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Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794

 

Die gegenwärtigen Nachrichten erschienen im Jahre 1796 unter dem Titel:

»Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794; von J. G. Seume, Russisch-Kaiserlichem Lieutenant. – Leipzig, bey Gottfried Martini, 1796«.

Von den 151 Druckseiten der mit einem Titelkupfer, »Igelström's Tod«, gezierten Schrift enthalten S. 1–108 die Nachrichten über Polen und S. 109–150 folgende Gedichte Seume's:

Auf Igelström's Tod
Gebet eines Mannes, der selten betet
An die Schwermuth
Die Beterin
An einen an der Düna bei Riga gefundenen Todtenkopf
Rückerinnerung. An meinen Freund Münchhausen
Ruhe

 

 

Dem Herrn Grafen von Hohenthal
auf Knauthain, Städteln, Lauer etc.
aus wahrer Dankbarkeit gewidmet.

 

 

Verehrungswürdiger Wohlthäter!

Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, als ein rechtschaffener Mann mich Ihnen einst mit den Worten empfahl: »Er ist ein Knabe guter Art, der Segen seines Vaters ruhet auf ihm.« Seine Empfehlung galt; und noch jetzt thut dem Kriegsmanne die Erinnerung im Herzen so wohl, als sie dem Jünglinge oft am Grabe des Vaters that.

Ich bin stolz, Ihnen hier öffentlich die Größe meiner Verbindlichkeiten zu wiederholen. Ihnen kann es gleichgiltig sein, ob Jemand vom Publicum weiß, was ich Ihnen schuldig bin, aber mir nicht; denn dieses ist die einzige Art, in welcher Sie Zahlung annehmen und ich einigermaßen leisten kann. Das Opfer ist klein; ich wäre aber sehr unglücklich, wenn Sie oder meine ästhetischen Beurtheiler seinen Werth nach dem Volumen des Inhaltes nehmen sollten. Auf alle Fälle hoffe ich, sei auch des Geistes noch so wenig darin, daß es der Stempel eines guten, philanthropischen Herzens bezeichnet. Wenn irgend eine gute Seele bei einer gut gedachten und gut gesprochenen Stelle mir mit einer leisen Empfindung des Dankes lohnen sollte, so übergebe ich Ihnen den Zoll, den ich durch Ihre Güte zu empfangen in den Stand gesetzt wurde.

So veränderlich auch meine Lage war und werden mag, so wird doch meine Dankbarkeit unter jeder Gestalt beständig die nämliche bleiben.

Leipzig, 1796.

J. G. Seume.

 

Vorbericht

»Wer Wahrheit sucht, muß kein Vaterland haben!« sagt irgend ein Bemerker der Menschen. Kein Mann von Sinn wird in Versuchung kommen, diese Aeußerung wörtlich zu nehmen. Sie will blos sagen, der Wahrheitsforscher in jeder Rücksicht müsse von äußern Verhältnissen, die ihm Parteilichkeit einflößen könnten, abstrahiren und ohne Leidenschaft die Dinge, wie sie sind, betrachten und darstellen. Ich glaube in folgendem Aufsatze dieses befolgt zu haben, welches mir um so leichter ward, da wirklich jede Heftigkeit und Einseitigkeit des Parteigängers außer meinem Charakter liegt. Freilich darf ich wol schwerlich hoffen, durch meinen Beitrag zur Geschichte den warmen Beifall irgend einer Partei zu erhalten; es ist dieses aber auch nicht meine Absicht. Wenn der künftige pragmatische Geschichtsforscher aus demselben nur einige Belege für Wahrheit ziehen kann, so ist die Bekanntmachung dieser Blätter gewiß nicht ohne Nutzen. Diese Form habe ich beibehalten, weil es wirklich die ursprüngliche war, ob ich gleich damals noch nicht an den Druck dachte.

Die Gründe, welche mich zur Bekanntmachung bestimmten, will ich offenherzig ganz kurz angeben.

Erstlich wünschte ich meinem erschlagenen Freunde, dem Major Igelström, nach meinem Vermögen ein Todtenopfer zu bringen; zweitens meinem ehemaligen Wohlthäter öffentlich die Gefühle meines warmen Dankes auszudrücken, und sodann glaubte ich mehrern guten harmonirenden Seelen nicht ohne wohlthätige Teilnahme meine Empfindungen über verschiedene Gegenstände sagen zu können. Ich erwähne nicht der Aufmunterung mehrerer Freunde, die vielleicht aus warmer Anhänglichkeit für den Verfasser mehr äußerten, als der strengere Aesthetiker vertheidigen kann.

Ueber die Gedichte darf ich nichts sagen, wenn sie nicht ihre eigene Apologie sind. Erinnerungen von competenten Kritikern sind mir billig so willkommen, als sie einem Manne von Bescheidenheit, der selbst nichts weniger als Literator ist, und der seine Mängel sowol als sein etwaniges Gute zu fühlen gewohnt ist, irgend nur sein können. Incompetente sollten zur Ehre unserer Philosophie und unsers Geschmacks billig nicht Richter über irgend ein Werk sein. Es ist die Gewohnheit auch unserer besten Kritiker, zuweilen durch ganz lieblose Ironien und bittere Seitenhiebe ihren Mann zu mißhandeln. Der Kritiker ist Richter; dem Richter geziemt Würde, und desto mehr Würde, je mehr der Delinquent Verdammung verdient. Bloße Darstellung des Fehlerhaften, Geschmacklosen, Lächerlichen und Unsinnigen ist gewiß hinreichend und läßt den Leser weit heller sehen als die angelegte Momusmaske. Kein gutmüthiger Kritiker wird den Leser auf Kosten eines armen Schachers belustigen. Der schlechte Scribent ist schon hinlänglich durch die Verachtung des Publicums und die Sarkasmen jedes witzigen Individuums bestraft. Ich hoffe Verzeihung wegen dieser Expectoration und gebe sie jedem Edeldenkenden zur Beherzigung. Freilich, freilich ist es schwer, unter der Sündfluth von schlechten Producten beständig ernsthaft zu bleiben; aber es ist überhaupt auch schwer, Kritiker zu sein.

Der Verfasser.

 

Amicus Plato, amicus Socrates; sed magis amica veritas.

 

Sie verlangen von mir, lieber Freund, eine richtige Beschreibung der letzten sehr wichtigen Vorfälle dieses Jahres in Polen und erwarten in derselben etwas sehr Authentisches und Vollständiges; weil ich, wie Sie sagen, selbst Augenzeuge und einigermaßen Mithandler gewesen sei. Bedenken Sie aber – denn Sie kennen ja meinen Charakter in dieser und mehrern andern Rücksichten ziemlich – daß ich bei meiner Sorglosigkeit in Ansehung aller Dinge, die nicht strict zu meiner Pflicht gehören, gar nicht sehr zum genauen Bemerker und also ebenso wenig zum Geschichtschreiber geschickt bin, und daß ein Subaltern im Militär und Civil nur sehr wenig sehen, also nur sehr wenig selbst beurtheilen und verbürgen kann! Indessen, da die Sache doch für jeden Menschenbeobachter wichtiges Interesse haben muß und jeder der öffentlichen und Privaterzähler vielleicht seinen eigenen persönlichen Gesichtspunkt hat, so will ich, Ihren Wunsch zu erfüllen, so viel mir im Ganzen bekannt ist, Ihnen mittheilen; und Sie können Sich gewiß darauf verlassen, daß ich Ihnen nichts vortragen werde, wovon ich nicht entweder selbst Augenzeuge war, oder wofür ich nicht sonst giltige Bürgschaft habe. Seit langer Zeit kennen Sie meine Aufrichtigkeit, Unparteilichkeit und feste Wahrheitsliebe; Sie wissen, daß ich ohne alle Rücksicht immer mein Urtheil sage, auch wenn ich mir wol gar Nachtheil und Gefahr dadurch erwerbe. Ich bin ein ehrlicher Mann, der ohne Vorurtheile zu sehen glaubt, der seinen Satz hält, so lange er ihm Wahrheit ist, und gern den Irrthum verläßt, sobald ihn eine bessere Ueberzeugung führt. Mäßigkeit und Mäßigung sind der Charakter des vernünftigen Mannes im Physischen und Moralischen, und ich hoffe, Sie sollen ihn auch in meinen Schilderungen nicht vermissen.

Der letzte Nationalaufbruch der Polen war wol eine ganz natürliche Folge der Dinge, wenn man überlegt, wie unerwartet durch unglückliche Conjuncturen, Anarchie im Innern, Machinationen von allen Seiten, Zwist und Niederträchtigkeit seiner Bürger der Staat wieder den schönsten Theil seiner Provinzen verloren hatte. Der Schmerz des Verlustes, die Gemüthsstimmung aller noch Übriggebliebenen, die allgemeine politische Gährung durch ganz Europa, der Revolutionsgeist mehrerer Provinzen, die Verzweiflung der letzten Patrioten bewaffnete in einem unglücklichen Augenblicke den ganzen Rest der Nation zu einem Riesenkampfe, von dem man voraussehen konnte, wenn er ohne sichere Berechnung fremder Höfe unternommen war, daß er das Ende nehmen mußte, welches er wirklich genommen hat. Das Mißvergnügen war natürlich schon allgemein und die Gährung groß, als ich am Anfang des Jahres 1793 unter dem General Igelström in Warschau mit ankam, und stieg täglich höher, so wie die politische Lage der Nation täglich kritischer wurde und ihr Groll täglich tiefer wurzelte. Der Grodnoer Reichstag erzeugte ein fürchterliches Schweigen, bedeutungsvoll wie die Stille vor dem Ausbruch eines nahen Orkans. Es war freilich ein großer Streich, den die Nachbarn nur unter der damaligen Lage der Dinge wagen und durchsetzen konnten, und bei dem es noch unbegreiflich ist, wie die übrigen Nachbarn, die ein näheres oder entfernteres Interesse dabei haben mußten, so ruhig zusehen konnten, als ob man eine Landkarte des Mondes verfertigte. »Die Engländer werden in Kurzem wahrnehmen,« sagte mir damals ein vernünftiger gemäßigter Pole, »welchen Verlust ihr Handel dadurch leiden wird, und die Holländer hängen nun geradezu von der Gnade des Königs von Preußen ab; denn anstatt des Kriegs kann er sie nur mit Hunger überziehen, indem er ihnen seine Provinzen sperrt, die ihre Brodmagazine sind.« Die politischen Aspecten haben sich seitdem zwar ziemlich verändert, es scheint mir aber immer noch viel Wahres in dem Urtheil zu liegen.

Alles war wider Vermuthen von außen stille, und die Polen schienen sich ihrem Schicksale ergeben zu haben; aber das Feuer glomm unter der Asche, und eine Menge hitziger Rädelsführer fachte es von Zeit zu Zeit an, damit es nicht erlöschte. Es ist weder meine Pflicht noch meine Absicht, das Betragen der politischen Feinde Polens zu rechtfertigen, ob ich gleich glaube, daß es nicht schwer sein würde, eine hinlänglich giltige Apologie, wenigstens in Rücksicht des Hauptverfahrens zu machen, da die Principien der Politik und der Völkerverhältnisse ganz verschieden sind von den Principien der innerlichen bürgerlichen Gerechtigkeit, und der Ausgang gezeigt hat, daß Rußland wirklich sehr viel von Polen zu fürchten hatte. Denn hätte die polnische Nation vor 30 Jahren den Muth und die Geschicklichkeit gehabt, bei glücklichen Conjuncturen sich aus ihrer alten Anarchie mit solcher Energie herauszuarbeiten, so dürfte das politische Verhältniß der Mächte Europa's jetzt vermuthlich anders sein. Erhaltung und Sicherstellung seines Vaterlandes ist des Politikers erstes Gesetz, und wenn dieses nicht anders bestehen kann als auf Kosten Anderer, von denen der Staat zu fürchten hat, so ist ihre Beeinträchtigung keine Ungerechtigkeit; denn die Gefahr abwarten, hieße hier oft so viel, als sich ins Verderben stürzen. Dieses ist, däucht mich, das einzige wahre Princip, nach welchem jedes politische Verfahren beurtheilt werden muß, gleich weit entfernt von der Engbrüstigkeit des kleinlichen Stubenmoralisten und dem weit ausgedehnten abscheulichen droit de convenance, das jedes politische Verhältniß untergraben würde. Keinem braven Polen ist es zu verdenken, daß er in der Leidenschaft seine Nachbarn haßte; denn bei der Trauer seines Vaterlandes, in welche es durch sie war gestürzt worden, konnte er sie nicht lieben; und immer verdient Derjenige mehr Hochachtung, der an der Spitze seiner Mitbürger auf den Ruinen seines natürlichen Erbgutes edelmüthig focht und im Kampfe fiel, als der Miethling, der sich knechtisch in den fremden Antichambern herumtrieb und in Untertänigkeit um einen Gnadengehalt bettelte. Man darf nur an das innere Ehrgefühl aller braven Männer, selbst in Berlin und Petersburg appelliren, und man hat Verzeihung, daß man dieses laut zu sagen wagt.

