in den folgenden Jahren mit größerem Eifer widmete, will ich nachstehend etwas näher eingehen.

Von frühester Jugend an schmerzte mich die Zerrissenheit und Machtlosigkeit der deutschen Nation. Es entstand dieses Gefühl in mir und den zunächst auf mich folgenden Brüdern schon durch unser Leben in deutschen Klein- und Mittelstaaten, in denen ein sich an den eigenen Staatsverband anschließender Patriotismus keinen fruchtbaren Boden fand, wie es in Preußen dank seiner ruhmvollen Geschichte der Fall war. Dazu kam, daß in unserer Familie nationale und liberale Gesinnung stets geherrscht hatte und namentlich mein Vater ganz von ihr erfüllt war. Trotz der traurigen politischen Zustände, in die Preußen mit Deutschland nach den glorreichen Befreiungskriegen wieder zurückgesunken war, blieb doch die Hoffnung auf den Staat Friedrichs des Großen, der durch seine Thaten Selbstvertrauen in den Deutschen erweckt hatte, als künftigen Retter aus der Noth bestehen. Diese Hoffnung war es, die meinen Vater veranlaßt hatte, mir zu rathen, in preußische Dienste zu gehen, und auch in mir selbst war diese Zuversicht auf eine künftige Erhebung Deutschlands durch Preußen stets lebendig geblieben. Daher wurde ich von der nationalen deutschen Bewegung des Jahres 1848 mit so unwiderstehlicher Gewalt ergriffen und trotz widerstrebender Privatinteressen nach Kiel gezogen, um mit Preußen für Deutschlands Einheit und Größe zu kämpfen.

Als diese jugendlich aufbrausende und weit über das vernünftiger Weise anzustrebende Ziel hinausgehende Bewegung an der Ungunst der obwaltenden Verhältnisse gescheitert, als Deutschland wieder der machtlosen Zersplitterung anheimgefallen und Preußen tief gedemüthigt war, da griff bei allen deutschen Patrioten tiefe Muthlosigkeit Platz. Zwar blieb die Hoffnung auf Preußen noch immer bestehen, doch glaubte man nicht mehr, daß der preußische Staat die Vereinigung Deutschlands erkämpfen werde, sondern setzte seine ganze Hoffnung auf den endlichen Sieg der liberalen Gesinnung im deutschen und namentlich im preußischen Volke. Aus diesem Umschwunge der Anschauungen erklären sich die ohne ihn schwer zu begreifenden Erscheinungen der Conflictzeit.

Bis zum Jahre 1860 war ich mit wissenschaftlichen und technisch-praktischen Arbeiten so vollauf beschäftigt, daß ich der Politik ganz fern blieb. Erst als unter der Regentschaft des Prinzen von Preußen die politische Erstarrung und der Pessimismus, die bis dahin fast ausschließlich herrschten, sich milderten und freiere politische Anschauungen sich wieder hervorwagten, schloß ich mich dem unter Bennigsens Führung gebildeten und vom Herzog Ernst von Koburg-Gotha beschützten Nationalverein an. Ich wohnte seiner constituirenden Versammlung zu Koburg bei und betheiligte mich fortan als treuer Bundesgenosse an seinen Bestrebungen. Hierdurch und durch meine lebhafte Bethätigung bei den Wahlen zum Landtage wurde ich mit den leitenden Politikern der liberalen Partei näher bekannt. Ich besuchte die Versammlungen der in Bildung begriffenen neuen liberalen Partei und nahm Theil an den Berathungen über Programm und Namen derselben. Die Mehrheit war geneigt, für den Namen »demokratische Partei« zu stimmen, während Schulze-Delitzsch sie »deutsche Partei« taufen wollte. Ich schlug vor, den Namen »Fortschrittspartei« zu wählen, da es mir angemessener schien, die Thätigkeitsrichtung als die Gesinnung durch den Parteinamen zu bezeichnen. Es wurde beschlossen, meinen Vorschlag mit dem von Schulze-Delitzsch zu vereinigen und die neue Partei »deutsche Fortschrittspartei« zu nennen.

Die Aufforderung, mich zum Abgeordneten wählen zu lassen, hatte ich wiederholt abgelehnt, hielt es aber im Jahre 1864 für meine Pflicht, die ohne meinen Antrag auf mich gelenkte Wahl zum Abgeordneten für den Bezirk Solingen-Remscheid anzunehmen. Es bildete damals die von der Regierung vorgeschlagene Reorganisation der Heeresverfassung die große Streitfrage, um welche die politischen Parteien sich gruppirten. Der Kern dieser Frage bestand in der nach dem Regierungsplane factisch eintretenden Verdoppelung der preußischen Armee mit entsprechender Vergrößerung des Militärbudgets. Die Stimmung des Landes ging dahin, daß diese Vergrößerung der Militärlast nicht ertragen werden könnte, ohne zu gänzlicher Verarmung des Volkes zu führen. In der That war der Wohlstand Preußens schon damals hinter dem der anderen deutschen Staaten ansehnlich zurückgeblieben, da die Last der deutschen Wehrkraft auch nach den Befreiungskriegen hauptsächlich auf seinen Schultern geruht hatte. Sollte diese Last im Sinne der Reorganisation noch in so hohem Maaße vergrößert werden, ohne daß eine entsprechende Theilnahme der übrigen Staaten erzwungen wurde, so mußte das Land in seinem Wohlstande mehr und mehr zurückgehen und hätte die Last schließlich doch nicht mehr zu tragen vermocht. Man wußte zwar, daß König Wilhelm schon als Prinz von Preußen und als Prinzregent von der Nothwendigkeit überzeugt war, den Staat Friedrichs des Großen wieder zu der seiner geschichtlichen Stellung angemessenen Höhe an der Spitze Deutschlands zu erheben, und man zweifelte nicht an dem Ernste der darauf gerichteten Bestrebungen des persönlich geliebten und hochgeachteten Monarchen, aber man zweifelte an der Durchführbarkeit seines Planes. Der Glaube an den historischen Beruf des preußischen Staates zur Vereinigung Deutschlands und an Preußens Glückstern war zu tief gesunken. Auch die eifrigsten Schwärmer für Deutschlands Einheit und künftige Größe, ja selbst specifisch preußische Patrioten, hielten es deshalb mit ihrer Pflicht nicht für vereinbar, Preußen diese neue, fast unerschwinglich scheinende Militärlast aufzubürden. Die Volksvertretung verwarf, zum großen Theil allerdings mit schwerem Herzen, den Reorganisationsentwurf der Regierung, und bei wiederholten Auflösungen bestätigte das Volk durch die Neuwahlen dieses Votum.

Mir persönlich wurde es besonders schwer, gegen die Vorlage der Regierung zu stimmen, da ich im innersten Herzen meinen alten Glauben an den Beruf des preußischen Staates doch noch aufrecht erhielt und es auch als Undankbarkeit erscheinen konnte, daß ich dem Willen des Monarchen entgegentrat, der mir einst persönlich sein Wohlwollen bezeugt hatte. Dazu kam, daß ich aus dem Auftreten der Minister von Bismarck und Roon in der Kammer und aus manchen von mir beobachteten Geberden und Worten derselben in den stattfindenden erbitterten Redekämpfen die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß es sich um ernste Thaten handelte, für welche man die Armee vergrößern wollte. Doch wiesen mich meine politischen Freunde damit zur Ruhe, daß sie sagten, ein actives Vorgehen Preußens, um ein einiges Deutschland unter preußischer Führung zu schaffen, würde nothwendig zu einem Kriege mit Oesterreich führen, und dem stände die testamentarische Ermahnung Friedrich Wilhelms III. an seine Söhne »Haltet fest an Oesterreich!« als unübersteigliches Hinderniß entgegen.

Dieser innere Zwiespalt führte mich dazu, in einer anonymen Brochüre, die unter dem Titel »Zur Militärfrage« bei Julius Springer erschien, die Frage zu erörtern, ob sich nicht auf einem anderen als dem von der Regierung vorgeschlagenen Wege die Verdoppelung der Armee für den Kriegsfall erreichen ließe, ohne dem Lande die große Kostenlast aufzubürden, welche der Regierungsentwurf nöthig machte.

Inzwischen war die Reorganisation selbst durch den Kriegsminister von Roon ohne jede Rücksicht auf die parlamentarischen Kämpfe schon durchgeführt und zum Glück bereits beendigt, als im Frühjahr 1866 die Differenzen über Schleswig-Holstein zum Bruche mit Oesterreich führten. Daß dieser Bruch wirklich erfolgen und den Krieg nach sich ziehen würde, glaubten trotz der Rüstungen und Kriegsdrohungen nur Wenige. Um so größer war die allgemeine Ueberraschung, als sich früh Morgens am 14. Juni die Nachricht verbreitete, der Krieg sei an Oesterreich und den deutschen Bund erklärt, die Kriegserklärung bereits an den Litfaßsäulen angeschlagen. In der That fand ich nach einem eiligen Gange von Charlottenburg nach Berlin die nächste dieser Säulen von einer dichten Menschenmenge umstellt. Mich frappirte die ruhige, ernste Haltung, mit der die oft wechselnde Menge das gewaltige Ereigniß hinnahm. Keine kritisirende Bemerkung irgend welcher Art wurde laut, wenn die ernst und würdig gehaltene Bekanntmachung auf Verlangen von den Nächststehenden wiederholt verlesen wurde. Jedermann, der Arbeiter so gut wie der Bürger, empfand das ungeheure Gewicht der Thatsache »Es ist Krieg!«, aber Niemand schien von ihr niedergedrückt zu werden, überall wurde sie mit selbstbewußter Ruhe hingenommen. Mir wurde hier so recht klar, welche Macht in einer ruhmreichen Vergangenheit eines Volkes liegt. Sie stärkt in gefahrdrohenden Zeiten das Selbstbewußtsein, läßt keinen Kleinmuth aufkommen und erweckt in Jedem den Entschluß, das Seinige zur Ueberwindung der Gefahr beizutragen, wie es die Vorfahren thaten. So wie vor der einen Litfaßsäule am Potsdamer Thor sah es in ganz Berlin, ja im ganzen Lande, wenigstens in den alten Gebietstheilen Preußens aus. Alle politischen Streitfragen wurden vergessen oder doch vertagt, ein Jeder dachte nur daran, seine Schuldigkeit zu thun. Daß dieses Gefühl alle Klassen des Volkes beherrschte, offenbarte sich deutlich in einer Versammlung, die noch am Tage der Kriegserklärung von Privatpersonen in der Absicht berufen wurde, einen Verein zur Pflege der Verwundeten zu bilden. Als ein Politiker die Verhandlungen mit Klagen über die Regierung begann, die den Krieg verschuldet hätte, genügte zur Entgegnung eine kurze Bemerkung von mir, daß der Krieg jetzt ein Factum sei und es sich nur noch darum handeln könne, den Sieg vorzubereiten und die Leiden des Kampfes möglichst zu lindern. Es fand dies so einstimmigen Beifall, daß jede weitere Discussion unterblieb und die Bildung des Hülfsvereins für die Armee im Felde, der später mit großem Erfolge gewirkt hat, einstimmig beschlossen wurde.

Als der Krieg nach wenigen Wochen mit der Niederwerfung Oesterreichs und der ihm verbündeten deutschen Staaten beendet war, da sah die Welt ganz anders aus. Das kleine, tief gedemüthigte Preußen stand jetzt als stolzer Sieger factisch ohne Rivalen an der Spitze Deutschlands. In weiser Erkenntniß des deutschen Volksgeistes, der den unvermeidlichen Bruderkrieg nur als Mittel zur Erringung der ersehnten deutschen Einheit betrachtete, hatten König Wilhelm und sein leitender Minister den besiegten Staaten, soweit sie nicht zur nothwendigen Stärkung des preußischen Staates diesem gänzlich einverleibt werden mußten, nur äußerst milde Friedensbedingungen auferlegt, und der als Sieger in seine Residenz einziehende König und Feldherr gab der Welt ein wohl einzig dastehendes Beispiel selbstüberwindender Gerechtigkeit, indem er von der Landesvertretung Indemnität für die durch die Nothlage des Staates erzwungene Uebertretung ihrer verfassungsmäßigen Rechte erbat und damit auch den inneren Frieden des Landes wiederherstellte. Es bedurfte freilich noch mancher Kämpfe im Abgeordnetenhause, bevor die Weisheit und Großartigkeit dieses Schrittes der Krone volle Anerkennung und Zustimmung fand.

Durch die mehrjährigen Kämpfe mit der Regierung und durch die wiederholt erfolgten Auflösungen hatte sich eine Art Kampfesorganisation im Abgeordnetenhause gebildet, die den Führern überwiegenden Einfluß auf die Abstimmungen in die Hand gab. Namentlich Waldeck, der Führer der entschiedenen Demokraten, hatte große Macht erlangt. Seine Freunde verschmähten alle Compromisse und hielten es zur Erreichung ihrer Ziele für geboten und der Würde des Hauses entsprechend, die verlangte Indemnität nur unter sehr weitgehenden Bedingungen zu ertheilen. Dies war bei der damaligen politischen Lage ein außerordentlich gefährliches Beginnen, welches den inneren Frieden ernstlich bedrohte und alle Errungenschaften der glorreichen Siege des preußischen Volksheeres wieder gefährden konnte. Ich hatte mich vor dem Zusammentreten des Landtages, bald nach dem Friedensschlusse, einige Zeit in Paris aufgehalten und Gelegenheit gehabt, die Stimmung der Bevölkerung sowohl wie die der leitenden Kreise kennen zu lernen. Es galt dort als ganz außer Frage stehend, daß Frankreich die von Preußen errungene Machtstellung an der Spitze Norddeutschlands und als Führer des gesammten Deutschlands ohne sehr große Compensationen nicht dulden dürfe und dieselbe, wenn nöthig, mit Gewalt durchbrechen müsse. Aus durchaus zuverlässiger Quelle erfuhr ich, daß der Grund, weshalb Frankreich bis dahin gute Miene zum bösen Spiel machte, nur darin lag, daß der mexikanische Krieg die Armee desorganisirt und namentlich die Magazine geleert hatte, daß man aber auf das eifrigste mit Rüstungen beschäftigt wäre und einstweilen auf die Fortdauer der inneren Kämpfe in Preußen rechnete.

