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(Der Pallast.)
(Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz, Güldenstern, und Herren vom Hofe treten auf.)
König. Ihr habt also nicht von ihm herausbringen können, was die Ursache ist, warum er in den schönsten Tagen seines Lebens in diese stürmische und Gefahr-drohende Raserey gefallen?
Rosenkranz. Er gesteht, daß er sich in einem ausserordentlichen Gemüths-Zustande fühle; aber was die Ursache davon sey, darüber will er sich schlechterdings nicht herauslassen.
Güldenstern. Auch giebt er nirgends keine Gelegenheit, wo man ihn ausholen könnte, und wenn man würklich ganz nahe dabey zu seyn glaubt, ihn zum Geständniß seines wahren Zustands zu bringen, so hat er, seiner vorgeblichen Tollheit ungeachtet, doch List genug, sich immer wieder aus der Schlinge zu ziehen.
Königin. Empfieng er euch freundlich?
Rosenkranz. Mit vieler Höflichkeit.
Güldenstern. Doch so, daß man die Gewalt die er seinem Humor anthun mußte, sehr deutlich merken konnte.
Rosenkranz. Mit Fragen war er sehr frey, aber überaus zurükhaltend, wenn er auf die unsrigen antworten sollte.
Königin. Schluget ihr ihm keinen Zeitvertreib vor?
Rosenkranz. Gnädigste Frau, es begegnete von ungefehr, daß wir unterwegs auf eine Schauspieler-Gesellschaft stiessen; von dieser sagten wir ihm, und es schien, als ob er eine Art von Freude darüber hätte: Sie befinden sich würklich bey Hofe, und (wie ich glaube,) haben sie bereits Befehl, diese Nacht vor ihm zu spielen.
Polonius. Es ist nichts gewissers, und er ersucht Eure Majestäten, Zuschauer dabey abzugeben.
König. Von Herzen gern, es erfreut mich ungemein, zu hören, daß er so gut disponiert ist. Erhaltet ihn bey dieser Laune, meine guten Freunde, und seyd darauf bedacht, daß er immer mehr Geschmak an dergleichen Zeitvertreib finde.
Rosenkranz. Wir wollen nichts ermangeln lassen, Gnädigster Herr.
(Sie gehen ab.)
König. Liebste Gertrude, verlaßt ihr uns auch; wir haben heimliche Anstalten gemacht, daß Hamlet hieher komme, damit er Ophelien, als ob es von ungefehr geschähe, hier antreffe. Ihr Vater und ich wollen einen solchen Plaz nehmen, daß wir, ungesehn, Zeugen von allem was zwischen ihnen vorgehen wird, seyn, und also durch uns selbst urtheilen können, ob die Liebe die Ursache seines Trübsinns ist oder nicht.
Königin. Ich gehorche euch; und an meinem Theil, Ophelia, wünsch' ich, daß eure Reizungen die glükliche Ursach von Hamlets Zustande seyn mögen: Denn das würde mir Hoffnung machen, daß eure Tugend ihn, zu euer beyder Ehre, wieder auf den rechten Weg bringen würde.
Ophelia. Gnädigste Frau, ich wünsch' es so.
(Die Königin geht ab.)
Polonius. Ophelia, geht ihr hier auf und ab – – Gnädigster Herr, wenn es beliebig ist, wollen wir uns hier verbergen – – (Zu Ophelia.) Thut, als ob ihr in diesem Buche leset; damit das Ansehn einer geistlichen Uebung eure Einsamkeit beschönige. Es begegnet nur gar zu oft, daß wir mit der andächtigsten Mine und der frömmsten Gebehrde an dem Teufel selbst saugen.
König
(vor sich.)
Das ist nur gar zu wahr. Was für einen scharfen Geissel-Streich giebt diese Rede meinem Gewissen! Die Wangen einer Hure durch Kunst mit betrügerischen Rosen bemahlt, sind nicht häßlicher unter ihrer Schminke, als meine That unter der schönen Larve meiner Worte – – O schwere Bürde!
Polonius. Ich hör' ihn kommen; wir wollen uns entfernen, Gnädigster Herr.
(Alle, bis auf Ophelia gehen ab.)
(Hamlet tritt auf, mit sich selbst redend.)
Hamlet. Seyn oder nicht seyn – – Das ist die Frage – – Ob es einem edeln Geist anständiger ist, sich den Beleidigungen des Glüks geduldig zu unterwerfen, oder seinen Anfällen entgegen zu stehen, und durch einen herzhaften Streich sie auf einmal zu endigen? Was ist sterben? – – Schlafen – – das ist alles – – und durch einen guten Schlaf sich auf immer vom Kopfweh und allen andern Plagen, wovon unser Fleisch Erbe ist, zu erledigen, ist ja eine Glükseligkeit, die man einem andächtiglich zubeten sollte – – Sterben – – Schlafen – – Doch vielleicht ist es was mehr – – wie wenn es träumen wäre? – – Da stekt der Haken – – Was nach dem irdischen Getümmel in diesem langen Schlaf des Todes für Träume folgen können, das ist es, was uns stuzen machen muß. Wenn das nicht wäre, wer würde die Mißhandlungen und Staupen-Schläge der Zeit, die Gewaltthätigkeiten des Unterdrükers, die verächtlichen Kränkungen des Stolzen, die Quaal verschmähter Liebe, die Schicanen der Justiz, den Uebermuth der Grossen, ertragen, oder welcher Mann von Verdienst würde sich von einem Elenden, dessen Geburt oder Glük seinen ganzen Werth ausmacht, mit Füssen stossen lassen, wenn ihm frey stühnde, mit einem armen kleinen Federmesser sich Ruhe zu verschaffen? Welcher Taglöhner würde unter Aechzen und Schwizen ein mühseliges Leben fortschleppen wollen? – – Wenn die Furcht vor etwas nach dem Tode – – wenn dieses unbekannte Land, aus dem noch kein Reisender zurük gekommen ist, unsern Willen nicht betäubte, und uns riehte, lieber die Uebel zu leiden, die wir kennen, als uns freywillig in andre zu stürzen, die uns desto furchtbarer scheinen, weil sie uns unbekannt sind. Und so macht das Gewissen uns alle zu Memmen; so entnervet ein blosser Gedanke die Stärke des natürlichen Abscheues vor Schmerz und Elend, und die grössesten Thaten, die wichtigsten Entwürfe werden durch diese einzige Betrachtung in ihrem Lauf gehemmt, und von der Ausführung zurükgeschrekt – – Aber sachte! – – wie? Die schöne Ophelia? – – Nymphe, erinnre dich aller meiner Sünden in deinem Gebete.
Ophelia. Mein Gnädiger Prinz, wie habt ihr euch diese vielen Tage über befunden?
Hamlet. Ich danke euch demüthigst; wohl – –
Ophelia. Gnädiger Herr, ich habe verschiedne Sachen zum Andenken von euch, die ich euch gerne zurükgegeben hätte; ich bitte euer Gnaden, sie bey dieser Gelegenheit zurük zu nehmen.
Hamlet. Ich? ich wißte nicht, daß ich euch jemals was gegeben hätte.
Ophelia. Ihr wißt es gar wohl, Gnädiger Herr, und daß ihr eure Geschenke mit Worten, von so süssem Athem zusammengesezt, begleitet habt, daß sie dadurch einen noch grössern Werth erhielten. Da sich dieser Parfüm verlohren hat, so nehmt sie wieder zurük. Geschenke verliehren für ein edles Gemüth ihren Werth, wenn das Herz des Gebers geändert ist.
Hamlet. Ha, ha! Seyd ihr tugendhaft?
Ophelia. Gnädiger Herr – –
Hamlet. Seyd ihr schön?
Ophelia. Was sollen diese Fragen bedeuten?
Hamlet. Das will ich euch sagen. Wenn ihr tugendhaft und schön seyd, so soll eure Tugend nicht zugeben, daß man eurer Schönheit Schmeicheleyen vorschwaze.
Ophelia. Machen Schönheit und Tugend nicht eine gute Gesellschaft mit einander aus, Gnädiger Herr?
Hamlet. Nicht die beste; denn es wird allemal der Schönheit leichter seyn, die Tugend in eine Kupplerin zu verwandeln, als der Tugend, die Schönheit sich ähnlich zu machen. Das war ehmals ein paradoxer Saz, aber in unsern Tagen ist seine Wahrheit unstreitig – – Es war eine Zeit, da ich euch liebte.
