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Fermont's Lebensgang bis zu dem Zeitpunkte, da die nachfolgenden Aufzeichnungen beginnen.
Adrian Fermont war in Rom geboren, als außerehelicher Sohn eines unstät bald in Paris, bald in Italien lebenden Künstlers, der aus einer angesehenen schweizerischen Familie stammte. Die Mutter, ein italienisches Modell von großer Schönheit, das dem Vater überallhin nachzog und zeitlebens um ihn blieb, scheint niemals eine Regung von Mutterliebe gefühlt zu haben und zeigte zu keiner Zeit auch nur Interesse für den Sohn.
So wurde Fermont schon als Kind von der einzigen älteren Schwester seines Vaters, die unverheirathet in der heimathlichen Schweizerstadt wohnte, in Pflege genommen. Für die Kinderjahre war die Obhut dieser liebevollen, aber schwachen Frauennatur genügend; als aber Fermont's früh erwachter Trieb zur Selbstständigkeit in Denken und Handeln immer bestimmter sich äußerte, erwuchs zwischen der beschränkten erzieherischen Befähigung der Hüterin und der ungewöhnlichen Kraftnatur 8 des Pfleglings ein verhängnißvolles Mißverhältniß. Niemand stand berathend zur Seite, der das starke Wollen und das leidenschaftliche unbestimmte Sehnen dieses jungen Herzens weise in Bahnen lenken half, die ihm seinen Werth erhalten und zugleich das Drängende vor Uebermaß und Irrweg bewahrt hätten. Der Junge bedurfte und schätzte wohl fort und fort alle Güte des alten Fräuleins, verstand aber immer mehr von ihrer Schwäche Alles zu ertrotzen, was ihm eine festere Hand hätte verweigern sollen.
Da starb die Tante plötzlich weg, als Fermont fünfzehnjährig war, und damit ging die freundlichere Jugendzeit für ihn zu Ende. Ohne jemals Mutterliebe gekannt zu haben, deren Andenken selbst dem Verhetztesten der Menschen ein Hort von Kraft und stiller Sammlung bleibt in jeder Lebenslage, wurde er – seines Schicksals zweite Bosheit, wie er es zu nennen pflegte, – im Zeitpunkt, wo seine Natur am stärksten zu erwachen begann, zu Menschen gesteckt, die ihm geradenwegs entgegenstanden. Denn sein Vater, der sich des Sohnes immer wieder einmal unverhofft mit ungezügelten Liebesausbrüchen annahm, um ihn dann ebenso unerwartet wieder auf lange gänzlich seinem Schicksal zu überlassen, übergab ihn da zur weitern Erziehung einem alten Lehrer der Stadt, bei dem er selber vor Jahren Unterricht genossen hatte. Zugleich hielten es die vornehmen und pietistischen Verwandten, die sich des illegitimen Jungen von jeher geschämt und nie etwas für ihn gethan, mit einemmale für ihre Pflicht, aus gemessener Entfernung fürder 9 unablässig sein Thun und Lassen in ihrer gestrengen Weise zu bevormunden. So fing für Fermont nach dem liebevollen schwachen Regimente der Tante eine ebenso verkehrte strengpedantische Zucht an. Der widerwärtige und despotische Alte, dem er anvertraut war, begriff das Wesen seines ungewöhnlichen Zöglings in keiner Weise und meinte mit seiner unerträglichen Bevormundung die erzieherischen Ziele zu erreichen, die sein enger Gesichtskreis ihn sich vorsetzen ließ. Die Jahre in seinem Hause wurden für Fermont in jeder Hinsicht unglückselige; in dieser Zeit hat sich bei ihm aus unterdrückter Natur der gewaltsame und trotzige Zug herausgebildet, der später so oftmals unheilvoll in seinen Geschicken mitgewirkt hat.
Das Gegengewicht zu seiner dumpfen Last: die Wohlthat vertraulicher Schulfreundschaften, die ihm das Uebervolle seines gährenden Innern abgenommen hätten, vermochte er nicht zu finden. Stolz und in seinem ganzen Wesen eigenartig, in seiner Denkweise größer und klarer, als alle Andern um ihn her, an Wollen kühner und an Gelüsten und Einfällen toller, begegnete er in Keinem dem Freund, der ihm auf die Dauer genügen konnte. Er ragte damals schon zu weit empor über das platte Mittelmaß, das ihn umgab. In Trotz und unbegehrter Liebeskraft allein inmitten Vieler hinzuleben, schien sein dauerndes Loos.