Bei meiner Rückkehr nach Berlin fand ich das Abgeordnetenhaus schon versammelt und die Indemnitätsfrage in eifriger Discussion innerhalb der Parteien. Leider hatte ein großer Theil der nicht zur Waldeckschen Partei gehörigen parlamentarischen Führer, in der festen Erwartung, daß diese wenigstens in der Fortschrittspartei den Sieg erringen würde, seinen Austritt aus der letzteren erklärt und sich für die Bildung einer neuen, der »nationalliberalen« Partei entschieden. Ich selbst hatte grundsätzlich niemals größere Reden im Hause gehalten, da ich meine politische Thätigkeit nur als eine vorübergehende betrachtete und entschlossen war, kein Mandat wieder anzunehmen. Dagegen hatte ich in den Parteiversammlungen stets eifrig mitgewirkt und kannte die Gesinnung der meisten Abgeordneten vielleicht besser als die parlamentarischen Führer. Es war meine Ueberzeugung, daß die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder der Fortschrittspartei für den Frieden mit der Krone gestimmt wäre und es für sie nur eines kräftigen Anstoßes bedürfte, um dieser friedlichen Gesinnung Ausdruck zu geben. In der That fiel meine lebhafte Schilderung der vielseitigen Gefahren, die mit der Verweigerung der Indemnität verknüpft wären, in der Parteiversammlung auf einen fruchtbaren Boden, und nachdem Lasker, der auf meine Bitte seine Austrittserklärung bis nach der Fractionssitzung verschob, meine Ausführungen in beredtem Vortrage bestätigt und weiter entwickelt hatte, erklärte sich die Fortschrittspartei mit überwiegender Majorität für die unbeschränkte Bewilligung der Indemnität, obschon Waldeck selbst mit größter Entschiedenheit für das unerschütterliche Beharren auf dem Rechtsstandpunkte und die Ablehnung der Indemnitäts-Erklärung eintrat. Als darauf die Bewilligung der Indemnität auch vom Hause selbst beschlossen und dadurch der innere Frieden im Lande wieder hergestellt war, trat ich vom politischen Schauplatze zurück und widmete die freie Zeit, welche die Leitung meiner Firma mir ließ, fortan wieder wissenschaftlichen Arbeiten.

In den drei Jahren meiner parlamentarischen Thätigkeit habe ich in Commissionssitzungen und Parteiversammlungen bei den drei einzigen Gesetzen, die durch Uebereinstimmung mit Regierung und Herrenhaus Gesetzeskraft erhielten, thätig mitgewirkt. Ich war Specialreferent der Abtheilung »Metalle und Metallwaaren« des deutsch-französischen Handelsvertrages und glaube durch ein eingehendes Referat, das ich über diesen am heftigsten bestrittenen Theil des Vertrages ausarbeitete, nicht unwesentlich zur schließlichen Annahme desselben beigetragen zu haben. Leider brachte mich dieses Referat in Conflict mit meinem Wahlbezirke. Dieser entsandte eine besondere Deputation an das Abgeordnetenhaus, um gegen den Artikel zu protestiren, der es verbot, Fabrikate mit den Firmen und Fabrikzeichen der Fabrikanten eines anderen Landes zu bezeichnen. Die Solinger und Remscheider Industriellen erklärten, daß es herkömmlich und allgemein üblich wäre, die besseren, in der Regel von englischen Fabrikanten und Händlern bestellten Waaren mit einem englischen Fabrikationsstempel nach deren Angabe zu versehen, und daß ihr Geschäftsbetrieb schwer geschädigt werden würde, wenn man ihnen dies untersagte; die Folge eines solchen Verbotes würde sein, daß sie nicht nur den englischen, sondern auch den deutschen Markt für ihre bessere Waare verlieren würden, da man auch in Deutschland die englische Waare vorzöge.

Trotz langer Debatten kam es zu keiner Verständigung zwischen uns. Die Deputation erkannte wohl an, daß die deutsche Industrie selbstmörderisch handelte, wenn sie ihre gute Waare als fremdes und nur die schlechtere als eigenes Fabrikat auf den Markt brächte, sie schob die Schuld aber auf das kaufende Publikum, welches es so verlangte. Wir schieden daher im Zwiespalt, und ich glaube, ich wäre nicht wieder gewählt worden, wenn ich mich nochmals zur Wahl gestellt hätte. Das Verbot hat im übrigen gut gewirkt, wenn es auch leider nicht in voller Schärfe durchgeführt wurde. Es hat sich seitdem in jenem alten und berühmten Industriebezirke, wie überhaupt in der ganzen deutschen Technik, schon ein Fabrikantenstolz herausgebildet, der nur gute Waare zu liefern gestattet, und man hat auch vielfach schon eingesehen, daß in dem guten Rufe der Fabrikate eines Landes ein wirksamerer Schutz liegt als in hohen Schutzzöllen.

Ein wirksames Schutzzollsystem, welches der Industrie den Consum des eigenen Landes sichert, läßt sich überhaupt nur dann consequent durchführen, wenn dieses Land, wie z. B. die Vereinigten Staaten von Nordamerika, alle Klimate umfaßt und alle Rohproducte, deren seine Industrie bedarf, selbst erzeugt. Ein solches Land kann sich gegen jeden Import absperren, vermindert dadurch aber gleichzeitig seine eigene Exportfähigkeit. Es muß als ein Glück für Europa betrachtet werden, daß Amerika durch sein prohibitives Schutzzollsystem die gefahrdrohende, schnelle Entwicklung seiner Industrie gehemmt und seine Exportfähigkeit verringert hat. Das durch hohe Schutzzollbarrieren zerrissene Europa gewinnt dadurch Zeit, die Gefahr seiner Lage zu erkennen, die ihm den Wettbewerb mit einem zollfreien Amerika auf dem Weltmarkte unmöglich machen wird, wenn es ihm nicht rechtzeitig als mercantil organisirter Welttheil gegenübertritt. Der Kampf der alten mit der neuen Welt auf allen Gebieten des Lebens wird allem Anscheine nach die große, alles beherrschende Frage des kommenden Jahrhunderts sein, und wenn Europa seine dominirende Stellung in der Welt behaupten oder doch wenigstens Amerika ebenbürtig bleiben will, so wird es sich bei Zeiten auf diesen Kampf vorbereiten müssen. Es kann dies nur durch möglichste Wegräumung aller innereuropäischen Zollschranken geschehen, die das Absatzgebiet einschränken, die Fabrikation vertheuern und die Concurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkte verringern. Ferner muß das Gefühl der Solidarität Europas den anderen Welttheilen gegenüber entwickelt und es müssen dadurch die innereuropäischen Macht- und Interessenfragen auf größere Ziele hingelenkt werden.


Während der Periode meiner politischen Thätigkeit blieb ich eifrig bemüht, das von mir ins Leben gerufene große Geschäft weiter zu entwickeln. Es war inzwischen ein Wechsel in der Leitung der preußischen Staatstelegraphen eingetreten, der mich und meine Firma wieder in nähere Verbindung mit derselben gebracht hatte. An Stelle des Regierungsrathes Nottebohm, der mir nicht verzeihen konnte, daß ich den gänzlichen Fehlschlag des preußischen Systems der unterirdischen Leitungen in meiner oben genannten Brochüre auf seine wirkliche Ursache, die mangelhafte Organisation der technischen Verwaltung, zurückgeführt hatte, war ein höchst intelligenter Ingenieurofficier, der Oberst von Chauvin, zum Direktor der preußischen Staatstelegraphen ernannt. Dieser stellte die seit vielen Jahren gänzlich abgebrochenen Beziehungen zu meiner Firma wieder her und benutzte ihre großen Erfahrungen auf telegraphischem Gebiete, um die ziemlich stehengebliebenen Betriebseinrichtungen der Staatstelegraphie zu verbessern. Da gleichzeitig auch in Rußland mein alter Freund und Gönner, der Oberst von Lüders, nach langer Krankheit wieder leitender Direktor der Staatstelegraphen war, so faßte ich den kühnen Plan, eine telegraphische Speciallinie zwischen England und Indien durch Preußen, Rußland und Persien, die Indo-Europäische Linie, ins Leben zu rufen.

Dieser Plan war durch die Versuche Englands, eine Linie durch das mittelländische Meer, Kleinasien und Persien herzustellen, an deren Ausführung sich mein Bruder Wilhelm lebhaft betheiligt hatte, schon gut vorbereitet. Die englische Regierung hatte im Jahre 1862 ein Kabel von Bushire in Persien nach Kurrachee in Indien gelegt, bei dessen Legung leider unser Elektriker Dr. Esselbach den Tod gefunden hatte. Unter englischer Leitung wurde auch die an das Kabel sich anschließende Landlinie durch Kleinasien und Persien von der türkischen und persischen Regierung hergestellt und so eine telegraphische Ueberlandlinie nach Indien factisch ins Dasein gerufen. Doch stellte sich bald die Unmöglichkeit heraus, auf diesem Wege die Aufgabe wirklich zu lösen. Die Linie war gewöhnlich unterbrochen, und wenn sie wirklich auch einmal vollständig in Ordnung war, so brauchten die Depeschen oft Wochen, um sie ganz zu durchlaufen, und kamen schließlich in einem durchaus unverständlichen, verstümmelten Zustande an ihren Bestimmungsort. Theoretisch existirte daneben noch eine zweite Ueberlandverbindung durch die preußischen und russischen Regierungslinien, doch erwiesen sich diese zur Beförderung der Regierungs- und Handelsdepeschen in englischer Sprache als fast ebenso unbrauchbar wie die Speciallinie durch die Türkei.

Nach diesen Erfahrungen stand es fest, daß das große Bedürfniß einer schnellen und sicheren telegraphischen Correspondenz zwischen England und Indien nur durch eine einheitlich angelegte und verwaltete Linie durch Preußen, Rußland und Persien befriedigt werden könnte. Nachdem ich die Ausführbarkeit einer solchen Linie mit meinen Brüdern Wilhelm und Karl reiflich erwogen hatte, nachdem ferner Wilhelm durch seinen Freund, Oberst Bateman-Champain, den Erbauer der Landlinie durch Kleinasien, die wohlwollende Unterstützung der englischen Regierung zugesichert erhalten und Oberst von Chauvin die gleiche Zusicherung für die preußische Regierung abgegeben hatte, nahmen unsere drei Firmen zu Berlin, London und Petersburg die Durchführung des Planes in die Hand.

Die größte Schwierigkeit lag darin, die russische Regierung zu bestimmen, einer fremden Gesellschaft die Erlaubniß zu geben, eine eigene Telegraphenlinie durch Rußland zu erbauen und zu betreiben. Es gelang dies auch erst nach langwierigen Verhandlungen, bei denen uns sehr zu statten kam, daß wir wegen unserer bisherigen Leistungen sowohl als Techniker wie als zuverlässige Unternehmer großes Ansehen in Rußland genossen. Die schließlich ertheilte Concession räumte uns das Recht ein, eine Doppelleitung von der preußischen Grenze über Kiew, Odessa, Kertsch, von dort zum Theil unterseeisch nach Suchum-Kalé an der kaukasischen Küste, und weiter über Tiflis bis zur persischen Grenze anzulegen und zu betreiben. Preußen verpflichtete sich, selbst eine Doppelleitung von der polnischen Grenze über Berlin nach Emden zu erbauen und diese Linie durch die von uns zu bildende Gesellschaft betreiben zu lassen. Persien, wohin wir außer unserem Bruder Walter einen jüngeren Verwandten, den jetzigen ersten Direktor der Deutschen Bank in Berlin, damaligen Assessor Georg Siemens, zum Abschlusse eines Vertrages delegirten, gab uns eine ähnliche Concession wie Rußland zur Erbauung einer eigenen Linie von der russischen Grenze bis Teheran. Die Vollendung der theilweise schon hergestellten Linie von Teheran bis Indien übernahm die englische Regierung.

Wir erhielten die Erlaubniß, die uns ertheilten Concessionen einer in England domicilirten Gesellschaft unter der Bedingung zu übertragen, daß unseren Firmen der Bau und die Unterhaltung der ganzen Linie in Auftrag gegeben würde, und der ferneren, daß wir stets mit einem Fünftel des Anlagekapitals an der Gesellschaft betheiligt blieben. Wir bildeten darauf eine englisch-deutsche Gesellschaft, die ihren Sitz in London hatte, und müssen es als ein ehrendes Zeichen des Ansehens anerkennen, in welchem unsere Firmen beim Publikum bereits standen, daß das erforderliche beträchtliche Kapital ohne Vermittlung von Bankhäusern auf unsere direkte Aufforderung zur Betheiligung in London und Berlin gezeichnet wurde. Ich will hier erwähnen, daß die Indo-Europäische Linie noch heute unverändert fortbesteht und trotz gefährlicher Concurrenz durch eine neue, von englischen Unternehmern erbaute Submarinlinie, die durch das mittelländische und rothe Meer führt, regelmäßig eine ansehnliche Dividende an ihre Aktionäre zahlt.

Der Bau der Linie wurde unter unseren Firmen so vertheilt, daß das Berliner Geschäft gemeinschaftlich mit dem Petersburger die Leitung des Baues der Landlinien übernahm, während das Londoner Geschäft mit Herstellung der Submarinlinie im schwarzen Meere und Anlieferung der Materialien zum Linienbau beauftragt wurde. Der Berliner Firma wurde außerdem noch die Construction und Anfertigung der nöthigen Telegraphenapparate überlassen. Trotz großer und zum Theil unerwarteter Hindernisse wurde der Bau der Linie Ende 1869 vollendet, wenn auch leider die schon erwähnte, durch ein Erdbeben bewirkte Zerstörung des Kabels längs der kaukasischen Küste und die zeitraubende Ersetzung desselben durch eine Landleitung den regelrechten Telegraphendienst auf der ganzen Linie erst im folgenden Jahre ermöglichte.

Nach dem von uns ausgestellten Programm des Betriebes sollten die Depeschen von London bis Kalkutta ohne irgend welche Handarbeit auf den Zwischenstationen, also auf rein mechanische Weise, befördert werden, um Zeitverlust und Verstümmelung bei der Weiterbeförderung durch Telegraphisten auszuschließen. Ich construirte zu diesem Zwecke für die Indo-Europäische Linie ein besonderes Apparatsystem, welches diese Aufgabe auch vollständig gelöst hat. Es erregte berechtigtes Aufsehen in England, als bei den ersten officiellen Versuchen London und Kalkutta durch eine Linie von über zehntausend Kilometer Länge so schnell und sicher mit einander sprachen wie zwei benachbarte englische Telegraphenstationen.

Eine unerwartete Schwierigkeit bereitete der Umstand, daß die beiden Leitungen, namentlich bei trockenem Wetter, sich gegenseitig störten. Es zeigte sich dies zuerst in Persien, wo der Oberingenieur der Berliner Firma, Herr Frischen, mit der Einrichtung des Telegraphendienstes beschäftigt war. Die beiden Leitungen waren bei dem dort herrschenden, sehr trockenen Wetter ganz vollkommen von einander und von der Erde isolirt, und trotzdem erhielt man auf beiden Apparaten der entfernten Station richtige Morseschrift, wenn auf einer der beiden Linien telegraphirt wurde. Da der Apparat der zweiten Linie auf der gebenden Station verkehrte Schrift erzeugte, so mußte die Ursache der Störungen in der elektrostatischen Ladung der Nebenlinie liegen, denn die dynamisch in ihr inducirten Ströme hätten an beiden Enden der zweiten Linie verkehrte Schrift geben müssen. Es wurde dies durch eine Reihe von Experimenten erwiesen, die Herr Frischen auf meine telegraphische Anweisung in Teheran anstellte. Nachdem die Ursache der Störung erkannt war, ließ sich dieselbe durch geeignete Vorkehrungen unschädlich machen.