Ophelia. In der That; Gnädiger Herr, ihr machtet mich's glauben.
Hamlet. Ihr hättet mir nicht glauben sollen. Denn Tugend kan sich unserm alten Stamme nie so gut einpfropfen, daß wir nicht noch immer einen Geschmak von ihm behalten sollten. Ich liebte euch nicht.
Ophelia. Desto schlimmer, daß ich so betrogen wurde.
Hamlet. Geh in ein Nonnenkloster. Warum wolltest du eine Mutter von Sündern werden? Ich bin selbst keiner von den Schlimmsten; und doch könnt' ich mich solcher Dinge anklagen, daß es besser wäre, meine Mutter hätte mich nicht zur Welt gebracht. Ich bin sehr stolz, rachgierig, ehrsüchtig, zu mehr Sünden aufgelegt, als ich Gedanken habe sie zu namsen, Einbildungs-Kraft sie auszubilden, und Zeit sie zu vollbringen. Wozu sollen solche Bursche, wie ich bin, zwischen Himmel und Erde herumkriechen? Wir sind alle ausgemachte Taugenichts; traue keinem von uns – – Geh in ein Nonnen-Kloster – – Wo ist euer Vater?
Ophelia. Zu Hause, Gnädiger Herr.
Hamlet. Laß die Thür hinter ihm zuschliessen, damit er den Narren nirgends als in seinem eignen Hause spielen könne – – Adieu.
Ophelia. O hilf ihm, Gütiger Himmel!
Hamlet. Wenn du einen Mann nimmst, so will ich dir diesen Fluch zur Mitgift geben – – Sey so keusch wie Eis, so rein wie Schnee, du wirst doch der Verläumdung nicht entgehen – – Geh in ein Nonnen-Kloster – – Adieu – – Oder wenn du es ja nicht vermeiden kanst, so nimm einen Narren; denn gescheidte Leute wissen gar zu wohl, was für Ungeheuer ihr aus ihnen macht. – – In ein Nonnen-Kloster, sag ich und das nur bald: Adieu.
Ophelia. Ihr himmlischen Mächte, stellet ihn wieder her!
Hamlet. Ich habe auch von eurer Mahler-Kunst gehört; eine feine Kunst! Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anders. Ihr verhunzt unserm Herrn Gott sein Geschöpf durch eure tändelhafte Manieren, durch eure Ziererey, euer affektiertes Stottern, euern tanzenden Gang, eure kindische Launen; und seyd unwissend genug euch auf diese Armseligkeiten noch wer weiß wie viel einzubilden. Geh, geh, ich will nichts mehr davon, es hat mich toll gemacht. Ich meyne, keine Heyrathen mehr! Diejenigen die nun einmal verheyrathet sind, alle bis an einen, mögen leben; die übrigen sollen bleiben wie sie sind. In ein Nonnen-Kloster, geh.
(Hamlet geht ab.)
Ophelia. O was für ein edles Gemüth ist hier zu Grunde gerichtet! Das Aug eines Hofmanns, die Zunge eines Gelehrten, der Degen eines Helden! Die Erwartung, die blühende Hoffnung des Staats! Der Spiegel, worinn sich jeder besah, der gefallen wollte; das Modell von allem was groß, schön und liebenswürdig ist, gänzlich, gänzlich zernichtet! Ich unglükselige! Die einst den Honig seiner Schmeicheleyen, die Musik seiner Gelübde so begierig in mich sog; und izt sehen muß, wie der schönste Geist, gleich einem verstimmten Glokenspiel, lauter falsche, mißklingende Töne von sich giebt, und diese unvergleichliche Tugend-Blühte in finstrer Schwermuth hinwelkt! O! wehe mir! daß ich leben mußte, um zu sehen, was ich gesehen habe.
(Der König und Polonius treten auf.)
König. Liebe, sagt ihr? Nein, sein Gemüth ist von ganz andern Dingen eingenommen, und was er sagte, ob es gleich ein wenig seltsam klang, war auch nicht Wahnwiz. Es liegt ihm etwas im Gemüth, worüber seine Melancholie brütend sizt, und ich besorge es möchte gefährlich seyn, es zeitig werden zu lassen. Es ist mir in der Geschwindigkeit ein Mittel beygefallen, wie diesem Uebel vorgebogen werden kan. Ich will ihn ohne Aufschub nach England schiken, um den Tribut zu fodern, der uns zurükgehalten wird: Vielleicht, daß die See-Luft, ein anders Land und andre Gegenstände, diese böse Materie zerstreuen mögen, die sich in seinem Herzen gesezt, und sein Gehirn mit schwarzen Vorstellungen angefüllt hat, denen er nachhängt, und darüber in diesen seltsamen Humor verfallen ist. Was denkt ihr davon?
Polonius. Es wird eine gute Wirkung thun. Und doch glaub ich noch immer, daß verachtete Liebe die erste Quelle und Ursach dieser Schwermuth gewesen – – Wie steht's, Ophelia? Ihr habt nicht nöthig uns zu erzählen, was Prinz Hamlet sagte; wir haben alles gehört – – (Ophelia geht ab.) Gnädigster Herr, handelt nach euerm Gefallen; wenn es euch aber nicht entgegen ist, so laßt die Königin seine Frau Mutter nach der Comödie in einer geheimen Unterredung einen Versuch machen, die Ursache seines Grams von ihm zu erfahren; laßt sie mit der Sprache gerad gegen ihn herausgehen; und ich will mich, wenn ihr's für gut anseht, an einen Ort stellen, wo ich alles was sie mit einander reden, hören kan. Will er sich nicht erklären, so schikt ihn nach England, oder verwahrt ihn sonst irgendwo; was eure Klugheit das rathsamste finden wird.
König. Wir wollen es so machen – – Wahnwiz ist an den Grossen allemal was verdächtiges das man nicht unbewacht lassen soll.
(Sie gehen ab.)
(Hamlet mit zween oder dreyen Schauspielern tritt auf.)
Hamlet. Sprecht eure Rede, ich bitte euch, so wie ich sie euch vorgesagt habe, mit dem natürlichen Ton und Accent, wie man im gemeinen Leben spricht. Denn wenn ihr das Maul so voll nehmen wolltet, wie manche von unsern Schauspielern zu thun pflegen, so wäre mir eben so lieb, wenn der Ausruffer meine Verse hersagte. Und sägt auch die Luft nicht so mit eurer Hand, sondern macht es manierlich; denn selbst in dem heftigsten Strom, Sturm und Wirbelwind einer Leidenschaft müßt ihr eure Bewegungen so gut in eurer Gewalt haben, daß sie etwas edels und anständiges behalten. O, es ist mir in der Seele zuwider, wenn ich einen breitschultrichten Lümmel in einer grossen Perüke vor mir sehe, der eine Leidenschaft zu Fezen zerreißt, und um pathetisch zu seyn, sich nicht anderst gebehrdet, als wie ein toller Mensch; aber gemeiniglich sind solche Gesellen auch nichts anders fähig als Lerm und seltsame unnatürliche Gesticulationen zu machen. Ich könnte einen solchen Burschen prügeln lassen, wenn er die Rolle eines Helden kriegt, und einen Dragoner in der Schenke daraus macht; Herodes selbst ist nur ein Kind dagegen. Ich bitte euch, nehmt euch davor in Acht.
Schauspieler. Dafür stehe ich Euer Gnaden.
