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Epipsychidion

Du Schwestergeist von dem verwaisten Geist,
Deß Name Thränen deinem Aug' entreißt,
In meines Herzens Tempel weih' ich dir
Die welken Kränze der Erinnrung hier.

Gefangner Vogel, der so holde Klänge
Aushaucht, daß sich der rauhen Herzen Strenge,
Die dich umgarnten, müßt' in Milde kehren,
Wenn sie nicht taub für jeden Wohllaut wären:
Dies Lied sei deine Rose! Ist ihr Blatt,
Geliebte Nachtigall, auch fahl und matt:
Doch ist der welken nicht ihr Duft entschwunden,
Auch blieb kein Dorn, die Brust dir zu verwunden.

Hochfliegend Herz, das, immerdar bewegt,
Umsonst an seines Kerkers Gitter schlägt,
Bis daß geknickt des Geistes lichte Schwingen,
Die himmelan gestrebt in kühnem Ringen;
Und bis das Blut, aus Wunder Brust entflossen,
Auf sein unmütterliches Nest ergossen: –
Vergebens wein' ich; freud'ger gäb' ich hin
Um dich mein Herzblut, wär' dir's zum Gewinn.

Seraph des Himmels, überirdisch mild,
Ach, unter deiner Frauenschönheit Bild
Birgst Alles du, was herrlich und geweiht
An Liebe, Licht und an Unsterblichkeit!
Du süßer Segen für den ew'gen Fluch!
Du Licht, das Glanz ins dunkle Weltall trug!
Mond im Gewölk! Im finstern Todtenhaus
Ein lebend Wesen! Stern im Sturmgebraus!
Du Wunder, und du Schönheit, und du Grauen!
Du Harmonie der Welt! In dir beschauen,
Hehr strahlend, wie vom Sonnenglanz erhellt,
Sich alle Ding', auf die dein Auge fällt!
Blitzgleich in ungewohntem Lichte funkelt
Dies trübe Lied selbst, das dich jetzt umdunkelt;
O, rein'ge du dies Klagwort meiner Seele
Von seinen Schlacken, seinem Erdenfehle,
Mit jenen Zähren, die wie heil'ger Thau
Entströmen deiner Augen sanftem Blau,
Weine, bis Leid sich wandelt in Entzücken –
Dann lächle drauf, dem Tod es zu entrücken!

Nie glaubte ich, vor meinem Tod so schön
Der Jugendträume Wirklichkeit zu sehn!
Ich liebe dich, Emilie, ob die Welt
Mit ihrem Hohn auch diese Lieb' umgellt.
O wären wir ein Zwillingspaar geboren!
O wär' der Name, den mein Herz erkoren
Für eine Andre, dir und ihr ein Band,
Das schwesterlich zwei Seelen hell umwand!
Doch wär' der eine recht, der andre wahr:
Die theuren Namen sprächen nimmer klar,
Wie rettungslos ich dein bin. Wehe mir!
Ich bin nicht dein – ich bin ein Theil von dir.

Du holde Leuchte! wie dem Schmetterlinge,
Versengtest meiner Muse du die Schwinge,
Sonst würde junge Liebe wie ein Schwan,
Der singend hinwallt seine Todesbahn,
Verkünden Alles, was du bist, dem Buch
Der grauen Zeit. Bist du nicht frei von Trug?
Ein lieblich Bild, bestimmt für höchste Wonnen?
Geheimen und verschlossnen Glückes Bronnen,
Vor dessen heitrem Licht und Wohllaut fern
Mißklang und Finsterniß entfliehn? Ein Stern,
Der einzig fest am Himmelsbogen ruht?
Ein Lächeln unter finstrer Stirnen Wuth?
Ein sanfter Ton inmitten rauher Stimmen?
Ein liebes Licht, das auf dem Meer, dem grimmen.
Den Schiffer lenkt? Ein einsames Asyl?
Ein Jubelrausch der Lust? Ein Saitenspiel,
Das Die, so Liebe es gelehrt, bewegen,
Das tiefste Leid, das sie im Herzen hegen,
In Schlaf zu lullen? Ein vergrabner Hort?
Ein Nest von Freuden, die an sel'gem Ort
Die Schwingen falten, nie zur Flucht geweckt?
Ein Grab des Leids, mit Veilchen überdeckt?
Ich suche rings ein Bild, das dir entspreche,
Und finde – ach! nur meine eigne Schwäche. –