Da, nach zwei solcherart verlebten Jahren, lernte er, auf eine höhere Schule gelangend, einen jungen Menschen kennen, bedeutender tiefinnerlicher Art, der ganz abseits und in fast gar keinem Verkehr mit seinen 10 Altersgenossen in der Stadt, ein reiches Leben in der Stille führte: Albert Am Ried. Ein ähnliches Schicksal wie dasjenige Fermont's isolirte ihn und hielt ihn selbst vom Umgang mit seinen Angehörigen fern. Er war natürlicher Sohn und Waise. Seine Eltern, ein Patriziersohn und dessen Geliebte, waren rasch hintereinander weggestorben, bald nach dem Skandal, den die Geburt und die Anerkennung dieses Knaben in die selbstgerechte, auf ihre Makellosigkeit stolze, alte Familie gebracht hatte. Geduldet mehr als zugerechnet, lebte der unwillkommene Sprosse in gesondertem Haushalt und angewiesenem Quartier im alterthümlichen Stammhause des Geschlechts, inmitten der Stadt, während die Verwandten in Landhäusern vor den Thoren wohnten.
In diesem alten Hause, dessen einsamem Bewohner auch ich befreundet war, habe ich Fermont in seinem achtzehnten Jahre kennen gelernt.
Die zwei Schicksalsgenossen hatten sich in kurzer Zeit aufs wärmste aneinander geschlossen. Das waren zwei Naturen, die sich eine Welt zu geben hatten. Bald kannte Fermont nichts mehr, um das sich sein Leben und Fühlen zu bewegen gehabt hätte, als nur diese Freundschaft. Des Andern Liebe und sein Beifall waren fortan seine einzige treibende Kraft. Das Leben schien ihm reich, seit er dies Eine hatte, was ihm Alles war. In Am Ried's besonnenem tiefem Wesen, in seinem reichen Schatz von innerer Erfahrung, den er, durch äußere Schicksalsfügung und durch Kränklichkeit meist auf sich selber angewiesen, in frühen Jahren 11 schon gesammelt hatte, erwuchs dem lange Verkannten eine Fundgrube von ungeahntem Verständniß, von immer richtigem Rath und freundschaftlicher Wegweisung. Die Beiden wurden zwei wahrhaft edel miteinander Strebende und entwickelten Einer den Andern im schönsten Sinne, so daß neben dieser Sonne seiner Tage für Fermont der tiefe Schatten seines sonstigen Lebens ganz zurücktrat. Eine gewisse Stetigkeit und eine schöne Fülle schienen jetzt in sein Leben eingezogen, und das Verhältniß dauerte mehrere Jahre fort, obwohl es Fermont's frommen Verwandten und dem alten Lehrer, die Am Ried für einen still-gefährlichen Freigeist hielten, zum steten Aergerniß gereichte.
Fermont studirte damals Architektur, beschäftigte sich aber daneben viel mit schönem Schriftthum, und es war nicht abzusehen, worauf sich seine Thätigkeit einst bleibend richten würde. Große Thaten, gleichgültig welcher Art, waren von je sein Traum gewesen, und hätte er sich nicht gebunden gefühlt, er hätte sicherlich der freiesten Thätigkeit zugestrebt: Weltwandern, Dichten und Erschaffen.
Der Einfluß von des Freundes reiferem milderem Geisteswesen klärte und vertiefte mit den Jahren segensreich dies Zügellose, noch auf nichts Bestimmtes, Einzelnes Gerichtete des seinigen, und wäre ihm dieser stete stille Ausbau seines Innern durch die geliebte Freundeshand lange genug vergönnt geblieben, so hätte hier der Punkt bestanden, von dem aus Fermont's ganzes späteres Leben sich anders hätte gestalten können. 12
Jedoch sein Schicksal, das in seinem ganzen Leben niemals lange Ruhezeiten aufkommen ließ, das ihn von jedem Glück hinwegriß, um ihn mit harter Faust in neue Finsternisse zu stoßen, trieb ihn eines Tages plötzlich mitten aus den Studien von uns fort.