Ich will bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß diese doppelte Ursache der in benachbarten Leitungen entstehenden, inducirten Ströme zu vielen, bisher nicht recht verständlichen Störungen im Telephonbetriebe Veranlassung giebt und noch eingehenden Studiums bedarf. Ich habe später einmal Gelegenheit gehabt, bei einer von meiner Firma ausgeführten Legung eines siebenadrigen Landtelegraphenkabels einen lehrreichen, auf diese Erscheinung bezüglichen Versuch anzustellen. Mit Erlaubniß der Reichstelegraphenverwaltung wurde einer der sieben, mit Guttapercha isolirten Leiter des Kabels von Darmstadt nach Straßburg mit einer Stanniolhülle umkleidet, während die übrigen sechs Leiter unbekleidet blieben. Es stellte sich bei den nach der Legung ausgeführten Versuchen heraus, daß die Stanniolhülle die elektrostatische Ladung zwischen dem umkleideten und den übrigen Drähten ganz beseitigte, während die elektrodynamische Induction zwischen ihnen ganz unverändert geblieben war. Leider konnte der Versuch mit vollständig isolirter Stanniolhülle nicht angestellt werden, da eine solche Isolation nicht zu erreichen war.


Schon vor Ausführung der Indo-Europäischen Linie war unser Petersburger Geschäft von der russischen Regierung mit dem Bau und der Remonte mehrerer Telegraphenlinien im kaukasischen Rußland beauftragt worden und hatte aus diesem Grunde eine Filiale in Tiflis errichtet, deren Leitung meinem Bruder Walter übertragen wurde. Als sich diesem nach Vollendung der Regierungsbauten später keine hinreichende Beschäftigung mehr bot, brachte er uns im Jahre 1864 den Ankauf einer reichen Kupfermine des Kaukasus, zu Kedabeg bei Elisabethpol, in Vorschlag. Da der Bergwerksbetrieb in den Rahmen der geschäftlichen Thätigkeit unserer Firmen nicht hineinpaßte, gaben Bruder Karl und ich ihm privatim das zum Ankauf und Betriebe erforderliche, ziemlich niedrig veranschlagte Kapital.

Das Kupferbergwerk Kedabeg ist uralt; es wird sogar behauptet, daß es eins der ältesten Bergwerke sei, aus denen bereits in prähistorischer Zeit Kupfer gewonnen wurde. Dafür spricht schon seine Lage in der Nähe des großen Goktscha-Sees und des von dem westlichen Ufer desselben aufsteigenden Berges Ararat, eine Gegend, die ja vielfach als die Wiege der Menschheit betrachtet wird; eine Sage erzählt sogar, das schöne Thal des Schamchorflusses, welches zum Waldreviere des Bergwerks gehört, sei der Ort des biblischen Paradieses gewesen. Jedenfalls zeugt für das Alter des Bergwerksbetriebes die Unzahl alter Arbeitsstätten, die den Gipfel des erzführenden Berges krönen, ferner das Vorkommen gediegenen Kupfers und endlich der Umstand, daß in der Nähe Kedabegs ausgedehnte prähistorische Grabfelder liegen, deren Erforschung Rudolf Virchow großes Interesse zugewendet hat.

Das Bergwerk hat eine wirklich paradiesisch schöne Umgebung mit gemäßigtem Klima; es liegt etwa 800 Meter hoch über der großen kaukasischen Steppenebene, die sich vom Fuße des als Goktscha-Kette bezeichneten Ausläufers des kleinen Kaukasus bis an das kaspische Meer hinzieht. Der Betrieb desselben kam, als der uralte, auf die Verarbeitung der zu Tage tretenden Erze gerichtete Pingenbau nicht weiter fortgesetzt werden konnte, in die Hände der Griechen, deren schräge, treppenförmig niedergetriebene Schachte, aus denen sie auf dem Rücken Erze und Wasser hinaustrugen, zur Zeit der Uebernahme durch Bruder Walter noch im Betriebe waren. Der Bergbau nach modernen Principien wurde von uns mit sehr sanguinischen Erwartungen, wie das bei derartigen Unternehmungen gewöhnlich der Fall ist, unter Leitung eines jüngeren preußischen Berg- und Hüttenmannes, des Dr. Bernoulli, begonnen. Es zeigte sich aber bald, daß bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden waren und große Geldsummen aufgewendet werden mußten, um einen lohnenden Betrieb des Werkes herbeizuführen. Dies ist auch erklärlich, wenn man sich vorstellt, daß das Werk etwa 600 Kilometer vom schwarzen Meere entfernt liegt und mit demselben damals weder durch Eisenbahnen noch ordentliche Straßen in Verbindung stand, daß alle für das Bergwerk und die zu erbauende Kupferhütte erforderlichen Materialien bis auf die feuerfesten Steine, die es im Kaukasus noch nicht gab, aus Europa bezogen werden mußten, und daß für das Leben einer europäischen Kolonie in dieser paradiesischen Wüste, in der Erdhöhlen als menschliche Wohnungen dienten, alle Kulturbedingungen erst zu schaffen waren.

Kein Wunder, daß die Höhe der Geldsummen, die das Bergwerk verschluckte, über alle Erwartung groß wurde, so daß sich uns Brüdern bald die Frage aufdrängte, ob wir die Unternehmung fortsetzen oder wieder aufgeben sollten. Um eine Entscheidung zu treffen, entschloß ich mich im Herbst des Jahres 1865, selbst nach dem Kaukasus zu reisen und mich durch den Augenschein über die Sachlage zu unterrichten. Ich zähle diese kaukasische Reise zu den angenehmsten Erinnerungen meines Lebens. Ein stilles Sehnen nach den Urstätten menschlicher Kultur hatte ich stets empfunden, und Bodenstedts glühende Schilderungen der üppigen kaukasischen Natur hatten dieses Sehnen nach dem Kaukasus geleitet und längst den Wunsch in mir rege gemacht, ihn kennen zu lernen. Für die Reise sprach noch, daß ich durch den nach so schweren Leiden erfolgten Tod meiner geliebten Frau geistig und körperlich sehr angegriffen war und einer Auffrischung dringend bedurfte.

So reiste ich denn Anfang October 1865 über Pest nach Basiasch, wo ich mich auf einem der schönen Donaudampfer nach Tschernowoda einschiffte, um von da über Küstendsche zu Schiff nach Constantinopel zu fahren. Auf dem Schiff interessirte es mich, mit dem berühmten Omer Pascha, dem damaligen türkischen Seraskier zusammenzutreffen. Da er sich nach Unterhaltung sehnte, wurden wir bald näher miteinander bekannt; ihm gefielen meine Havannah-Cigarren und mir sein Tschibuk, den er mir durch seinen Sklaven stets von Neuem stopfen ließ. Omer Pascha war früher Sergeant in der österreichischen Armee gewesen, dann zu den Türken übergegangen, hatte ihren Glauben angenommen und sich im Kriege mit Rußland schnell emporgeschwungen. Die Einnahme von Montenegro, das bis dahin für unüberwindlich gegolten, brachte ihn schließlich an die Spitze des türkischen Heeres. Er kam eben von einer längeren Reise nach Wien und Paris zurück. Meinen Versuchen, ihn zu Erzählungen seiner Kriegsthaten zu bringen, wich er leider immer aus. Die Erinnerungen an die Siege, die er in Wien und Paris über die Damen des Ballets und der Oper errungen hatte, schienen ihm angenehmer zu sein als die seiner Kriegsthaten. Nur über den von ihm erwarteten künftigen Krieg des Orients gegen den Westen Europas äußerte er sich und zwar sehr sanguinisch. Ein gewaltiges türkisches Reiterheer, so meinte er, würde den Occident wie in früheren Zeiten überfluthen und jeden Widerstand niederreiten. Für einen türkischen Generalissimus kam mir diese Anschauung doch etwas kindlich vor. Von der öffentlichen Meinung in der Türkei schien er sich recht abhängig zu fühlen, wie sich bei einem kleinen Reiseunfall offenbarte, den wir zu bestehen hatten. Die Maschine unsres Schiffes hatte beim Passiren des eisernen Thores Schaden gelitten, und wir waren gezwungen in Orsova zu übernachten, um denselben repariren zu lassen. In Folge dessen kamen wir mit einiger Verspätung in Küstendsche an und erfuhren zu unserm Schrecken, daß der zweimal wöchentlich von dort nach Constantinopel gehende Dampfer die Ankunft unsres Zuges nicht abgewartet hatte. Die Aussicht, mehrere Tage in dem traurigen Orte liegen zu bleiben, war uns Allen, insbesondere auch dem Seraskier, höchst unangenehm. Unter meiner Führung ging daher eine Deputation der Reisegesellschaft zu ihm und bat, er möge die Dampfschiffahrtsgesellschaft veranlassen, einen vorhandenen kleinen Dampfer dem bereits abgegangenen mit uns nachzusenden. Er lehnte dies indessen aus nicht recht verständlichen Gründen ab. Mir persönlich sagte er aber später, er könnte das seiner Stellung wegen nicht, denn wenn die Dampfschiffsgesellschaft seiner Aufforderung nicht Folge leistete, so würden alle Paschas im ganzen Türkenreiche sagen »Haha! Omer Pascha hat etwas befohlen, aber man hat ihm nicht gehorcht, haha!« dem dürfe er sich nicht aussetzen.

Der Bosporus, das Marmarameer, die süßen Wasser, das unvergleichlich schön gelegene Constantinopel – das Alles ist so oft schön beschrieben und mit Andacht gelesen worden, daß ich besser davon schweige. Trotz der Herrlichkeit und Großartigkeit seiner Lage, die auf den ersten Blick verräth, daß es an einem für die Weltherrschaft prädisponirten Platze liegt, macht Constantinopel mit dem gegenüberliegenden Pera von der See aus betrachtet keinen eigentlich freundlichen oder erhebenden Eindruck. Niemand wird sagen »ich habe Constantinopel gesehen und kann nun sterben!« Die überall, oft in größeren Gruppen zwischen den Häusern hervorragenden dunkeln Cypressen, mit denen der Türke seine Grabstätten schmückt, mögen es sein, die dem Anblick der Stadt trotz der herrlichen Umgebung etwas Düsteres verleihen, es mag auch der geistige Wiederschein der trüben Geschichte der Stadt sein oder die Ahnung, daß der Kampf um Constantinopel dereinst Europa in Flammen setzen wird – kurz, der Anblick Constantinopels erregt wohl unsre Bewunderung, aber er entzückt uns nicht wie der Neapels oder mancher anderen schön gelegenen Stadt. Auch die hervorragenden Bauwerke, wie die Gebäude des alten Serails am goldenen Horn und selbst die Hagia Sophia, haben nichts Anregendes oder Erfreuliches, wenn sie auch durch ihre Masse imponiren. Die Kuppel der alten Sophienkirche ragt zwar mächtig über das Häusermeer empor, doch man sieht auch nur die Kuppel mit ihren von weitem unförmlich aussehenden, schmucklosen Pfeilern.

Die Sophia ist ohne Rücksicht auf den äußeren Anblick ganz auf die Schönheit des Inneren berechnet. Diese Schönheit ihres Inneren ist dafür aber auch über alle Begriffe groß und erhaben. Es hat niemals ein Bauwerk oder irgend ein Kunstwerk, ja kaum eine der hervorragendsten Naturschönheiten einen so überwältigenden Eindruck auf mich gemacht wie die Kuppel der Sophia von innen gesehen. Man vergißt bei ihrem Anblicke ganz die schwere Last der Decke, die den weiten, unten quadratischen Raum überspannt, und empfängt den Eindruck, als sei die Kuppel ein über dem großen, oben offenen Raume gewichtlos schwebendes, ganz schwach gewölbtes Spitzentuch, das nur mit den feinen Ausläufern der Spitzenzacken die Rundung berührt. Diese Täuschung wird dadurch erzeugt, daß die Kuppel auf einer Menge kurzer und schmaler Pfeiler ruht, zwischen denen das blendende Licht eintritt und die Basis der Pfeiler als Spitzen erscheinen läßt. Ich habe mich dem Zauber, den diese schwebende Decke auf mich ausübte, nur schwer entziehen können und muß gestehen, daß die hochgewölbte Peterskuppel mit ihrer schweren Auflage und massiven Symmetrie später keinen besonderen Eindruck auf mich gemacht hat. Man wundert sich in der Peterskirche, daß sie so viel größer ist, als sie scheint, während die Hagia Sophia umgekehrt größer erscheint, als sie in Wirklichkeit ist, und so den Beschauer selbst zur Bewunderung dieser erhabenen und in keiner Weise bedrückenden Größe hinreißt.

Es freute mich während meines Aufenthaltes in Constantinopel verschiedene der Instructionsofficiere anzutreffen, die schon unter Friedrich Wilhelm III. zur Reorganisation der türkischen Armee dahin gesandt waren, und unter ihnen einige zu finden, die ich aus meiner Militärzeit noch kannte. Diese Officiere waren ohne Ausnahme Christen und gute Deutsche geblieben, während die mit ihnen nach Constantinopel gegangenen Unterofficiere zum Theil Muhammedaner geworden und in Folge dessen bereits zu höheren Rangstufen in der Armee erhoben waren. Ein solcher Renegat begegnete mir in Trapezunt, wohin ich mit dem nach Poti gehenden Dampfer weiter reiste, nachdem ich mich nur wenige Tage in Constantinopel aufgehalten hatte. Ich besuchte daselbst den preußischen Konsul, Herrn von Herford, der mir von Berlin her wohlbekannt war. Dieser hielt es für passend, daß ich dem dortigen Pascha, der mit der Specialmission des Baues einer Chaussee nach Persien betraut war, einen Besuch abstattete. Auf die Anfrage, ob der Pascha geneigt wäre, uns zu empfangen, kam die Antwort, derselbe sei augenblicklich in seinem Harem damit beschäftigt, Sklavinnen zu besichtigen, die ihm zum Kauf angeboten wären, er wolle uns aber nach Verlauf einer Stunde in seiner Reitbahn empfangen. Als der Konsul mich ihm dort vorstellte, kam mir der schlanke, blonde Mann, der noch im kräftigsten Alter stand, etwas bekannt vor. Dem Pascha mußte es mit mir ähnlich ergehen; er blickte mich längere Zeit forschend an und fragte dann, ob ich früher preußischer Officier gewesen sei und in Magdeburg in Garnison gestanden habe. Als ich beides bejahte, fragte er, ob ich mich daran erinnerte, vor etwa zwanzig Jahren einmal den Auftrag gehabt zu haben, den Blitzableiter eines in den Festungswerken gelegenen Pulvermagazins zu besichtigen; er sei der Pionier-Sergeant gewesen, der mich hingeführt hätte. Mir war die Sache nur dunkel in Erinnerung, ich mußte aber das gute Physiognomie-Gedächtniß des Paschas bewundern. Als der Konsul darauf des großen technischen Werkes gedachte, das der Pascha auszuführen habe, schlug dieser vor, einen Ritt auf der neuen Chaussee mit ihm soeben zum Kauf gebrachten arabischen Pferden zu machen, ein Vorschlag, dem ich mit Vergnügen zustimmte. Es war ein herrlicher Ritt, den wir auf den edlen Thieren in schneller Gangart, erst am Ufer des Meeres, dann in einem reizenden Thale mit üppiger Vegetation auf dem Reitwege der wirklich schön gebauten Straße machten. Als etwa eine Stunde so vergangen war, verengte sich das Thal, und die Chaussee schien mit ihm eine scharfe Wendung auszuführen. Da mäßigte der Pascha den Lauf seines Rosses und meinte, der Abend sei schon weit vorgeschritten und er müsse umkehren, da noch Geschäfte abzuwickeln seien. Vielleicht war der Sklavinnenkauf noch nicht ganz abgeschlossen, wie der Konsul mir zuflüsterte. Mich überkam aber eine große Neugier zu sehen, wie sich das Terrain hinter der Wendung des Thales entwickeln würde, und ich rief dem Pascha zu, ich möchte nur noch um die Ecke einen Blick werfen, weil die schöne Landschaft mich interessirte. Als ich nun in gestrecktem Galopp diese Ecke erreichte, fand ich zu meinem großen Erstaunen, daß die Chaussee dort zu Ende war. Natürlich kehrte ich sofort um und hatte in wenigen Minuten die auf dem Rückwege begriffene Gesellschaft wieder eingeholt. Der Pascha sah mich offenbar mit einigem Mißtrauen an, doch ich war so erfüllt von der schönen Aussicht, die ich hinter der Ecke genossen hätte, daß er sich bald wieder beruhigte und sehr freundlich von mir als altem Bekannten Abschied nahm. Der Konsul fragte mich aber später, ob ich auch das Ende der Chaussee gesehen, die Fortsetzung habe der Pascha in die Tasche gesteckt!