Sie traf mich auf des Lebens rauhen Wegen,
Und lockte mich dem süßen Tod entgegen;
So führt der Lenz den Winter, Tageshelle
Die Nacht zu Licht und Leben. Die Gazelle,
Die flüchtig schwebt auf höchstem Felsenkranz,
Ist nicht so ätherleicht. Der Strahlenglanz
Von ihrer Göttlichkeit durchblinkt die Hülle
Des Körpers, wie aus thauiger Wolken Fülle,
Die unbewegt am Junihimmel stehn,
Der Mond hervorglänzt unauslöschlich schön.
Wie aus der Hyacinthe, thaugefüllt:
So ihren Lippen süß und weich entquillt
Ein Flüstern, das die Sinne wild berauscht,
Wie Sphärenmelodie, im Traum erlauscht.
In ihrer Augensterne milden Sonnen
Erglänzt das Strahlenspiel von jenen Bronnen,
Die quellen unter ihrer Seele Blitz, –
Zu tief, als daß des Menschengeistes Witz
Mit seinem Senkblei jemals sie ergründet.
Der Schimmer ihres Wesens, dort entzündet,
Erfüllt die todte, leere, kalte Luft
Mit einem warmen, wunderbaren Duft
Von Liebe, Licht, Bewegung, der vereint
Zu seliger Allgegenwart erscheint,
Und dessen Wogen ihr mit sanfter Fluth
Um Wang' und Finger wallen, die das Blut,
Das immerströmende, das dort erbebt,
Durchglüht (gleichwie in schneeiger Wolke webt
Zitternden Lichts der rothe Morgenschimmer),
In stetem Fluthgewog, und endend nimmer,
Bis jenes Schönheitswunder sie verzehrt,
Das rings die Welt erfüllet und verklärt,
So herrlich, daß der Blick es kaum erträgt.
Ein warmer Odem scheint, wenn sie sich regt,
Aus ihrem Kleid und wehnden Haar zu wallen;
Und wenn gelöst die Locken niederfallen,
Entfesselt von den Lüften, weich und lind,
Berauscht sich in dem süßen Hauch der Wind;
Und in die Seele dringt ein wilder Duft,
Den Sinnen fremd, gleichwie die heiße Luft
In der erstarrten Knospe schmilzt den Thau.
Sieh, dorten steht sie, eine hehre Schau! -
Ein sterbliches Gebild im Wunderkleid
Von Liebe, Leben, Licht und Göttlichkeit,
Die wechseln kann, doch nicht dem Tod sich gatten;
Ein Bild der lichten Ewigkeit; ein Schatten
Von goldnem Traum, ein Glanz, der steuerlos
Die dritte Sphäre läßt im Himmelsschooß;
Ein Wiederschein vom ew'gen Mond der Liebe,
Der leis bewegt des Lebensmeers Getriebe;
Ein Bild von Jugend, Lenz und Morgenlicht;
Verkörperten Aprilmonds Traumgesicht,
Das, weinend bald und lächelnd bald, hinab
Den Winter lockt, das Frostgeripp, ins Grab.

Ach, wehe mir! Zu welcher Höhe trug
Empor mich des vermessnen Wagens Flug?
Wie steig' ich nieder, und verderbe nicht?
Gleich macht die Liebe Alles, also spricht
Mein trunknes Herz; in Lieb' und Andacht preist
Der Wurm selbst Gott, und eint sich seinem Geist.

Braut! Schwester! Engel! Leitstern dem Geschick,
Das hingeflossen ohne Sternenblick!
Zu spät geliebt, zu früh verehrt von mir!
Anbetend hätte sollen knien vor dir
Mein Geist in der Unsterblichkeit Gefild,
Im Götterhaus vor einem Götterbild;
Oder auf dieser Erde, dir zur Seiten,
Ein Schatten jenes Wesens, dich begleiten;
Doch nicht wie jetzt! Ich liebe dich; doch ruht
Ein Siegel stets auf meines Herzens Fluth,
Sie hell und rein dir haltend ohne Rast,
Da du an diesen Thränen Freude hast.
Wir aber – sind wir nicht geschaffen, wie?
Als Töne Einer süßen Harmonie,
Zwar ganz nicht gleich, doch Eins bestimmt dem Andern,
Verschieden ohne Mißklang, um zu wandern,
In holdem Wohllaut bebend, durch die Welt,
Wie zitternd Laub im Windhauch rauscht und schwellt?

In mir spricht deine Weisheit, und sie heißt
Mich vor den Klippen, dran manch hoher Geist,
Manch edles Herz gescheitert, nicht zu zagen.
Nie hab' ich mich zum großen Troß geschlagen,
Der lehrt, es solle Jeder Einen Freund,
Ein Liebchen wählen, dem er treu sich eint,
Und all' die Andern, wären noch so rein
Und schön sie, frostigem Vergessen weihn.
Zwar ist's das Machtgebot der heut'gen Sitte,
Der Alltagspfad, auf dem mit müdem Schritte
Die armen Sklaven wandern, die ins Grab
Des Lebens breiten Heerweg gehn hinab,
Und so, geschmiedet fest an Einen Freund,
Der ihnen, ach, vielleicht ein bittrer Feind,
Hinziehn die Bahn, die endlos öde scheint.