Hamlet. Indessen müßt ihr auch nicht gar zu zahm seyn; in diesem Stüke muß eure Beurtheilungs-Kraft euer Lehrmeister seyn. Laßt die Action zu den Worten, und die Worte zur Action passen, mit der einzigen Vorsicht, daß ihr nie über die Grenzen des Natürlichen hinausgehst – – Denn alles Uebertriebne ist gegen den Endzwek der Schauspieler-Kunst, der zu allen Zeiten, von Anfang und izt, nichts anders war und ist, als der Natur gleichsam einen Spiegel vorzuhalten, der Tugend ihre eigne wahre Gestalt und Proportion zu zeigen, und die Sitten der Zeit, bis auf ihre kleinsten Züge und Schattierungen nach dem Leben gemahlt darzustellen. Wird hierinn etwas übertrieben, oder auch zu matt und unter dem wahren Leben gemacht, so kan es zwar die Unverständigen zum Lachen reizen; aber Vernünftigen wird es desto anstössiger seyn; und das Urtheil von diesen soll in euern Augen allemal ein ganzes Theater voll von jenen überwiegen. Ich kenne Schauspieler, und sie wurden von gewissen Leuten gelobt (so sehr man loben kan,) die ihre Rollen so abscheulich heulten, sich so ungebehrdig dazu spreißten, daß ich dachte, irgend einer von der Natur ihren Tagwerks-Jungen habe Menschen machen wollen, und sie seyen ihm nicht gerathen; so abscheulich-grotesk ahmten sie die menschliche Natur nach.
Schauspieler. Ich hoffe, wir haben diesen Unform so ziemlich bey uns abgeschaft.
Hamlet. O, schaft ihn durchaus ab. Und denen, die eure lustigen Bauren machen sollen, schärfet ein, daß sie nicht mehr sagen sollen, als in ihrer Rolle steht; denn es giebt einige unter ihnen, die sich selbst einen Spaß damit machen wollen, daß sie eine Anzahl alberner Zuschauer zum Lachen bringen können, wenn gleich in dem nemlichen Augenblik die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Stelle des Stüks geheftet seyn sollte: Das ist was infames, und zeigt eine erbärmliche Art von Ambition an dem Narren, der es so macht. Geht, macht euch fertig.
(Die Schauspieler gehen ab.)
(Polonius, Rosenkranz und Güldenstern treten auf.)
Hamlet. Wie ists, mein Herr? Will der König dieses Stük hören?
Polonius. Und die Königin dazu, und das sogleich.
Hamlet. So seht, daß die Schauspieler hurtig machen. (Polonius geht ab.) Wollt ihr beyde nicht auch gehen, und ihnen helfen, daß sie fertig werden?
Beyde. Wir wollen, Gnädiger Herr.
(Sie gehen ab.)
Hamlet. He, holla, Horatio – –
(Horatio zu Hamlet.)
Horatio. Hier, liebster Prinz, was habt ihr zu befehlen?
Hamlet. Horatio, du bist durchaus so ein ehrlicher Mann, als ich jemals in meinem Leben einen gefunden habe.
Horatio. O, mein Gnädigster Herr – –
Hamlet. Nein, bilde dir nicht ein, ich schmeichle; denn was für Interesse könnt' ich von dir hoffen, dessen ganzer Reichthum darinn besteht, daß du Verstand genug hast, dir Nahrung und Kleider zu verschaffen? Die Zunge der Schmeicheley lekt nur um die Füsse der Grossen, und beugt ihre kupplerische Kniee nur, wo sie Belohnung hofft. Hörst du? Seitdem meine Seele fähig ist zu wählen, und Menschen von Menschen zu unterscheiden, hat sie dich aus allen für sich selbst auserkohren. Denn ich habe dich als einen Mann kennen gelernt, der gutes und böses Glük mit gleicher Mässigung annahm, und wenn alle Widerwärtigkeiten sich gegen ihn vereinigten, so gutes Muthes war, als ob er nichts zu leiden hätte. Und glüklich sind diejenigen, deren Blut und Gemüths-Art so wol gemischt ist, daß sie keine Pfeiffe für Fortunens Finger sind, und tönen müssen, wie sie greift. Zeigt mir den Mann, der kein Sclave der Leidenschaft ist, ich will ihn im Kern meines Herzens tragen; ja, in meines Herzens Herzen, wie ich dich trage – – Genug, und ein wenig mehr als genug hievon! – – Es soll diese Nacht ein Schauspiel vor dem König aufgeführt werden, worinn eine Scene demjenigen sehr nahe kommt, was ich dir von den besondern Umständen von meines Vaters Tod erzählt habe. Ich bitte dich, wenn diese Scene kommt, so beobachte meinen Oheim mit dem äussersten Grade der Aufmerksamkeit, der deiner Seele möglich ist. Wenn bey einer gewissen Rede seine geheime Schuld sich nicht selbst verräth, so ist der Geist den wir gesehen haben, aus der Hölle, und meine Einbildungen auf des Teufels Ambose geschmiedet. Verwende kein Auge von ihm, ich will es auch so machen, und hernach wollen wir unsre Beobachtungen zusammentragen, und ein Urtheil über sein Bezeugen festsezen.
Horatio. Gut, Gnädiger Herr. Wenn er was stiehlt, während daß die Comödie gespielt wird, und der Entdekung entgeht, will ich den Diebstahl bezahlen.
(Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz, Güldenstern, und andere Herren von Hofe, mit Bedienten, welche Fakeln vortragen. Ein dänischer Marsch, mit Trompeten.)
Hamlet. Da kommen sie zur Comödie – – ich muß hier den Geken machen – – (zu Horatio.) Sieh dich um einen Plaz um.
König. Wie steht's um unsern Neffen Hamlet?
Hamlet. Unvergleichlich, in der That, nach Cameleons Art; ich esse Luft, mit Versprechungen gefüllt; eure Capunen werden nicht fett dabey werden.
König. Ich weiß nichts mit dieser Antwort zu machen, Hamlet – –
Hamlet. Ich auch nicht – – (Zu Polonius.) Nun, mein Herr; ihr spieltet ja ehmals auch Comödien auf der Universität, sagtet ihr?
Polonius. Das that ich, Gnädiger Herr, und man hielt mich für einen guten Schauspieler.
Hamlet. Und was machtet ihr für Rollen?
Polonius. Ich machte den Julius Cäsar, ich wurde im Capitol umgebracht; Brutus brachte mich um.
Hamlet. Das war brutal von ihm gehandelt, ein solches Capital-Kalb da umzubringen – – Sind die Comödianten fertig?
Rosenkranz. Ja, Gnädiger Herr, sie warten auf euern Befehl.
Königin. Komm hieher, mein liebster Hamlet; seze dich zu mir.
Hamlet. Um Vergebung, Frau Mutter, hier ist ein Magnet der stärker zieht.
Polonius
(zur Königin.)
O, ho, habt ihr das bemerkt?
Hamlet. Fräulein, wollt ihr mich in euerm Schooß ligen lassen?
(Er sezt sich zu ihren Füssen auf den Boden hin.)
Ophelia. Nein, Gnädiger Herr.
Hamlet. Ich meyne, meinen Kopf auf euerm Schooß?
Ophelia. Ja, Gnädiger Herr.
Hamlet. Denkt ihr, ich habe was anders gemeynt?
Ophelia. Ich denke nichts, Gnädiger Herr.
Hamlet
(etwas leise.)
Das ist ein hübscher Gedanke, zwischen eines Mädchens Beinen zu ligen – –
Ophelia. Was ist's, Gnädiger Herr?
Hamlet. Nichts.
Ophelia. Ihr seyd aufgeräumt, Gnädiger Herr?
Hamlet. Wer, ich?
Ophelia. Ja.
Hamlet. O Gott! ein Spaßmacher, wie ihr keinen mehr sehen werdet. Was sollte einer thun, als aufgeräumt seyn? Denn, seht ihr, was meine Mutter für ein vergnügtes Gesicht macht, und es ist doch kaum zwo Stunden, daß mein Vater todt ist.
Ophelia. Um Vergebung, es sind zweymal zween Monate, Gnädiger Herr.
Hamlet. Schon so lange? O, wenn das ist, so mag der Teufel schwarz gehen, ich will meinen Hermelin-Pelz wieder umwerfen. O Himmel! schon zween Monat todt, und noch nicht vergessen! So kan man doch hoffen, daß eines grossen Mannes Andenken sein Leben ein halbes Jahr überleben werde: Aber, bey unsrer Frauen! in diesem Fall muß einer wenigstens eine Kirche gebaut haben; sonst mag er leiden, daß man nicht mehr an ihn denkt, wie das Steken-Pferd; dessen Grabschrift ist:
Au weh! das ist beklagens werth,
Man denkt nicht mehr ans Steken-Pferd. Ein satyrischer Stich auf die damaligen Puritaner, welche man in den Gassen-Liedern, die über sie gemacht und gesungen wurden, ihren bekannten scheinheiligen Eifer gegen alle Spiele bis gegen das Steken-Pferd treiben ließ, auf welchem doch sie, und ihres gleichen, bis auf den heutigen Tag, so weydlich herumtraben. |
(Musik von Hautbois. Die Pantomime tritt auf.)