Eine nähere Veranlassung zur Aeußerung allgemeiner Unzufriedenheit war der Unwille, den die Kaiserin nach Zurückberufung ihres Ambassadeurs, des Baron Siewers, durch ihren neuen Gesandten, den General en Chef Igelström, der Nation im Conseil permanent bekannt machen ließ, daß der Reichstag noch das Tragen des Militärbandes erlaubt hatte, welches man den Officieren im vorigen Feldzuge zur Belohnung ihres Wohlverhaltens ertheilt. Inwieweit dieser Unwille hinlänglich gegründete Ursache hatte, kann ich in meiner eingeschränkten Sphäre nicht beurtheilen; man gab nach, bat, ließ das Tragen des Bandes untersagen und es durch die Gesandten selbst denjenigen Officieren abfordern, die nicht mehr im Lande waren. Alles schien ruhig, wenigstens zu ohnmächtig, um etwas zu unternehmen, als von Petersburg das freilich natürliche und notwendige, aber nichtsdestoweniger verhaßte Project der Reduction der Nationaltruppen ankam. So lange man es blos mit Hofleuten zu thun hat, kann man durch Politik, Feinheit, Ansehen, List oder Cabale eine Menge Dinge durchsetzen; wenn man aber Leute antastet, welche Waffen tragen, die sie mit Ehren zutragen glauben, – und welcher Soldat glaubt dieses nicht? – so wird die Sache jederzeit ernsthafter. Man mochte noch so viel beweisen, daß die nunmehrigen Einkünfte der Republik nicht mehr als höchstens 15,000 Mann bezahlen könnten, Alles war taub vor Unwillen, und der alte Muth erwachte noch einmal. Allerdings war die Maßregel Rußlands etwas hart, und vielleicht wären andere gelindere Mittel gewesen, die Truppen bis zur bestimmten Zahl herunterzubringen, ohne Gewalt zu brauchen; denn 26,000 Mann legen nicht sogleich auf die erste Aufforderung gutwillig ihr Gewehr aus der Hand, zumal wenn sie Vorrath von Artillerie haben und noch keine hinlängliche Uebermacht in der Nähe sehen, die sie dazu zwingen könnte. Hätte man Abschied gegeben Allen, die ihn haben wollten, Urlaub, wer ihn begehrt hätte, alle Werbungen und Complettirungen eingestellt, so wäre, ich bin versichert, in zwei Jahren, mit Einrechnung der gewöhnlichen Mortalität, die Armee ganz sanft bis auf 12,000 heruntergeschmolzen, und ich glaube, die übrige politische Lage hätte wol diese Langsamkeit erlauben können. Aber die größte Schwierigkeit war, die Officiere zu befriedigen, von denen der größte Theil von dem kleinen Adel und arm war, eine andere beträchtliche Anzahl ihre Stellen ehemals gekauft und ihr Vermögen an ihre Corps gewendet hatte, so daß fast allen die Armee die letzte Ausflucht war. Das Feuer lief von Provinz zu Provinz; Alles weigerte sich, die Waffen niederzulegen. In Lithauen machte man Anstalt zur Gegenwehr; schon war hier Alles unsicher. Die Truppen suchten Vereinigungspunkte, die Edelleute bewaffneten ihre Bauern und Flurschützen, und die russischen Transporte fingen an, über Königsberg durch Preußen zu gehen. Der General Igelström fing an, das Bedenkliche seiner Lage zu sehen und um Verstärkung der Truppen zu bitten. In Petersburg, wo man mit sehr weniger Mannschaft überall zu imponiren gewohnt war, fand man die Sache vermuthlich anfangs sonderbar. Man wollte die Reduction beschleunigen, und Madalinsky machte den Anfang zum Aufbruch, indem er sich mit seiner Brigade aus der Gegend von Ostrolenka wegzog, nicht weit von Warschau über die Weichsel setzte, mit vieler Geschicklichkeit zwischen dem russischen und preußischen Cordon hinging, die kleinen Posten sprengte und sich nach einigem Verluste bei Krakau mit Kosciusko vereinigte, der unterdessen aus Deutschland angekommen war, schon die ganze Woiwodschaft in Insurrection gesetzt, die Conföderationsacte gemacht und heftige Manifeste ausgefertiget hatte. Die Russen, welche den Posten hatten, wo Madalinsky durchging, waren zu schwach, ihm die Passage zu wehren, und die preußischen Commandos, welche noch kleiner und fast nur für bürgerliche Sicherheit waren, wurden aufgehoben, vertrieben oder niedergehauen. Der russische Obristlieutenant Likustchin hatte sich mit seinem einige hundert Mann starken Corps schon aus Krakau herausgezogen, sich auf der Retirade gegen eine große Uebermacht lange hartnäckig vertheidigt und war endlich zu einem kleinen Corps gestoßen, das von Lublin zu seiner Unterstützung herbeieilte. Die Sache fing an, ernsthaft zu werden. Der General en Chef Igelström beorderte die Generalmajore Tormasow und Rachmanow in die Gegend nach Krakau mit einigen Bataillonen Infanterie und einigen Escadronen Cavallerie; der Generalmajor Denisow stieß mit seinen Truppen von der andern Seite dazu und übernahm als der Aelteste das Commando. Kosciusko hatte sich unterdessen in und bei Krakau formirt. Sein Corps bestand mit Inbegriff der mit Piken und Sensen bewaffneten Bauern nach dem Rapport des General Tormasow aus ungefähr 8000 Mann. Denifow verzögerte aus mir unbekannten Ursachen den Angriff und detachirte endlich, als Kosciusko den Weg nach Warschau einschlug, den General Tormasow mit ungefähr 2000 Mann, um ihm den Weg zu verrennen, und versprach, sobald Tormasow den Feind en front angreifen würde, ihn in die Flanke zu nehmen. Kosciusko kannte die Gegend vortrefflich. Tormasow war unvermerkt in einer Lage, wo er entweder angreifen mußte oder in einigen Minuten angegriffen worden wäre. Die Zahl der Feinde war nach russischen Kriegsbegriffen eben nicht so sehr ungleich, da man oft in den Türkenkriegen einen siebenfach stärkern Feind herrlich geschlagen hatte. Er wählte die Attake. Die Russen griffen wie gewöhnlich mit Ordnung und Nachdruck an; die Polen fingen an zu weichen. Kosciusko formirte Colonnen. Die Russen glaubten, er retirirte, und avancirten mit Hitze und einiger Unordnung; auf einmal chargirt er mit Infanterie und Cavallerie; die Pikenträger liefen wild ins Feuer. » Les paysans armés de piques marchoient d'une contenance tout-à-fait incroyable,« sind die Worte des General Tormasow. Die Russen wurden völlig geschlagen, verloren zwölf Kanonen, alle ihre Artillerie, nebst 600 Todten und Verwundeten, unter welchen ersten der brave Obristlieutenant Pustawalow war, den die ganze Armee sehr hochschätzte; auch der Obrist Muromzow wurde schwer verwundet unter den Todten auf dein Platze gelassen und gefangen. Dieses Gefecht in der Gegend von Krakau war für die Russen ein ganz unerwartetes Phänomen, für die Polen das traurige Signal der Freude, die auch in Warschau laut ausbrach. So sehr man die Bekanntmachung des Vorfalls zu verhindern suchte, so hatten doch die Polen die Nachricht zu eben der Zeit als der russische General, weil man unmöglich alle Pässe besetzen konnte und jeder Bauer den Botschafter machte. Das Gerücht vergrößerte natürlich den Vortheil von polnischer Seite unglaublich, und Personen, die sonst keinen Pöbelglauben hatten, waren wirklich überzeugt, Tormasow selbst nebst mehr als 2000 Mann seien auf dem Platze geblieben. Indessen war dieses die Veranlassung zum gänzlichen Ausbruch. Die neuen russischen Truppen, welche zur Unterstützung kommen sollten, waren noch weit entfernt und theils noch kaum ausmarschirt. Die Ukraine konnte man keinesweges entblößen, weil auch dort der Revolutionsgeist auszubrechen drohete, wie in Südpreußen wirklich geschah; und wäre Rußland so unvorsichtig gewesen und hätte von dieser Seite so viel Blöße gegeben, als von der andern gegeben wurde, so hätte leicht die Krise gefährlich werden können. Kosciusko's Verlust bei der erwähnten Action muß auch sehr beträchtlich gewesen sein, denn sonst würde er mit verstärkter Artillerie gewiß gleich darauf den General Denisow angegriffen haben, da noch Alles bei dem Corps in Verwirrung war. Der preußische General Graf Schwerin hatte schon längst versprochen, mitzuwirken; aber seine Truppen kamen nur sehr langsam zu ihren bestimmten Versammlungsörtern, waren zu schwach und zu weit ausgedehnt, indem er nur Cordons zur Sicherung der Grenze zu ziehen suchte. Es waren so wenig Truppen in Südpreußen, daß nach sehr schwacher Besetzung des Landes kaum 4000 Mann zur Unterstützung der Russen übrig blieben. In Warschau selbst fing es nun an, äußerst bedenklich zu werden; von allen Seiten entdeckte man gefährliche Conventikel und Missionen in den Provinzen, an einigen Orten fertige Munition unter den Bürgern. In der Residenz hatte ein Theaterstück unter dem Titel »Die Krakauer« den Enthusiasmus zu einer seltenen Höhe getrieben. Das Stück ist national und behandelt eine Zänkerei der Landleute dortiger Gegend mit einer seltenen Kunst. Der russische Gesandte hatte zuerst Einwendungen gegen die Vorstellung; da aber der Marschall, Graf Moschinsky, selbst versicherte, daß nichts Anstößiges darin enthalten sei, so wurde es aufgeführt. Der Verfasser, Herr Boguslawsky, der mit den Leidenschaften der Menschen wie mit Federbällen spielt und ebenso sehr Patriot als Schauspieler war, hatte in dem Stücke selbst und in der Vorstellung seine ganze Kunst erprobt. Es ist eine Mischung von Drama, Singspiel und Ballet, mit der größten Feinheit durcheinandergewebt; die Musik ist schwärmerisch, theils eigenthümlicher Volksgesang, theils aus den besten ausländischen Stücken kaum merkbar zusammengenommen; man mußte sehr kalt sein, um nicht zum Enthusiasmus mit hingerissen zu werden. Ich selbst habe der dreimaligen Vorstellung zweimal beigewohnt und muß bekennen, nie habe ich größere, tiefere, bleibendere Eindrücke wahrgenommen und selbst gefühlt. Die politische Beziehung in dem Stücke war sehr entfernt und nichtsbedeutend; aber es war Nationalsache. Einige der ersten Schauspieler waren höchst wahrscheinlich in dem Verständnisse; denn sie sangen sogleich zu den Arien Varianten, die denn freilich bald den eigentlichen Text verdrängten und mit Jubel wiederholt wurden. Diese Varianten kamen schnell von dem Theater unter das Volk, und die Geschichte bei Krakau machte ganz Warschau zu Opernsängern. Selbst die russische Militärmusik spielte die Lieblingsarien aus der Lieblingsoper. Nun ließ der russische General, da er die Sache erfuhr, die Vorstellung untersagen; aber sie war dreimal gegeben worden und hatte ihre Wirkung gethan. Das Ballet »Die Werber«, welches dem Stücke immer zum Schlusse folgte, war unter jeder andern Conjunctur ebenso unschuldig und jetzt ebenso bedeutend und hatte das nämliche Schicksal. Ein dumpfes Murren lief anfangs durch das Publicum, dann wurden die Pasquille häufiger und kecker, und bald fing man an, laut zu drohen.

Der General Igelström detachirte gleich nach der unglücklichen Geschichte bei Krakau noch mit einigen Bataillonen und Escadronen den Generalmajor Grustchow, um bei der Piliza Posten zu halten und in Verbindung mit dem preußischen Corps unter dem General Trenk die Bewegungen des Kosciusko zu beobachten und ihm den Uebergang über die Piliza zu verwehren. Dieses kleine Corps ist in der Folge vielleicht die Ursache gewesen, warum der glückliche Ausgang der Waffen so schnell für die Alliirten war.

Denn hätte der General Grustchow mit demselben die Polen unter Kosciusko nicht so lange durch seine gute Position und geschickte Vertheidigung aufgehalten und dadurch die Vereinigung der Preußen und Russen möglich gemacht, so hätte leicht das nachherige Treffen bei Czechoczin anders ausfallen und die folgenden Begebenheiten eine andere Gestalt gewinnen können. In Warschau hatte der General Igelström alle Anstalten zu einem eventuellen Ausmarsch getroffen, um selbst mit Kosciusko zu schlagen, sobald er sich der Gegend von Warschau nähern würde, wo er dann das Grustchow'sche Corps mit den Preußen, die in der Gegend standen, würde an sich gezogen haben. Die Bagage mit der Feldapotheke war zu der Wagenburg an der Weichsel beordert, und die Bataillone sollten nichts mit sich nehmen, als nur was zum Schlagen nöthig war. Ich habe selbst mehrere Tage vor den blutigen Tagen in Warschau mit dem General Pistor bis nach Mitternacht gearbeitet, indem der General Igelström die preußischen Generale so schnell als möglich in Verbindung zu einem Zwecke mit den Russen zu setzen suchte und ihnen die Absichten und Vereinigungspläne mittheilte, die er damals für nothwendig und ausführbar hielt. Die Sachen waren allerdings für die Russen sehr mißlich. Von allen Seiten waren wir von einem zahlreichen polnischen Militär umgeben, das sich vereinigt in Insurrection gesetzt hatte. Auf die preußische Unterstützung war so geschwind nicht zu rechnen, da in Südpreußen so wenig Truppen lagen. Ueberhaupt scheint man die Polen in mancher Rücksicht etwas zu wenig geachtet zu haben. Freilich ließ ihr voriges Benehmen nicht sehr auf eine künftige Energie schließen; aber der Erfolg ist hier, wie sehr oft, Beweis, daß man vom Vergangenen auf das Künftige nicht immer sicher schließen kann. Die Polen in Warschau hatten unstreitig Nachricht von den meisten Maßregeln des russischen Generals; und wie hätten sie diese nicht haben sollen, da sie dieselben nothwendig aus seinen öffentlichen Demarchen abnehmen konnten? Denn Truppenmärsche und Transporte können nicht so unbemerkt geschehen, wo Jedermann mit Mißtrauen den Andern beobachtet. Es war für Polen und Russen periculum in mora.

Immer habe ich als Militär mich gewundert, da man mit den Polen auf eine solche Weise verfahren war, daß man sie in dem Besitz ihres Arsenals gelassen hatte. Ob es Befehl des Petersburger Hofes oder eigene Maßregel des General Kochowsky war, kann ich nicht bestimmen. Der General Igelström beobachtete sehr gewissenhaft die nämliche Mäßigung und ließ keinen einzigen russischen Posten mit Kanonen in die Nähe des Zeughauses stellen; woraus ich ohne Zweifel den richtigen Schluß ziehen kann, daß die Absichten der Kaiserin mit Polen blos zu ihrer eigenen Sicherheit und keineswegs für die Republik letal waren. Nach der Action bei Krakau soll der General Igelström sich endlich entschlossen haben, sich des Arsenals am Charfreitage zu bemächtigen, ehe er die Stadt verlassen wollte. Ich bin davon nicht gewiß unterrichtet, ob ich gleich als einer seiner Officiere in seinem Palaste wohnte, da ich nur zu deutschen Geschäften, nicht aber zu russischen Arbeiten gebraucht wurde und man bei einer solchen Unternehmung, nach der Klugheit, der Mitwissenden bis zum Punkt der Ausführung so wenig als möglich zu haben pflegt. Wahrscheinlich ist mir das Gerücht, weil ich es militärisch consequent finde; denn welcher General hätte wollen aus der Stadt rücken und den Feinden wahrscheinlich eine solche Menge Geschütz und Munition hinterlassen? Ob sich Warschau gleich noch nicht erklärt hatte, so war doch bei der ersten Entfernung der Russen seine Erklärung gar nicht zweifelhaft.

Die Polen hatten die gräßlichsten Dinge von den Russen ausgestreut und alles Mögliche gethan, um selbst Absurditäten glaublich zu machen. Man hatte dem dummen Volke aufgeheftet, man wolle ihnen allen am heiligen Freitage die Hälse abschneiden, Kanonen vor die Kirchthüren führen und so Alles niederschießen; man hatte sich der Beichtstühle bedient, um diesen Unsinn zu verbreiten und die enthusiastische Bigotterie des Pöbels zu bewaffnen. Es war gelungen; und wer es nicht glaubte, hatte wenigstens nicht viel dawider, daß es geglaubt wurde. Wenn Kosciusko selbst daran Antheil gehabt hat, welches ich zu seiner Ehre noch nicht glauben will, so hat er zu sehr verächtlichen, unhaltbaren Mitteln seine Zuflucht genommen. Der General Igelström schien den Nationalcharakter für zu leichtsinnig und kleinmüthig zu halten, als daß er hier etwas sehr Ernsthaftes hätte befürchten sollen; doch waren seine Maßregeln von allen Seiten mit Vorsicht genommen. Die Bataillone sind einen ganzen Monat nicht aus dem Leder gekommen, und wir selbst haben mehr als vierzehn Tage im Mantel auf dem Fußboden seines Vorzimmers geschlafen. Seine Briefe an die unter ihm commandirenden Generale in den Provinzen waren zwar voll Vertrauen, aber nicht sorglos.