Darin ist wahre Lieb' ungleich dem Staub
Und Gold, daß Theilung ihr kein schnöder Raub.
Sie gleichet dem Verstand, der sich erhellt,
Je mehr der Wahrheit ihm ins Auge fällt;
Sie gleichet deinem Licht, o Phantasie,
Das von der Erde und vom Himmel, wie
Aus tiefstem Geist der schönheitstrunknen Dichter,
Als würfen tausend Prismen ihre Lichter,
Ein hehres Glanzmeer ausgießt übers All,
Und mit der Sonnenpfeile Widerprall
Den Lindwurm »Irrthum« tödtet. Eng und klein
Das Herz, das Einem nur mag Liebe weihn,
Das Hirn, in dem nur Ein Gedanke brennt,
Das Leben, das nur Einen Zweck erkennt,
Der Geist, der Eins nur schafft, und wahndurchgraut
Ein Grabmal seiner Ewigkeit erbaut!

Denn also unterscheidet sich der Geist
Von seinem Stoff und Gegenstand zumeist:
Wie Bös von Gut; Unglück von Glück; das Kleine
Und Niedrige vom Hohen; das Gemeine
Und Schwache von des ewigen Lichtes Reine.
Und theilst du Erdenschmutz und Erdenleiden,
So magst du sie, bis sie verschwinden, scheiden;
Doch theilst du Freude, Liebe und Gedanken,
So überragt ein jeder Theil die Schranken
Des Ganzen, und wir wissen nicht, so lang
Noch ungetheilt ein Sehnen bleibt, ein Drang,
Wie Viel der Lust wir könnten noch gewinnen,
Wie vielem Leid wir könnten noch entrinnen.
Dies ist der Wahrheit Bronnen, welcher hell
Dem Weisen fließt als hehrer Hoffnung Quell;
Das ewige Gesetz, an dem sich hält
Der edle Mensch, dem diese Lebenswelt
Ein Garten scheint, verödet und verheert,
Und der sich müht, so lang sein Dasein währt,
Zu pflegen für der Zukunft goldnen Tag
Des Erdenparadieses wüsten Hag. –

Ein Wesen gab's, dem oft in seinen Träumen
Mein Geist begegnete in Aetherräumen,
In meiner Jugendfrühe goldnem Schein,
Auf Feeninseln in besonntem Hain,
Inmitten zaubervoller Bergesreihn,
In Grotten, wo ich schlummernd sanft geruht,
Wie in des Träumemeeres luft'ger Fluth,
Auf dessen Wellen Sie mit leichtem Schritt
Einhergewandelt; – mir vorüber glitt
Ihr Bild an phantassieerschautem Strand,
Gehüllt in also hehres Lichtgewand,
Daß mich´s geblendet. In dem Wald, dem düstern,
Rief ihre Stimme aus des Laubes Flüstern,
Und aus den Quellen und den Duftergüssen
Der Blumen mir, die, wie im Schlaf von Küssen
Die Lippe murmelt und den Liebsten ruft,
Von ihr nur hauchten der verliebten Luft;
Und aus der Frühlingswinde lauem Fluß,
Und aus der ziehnden Wolke Regenguß,
Und aus der Sommervögel hellem Sang,
Aus jedem Ton und Schweigen. In dem Klang
Uralter Lieder, hoch erhabner Weisen, –
In Form, Ton, Farbe, – Allem, was den Gleisen
Der morschen Gegenwart, die höhnisch ringt,
Vergangnes zu ersticken, sich entschwingt, –
Und in der besten Weisheit, deren Strahl
Das Menschenleben, diese Höllenqual,
Zu einem Schicksal macht, so hehr und groß
Wie gluthumflammten Martyrthumes Loos,
War aller Wahrheit Einklang ihre Seele. –