Das heimliche Gefühl hatte man freilich, so lange auch schon das leidlich geordnete Leben angedauert, nie ganz verlieren können: daß das nicht immer so bleiben werde und Alles doch nur mehr ein Nothbau sei, auf einem Vulkan errichtet. Die Gegensätze, die in Fermont's Lebensstellung zu einander gezwungen waren, mußten mit Nothwendigkeit zuletzt zu einem Bruche führen. Denn auch mit allem guten und mäßigenden Einflusse Am Ried's blieb er doch immer er, und je mehr die unfähige Umgebung seiner naturgemäßen Entwicklung Gewalt anthat, desto mehr erstarkten tiefinnen Trotz und Selbstbewußtsein. Seine Seele, ungestüm, aber voll Liebe zu allem Geschaffenen, heischte vom Leben täglich neu und stürmisch Gegenliebe, sein großes Wesen forderte wieder Großes, – und man gab ihm nur erheuchelte oder todte Rechtschaffenheit. Er war geartet, in umschweifloser, fast grausamer Wahrheitsliebe laut zu sagen, was die Andern leise dachten, und frei und offen auszuleben, was Jene mißleitet und verkrüppelt heimlich wuchern ließen: all das ewig unausrottbar Menschliche am Menschen. Dazu zeigte er Neigung und Abneigung mit der ganzen Heftigkeit seines Temperaments. Daß bei solchen ausgeprägten und jugendlich ungezügelten Eigenschaften von einer engherzigen Umgebung falsch über ihn 13 geurtheilt werden mußte, war zu erwarten. Er sah das auch recht wohl und merkte deutlich, wie wenig den verdrehten Köpfen der gerade gilt. Doch er vertheidigte sich nicht, selbst als er fühlte und der Freund ihm warnend zeigte, wie die Wolke seines Ungewitters mit den Jahren schwoll. Fermont war zu stolz, als daß er je Bedürfniß fühlte, Aufklärung zu geben über das, was er kleinliche Menschen an ihm mißdeuten oder außer Zusammenhang abschätzen sah.
Und so kam der vorauszusehende Augenblick, wo Alles zusammenwirkte, die allzu engen Reifen kurzweg zu zersprengen. Der vagabundirende Vater hatte wieder einmal, als neue Kosten für die Ausbildung des Sohnes dringend nothwendig geworden waren, die Leistung der Geldmittel einfach versagt, und Fermont stand, im Stich gelassen, ohne seine Schuld gedemüthigt, mit leeren Händen da, wie übrigens schon verschiedene Male zuvor. Von den Verwandten, die er haßte, Unterstützung anzunehmen, war er zu ehrlich. Zum Unglück drohte gerade in diesem Zeitpunkt eine leidenschaftliche Herzensgeschichte einen mißlichen Ausgang zu nehmen, und Fermont sah voraus, daß, wenn allerlei heimlich Gelebtes nun ruchbar würde, er nicht ohne wirkliche Schuld dastände. Und so überraschte mich eines Morgens ein Brief von ihm, bereits aus Havre, worin er mir vertraute, daß er mit Am Ried's Wissen entflohen und an Bord eines französischen Schiffes auf dem Wege nach Indien sei: »Demüthigungen vor dem kläglichen Volk, das ihn umgeben, auszuweichen, die er nie ertragen hätte.« 14
Sein Verschwinden brachte auch mir einen schmerzlichen Riß in mein damaliges inneres Leben. Denn ich war ihm mit der Zeit ergeben geworden, wie keinem meiner andern Jugendfreunde, und von dem Leben, das er mit Am Ried geführt, war mancher schöne Gewinn auch mir zu gut gekommen, indem die Beiden mich des Oefteren in ihre Gemeinschaft zogen. Der Zurückgebliebene, immer kränkelnd, lebte fortan wieder so abgeschlossen und unterbrach in der Folge den Aufenthalt in der Heimath so oft durch Reisen nach Italien, daß auch mit mir ein Verkehr in der bisherigen Art aufhörte.
Jahre folgten, in denen keine Kunde von dem Entflohenen unter die Menschen drang. Er hatte – so erfuhr man später – in diesen Zeiten, entblößt von Mitteln, wie er geflohen war, die unglaublichsten und romanhaftesten Schicksale durchmachen müssen, unter Menschen jeder Gattung, mit denen sich sein suchender Geist, sein ruheloses Herz auslebten, wie sie mußten. Von den niedrigsten Diensten an Bord vom Arbeiter, der lediglich seiner Körperkraft sein Brot verdankt, in hartem Ringen langsam aufwärts bis zur Stellung eines Begleiters bei einem englischen Forscher in Indien.