Trapezunt ist herrlich gelegen am Fuße des längs der ganzen Küste ziemlich steil und zerrissen abfallenden armenischen Hochplateaus. Die Schönheit seiner Lage wird durch die außerordentliche Ueppigkeit des Baum- und Pflanzenwuchses, die dem Ganzen seinen Charakter gießt, noch ungemein erhöht. Vielleicht würde ich indeß von der Stadt in noch höherem Grade entzückt worden sein, hätte nicht Bodenstedts begeisterte Schilderung meine Erwartungen allzu hoch gespannt. Von Trapezunt ging die Reise am folgenden Tage bei schönstem Wetter weiter an dem steilen, schön geformten Ufer entlang. Wir fuhren an Cerasunt, der berühmten Kirschenstadt vorüber, von deren Höhen die Zehntausend Xenophons das wogende Meer erblickt und ihr Thalatta gerufen haben. In Batum erreichte unser Schiff das Endziel seiner Fahrt; von dort wurden wir in einem kleinen Küstendampfer nach dem hafenlosen Poti übergeführt.

Batum hat einen zwar nur kleinen, aber durchaus sicheren und selbst bei schlechtem Wetter leicht zugänglichen Hafen und eine sehr schöne Lage mit bewaldetem, bergigem Hinterlande, während Poti an der Mündung des Rion, des Phasis der Alten, in einer weiten, sumpfigen Ebene liegt und gar keinen geschützten Hafen sondern nur eine Rhede besitzt, die des flachen Wassers wegen bei windigem Wetter von den Schiffen gemieden werden muß. Dreimal hat die russische Regierung bereits den kostspieligen Versuch gemacht, einen Hafendamm daselbst ins Meer zu treiben, um den Schiffen einigen Schutz zu gewähren, aber alle diese Versuche sind vergeblich gewesen. Die böse Welt behauptet, den ersten, hölzernen Damm hätte der Bohrwurm, den zweiten, aus Cement gefertigten hätte das Seewasser, und den dritten, aus Granit erbauten hätten die Generale gefressen. Wenn auch die letztere Behauptung nur als ein schlechter Witz anzusehen ist, denn in Wirklichkeit verhinderten die großen Kosten des Steindammes den Weiterbau, so illustriren diese wiederholten Mißerfolge doch die für Rußland gegebene Nothwendigkeit, den einzigen brauchbaren Hafen der Küste, Batum, zu erwerben, weil daran die Kulturentwickelung des ganzen kaukasischen Besitzes hing. Schon der alleinige Erwerb Batums würde für Rußland ein hinreichendes Aequivalent der Kosten des letzten türkischen Krieges gewesen sein.

In Poti empfing mich mein Bruder Walter, in dessen Begleitung ich nun die Reise nach Tiflis fortsetzte, die damals und auch noch drei Jahre später, als ich zum zweiten Male nach Kedabeg reiste, mit großen Beschwerden verknüpft war. Man fuhr zunächst mit einem Flußdampfer den Rion hinauf bis Orpiri, einem Orte, der ausschließlich von einer russischen, aus lauter bartlosen Männern bestehenden Sekte bewohnt wurde, die aus dem ganzen russischen Reiche dorthin geschafft war. Abgesehen von dem interessanten Gewirre der verschiedenartigsten Nationalitäten und Sprachen an Bord des Schiffes war die einzige Merkwürdigkeit, welche die Fahrt auf dem Rion bot, der Anblick eines wirklich undurchdringlichen, sumpfigen Urwaldes auf beiden Ufern des Flusses.

Von Orpiri fuhren wir zu Wagen nach Kutais, dem alten Kolchis, das am Abhange eines den großen mit dem kleinen Kaukasus verbindenden Gebirgszuges an der Grenze der Rionebene in freundlicher, schöner Umgebung gelegen ist. Hoch über Kutais thront ein von Alters her berühmtes Kloster, Namens Gelati, dafür eines der ältesten der Christenheit gehalten wird und auf einem schon in grauer Vorzeit geheiligten Orte erbaut sein soll. Auf meiner zweiten Reise besuchte ich es und fand mich für die Mühen eines anstrengenden Rittes, der mich zu dem einige tausend Fuß hoch liegenden Kloster hinaufführte, reich belohnt. Das jetzt größtentheils in Trümmer zerfallene, auf einem herrlichen Aussichtspunkte gelegene Kloster ist besonders berühmt durch einen kleinen Tempel, welcher auf vier Granitsäulen ruht, deren jede einem eigenen Baustile angehört. Dieser Tempel soll aus einer uralten Zeitperiode stammen, wie man überhaupt das Alter vieler Baureliquien im Kaukasus nicht wie in Europa nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden rechnet. Mag dies auch vielfach übertrieben sein, so deutet doch alles, was man sieht und hört, darauf hin, daß man sich im Kaukasus auf einem der Ursitze menschlicher Kultur befindet.

Heute ist Kutais Eisenbahnstation, und man fährt bequem in einem Tage von Poti oder Batum nach Tiflis. Damals war man glücklich, wenigstens eine neue Chaussee über das Suram-Gebirge zu haben, wodurch die früher sehr beschwerliche Reise wesentlich erleichtert wurde. Der Uebergang über den Suram war dafür außerordentlich romantisch und bot ganz entzückende Partien. Das Unterholz des Waldes und der Waldblößen besteht hier durchgängig aus Rhododendron und der baumartigen, gelbblühenden Azalie des Kaukasus, beides Pflanzen, die während der Blüthezeit einen bezaubernd schönen Anblick gewähren und die Luft mit betäubendem Dufte erfüllen. Denkt man sich dazu schroffe, oft mehrere Hundert Meter fast senkrecht aufstrebende Felswände, die vielfach von unten bis oben mit mächtigem, altem Epheu berankt sind, so kann man sich einen Begriff von den Reizen dieser Landschaft machen. Dagegen hat die grusinische Hochebene, in die man nach Ueberschreitung des Surams gelangt, und in der die Straße nach Tiflis, fast beständig dem Laufe des Kur folgend, weiterführt, keine besonderen Schönheiten; sie ist steinig, vielfach zerklüftet und arm an Vegetation. Doch wird man durch die immer wieder auftauchende Ansicht der Kette von Schneehäuptern des großen Kaukasus, die schon vom Meere aus einen so herrlichen Anblick gewährt, mit der sterilen Umgebung versöhnt.

Das vom Kur in tief eingeschnittenem Flußbette durchströmte Tiflis liegt nach Norden an eine steil abfallende Bergwand angelehnt, die wohl hauptsächlich Schuld daran ist, daß es im Sommer ganz unerträglich heiß in der Stadt wird. Daher besitzt auch jeder Bewohner von Tiflis, der es irgend ermöglichen kann, für die heiße Zeit eine zweite, einige Tausend Fuß höher gelegene Wohnung, die er nur verläßt, um Geschäftsbesuche in der Stadt zu machen. Eigentlich besteht Tiflis aus zwei ganz verschiedenen Städten, der oberen, europäischen und der unteren, asiatischen Stadt, die beide durch scharfe Grenzen von einander geschieden sind. Das europäische Tiflis nennt sich gern und mit Stolz »das asiatische Paris« oder beansprucht doch diesen Ehrentitel unmittelbar hinter Kalkutta. In der That sieht es ganz europäisch aus und wird auch überwiegend von Russen und Westeuropäern bewohnt; in diesem Theile liegen die kaiserliche Residenz, das Theater und sämmtliche Regierungsgebäude. Die angrenzende Stadt ist dagegen nach Ansehen und Bevölkerung wirklich rein asiatisch. Der Grund, weshalb Tiflis ein uralter Kultursitz geworden ist, wird wohl in den berühmten Thermen zu suchen sein, die für den Orientalen eine noch höhere Bedeutung haben als für den Occidentalen.

Von Tiflis führte unser Weg auf ziemlich guter Chaussee weiter nach Axtapha, wo die Straße nach Baku über Elisabethpol von der zum Goktscha-See und nach Persien sich trennt und die große, bis zum kaspischen Meere sich erstreckende Steppe ihren Anfang nimmt. Der hohen Temperatur wegen wollten wir unsre Reise von dort am frühen Morgen fortsetzen und bestellten die Pferde zu drei Uhr früh. Der Posthalter widersetzte sich dem aber energisch, da eine Räuberbande die Gegend unsicher machte. Es ist der russischen Regierung bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, das Räuberunwesen im Kaukasus ganz auszurotten. Die Tataren der Steppe und der angrenzenden Berglandschaften können trotz harter Strafen nicht davon lassen. Noch jetzt, im Sommer 1890, wo ich mich rüste, mit meiner Frau und jüngsten Tochter eine dritte Reise nach Kedabeg zu machen, erhalte ich die Nachricht, daß eine Räuberbande in der Umgegend unsres Bergwerks ihr Unwesen treibe und zu umfassenden Maßregeln gegen sie Veranlassung gegeben habe.

Dieses immer von Neuem wieder auftauchende kaukasische Räuberthum hat seine tiefere Begründung in den Lebensgewohnheiten und Anschauungen der Bevölkerung eines Landes, in welchem das Waffentragen noch den Stolz des Mannes bildet. Das Räubern wird dort mehr als unerlaubter Sport denn als gemeines Verbrechen betrachtet. Wie Ritter im Mittelalter es mit ihrer Würde für vereinbar hielten, dem Krämer auf der Landstraße seine Waaren fortzunehmen und die Bürger der Städte zu brandschatzen, so sehnt sich der kaukasische Tatar darnach, als freier Mann auf schnellem Roß durch Wälder und Steppe zu streichen und mit Gewalt zu nehmen, was ihm in den Weg kommt. Es ist in Kedabeg, wo die Tataren zu den besten und zuverlässigsten Arbeitern gehören, vielfach vorgekommen, daß Grubenarbeiter, die Jahre lang fleißig und – da die muselmännische Sekte der Schiiten, der sie angehören, nur einen Festtag im Jahre und keinen Sonntag hat – fast ohne Unterbrechung gearbeitet hatten, plötzlich verschwanden, wenn sie Geld genug erspart, um sich Waffen und ein Pferd zu beschaffen. Bisweilen kehrten sie nach längerer Zeit wieder zurück. Man wußte, daß sie in der Zwischenzeit Räuberei getrieben, doch hinderte sie das nicht, wieder tüchtige Arbeiter zu werden, wenn sie bei der Räuberei Unglück gehabt oder die Lust daran verloren hatten.

Die Warnungen des Posthalters zu Axtapha vermochten uns nicht zurück zu halten, wir setzten vielmehr in der kühlen, sternklaren Nacht mit schnellen Pferden unsre Reise fort und vertrauten dabei auf unsre guten Revolver, die wir zur Vorsicht schußfertig in der Hand hielten. Mein Bruder Walter aber, den die Neuheit der Lage nicht mehr so wie mich munter erhielt, konnte der Müdigkeit nicht lange widerstehen und schlief bald den Schlaf des Gerechten. Plötzlich ertönte vom Bock unsres niedrigen, federlosen Leiterwagens, auf dem der Diener meines Bruders neben dem Kutscher saß, der laute Aufschrei: »Räuber!« Gleichzeitig sah ich im Halbdunkel eine weiße Gestalt gerade auf uns zu galoppiren. Mein Bruder erwachte in Folge des Geschreis und schoß, ohne sich weiter zu besinnen, seinen Revolver auf die schon dicht vor unsern Pferden befindliche und selber laut schreiende Gestalt ab, glücklicherweise ohne sie zu treffen. Wie sich bald herausstellte, war es kein Räuber, sondern ein Armenier, der sich von Räubern verfolgt wähnte und Schutz suchend auf uns losgejagt war. Die Armenier gelten im Kaukasus allgemein für sehr schlaue und gewandte Geschäftsleute, die wenig Muth haben und es vielleicht aus diesem Grunde lieben, sich auf Reisen möglichst kriegerisch auszustatten. Wie es schien, bestand die Räuberbande, die unsern Armenier erschreckt hatte, nur in seiner Einbildung. Seine Unvorsichtigkeit hätte ihm aber leicht übel bekommen können, und das wäre ganz seine eigene Schuld gewesen, da es nach Landesbrauch eine gebotene Vorsichtsregel ist, Reisenden, denen man begegnet, niemals in schneller Gangart zu nahen.

Kurz nach diesem aufregenden Vorfalle wurden wir durch eine merkwürdige Naturerscheinung erfreut. Es tauchte plötzlich am Horizonte der unbegrenzten Steppe gerade vor uns eine glänzende Lichterscheinung auf; sie strahlte in prachtvollem, vielfarbigem Lichte, unterschied sich von einem Meteor aber dadurch, daß sie unbeweglich an derselben Stelle des Himmels verharrte. Wir zerbrachen uns den Kopf über die Ursache der Erscheinung, die wir nur der einer Fallschirmrakete mit Buntfeuer vergleichen konnten. Sie wurde aber bald schwächer und schrumpfte nach kurzer Zeit zur Größe eines hellen Sternes zusammen. Es war die aufgehende Venus, welche durch die Steppennebel und das Dunkel, in das die Erde in jenen südlichen Gegenden selbst kurz vor Sonnenaufgang noch gehüllt ist, so merkwürdig vergrößert und gefärbt erschien.