(Ein Herzog und eine Herzogin mit Cronen auf den Häuptern, treten sehr liebreich mit einander auf; die Herzogin umarmt ihn, und er sie; sie kniet nieder, er hebt sie auf und neigt seinen Kopf auf ihren Hals; er legt sich auf einen Blumenbank hin; sie sieht daß er eingeschlafen ist, und verläßt ihn. Darauf kommt ein Kerl hervor, nimmt seine Crone weg, küßt sie, schüttet dem Herzog Gift ins Ohr, und geht ab. Die Herzogin kommt zurük, und da sie den Herzog todt findet, gebehrdet sie sich gar kläglich. Der Vergifter kommt mit zween oder drey Stummen wieder, und stellt sich, als ob er mit ihr jammere. Der Leichnam wird weggetragen. Der Vergifter buhlt hierauf um die Herzogin, und bietet ihr Geschenke an; sie scheint eine Zeit lang unwillig, und unschlüssig; doch zulezt nimmt sie seine Liebe an.)
(Die Pantomime geht ab.)
Ophelia. Was soll das bedeuten?
Hamlet. Poz Stern, Fräulein, es bedeutet Unheil.
Ophelia. Vermuthlich wird es den Inhalt des Stüks vorstellen sollen?
(Der Vorredner tritt auf.)
Hamlet. Das werden wir von diesem Burschen hören: Die Comödianten können nichts Geheimes bey sich behalten; sie werden alles sagen.
Ophelia. Wird er uns sagen, was das stumme Schauspiel bedeutet?
Hamlet. Ja, oder irgend ein Schauspiel das ihr ihm zu schauen gebt. Schämt euch nicht, es ihn sehen zu lassen, so wird er sich nicht schämen, euch zu sagen was es bedeutet.
Ophelia. Ihr seyd unartig, sehr unartig; ich will auf die Comödie Acht geben.
Vorredner. Der Prologus tritt hier hervor
Und bittet eure Huld
Um ein nicht allzu-critisch Ohr
Und ziemlich viel Geduld.
(Sie gehen ab.)
Hamlet. Ist das ein Prologus, oder Poesie auf einen Ring?
Ophelia. Es war ziemlich kurz.
Hamlet. Wie Weiber-Treue.
(Der Herzog und die Herzogin des Schauspiels treten auf.)
Herzog. Dieses ganze kleine Schauspiel ist im Original in Reimen von unübersezlicher Schlechtigkeit abgefaßt. Dreissig male schon hat Phöbus seinen glänzenden Lauf durch den Himmel vollbracht, und zwölfmal dreissigmal der Mond seinen Silber-Wagen um den Erdkreis getrieben, seit Amor unsre Herzen und Hymen unsre Hände durch das Band geheiligter Liebe vereinigt hat.
Herzogin. Und eben so viele Reisen möge Sonne und Mond uns noch zählen lassen, eh das unerbittliche Geschik dieses theure Band zertrennen dürfe. Aber ach! weh mir! ihr befindet euch Zeit her so übel, und eure Gesundheit hat einen so starken Abfall erlidten, daß ich nicht anders als zittern kan: Doch lasset euch meine zärtliche Besorgnisse nicht erschreken, liebster Gemahl: Weiber fürchten allezeit wie sie lieben, in beydem mit Uebermaaß. Wie weit meine Liebe geht, hat euch die Erfahrung gelehrt; und so wie meine Liebe, ist meine Furcht. Wo die Liebe groß ist, werden die kleinsten Zweifel zu ängstlichen Besorgnissen – –
Herzog. Deine Besorgnisse täuschen dich nicht, meine Liebe; ich werde dich verlassen müssen, und das bald: Ich fühle es, daß meine Lebens-Kräfte ihren Verrichtungen nicht mehr gewachsen sind; ich werde dich verlassen, und den Trost haben dich in dieser schönen Welt geehrt und geliebt zurük zu lassen; und vielleicht wirst du bald in den Armen eines eben so zärtlichen Ehegatten – –
Herzogin. O haltet ein, liebster Gemahl, vollendet den entsezlichen Gedanken nicht! Diese auf ewig eurer Liebe geheiligte Brust, ist keiner Verrätherey fähig. Der Fluch falle auf den Tag, der mich in die Arme eines andern Mannes legen wird! Nur diejenige heyrathet den zweyten Mann, die den ersten ermordet hat – –
Hamlet. Wurmsaamen, Wurmsaamen!
Herzogin. Die Betrachtungen, wodurch man sich zur zweyten Ehe bewegen läßt, sind niederträchtiges Interesse, niemals Liebe. Mir würde es seyn, ich stösse allemal den Dolch in meines ersten Mannes Herz, so oft mich der zweyte küßte.
Herzog. Ich zweifle nicht, daß alles was ihr izt sagt, euer wahrer Ernst ist: Aber wie oft brechen wir was wir uns selbst versprochen haben! Unsre Vorsäze sind den zu frühzeitigen Früchten gleich, die zwar eine Zeit lang fest am Baume steken, aber zulezt faulen, und dann ungeschüttelt fallen. Wir vergessen nichts leichter zu bezahlen, als was wir uns selbst schuldig sind; und es ist natürlich, daß Vorsäze, die wir aus Leidenschaft fassen, zugleich mit ihrer Ursache aufhören. Uebermaaß in Vergnügen und Schmerz reibt sich allezeit selber auf; und es ist billig, daß in einer Welt, die nicht für immer gemacht ist, Schmerz und Lust ihr Ziel haben. Es ist gar nichts befremdliches darinn, wenn unsre Liebe mit unsern Umständen sich ändert, und es ist noch immer eine unausgemachte Frage, ob die Liebe das Glük, oder das Glük die Liebe leite. Ihr seht, wenn ein Grosser fällt, so fliehen seine Günstlinge, und der Arme, der emporkommt, macht seine Feinde zu Freunden; wie hingegen derjenige, der in der Noth einen hohlen Freund auf die Probe sezen will, sich geradezu einen Feind macht. Um also zum Schluß dessen was ich angefangen habe zu kommen, so däucht mich, unsre Wünsche und unsre Umstände durchkreuzen einander so oft, daß unsre Vorsäze selten in unsrer Gewalt bleiben; unsre Gedanken sind unser, aber nicht ihre Ausführung. Denke also immer, meine Liebe, daß du keinen zweyten Gemahl nehmen wollest, aber laß diese Gedanken sterben, sobald dein erster Mann gestorben ist.
Herzogin. O! dann gebe mir weder die Erde Nahrung, noch der Himmel Licht! Dann komme bey Tag und bey Nacht weder Freude in mein Herz noch Ruhe auf meine Auglieder! Elender sey mein Leben als das Leben des büssenden Einsiedlers, ein fortdaurender Tod; jeder meiner Wünsche begegne dem was ihm am meisten entgegen ist, und ewige Qual verfolge mich hier und dort, wenn ich aus einer Wittwe, jemals wieder eine Vermählte werde.
Hamlet. Wenn sie diese Schwüre bricht – –
Herzog. Das sind grosse Schwüre! Meine Geliebteste, verlaß mich izt eine Weile; meine Geister werden matt; ich will versuchen, ob ich schlafen kan – –
(Er entschläft.)
Herzogin. Ruhe sanft, und niemals, niemals komme Unglük zwischen uns beyde!
(Sie geht ab.)
Hamlet
(zur Königin.)
Gnädige Frau, wie gefällt euch dieses Stük?
Königin. Mich däucht, die Dame verspricht zu viel.
Hamlet. O, wir werden sehen, wie sie ihr Wort halten wird.
König. Kennt ihr den Inhalt des Stüks? Ist nichts anstössiges darinn?
Hamlet. Nein, gar nichts; es ist alles nur Spaß; sie vergiften nicht im Ernst; auf der Welt nichts anstössiges.
König. Wie nennt sich das Stük?