Er hatte sich geschworen, nicht eher zurückzukehren, als bis er aus eigener Kraft ein unabhängiges Leben führen könnte. Vor jener Bettlerstellung, in die sein Vater ihn nun wiederholt gebracht, mußte er auf immer sicher sein, und den Menschen in der Heimath, die ihn so verkannt, je wieder anders unter die Augen zu 15 treten, als mit den vollsten äußeren Beweisen seiner Tüchtigkeit, hätte ihm sein Wesen niemals zugelassen. Vom Erreichen dieses Zieles hing also die Zeit der Rückkehr ab.
In den zwei ersten Expeditionen mit seinem Herrn, Sir Arthur Paget, hatte er einen Theil von Hinterindien, durch Bengalen, den Ganges aufwärts und bis in's Pandschab, später das Festland von Westaustralien durchzogen und sich in dieser schwierigen und gefahrvollen Probezeit eine Zukunft vorbereitet, die ihm ein über Erwarten schnelles Vorwärtskommen verhieß.
Sir Arthur, der in seiner wissenschaftlichen Tüchtigkeit und seinen persönlichen Eigenschaften die Blüthe englischer Bildung darstellte, hatte in der Zeit des gemeinschaftlichen Lebens unter so außergewöhnlichen Verhältnissen Fermonts ganze Ergebenheit und Verehrung gewonnen und war sich seinerseits über die seltenen geistigen Anlagen seines jungen Begleiters und über dessen großgearteten Charakter bald so klar, daß er eine solche Kraft dauernd an sich zu fesseln wünschte. Ihr Verhältniß war denn auch seit dem zweiten, besonders gefahrvollen Zuge in einer Weise ein menschlich-schönes geworden, daß es Fermont's warmem Wesen ganz entsprach und ihn ebenso zufrieden mit der Gegenwart, wie opferwillig für die Zukunft stimmte.
Ein Brief an Am Ried, mit dem er heimlich immer in Verbindung stand, brachte Nachricht von dieser erfreulichen Gestaltung der Dinge.
Doch kaum war das gemeldet, so wurde Fermont's Herr, bis Melbourne zurückgelangt, von plötzlichem 16 Tode hingerafft, und es traten verworrene Verhältnisse zu Tage, gegen die der zurückgebliebene Begleiter vergeblich die Gerichte zu Hilfe rief. Sir Arthur hatte noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, die Ergebnisse der Reise festzustellen und daher auch noch unterlassen, über die Stellung Fermont's und dessen Anrechte für jetzt und für später schriftliche Bestimmungen aufzusetzen, als ihn das tückische Fieber dahinnahm. Und so sah sich der Bedauernswerthe, der sich auf sicherer Bahn geglaubt, von einem Tage zum andern nicht nur um den Rückhalt eines vortrefflichen Mannes und freundschaftlichen Förderers gebracht, sondern auch um den erhofften gebührenden Lohn für zweijährige außerordentliche Leistungen und Mühsale – all der vorangegangenen Zeiten nicht mehr zu gedenken, die er durchlitten, bis er zu dieser Anstellung gelangt war.
Im Herzen tief berührt und beinahe mittellos, erkrankte er infolge der langen Entbehrungen und Strapazen nun selber in der fernen Seestadt und schleppte sich monatelang in der schwärzesten Noth herum. Nicht im Stande, sich so zu demüthigen, daß er sich nach Europa um Hülfe gewandt hätte, suchte er sich abermals durch alle erdenklichen geringen Arbeiten die Mittel zur Erholung zu beschaffen. Eine Durchquerung der Papua-Gebiete auf Neu-Guinea durch eine französische Forschergesellschaft stand bevor. Er wollte und mußte gesund sein, um sich dort anwerben zu lassen.
Neue Nachrichten aus Europa erreichten ihn nicht mehr, bevor er sich zu dieser neuen Reise einschiffen mußte. 17
Als er acht Monate später wieder nach Sidney zurückkam, traf er einen Brief, der schon vor sieben Monaten geschrieben war und der ihm die furchtbare Nachricht brachte, daß Albert Am Ried in bedenklich vorgerücktem Stadium brustkrank sei. Lange hatte schon der Tod mit langsam meuchlerischer Arbeit in der jungen Brust gehaust. Doch Am Ried, von schönen Schaffensplänen ganz erfüllt, hatte niemals ernstlich darauf geachtet. Jetzt ging es rasch zu Ende.