Wir übernachteten in der schwäbischen Kolonie Annenfeld, die am Fuße eines steilen Bergabhanges, der zum Bergwerk Kedabeg hinaufführt, nahe dem Kur in sehr fruchtbarer, aber nicht gesunder Gegend liegt oder vielmehr lag, denn die Kolonie hat später den Ort verlassen und sich etwa fünfhundert Fuß höher am Abhange des Gebirges ein neues Dorf erbaut. Es giebt im Kaukasus eine ganze Anzahl solcher schwäbischen Kolonien, ich glaube sechs oder sieben; auch Tiflis gehört dazu. Sie verdanken ihren Ursprung streng gläubigen Lutheranern aus Schwaben, die in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts in verschiedenen Zügen ihr Vaterland verließen und auf dem Landwege über Oesterreich und Rußland nach dem gelobten Lande wandern wollten, wo nach Meinung ihrer Führer irdische und himmlische Freuden sie erwarteten. Der russischen Regierung lag aber damals viel an der Einwanderung tüchtiger deutscher Ackerbauer in den Kaukasus, sie hielt daher die Kolonnen dort an und veranlaßte sie, unter ihrem Geleit eine Commmission nach Jerusalem vorauszuschicken, die erst prüfen sollte, ob dort auch wirklich passendes Land für sie zu haben sei. Als diese nach längerer Frist zurückkehrte, konnte sie nur davon abrathen, den Marsch nach dem gelobten Lande fortzusetzen, und da die russische Regierung den Leuten freigebig große, schöne Landstrecken überwies, so blieben die Schwaben dort und sind auch immer die alten Schwaben geblieben, die sie zur Zeit ihrer Auswanderung gewesen sind. Es ist überraschend, in diesen schwäbischen Niederlassungen ganz unvermittelt die unverfälschte altschwäbische Sitte und Sprache anzutreffen. Man glaubt plötzlich in ein Schwarzwalddorf versetzt zu sein, so sehen Häuser, Straßen und Bewohner dieser Kolonien aus. Es wurde mir zwar schwer, ihre Sprache zu verstehen, da ich sie noch nicht studirt hatte, wie es jetzt nach zwanzigjähriger Ehe mit einer Schwäbin einigermaaßen der Fall ist, ich hörte aber von einem echten Schwaben, daß auch er sie nur mit Mühe verstehe, da es der im Anfange des Jahrhunderts gesprochene, und nicht der heutige, durch den Einfluß der Zeit wesentlich veränderte Dialekt sei. Gleich der Sprache haben die Leute auch alle ihre Sitten und Gebräuche beibehalten, so wie sie bei ihrer Auswanderung bestanden. Sie sind gleichsam versteinert und wehren sich erbittert gegen jede Aenderung.

Es scheint aber, als ob diese Unveränderlichkeit der Volkssitten und Sprachen eine allgemeine Eigenschaft des Kaukasus sei, der ein wahres Völkermosaik darstellt. Außer den größeren, scharf von einander getrennten Völkerschaften giebt es daselbst noch eine Menge ganz kleiner, die besondere, nur schwer zugängliche Gebirgsthäler bewohnen und Sprache wie Sitten, die seit undenklichen Zeiten ganz verschieden von denen aller benachbarten Völker gewesen sind, treu bewahrt haben. Ferner existiren im Kaukasus noch zahlreiche russische Kolonien, die von Sekten gebildet werden, welche der erstrebten Glaubenseinheit wegen aus ganz Rußland dorthin transportirt und in besonderen Ansiedelungen vereinigt sind. Auch diese haben nach mehr als einem halben Jahrhundert Sprache, Glauben und Sitten noch völlig unverändert beibehalten. Die verbreitetsten dieser Sekten sind die der Duchaboren und Malakaner, die sich wie die der Schwaben auf bestimmten, eigenthümlich ausgelegten biblischen Aussprüchen aufgebaut haben. Es sind lauter tüchtige Arbeiter und ordentliche Leute, wenn sie nicht gerade von ihrem Fanatismus ergriffen sind. Die Malakaner sind fast ohne Ausnahme Handwerker, vorzugsweise Tischler, die Duchaboren dagegen gute Landwirthe und Fuhrleute. Die Nachbarschaft einer Duchaboren-Kolonie ist für Kedabeg stets von unschätzbarem Werthe gewesen. Nur eine Zeit im Jahre versagen die Leute gänzlich; dann zieht ihre Königin von einer Kolonie zur andern und feiert mit ihnen religiöse Feste, die aber auf irdische Glückseligkeit ein recht hohes Gewicht zu legen scheinen, vielleicht nur, um den Gläubigen einen schwachen Begriff von der erhofften, unendlich größeren jenseitigen zu geben.

Von Annenfeld führt ein steiler, nicht sehr gebahnter Weg nach Kedabeg hinauf. In etwa tausend Meter Höhe erreicht derselbe eine wellige, von kleinen Bergzügen durchbrochene, fruchtbare Ebene, die früher von schönen Wäldern aus Steineichen, Linden, Buchen und anderen Laubhölzern bedeckt war. Seit die Herrschaft der Perser aufgehört hat, deren Kulturspuren man namentlich an den Trümmern ausgedehnter Bewässerungsanlagen noch vielfach erkennt, sind die Waldungen hier wie in den meisten hochgelegenen Ebenen des Landes schon gänzlich ausgerottet, weil die Hirten der Steppe im heißen Sommer, wenn das Gras verdorrt, und auch im Winter, wenn die Steppe mit Schnee bedeckt ist, ihre Heerden auf die Berge treiben, um sie mit Hülfe der Wälder zu ernähren. Sie fällen zu dem Zwecke einfach Bäume und lassen das Vieh die Knospen und Zweigspitzen fressen. Auf diese Weise vernichtet eine einzige Heerde oft Quadratwerste üppigen Waldes. Unserer Hüttenverwaltung hat es daher auch stets die größten Schwierigkeiten bereitet, diese verwüstenden Heerden an der Zerstörung unserer Waldungen zu hindern, auf deren Erhaltung der Hüttenbetrieb in Ermangelung von Steinkohlen oder anderem Brennmaterial allein angewiesen war.

Das Hüttenwerk liegt an einem kleinen Gebirgsbache, welcher unterhalb Kedabegs in schroffem Durchbruche den Bergrücken durchschneidet, der Kedabeg von dem paradiesisch schönen Schamchorthale trennt. In dem Durchbruchsthale liegen die Trümmer einer kleinen armenischen Festung, während das Schamchorthal etwa in der Höhe von Kedabeg ein altes armenisches Kloster birgt, das damals noch von einigen Mönchen bewohnt wurde. Gegenwärtig ist der Anblick Kedabegs, wie man ihn empfängt, wenn man aus dem Thale heraufkommend die letzte Berglehne überschritten hat und an einem alten Kirchhofe, der am Wege liegt, vorüber gegangen ist, ein sehr überraschender. Es ist das ganz europäische Bild einer romantisch gelegenen, kleinen Fabrikstadt, das sich dem Blicke darbietet, mit gewaltigen Oefen und großen Gebäuden, darunter ein christliches Bethaus, eine Schule und ein europäisch eingerichtetes Wirthshaus; auch eine über einen hohen Viaduct führende Eisenbahn ist vorhanden, welche die ungefähr dreißig Kilometer entfernte Hüttenfiliale Kalakent mit Kedabeg und dem benachbarten Erzberge verbindet. Dieser merkwürdige Anblick einer modernen Kulturstätte mitten in der Widniß hat Kedabeg förmlich zu einer Wallfahrtsstätte für die Landesbewohner bis tief nach Persien hinein gemacht. Damals, als ich es zum ersten Male besuchte, war das Aussehen Kedabegs freilich noch ein ganz anderes. Außer dem hölzernen Direktorialgebäude, das sich auf einer dominirenden Höhe dem Auge zeigte, waren nur wenige Hütten- und Verwaltungsgebäude sichtbar. Die Arbeiterwohnungen waren nur durch Rauchstellen an den Bergabhängen kenntlich, denn sie bestanden sämmtlich aus Erdhöhlen.

Erdhöhlen dienen im östlichen Kaukasien fast ausschließlich als Wohnungen. Es sind eigentlich Holzhäuser, die in einer Grube aufgebaut und darauf mit einer meterdicken Erdschicht überdeckt werden, so daß das Ganze wie ein großer Maulwurfshügel aussieht. Inmitten der Decke ist ein Schlot vorgesehen, der dem Rauch einen Abzug aus dem einzigen inneren Raume gewährt und zugleich der einzige Lichtspender außer dem Eingange ist. Uebrigens werden derartige Erdhöhlen auch ganz elegant ausgeführt. Bei einem Besuche, den ich einem benachbarten »Fürsten« – so nennen sich die größeren Landbesitzer der Gegend – in Begleitung meines Bruders und des Hüttendirektors abstattete, wurden wir in einen ziemlich geräumigen, saalartigen Raum geführt, dessen Fußboden mit schönen Teppichen belegt war, während die inneren Wände in coulissenartig aufgehängten Persischen Teppichen bestanden. Dem Divan gegenüber befand sich die Feuerstelle, über ihr die Deckenöffnung. Hinter den Teppichen war es lebendig, und man hörte hin und wieder Frauen- und auch Kinderstimmen. Der Fürst empfing uns mit großer Ceremonie und nöthigte uns auf den Divan, während er selbst sich vor demselben niederließ. Nach einer kurzen, verdolmetschten Unterhaltung, die sich in orientalischen Höflichkeitsformeln bewegte, wollten wir wieder aufbrechen, begegneten dabei aber sehr ernstem Widerstande. Bald nach unserm Eintritte hatten wir das Blöken eines Schafes gehört und gleich vermuthet, daß es uns zu Ehren geschlachtet werden sollte. In der That ließ der Fürst uns mit sehr ernster Miene sagen, wir würden ihn doch hoffentlich nicht so kränken, sein Haus zu verlassen, ohne seine Gastfreundschaft genossen zu haben. Wir mußten also geduldig abwarten, bis das »Schischlick« fertig war, welches darauf vor unsern Augen bereitet wurde. Es geschah diese Zubereitung in der üblichen, sehr primitiven Weise. Das Fleisch des frisch geschlachteten Hammels wurde in etwas über walnußgroße Würfel zerschnitten, die dann mit Zwischenlagen von Fettscheiben aus dem Fettschwanze des Hammels auf einen eisernen Ladestock gereiht wurden. Unterdessen war zwischen zwei Steinen ein Holzfeuer angemacht, und als von ihm nur noch glühende Kohlen geblieben, wurden die vorbereiteten Ladestöcke über die Steine gelegt und häufig gedreht. In wenigen Minuten war nun die Mahlzeit fertig, und jeder Gast zog sich nach Bedürfniß von dem ihm präsentirten, garnirten Ladestock Würfel ab. Ein solches Schischlick ist, wenn der Hammel nicht zu alt und namentlich ganz frisch geschlachtet ist, sehr zart und wohlschmeckend; es bildet bei tatarischen und grusinischen Mahlzeiten stets die Grundlage oder was man bei unsern Diners die » pièce de résistance" nennt.

So wie unterirdische Fürstensitze baut man auch große unterirdische Stallungen im Kaukasus. Ich hatte solche schon während der Reise auf einer der Poststationen kennen gelernt, wo ich durch Wiehern und Pferdegetrampel unter mir darauf aufmerksam wurde, daß ich auf einem Pferdestalle promenirte. Man rühmt die Kühle der unterirdischen Behausungen im Sommer und ihre Wärme im Winter, und es hat der Hüttendirektion zu Kedabeg viel Mühe gekostet, die asiatischen Arbeiter an Steinhäuser zu gewöhnen. Als dieses schließlich mit Hülfe der Frauen gelang, war damit denn auch die schwierige Arbeiterfrage gelöst. Da nämlich die Leute dort nur sehr geringe Lebensbedürfnisse haben, so liegt kein Grund für sie vor, viel zu arbeiten. Haben sie sich soviel Geld verdient, um ihren Lebensunterhalt für etliche Wochen gesichert zu haben, so hören sie auf zu arbeiten und ruhen. Es gab dagegen nur das eine Mittel, den Leuten Bedürfnisse anzugewöhnen, deren Befriedigung bloß durch dauernde Arbeitsleistung zu ermöglichen war. Die Handhabe dazu bildete der dem weiblichen Geschlechte angeborene Sinn für angenehmes Familienleben und seine leicht zu erweckende Eitelkeit und Putzsucht. Als einige einfache Arbeiterhäuser gebaut und es gelungen war, einige Arbeiterpaare darin einzuquartieren, fanden die Frauen bald Gefallen an der größeren Bequemlichkeit und Annehmlichkeit der Wohnungen. Auch den Männern behagte es, daß sie nicht mehr fortwährend Vorkehrungen für die Regensicherheit ihrer Dächer zu treffen brauchten. Es wurde nun weiter dafür gesorgt, daß die Frauen sich allerlei kleine Einrichtungen beschaffen konnten, die das Leben im Hause gemüthlicher und sie selbst für ihre Männer anziehender machten. Sie hatten bald Geschmack an Teppichen und Spiegeln gefunden, verbesserten ihre Toilette, kurz sie bekamen Bedürfnisse, für deren Befriedigung die Männer nun sorgen mußten, die sich selbst ganz wohl dabei befanden. Das erregte den Neid der noch in ihren Höhlen wohnenden Frauen, und es dauerte gar nicht lange, so trat ein allgemeiner Zudrang zu den Arbeiterwohnungen ein, der allerdings dazu nöthigte, für alle ständigen Arbeiter Häuser zu bauen.

Ich kann nur dringend rathen, bei unsern jetzigen kolonialen Bestrebungen in gleicher Richtung vorzugehen. Der bedürfnißlose Mensch ist jeder Kulturentwickelung feindlich. Erst wenn Bedürfnisse in ihm erweckt, sind und er an Arbeit für ihre Befriedigung gewöhnt ist, bildet er ein dankbares Object für sociale und religiöse Kulturbestrebungen. Mit letzteren zu beginnen wird immer nur Scheinresultate geben.

Als ich drei Jahre später Kedabeg wieder besuchte, fand ich aus der Troglodytenniederlassung bereits eine ganz ansehnliche Ortschaft europäischen Aussehens entstanden. Das Gros der Arbeiter war freilich noch nomadisirend, ist dies aber auch bis auf den heutigen Tag geblieben. Es sind Leute, die nach Beendigung der Ernte namentlich aus Persien kommen, fleißig im Bergwerke oder in der Hütte arbeiten, aber weiter ziehen, wenn sie das nöthige Geld verdient haben oder die Heimath ihrer bedarf. Jedoch ist ein fester Arbeiterstamm vorhanden, der den Fortgang der nothwendigen Arbeiten zu jeder Zeit sicher stellt. Die Beamten des Werkes waren stets fast ohne Ausnahme Deutsche, unter ihnen ein kleiner Theil aus den russischen Ostseeprovinzen. Die Geschäftssprache ist deshalb immer die deutsche gewesen. Es ist spaßhaft anzuhören, wenn Tataren, Perser und Russen die etwas corrumpirten deutschen Namen von Geräthschaften und Operationen und dabei auch die in den Hüttenwerken des Harzes gebräuchlichen Scheltworte radebrechen.