Das Blutbad brach den grünen Donnerstag aus. Die Polen glaubten das Prävenire wählen zu müssen. Ungefähr 4000 Mann polnisches Militär befand sich in Warschau, für welches ihre Chefs mit ihren Köpfen zu bürgen versprachen. Leider war dieses ihr nachheriges Schicksal; aber ihre Bürgschaft half den Russen nichts. Das Verständniß war nur unter einigen kleinen Officieren von der Krongarde zu Fuß und zu Pferde und von der Artillerie, kaum unter einigen Hunderten Gemeinen und einigen hunderten der unternehmendsten Köpfe von der Populace. Sehr wenige Stabsofficiere entschlossen sich, Partei zu nehmen. Die Subalternen führten ihre Compagnien, als ob es zum Exercierplatz ginge, und Alles gewann bald ein ziemlich wohlgeordnetes Ganze. Um Mitternacht brachten die Kosacken schon Rapport von häufigen Bewegungen. Die Mir'sche Cavallerie that früh ungefähr um fünf Uhr den ersten Angriff auf einen russischen Posten von zwei Kanonen nicht weit vom eisernen Thore hinter dem sächsischen Palaste, war glücklich in schneller Ueberraschung, hieb den größten Theil der Leute nieder, vernagelte die Kanonen, und bald lief das Feuer durch die ganze Stadt. Die Russen waren sogleich auf ihren bestimmten Posten, aber Alles war noch wie in einer fremden Welt und wußte so wenig von der Absicht der Andern bei dem Lärm, daß russisches und polnisches Militär noch mit Honneurs vor einander vorüberzogen. Mit vieler Geschicklichkeit hatten die Polen, welche natürlich die russischen Posten wußten, die verschiedenen Commandos abgeschnitten. Nun gab es erst Erklärungen, und in Kurzem war Alles im Feuer. Die Polen öffneten das Zeughaus und führten ihre zahlreiche ziemlich wohlbediente Artillerie heraus und fingen an, aus allen Kräften mit derselben zu arbeiten. Bis ungefähr um zehn Uhr war das Gefecht noch sehr furchtsam von Seiten der Polen, indem die Populace sich noch scheute, sogleich thätig Partei zu nehmen. Aber um diese Stunde hatte man schon einige Officiere gefangen, einige Posten und einige Kanonen genommen, und Alles strömte nun nach dem Zeughause, um Waffen und Munition zu holen, welche man denn auch an Alle und Jede mit Vergnügen austheilte. Auch war schon an verschiedenen Orten Munition aufgeführt. Man stelle sich vor, daß von den Russen nicht mehr als 5500 Mann unter dem Gewehr standen; denn mehr waren nach allen Detachirungen gewiß nicht im Gefechte; daß fast eine gleiche Anzahl polnischer Soldaten und gewiß über 20,000 Bewaffnete aller Art gegen dieselben fochten; daß die Polen eine Ueberlegenheit in der Menge ihrer guten und wolbedienten Artillerie hatten; daß sie überall den Vortheil der Position in den engen Gassen und allen Plätzen durch genauere Kenntniß der Localität sich zu erwerben wußten; daß sie nicht von Enthusiasmus, sondern von Wuth hingerissen, blind auf den Tod liefen: nehme man dieses Alles, und man kann fast nach mathematischer Berechnung den Ausgang der Action bestimmen. Einige Bataillons der Unsrigen gingen unstreitig etwas zu frühe unter dem Commando des General Novitzky aus der Stadt, und das Ganze konnte also deswegen noch weniger einen Vereinigungspunkt gewinnen. Hätte der General Igelström am Donnerstage das ganze Unternehmen der Polen, alle ihre Vortheile und die ganze augenblickliche Lage der Seinigen gekannt, ich bin versichert, er würde nicht mit Hartnäckigkeit die Stadt haben behaupten wollen, da ihm der Rückzug noch frei stand. Aber Mangel an Communication ließ selbst den commandirenden General nur einen Theil der Geschichte übersehen, und diese Communication war unter den Umständen gar nicht so leicht, als Mancher wol glauben dürfte. Es wurden viele Couriere erschossen oder gefangen, die von einem Posten zum andern geschickt wurden. Das Gefecht dauerte mit abwechselndem Glücke den ganzen Donnerstag fort. Eine offene Feldschlacht ist nach dem Zeugniß aller alten Officiere ein Spielwerk gegen eine solche Mönchsklepperei, wo der ehrliche Kerl aus dem Winkel niedergeschossen wird, ohne einen Feind zu sehen. Die Schüsse flogen von den Ecken, aus den Kellern, aus den Fenstern, über die Mauern, von den Dächern; und von unten und oben und von allen Seiten und überall war Tod, und Niemand zeigte sich. Ungefähr siebzig Kanonen von verschiedenem Kaliber arbeiteten ohne Aufhören durch die Plätze und Gassen der Stadt; bald drängten die Russen, bald die Polen. Das Ricochet der Kartätschen rasselte grell von einer Mauer zur andern und schlug nieder, was die geraden Kugeln nicht fassen konnten. Schon waren die Straßen mit Leichen bestreut. Man konnte schon deutlich sehen, daß wir uns unmöglich würden halten können. Die Nacht brach ein; das Postengefecht dauerte fort. An allen Ecken und Plätzen der Stadt arbeitete das Geschütz, und das kleine Gewehr machte von allen Quartieren eine grelle Musik während der Pausen. Die Nacht war furchtbar schön. Der Himmel schien sie gemacht zu haben, um den Menschen Spielraum zu ihrer Thorheit zu geben; mit glänzender Ruhe blickte der Mond auf den Wahnsinn der Elenden herab. Die beiden Abende werden lange, vielleicht immer ihr Bild in meiner Seele lassen; es ist groß und schrecklich. Der ferne und nahe Donner der Stücke, der sich fürchterlich dumpf durch die Straßen brach, das Geklätter der kleinen Gewehre, der hohle Ton der Lärmtrommeln, der Todtenlaut der Sturmglocken, das Pfeifen der Kugeln, das Heulen der Hunde, das Hurrahgeschrei der Revolutionäre, das Klirren ihrer Säbel, das matte Aechzen der Verwundeten und Sterbenden: nehmen Sie dieses Alles in der tiefen, hellen, herrlichen Mitternacht, und vollenden Sie das Gemälde nach Ihrem eigenen Gefühl! Ich vergaß unter der Größe des meinigen der Gefahr und freute mich, einige Augenblicke bei der schaurigen Scene gegenwärtig zu sein. Schon den Donnerstag Nachmittag waren die Polen in das Hintertheil des Igelströmischen Palastes, wo der Ingenieurgeneral von Suchteln stand, einmal eingedrungen und hatten aus demselben alle Hofzimmer, unter denen die Gesandtschaftskanzlei war, mit ihren Kugelbüchsen zerschossen, wurden aber nach einer Stunde wieder daraus vertrieben. Von allen Seiten wurde der Palast gedrängt und schon gegen fünf Uhr Abends das hintere Thor, welches die Polen mit Gewalt zu erbrechen suchten, verrammelt und der Thorweg mit todten Pferden vollgeführt. Zu verwundern war es, daß nichts Feuer fing, indem das Schießen von beiden Seiten so heftig war, daß man vor Dampfe keine Hand breit im Hofe sehen konnte. In der Nacht selbst gab der General die Hoffnung auf, sich länger halten zu können. Die Zeit eines glücklichen Rückzuges war verstrichen, und nun dachte man blos auf Rettung. Der General schickte verschiedene Officiere als Couriere zu dem damaligen Brigadier Mokronowsky, der an der Spitze der Revolutionäre stand, um wegen des Auszugs zu verhandeln, aber keiner kam zurück; und wenn man auch dieses Verfahren der Polen mit der allgemeinen Verwirrung entschuldigen wollte, da man ihnen durch die Wuth des Pöbels keinen sichern Rückweg schaffen konnte, so ist doch das folgende Benehmen der Herren, die durchaus mit ihren Kanonen Gerechtigkeit predigen wollten, sonderbar genug, indem man alle diese Officiere, unter welchen selbst der Brigadier Bauer sich befand, hernach als Kriegsgefangene behielt, da sie doch auf Treu' und Glauben mit Trompetern gekommen waren; eine von den vielen Inconsequenzen, die man in der ganzen Geschichte findet! Der General Igelström schaffte sich endlich mit ungefähr vierhundert Mann, nachdem er sich im engsten Gedränge noch bis den Freitag Nachmittag geschlagen hatte, mit Gewalt nach der Seite von Povonsk einen Ausweg. Hätten die Polen Disposition und Entschlossenheit genug gehabt, so wären wenige Russen durchgekommen, gestehen selbst einige wackere Officiere von den Unsrigen, die bei der Retirade waren; aber die Russen fochten wie Russen. Die Grenadiere wiesen jeden Vorschlag und Zuruf, sich zu ergeben, mit Verachtung zurück und sagten: ihre Bajonnete würden ihnen schon Durchgang verschaffen. Auch schleppten sich wirklich Schwerverwundete unter dem heftigsten Feuer von allen Seiten bis vor die Stadt hinaus, wo sodann die herbeieilenden Preußen ihren Rückzug deckten. Ich hatte das Unglück, da ich eben einen schwer verwundeten Kameraden, den ich schon einige Mal besucht hatte, auf noch einige Augenblicke sehen wollte, in der Eile zurückgelassen, abgeschnitten, von einem Ort zum andern getrieben und endlich gefangen zu werden. Was seit der Zeit im Felde vorgegangen ist, kann ich nicht als Augenzeuge, sondern nur durch Nachrichten und aus der Wirkung wissen, die es auf Warschau hatte; und auch dieses nur unzulänglich, da unsere Gefangenschaft so enge war, daß wir Criminalverbrechern ziemlich ähnlich sahen.

Erlauben Sie mir hier einige freimüthige Bemerkungen über den Charakter des General Igelström, der zu seinem Unglücke im Kriege nun auch, wie gewöhnlich, das Unglück gehabt hat, unter die Geißel des tausendköpfigen Publicums zu gerathen! Es war kein Schimpf, keine Schmähung, mit welchen man nicht nach der Katastrophe über ihn herstürzte, und selbst einige seiner Officiere, wovon ihm einige wohl Verbindlichkeiten hatten, und die doch nichts weniger als competente Richter über Verdienste überhaupt waren, vergaßen die Ehre des Dienstes und ihre eigene so weit, daß sie reichlich in dergleichen häßliche Tiraden mit einstimmten. Sie kennen mich gewiß nicht als Schmeichler; ein Mann, der in der Welt so ganz ohne Furcht und Hoffnung lebt wie ich, hat nicht nöthig, Dinge zu sagen, die er nicht fühlt und denkt. Sie können also Alles, was ich von dem General zu sagen wage, gewiß als das Zeugniß eines rechtschaffenen Mannes vor dem strengsten Gerichte, wenn Sie wollen, selbst vor den Augen der Welt nehmen. Man beschuldiget ihn des Stolzes gegen seine Untergebenen und noch mehr gegen die Polen und der Härte gegen beide. Ich habe kein Beispiel gesehen, das die Anklage rechtfertigte, aber wohl an mir und Andern mehrere vom Gegentheil. Es haben wenige Officiere in ihren Verhältnissen so viel unter ihm zu arbeiten Gelegenheit gehabt als ich; ich bin kein Mann, der sichtliche Verachtung von Jemand ganz ruhig vertrüge, auch wenn er die rechte Hand eines Monarchen wäre; ich kann mich aber auch nie erinnern, daß er je mein Ehrgefühl, welches ich für sehr fein halte, beleidiget hätte. Strenge ist er und ziemlich heftig; dies hat bei Leuten, welche nicht genau unterscheiden oder absichtlich nicht genau unterscheiden wollen, vielleicht Anlaß zu der ersten Beschuldigung gegeben. Ich bin weit entfernt, Heftigkeit zu rechtfertigen; nur das Temperament ist dafür einige Apologie, und der General zeigte dieses Gefühl sehr deutlich, indem er jederzeit geflissentlich durch irgend einige verbindliche Worte es wieder gut zu machen suchte. Mehr Genugthuung erlauben die Verhältnisse nicht, und der Mann von Herz und Kopf, der die Dinge richtig sieht, ist damit zufrieden. Aber manche Herren mögen es immer noch ihrem Schicksale danken, daß sie mit einem heftigen Verweise durchgekommen sind; denn wenn ein Officier im Dienste Dinge vorbringt, die sich nicht so verhalten, oder gar geradezu wider Pflicht und Ehre gehandelt hat, so muß er es wirklich für ein Glück halten, wenn der General es bei dieser Strafe bewenden läßt und ihn nicht der Strenge der Kriegsgesetze überliefert. Wenn ziemlich angesehene Polen sich zuweilen gefallen lassen mußten, mit russischen Officieren, unter denen auch wol Generale sich befanden, im Zimmer des russischen Ministers und commandirenden Generals zu bleiben, während er im Cabinet mit einem fremden Gesandten sprach oder an seine Monarchin schrieb oder selbst in den Geschäften ihres Königs arbeitete, so waren sie wol nicht berechtiget, dieses für eine Erniedrigung anzusehen. Man überdenke die Menge der politischen und militärischen Geschäfte, die alle auf seinen Schultern ruhten, und die er alle mit gewissenhafter Pünktlichkeit selbst zu besorgen bemüht war, so wird man leicht begreiflich finden, daß dieses Verfahren nicht Vernachlässigung, sondern Notwendigkeit war. Ich erinnere mich, daß er sich einst deswegen selbst gegen seine Officiere mit vieler Güte entschuldigte, indem er scherzhaft sagte: »Pardonnez, Messieurs, cette semaine le Ministre a mangé le Général!« Manchmal hat er die langen Klagen ganz gemeiner Leute mit seltener Geduld angehört, welche sich bei dem Hauptcommandeur beschwerten, daß die Kosacken ungefähr ein Dutzend Kohlköpfe gestohlen hatten, und die Untersuchung und Bestrafung der Thäter sodann selbst befohlen. Wenn nun der General en chef auf diese Weise es nicht unter seiner Würde hält, zuweilen die kleine Polizei der Armee selbst zu besorgen, so darf man ihm wol nicht übertriebenen Stolz vorwerfen. Man schildert ferner sein Verfahren als durchaus unerträglich und eigenmächtig; ich weiß aber gewiß, daß die Monarchin bis zur letzten Stunde Alles gebilligt hat; also konnte er nichts eigenmächtig vorgenommen, nichts über, wenigstens nichts wider seine Instruction gethan haben. Der Vorzug und die Auszeichnung, die er einer gewissen Person erwies, ließ ihn nie seine Pflichten vernachlässigen; und die Gefälligkeiten, die er für sie hatte, waren an einem Orte wie Warschau gar nichts Ungewöhnliches und konnten nur in dieser Lage den Pasquillanten Stoff geben. Die Sache selbst und die politischen Verhältnisse machten seinen Posten verhaßt und gefährlich, und ich glaube behaupten zu können, wenn in dieser Verbindung Confucius Minister und Skanderbeg General gewesen wäre, so wäre die Sache zum Ausbruch gekommen. Seine Feinde wollten sogar seinen persönlichen Muth verdächtig machen; wenn aber auch sein militärischer Credit bei der Armee und dem nordischen Publicum nicht so gegründet wäre, als er wirklich ist, so würde ihn sein Betragen während der einzigen Action in Warschau schon hinlänglich gegen diesen Vorwurf rechtfertigen. Wir haben ihn immer an den gefährlichsten Stellen gesehen, wo er selbst die Warnungen seiner Officiere nicht achtete. Zwei Pferde wurden ihm erschossen, sein Rock von Kartätschen durchlöchert und sein Stock zerschlagen, da ich ihn noch sahe, und nachher bekam er noch eine Wunde im Gesicht.