Ein Blitz, der in's rollende Rad fährt – traf diese Kunde Fermont. Der feste Punkt, in dem sein einziger Halt auf Erden wurzelte, am Versinken! Kein Besinnen, kein Ueberrechnen: – Stellung und Zukunft, Alles im Stiche lassend, das bereits Erworbene für die ungeheure Reise opfernd, eilte er in der kürzesten Reisefrist, die zu erzwingen war, nach Europa. Ein Depeschenwechsel hatte ihm die Hoffnung gelassen, den Freund noch lebend zu treffen, wenn er schleunig reise. So konnte er sein Theuerstes wenigstens in seinen Armen sterben sehn.
Die Wochen, die ihn ohne Möglichkeit, Nachrichten zu erhalten, auf der See festhielten, schienen ihm ebenso lange Höllenqualen. Aber das Geschick hatte ihm noch größere aufgespart. In Marseille anlangend, fand er die Cholera ausgebrochen, und sein Schiff mußte eine Quarantaine bestehen. Kein Bitten, keine Vorstellungen halfen, ihm die Weiterreise freizugeben. Am dritten Tage war er selber von der Seuche ergriffen, und man schleppte ihn in ein Lazareth, wo er in dem Durcheinander von Matrosen und Passagieren aller Länder 18 bald zwischen Leben und Tod lag. Jedoch er überstand die Greuel dieser Krankheit und die innere Folter dieses entsetzlichen Aufenthaltes. Als er soweit war, daß er wieder an's Leben denken konnte und sich nach seinen Sachen umsah, war sein Besitzthum bis auf einige Kleidungsstücke spurlos verschwunden, war sammt und sonders, Geld und Papiere, alles gestohlen. Kein Anhaltspunkt, auch das Geringste wiederzuerlangen im Tumult und Wirrsal dieser Seuchenzeit.
Als Bettler, schwach und elend obendrein, stand er entlassen vor der Thüre des Lazareths. Kein Geld zu reisen, kaum die Kraft zu wandern, und wie viel unersetzliche Zeit war ihm bereits verflossen! Verzweiflung und die rasende Sehnsucht gaben ihm Kraft zu übermenschlicher Anspannung. Er machte sich auf den Weg, zu Fuß den Rest der Reise zu vollenden, durch Frankreich heimwärts nach der Schweiz. Von täglich neu anwachsender Angst gejagt, in Märschen, die er kaum von seinem Körper ertrotzte, langte er nach Wochen an, in einem Zustand, der sich aller Beschreibung durch das Wort entzieht. Doch wo er einst bei glücklicher Heimkehr das treuergebene Herz, das alte sichere Asyl von Liebe und Verständniß, von unerschütterlichem Glauben an sein Bestes wiederzufinden gehofft, da fand er jetzt ein frisch geschlossenes Grab.
Die wenigen Menschen, die ihn in jenen Tagen gesehen, waren erschüttert von dem Zustand des Erbarmungswürdigen.
Im Innersten getroffen, verwaist, mit dem Gefühl, ein Fremdling in der Heimath zu sein für alle Zeit, 19 wankte er davon und nahm von Neuem seinen Weg in ferne Welten. Man hatte ihm das Geld zur Rückkehr nach Australien vorgestreckt. –
Es dauerte Jahre, bis er, unfreiwillig, wieder erschien.
Durch die unglückselige Heimkehr, Am Rieds wegen, hatte er seine zweite Stellung eingebüßt und bei der Rückkunft nach Sidney einen Anderen an seinem Platz gefunden. Vor neuen Herren hatte er hierauf bei Inseldurchforschungen in der Südsee alle früher abgelegten harten Proben auf's Neue zu bestehen gehabt, und hiebei waren ihm auch so gefährliche, ausgesetzte Posten übertragen worden, daß seine Gesundheit schwer darunter litt und ihm nach Beendigung der Reise ein Jahr der Erholung im heimathlichen Klima zugestanden werden mußte.