Hamlet. Die Maus-Falle; – – In der That, in einem figürlichen Verstande, vermuthlich – – Das Stük ist die Vorstellung eines Mords der in Wien begegnet ist; Gonzago ist des Herzogs Name, seine Gemahlin heißt Baptista; ihr werdet gleich sehen, daß es ein schelmisches Stük Arbeit ist; aber was thut das uns? Eure Majestät und andre, die ein gutes Gewissen haben, geht es nichts an; der mag sich krazen, den es jukt; wir haben eine glatte Haut.
(Lucianus tritt auf.)
Das ist einer, Namens Lucianus, ein Neffe des Herzogs.
Ophelia. Man kan den Chor mit euch ersparen, Gnädiger Herr.
Hamlet. Hier hat man zwey Scherz-Reden Hamlets weglassen müssen, wovon die erste dem Uebersezer unverständlich, und die andre eine zweydeutige Zote ist. – – Nun, fang einmal an, Mörder. Hör auf, deine verteufelte Gesichter zu schneiden, und fang an. Komm, der krächzende Rabe schreyt um Rache.
Lucianus
Schwarze Gedanken; willige Hände; schnellwürkendes Gift, und gelegne Zeit – – Alles stimmt zusammen, und kein Mensch ist da, der mich sehen könnte. Ergiesse, du fatale Mixtur, aus mitternächtlichen Kräutern gezogen, und dreyfach mit Hecates Zauber-Fluch geschwängert, ergiesse deine verderbliche Natur und magische Eigenschaft, und mach' einem mir verhaßten Leben ein plözliches Ende!
((Er gießt dem schlaffenden Herzog das Gift in die Ohren.)
Hamlet
(zum Könige.)
Er vergiftet ihn in seinem Garten, um Herr von seinem Vermögen zu werden; sein Nam' ist Gonzago; die Historie davon ist im Druk, sie ist im besten Toscanischen geschrieben. Sogleich werdet ihr sehen, wie der Mörder auch die Liebe von Gonzago's Gemahlin gewinnt – –
Ophelia. Der König steht auf.
Hamlet. Wie, von einem blinden Lermen erschrekt?
Königin. Was fehlt meinem Gemahl?
Polonius. Hört auf zu spielen!
König. Gebt mir Licht. Weg! weg!
Alle. Lichter, Lichter, Lichter!
(Sie gehen in Verwirrung ab.)
(Hamlet und Horatio bleiben.)
Hamlet.
Laßt weinen den verwundten Hirsch,
Der unverlezte scherzt: Denn billig wacht die Missethat Indem die Unschuld schläft. |
Würde das, Herr, (wenn alles andre fehlschlüge) und ein Wald von Federn auf dem Hut, und ein paar ungeheure Rosen auf meinen gestreiften Schuhen, mir nicht einen Plaz unter einen Kuppel von Comödianten verschaffen?
Horatio. Ich mache mit, wenn's dazu kommt.
Hamlet. O mein guter Horatio, ich wollte des Geists Wort für zehntausend Thaler annehmen. Hast du's gesehen?
Horatio. Nur gar zu wohl, Gnädiger Herr.
Hamlet. Wie die Rede vom Vergiften war?
Horatio. Ich hab' es sehr wol beobachtet.
(Rosenkranz und Güldenstern treten auf.)
Hamlet. He! holla! kommt, spielt uns eins auf. Kommt, wo sind die Flöten? Wenn die Comödie dem König nicht gefällt, nun, so gefällt sie ihm eben nicht, und er muß wissen warum. Kommt, spielt auf, sag ich.
Güldenstern. Mein Gnädiger Prinz, erlaubet mir ein Wort mit euch zu reden – –
Hamlet. Eine ganze Historie, Herr.
Güldenstern. Der König, mein Herr – –
Hamlet. So, mein Herr, was giebt's von ihm?
Güldenstern. Hat sich in sein Cabinet verschlossen, und befindet sich ausserordentlich übel – –
Hamlet. Vielleicht von zu vielem Wein?
Güldenstern. Nein, Gnädiger Herr, von Galle – –
Hamlet. Eure gewöhnliche Weisheit hat euch nicht wohl gerathen, mein Herr, da sie euch zu mir gewiesen hat; zum Doctor hättet ihr gehen sollen; ich kan hier nichts; denn wenn ich ihm auch ein Purgier-Mittel eingeben wollte, so möcht' es ihm leicht noch mehr Galle machen.
Güldenstern. Gnädiger Herr, höret mich an, anstatt durch solche seltsame Absprünge meinem Vortrag auszuweichen.
Hamlet. Ich will stehen bleiben, Herr – – Sprecht!
Güldenstern. Die Königin, eure Frau Mutter, schikt mich in grössester Betrübniß ihres Herzens zu euch.
Hamlet. Ihr seyd willkommen.
Güldenstern. Nein, Gnädiger Herr, dieses Compliment ist hier ausser seinem Plaz. Wenn es euch beliebig ist, mir eine gesunde Antwort zu geben, so will ich mich des Auftrags entledigen, den mir eure Mutter aufgegeben hat; wo nicht, so werdet ihr mir verzeihen, wenn ich gehe, und mein Geschäft für geendigt halte.
Hamlet. Herr, das kan ich nicht – –
Güldenstern. Was, Gnädiger Herr?
Hamlet. Euch eine gesunde Antwort geben; mein Wiz ist gar nicht wohl auf Aber, Herr, so gut als ich eine Antwort geben kan, steht sie euch zu Diensten; oder vielmehr wie ihr sagt, meiner Mutter – – also nur ohne fernern Umschweif zur Sache! – – Meine Mutter, sagt ihr – –
Rosenkranz. Nun dann, das sagt sie; euer Betragen hat sie in das äusserste Befremden und Erstaunen gesezt.
Hamlet. O erstaunlicher Sohn, der seine Mutter so in Erstaunen sezen kan! Aber stolpert nicht etwann eine Folge hinter dieser Erstaunung her?
Rosenkranz. Sie wünscht, eh ihr zu Bette geht, in ihrem Cabinet mit euch zu sprechen.
Hamlet. Wir werden gehorchen, und wenn sie zehnmal unsre Mutter wäre. Habt ihr noch weiter was mit uns zu handeln?
Rosenkranz. Gnädiger Herr, ihr liebtet mich einst – –
Hamlet. Das thu ich noch – –
Rosenkranz. Nun, dann, liebster Prinz, um unsrer alten Freundschaft willen, was ist die Ursache dieses euers seltsamen Humor's? Seyd versichert, ihr sezt eure eigne Freyheit in Gefahr, wenn ihr euch länger weigert, eure Beschwerden einem Freunde zu vertrauen.
Hamlet. Mein Herr, ich möchte gern Befördrung.
Rosenkranz. Wie kan das seyn, da ihr das Königliche Wort für eure Thronfolge in Dännemark habt?
Hamlet. Schon gut, aber, weil das Gras wächßt – – Das Sprüchwort ist ein wenig schmuzig.
(Einer mit einer Flöte tritt auf.)
O, die Flöten; laßt mich eine sehen – – Wir gehen mit einander, mein Herr – – Wie, warum geht ihr so um mich herum, mir den Wind abzugewinnen, als ob ihr mich in ein Garn treiben wolltet?
Güldenstern. O mein Gnädiger Prinz, wenn mich meine Pflicht zu kühn macht, so zwingt mich meine Liebe so gar unhöflich zu seyn.
Hamlet. Das versteh' ich nicht allzuwol. Wollt ihr auf dieser Flöte spielen?
Güldenstern. Ich kan nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet. Ich bitte euch.
Güldenstern. Glaubt mir, auf mein Wort, ich kan nicht.
Hamlet. Ich bitte recht sehr.
Güldenstern. Ich kenne keinen Griff, Gnädiger Herr.
Hamlet. Es ist eine so leichte Sache als Lügen; regiert die Windlöcher mit euern Fingern und dem Daumen, blaßt mit euerm Mund darein, und es wird die beredteste Musik von der Welt von sich geben. Seht ihr, hier sind die Griff-Löcher.
Güldenstern. Aber das ist eben der Fehler, daß ich sie nicht zu greiffen weiß, damit eine Harmonie heraus komme; ich verstehe die Kunst nicht.