Von der Disposition, welche in Warschau genommen worden war, wage ich nur furchtsam zu urtheilen, da ich sie nicht im Ganzen übersehe; indessen scheint sie doch nicht auf eine solche extreme Anstrengung aller Kräfte der Stadt, des Militärs und der Populace zusammengenommen, gemacht gewesen zu sein. Die Wegnahme des Arsenals wäre allerdings das einzige Mittel zur Behauptung der Stadt gewesen; aber dieses war in den Tagen der Revolution keine leichte Sache, auch für Russen keine leichte Sache. Die Verzweiflung und der letzte Funke des Nationalstolzes kämpfte in allen Polen. Unvermerkt hatte man vorher, wie mich ein Officier versicherte, der hernach als Gefangener einige Zeit im Zeughause saß, daselbst nach allen Gegenden verdeckte Schießscharten angebracht, wovon nur eine kleine Anzahl der Getreuesten und Entschlossensten wußten; und bei dem Angriffe hätte sich gewiß Alles nach dem Arsenal geworfen, wo wenigstens fünfzig Kanonen nach den verschiedenen Seiten bequem hätten spielen können. Die Russen hatten mit den Regimentskanonen im Ganzen nicht mehr als ungefähr 34 Stücke in der Stadt. Das russische Militär war dem polnischen kaum überlegen und noch dazu sehr von einander getrennt; ein Vortheil, den die Polen gleich anfangs gewonnen hatten. Nun stellen Sie Sich den Angriff vor; er würde mörderisch und immer zweifelhaft gewesen sein und hätte zum Ausgang vielleicht den völligen Untergang der Stadt gehabt. Der Pöbel war schon völlig bewaffnet und wüthend; sehr wenige der russischen Verwundeten wurden gerettet, wenn sie nicht zuweilen ein vernünftiger, menschlicher Mann der Raserei entriß. Nach Abzug der Bataillone unter Novitzky war es platt unmöglich. Ich will jedoch nicht sagen, daß es nicht anfangs hätte gewagt werden sollen, da bekannt ist, welche Wunder in einer solchen Krise der Russe mit seinem vortrefflichen Bajonnet zu thun im Stande ist. Die Preußen kamen zu spät an und waren viel zu schwach, um einzudringen; denn eine Verstärkung von 8000 Mann wäre den Freitag kaum hinreichend gewesen, so vortheilhaft waren die Polen überall postirt, und so groß war durch die Nothwendigkeit natürlich ihr Muth geworden, das Aeußerste zu wagen! Wolky, der den Russen mit einigen hundert Mann zur Unterstützung zuzueilen suchte, wurde mit einigem Verluste von den starken Batterien vor der Stadt zurückgeschlagen; denn diese Gäste hatte man natürlich erwartet und nur zu wohl gewußt, wie stark ihre Anzahl sein konnte. Man tadelt den General Igelström, daß er Krakau nicht stärker besetzt hatte; aber wo sollte er die Truppen hernehmen? Gewiß nicht aus der Gegend von Warschau oder aus Lithauen. Die Folge zeigt, daß dort keine entbehrt werden konnten. Die Russen hatten mit zu wenigen zu viel unternommen. Man stelle sich die ungeheuern polnischen Provinzen vor, in welchen Alles Feind war, und wo das polnische Militär allein fast immer stärker war als das russische; diese sollte ein Corps von ungefähr 25,000 Mann in Ruhe halten. Jeder darf bescheiden seine Meinung sagen. Als Militär würde ich vielleicht meine Leute in Warschau auf folgende Weise gestellt haben. Zärtliches Menagement war nach der Geschichte mit Tormasow, der lauten Aeußerung darüber in der Residenz und der allgemeinen Stimmung der Gemüther gar nicht mehr rathsam. Den größten Theil der Artillerie hätte ich auf den großen offenen Platz hinter dem Zeughause unter der Bedeckung von einigen Bataillonen gestellt; ein Bataillon auf den Commissionsplatz, einige Bataillone mit Artillerie in die Gegend der Krakauer Vorstadt, um das Schloß in Respect zu halten, welches man von da stracks zusammenschießen könnte, und den Rest, um die Pulvermagazine zu nehmen oder wenigstens nicht nehmen zu lassen. Dadurch hätte man durch die lange Gasse, durch den Commissionsgarten, durch die Meth- und Senatorenstraße überall sichere Vereinigung gehabt, und in dem Palast des russischen Generals selbst, der in der Methstraße sehr bequem lag, wäre ein sehr guter Mittelpunkt gewesen. Alle übrige Gegenden, die Brücke allein ausgenommen, die man von der Krakauer Vorstadt leicht hätte commandiren können, waren von gar keiner militärischen Wichtigkeit. Aus dem Zeughause hätte auf diese Art kein alter Säbel genommen werden können, und das Militär allein, ohne Hilfe der Artillerie und der Populace, würde schwerlich etwas unternommen haben. Ich unterwerfe diese Meinung der Prüfung aller Militäre, die genaue Kenntnisse des Localen von Warschau haben.

Den Freitag Nachmittags hatte sich also der General Igelström mit den einigen Hunderten, die er noch zusammenziehen konnte, durchgeschlagen und sich mit den Preußen vereiniget. Die Zurückgebliebenen wurden meistens niedergemacht, wenn sie nicht so glücklich waren, einem vernünftigen Militär oder sonst menschlichen Menschen in die Hände zu fallen. Ich verbarg mich im Hotel des Grafen Borch, wo mein verwundeter Freund lag, in welches ich, als ich zu den Unsrigen retiriren wollte, von einer Partei zurückgetrieben wurde. Das Gemetzel fing nun erst an, recht wüthend und grausam zu werden, da die Polen nun entschieden überall das Uebergewicht hatten und der bewaffnete Pöbel selten Gefühl für Menschlichkeit hat, und das Schießen dauerte, wiewol nicht so stark als gestern und heute Vormittag, durch die ganze Stadt fort bis ungefähr um Mitternacht, wo sodann nur unterbrochen aus kleinem Gewehr gefeuert wurde. Den Sonnabend früh fing es in einzelnen Parteien, wo sich noch die Feinde trafen, zuweilen hartnäckig wieder an, indem sich einige Rotten Russen wie Verzweifelte wehrten, hörte aber gegen den Mittag ganz auf. Denn jetzt wurde zur Ruhe geschlagen und geblasen; und hier muß ich gestehen, so groß vorher das Geschrei, der Lärm, das wilde Geschieße und verworrene Geheul bei Morden und Plündern gewesen war, so schnell war nun Alles stille; es fiel kein Schuß, kein Schlag mehr. Ich war so glücklich gewesen, vor der Wuth der besoffenen Parteien mich verborgen zu halten, indem ich wirklich in den Todesstunden, wo Keiner der Unsrigen als nur Erschlagene und Halbtodte mehr zu sehen waren, meine Retirade hinter ein großes Bollwerk alter Fässer auf einem der obersten Böden nahm. Unzählige Parteien zogen zu Mord und Raube unter und neben mir hin, recognoscirten glücklich umsonst alle Schlupfwinkel um mich her und zogen mit dem tröstlichen Fluche fürbaß: »Verdammt! hier sind keine Russen.« Sie sehen, lieber Freund, daß ich sehr offenherzig erzähle, da Niemand um die Geschichte weiß als ich selbst; denn daß ich die Nacht vom Charfreitag zum heiligen Sonnabend ganz ruhig hinter einer Batterie Tonnen auf einem der höchsten Böden Warschau's über Welt und Menschen und ihre und meine Narrheit philosophirte, wird man wol schwerlich unter die Heldenthaten rechnen.

Nachdem ich einmal das Unglück gehabt hatte, zurückzubleiben – und wer damals zurückblieb, den konnte man eben nicht geradezu der Poltronerie zeihen – nachdem ich mich ferner ziemlich mathematisch überzeugt hatte, daß ich allein wol schwerlich Warschau behaupten würde, so fing ich omnibus modis an, darauf zu denken, wie ich nun meinen Hirnschädel endlich sichern möchte. Und der Himmel war ungebeten so gnädig, mich zu schützen; denn ich kann Ihnen auf meine Ehrlichkeit bezeugen, daß ich bei der ganzen Geschichte zwar Manches philosophirt, aber nichts gebetet habe. Ich halte auch das Angstgebet in der Sterbestunde für eine Impertinenz, die man dem Himmel und dem Menschenverstande macht, wenn man sonst keiner der Devotesten gewesen ist. Der ehrliche Kerl ist doch ziemlich ruhig, wenn ihm das Panier des Todes um den Schädel weht, das habe ich zu Wasser und zu Lande einige Mal erfahren. Der fürchterlichste Augenblick meines Lebens war der Sonnabend Morgens, als das Gefecht in einzelnen kleinen Partien wieder anfing. Es hatten sich nämlich noch einige von unsern Soldaten mit mehrern Bedienten, Weibern und Kindern von der Ambassade auf einen Boden des andern Flügels von dem Gebäude retirirt, den von mir nur eine dünne Bretterwand schied. Eine starke Partei vermuthlich von gestern oder schon wieder heute besoffener Polen drangen auf den Boden, und die russischen Soldaten wollten den Angriff zurücktreiben. Das Gefecht fing also oben an. Stellen Sie Sich vor, auf einem Obergebäude das Krachen der Schüsse, das Geklirr der Gewehre, das wüthende, unarticulirte Gebrülle der Polen, das Geschrei der Russen, das Kreischen der Weiber und Kinder in der Todesangst: es ist doch etwas ganz Anderes, als wenn man dergleichen nachgemacht auf dem Theater sieht und hört! Ich selbst war für mich in diesem Momente in Sicherheit; aber mein Gefühl ergriff mich mächtig; ich bebte, ich fühlte Kälte durch meine Glieder fahren, die Haare starrten unter dem Hute; ich glaube, es war selbst Todesangst, es war eine unnennbar schreckliche Empfindung, die ich in meinem Leben weder vorher noch nachher gehabt habe. Mir war diese Erfahrung Bestätigung einer Meinung, die ich immer gehabt habe: um das Gefühl eines Mannes zu seiner Höhe zu treiben, gehört nothwendig die ganze Macht der Sympathie. Zufälle seiner eigenen, abgesonderten Individualität reißen ihn nie so sehr außer sich, daß er sein Gleichgewicht verlöre, oder er verdient nicht mehr, daß man ihn Mann nenne. Ich hatte während der ganzen Zeit meiner Kryptomilitärschaft hinter den Tonnen meinen Degen in der Faust, um ihn an vernünftige Leute mit Anstand abzugeben oder ehrlich in der Arbeit zu sterben, wenn mich eine Rotte Bedlamisten entdeckte; ein Tertium war schwerlich denkbar. Ich hatte seit Mittwoch Abend nichts als einige Bissen Confect gegessen, die mir ein Soldat vom Raube reichte, und einige Male einen Trunk Wasser getrunken; Sie können also leicht denken, daß mich den Sonnabend früh Hunger und Durst plagte. Ich recognoscirte von oben herab die Straße, als sich der Lärm etwas zu legen anfing; aber Alles war noch voll Verwüstung und Verwirrung. In dem Hofe des Palastes waren zum Wenigsten noch einige Hundert bunten Gesindels aller Art, mit Waffen aller Art, schrieen Sprachen aller Art durcheinander, und nur zuweilen brach mit unaufhaltbarer Gewalt der Jubel: »Freiheit und Kosciusko!« durch den Haufen. Ganz matt warf ich mich auf den Boden und schlief recht ruhig ungefähr eine Stunde, als mich der hohle Lärm von Fußtritten und das Stampfen der Gewehrkolben weckte. Ich fuhr auf und setzte mich wieder in meine alte Positur; aber auch diese Gesellschaft ging fluchend vorüber, ohne mich zu wittern. Ich wartete noch eine Weile; Hunger und Durst fingen von Neuem an, gewaltig zu werden; ich häsitirte noch etwas, denn wer häsitirt nicht ein Wenig, ehe er den Fuß rückt, wenn der Schritt den Kopf gilt, auch wenn er ziemlich hungrig und durstig ist? Nach kurzer Ueberlegung ließ ich den Degen liegen, riß die Cordons vom Hute, warf Feldzeichen und Feder weg und marschirte so entschlossenen Muthes, da ich zum Glück nur einen blauen Ueberrock an hatte, durch das Getümmel. Zwei Schildwachen standen am Eingange des Hauses, viere am Thore; Niemand bemerkte mich unter der Verwirrung. Alle Straßen lagen voll todter Pferde, Sättel, Mäntel, Monturen, Kasken und Exuvien aller Art; die Cadaver der Gebliebenen hatte man gleich des Morgens zusammengesammelt und in den verschiedenen Gegenden der Stadt in Haufen gestapelt, um sie zu zählen und von da sie zu begraben oder in die Weichsel zu werfen. Mich däucht, in der Geschichte mehr Beispiele gelesen zu haben, daß man bei Warschau die Todten in die Weichsel warf. So philosophisch man auch denken mag, empört ein solches Verfahren doch immer das Menschengefühl; ehemals sah man es als etwas Charakteristisches der alten Barbarei an, und jetzt kann es ein Beispiel sein, daß unser Jahrhundert sich von derselben bei Weitem noch nicht völlig losgemacht hat. Alles fand ich auf der Straße: die Revolutionäre mit noch blutigen Waffen unter Hurrahrufen, die Andern als Neugierige, und nicht Wenige zeigten sich zu ihrer eigenen Sicherheit, indem Niemand sicher war, der nicht wenigstens an der Freude äußerlich Theil nahm. Pistolen und bloße Säbel waren in Aller Händen, und ich habe selbst Männer wandeln gesehen, die zwei Paar Pistolen im Gürtel trugen, in der einen Hand den Säbel hatten und am andern Arm eine Dame führten. Sie können Sich leicht vorstellen, daß meine Promenade keine der angenehmsten war; ich durchwandelte, ohne geflissentlich viel Notiz zu nehmen, einige Gassen. Das Haus des Generals Igelström war ganz zerstört, es stand nur das Gerippe davon da; in denjenigen einiger andern Russen hatte man nicht viel glimpflicher gehaust. Mein erster bestimmter Gang war zu dem sächsischen Major Herrn von Geßnitz, bei dem ich als einem Landsmanne mir die erste Nachricht von dem Ausgange und der Lage der Sachen holen wollte, da ich selbst weiter nichts wissen konnte, als daß die Unsrigen fort waren. Der Major kam mir mit weit größerer Angst entgegen, als ich selbst hatte, und bat mich um Gottes Willen, nicht in sein Haus zu kommen. Dem Vater einer Familie mußte dieses Gefühl natürlich sein; ich versicherte ihn, daß ich durchaus nicht meine Sicherheit auf Kosten der seinigen erkaufen wollte, auch wenn man mich vor seiner Schwelle niederhauen sollte. Er konnte oder wollte nicht viel sprechen und schien meine augenblickliche Entfernung zu wünschen. Auf seinen Rath sollte ich nach dem Rathhause in der Altstadt zu dem erwählten Präsidenten Sakreczewsky gehen und mich zum Arrest melden. Unwillkürlich marschirte ich von ihm fort durch den sächsischen Hof, um einen andern Freund, den Doctor Blauberg, aufzusuchen, der als Arzt doch nicht mit bei der Schlächterei gewesen sein konnte. Hier erschien ich als ein Gespenst; denn ich sollte mit Gewalt den vorigen Tag nicht weit von dem Hause gefallen sein, und die Bedienten hatten noch die Identität meines Cadavers nach genauer Besichtigung behauptet. Kaum wollte man mir glauben, als ich selbst das Gegentheil versicherte. Den Doctor selbst hatte man eine halbe Stunde vorher als den Russen anhänglich abgeholt, und sein alter Schwiegervater bat mich inständig, ihn nicht in Gefahr zu setzen. Er bot mir Säbel und Pistolen an, damit ich unter der Maske eines Revolutionärs sicher in das Arsenal kommen könnte. Ich liebe nie die Maske; ich dankte ihm und wandelte voll Verdruß einige Gassen auf und ab. Der Mann meinte es gut; er war selbst Pole und konnte nichts Anderes thun; wir waren Beide in Verlegenheit. Ich kam unvermerkt wieder in den sächsischen Garten und hielt hier, auf dem besten Spaziergange in Warschau, mit mir selbst Kriegsrath, was ich wol mit meinem Kopfe anfangen sollte. Alle Ausgänge waren besetzt, die Gegend wimmelte von Truppen und wilden Revolutionären; und vor der Stadt, sagte man mir im Hause des Doctors, wird Alles niedergehauen, was man auffängt. Noch unentschlüssig, was ich thun sollte, war ich in Gedanken in die Krakauer Vorstadt gekommen, und hier hielt das Schalmsky'sche Regiment mit seinen Kanonen. Einige Officiere sprachen französisch, und plötzlich fiel mir ein, es wäre am Besten, ich bliebe hier; und sogleich war ich bei ihnen. »Meine Herren,« sagte ich, »ich bin ein russischer Officier, bei Ihnen kann ich hoffentlich sicher sein.« Sie sahen mich voll Verwunderung an, und mir selbst war es nun unbegreiflich, wie ich, da ich doch Uniform-Unterkleider trug und der Hut mit Knopf und Litze noch ganz militärisch aussah, durch das wüthige Gewimmel gekommen war. Meine erste Bitte war um etwas Trinken, und sie ließen sogleich aus der nahen Apotheke etwas Zimmetwasser holen, welches mir mit einem Stücke Commißbrod auf der Kanone recht köstlich schmeckte. Die Officiere waren sehr höflich und artig und fragten und sagten Manches über die Begebenheit; einige davon erinnerten sich nun, mich in der Uniform gesehen zu haben. Sogleich versammelten sich um uns her einige Dutzend von der Populace und fragten mit grimmigen Blicken, ob ich kein Russe wäre. Da ihnen aber ein Officier sagte, ich sei ein Franzose, und sie mich französisch sprechen hörten, gingen sie halb mißtrauisch weiter. »Sie haben uns viel, sehr viel zu schaffen gemacht,« sagte mir sodann ein Officier, welcher deutsch sprach; »unser Regiment hat 250 Mann Verlust; aber wie konnte Ihr General die Stadt gegen unser Militär, unsere starke Artillerie, unsere ganze bewaffnete Bürgerschaft, gegen alle unsere Vortheile, die uns Localkenntniß gab, behaupten wollen? Wahrlich, die Idee war gigantisch.« Ich sagte ihm, daß man Vorfälle nicht immer vorhersehen könne, und daß Keiner gewinnen würde, wenn sich der Andere nicht verrechnete. Alle waren sehr artig, und Zwei von ihnen begleiteten mich nach dem königlichen Schloß, wo mich Mokronowsky, der eben dort war, in das Corps de garde bringen ließ. Eine allgemeine Krankheit des gemeinen Soldaten der russischen und vielleicht der meisten Armeen ist, daß er, wo er sich der Subordination entziehen kann, auf das Plündern geht und besonders nach spirituösen Getränken gierig ist. Ich habe selbst gesehen, daß eine Gruppe Grenadiere sich auf dem Commissionsplatze um ein Faß her gepflanzt hatte und ganz ruhig die Kugeln um sich her fliegen ließ, ohne sich im Trinken stören zu lassen. Die Officiere dieser Commandos verdienen gewiß die schärfste Ahndung. Während der zweitägigen Action plünderte freilich Alles, was mit Sicherheit plündern konnte: die Russen, die Polen, und diese jene, wo sie eines ihrer Häuser fassen konnten; doch mußte auch mancher Pole sein Gut unter dem Ausruf, er sei russisch, mit wegtragen sehen und schweigen, um nicht selbst als Russe todtgeschlagen zu werden. Sehr wenige Officiere auch von denen, die sich herausschlugen, haben ihre Equipage gerettet. Der öffentliche Verlust läßt sich nicht bestimmen, da der Cassenbestand und die verlornen Regimentssachen nicht genau bekannt sind. Der Privatverlust des General Igelström wird ziemlich richtig auf 50,000 Ducaten angegeben; auch der Schaden der übrigen Generale wird verhältnißmäßig sehr hoch gerechnet. Die Polen geben die Anzahl der russischen Gebliebenen auf 2500 an, welches vielleicht ziemlich richtig ist, wenn man Alles einrechnet, was auch von dem Fuhrwesen, der Kriegscommission und der Menge Bedienten getödtet worden; aber ihren eigenen setzen sie auf vier bis fünfhundert, welches augenscheinlich zu niedrig ist. Denn wie ich oben bemerkte, hatte nach Aussage des Officiers das Regiment Schalinsky allein 250 Mann Verlust. Man nehme nun die Garde zu Pferde und zu Fuß, die Artillerie und die ungeheure Menge Populace! Die Russen haben ihre Kanonen auch nicht ruhen lassen, und ihre Kartätschen haben zuweilen mörderisch gewirkt. Allerdings ist der Verlust der Polen nicht so groß als der der Russen, da sie die vorteilhaftesten Posten besetzt hielten, wo sie ziemlich sicher arbeiten konnten und mit dem kleinen Gewehr ziemlich zerstreut aus allen möglichen Schlupfwinkeln wie die Meuchler nach dem Ziel schossen und fast mit jedem Schuß trafen, ohne sich selbst bloßzugeben. Sie berufen sich auf die Zahl der Aufgefundenen, aber erwähnen nicht des Mittels, dessen sie sich bedienten, den Muth ihrer Leute aufrecht zu halten, indem sie nämlich während der Action alle russischen Todten liegen ließen, um sie so viel als möglich den Augen zu zeigen, die ihrigen aber so schnell als möglich wegbrachten. Man kann wol annehmen, wenn man auch den Vortheil der Polen in ihrer Localkenntniß und den Gebrauch, den sie von jedem Schlupfwinkel machten, erwägt und ihren Verlust an verschiedenen Stellen berechnet, daß derselbe wahrscheinlich auf 900 bis 1000 Mann sich belaufen müsse. Von den Russen blieben an bekannten Officieren: der Generalmajor Tischow von der Artillerie, der Obrist Fürst Gagarin vom Simbirskischen und der Obrist Parventiew vom Kiow'schen Grenedierregimente und der Generaladjutant Major Igelström gleich Donnerstags, als er als Botschafter zum König geschickt worden war. Wüthend fiel der Pöbel über ihn her, schoß und hieb auf ihn zu und ließ ihn so zerfetzt halb nackend vor dem Krakauer Thore liegen. Ihre Absicht, warum sie die Cadaver in den Fluß warfen, war wol vorzüglich, um den Preußen bei Sakrotchin ein Schauspiel ihrer Art zu geben.