Ein Kostbares brachte er aber diesmal aus dem fremden Erdtheil mit: die Freundschaft einer ausgezeichneten Frau, der Madame Jane ***, die er als Gattin eines in den Tropen stationirten hohen französischen Offiziers auf dieser Expedition getroffen hatte. Sie entstammte einer altvornehmen hugenottischen Familie, die vor Zeiten nach England ausgewandert war. Bald hatte sie in Fermont den ungewöhnlichen Gehalt herausgefunden und ihm darauf theilnehmendes Interesse zugewendet. Als diese Dame später nach Europa zurückgekehrt war, kam sie ihm zu seinem Segen immer näher, und ihr allein gestand er nach und nach dann einigen Einfluß auf sich zu, wie er denn ihr Haus in Paris zuletzt sogar als eine Art von Heimath zu betrachten pflegte. 20
Bei dieser zweiten Rückkehr nach Europa habe ich Fermont zum ersten Male seit den Jugendtagen wiedergesehen.
Die Jahre in den fernen Welten hatten seiner Erscheinung, die imponirender und schöner war als je, etwas Fremdes, fast Exotisches aufgeprägt. Sein Bild zu zeichnen, ist der Feder nur annähernd möglich. Er war jetzt »Jemand« auf den ersten Blick! Groß und kraftvoll, die selten ebenmäßige Gestalt durch die viele körperliche Uebung auf's Vollendetste ausgebildet. Ein Kopf, der nur ihm gehören konnte und der doch an bekannte Köpfe erinnerte, aber an solche, die wir an Statuen und auf Bildnissen von Geistesstarken gesehen. Drei Gestalten schwebten mir vor, wenn ich ihn betrachtete, Gestalten, deren äußere Erscheinung ich mir entsprechend ihrem Geisteswesen vorzustellen gewohnt war: Orest, Lord Byron, Feuerbach.
Sein großes graues Auge hatte, wenn er es wollte, einen dämonisch überlegenen Zauber im Blick, der die Frauen berückte und einen Freund zu leidenschaftlicher Opferfreudigkeit entfachen konnte. Sein Gang war, ausdrucksvoll, der eines Menschen, der unter einem schweren Verhängniß dahinschreitend, edeln angeborenen Stolz mit Trotz hervortreten läßt.
Als wir uns trafen, warf er sich mit dem Ungestüm eines Verirrten, der endlich wieder ein bekanntes Gesicht erblickt, an meine Brust, und in der kurzen Zeit, die uns darauf zusammenzusein vergönnt war, erzählte er mir den Inhalt der vergangenen Jahre: dies ausgesucht grausame Lospeitschen des Schicksals auf all' 21 Das, was in ihm gut und schön, nach Sonne und nach Blühen lechzte. Und wie er Alles bis zum Grunde ausgekostet haben mochte, war leicht zu ermessen für Den, der seine Gemüthsart kannte. Doch fand ich ihn merkwürdig wenig verbittert. In Vielem noch der Fermont von einst, war er durch das Erlebte nur im Gesammten tiefer, gewaltiger geworden, aber auch eigenwilliger und zu Zeiten zu Traurigkeit geneigt. Doch lebte noch das alte Doppelwesen in ihm. Seine Vernunft schien die Kälte und die Rechnung des Lebens wohl nach und nach begriffen zu haben, aber seine Seele verschloß sich noch immer der harten Wahrheit. Sie wollte wähnen und im Wähnen ihre besondere Welt der Liebe besitzen.
Nur allzubald kam er auch diesmal wieder in Zerwürfniß mit den heimischen Zuständen, die inzwischen keineswegs weitherziger geworden waren. Seine leidenschaftliche und kühn vertheidigende Haltung in einer mißlichen Sache, die eine während seiner Abwesenheit unglücklich verheirathete Geliebte seiner Jugend betraf und kurz nach seiner Heimkehr die öffentliche Meinung stark zu beschäftigen begann, machte schon vor Ablauf der Zeit, die zu seiner Erholung angesetzt war, sein Bleiben wieder unmöglich.
Seine alte Heftigkeit, seine rücksichtslose Wahrheitsliebe, zumal wo das Gefühl sprach, ließen ihn alle Klugheit bei Seite setzen und überlaut verfechten, was er für recht hielt, ohne Scheu verhöhnend, was ängstliche Moral von allgemeinen landläufigen Sittenthesen aufgestellt. Und so kam es, daß er sich bald in seinem 22 Verhalten als Schuld angerechnet sah, was im Grunde höchstens Fehlgriff aus allzugroßer Liebe war, und es blieb ihm nichts übrig, als abermals die Heimath zu verlassen.