Der an geschwefeltem Kupfererz reiche Berg liegt in der Nähe von Kedabeg und ist durch eine sogenannte Schleppbahn mit ihm verbunden. Außerdem ist, wie schon erwähnt wurde, eine schmalspurige Eisenbahn von uns erbaut, die tief hinein in die Holz und Holzkohlen liefernden Wälder im Flußthale des wilden Kalakentbaches zu der schön gelegenen Hüttenfiliale Kalakent und von dort weiter bis zum Holzflößplatze am Schamchor führt. Viele Jahre lang hat diese Gebirgsbahn den großen Bedarf an Brennmaterial gesichert, aber so sorgsam auch die abgeholzten Strecken stets forstmäßig wieder bepflanzt wurden, schließlich drohte doch Mangel an Holz den Betrieb des Hüttenwerkes zum Stillstand zu bringen. Indeß die Noth selbst ist in der Regel der beste Helfer aus der Noth; das bewährte sich auch hier. Es gelang uns in neuerer Zeit, wie ich glaube zuerst in der Welt, die Kohlen für den Hüttenbetrieb durch das Rohmaterial des Petroleums, die Naphtha, und durch das Masut, den Rückstand der Petroleumdestillation, zu ersetzen. Diese Brennstoffe werden von Baku auf der Tifliser Bahn, die jetzt schon seit einer Reihe von Jahren besteht, bis zur Schamchorstation am Fuße des Gebirges geführt. Mit ihrer Hülfe wird das geröstete Erz in großen, runden Flammenöfen von sechs Meter Durchmesser geschmolzen und auf Kupfer verarbeitet. Eine elektrische Raffiniranstalt zu Kalakent verwandelt das so gewonnene Rohkupfer in chemisch reines Kupfer, wobei zugleich das in ihm enthaltene Silber als Nebenproduct gewonnen wird. Da es aber schwer ist, im Winter und während der Regenzeit Masut und Naphtha auf den dann grundlosen Wegen von der Bahnstation den Berg hinauf nach Kedabeg zu schaffen, so wird jetzt eine Röhrenleitung aus nahtlosen Mannesmann-Stahlröhren erbaut, durch welche das Masut den etwa tausend Meter hohen Bergabhang aus der Ebene hinaufgepumpt werden soll. Ich hoffe, diese Anlage noch in diesem Herbste persönlich in Thätigkeit zu sehen. Ferner werden jetzt die nöthigen Einrichtungen getroffen, um nach einem von mir ausgearbeiteten neuen Verfahren die ärmeren, bisher eine Verarbeitung nicht lohnenden Erze auf rein elektrischem Wege ohne Anwendung von Brennmaterial in raffinirtes Kupfer zu verwandeln. Zu dem Zwecke müssen im benachbarten Schamchorthale große Turbinenanlagen hergestellt werden, welche über tausend Pferdekräfte zum Betriebe von Dynamomaschinen, die den erforderlichen elektrischen Strom erzeugen, zu liefern haben. Dieser Strom soll über den etwa achthundert Meter hohen Bergrücken, der Kedabeg vom Schamchor trennt, fortgeleitet werden, um direct am Fuße des Erzberges das Kupfer aus dem Erzpulver zu extrahiren und galvanisch niederzuschlagen. Ist auch diese, bis in die Details theoretisch und praktisch schon vollständig ausgearbeitete Anlage fertig, so wird im fernen Kaukasus ein Hüttenwerk existiren, das an der Spitze der wissenschaftlichen Technik steht und mit ihrer Hülfe die Ungunst seiner Lage siegreich zu überwinden vermag.

Es ist begreiflich, daß uns in Folge der in Kedabeg erzielten Resultate von allen Seiten Anträge zugingen, aufgefundene Erzlager zu erwerben. Obwohl mein Bruder Karl dazu ebensowenig geneigt war wie ich selbst, weil uns Kedabeg schon Sorgen genug machte, so ließ es sich doch einflußreichen Leuten nicht immer abschlagen, die angebotenen Lager einer Besichtigung zu unterziehen. Als ich nach dem Tode meines Bruders Walter, der durch einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde ganz plötzlich sein Leben einbüßte, im Herbst des Jahres 1868 zum zweiten Mal nach Kedabeg reiste, wurde ich auf diese Weise zu zwei Touren in den großen Kaukasus veranlaßt. Von diesen war namentlich eine Expedition von Suchum-Kalé nach der Cibelda für mich ungemein interessant.

Der 18 000 Fuß hohe Elbrus, der höchste Berg Europas, wenn man als die natürliche Grenze dieses Erdtheils den Kamm des hohen Kaukasusgebirges annimmt, ist von wenigen Punkten aus in seiner ganzen Höhe zu sehen, da er von einem hohen Ringgebirge umgeben wird. Der Zwischenraum, der ihn von diesem Ringgebirge trennt, ist nur an wenigen Stellen zugänglich und in sich wieder durch mehrere radiale Gebirgsrücken, die jeden menschlichen Verkehr unmöglich machen, in verschiedene Theile zerschnitten. Unter diesen ist die Cibelda eine natürliche, uneinnehmbare Festung, die von einigen Menschen gegen ganze Heere vertheidigt werden kann. Als der übrige Kaukasus schon lange in russischen Händen war und die Tscherkessen, die sich nicht unter das russische Joch beugen wollten, längst nach der Türkei ausgewandert waren, blieb die Cibelda noch unbesiegt im Besitz ihrer wenig zahlreichen, einen besonderen Stamm bildenden Bevölkerung. Die Russen hatten alle scheinbar uneinnehmbaren Naturfestungen des westlichen Kaukasus durch Erbauung von Straßen erobert, die ihnen bequemen Zugang in die zu unterwerfenden Ländertheile verschafften. Die Cibelda widerstand aber auch dem Angriffe durch den militärischen Wegebau, jedoch vermochten der Hunger und verlockende Anerbietungen der russischen Regierung die Bewohner schließlich dazu, freiwillig ihre Festung zu räumen, worauf sie sich ebenfalls zur Auswanderung nach Kleinasien entschlossen.

Es war etwa ein Jahr seit dieser Auswanderung vergangen, als der General Heymann, Gouverneur von Suchum-Kalé, an meinen Bruder Otto, der geschäftlich an Walters Stelle getreten und auch an seiner Statt zum deutschen Konsul ernannt war, die Aufforderung richtete, ein kupfer- und silberhaltiges Erzlager in der Cibelda untersuchen zu lassen. Als ich mit Bruder Otto und meinem Sachverständigen, dem neu engagirten Direktor Dannenberg, den in seine neue Thätigkeit einzuführen der Hauptzweck meiner Reise war, im September 1868 nach Suchum-Kalé kam, wiederholte der General seinen Wunsch und versprach, uns die Reise nach der Cibelda möglichst leicht und sicher zu machen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, auf diese Weise gleichsam in das Herz des hohen Kaukasus zu gelangen, das, wie man uns sagte, noch von keinem Westeuropäer betreten war. Es wurde daher unter Führung eines jungen russischen Kapitäns, der den Auszug der Bevölkerung der Cibelda geleitet hatte, eine kleine militärische Expedition ausgerüstet, die uns zu dem Erzlager führen sollte.

Suchum-Kalé, das heißt die »Festung Suchum«, liegt höchst romantisch an einer kleinen, felsigen Meeresbucht zu Füßen des hohen, den Elbrus umgebenden Ringgebirges. Seine Umgebung ist paradiesisch schön, vor allem durch ihre Vegetation, deren Ueppigkeit jeder Beschreibung trotzt. Schon in dem Orte selbst wurde meine Bewunderung durch eine lange Allee von Trauerweiden erregt, die unsern höchsten Waldbäumen an Höhe nichts nachgaben und dabei ihre dichten Zweige von der kuppelförmigen Spitze bis auf den Boden hinabhängen ließen. Leider ist diese prächtige Baumallee im Jahre 1877 dem russisch-türkischen Kriege zum Opfer gefallen. Der Weg, den unsere gut berittene Expedition einschlug, führte gleich hinter der Stadt in dem Thale eines kleinen Gebirgsflusses mit gleichmäßig üppigem Baumwuchse aufwärts. An den gewaltigen Eichen und Kastanien fiel mir auf, daß sie vielfach, besonders an sonnigen Stellen, eine ganz braune Umhüllung hatten, die kein grünes Blatt mehr an ihnen entdecken ließ. Es war wilder Hopfen, der sie bis zum höchsten Wipfel hinauf bekleidete und ihnen durch seine gerade reifen, großen Dolden die Färbung verlieh. Da ich den großen Werth des Hopfens kannte, schlug ich dem General Heymann nach der Rückkehr vor, diesen Hopfen doch durch seine Soldaten einsammeln zu lassen und zunächst eine Probe zur Untersuchung nach Deutschland zu schicken. Der General that dies auch, aber die Prüfung fiel leider, wie ich hier gleich bemerken will, sehr ungünstig aus; es war mir nicht bekannt gewesen, daß wilder Hopfen keinen Bitterstoff besitzt, dieser den Dolden der weiblichen Hopfenpflanzen vielmehr nur dann erhalten bleibt, wenn alle männlichen Pflanzen sorgfältig fern gehalten werden, was bei dem wilden Hopfen natürlich nie der Fall ist.

Unser Reitpfad führte uns den ganzen Tag durch gleich schöne, von keiner menschlichen Kultur berührte Landschaften in die Höhe. Dabei wurden wir oft durch entzückende Fernsichten auf das sich allmählich vor uns erhebende, schneebedeckte Hochgebirge und auf den glänzenden Spiegel des zu unsern Füßen liegenden Meeres erquickt. Gegen Abend erreichten wir eine der kleinen befestigten russischen Lagerstätten, deren Vorschiebung auf den neu hergestellten Communicationswegen das Mittel war, durch welches die russische Kriegsmacht schließlich den Widerstand der tapfern Tscherkessen brach.

Am nächsten Morgen setzten wir mit Sonnenaufgang unsern Ritt fort und näherten uns nun dem Hochgebirge. Dabei hatten wir vielfach Gelegenheit, den kühnen Straßenbau der Russen zu bewundern; es waren da Hindernisse besiegt, die auf den ersten Anblick ganz unübersteiglich erschienen. Wir gelangten ohne große Mühe bis zur Grenze des schon mit dem Namen Cibelda bezeichneten Landstriches, der das Vorland der eigentlichen Hochburg dieses Namens bildet. Zu diesem gab es nur einen einzigen Eingang eine tiefe Bergspalte entlang, in deren Grunde ein wilder Gebirgsfluß seinen tosenden Lauf nahm. Die Spalte wurde auf der Seite, von der wir kamen, durch eine sicher über tausend Fuß hohe, fast senkrecht stehende und wohl über eine Werst lange Felswand begrenzt. Etwa in halber Höhe hatte sich in ihr ein horizontal verlaufender Absatz gebildet, der gerade so breit war, daß er zur Noth als Reitpfad dienen konnte. Dieser Pfad war der einzige Zugang zur Cibelda, ihn mußten wir also passiren. Der Officier ritt voran, nachdem er uns den Rath ertheilt hatte, nicht in den Abgrund, sondern immer auf den Kopf des Pferdes zu blicken und dieses ganz frei gehen zu lassen. Wir erreichten in tiefem Schweigen glücklich etwa die Mitte des Engpasses; an der Kante des Weges hatte sich etwas Vegetation festgesetzt, wodurch der Blick von der gähnenden Tiefe abgelenkt wurde. Da bemerkte ich plötzlich, wie das Pferd meines Vordermannes, des Officiers, vorn ganz niedrig wurde, und gleichzeitig sah ich, wie dieser sich an der Seite der Felswand ruhig aus dem Sattel schwang. Auch das Pferd verlor seine Ruhe nicht, sondern erhob sich wieder und setzte neben dem Officier seinen Weg fort. Ich hielt es unwillkürlich für gerathen, es ebenso zu machen wie mein Vordermann, und ließ mich auch an der Seite der Felswand vom Pferde gleiten. Als ich die gefährliche Stelle glücklich passirt hatte, wo das Pferd des Officiers, durch die Vegetation irre geführt, den Fehltritt gethan hatte, sah ich mich mit Besorgniß nach meinem mir folgenden Bruder um, nahm aber zu meiner Beruhigung wahr, daß nicht nur er, sondern die ganze Kolonne der Reiter unserm Beispiele bereits gefolgt war. Auf diese Weise erreichten wir Alle wohlbehalten das Ende des Engpasses und erholten uns bald darauf in einer zauberhaft schönen, nach dem tiefen und ziemlich breiten Flußthale hin offenen Grotte, deren Wände und Decke von zarten Moosen bekleidet waren, bei einem guten Mahle von den überstandenen Mühen und Schrecken.

Von hier ab hörte jeder Weg auf, und es war mir ganz räthselhaft, wie unser Führer in dem prächtigen Urwalde, den wir nun passiren mußten, sich zurecht zu finden vermochte. Die Formation des Bodens war auf der folgenden Strecke eine sehr eigenthümliche. Es waren mächtige, von Osten nach Westen verlaufende, wellenförmige Erhebungen von vielleicht siebenhundert Fuß Höhe, die wir wiederholt überschreiten mußten. Ihre südlichen Abhänge waren mit herrlichen Bäumen, meist Eichen, Kastanien und Walnußbäumen bestanden, deren Kronen eine so vollständige Decke bildeten, daß die Plage der Lianen und andrer Schlinggewächse unter ihr nicht zur Entwicklung kommen konnte. Die Bäume hatten ganz gewaltige Dimensionen. Wohl noch nie hatte hier eines Menschen Hand den natürlichen Verlauf des Wachsthums beeinflußt, und so standen alte, verdorrte Baumriesen neben üppig grünenden, während Bäume einer jüngeren Generation die am Boden liegenden, wohl durch Stürme gefällten mächtigen Baumstämme beschatteten. Es kostete oft viel Mühe, eine solche Baumleiche, die gerade den Weg versperrte, zu umgehen, denn Krone und Wurzelwerk bildeten an ihren Enden wirksame Verhaue. Manche dieser niedergeworfenen Stämme waren so dick, daß ein Reiter zu Roß nur eben über sie fortsehen konnte. Hin und wieder waren sie glücklicherweise hohl gelagert, so daß wir unter ihnen hindurchreiten konnten.