Als ich den Sonnabend Nachmittag im Schlosse anlangte, hatte man eben vor dem Schloßthor noch einige Russen niedergehauen, die die Wache nicht retten konnte. Nun fing die Ungezähmtheit und Gesetzlosigkeit an, ihre Kräfte zu zeigen. Alles trug Waffen, und nur sehr Wenige hatten Vernunft genug, um zu sehen, was weiter geschehen würde. Es führte blos Haß, Wuth und Wahnsinn, und um die Grausamkeiten zu beschönigen, erdichtete man die lächerlichsten Beschuldigungen. Leicht ist es, die Rache des Pöbels zu reizen, aber sehr schwer, sie zu besänftigen. Man sprach von Freiheit, und Niemand hatte davon einen Begriff; Alles war zügellos, und bei der geringsten Veranlassung drohete man, alle Gefangene ohne Unterschied zu morden. Die einstweilige Regierung wandte zwar Alles an, um wieder Ordnung herzustellen; aber folgendes Beispiel zeigt, wie schwach das Ruder gegen den Sturm war. Bei einer kleinen nichtswürdigen Veranlassung wurden den ersten Osterfeiertag achtzig russische Gefangene niedergemetzelt. Ich habe die Geschichte mit den Umständen von einem Polen, der Augenzeuge des schändlichen Schauspiels gewesen ist, der zuvor nichts weniger als russischer Partisan war, aber nach und nach, durch wilde Unordnung und dergleichen Unmenschlichkeiten getrieben, selbst in der größten Gefahr fast immer für uns war. Obige Anzahl Gefangener sollte von einem Ort zum andern gebracht werden. Alles geht, natürlich voll Neugierde, bewaffnet vor, neben und hinter ihnen her, um recht nach Herzenslust spotten und schimpfen zu können, welches jederzeit das Vergnügen des Pöbels jeder Art ist. Ein kleiner giftiger Junge, dem vermuthlich die Physiognomie eines der Gefangenen zuwider war, oder der von ihm auf seine Spottfragen eine nicht genug demüthige Antwort erhalten hatte, schießt mit der Pistole nach ihm, trifft aber zum Unglück einen dabei commandirten Officier durch den Arm und hat die listige Bosheit, die Pistole dem Gefangenen unter die Füße zu werfen und zu sagen, dieser habe sie ihm aus dem Gürtel gerissen und nach dem Officier geschossen. Alles ward wüthend, schrie: »Halt!« und wollte sogleich über die Gefangenen herfallen. Die Menge wuchs, man führte schon Kanonen mit Kartätschen herbei, und kein Ansehen einiger herbeigeeilten Magistratspersonen half etwas. Die Gefangenen fielen auf die Knie, baten flehend und mit gefalteten Händen, man möchte untersuchen und den Schuldigen tödten; nichts, man drohete, alle Gefangene in allen Gefängnissen zu ermorden, wenn man ihnen nicht diese preisgeben wollte. Die Krise war schrecklich; das Militärcommando war nicht stark genug, den bewaffneten Pöbel zu zähmen; er fiel mit dem Säbel über die armen Elenden her und metzelte sie mehr als schlächtermäßig alle nieder. Leute, die zugegen gewesen sind, können das Gräßliche des Anblicks nicht genug beschreiben, wie die noch zuckenden, rauchenden Glieder der Zerstümmelten in einem kleinen Raum auf der Methstraße umhergelegen haben. Das ist Volkswuth. Gesetzt auch, welches doch selbst Polen als nicht wahr eingestehen, daß der Gefangene die Pistole im Grimm ergriffen habe, so konnten doch nur Unmenschen deswegen so viele Unschuldige niederhauen. Dieses war einer der kritischen Augenblicke für die Gefangenen; und der Major Wengersky, der durch seinen Volkston viel Ansehen und Gewalt über die bewaffnete Menge hatte, sagte nachher zu uns: »Kinder, dieser Sturm war gestillt; gebe Gott, daß er nicht von Neuem ausbreche! Seien Sie um Gottes willen ruhig und vorsichtig! denn in dieser Lage kann man für nichts stehen.« In der Schloßwache waren ungefähr sechzehn gefangene Officiere von den Unsrigen, die meisten verwundet und einige sehr schwer. Hier wurden wir aus des Königs Küche gespeist, und man begegnete uns mit vieler Artigkeit. Nach vierzehn Tagen wurden die Kranken in das Spital und wir Uebrigen in das Commissionshaus gebracht, wo wir mehrere unserer Kameraden vorfanden. Hier trat die neuerwählte Commission ihre Function förmlich an und nahm uns unter nähere Aufsicht, und wir gewannen täglich mehr das Ansehen von Criminalisten. Kaum hatten wir Stroh zum Schlafen, zum Essen nicht Messer und Gabel, und erst nach einigen Wochen ließ man sich bedeuten, daß wol schwerlich ein Officier über Tische mit einer Gabel sich oder seine Wache tödten würde. Man fing an, uns Messer und Gabel, jedoch nur bei Tische, zu erlauben, und jedesmal standen bei dem Essen doppelte Posten mit bloßem Säbel oder gespanntem Hahn. Bier wollte man anfangs nicht zulassen, aber an Branntwein fehlte es nie, welches mir gewaltig inconsequent däuchte; Bücher sollten gar nicht und noch weniger Schreibmaterialien erlaubt werden, so daß sogar ein Arzt sein anatomisches Compendium verstecken mußte, das er noch durch Zufall gerettet hatte. Hernach wurde man humaner, und endlich hatte Herr Sablotzky von der Commission sogar selbst die Güte, mir einen beträchtlichen Vorrath Papier zuzustellen, weil er wußte, daß ich ein Poetaster war und die Poeten sich um politische Intriguen sehr selten bekümmern. Bald fingen die Bürger an, sich nach der Vorschrift zu formiren und die Municipaluniform zu tragen. Allemal konnte man rechnen, daß ein solcher Municipalist mehr Höflichkeit und Vernunft zeigte als sein Mitbürger im polnischen Kittel. Unsere Wache war eine Composition aller Menschenclassen. Ein Komödiant war Commandeur; ihm folgten ungefähr zwanzig complet Bewaffnete im Municipalhabit, dann Flinten ohne Bajonnette und Schlösser, dann Bajonnette ohne Flinten, dann Pistolen und Säbel, dann Spieße und so weiter. Alle Zünfte, vom Silberschmied bis zum Kärner, inclusive der Kinder Israels, waren von dem Zuge, und immer alle Tage in umgekehrter Ordnung, so daß das Ganze dem Plotton des Judas Ischariot nicht unähnlich sah. Die zweite Krise war vor dem Tage der Hinrichtung der Herren Ozarowsky, Ankewicz, Kossakowsky und Sabiello. Ankewicz, gewesener Präsident des Conseil permanent, hatte, sagt man, einen falschen Lärm veranstalten lassen, als ob die Russen und Preußen zurückkämen, um die Stadt anzugreifen; bei dieser Gelegenheit sollte dann seine Partei die Gefangenen befreien und so vereinigt versuchen, ob für ihn und sie nicht Rettung möglich wäre. Alles stürmte nach dem Arsenale, es wurden Kanonen vorgefahren, es fielen hin und wieder Schüsse, und kein Gefangener durfte es wagen, sich am Fenster zu zeigen, so drohete man abzudrücken. Man fand den Lärm bald falsch; aber Alles war eben deswegen in der entsetzlichsten Gährung. Der Officier, welcher bei Ankewicz die Wache hatte, fand die Zudringlichkeit eines Menschen auffallend, der in dem Ton eines heißen Patrioten ihn aufforderte, zur Verteidigung der Stadt mit seinem Commando abzugehen. »Unsere Brüder werden die Stadt vertheidigen,« antwortete dieser; »hier ist mein Posten, und Du bleibst zur Sicherheit bei mir,« und hielt ihn in Arrest. Dieses war ein Donnerstag; den Freitag wurden schnell die Decrete für die Obenbenannten abgefaßt, und sie wurden hingerichtet.