Dann schwang ich aus der Jugend Traumeshöhle
Mich auf, und strebte, wie mit Feuerschwingen,
Zum Leitstern meiner Sehnsucht hinzudringen,
Gleich einer trunknen Motte, welche matt
Durchschwirrt die Dämmrung wie ein welkes Blatt,
Wenn sie in Hesper's lichtumstrahltem Schooß,
Als wär' er eine Erdenleuchte bloß,
Sich sucht ein Flammengrab als Todesloos. –
Doch Sie, taub gegen Thränen und Gebet,
Schwand wie ein Gott, deß Lichtthron ein Planet,
Deß Schwingen zehnfach ihn beflügelt hatten,
In unsres Lebens trüben Kegelschatten.
Wie Einer, dem sein Liebstes floh hinab,
Wär' ich gefolgt, und gähnte selbst das Grab
Dazwischen wie ein Meer voll düstrer Schauer;
Da rief es: »O du Herz voll zager Trauer,
Das Traumbild, das du suchst, steht neben dir!«
Ich fragte: »Wo?« Des Weltalls Echo mir
Rückhallte: »Wo!« und tief von Weh durchdrungen
Frug ich der Abendwinde stumme Zungen,
Die an dem Trauerort vorüberstrichen:
»Wohin ist meiner Seele Seel' entwichen?«
Und Zauberworte sprach ich, um zu bannen
Des Menschenschicksals finstere Tyrannen.
Doch konnte nicht Gebet noch Bannspruch lichten
Die Nacht, die sie verschlungen; noch vernichten
Die Welt, die meinem Chaos sich entwand,
In der sie als verhüllte Gottheit stand, –
Die Welt, in der ihr jede Regung schwoll.
Drum ging ich fort, der Furcht und Hoffnung voll,
Todkrank jedwede sanfte Leidenschaft,
Nur noch genährt von der Erwartung Kraft,
Fort in die Winterwüstenei des Lebens;
Mit seinem Irrthum kämpfend stets vergebens,
Und taumelnd stets vor Müdigkeit und Hast,
Von neuen Formen rings geblendet fast,
Durchirrt' ich forschend jene rauhen Gründe,
Ob dort ich nicht vielleicht ein Wesen finde,
In dem sie meinen Blicken sich entzog.
Und Eine fand ich, die sich niederbog
An einem Quell, umrankt von dunkelblauen
Nachtschatten, und ein Lied voll Todesgrauen
Entklang aus ihrem falschen Mund, wie Duft
Von welken Blumen in der Herbstesluft;
Ihr Handdruck sengte mich mit gift'gem Schmerz;
Aus ihrem Blick schoß Feuer mir ins Herz,
Ein Grabeshauch entströmte ihren Wangen,
Und der Verwesung Moderdüste drangen
Wie Mehlthau in das grüne Herz mir ein,
Zerstörend seiner Blätter Frühlingsschein;
Bis sie, wie Haar, das vor der Zeit erblich
Auf einer Jünglingsstirne, grausiglich
Mit den Ruinen vor der Zeit geweckten
Scheinlebens seinen todten Lenz bedeckten.

Ich sucht' in manchem Weib des Erdenthals
Den Schatten meines Seelenideals.
Und Ein'ge waren schön – doch Schönheit flieht;
Und Andre klug – doch trog ihr Schmeichellied;
Und Eine treu – ach! warum mir nicht treu?
Dann wandte ich, wie der gejagte Leu,
Den hetzenden Gedanken mich entgegen,
Zu Tode wund, mit matten Herzensschlägen.
Der kalte Tag sah bebend meine Qual,
Als mir urplötzlich, wie ein Frührothsstrahl,
Befreiung winkte. Denn ein Wesen stand
Auf meinem Pfade, welches so verwandt
Der Hehren schien, die sich im Traum gezeigt,
Wie dort der Mond der ew'gen Sonne gleicht; –
Der kalte, keusche Mond, der Nachts am Himmel
Als Königin beherrscht das Sterngewimmel,
Verschönernd Alles, was mit sanftem Schein
Sein Auge trifft; ein bleicher Flammenschrein,
Der unstät irrt, mit mildem, frost'gem Schimmer,
Der, immer wechselnd, doch sich gleich bleibt immer.
Und nicht erwärmt, nur leuchtet. Jung und schön.
Als wäre sie ein Geist aus Himmelshöhn,
Umhüllte sie mich, wie der Mond die Nacht
Vor ihrem Graun verhüllt, in lichter Pracht,
Bis zwischen Erd' und Himmel Alles klar
Und hell in meiner stillen Seele war.
Und wie die Wolke, die der Wind berührt,
Ward ich in eine Grotte fortgeführt.
Dort saß sie neben mir, und ihr Gesicht
Erhellte meinen Schlummer, wie das Licht
Des Mondes, dessen Strahlen erdwärts flohn,
Herabgeleuchtet auf Endymion.
Und als mich eingelullt des Schlafes Quell,
Ward all mein Wesen finster oder hell,
Wie sommerliche Fluth im Mondenschein,
Bei ihrem Lächeln oder Zornesdräun.
Auf kaltem, keuschem Pfühl im Abendroth
Lag ich, – weh mir! – nicht lebend, und nicht todt;
Denn ihrer Silberstimme Ton berief
Leben und Tod, die in der Höhle tief,
Vergessend ihren altgewohnten Streit,
Wie zwei Geschwister nahten meinem Leid,
Entstammt aus Einer armen Mutter Schooß;
Sie schwebten durch die Höhle flügellos,
Und sprachen: »Fort! denn unser ist er nicht!«
Ich weint', und weine, sei's auch Traumgesicht.