Hamlet. So? seht ihr nun, was für ein armseliges Ding ihr aus mir machen wollt; ihr möchtet gern auf mir spielen; ihr möchtet dafür angesehen seyn, als ob ihr meine Griffe kennet; ihr möchtet mir gern mein Geheimniß aus dem Herzen herausziehen; ihr wollt daß ich euch von der untersten Note an bis zur höchsten angeben soll; das wollt ihr; und es ist so viel Musik, ein so reizender Gesang in diesem kleinen Stüke Holz, und doch könnt ihr sie nicht herausbringen? Wie, bildet ihr euch ein, daß ich leichter zu spielen bin als eine Pfeiffe? Nennt mich welches Instrument ihr wollt, aber wenn ihr schon auf mir herumpfuschen könnt, so könnt ihr doch nicht auf mir spielen – – Grüß euch Gott, mein Herr – –
(Polonius (zu den Vorigen.)
Polonius. Gnädiger Herr, die Königin möchte gern mit euch sprechen, und das sogleich.
Hamlet. Seht ihr dort jene Wolke, die beynahe wie ein Camel aussieht?
Polonius. Bey Sct. Veit, in der That, vollkommen wie ein Camel.
Hamlet. Mich däucht, sie gleicht eher einer Amsel.
Polonius. Sie ist schwarz wie eine Amsel.
Hamlet. Oder einem Wallfisch?
Polonius. Sie hat viele Aehnlichkeit mit einem Wallfisch, das ist wahr.
Hamlet. Nun, so will ich gleich zu meiner Mutter kommen – – (vor sich.) – – Die Kerls werden mich noch toll machen – – Ich will kommen, augenbliklich.
Polonius. Ich will es so sagen.
Hamlet. Augenbliklich ist bald gesagt. Laßt mich allein, gute Freunde.
(Sie gehen ab.)
Es ist nun Mitternacht, die Zeit wo Zauberer und Unholden hinter dem Vorhang der Finsterniß ihre abscheulichen Künste treiben; die Zeit, wo Kirchhöfe ihre Todten auslassen, und die Hölle selbst verpestete Seuchen in die Oberwelt aufdünstet. Nun könnt ich heisses Blut trinken, Dinge thun, von deren Anblik der bessere Tag zurükschauern würde. Stille! Nun zu meiner Mutter – – O mein Herz, verliehre deine Natur nicht! Laß nicht, o! nimmermehr! die Seele des Nero in diesen entschlossenen Busen fahren; ich will grausam seyn, nicht unnatürlich; ich will Dolche mit ihr reden, aber keinen gebrauchen. Hierinn sollen meine Zunge und mein Herz nicht zusammen stimmen. So unbarmherzig immer meine Worte mit ihr verfahren werden, so fern sey es doch auf ewig von meiner Seele, sie ins Werk zu sezen.
(Er geht ab.)
(Der König, Rosenkranz und Güldenstern treten auf.)
König. Er gefällt mir gar nicht, und es würde auch nicht sicher für uns seyn, diese Tollheit so ungebunden fortschwärmen zu lassen. Macht euch also reisefertig; ich will euch unverzüglich eure Instruction aufsezen, und er soll mit euch nach England. Die Umstände gestatten nicht, uns den Gefahren bloß zu stellen, welche stündlich aus seinen Mondsüchtigen Launen entstehen können.
Güldenstern. Wir wollen uns anschiken; es ist eine höchst gerechte und heilige Furcht, für so vieler tausend Personen Sicherheit besorgt zu seyn, die in Eu. Majestät leben.
Rosenkranz. Es ist die Privat-Pflicht eines jeden Menschen, alle Kräfte seines Verstands dazu anzustrengen, sich selbst vor Schaden zu bewahren: Aber vielmehr ist es eine Pflicht deßjenigen Geists, der die Seele des ganzen Staats-Körpers ist, und von dessen Wohl das Leben so vieler andern abhängt. Der Tod eines Königs ist nicht der Tod eines einzigen, sondern zieht, wie ein Strudel alles was ihm nahe kommt, in sich. Er ist wie ein Rad, das von dem Gipfel des höchsten Bergs herunter gewälzt, unter seinen ungeheuren Speichen tausend kleinere Dinge die daran hangen zertrümmert. Ein König seufzt nie allein; wenn er leidet, leiden alle.
König. Rüstet euch, ich bitte euch, aufs eilfertigste zu dieser Reise; wir müssen dieser Gefahr Fesseln anlegen, die bisher so frey herum gegangen ist.
Beyde. Wir wollen unser äusserstes thun.
(Sie gehen ab.)
(Polonius tritt auf.)
Polonius. Gnädigster Herr, er ist im Begriff, in seiner Frau Mutter Cabinet zu gehen; ich will mich hinter die Tapeten versteken, um zu hören, wie sie ihm den Text lesen wird. Denn wie Euer Majestät sagte, (und es war weislich gesagt) es ist nicht überflüssig, daß noch jemand andrer als eine Mutter, (die das mütterliche Herz immer partheyisch zu machen pflegt) mit anhöre, was er zu seiner Verantwortung sagen wird. Lebet wohl, mein Gebieter, ich will euch wieder aufwarten, eh ihr zu Bette geht, und euch erzählen, was ich gehört haben werde.
(Er geht ab.)
König. Ich danke euch, mein ehrlicher Polonius. (allein.) O! Mein Verbrechen ist stinkend; es riecht zum Himmel hinauf; es ist mit dem ältesten Fluche beladen; ein Bruder-Mord – – Beten kan ich nicht – – wie könnt' ich, da ich, in innerlichem Streit zwischen meiner Neigung und meinem Vorsaz demjenigen gleich bin, der zwey Geschäfte vor sich liegen hat, und unterm Zweifel, welches er zuerst thun soll, beyde versäumt. – – Wie, wenn diese verbrecherische Hand diker als sie ist, mit Bruder-Blut überzogen wäre? Hat der allgütige Himmel nicht Regen genug, sie schneeweiß zu waschen? Wozu dient Barmherzigkeit, als dem Verschuldeten Gnade zu erweisen? Hat nicht das Gebet diese doppelte Kraft, uns Unterstüzung zu verschaffen, eh wir fallen, oder Vergebung, wenn wir gefallen sind? So will ich dann aufschauen – – Mein Verbrechen ist hinweg. Aber, o! was für eine Formul von Gebet kan ich gebrauchen? – – »Vergieb mir meinen schändlichen Mord!« – – Das kan nicht seyn, da ich noch immer im Besiz der Vortheile bin, um derentwillen ich diesen Mord begieng – – meiner Krone, und meiner Königin? Wie kan ein Verbrecher Vergebung hoffen, so lang er sich den Gewinn seiner Uebelthat vorbehält? Ja, nach dem verkehrten Lauf dieser Welt kan es seyn, kan des Verbrechens übergüldete Hand das Auge der Gerechtigkeit zuschliessen; hier, wo oft der Lohn der Ungerechtigkeit selbst das Gesez auskauft; aber so ist es nicht dort oben: Dort gelten keine Ausflüchte; dort liegt die That in ihrer natürlichen Blösse da, und wir sind gezwungen, ihr Zeugniß wieder uns, im Angesicht unsrer Sünden, zu bekräftigen. Wie dann? Was bleibt übrig? – – Versuchen, was Reue vermag: Was vermag sie nicht? – – Aber was vermag blosse unfruchtbare Reue? – – O unseliger Zustand! O, im Schlamme versunkene Seele! die du desto tiefer versinkst, je mehr du dich losarbeiten willst. Helft mir, ihr Engel! helfet! Zur Erde, ihr ungeschmeidigen Kniee! Und du, Herz mit Fibern von Stahl, enthärte dich, und werde so weich wie die Sehnen eines neugebohrnen Kinds! – – Es kan noch alles gut werden.
((Er begiebt sich in den hintersten Theil der Scene und kniet nieder.)
(Hamlet tritt auf.)