Ein ganz anderes Bild bot sich uns, wenn wir den Gipfel eines solchen Bergrückens überschritten hatten und auf seinem nördlichen Abhange wieder hinunter mußten. Hier hatte die Sonne nicht die Macht gehabt, den Boden zu trocknen. Der ganze Abhang war trotz seiner Steilheit sumpfig, so daß die Hufe der Pferde in dem zähen Erdreich stecken blieben und wir mehrfach genöthigt waren, abzusteigen und unsern Pferden zu helfen. Auch wucherten hier zahllose Schlinggewächse, die uns zu großen Umwegen zwangen, und die von uns gesuchten Stellen, welche zu großer Feuchtigkeit wegen von Schlingpflanzen frei waren, trugen eine Vegetation schilfartiger Pflanzen von solcher Höhe, daß sie Roß und Reiter überragten. Einmal wurde der Boden so abschüssig, daß die Pferde nicht mehr weiter konnten. Ich mußte da die Findigkeit unsrer Russen bewundern; sie suchten eine besonders steile und schlüpfrige Stelle aus und ließen auf derselben die Pferde einzeln an Seilen, die an ihren Schweifen befestigt waren, vorsichtig hinunter, während wir selbst ohne ein solches Hemmniß hinabglitten.

Bei dem nächsten Aufstiege machte ich die Entdeckung, daß der Schweif der kaukasischen Bergpferde bei schwierigen Bergtouren noch eine andere wichtige Rolle spielt. Wir mußten die besonders steile Höhe zu Fuß hinaufklimmen, um die schon sehr angestrengten Pferde zu schonen, die uns nothwendig noch vor Sonnenuntergang ans Ziel zu bringen hatten, und ich fand mich bald am Ende meiner Kräfte. In meiner Noth fiel mir ein, den Schweif des ganz munter neben mir den steinigen Pfad hinaufkletternden Pferdes zu ergreifen. Dem schien das ein bekanntes Verfahren zu sein; es verdoppelte seine Anstrengung, und ich gelangte ohne Mühe auf den Kamm des Berges, wo mich der Officier mit dem zustimmenden Rufe »Kaukasische Manier!« empfing. Als ich mich nach meinen Hintermännern umsah, fand ich sie zu meiner Ueberraschung sämmtlich auch an den Schweifen ihrer Pferde hängen.

Bei sinkender Sonne erreichten wir endlich ein enges Felsenthor, das den Eingang in die eigentliche Naturfestung der Cibelda bildet. Als wir dasselbe passirt hatten, breitete sich vor uns ein Schauspiel von einer solchen Großartigkeit und Schönheit aus, daß es mich im ersten Augenblicke fast niederdrückte. Vor uns lag im hellen Abendsonnenglanze der mächtige, bis tief hinunter mit Schnee bedeckte Elbrus. Rechts und links neben ihm sah man eine Reihe weiterer Schneeberge, die sich namentlich zur Rechten zu einer langen Kette entwickelten. Tief unter uns lag ein noch zum Theil von der Sonne bestrahltes, felsiges Flußthal, das den Fuß des Elbrus begrenzte, dessen steiler, baumloser Abhang ohne sichtbare Unterbrechung in breiter Fläche zu ihm abstürzte. Der Anblick erinnerte mich etwas an den, welchen man von Grindelwald auf die sonnenbeleuchtete Hochalpenkette hat, nur thronte der mächtige Elbrus inmitten des Bildes, wie wenn zwei Jungfrauen aufeinander gethürmt wären.

Nachdem wir uns an dem überraschenden und unvergleichlich schönen Anblicke gelabt hatten, durchzogen wir die ziemlich ausgedehnte Ebene, die sich vor uns ausbreitete und den Aul des ein Jahr zuvor ausgewanderten Stammes der Cibeldaer enthielt. Es war nicht leicht, auf der mit über mannshohen Klettenpflanzen dicht bewachsenen Ebene vorwärts zu kommen und den Weg zum Aul zu finden. Ein von Bären durch das Gesträuch gebrochener Weg kam uns dabei zu statten; von Bären mußte er herrühren, das konnte man aus den umherliegenden Kernen der Kirschlorbeerfrüchte schließen, die ein beliebtes Nahrungsmittel für die Bären der dortigen Gegend bilden. Die Holzhäuser des großen Aul standen noch ganz unversehrt, so wie ihre Bewohner sie vor einem Jahre verlassen hatten; nur von den Nahrung suchenden Bären waren einige Zerstörungen verursacht.

Als wir uns einquartiert hatten, mußten wir zunächst suchen, uns wieder ein menschliches Ansehen zu verschaffen, denn beim Durchbrechen der dichten Klettenvegetation, welche die ehemaligen Gärten des Aul fast undurchdringlich machte, war jeder Zoll unsrer Kleidung wie unsrer Bärte von einer Klettenschicht besetzt, so daß wir selbst braunen Bären ähnlicher sahen als Menschen. Das Entfernen der Kletten war eine außerordentlich mühsame und zum Theil schmerzhafte Arbeit.

Nach erquickender Nachtruhe in den verlassenen Wohnstätten untersuchte unser Bergmann die alte Kupfergrube, die er für nicht bauwürdig erklärte; wäre sie das aber auch in höchstem Maaße gewesen, ihre Lage hätte doch jeden Bergwerksbetrieb unmöglich gemacht. Mein Bruder Otto und ich hatten unterdessen die überwältigende Großartigkeit und erhabene Schönheit der Umgebung in vollen Zügen genossen. In der Morgenbeleuchtung erkannte man noch besser als am Abend die wilde Zerrissenheit der uns zugewandten Fläche des Elbrus mit ihren Eisfeldern und Gletschern, deren Anblicke die im Sonnenschein glänzenden Linien der an den Abhängen niederstürzenden Wasserläufe noch einen besonderen Reiz verliehen. Die Hochebene, auf der wir standen, fällt schroff zu dem Flußthale ab, das sie vom Elbrus trennt; auf den anderen Seiten ist sie rings von hohen Bergen umgeben, die dem Elbrus gegenüber im üppigsten Grün kaukasischer Vegetation prangten. Ein Rundgang an der dem Flusse zugekehrten Kante der Ebene bot immer wieder neue, von allen früheren ganz verschiedene Ansichten von einer Erhabenheit und Schönheit, die jeder Beschreibung spotten.

Die Rückreise nach Suchum-Kalé legten wir auf demselben Wege wie die Hinreise zur Cibelda zurück, aber in Folge der gemachten Erfahrungen mit geringeren Beschwerden. Leider mußte ich jetzt dem gefährlichen Klima dieses unvergleichlich schönen Landes meinen Tribut zollen. Schon in dem russischen Fort, in dem wir wieder übernachteten, fühlte ich mich krank. Der junge Militärarzt, der uns begleitete, erkannte sofort, daß ich von dem gefährlichen Fieber jener Gegend befallen war, und wandte ohne Verzug die dort übliche Behandlung desselben auf mich an. Bevor noch das Fieber zum vollen Ausbruch gekommen war, erhielt ich eine gewaltige Dosis Chinin, die mir starkes Ohrensausen und andere unangenehme Empfindungen verursachte, das Fieber aber nur milde auftreten ließ, so daß ich die Reise vollenden konnte. Das Fieber ist in der Gegend von Suchum-Kalé ein dreitägiges; am dritten Tage bekam ich daher eine zweite, schon etwas schwächere Dosis mit der Anordnung, nach abermals drei Tagen eine dritte, noch schwächere zu nehmen. Damit war das Fieber in der That abgeschnitten, ich litt jedoch in der Folgezeit oft an unerträglichen Milzstichen, wie der Arzt es vorhergesagt hatte.

Ich hatte in früheren Jahren wiederholt am Wechselfieber gelitten und mußte dagegen Monate lang täglich kleine Chinindosen nehmen, die meiner Gesundheit empfindlich schadeten. Im Kaukasus, wo klimatische Fieber vielfach und in den verschiedensten Formen vorkommen, wendet man stets die geschilderte Behandlung mit dem besten Erfolge an. Es giebt freilich dort auch so bösartige Fieber, daß sie gleich bei dem ersten Anfalle zum Tode führen. Die Fieber erzeugenden Gegenden sind zwar in der Regel die sumpfigen und mit üppiger Vegetation bedeckten, doch gelten auch hochgelegene, trockene Grasflächen oft für ungesund. Ich habe auf meinen Reisen die Beobachtung gemacht, daß solche Gegenden meist die Spuren alter, hochentwickelter Kultur tragen, wie es ja auch in der Umgebung von Rom und in der Dobrudscha der Fall ist, die in alten Zeiten als Kornkammer Roms bezeichnet wurde. Das Fieber tritt in solchen Gegenden besonders dann sehr stark auf, wenn der Boden aufgerührt wird. Die Fieberkeime müssen sich in dem fruchtbaren, gut gedüngten Boden, der später Jahrhunderte lang unbearbeitet blieb und durch eine Grasnarbe dem Luftzutritt entzogen war, nach und nach bilden, und es stellt sich danach die Malaria als eine Strafe der Natur für unterbrochene Bodenkultur dar. Dies in Verbindung mit der kaukasischen Fieberbehandlung brachte mich schon damals zu der Ueberzeugung, daß das klimatische Fieber auf mikroskopischen Organismen beruhte, die im Blute lebten, und deren Lebensdauer die des Zeitintervalles zwischen den Fieberanfällen wäre. Durch die starke Chinindosis kurz vor dem Anfall wird die junge ausschwärmende Brut dieser Organismen vergiftet. Auch für die merkwürdige Thatsache, daß Leute, die lange in einer Fiebergegend gelebt haben, meistens vor dem Fieber gesichert sind, diese Immunität aber verlieren, wenn sie mehrere Jahre in fieberfreien Gegenden zugebracht haben, glaubte ich eine Erklärung durch die Annahme zu finden, daß in Gegenden, wo die Fieberkeime dem Körper fortlaufend zugeführt würden, sich im Körper Lebewesen herausbildeten, welche von diesen Keimen lebten und daher zu Grunde gingen, wenn diese Nahrungsquelle lange Zeit versiegte. – Es war dies natürlich nur eine unerwiesene Hypothese, die von meinen medicinisch geschulten Freunden, denen ich sie damals mittheilte, wie du Bois-Reymond mit vollem Rechte auch nur als solche gewürdigt wurde. Es hat mich aber doch gefreut, daß in neuerer Zeit die bakteriologischen Studien großer Meister sich in der vor einem Vierteljahrhundert von mir angedeuteten Richtung bewegen. –

Unsere zweite Tour in den großen Kaukasus galt ebenfalls der Untersuchung eines in sehr unzugänglicher Gegend gelegenen Erzlagers, das einer grusinischen Fürstenfamilie gehörte. Wir reisten von Tiflis zunächst nach Tzarskie-Kolodzy, wo unsere Tifliser Filiale ein Petroleumwerk betrieb, das nach Vollendung der Eisenbahn von Tiflis nach Baku wieder aufgegeben wurde. Von dort führte unser Weg in das durch den feurigen Kachetiner berühmte Weinland Kachetien, welches im Thale des Alasan liegt und durch einen tief in die Steppenebene hineinragenden Bergrücken vom Kurthale getrennt wird. Von der Höhe dieses Bergrückens hatten wir großartige Blicke auf den Kaukasus, der sich von dort als eine ununterbrochene Kette weißer Berghäupter, vom schwarzen bis zum kaspischen Meere reichend, darstellte.

Kachetien gilt als das Urland der Weinkultur, und es finden in dem Hauptorte des Landes uralte Dankfeste statt, die an die römischen Saturnalien erinnern. Hoch und Niedrig strömt dann aus ganz Grusinien in dem Festorte zusammen und bringt Gott Bacchus reichliche Trankopfer in Kachetiner Wein, wobei allgemeine Brüderlichkeit herrschen soll. Auch sonst rühmt man dem Kachetiner nach, daß er denen, die ihn dauernd trinken, lebensfrohe Heiterkeit zu eigen mache, und Kenner des Landes wollen namentlich die Bewohner von Tiflis überall an dieser Heiterkeit erkennen.

Wir legten den angenehmen und interessanten Ritt durch Kachetien unter Führung zweier Söhne der Fürstenfamilie zurück, die uns zur Besichtigung ihres Erzlagers eingeladen hatte. Am Fuße des Hochgebirges schloß sich der alte Fürst mit noch einigen Söhnen uns an. Merkwürdig war der Stammsitz der Familie, in welchem wir die Nacht zubrachten. Er bestand in einem am Fuße des Gebirges, aber noch in der Ebene gelegenen großen Holzhause, das auf etwa vier Meter hohen Pfosten aufgebaut war. Eine niedergelassene, bequeme Leiter bot die einzige Möglichkeit, in das Haus zu gelangen. Es war ein richtiger prähistorischer Pfahlbau, dessen System sich in der conservativen kaukasischen Luft bis in unsere Tage erhalten hat. Im Inneren des Hauses fanden wir einen großen, die ganze Breite des Gebäudes einnehmenden Saal, in welchem sich an der einen, mit vielen Fenstern versehenen Wand ein über zwei Meter breiter Tisch durch den ganzen Raum erstreckte. Dieser Tisch bildete das einzige in dem Saale sichtbare Möbel und hatte die verschiedenartigsten Zwecke zu erfüllen. Zum Mittagsmahle wurde auf ihn längs der Kante ein Teppich von etwa halber Tischbreite gedeckt, auf dem dann Speisen und Brotfladen aufgetragen wurden. Die großen, dünnen Brotfladen dienten nicht nur als Nahrungsmittel, sondern auch als Tischdecke und Serviette, sowie zum Reinigen der Eßgeräthschaften. Für uns Fremde wurden Stühle herbeigebracht; als wir uns darauf niedergelassen hatten, sprangen der alte Fürst und nach ihm seine Söhne auf den Tisch und kauerten sich uns gegenüber bei ihren Brottüchern nieder. Mit Messern und Gabeln waren nur wir Gäste versehen, die Fürsten speisten noch echt orientalisch mit den Fingern. Das Essen selbst war äußerst schmackhaft, namentlich das Filet-Schischlick hätte im feinsten Berliner Restaurant Furore gemacht. Während des Mahles kreiste fleißig Kachetinerwein in Büffelhörnern; störend war nur, daß die Sitte verlangte, das gefüllt überreichte Horn zu Ehren jeder Person, deren Gesundheit proponirt wurde, auch auszutrinken. Lange hielten wir nicht auf Massentrinken dressirten Europäer das nicht aus. – Eine zweite Bestimmung des großen Tisches im Saale lernten wir zur Nacht kennen; sämmtliche Lagerstätten, für uns sowohl wie für die Fürsten wurden auf ihm hergerichtet.