Von welchen Stürmen meines Schlummers Fluth
Dann aufgeregt ward, bis, in bleicher Gluth
Erlöschend, jener Mondeslippen Rand
Wie in dem Siechthum der Verfinstrung schwand; –
Wie meine Seele ward ein lichtlos Meer,
Und wer als Wetter zog darüber her;
Und welcher Frost, da Sie, die licht und klar
Als Stern mich leitete, versunken war,
Dann über jene öden Wasser schlich,
Bis meines Wesens wilde Wogen sich
Verdickt zu starren Eises Todeshaft;
Und welch Erdbeben seinen Grund zerklafft
Und aufgewühlt, indeß in kalter Ruh'
Der bleiche Mond gelächelt immerzu,
Verhehlt dies Lied: – endlos ergössen sich
Sonst Thrän' auf Thräne. Weine nicht um mich!

Zuletzt erschien die hehre Traumgestalt,
Die ich durch Leid und Schmach gesucht, im Wald.
Um jener Winterwüste Dornenbahn
Floß Glanz wie Morgenroth bei ihrem Nahn,
Und ihre Gegenwart ließ neu erbeben
Die kahle Flur, das todte Laub von Leben,
Daß unter ihr und ihr zu Häupten droben
Ihr Pfad von Blumen lieblich war umwoben.
Aus ihrem Odem schwoll ein süßer Klang,
Der, sich wie Licht verbreitend, rings durchdrang
Jedweden Ton mit leisem, holdem Klingen,
Daß stumm der wilde Wind gesenkt die Schwingen;
Aus ihrem Haar enttroff ein warmer Duft,
Aufthauend die erstarrte, kalte Luft;
Mild wie die Sonne selbst, wenn sich ihr Licht
In Liebe wandelte, so schwebte dicht
Zu mir heran, wo in der Höhl' ich schlief,
Das wunderhehre Götterbild, und rief
Mich an, und wie den Rauch des Feuers Gluth,
So hob mein Geist den Leib, vom Schlaf umruht,
Ich stand erwacht in ihrer Schönheit Pracht,
Und fühlte, daß das Licht verscheucht die Nacht.
Ich wußte, daß das Traumbild, lang verhüllt,
Ich schaute, – daß ich sah Emiliens Bild!

Gleichwie der Sterne Licht den Erdenball,
Dies Ich, beherrscht, dies weite Liebesall;
Und seine Frücht' und Blumen rings erschafft,
Und in das Herz ihm gießt magnet'sche Kraft;
Die Meerfluth und der Nebel Schwall regiert,
Und jeden Wind und jede Welle führt
Zu ihrer Wolke, ihrer Felsenkluft;
Und jeden Sturm in seiner Höhle Gruft,
Der seine Wiege war, einlullt; den Regen
Herniederlockt, dem Feld und Wald zum Segen;
Und wie die beiden Leuchten, die vom Himmel
Herniederblicken und das Erdgewimmel
Mit Glanz und Friedensschlummer rings umfahn,
Und, ewigen Gesetzen unterthan,
Ungleich, nicht uneins, wandeln ihre Bahn: –
So, helle Sterne, lenkt in Wechselpracht
Die Sphäre meines Lebens, Tag und Nacht!
Du, selbst geliehne Macht verschmähend nicht;
Du, nicht Verdunkelnd ein entfernter Licht;
Und führet durch der Jahreszeiten Schatten,
Vom Lenz bis zu des Herbstes kühlen Matten,
Mein Sein zum Grabeswinter, wo es mag
Entgegenblühen einem bessern Tag.
Auch du, Komet, so schön und gluthentbrannt,
Der dieses Herzens schwache Welt gebannt
In seinen Kreis, bis wechselnd angezogen
Und abgestoßen, in des Kampfes Wogen,
Mein Herz zerbrach, und deines irrefuhr:
O, nahe wieder unsrer Himmelsflur
Als Stern der Liebe mit verklärtem Strahle!
Die Sonne wird aus goldner Flammenschale
Dich nähren, und der Mond sein Horn verschleiern
In deinem Lächeln; brünstig werden feiern
Morgen und Abend dich mit Friedensodem
Und Glanz und Schatten; wie mit Andachtsbrodem
Den Stern des Tods und der Geburt die hehren
Geschwister Furcht und Hoffnung heiß verehren –
Ein Opferaltar flammt ihr Herz, – so quellt
Aus diesem Lied das Opfer einer Welt.