Hamlet. Izt könnt' ich's am füglichsten thun, izt da er betet, und izt will ich's thun – – so fährt er doch gen Himmel – – Und das sollte meine Rache seyn? Das würde fein lauten! – – Ein Bösewicht ermordet meinen Vater, und davor schik ich sein einziger Sohn, diesen nemlichen Bösewicht gen Himmel – – O, das wäre Belohnung nicht Rache! Er überfiel meinen Vater unversehens, bey vollem Magen, mit allen seinen in voller Blüthe stehenden Sünden – – und wie es nun um ihn steht, weiß allein der Himmel – – Unsern Begriffen nach übel genug. Wär ich also gerochen, wenn ich ihm in dem Augenblik wegnähme, da sich seine Seele ihrer Schulden entladen hat, da sie zu diesem Uebergang geschikt ist? – – Hinein, mein Schwerdt; du bist zu einem schreklichern Dienst bestimmt! Wenn er betrunken ist und schläft, oder im Ausbruch des Zorns, oder mitten in den blutschänderischen Freuden seines Bettes, wenn er spielt, flucht, oder sonst etwas thut, das keine Hoffnung der Seligkeit übrig läßt, dann gieb ihm einen Stoß, daß er seine Beine gen Himmel streke, indem seine schwarze Seele zur Hölle fährt – – Meine Mutter wartet auf mich – – eine Arzney, die zu nichts dient, als eine unheilbare Krankheit zu verlängern.
(Er geht ab.)
(Der König steht auf, und tritt vorwärts.)
König. Meine Worte fliegen auf, meine Gedanken bleiben zurük; und Worte ohne Gedanken langen nie im Himmel an.
(Er geht ab.)
(Verwandelt sich in das Cabinet der Königin.)
(Die Königin und Polonius treten auf.)
Polonius. Er wird sogleich da seyn; seht, daß ihr rund mit ihm zu Werke geht; sagt ihm, die Streiche die er gespielt habe seyen zu grob, zum Ausstehen; der König sey sehr ungehalten darüber, und wenn ihr nicht seine Fürsprecherin gewesen wäret, so hätte es Folgen haben können – – Ich will mich hier verbergen; ich bitte euch, sagt ihm die Meynung fein scharf.
Hamlet
(hinter der Scene.)
Mutter! Mutter! – –
Königin. Seyd deßwegen ohne Sorge; verlaßt euch auf mich – Entfernt euch, ich hör' ihn kommen.
(Polonius verbirgt sich hinter die Tapeten.)
(Hamlet tritt auf.)
Hamlet. Nun, Mutter, was ist die Sache?
Königin. Hamlet, du hast deinen Vater sehr beleidiget.
Hamlet. Mutter, ihr habt meinen Vater sehr beleidiget.
Königin. Kommt, kommt, ihr gebt mir eine verkehrte Antwort.
Hamlet. Sie schikt sich auf eine boshafte Anrede.
Königin. Wie, was soll das seyn, Hamlet?
Hamlet. Was wollt ihr dann?
Königin. Kennst du mich nicht mehr?
Hamlet. Nein, beym Himmel, das nicht; ihr seyd die Königin, euers Gemahls Bruders Weib, aber ich wollte, ihr wäret es nicht! – – Ihr seyd meine Mutter.
Königin. Gut, wenn du aus diesem Ton anfängst, so will ich dir jemand antworten lassen, der reden kan – –
Hamlet. Kommt, kommt, und sezt euch nieder; ihr sollt mir nicht von der Stelle: Ich laß euch nicht gehen, bis ich euch einen Spiegel vorgehalten habe, worinn ihr euch bis auf den Grund eurer Seele sehen sollt.
Königin. Was hast du im Sinn? Du wirst mich doch nicht ermorden wollen? Hülfe! ho!
Polonius
(hinter der Tapete.)
Wie? He, Hülfe!
Hamlet. Was giebt's da? Eine Maus? Todt um einen Ducaten, todt.
(Er ersticht den Polonius.)
Polonius. O, ich bin ein Mann des Todes.
Königin. Weh mir! Was hast du gethan?
Hamlet. In der That, ich weiß es nicht: Ist es der König?
Königin. O, was für eine rasche und blutige That ist das!
Hamlet. Eine blutige That; beynahe so schlimm, meine gute Mutter, als einen König ermorden und seinen Bruder heyrathen.
Königin. Einen König ermorden?
Hamlet. Ja, Gnädige Frau, das war mein Wort. (Zu Polonius.) Du unglüklicher, unbesonnener, unzeitig-geschäftiger Thor, fahr du wohl! Ich hielt dich für einen Grössern als du bist; habe nun, was du dir zugezogen hast; du erfährst nun, daß es gefährlich ist, sich gar zu viel zu thun zu machen – – (Zur Königin.) Macht nicht so viel Hände-Ringens, still, sezt euch nieder, und laßt mich euer Herz in die Presse nehmen; denn das will ich thun, wenn es anders von lasterhafter Gewohnheit nicht so eisenhart worden ist, daß es alles Gefühl verlohren hat.
Königin. Was hab ich gethan, das dich vermessen genug macht, mich so rauh anzulassen?
Hamlet. Eine That, welche die keusche Röthe der Unschuld selbst verdächtig macht, und die Tugend eine Heuchlerin nennt; die Rose von der schönen Stirne einer rechtmäßigen Liebe wegreißt und eine Eyter-Beule an ihre Stelle sezt; eine That, die den Ehgelübden nicht mehr Glauben übrig läßt, als die Schwüre falscher Würfel-Spieler haben – – O! so eine That, die den ehrwürdigsten Verträgen die Seele ausreißt, und die holde Religion in leeren Wörter-Schall verwandelt. Des Himmels Angesicht sieht, seit dem diese That geschehen ist, mit trübem Auge auf diesen Erdball herab; so düster und traurig, wie beym Anbruch des Welt-Gerichts.
Königin. Weh mir, was für eine That?
Hamlet. Die so laut brüllt, daß sie bis in die Indien donnert – – Seht hieher, seht auf dieses Gemählde, und auf dieses, die Abbildungen zwoer Brüder: seht, was für eine Würde saß auf dieser Stirne – – Hyperions Loken – – die Stirne des Jupiters selbst – – ein Auge, wie des Kriegs-Gottes, zu schreken oder Befehle zu herrschen; eine Stellung, wie des Herolds der Götter, der sich eben auf einen himmelküssenden Hügel herabgeschwungen hat; eine Gestalt, auf welche jeder Gott sein Siegel gesezt zu haben schien um der Welt zu urkunden, daß das ein Mann sey. Das war euer Gemahl – – Seht nun hieher; hier ist euer Gemahl, er, der wie der Mihlthau eine gesunde Aehre, seinen Bruder vergiftete. Habt ihr Augen? Konntet ihr die gute Weyde auf diesem schönen Berge verlassen, um euch in diesem Morast zu wälzen? Ha! habt ihr Augen? Ihr könnt es nicht Liebe heissen; denn, in euerm Alter, ist das Blut zahm, und läßt sich von der Vernunft leiten; und welche Vernunft würde von diesem zu diesem übergehen? Sinnlichkeit habt ihr, das ist gewiß; sonst könntet ihr keine Vorstellung haben; aber diese Sinnen sind vom Schlage getroffen: Wahnwiz könnte sich nicht so sehr verirrt haben; so toll wird niemand, daß ihm nicht noch immer so viel Unterscheidungs-Kraft übrig bleibe, eine solche Verschiedenheit wahrzunehmen – – Was für ein Teufel hat euch denn die Augen verbunden, wie ihr diese Wahl machtet? Augen ohne Gefühl, Gefühl ohne Augen, Ohren ohne Hände oder Augen, oder nur ein kranker Rest eines einzigen unverblendeten Sinn's hätte sich nicht so verfehlen können – – O Schaam! wo ist deine Röthe? Rebellische Hölle, wenn du in den Gebeinen einer Matrone einen solchen Aufruhr machst, so laß immer die Keuschheit der Jugend Wachs seyn, und in ihrem eignen Feuer wegschmelzen. Ruft keine Schande aus, wenn der ungestüme Trieb der Jugend-Hize in Ausschweiffung auflodert, da der Frost selbst eben so ungezähmt brennt, und Vernunft die Kupplerin schnöder Lüste wird.
Königin. O Hamlet, halte ein! Du drehst meine Augen in meine innerste Seele, und da seh ich so schwarze, so häßliche Fleken, daß sie nimmermehr ihre Farbe verliehren werden.
Hamlet. Gewiß nicht, so lang ihr fähig seyd in dem stinkenden Schweiß eines blutschändrischen Bettes zu leben, der Liebe in einem unflätigen Schwein-Stalle zu pflegen – –
Königin. O höre auf; diese Reden dringen wie Dolche in meine Ohren – – Nichts mehr, lieber Hamlet.