Noch immer droheten Unvernünftige und wahnsinnige Schwärmer den Gefangenen den Untergang, und die Strenge gegen sie ließ nicht nach. Man erlaubte kein Licht und keine Bücher, aber wohl Branntwein und Karten, eine Maßregel, die mir ganz Abderitisch vorkam; denn wirklich waren unter einer Menge junger Leute, die auch nicht alle die feinste Bildung hatten, über dem Spiele Rausch und heftiger lärmender Zank nicht selten. Einige bescheidene Spießbürger waren, wenn uns Andere mit augenblicklichem Tode droheten, sehr artig und sprachen uns mit vieler Theilnahme Trost zu. »Sehen Sie,« sagte Einer von ihnen, »sehen Sie, meine Herren, wären Sie zu Hause geblieben! uns ist Ihr Besuch wahrlich gar nicht lieb, und auch jetzt wären wir Sie gern los. Indessen seien Sie ganz unbesorgt, es kann Ihnen kein Uebel geschehen. Sie haben als brave Männer Ihrem Vaterlande und Ihrer Monarchin gedient; hätten das die Unsrigen auch immer gethan, so wären Sie und wir nicht hier. Wir wollen nur unsern Schurken den verdienten Lohn geben, und das ist sehr billig, wie Sie selbst einsehen werden. Wir werden doch nicht den Kopf verloren haben, uns an den Kriegsgefangenen zu vergreifen? So denkt jeder vernünftige Pole, und die Unvernünftigen werden wir schon im Zaum halten können.« Mich däucht, daß der Mann für seinen Rock ziemlich consequent sprach. Einige Tage nachher hatten einige Officiere von Distinction für mich die Erlaubniß erhalten, daß ich in den sogenannten Brühl'schen Palast gebracht wurde, wo ehemals Repnin und Stackelberg gewohnt hatten, und wo alle Ausgezeichnete unter den russischen Gefangenen und das ganze Corps diplomatique saßen. Alle waren bis auf das letzte Hemde ausgeplündert; eine Methode, die sich doch wahrlich nicht mit der gepriesenen Menschlichkeit der Revolutionäre vertrug! Noch einige Monate nach der Periode machte der Graf Moschinsky dem General Suchteln ein Geschenk mit einem Hute, weil er bisher beständig hatte müssen mit bloßem Kopfe gehen. Man erlaubte selbst keinem Officier, das Geld zu empfangen, das ihm von seinen Verwandten von außen her zur Erleichterung ihres Zustandes zugeschickt wurde, sondern zählte es ihnen nach und nach in Ducaten zu, daß sie sich kaum einzelne Kleidungsstücke machen lassen konnten. Als ich einen Herrn von der Deputation deswegen fragte und meine Befremdung darüber äußerte, antwortete er: »Mein Herr, wenn der Russe Geld hat, so machinirt er; und wir haben leider unter unsern Landsleuten keine kleine Anzahl, die Schurken genug sind, für eine Flasche Champagner ihr Vaterland zu verkaufen.« Freilich kann man das Verfahren in dieser Rücksicht nicht tadeln. Den gefangenen Officieren zahlte man täglich, den Subalternen 2 Gulden polnisch, den Capitänen 3, den Stabsofficieren 6, dem Obristen 8, dem General einen Ducaten; freilich eine ziemlich mäßige Portion, wenn man die große Theurung der Lebensmittel in Warschau nimmt, die aber doch der neuen Regierung schon Kosten genug machte. Dieses ist zu entschuldigen, da die traurigen Verhältnisse es nothwendig machten und nicht mehr verstatteten; daß man aber die Officiere wie Missethäter auf der Erde liegen ließ, daß man ihnen nicht einmal eine bretterne Bettstelle, lange Zeit nicht einmal einen groben Strohsack und nur höchst wenig erbärmliches Stroh zum Lager gab, ist wol unter gesitteten Völkern ohne Beispiel. Der König von Preußen ließ nach der Schlacht bei Zorndorf die russischen Officiere nicht so in den Kasematten von Cüstrin liegen, wie er gedrohet hatte; und wenn es geschehen wäre, so würde es nicht zu den ehrenvollen Zügen in dem Charakter Friedrich's des Zweiten gehören. Aber viele unserer Officiere beklagten sich auch über Dinge, die sie nicht ganz überlegt hatten. So schrieen die meisten Ach und Weh, daß man uns nicht erlaubte, frei in der Stadt herumzugehen; und ich glaube, sie hatten sehr Unrecht. Man muß annehmen, daß die Lage der Polen keine gewöhnliche Lage des Kriegs war. Die neu eingesetzte Regierung hatte bei Weitem nicht hinlängliches Ansehen, Ordnung und Gesetze geltend zu machen. Wie leicht hätte einem Gefangenen Schaden geschehen, wie leicht einer in einem Auflauf, deren es fast täglich gab, getödtet werden können! und die Schuld wäre sodann natürlich auf die Regierung gefallen. Der Factionen waren in der Stadt sehr viele; die Regierung hielt es also auch in dieser Rücksicht nicht für sicher, gefangenen feindlichen Officieren ungehinderte Freiheit in der Stadt zu lassen, und endlich möchte ich wohl wissen, ob dieses je die militärische Vorsichtigkeit erlaubte. wenn die Feinde in der Gegend oder gar vor den Werken der Stadt stehen und von allen Seiten den Angriff drohen. Daß die Besorgnisse vor der Wuth des Pöbels nicht ungegründet waren, beweist der fürchterliche Aufstand, in welchem der Fürstbischof Maffalsky, der Fürst Czetwertinsky, der Geheimerath Boskamp, der Criminalgerichtsassessor Wulfers und mehrere Andere ihre Opfer wurden. Zwar muß ich selbst hier der Populace die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie, als sie die Thore mit Gewalt gesprengt hatten, gegen die Kriegsgefangenen nicht das Geringste weder sprachen noch thaten, sondern einigen Erschrockenen und Weibern vielmehr Muth einredeten und, wie sie sagten, nur die Verräther, ihre Landsleute, zum Galgen schleppen wollten. Allein wer kann einer wüthenden Menge trauen? Nur ein Funke ist genug, ein ganz neues Feuer anzublasen.

Der Feind rückte heran; die polnischen Truppen unter Kosciusko waren auf ihrer Retirade nicht weit mehr von Warschau. Die Gefängnisse waren voll Staatsgefangener, welches eine starke Wache forderte. Der Dienst in den Schanzen war natürlich sehr strenge und lästig, die Arbeit beschwerlich. Sogleich machen einige Hitzköpfe das Project, die gefangenen Polen, die alle den Tod verdient hätten, oder doch die Vornehmsten de facto hinrichten zu lassen. Man richtete des Nachts an zwölf verschiedenen Orten Galgen auf, und auch vor dem Thore des Brühl'schen Palastes ward unter einer Menge Fackeln und dem lautesten Vivatrufen so ein Instrument des Volksgerichts aufgepflanzt. Die Commission ließ mit Anbruch des Tages manche niederreißen und auch den vor unserer Pforte; aber kaum erfuhr es die erbitterte Menge, so kam sie mit großer Verstärkung unter den Waffen und richtete ihn unter dem gräßlichsten Lärm wieder auf. Einige Delinquenten hatten wirklich Sentenz und sollten diesen Tag gehangen werden; aber man stürmte alle Gefängnisse und führte mit Gewalt heraus, wen man bestimmt hatte. Der Fürstbischof wurde unter unserm Fenster dicht an dem Thore in Pontificalibus gehangen, die Uebrigen schleppte man an verschiedene Orte und oft von einem Galgen zum andern, wenn der eine schon besetzt war. Man kann hier ein Beispiel des Volkshasses an dem Criminalgerichtsassessor Wulfers sehen. Eine Partei kommt, bricht ein, greift und hängt ihn; kaum ist diese fort, so kommt die andere in der nämlichen Absicht und sodann eine dritte und läßt sich nicht eher zufriedenstellen, als bis Alle sich überzeugt haben, er sei schon gehangen. Es ist bewiesen, daß der Mann in dieser Sache unschuldig war, und sein Bruder, der Professor, hat ihn nach seinem Tode durch den Druck des Processes öffentlich gerechtfertiget. Aber Jedermann behauptete doch, sein Kopf sei von je her der Sitz der boshaftesten Cabale und Rabulisterei gewesen, indem verschiedene Parteien zugleich über seine Plünderung klagen. Ich kannte den Mann selbst nur aus einem einzigen Zuge. Er kam zu uns Gefangenen in das Commissionshaus verschiedene Tage nach Ostern, schimpfte, lärmte, fluchte und drohete den Galgen und Niederhauen ohne Unterschied. Wenn nun ein Mann in einem öffentlichen Amte, der die kalte Vernunft selbst sein soll, solchen Unsinn sprechen kann, was kann man von dem gemeinen Mann erwarten? Verschiedene von den polnischen Officieren, die bei diesem Tumulte Ordnung schaffen wollten, wurden verwundet. Die Krise ließ das Schlimmste befürchten. Zum Glück rückte Kosciusko nach dem Verlust des Treffens bei Czechoczin mit der Armee immer näher nach der Stadt und schickte sogleich einige Tausend Mann Cavallerie herein, welche die Ordnung wieder herstellen half. Auf den offenen Plätzen wurden Piquette mit Kanonen aufgestellt und gegen die Ruhestörer mit Strenge verfahren, so daß einige Tage nachher einige Tausend müssige Taugenichtse als Rekruten zur Armee geschickt wurden.

Die Belagerung fing an, und während der ganzen Zeit war die Stadt selbst in der größten Ruhe. Man begegnete nun den Gefangenen, soviel als man in der Lage erwarten konnte, mit Achtung und Anstand, ob man gleich natürlich von der Strenge nichts nachlassen konnte. Wie man sich leicht einbilden kann, wurden die Rapporte und Erzählungen von den täglich vor der Stadt vorfallenden Gefechten immer zum Vortheil der Polen gemacht und der Verlust so viel als möglich verborgen gehalten; die Hamburger Zeitungen aber zeigen, daß man von preußischer Seite auch nicht ganz strict die Wahrheit lieferte. Die Preußen nahmen die Batterien bei Wola weg, und Alles in der Stadt war ruhig. Eine Menge Menschen stand auf den Dächern und hohen Balkons und sah dem hitzigen Gefecht wie einem gewöhnlichen Schauspiel zu. Die preußischen Kugeln konnten nun die Werke erreichen und thaten einigen Schaden in den Trancheen und der Vorstadt; aber Alles war unverdrossen und muthig, und Niemand glaubte, daß die Stadt würde genommen werden. Die Aufforderung wurde mit bestimmter Entschlossenheit zurückgeschickt. Kosciusko hatte an regulirten Truppen ungefähr 20,000 Mann, eine ziemliche Anzahl Piken- und Sensenträger und die Bürgerschaft, welche unermüdet Dienste that. Der Postenkrieg scheint seine Stärke zu sein, und er wäre vielleicht glücklich gewesen, wenn er sich blos auf denselben hätte einschränken können. Man war des Schießens in der Stadt so gewohnt, daß auch die stärksten Kanonaden die Einwohner nicht beunruhigten, und man lief der Lärmtrommel nach, als ob die Glocke in das Schauspiel geschlagen hätte. Nur ein einziges Mal, als die Batterien bei Povonsk genommen wurden, war die Bestürzung groß und allgemein, und hätte der König den Angriff mit Nachdruck gehörig unterstützen lassen, so daß die Batterien bei und hinter Marimont noch genommen wurden, so hätte er vermutlich in einigen Tagen die Stadt zur Uebergabe genöthiget. Die Ursachen, warum der König, als auch der General Götze es rieth, nicht forciren wollte, sind mir nicht bekannt. Sechs bis achttausend Mann hätten diesen äußerst wichtigen Posten gewiß genommen. Ohne Marimont zu haben, war es unmöglich, der Stadt auf einer andern Seite beizukommen, weil augenscheinlich zu befürchten war, mit großer Macht von dort aus umgangen zu werden; und die Posten von Wola und Povonsk wurden eigentlich dadurch erst der Stadt recht gefährlich, wenn man erst Marimont dazu hatte. Denn ob man gleich wegen des Defilees hinter den Kronkasernen von Marimont aus auf die Stadt selbst schwerlich einen glücklichen Angriff würde haben machen können, so war es doch der Punkt, aus welchem man die Angriffe von den andern Posten vortrefflich unterstützen konnte und unterstützen mußte. Täglich fielen hartnäckige Actionen vor; die Polen machten verschiedene neue Angriffe auf die gewonnenen Posten, um sie den Feinden wieder zu entreißen, aber vergeblich. Die Preußen hielten fest, was sie erfochten hatten, und würden gewiß in kurzer Zeit noch die Stadt genommen haben, wenn die Unruhen im Rücken und von der Seite längs der Weichsel herunter nicht sehr bedenklich geworden wären und nicht endlich den König genöthiget hätten, sich von der Stadt zu entfernen. Der König war viel zu schwach, um einen so weitläufigen District wie das damalige Großpolen gehörig zu decken, und zu sicher auf die gute Gesinnung Derer, die er hinter sich gelassen hatte. So wie die Preußen sich nach Lowicz zurückgezogen hatten, ging der General Fersen mit seinem Corps Russen, nachdem er die Polen durch viele Amüsements, wo er Brücke zu schlagen Miene machte, irre geführt hatte, schnell über die Weichsel. Alle Sachverständigen bewundern diesen Streich so sehr, als sie vorher die Gefahr gesehen hatten, in welcher das russische Corps sich befand. Kosciusko sah sich nun genöthigt, seine Macht zu theilen, um Fersen zu folgen und den Preußen, die sich in verschiedenen Posten wieder gesetzt hatten, Widerstand zu leisten. Bis jetzt war Alles leidlich glücklich für die Polen gegangen; aber von nun an war Alles unglücklich. Die Russen waren gleich im Anfange glücklicher gewesen, weil sie mit ihrer gewöhnlichen Energie zu Werke gingen. Der Verlust unter Tormasow, der erste mißlungene Versuch auf Wilna, und selbst die Schlacht bei Czechoczin, wo sie den rechten Flügel hatten, machte sie aufmerksam. Es kamen mehrere von den nationalen Kerntruppen durch die Ukraine in Polen an. Derselben hatte ein starkes polnisches Corps unter Sajontschik geschlagen und ihm viele Kanonen abgenommen; Jasinsky hatte in Litthauen unglücklich gefochten: die Folge war, daß sich Wilna und bald darauf Grodno ergaben. Nun drängte der Feind näher; die Gegend von Warschau bis Brescz wurde das Theater. Der Ausgang war schon entschieden, wenn die Polen nur ihre eigenen Kräfte dem Feinde entgegenzusetzen hatten. Nun kam der unglückliche Tag für sie bei Maczewicza, wo Kosciusko geschlagen und gefangen wurde. Schon hoffte er, die Russen unter Fersen mit dem größten Vortheil anzugreifen und sie mit Hilfe des Poninsky'schen Corps vielleicht gar aufzureiben, als er selbst unversehens in der nachtheiligsten Stellung angegriffen wurde. Die Russen waren hier freilich fast noch einmal so stark als die Polen. Poninsky traf nicht ein. Das Gefecht dauerte lange; die Polen standen fest wie eine Mauer und arbeiteten. Die Güte der russischen Truppen besiegte alle ihre Hartnäckigkeit; sie wurden völlig geschlagen, und von 8000 Mann kamen ungefähr 1200 davon. Russische Officiere, die dabei gewesen sind, sagen zu ihrem Ruhme, daß sie das Feuer fünf Stunden gehalten, und daß man ihre Glieder fast unverrückt wie hingemäht gefunden habe. Der Fehler war Kosciusko's, daß er seine Truppen in eine solche Lage brachte, wo sie allen Nachtheil hatten, und wo ihnen aller Rückzug abgeschnitten war, da er doch die Gegend kennen mußte. Poninsky wurde verhaftet und unter Kriegsrecht gegeben und würde vermuthlich hingerichtet worden sein, wenn die Eroberung von Praga nicht die ganze Sache geendet hätte. Mit welchem Recht er angeklagt ward, weiß ich nicht, da ich die Position nicht kannte.