Am nächsten Morgen brachen wir in aller Frühe auf und stiegen nun am Abhange der großen Kaukasuskette in die Höhe. Schnell und unermüdlich brachten uns unsere Pferde auf dem felsigen Wege vorwärts. Als es zu dunkeln begann, waren wir dem Ziele nahe und bezogen ein Bivouak oder vielmehr eine Beiwacht, wie man lieber wieder sagen sollte, auf einem herrlichen Bergrücken zwischen zwei sich vereinigenden Gebirgsbächen. Unter dem schützenden Dache gewaltiger Baumriesen lagerten wir uns an einer Stelle, die freie Aussicht über das zu unsern Füßen sich ausbreitende Kachetien und die dahinterliegende Berglandschaft gewährte. Mit überraschender Geschicklichkeit erbauten die Trabanten der Fürsten eine Hütte aus Zweigen über unserer Lagerreihe, den Blick über die Ebene freilassend, und machten es uns so bequem, daß man gar nicht angenehmer ruhen konnte. Dann wurde schnell das Mahl bereitet, welches wir liegend verzehrten. Nach demselben lagerten sich die Fürsten und ihre Begleiter uns gegenüber und begannen ein landesübliches Zechgelage mit einer Art Glühwein aus edlem Kachetiner, wobei ein Jeder der Fürsten mich und meinen Bruder Otto mit einigen, wahrscheinlich sehr schmeichelhaften Worten hochleben ließ, in der Erwartung, daß auch wir unsere Hörner daraufhin leeren würden. Die Fürsten sprachen nur grusinisch, ein Dolmetscher übersetzte uns ins Russische, was sie sagten. Unsere deutschen Antworten verstand Keiner der Anwesenden, ein Umstand, von dem mein übermüthiger Bruder Otto einen etwas gefährlichen Gebrauch machte, indem er die Antwortreden, die ich ihm überließ, zwar mit äußerst verbindlichen Manieren in Stimme, Ton und Bewegungen, aber mit einem die Scene arg parodirenden Inhalte erwiederte, der uns sicher Dolchstöße eingetragen hätte, wenn seine Worte verstanden wären und wir uns nicht bemüht hätten, ihnen durch ernstes, hochachtungsvolles Mienenspiel einen guten Schein zu geben.

Als wir am folgenden Morgen unser Räuschchen in der erquickenden frischen Luft des Hochgebirges zwischen den rauschenden Bächen ohne irgend welchen unangenehmen Nachklang glücklich verschlafen hatten, besichtigten wir den Erzgang, der zwar reich aber noch nicht aufgeschlossen war und durch seinen beschwerlichen Zugang einer Ausbeutung unüberwindliche Hindernisse bot. Nachdem wir zu dieser Erkenntniß gekommen waren, wurde alsbald der Rückweg angetreten. Mit sinkender Sonne langten wir wieder bei dem Pfahlbaupalaste an und brachten noch eine Nacht unter seinem gastlichen Dache zu. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von unsern Fürsten und ritten durch das Thal von Kachetien zurück; in der Absicht, quer durch die Steppe direct nach Kedabeg zu reisen. Da Räuber in der Gegend hausten, gab uns der Distriktschef eine Sicherheitswache aus Leuten mit, die des Räuberhandwerks selbst verdächtig waren. Unter ihren gastlichen Schutz gestellt, reisten wir nach Landesbrauch vollkommen sicher.

Schwierigkeiten bereitete uns auf dem Wege der Uebergang über den breiten und schnell strömenden Kur, dessen linkes Ufer wir zur Mittagszeit erreichten. Wir fanden einen einzigen kleinen Nachen vor, der nur wenige Personen tragen konnte, entdeckten aber keine Ruder zu seiner Fortbewegung, die übrigens bei der schnellen Strömung auch nicht viel genutzt haben würden. Die von unsern Begleitern benutzte Uebergangsmethode war sehr interessant, und ich empfehle sie dem Herrn Generalpostmeister zur Aufnahme in die Beschreibung der Urzeit der Post. Die beiden besten Pferde wurden ins Wasser geführt, bis sie den Boden unter den Füßen verloren. Dann ergriffen zwei im Boote befindliche Tataren ihre Schwänze und ließen sich sammt dem Boote und etlichen Passagieren von den schwimmenden Pferden über den Strom ziehen. Als das Boot nach Absetzung der Passagiere auf dieselbe Weise zurückgebracht war, führten sie mit anderen Pferden eine zweite Gesellschaft über, und so ging es fort, bis nur noch Tataren zurückgeblieben waren. Zuletzt führten diese ihre Pferde ins Wasser und ließen sich an ihren Schwänzen hängend hinüberziehen.

Ich war mit meinem Bruder bis zuletzt mit unserer etwas bedenklichen Sauvegarde auf dem linken Ufer des Flusses zurückgeblieben. Unsere Beschützer hockten verdächtig zusammen und warfen uns Blicke zu, die uns nicht recht gefallen wollten. Cigarren, die wir ihnen anboten, wiesen sie stolz zurück – wie wir erst später erfuhren, weil sie als bigotte Schiiten aus der Hand ungläubiger Hunde Nichts annehmen durften. Es schien uns daher zweckmäßig, den Leuten Respekt vor unserer Wehrfähigkeit beizubringen. Wir richteten ein angeschwemmtes Brett als Ziel auf und schossen nach ihm mit unseren Revolvern, auf die wir gut eingeübt waren. Jeder Schuß traf ohne langes Zielen auf große Entfernung das Brett. Das interessirte unsere Begleiter sehr, und sie versuchten selbst, mit ihren langen, schön geputzten Steinschloßgewehren unser Ziel zu treffen, was ihnen aber nicht immer gelang. Darauf kam ihr Scheik zu mir und gab durch Zeichen zu verstehen, ich möchte ihm meinen Revolver zeigen und ihn auf die Erde legen, da er aus meiner Hand Nichts nehmen dürfe. Dies war ein kritischer Moment, doch auf Ottos Zureden entschloß ich mich dem Wunsche zu willfahren und legte den Revolver hin. Der Scheik nahm ihn auf, betrachtete ihn von allen Seiten und zeigte ihn kopfschüttelnd seinen Genossen. Darauf gab er ihn mir mit Dankesgeberden zurück, und unsere Freundschaft war von jetzt an besiegelt. Mißtrauen gegen die Erfüllung des heiligen Gastrechtes kann bei diesen Leuten sehr gefährlich werden, dagegen ist der Fall äußerst selten, daß das Vertrauen des Gastes getäuscht wird. Es ist allerdings vorgekommen, daß der Gast freundlich bewirthet und bis zur Grenze des Reviers sicher geleitet, dann aber auf fremdem Grund und Boden niedergeschossen wurde, doch gilt das nicht für anständig. Nach Ueberschreitung des Kur erreichten wir ohne weitere Abenteuer Kedabeg.

Auf allen unseren Touren im Gebirge hatten wir Gelegenheit gehabt, die Geschicklichkeit und Ausdauer der kleinen kaukasischen Bergpferde zu bewundern. Unermüdlich und ohne Fehltritt klettern sie mit ihren Reitern die steilsten und schwierigsten Gebirgspfade hinauf und hinunter; ohne sie wären die zerrissenen und vielfach zerklüfteten Bergländer kaum zu passiren. Es gilt im Kaukasus allgemein für sicherer, schwierige Bergtouren zu Pferde als zu Fuß zu machen. Daß es freilich auch Ausnahmen von dieser Regel giebt, dafür erlebte ich während meines zweiten Besuches von Kedabeg an mir selbst ein Beispiel. Das bis in den Dezember hinein immer heitere und schöne Herbstwetter ging unerwartet schnell in Regenwetter mit gelindem Schneefall über. Wir wollten gerade das Schamchorthal besuchen und benutzten den etwas beschwerlichen Reitweg dorthin, der den wilden Kalakentbach bis zum Schamchor hinunter begleitet. Als es aber stärker zu schneien anfing, fanden wir es gerathen umzukehren, um uns den Rückweg nicht ganz verschneien zu lassen. Es war erstaunlich, mit welcher Sicherheit unsere Pferde den schon ziemlich hoch mit Schnee bedeckten Bergpfad, der dicht neben dem tief eingeschnittenen Flußbette herlief, zu finden vermochten und stets die sicheren Stützpunkte des Terrains benutzten. Ich ritt unmittelbar hinter meinem Bruder Otto, als ich bemerkte, daß gerade an einer gefährlichen Stelle hart an der Kante des hier mehrere Meter tief senkrecht abfallenden Ufers unter der Last seines Pferdes ein Stein locker wurde. Einen Moment später trat mein Pferd auf denselben Stein, der sich dadurch ganz ablöste und meinen Absturz herbeiführte. Ich entsinne mich nur, einen Schrei der nachfolgenden Reiter gehört zu haben, und daß ich dann aufrecht mitten im Flußbette stand, mein Pferd neben mir. Nach Angabe meiner Gefährten soll sich das Pferd seitlich mit mir überschlagen haben und dann gerade auf seine Füße zu stehen gekommen sein. Es war jedenfalls ein merkwürdig glücklicher Ausgang.

Von den Heimreisen, für die ich beide Male den Weg über Constantinopel wählte, war namentlich die erste noch reich an besonderen Erlebnissen. Das schöne Wetter hielt bis Mitte Dezember stand; erst nachdem wir Kedabeg verlassen hatten, änderte es sich, und auf dem Rion überfiel uns ein fürchterliches Unwetter. Mit Mühe und Noth erreichten wir Poti, mußten dort aber erfahren, daß das Dampfschiff, welches uns weiter bringen sollte, bereits vorübergefahren wäre, da eine Einschiffung bei solchem Wetter unmöglich war. Wir, nämlich die ganze auf dem Flußdampfer angekommene Gesellschaft waren also gezwungen, in dem einzigen, höchst traurigen sogenannten Hotel des Ortes für eine Woche Unterkommen zu suchen. Es ist das wohl die unangenehmste Woche meines Lebens gewesen. Ein heftiger Sturm wüthete die ganze Nacht, nicht nur draußen sondern auch in meinem Zimmer. Wiederholt erhob ich mich, um Fenster und Thür zu untersuchen, fand jedoch Alles geschlossen. Am nächsten Morgen aber sah ich mein Zimmer voller Schneeflocken und entdeckte, daß sie durch weite Spalten im Fußboden eingedrungen waren. Die Häuser sind in Poti des sumpfigen Bodens halber auf Pfählen erbaut, dadurch fand dieses Wunder des Schneefalles im geschlossenen Zimmer seine Erklärung. Das Unwetter dauerte ohne Unterbrechung mehrere Tage, und was mir den Aufenthalt noch besonders unangenehm machte, war, daß ich mir eine heftige Bindegewebeentzündung des einen Auges zugezogen hatte. Diese schmerzhafte, durch keine ärztliche Hülfe gelinderte Entzündung, die enge, mit Leuten aller Stände und Nationalitäten gefüllte Wirthsstube, dazu schlechte Verpflegung und Mangel an jeder Bedienung machten einem das Leben daselbst wirklich unerträglich.

Endlich kam der heißersehnte Dampfer in Sicht, und trotz heftigen Seeganges gelang es ihm auch, mich mit noch drei anderen Reisegefährten an Bord zu nehmen. Die Fahrt war bis zum Eingange in den Bosporus sehr stürmisch und stellte unsere Seefestigkeit auf eine harte Probe. Wir bestanden sie aber alle Vier zur großen Verwunderung des Kapitäns. Der Schiffsgesellschaft gehörte ein russischer General an, Konsul in Messina und, wie ich erst später erfahren sollte, Vater einer sehr liebenswürdigen Tochter, der jetzigen Frau meines Freundes Professor Dohrn in Neapel; ferner ein junger russischer Diplomat, der sich in der Folge zu hohen Posten aufgeschwungen hat, und endlich ein höchst origineller österreichischer Hüttenbesitzer, der seine lange Pfeife nie kalt werden ließ, wenn er nicht gerade aß oder schlief. Da auch der Kapitän ein sehr unterrichteter, kluger Mann war, so verging uns die ungewöhnlich lange Seefahrt doch schnell und angenehm trotz Sturm und Wogendrang.

In Trapezunt, wo wir auf einige Stunden vor Anker gingen, überstand ich wieder einen meiner vielen kleinen Unglücksfälle. Ich hatte einen Spaziergang auf das oberhalb der Stadt gelegene Plateau gemacht, um noch einmal die herrliche Aussicht von dort zu genießen, und kehrte auf der schönen neuen Chaussee, die auf der schroff abfallenden Seeseite ganz ohne Geländer war, wieder zur Stadt zurück. Da kam mir eine große, mit Getreidesäcken beladene Eselheerde entgegen. Unbedachter Weise stellte ich mich auf die geländerlose Seeseite, um die Heerde an mir vorüber zu lassen. Das ging anfangs auch recht gut, allmählich wurde die Heerde aber immer dichter und nahm schließlich die ganze Breite der Chaussee ein. Kein Abwehren und kein Schlagen half, die Thiere konnten beim besten Willen nicht ausweichen. Der Versuch, auf einen der Esel zu springen, mißlang, ich mußte den Eseln weichen und fiel am steilen Mauerwerk hinunter in Schmutz und Strauchwerk, wodurch zum Glück die Wucht des hohen Falles gemildert wurde. Nachdem ich gefunden hatte, daß ich ohne ernste Beschädigungen davongekommen war, arbeitete ich mich mühsam aus den Dornen und Nesseln heraus und vermochte erst nach langen vergeblichen Anstrengungen die Chaussee wieder zu erklimmen. Zum Glück fand ich in der Höhe einen kleinen Teich, in welchem ich meine Kleider und mich selbst waschen konnte. Die immer noch kräftige Sonne bewirkte einigermaaßen schnelles Trocknen, und so wurde es mir denn möglich, ohne Aufsehen zu erregen, durch die Stadt zu gehen und den Dampfer zu erreichen, der glücklicherweise meine Rückkehr abgewartet hatte.

Der starke Wind entwickelte sich auf der Weiterfahrt zum Sturm, so daß der Kapitän für sein altes Schiff fürchtete und im Hafen von Sinope Schutz suchte. Zweimal versuchte er an den folgenden Tagen die Reise fortzusetzen, wurde aber jedesmal in den sicheren Hafen zurückgetrieben. So hatte ich Gelegenheit, die Richtigkeit der Bezeichnung des schwarzen Meeres als des »ungastlichen«, welche die alten Griechen ihm gegeben hatten, durch eigene Anschauung zu erfahren.

Im Hafen von Pera fand ich gerade einen österreichischen Lloyddampfer zur Abfahrt nach Triest bereit, wo wir am Sylvesterabend glücklich und ungehindert landeten; unterwegs, in Syra und Corfu, waren wir als Pestverdächtige behandelt worden und hatten die berüchtigte gelbe Pestflagge hissen müssen, weil die Cholera in Aegypten grassirte.

Mit diesen beiden kaukasischen Reisen betrachte ich meine eigentliche Reisezeit als abgeschlossen, denn die heutigen europäischen Reisen im bequemen Eisenbahncoupé oder Postwagen sind nur Spazierfahrten zu nennen. Auch die dritte Reise nach Kedabeg, zu der ich mich rüste, um Abschied fürs Leben vom Kaukasus zu nehmen, wird kaum noch etwas anderes sein.



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