In diese Tage nun, da ihm bereits der Boden unter den Füßen brannte, und er mit Hast die Zurüstungen zur Abreise betrieb, warf ihm das Schicksal, grausam solchen Augenblick erwählend, einen Herzenseindruck zu, der ihn in all' der Wirrniß tief in Bande schlug. Ein junges Mädchen, Verwandte seines todten Freundes Am Ried, begegnete ihm und zeigte dem Verfehmten, allen Andern zum Trotz, in zartester Weise Theilnahme und warmes Interesse an seinen bewegten Geschicken. Das blieb tief haften. Mußte er auch fort für jetzt, er trug da unerwartet etwas mit davon, was ihn auf's Neue mit der Heimath verband, was ihn im tiefsten Innern als stiller Halt begleitete und ihn anspornte, jetzt erst recht Alles zu thun, um zu seinem Ziel zu gelangen und eines Tages als selbstständiger, Achtung gebietender Mann wiederzukehren.
Doch schwerere und bitterere Jahre folgten, als je zuvor. Denn jetzt begann die Periode seines Lebens, in der er Schlag auf Schlag die unerhörtesten Mißgeschicke erleben sollte, und wo auch durch das Kennenlernen der ganzen Schlechtigkeit und Selbstsucht, deren die Menschen fähig sind, die furchtbare, niederdrückende Erfahrungslast in ihm sich ansammelte, die ihm den frühern schönen Glauben an seinen Nächsten von Grund aus erschütterte.
Die Erlebnisse dieser Zeit einzeln aufzuzählen, würde diese bloß einleitenden Notizen allzusehr ausdehnen. 23 Das Ergebniß war, daß sich Fermont eines Tages durch abgefeimte Ausbeuter um den größten Theil seines hart errungenen Gutes betrogen sah, daß er im Vertrauen zu Menschen, denen er jahrelang mit seiner warmherzigen männlichen Treue verbunden gewesen war, abscheulich getäuscht, schließlich abenteuermüde wurde und sich, vom beginnenden Ekel an Allem erfaßt, zur Heimkehr wandte.
Ein Zug, den er durch Vermittlung seiner Freundin Jane als Begleiter ihres Gemahls noch durch Senegambien mitmachte, wurde für ihn der letzte in den Tropen. Dort, auf den langen erschlaffenden Fußfahrten, unter der furchtbaren Sonne Afrikas fühlte er vollends, daß Spannkraft und Interesse für sein bisheriges anstrengendes Wanderleben zu Ende seien und daß er vor der Nothwendigkeit stehe, sich in Europa eine Thätigkeit zu suchen. Doch graute ihm davor, als vor etwas beklemmend Engem, was er sich nicht recht vorstellen konnte. Den Segen, das Regelnde und Befriedigung Gewährende einer stetigen gleichmäßigen Arbeit hatte er ja bisher nie kennen gelernt, so tüchtig er auch Alles betrieb, was er ergriff. Die Möglichkeit hiezu war durch seinen ungewöhnlichen Lebensgang ausgeschlossen gewesen, der so weit abseits vom breiten Wege der Andern seine merkwürdigen Linien zog.
Auf diesem Punkte traf ihn, noch in St. Louis im Senegal, vollkommen unerwartet die Nachricht, daß sein Vater in Rom gestorben sei und die ihm zufallende Erbschaft ausreiche, ihn unabhängig zu stellen. 24
War Dieses endlich ein Morgenroth zu besseren Tagen?
Was er bereits gänzlich zu hoffen aufgehört hatte, das wollte ihm da beinahe wieder möglich scheinen: ein menschenwürdiges freundliches Loos. In seiner Seele tönten des fernen Mädchens gütige Reden von damals stärker wieder. Reine Liebe, die noch einmal alles Gute, alles Strebende was ihm geblieben war, zusammenfaßte, durfte ihn, so meinte er, jetzt ganz erfüllen und kam nun auch über ihn wie läuterndes Genesen. Er eilte heim, nach so viel Sturm allendlich doch zu landen. Klopfenden Herzens erwog er, wie Alles werden könnte und nahte sich, ein nochmals gläubig Gewordener, seinem Heil.