O Herrin mein, verschmähe nicht die Blüthen,
Die dir mein Geist erdacht, die schnell verglühten,
Die aus der tiefsten Seele ungesucht
Hervortrieb jene Pflanze, deren Frucht,
Gereift in deiner Augen Sonnenschein,
Wird wie die Frucht von Edens Bäumen sein!

Entflieh mit mir, gekommen ist die Zeit!
Dem, was in mir voll trüber Sterblichkeit,
Mögst ewig du vestalische Schwester sein;
Dem Nievergehnden, Heil'gen, was nicht mein,
Was ich ist, sei fortan vereint als Braut,
Die glücklich und beglückend um sich schaut.
Die Stund' ist da – der Schicksalsstern ging auf,
Aus deinem Kerker führt er dich herauf.
Hoch sind die Mauern, und die Thore fest,
Die Wachen stark – doch wahre Liebe läßt
Sich so nicht zwingen; Alles überspringt
Sie, wie der Blitz, der ungesehn durchdringt
Der Erde Kern; und wie des Himmels Winde,
Die dem, der sie ergreift, entfliehn geschwinde;
Mehr noch dem Tode gleich, der, auf Gedanken
Hinjagend, Palast, Thurm und Tempelschranken
Mißachtet: – stärker ist die Liebe noch,
Denn sie zerbricht sogar des Todes Joch,
Macht frei den Leib in Ketten, frei das Herz
In Qual, die Seel' in Staub und Sündenschmerz.