Dieses war der Hauptstreich des ganzen Feldzugs. Die Russen hatten bei demselben nichts mehr zu wagen; denn hätten sie nicht angegriffen, so wären sie den folgenden Tag höchst wahrscheinlich zwischen zwei Feuer gerathen. Wäre der Streich den Polen geglückt, so war die Campagne zu Ende: die Russen wären in die Winterquartiere gezogen, und interim fit aliquid! wäre der Trost in Warschau gewesen.

Nunmehr drang Suworow selbst mit aller Macht weiter vor. Mokronowsky und Jasinsky zogen sich mit ihren Corps vor Praga und warfen sich in die dort aufgeführten Werke. Dombrowsky, der einen ziemlich glücklichen Zug nach Westpreußen gemacht und in Bromberg den Obristen Seculy geschlagen hatte, wurde zurückberufen, um die Stadt decken zu helfen. Suworow rückte mit seiner gewöhnlichen Geschwindigkeit immer näher und wollte schon von Kobilka aus die Werke stürmen. Seine Generale erhielten aber wenigstens einige Tage Zeit zum Recognosciren und zu den übrigen Anstalten, und dann wurde einen Morgen der Sturm mit aller den Russen eigenthümlichen Unaufhaltsamkeit unternommen. Bekanntlich waren bei dem Sturme kaum 10,000 Mann, und diese warfen aus den Werken über 20,000 polnische Truppen nebst einer Menge von der Bürgerschaft. Ueber 15,000 Polen und ungefähr 1800 Russen blieben. Es ist fast unbegreiflich, mit welcher Energie man von der einen und mit welcher Nachlässigkeit man von der andern Seite zu Werke gegangen ist. Die polnischen Vorposten müssen äußerst schlecht ausgestellt gewesen sein oder ihre Schuldigkeit äußerst schlecht gethan haben, da die Russen fast unter den polnischen Kanonen waren, ehe diese einen Schuß gethan hatten. Aber die schon erlittenen Unglücksfälle und das panische Schrecken, das vor Suworow herging, arbeitete bei den ermatteten Polen ebenso viel als die russischen Bajonnette selbst. In zwei Stunden war die ganze Geschichte geschehen, und in einer halben Stunde war schon entschieden, auf welcher Seite der Sieg sein würde. Die Grausamkeit der Russen bei der Einnahme ist allerdings ein Flecken, den der redliche Officier gern aus dem Dienst wischen möchte. Es wurden eine Menge Unbewaffneter, ja sogar Weiber und Kinder niedergestoßen. Es waren bei dem Sturm einige Bataillone der Truppen, die vor acht Monaten in Warschau so unglücklich gewesen waren, bei denen die Erbitterung aufs Höchste gestiegen war, und die sie auch unter allen übrigen verbreiteten. Man kann also zu einiger Entschuldigung sagen, daß der Soldat in Wuth war, daß er Rache für die Warschauer Geschichte kochte und in dem Angesicht der nämlichen Stadt focht, wo so mancher seiner Kameraden freilich auch grausam und ohne Schonung gemordet worden war. Die fürchterlichen Lakonismen Suworow's hatten seine Wildheit nicht gemildert; und so konnte der beste menschenfreundlichste Officier der Wuth nicht Einhalt thun. Der Obrist Lieven, der ein Regiment bei dem Sturme commandirte und hernach einige Zeit Platzcommandant in Praga war, erzählte mir mit Entsetzen, daß er selbst am Ende des Gefechts einen Grenadier getroffen, der in der linken Hand sein Gewehr gehalten, jedem Polen ohne Unterschied das Bajonnet durch den Leib gerannt und sogar keinen Schwerblessirten verschont habe, und in der rechten eine Axt, mit der er sodann über den Hirnschädel Jedem den Gnadenhieb gegeben. Der Obrist schalt seine Unmenschlichkeit und sagte ihm, er möchte Bewaffnete schlagen, aber nicht Verwundete und arme Wehrlose. »Ei was, Herr!« antwortete der Wüthende, »sie sind Alle Hunde und haben gegen uns gefochten und müssen sterben;« und so hieb er einem armen Elenden mit der Axt den Kopf entzwei. Den Obristen rief seine Pflicht schnell weiter. Aber auch ein Gegenstück erzählte mir der nämliche würdige Officier. Als er an die Weichselbrücke kommt, begegnet ihm ein Grenadier mit seinem Gewehr am Riem um die Schulter gehangen, der einen Knaben von ungefähr drei Jahren auf dem Arme trägt. »Wo hast Du den Jungen her?« fragt ihn der Obrist. »Herr, ich habe ihn gerettet,« antwortete der Grenadier enthusiastisch, »als ihn ein Kosack in die Flamme werfen wollte.« »Bravo, Kamerad!« ruft er ihm zu; »was willst Du mit dem Knaben machen?« – »Herr, das weiß ich nicht,« sagt der Soldat, »aber seht nur, was es für ein herrlicher, schöner Junge ist! Wer wollte ihn nicht gerettet haben!« und er küßte mit herzlichem Ungestüm den Knaben, der seine kleinen Arme um den Nacken des Kriegers schlang und sein Gesicht an seinen Schnurrbart schmiegte. Es ist dieses zwar nicht mehr als gewöhnliche Menschlichkeit, aber ich bedaure Den, der ihren Werth bei einer Gelegenheit nicht fühlt, wo sie so theuer ist, und wo man sie so selten findet. Desgleichen darf ich einen Zug zur Ehre der Kosacken anführen, denen man sonst mit Recht Wildheit und Grausamkeit vorwirft. Als die Polnischen Batterien auf dem rechten Flügel erstiegen und die Truppen geworfen waren und die Russen mit unaufhaltsamer Gewalt von allen Seiten eindrangen, stürzte sich eine große Menge Nationalcavallerie in den Fluß. Der Strom ist breit und reißend; die Leute waren abgemattet und sinnlos; die Russen hatten die Brücke unterwärts schon besetzt. Man stelle sich die schreckliche Lage vor, in welcher sich die Elenden befanden! Vorne und seitwärts Feinde, hinter sich den reißenden Strom, überall Tod und Verwirrung. Die Russen zogen sich sogleich etwas zurück, und nur einige Kosacken blieben stehen, riefen und winkten ihnen Pardon zu, und der größte Theil wurde gerettet. Die russischen Gefangenen im Kadettenhause konnten den ganzen Vorfall aus ihren Fenstern sehen.

Früh um halb sechs Uhr war der Anfang des Sturms; gegen acht Uhr feuerten die Russen aus ihren aufgeführten Batterien schon nach Warschau, und gegen Mittag flogen die Kugeln schon durch unsern Hof und in ziemlich entfernte Straßen. Alles war in der größten Bestürzung und Angst. Die Periode war für Alle in der Stadt kritisch. Das Militär wollte die Stadt noch halten, aber dieser Gedanke konnte nur in dem Gehirne der Wahnsinnigen und Verzweifelnden entstehen. Die Bürger drangen auf Übergabe; die Vernünftigen des Militärs sahen die Unmöglichkeit ein, ohne den gänzlichen Ruin der Stadt länger zu bleiben. Wer die Lage von Warschau an der Weichsel kennt, der wird wissen, daß man von Praga aus die besten Plätze der Stadt zerstören kann. Es gingen Deputirte hinüber, die Feindseligkeiten hörten auf. An Capitulation war fast nicht zu denken; die Stadt hing in dieser Lage ganz von der Gnade des russischen Feldherrn ab. Als die Abgeordneten sagten, sie wären gekommen, zu tractiren, soll der General geantwortet haben: »Ja, meine Herren, sogleich werde ich Befehl geben zum Tractament, das Tractament wird wie gestern sein.« Die Polen baten um Schonung und Sicherheit für Person und Eigenthum; und Suworow gestand mehr zu, als man gebeten hatte. Den Abzug konnte man den Truppen nicht verwehren, da die Landseite ganz offen war. Jetzt war die Lage noch die bedenklichste. Die abziehende Armee wollte mit Gewalt den König und die Gefangenen mit sich fortführen. Die Bürgerschaft aber widersetzte sich hartnäckig, füllte noch bewaffnet den Schloßhof und erklärte, sie würde bis auf den letzten Mann dieses zu verhindern suchen, da ihre ganze Sicherheit darauf beruhe, daß der König und die Gefangenen in der Stadt blieben. Die Truppen standen also von der Forderung ab und entfernten sich, ob sich gleich noch kleine Parteien in den Vorstädten herumtrieben; und man sahe nun schon wieder polnische und russische Officiere zugleich auf den Straßen, ohne daß sie einander zu bemerken schienen. Endlich rückten die Russen ein, sobald die Brücke wieder hergestellt war, und besetzten die gewöhnlichen Wachen und auf der andern Seite der Stadt die Schanzen, welche die Polen während der vorigen Belagerung gegen sie und die Preußen aufgeworfen hatten. Was an dem fürchterlichen Gerücht ist, welches man in den Zeitungen herumgetragen hat, daß man nämlich den König und alle Gefangenen noch zuletzt habe ermorden wollen, weiß ich nicht. Wir sind immer ziemlich ruhig gewesen. Alles, was wir befürchteten, war, mit fortgeführt zu werden; und in diesem Falle hatte Jeder seine eventuellen Maßregeln genommen. Die Lage der Sachen machte das Mordproject ganz unwahrscheinlich, wenigstens in Ansehung der Kriegsgefangenen. Es kann nur in dem Kopfe einiger durch Verzweiflung Verrückter gesessen haben, und es war unmöglich, daß es nur einige besonnene Anhänger finden konnte. Wenn man bedenkt, mit welcher unaufhaltsamen Geschwindigkeit die Russen von Litthauen und der Ukraine aus den Feldzug machten, und wie schnell sie vor Warschau ankamen, kaum sahen und schon siegten, und wenn man dagegen die langsamen Bewegungen der Preußen und ihre lange fruchtlose Belagerung hält, so ist allerdings die Vergleichung erstaunlich auffallend. Wenn man aber erwägt, daß der König seine besten Truppen in einem andern Kriege hatte, daß die Lage seiner Länder es erforderte, seine Grenze, so zu sagen, durch einen Cordon von Czenstochow aus bis nach Memel zu decken, so wird es sehr begreiflich, wie er mit so weniger Mannschaft in einer so kritischen Lage mit der größten Vorsichtigkeit zu Werke gehen mußte. Selbst die Schlacht bei Czechoczin, wo der Sieg lange unentschieden blieb, und wo Kosciusko sich mit der größten Geschicklichkeit rettete, lehrte den König, daß er mit keinem gewöhnlichen Manne zu thun hatte. Bei Warschau hoffte er, daß die Russen erst den Feind in Litthauen enger zusammendrängen würden, um ihm sodann mehrere Unterstützung zu leisten. Auch hatte er sich vermutlich vorher mit falscher Hoffnung geschmeichelt, daß sich Warschau auf die erste Aufforderung bei seiner Annäherung ergeben würde. Die ihm aber dieses versichert hatten, kannten den Kopf an der Spitze, den Geist des Volks und die Lage der Sachen nicht hinlänglich. Die Gegend um Warschau war von Kosciusko vortrefflich benutzt und seine Plane von geschickten Officieren sehr gut ausgeführt worden. Er konnte in dieser bedenklichen Lage keinen Sturm wagen, wie vielleicht die Russen wünschten. Der fehlgeschlagene Versuch hätte für seine Sache die fürchterlichsten Folgen haben können. Der Kern der polnischen Truppen stand in und bei Warschau, und dieser war noch frisch und muthig, noch durch keine großen Unglücksfälle abgeschreckt. Der Aufstand in Südpreußen, der ihm im Keim schon nicht mehr verborgen sein konnte, wäre sodann ein höchst gefährlicher Umstand gewesen, da er ohnedies schon ein riesenmäßiges Ansehen zu nehmen schien. Die Russen hingegen hatten gegen die Polen den Kern ihrer Truppen; und als sie in die Gegend von Warschau kamen, hatten die Sachen schon eine ganz andere Gestalt gewonnen. Ganz Litthauen und Samogitien war rein, ihr Rücken frei; die Preußen hielten von der andern Seite den Feind wenigstens in Respect. Suworow konnte stürmen ohne Gefahr; wenn der Sturm abgeschlagen wurde, so hatte er nichts weiter verloren als den Sturm, und seine Armee war gesichert; und wenn der fehlgeschlagene Sturm vielleicht einige üble Folgen haben konnte, so waren diese nicht in der politischen oder militärischen Lage der Sachen, sondern in ganz andern Verhältnissen. Er war glücklich und krönte sein Werk.

Man betrachtet und beurtheilt diesen außerordentlichen Mann aus manchen Gesichtspunkten. Sein eigentümlicher Charakter ist schnelle Entschlossenheit und ebenso schnelle kraftvolle Ausführung. Die Herzen seiner Soldaten hat er durch Popularität ganz in seinen Händen; und seit Cyrus und Cäsar ist schon bekannt, welcher Vortheil dieses für einen Feldherrn ist. Vielleicht ist seine Leutseligkeit und Nachsicht auf Kosten der Disciplin zuweilen ein Wenig excessiv, aber er überläßt sehr weislich die Disciplin seinen Unterbefehlshabern, übergiebt ihnen das Strenge und Harte des Dienstes und behält selbst davon nur das Gefällige; ein Betragen, das, wenn es recht verstanden wird, vortreffliche Wirkung hat und gar nicht zu tadeln ist. Alles, was er thut und spricht, ist mit einem ganz eigenen Stempel gezeichnet. So verlangt er lauter bestimmte Antworten, und ein »Ich weiß nicht« bringt ihn in den heftigsten Zorn. Wenn die Replik nur schnell und bestimmt ist, so fragt er oft sehr wenig nach der Wahrheit. Wahrhafte Männer haben mich versichert, er nehme es hin, wenn man einen Gründling für einen Haifisch und eine Lerche für einen Auerhahn angebe, wenn man ihm nur nicht die Antwort schuldig bleibt oder seine Unwissenheit weitschweifig und verlegen gesteht. Er badet Sommer und Winter sehr kalt und oft im Angesicht der ganzen Armee. Alle seine Bewegungen und Reden sind äußerst schnell, und in der kleinsten seiner Bemerkungen ist Witz, oft sehr beißender Witz. Seine kurzen, lakonischen Rapporte sind allgemein schon aus dem vorigen Türkenkriege bekannt. An die Kaiserin soll er von den Prager Batterien weiter nichts geschrieben haben als: »Hurrah! Praga! Suworow;« und die Kaiserin soll ihm sehr gnädig in dem nämlichen Stile geantwortet haben: »Bravo! Feldmarschall! Katharina.« Man muß nämlich bemerken, daß er durch diesen Streich erst Feldmarschall wurde. Verbürgen kann ich die Wahrheit dieser Anekdote nicht; aber sie sieht dem Geiste Beider sehr ähnlich. Die den Mann näher kennen, sagen, er habe sehr viel militärische Gelehrsamkeit und die ausgebreitetste Belesenheit aller Art. Er spricht außer dem Russischen mehrere Sprachen, zum Exempel Deutsch, Französisch und Türkisch mit vieler Fertigkeit. Er liebt sehr Sprichwörter und Sentenzen und giebt oft in denselben seine Befehle. Ich habe in Praga bei dem Obristen Lieven eine poetische Ordonnanz von ihm gesehen, die die herrlichsten militärischen Maßregeln, vorzüglich für die damalige Lage enthielt und wirklich dichterischen Werth hatte. Ich bedaure, daß ich sie nicht mehr besitze; sie würde für Deutsche ein herrliches Stück zu seiner Charakteristik sein. Als er an der Spitze der Regimenter nach Warschau zog, küßte und umarmte er auf der Brücke Alles, was ihm entgegenkam und gewann dadurch auf einmal das ganze Zutrauen des Volks. Er sprang vom Pferde, um bei dem Einzuge auf der Krakauer Vorstadt einem Greise diese Ehre zu erzeigen; und der Alte weinte vor Freuden, als er hörte, es sei Suworow selbst, der ihm so auszeichnend gütig begegnet habe. Seine gewöhnliche Höflichkeitsbezeigung gegen Personen, die ihn schon gesehen, oder Officiere, die ihn auch wol noch nicht gesehen haben, ist: »Komm, Bruder, küsse mich!« Ich fuhr mit dem Obristen Lieven ins Hauptquartier, als ich den Feldmarschall zum erstenmal sahe. Er stand am Kamin und zog sich das Hemde an und sagte zu einigen Polen, die eben mit vielem Respect hereingetreten waren, um ihren ersten Besuch zu machen: »Warten Sie ein Wenig, meine Herren, warten Sie!« Nachdem er sein Hemde in Ordnung gebracht hatte, drehte er sich um, kam, ohne erst die Oberkleider anzulegen, einige Schritte näher zu ihnen, machte mit schneller Cadenz einige Verbeugungen mit den Worten: « Paix, amitié et fraternité!« und sprang ihnen mit einer solchen Heftigkeit um den Hals, als ob er sie erdrücken wollte. Solche charakteristische Scenen sind bei ihm täglich gewöhnlich. Selten hat er Equipage, und seine Feldzüge hält er gewöhnlich auf einem Kosackenpferde, das er auf den Posten wechselt, und das der Kosack, der mit ihm reitet, wenn es nicht schnell genug gehet, mit der Knute treiben muß. Er soll nie Geld haben, sich nie in Geldgeschäfte mengen und die ganze Oekonomie auf gutes Zutrauen einem Hausofficier überlassen. Wenn er ein Fest geben will, läßt er diesen kommen und fragt ihn, wie viel die Anordnung koste. Der Officier sagt ihm die Summe nach kurzem Überschlage. »Mehr, Bruder, mehr!« ruft er, wenn es ihm nicht genug ist. Der Officier setzt hinzu, und der General sagt immer: »Mehr, Bruder, mehr!« bis ungefähr die Summe seinem Gutdünken entspricht oder übersteiget, wo er dann spricht: »Abgezogen, Bruder, abgezogen!« Auf diese Weise wird dann das Fest bestellt, um das er sich weiter mit keiner Silbe bekümmert, und es wird bei ihm taxirt nach der Summe, die es ihn gekostet hat.