Da fiel der Fluch, der ihn für immer in die Oede stoßen sollte und der sein unstätes Loos vollends besiegelte.
War es auch höchst wahrscheinlich nicht persönliche Schwachmüthigkeit, die das Mädchen, das einst zu ihm so warm geredet, nun, da es eine Entscheidung galt, die furchtbare Antwort geben ließ, so wirkte es nur umso niederschmetternder auf Fermont, hier auch ein Wesen, das er so viel höherstehend geglaubt, als Opfer der allgemeinen erbärmlichen Anschauungsweise zu entdecken, und selbst aus diesem, dem einzigen Munde dem er Segensworte zugetraut, die alte harte Stimme jener »anständigen Welt« zu vernehmen, die einen Andersgearteten kalten Herzens ausstößt, der nicht zu ihren starren Maaßen stimmt.
Des Mädchens Antwort lautete: »Zu spät für Einen Deinesgleichen. Denn Du hast schon zu viel 25 von abenteuerlicher Existenz gelebt, als daß noch eine Ehe mit Dir denkbar wäre. Und was für ein Glück darf eine Frau von einem Manne erwarten, der es für nöthig hält, seinen Halt in ihr zu suchen!« . . .
Das war nun endlich doch zu viel für Einen, der schon seit Jahren immer und immer nur gelitten, dem nie ein Strahl der Wärme, nie ein Lichtschein von Glück mehr das aufrichtete, was ein Schlag nach dem andern zu Boden geworfen. Der Punkt war schließlich da, der in eines Menschen Leben mit einem Male alles ändert. In Fermont's wüthendsten Schmerz fiel da urplötzlich ein eisiger Hauch: die höhnische Ueberlegenheit, vor der die Liebe – scheinbar auf immer – überwunden zerfiel.
Seit jenem Tage der Abweisung blieb Fermont für die Welt verschollen. Nach Monaten erst entdeckte mir ein Brief, daß er, vom Leben unter Menschen endgiltig angeekelt, sich ein Asyl in Einsamkeit gesucht habe. Er war erst ruhelos noch umhergereist, in toller Jagd von täglich Neuem nur die erste Zeit nach dieser Katastrophe zu überleben, und hatte dann im Herbst in einem wilden Hochlandsthal das richtige Versteck gefunden, in das er sich zu begraben einzig noch Bedürfniß fühlte.
Das grausam Bunte und das Ungewöhnliche des Erlebten schien seinem Stolze einen letzten Trost zu bieten und hat Fermont in jenen Tagen der Verzweiflung sicherlich geholfen, das lästige Leben noch nicht wegzuwerfen. Er äußerte damals: es entspreche ihm wenigstens, sein Leiden stets im Strudel wildesten 26 Erlebens zugetheilt zu finden, und sich nicht in kleinerer Art vom Schicksal bis zu diesem Punkte durchgequält zu sehen. So werde es sich vielleicht auch lohnen: abzuwarten, was nun das Geschick noch weiter für ihn finde, ob zu dem ungewöhnlichen Bisherigen einen entsprechend ungewöhnlichen Schluß.
Weit von der Grenze des Heimathlandes und abgetrennt von allem Verkehr der Welt, in einem ringsumschlossenen Winkel des Gebirgs hatte er jenes alte Bauwerk getroffen, das nun die Stätte seines Bleibens wurde. Ein kleines Kastell, im Feld gelegen, vor einem Bergdorf draußen; ein Bau, mehr Thurm als Haus, der als Eigenthum eines einstmals mächtigen Klosters – niemand wußte mehr, zu welchem Zweck ursprünglich hier errichtet – seit Jahrhunderten stand. Von Zeit zu Zeit war es, wie Fermont ermittelte, noch von einsamen Mönchen bewohnt gewesen, denen es das entfernte Kloster zu freier Wohnung angewiesen hatte. Nun stand es seit Jahrzehnten leer, und Fermont fand auf unbestimmte Dauer Einlaß.
Was nun weiter gefolgt ist in seinem Leben, was sich in diesem Feldkastell, in diesem kleinen Winkel Bergwelt abgespielt hat, von dem Augenblick an, da er sich hier lebendig begrub, das liegt in seinen nun folgenden eigenhändigen Aufzeichnungen in unmittelbarster Darstellung aufbewahrt. 27