Emilie, dort im Hafen liegt ein Schiff,
Ein Wind umflüstert dort das Felsenriff,
Ein Pfad ist auf des Meeres blauer Flur,
Den nimmer je zuvor ein Kiel befuhr;
Eisvögel um die sonnigen Inseln nisten,
Das Meer vergaß dort seine tückischen Listen;
Das lust'ge Schiffervolk ist frei und kühn –
Sag, Herzensschwester, willst du mit mir fliehn?
Ein Albatroß, deß Nest im Purpurroth
Des herrlichen Ostens ruht, ist unser Boot;
Wir weilen unter seiner Schwingen Pracht,
Und Sturm und Windesstille, Tag und Nacht,
Ziehn, unsre Diener, übers weite Meer
In unbeachtet schneller Flucht einher.
Der Fluth entragt ein Eiland, hold und süß,
Schön wie ein Trümmerrest vom Paradies,
Das, weil der Port nicht sicher landen ließ,
Geblieben wär' ein einsam öder Ort,
Wenn nicht ein Hirtenvolk entsprossen dort,
Dem noch den letzten Abglanz goldner Zeit
Der Hauch der klaren, goldnen Luft verleiht,
Einfach und fröhlich, unschuldsvoll und kühn.
Mit ewig wechselndem Murmellaute ziehn
Die blauen Wogen der ägäischen See
Um dieses traute Heim, mit Schaumesschnee
Den Sand benetzend und die Höhlenschlünde;
Und rings am Strand die wanderlust'gen Winde
Aufwogen nach dem Wogentakt der Fluth;
Der Waldesgötter Schaar im Dickicht ruht;
Und mancher Bach und Weiher blinkt und Quell,
Wie Demant oder Morgenlicht so hell;
Und weiterhin, entfernter vom Gestade,
Führen landeinwärts moosbewachsne Pfade,
Drauf Reh und Ziege prägten ihre Spur
(Der Hirt betritt sie jährlich einmal nur),
Zu Grotten, Lichtungen und Laubesbogen,
Und Hallen, rings mit Epheu überzogen,
Erleuchtet von der Wasserfälle Schimmer,
In deren plätschernd Rauschen lieblich immer
Sich mischt der Mittagssang der Nachtigallen;
Und rings von Duft geschwängert sind die Hallen;
Des sonnighellen, klaren Aethers Strom
Ist schwer von der Citronenblüth' Arom,
Das wie ein unsichtbarer Nebel schweift,
Und matten Schlummer auf das Auge träuft;
Jonquill' und Veilchen blühn im moosigen Thal,
Und senden pfeilschnell ihrer Düfte Strahl
Durchs Hirn, daß du vergehst vor süßer Qual.
Und jede Regung, Duft und Strahl und Sang
Stimmt überein mit jenem Wunderklang,
Der eine Seel' ist in der Seele Reich,
Dem Wiederhall vorirdischer Träume gleich. –
Ein Eiland ist's, das zwischen Himmel, Fluth,
Erde und Luft in hehrer Stille ruht,
Schön wie der Morgenstern, wenn seiner Bahn
Des blauen Luftmeers sanfte Wellen nahn.
's ist ein gefeiter Ort. Hernieder läßt
Sich niemals Hunger, Krieg, Erdbeben, Pest
Auf seiner Berge Höhn; vorüber ziehn
Wie blinde Geier fern sie drüberhin;
Beschwingte Wetter, die auf andrer Flur
Sich grimm entladen, hüllen in Azur
Die Insel, oder lösen sich in Thau,
Durch welchen ewig Wald und Feld und Au
Erneun ihr grün und goldenes Gewand.
Vom Meer entsteigen, und vom Himmelsrand
Entsinken klare Dünste, glanzvoll mild,
Von denen jeder ein entzückend Bild
Verhüllt, bis Sonne, Mond und Zephyrwehn
Den Schleier lüften, und wir strahlen sehn
Der Insel Schönheit, wie die nackte Maid,
Erglühnd in Liebe und in Lieblichkeit,
Erröthet und erbebt ob ihrer Pracht.
Doch wie das Grubenlicht im Bergesschacht,
Glüht eine Seel' auch in des Eilands Kern,
Ein Hauch des Ewigen, das nah und fern
Sein Lächeln, ungesehn, doch tiefgefühlt,
Aufs blaue Meer, das leis den Strand umspült,
Auf graues Feld und grünen Wald ergießt,
Und ihre kahlen Lücken hold umfließt. –
Als größtes Wunder dieser Einsamkeit
Erhebt ein Bau sich dort aus alter Zeit;
Doch Niemand von dem Inselvolke kündet,
Von wem, und wann, und wie er ward gegründet;
Kein Kriegsthurm ist's, obgleich er überschaut
Der Wälder Kranz; zur Lust hat ihn gebaut
Ein weiser, guter Meeresfürst vorzeit,
Eh' in der Erde Frühling Sünd' und Leid
Erfunden war, – ein Wunderwerk und Ruhm
Der schlichten Zeit, das er als Eigenthum
Der Schwester oder Gattin zugewandt.
Kaum scheint es jetzt ein Werk der Menschenhand,
Nein, ein Titanenwerk, das aus dem Herzen
Der Erde wuchs, und aus der Berge Erzen
Und Felsgestein entstieg dem finstren Joch,
Und selbst sich wölbte Grotten, hell und hoch;
Denn all' die alten, künstlichen Gebilde
Erloschen längst, an deren Statt die wilde
Weinrebe und des Epheus dunkle Ranken
Als luft'ge Zier um Dach und Mauern schwanken;
Thaufunkelnd bunte Blüthen hell durchscheinen
Die dunklen Hallen rings gleich Edelsteinen,
Und wenn sie welken, lugt der Himmel vor
Durch ihres Laubgewindes Winterflor
Mit Mondenschimmer oder Sternenglanz
Und lichter Sommerwölkchen schneeigem Kranz,
Daß auf des panschen Marmors Dielenflur
Musivisch hinfällt ihrer Schatten Spur.
Und Tag und Nacht, von hoher Zinne her
Hinunter blickend, sieht man Erd' und Meer,
Die sich im Schlummer zu umarmen scheinen,
Süß träumend von Gewölk, Fels, Blumen, Hainen,
Und Allem, was wir glauben zu erkennen
In ihres Lächelns Glanz, und wirklich nennen.