Hamlet. Ein Mörder, und ein schlechter Kerl oben drauf! – Ein Sclave, der nicht der zwanzigste Theil eines Zehentheils von euerm ersten Herrn ist, der Pikelhäring unter den Königen, ein feiger Schurke und Gaudieb, der die Krone von einem Küssen wegstahl, und sie in seinen Schnapsak stekte – –
Königin. Genug, genug – –
((Der Geist läßt sich sehen.)
Hamlet. Ein zusammengeflikter Lumpen-König – – Himmel! (Er starrt mit Entsezen auf.) umschwebet mich mit euern Flügeln, ihr himmlischen Wächter! – – Was will deine ehrwürdige Erscheinung?
Königin. O weh! er ist wahnsinnig – –
Hamlet. Kommt ihr nicht, euern trägen Sohn zu beschelten, der die Zeit in unthätigem Gram verliehrend, das grosse Werk, das ihr ihm anbefohlen habt, liegen läßt?
Geist. Vergiß es nicht: Dieser Besuch hat sonst keine Absicht, als deinen fast stumpfen Vorsaz zu wezen. Aber, siehe! Erstaunen ergreift deine Mutter! O tritt zwischen sie und ihre kämpfende Seele: In den schwächsten Körpern wirkt die Einbildung am stärksten. Rede mit ihr, Hamlet.
Hamlet. Wie steht es um euch, Gnädige Frau?
Königin. O weh! wie steht es um dich? daß du deine Augen so auf einen Ort ohne Gegenstand heftest, und mit der unkörperlichen Luft Gespräche führst? Deine Geister schauen wild aus deinen Augen heraus, und gleich schläfernden Soldaten bey einem plözlichen Alarm, starren deine Haare, wie beseelt, empor, und stehen unbeweglich auf ihren Enden – – O mein lieber Sohn, sprize kalte Geduld auf das Feuer deiner Leidenschaft – – Was schauest du so an?
Hamlet. Ihn! Ihn selbst! – – Seht ihr den düstern Schein, den er von sich giebt? Seine Gestalt und seine Sache zusammengenommen, könnten Steine in Bewegung und Leidenschaft sezen – – O sieh mich nicht an, oder dieser traurige Blik verwandelt meinen frömmern Vorsaz in Wuth – – und macht hier Blut für Thränen fliessen.
Königin. Mit wem redet ihr?
Hamlet. Seht ihr denn nichts hier? (Er zeigt mit dem Finger auf den Geist.)
Königin. Nicht das geringste; und doch seh ich alles was ist.
Hamlet. Hört ihr auch nichts?
Königin. Nein, nichts als uns beyde.
Hamlet. Wie, seht nur dorthin! Seht, wie es hinweg gleitet! Mein Vater in seiner leibhaften Gestalt! Seht, eben izt geht es durch die Thüre hinaus.
(Der Geist verschwinde.)
Königin. Es ist ein blosses Gespenst euers Hirns, ein unwesentliches Geschöpf der schwärmenden Phantasie.
Hamlet. Was Phantasie? Mein Puls schlägt so regelmässig als der eurige – – Ich habe nicht in tollem Muth gesprochen; sezt mich auf die Probe; ich will euch alles von Wort zu Wort wieder hersagen; das kan der Wahnwiz nicht – – Mutter, um des Himmels willen, legt diese schmeichlerische Salbe nicht auf eure Seele, als ob nicht euer Verbrechen, sondern meine Tollheit rede: Das würde nur den eyternden Schaden mit einer Haut überziehen, indeß das fäulende Gift inwendig um sich frässe und das Uebel unheilbar machte. Beichtet eure Sünde dem Himmel; bereuet, was geschehen ist, und vermeidet, was noch geschehen kan – – Leget keine Düngung auf Unkraut, um es noch üppiger zu machen. Vergebet mir diese meine Tugend; weil doch in dieser verdorbnen Zeit die Tugend das Laster um Vergebung bitten, und sich noch büken und krümmen muß, um Erlaubniß zu erhalten, ihm Gutes zu thun.
Königin. O Hamlet! Du hast mir das Herz entzwey gebrochen.
Hamlet. O werft den schadhaften Theil weg, und lebt desto gesünder mit der andern Hälfte. Gute Nacht; aber geht nicht in meines Oheims Bette: Zwingt euch zur Tugend, wenn ihr sie nicht in euerm Herzen findet. Die Gewohnheit, dieses Ungeheuer, welches das Gefühl aller bösen Fertigkeiten wegfrißt, ist doch darinn ein Engel, daß sie auch die Ausübung schöner und guter Handlungen erleichtert: Thut euch diese Nacht Gewalt an; das wird die folgende Enthaltung schon weniger mühsam machen; die nächstfolgende wird schon leichter seyn: Denn Uebung im Guten kan sogar den Stempel der Natur auslöschen, ja den Teufel selbst überwältigen und austreiben, so sehr er sich entgegen sträubt. Noch einmal, gute Nacht! und wenn ihr selbst nach dem himmlischen Segen begierig seyd, denn will ich euch um euern Segen bitten – – Was diesen ehrlichen Mann betrift, (er zeigt auf die Leiche des Polonius) so ist mir's leid; aber es hat nun dem Himmel so gefallen, einen durch den andern zu straffen, und mich zur Geisel zu machen, um sie zu züchtigen. Ich will für ihn sorgen, und für den Tod, den ich ihm gab, soll sein Geist Genugthüung von mir haben; hiemit noch einmal gute Nacht! Ich muß grausam seyn, um eine gute Absicht zu erhalten – – Der Anfang ist nun gemacht, aber das Schlimmste steht noch bevor.
Königin
(in Verlegenheit.)
Was soll ich thun?
Hamlet
(entrüstet und spöttisch.)
Ja bey Leibe nichts von allem, warum ich euch gebeten habe – – Euch von euerm strozenden König wieder in sein Bette loken, in die Baken zwiken, sein Mäuschen nennen lassen; um ein paar stinkende Küsse, oder dafür, daß er euch mit seinen verdammten Fingern am Halse herum krabbelt, euch den ganzen Inhalt unsrer Unterredung abtändeln lassen, und daß ich nicht wirklich, sondern nur verstellter Weise toll bin. Es wäre recht gut, wenn ihr ihn das wissen liesset. Denn warum sollte auch eine so schöne, kluge, tugendsame Königin Sachen von solcher Wichtigkeit vor einer Kröte, vor einer Fledermaus, vor einer Meer-Kaze geheim halten? Wer wollte das thun? Nein, troz der Vernunft und Verschwiegenheit! Zieht den Nagel aus dem Korb auf dem Dach, laßt die Vögel ausfliegen, und kriecht, wie der Affe in der Fabel, dafür in den Korb hinein, und wenn ihr euern eignen Hals darüber brechen solltet.
Königin. Sey du versichert, wenn Worte aus Athem, und Athem aus Leben gemacht sind, so hab ich kein Leben, um zu athmen was du mir gesagt hast.
Hamlet. Ich muß nach England, das wißt ihr doch?
Königin. Ach ja, das hatt' ich vergessen; so ist's beschlossen worden.
Hamlet. Die Briefe sind schon gesiegelt, und meine zween Schul-Cameraden (denen ich trauen will, wie ich einer Otter in meiner Hand trauen wollte) tragen die Instruction; sie sollen mit mir reisen, und meine Wegweiser in die Grube seyn, die mir gegraben ist: Wir wollen sehen, was daraus wird – – Denn das ist eben der Spaß, wenn der Artillerist in seiner eignen Mine in die Luft gesprengt wird; und es muß hart hergehen, wenn ich nicht eine Ruthe tiefer als sie grabe und sie in den Mond hinein blase. O es ist ein Vergnügen, wenn eine List in gerader Linie auf die andre stößt! – – Diesen wakern Mann hier will ich aufpaken – – Er ist zu schwer; ich will den Wanst in das nächste Zimmer schleppen; gute Nacht, Mutter – – In der That, dieser geheime Rath, der in seinem Leben ein alberner plauderhafter Bube war, ist nun auf einmal gesezt, gravitätisch und verschwiegen worden. Kommt, Sir, wir wollen euch an Ort und Stelle bringen – – Gute Nacht, Mutter.
(Hamlet geht ab, und schleppt den Polonius nach.)