Dies Haus und dieses Eiland nenn' ich mein.
Und du sollst Herrin dieser Wildniß sein.
Gemächer werden dort bereit dir stehn,
Die nach des Ostens goldnen Thoren sehn,
Vom Windeshauch umkost, der wellengleich
Hinfluthet überm Meereswellenreich.
Ich habe Bücher, Noten hingeschafft,
Und all' die Instrumente, welche Kraft
Dem Geist verleihn, die Zukunft aufzurufen
Aus ihrer Wiege, von des Grabes Stufen
Vergangnes zu beschwören, und den schwanken
Moment durch Glück zu fesseln und Gedanken,
Die schlummern können, aber niemals sterben,
Weil in sich selbst sie Ewigkeit erwerben.
Wenig bedürfen wir; gesunder Sinn
Giebt nimmer sich dem bleichen Luxus hin,
Dem Sklaven, der, statt sie zu schmücken, nur
Die Welt verwüstet; so wird stets Natur
Mit ihren Kindern segnen unsre Flur.
Die Ringeltaube noch im Epheu girrt
Ihr Liebesleid, und um den Thurm noch schwirrt
Die Eule, und der jungen Sterne Glanz
Blinkt auf der Fledermäuse Zwielichtstanz.
Es spielt das Reh in klarer Mondespracht
Vor unsern Blicken, und die stille Nacht
Mißt ihren Gang nach ihres Odems Beben.
Sei dies denn unsre Heimat für das Leben,
Und wenn die Jahre welker Stunden Pein
Wie Herbstlaub auf uns häufen, laß uns sein
Der Tag, der droben ausgespannt sein Blau,
Die Lebensseele dieser Edensau,
Uns selbst bewußt, untrennbar, Eines nur.
Bis dahin wollen unter dem Azur,
Der auf Ioniens lichten Inseln ruht,
Wir Hand in Hand uns lagern an der Fluth,
Und durch die Felder wandeln, und besteigen
Die Berge, wo sich blaue Lüfte neigen
Mit leisem Hauch zu ihrem Buhlen nieder;
Dann wollen wir am hehren Strande wieder
Ausruhn, der, von des Meeres Kuß gestreift,
Funkelt und Lebt und wie von Wonne träuft, –
Besitzend und empfindend all die Welt,
Die jener stille Kreis von Glück enthält,
Eines dem Andern völlig hingegeben,
Bis Eins in uns geworden Lieb' und Leben!
Und Mittags, Liebste, wollen wir verweilen
In einer Grotte, die den Strahlenpfeilen
Des wachen Tages ewig sich verschließt,
Und wo sich noch mit mattem Schein ergießt
Das Mondlicht, das die vorige Nacht versüßt, –
Ein Schleier, der uns einhüllt wie die Nacht!
Dort tödte Schlummer deiner Augen Pracht, –
Schlaf, der, wie schmachtender Liebe Thau so lind
Wie Regen auf die glühnden Küsse rinnt,
Daß sie verlöschen unter seiner Fluth,
Bis sie erwachen mit erneuter Gluth.
Und plaudern wollen wir, bis unsren Seelen
Für ihre Melodie die Worte fehlen,
Um unsres Fühlens Wonne auszudrücken;
Dann sollen neu sie auferstehn in Blicken,
Die durch das stumme Herz entzückend lohn,
Harmonisch es durchfluthend ohne Ton.
Ineins soll unser warmer Odem schwellen,
Vereint sich heben unsres Busens Wellen;
Und vor der Lippen vielberedtem Schweigen
Soll sich verfinstert fast die Seele zeigen,
Die zwischen ihnen glüht; und jene Bronnen,
Die unsres Wesens tiefstem Schacht entronnen.
Die Quellen unsres Lebens, sollen kraus
Erblinken in der Leidenschaft Gebraus,
Wie Bergesquellen in dem Morgenschein.
Dann werden wir Ein Geist, Ein Odem sein
In zweien Körpern – ach! warum in zwein?
In Zwillingsherzen Eine Leidenschaft,
Die wächst und wuchs mit stets erneuter Kraft,
Bis, gleich zwei hellen Feuermeteoren,
Die gluthentflammten Seelen traumverloren
Sich treffen, einen, wandeln, holdverklärt,
Stets brennend, aber ewig unverzehrt;
Eines sich nährend an des Andern Sein,
Wie Flammen, die zu edel, licht und rein,
Um sich an niedrem Stoffe zu entzünden,
Sie, die, gen Himmel weisend, nimmer schwinden;
Ein Hoffen in zwei Willen, und Ein Wille,
Bedeckt von zweier Seelen Schattenhülle,
Ein Leben, Ein Tod, Eine Himmelsfreud',
Ein Höllenleid, Eine Unsterblichkeit,
Eine Vernichtung! – Weh, der Worte Schwingen,
Auf denen meine Seele wollte dringen
Zur höchsten Höh' der Liebeswelt hinauf,
Sie hemmen angstvoll ihren Feuerlauf,
Gelähmt, versengt im Flammendunst und Rauche –
Ich keuche, stöhne, zittre und verhauche!

Kniet, schwache Verse, vor der Herrin Thron,
Und sagt: »Wir sind die Herren deines Sklaven;
Was willst von uns du und von dem, was dein?«
Und dann aus des Vergessens Höhlenschluft
Ruft eure Schwestern auf, die lang dort schlafen,
Und stimmt in einen lauten Chorus ein,
Und singt: »Süß ist die Pein der Liebe schon,
Doch wird ihr erst in jener Welt ihr Lohn,
Die sie, wenn hier nicht, baut jenseits der Gruft.«
So werdet ihr mir dort Gefährten sein.
Dann mögt ihr durch die Menschenherzen wandern
In sehnsuchtsvoller Hast, bis ihr begegnet
Marina, Vanna, Primus und den Andern;
Sagt ihnen: »Liebet euch, und seid gesegnet!«
Heißt sie dem Schwarm entfliehn, der irrt und haßt,
Weist sie zu mir – ich bin der Liebe Gast.

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