Es sei mir erlaubt, auch noch etwas über Kosciusko zu sagen. Da der Mann dieses Jahr eine so merkwürdige Rolle gespielt hat und von Verschiedenen so verschieden beurtheilt, von Einigen als Held und Heiliger erhoben und fast angebetet und von Andern als Bösewicht verdammt wird, so können ein paar Worte von einem unparteiischen Manne, der seine Demarchen zuweilen in der Nähe beobachtet hat, nicht unangenehm sein. Personen, die ihn in der Jugend gekannt haben, sagten mir von seinem excentrischen Genie in seinen Knabenjahren schon Vieles. Er habe in der Schule beständig einsam mit sich gelebt, nur wenig und immer bestimmt gesprochen, vorzüglich Geschichte und Mathematik studirt und in der Geographie schon damals eine seltene Stärke besessen. Das Letzte hat er in dem letzten Feldzuge nicht ganz gezeigt; denn welches Land sollte ihm billig wol besser bekannt gewesen sein als sein Vaterland? Die Geschichten von Czechoczin und Maczewicza zeugen aber nicht von dieser vollkommenen Kenntniß, wenigstens nicht von dem Vortheil, den ein General daraus ziehen mußte. In Amerika soll er bei mehrern Gelegenheiten mit viel Kenntniß und Muth zu Werke gegangen sein; und in der Belagerung von Ninety-Six läßt ihm der amerikanische Geschichtschreiber vieles Lob widerfahren. In dem ersten Feldzuge gegen die Russen unter Kochowsky ist er nach Uebereinstimmung aller Polen und Russen der Einzige, der den letzten noch einigen Widerstand geleistet hat; und die Action bei Dubenko, wo der russische Obrist Palmbach blieb, ist nach Aussage der russischen Officiere selbst sehr zu seinem Ruhme. Er hielt sich daselbst mit ungefähr 4000 Mann gegen 16,000 Russen sechs Stunden auf einem Posten, den zu befestigen er nur 24 Stunden Zeit gehabt hatte, und zog sich, nachdem er den Russen außerordentlichen Schaden zugefügt hatte, ohne großen Verlust von seiner Seite zurück, indem er nur sechs Kanonen verlor. Es war natürlich, daß die Revolutionärs ihn zu ihrem Anführer wählten. Die Sache war für Rußland und Preußen gefährlich genug und hätte weit gefährlicher, vielleicht schrecklich werden können, wenn der Plan gehörig angelegt und ausgeführt worden wäre, und wenn ihn nicht die übereilte Hitze des Madalinsky und einiger andern Hitzköpfe verdorben hätte. Als Dieser voreilig losgebrochen war, blieb Kosciusko weiter nichts übrig, als entweder die Sache aufzugeben oder sie zu nehmen, wie sie war. So viel auch seine Landsleute von seiner Klugheit und Mäßigung sprachen, konnte ich doch gleich anfangs Beides nicht in seinem Betragen finden. Sein Manifest gegen die Kaiserin und den König war so heftig, so anzüglich, so beleidigend, so rebütant selbst für Mäßiggesinnte, daß ich nicht begreifen kann, wie ein sonst so vernünftiger Mann dergleichen Dinge schreiben konnte. Vermuthlich hoffte er durch dergleichen mehr als bittere Personalitäten auf das Volk zu wirken; er wirkte aber fanatisch, und Fanatismus hält nie Stich. Man muß seinem Feinde sein Unrecht zeigen, mit kalter Vernunft sprechen und selbst in der Wärme wenigstens nie die Grenzen des conventionellen Sittlichen überschreiten und nicht Dinge einflechten, die nicht zu dieser Sache gehören; man muß ihn schlagen und ihn nicht schimpfen. Wo ich Schimpfworte höre, es sei, wo es wolle, gehe ich immer voll Mißtrauen zurück. Es fehlte Kosciusko nicht an Anhängern in den neuen preußischen und russischen Provinzen; seine Heftigkeit schreckte sie billig alle ab und machte sie mißtrauisch. Den Nutzen seiner Sensenträger hat noch kein Militär gehörig einsehen können. Die Pike ist eine fürchterliche Waffe und, wenn sie gut und zweckmäßig gebraucht wird, von schrecklicher Wirkung. Man hat, glaub' ich, nicht ganz richtig gerechnet, daß man sie seit dem spanischen Successionskriege völlig außer Gebrauch gesetzt hat. Aber Kosciusko bediente sich ihrer augenscheinlich nicht mit dem besten Vortheil, den er daraus ziehen konnte. Er ließ die Pikenträger durch das feindliche Feuer an der Spitze avanciren; natürlich prallten die Neulinge, die noch kein Feuer gewohnt waren und selbst weder Feuerwaffen hatten, noch durch dieselben gehörig unterstützt wurden, meistens zurück, und das feindliche Feuergewehr wüthete sodann fürchterlich unter ihnen. Nach meiner Meinung hätte er sie beständig kräftig durch Feuer unterstützen oder sie zur Ressource ins zweite Treffen oder in kleinere Intervalle stellen können, wie er nach dem, was ich von dem Gefechte zwischen ihm und Tormasow bei Krakau gehört und gelesen habe, daselbst mit Vortheil gethan hatte. Bei Czechoczin ist mir kaum begreiflich, wie er nicht wußte, daß die Russen und die Preußen sich vereiniget hatten. Hat er es gewußt und seinen Soldaten verschwiegen, so weiß ich keinen Grund zu diesem Benehmen, aber wohl manchen dagegen; wußte er es nicht, so war es augenscheinlich die größte Vernachlässigung, zumal da in der dortigen Gegend die Gemüther so gestimmt waren, daß jeder Bauer gern Nachricht gab. Sein Rapport war, daß man schließen muß, er habe die Vereinigung nicht gewußt. Auf alle Fälle konnte sie aber doch höchst wahrscheinlich vermuthet werden, und der Soldat mußte daher mit der größten Aufmerksamkeit darauf vorbereitet sein, damit ihn nichts Neues, nichts Unerwartetes und Vergrößertes in Schrecken setzte, wie das nach seinem eigenen Rapport an den Nationalrath der Fall war. Seine Verteidigung unter Warschau ist nach dem Urtheil aller Kenner meisterhaft. Daß ihn Fersen mit dem Uebergang über die Weichsel hinterging, war leicht zu entschuldigen, da Fersen den ganzen Strom aufwärts in seiner Gewalt hatte; aber daß er sich, als er ihm folgte, in einer so unglücklichen Stellung überfallen ließ, als Eingeborner nicht weit von der Residenz überfallen ließ, ist gewiß unverzeihlich. In einem solchen Falle ist keine Entschuldigung giltig, daß man den Feind nicht so nahe geglaubt habe; man muß vielmehr glauben, daß der Feind fliegen könne, wenn man Maßregeln zu seiner Sicherheit nimmt. Der Ausgang hat gelehrt, was zu fürchten war. Auf Poninsky war nicht sicher zu rechnen; denn mancherlei Hindernisse konnten ihn zurückhalten, auch ohne daß er ein Verräther war. Bei Allem dem bleibt Kosciusko immer ein Mann, der Achtung verdient, ein ehrlicher, rechtschaffener, braver Mann, den nur Noth, heißer Patriotismus und falsche, aber doch noch wahrscheinliche Hoffnungen zu einem Schritte brachten, der seiner Nation letal wurde. Diejenigen thun ihm augenscheinlich Unrecht, welche in seinem Kopfe eine Cromwelliade suchten, ob er gleich vielleicht in manchen Fällen besser gethan hätte, nicht so eigenmächtig zu handeln. Man hatte vermuthlich ziemlich sicher auf auswärtige Unterstützung gerechnet; und ich glaube, es ist selbst die Schuld der Polen, daß diese nicht erfolgte. Eine gut eingeleitete, geschickte Verhandlung hätte in dieser Lage fast mathematisch berechnet wirken müssen; aber unter allen Polen scheint bei der ganzen Geschichte kein einziger ächt politischer Kopf gewesen zu sein. Vorbeigelassene Momente kehren nicht zurück. Boscamp war nach mehrerer Meinung der Mann, dem man in diesen Conjuncturen verzeihen mußte, und dessen Einsicht und Talente man benutzen konnte, da man für seine Treue Sicherheit genug in den Händen hatte, indem seine Familie und Güter in Warschau waren; und endlich wäre ja weiter nichts verloren gewesen, wenn er auch Verräther geworden wäre. Es war durch ihn nichts zu verlieren, aber wohl sehr viel zu gewinnen. Das Schicksal beschloß es anders. Kosciusko ward gefangen genommen; der neue Generalissimus Wawreczewsky war ein Mann von sehr wenigem Militärgeist, und der Aufstand ging zu Ende. Einer meiner Freunde, der bei Kosciusko, welcher im russischen Lager als Gefangener war, die Ordonnanz hatte, hat ihn oft zu bemerken Gelegenheit gehabt und versichert, er habe sein Betragen immer voll Würde gefunden. Einmal war ein hartnäckiges Gefecht, das lange zweifelhaft blieb, Kosciusko saß an dem Tische, stumm und tiefsinnig den Kopf auf den Ellbogen gestützt, bis ein Officier die Nachricht brachte, die Russen haben endlich mit dem Bajonnette durchgedrungen. »Gott! Gott!« sprang er auf und schlug sich vor die Stirne; »warum habe ich bei meiner Sache nicht solche Soldaten gehabt!« Man lärmt und schimpft über ihn, und die Manifeste nennen ihn Rebellen. Es kommt nicht darauf an, was Zeitungen und Parteigänger sagen, sondern was der vernünftige unparteiische Beobachter denkt, und was die vorurtheilsfreie Nachwelt von ihm sprechen wird; und diese wird bei allen seinen Fehlern, die er vor und während dem Feldzuge gemacht hat, bei allen seinen Irrthümern im Rechnen, seiner Rechtschaffenheit und seinem Patriotismus doch immer Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihn Polens Phocion nennen, so wenig sie im Gegentheil bei den Conjuncturen die benachbarten Mächte verdammen wird, daß sie ihm entgegenarbeiteten und seine Plane zernichteten. Der polnischen Nation hat es nie an großen, muthigen und entschlossenen Männern gefehlt; die Geschichte stellt Beispiele auf, vor denen andere Nationen mit Ehrfurcht stehen. Auch unter den letzten Conjuncturen haben sich dann und wann Männer mit einem Muth betragen, den man in andern Verhältnissen Heroismus nennen würde.

Es ist bekannt, wie wenig selbstständig der König, Stanislaus Poniatowsky, in den kritischen Zeiten handelte, in welche ihn das Verhängniß gesetzt hatte. Wenn man die öffentlichen Blätter des Reichs lieset, erstaunt man, mit welcher Kühnheit und Bündigkeit zuweilen Männer in den öffentlichen Versammlungen sprachen. Aber was konnten einzelne Säulen helfen, wo dem ganzen Bau Haltbarkeit fehlte? Ein Pole von der gemäßigten Partei hat mir folgende Apostrophe mitgetheilt, die einer der Patrioten bei einer gewissen Gelegenheit an den König gehalten haben soll. Wenn sie nicht wörtlich wahr sein sollte, wofür ich nicht bürgen kann, so ist doch das Wesentliche davon schon oft in den Reichsversammlungen gesagt und öffentlich bekannt gemacht worden. Der Mann sprach: »Hören Sie mich, Herr! die Nation spricht aus meinem Munde, und die Nachwelt soll Richter sein zwischen ihr und Ihnen. Ein ganzes, großes, schönes, kraftvolles Volk ist durch Sie in ein politisches Nichts herabgesunken. Was die Ueppigkeit, die Schwelgerei, der Bestechungsgeist Ihrer Vorfahren angefangen hat, das hat Ihre Schwachheit vollendet. Warum bewarben Sie Sich um eine Krone, wenn Sie ihr Gewicht nicht tragen konnten? Die Feinde des Vaterlandes haben sich nicht in Ihnen geirrt, als sie sie der Nation zum König aufdrangen; die Absicht ist erreicht. Durch schöne Worte und Nepotismus regiert man keine Völker. Unsere Krieger wollten fechten, und Sie weinten in den Armen der Weiber. Nicht Thränen, sondern Thaten retten die Ehre und sichern das Glück der Länder. Würde Sobiesky den Polen haben Hohn sprechen lassen? Wir sind ein Spott der Völker geworden. Durch Ihre Schwachheit faßte die Zwietracht Wurzel in unserm Reiche; Ihre Selbstständigkeit, Ihr Muth hätte sie ausgerottet. Sie hatten das Herz der Nation in Ihrer Hand; Sie haben es weggeworfen wie ein Knabe sein Spielwerk. Wehe den Königen, die mit diesem Heiligthum freveln! Die Nachwelt, welche mit unparteiischem Griffel die Geschichte der Könige, der Marc Aurele und der Sardanapale, schreibt, wird mit Wahrheit von Ihnen sprechen und Ihnen die verdiente Stelle in der Galerie Ihrer Personen anweisen.« Dergleichen Reden soll der König oft haben hören müssen. Sie sind unstreitig zu hart; aber es ist doch manche Wahrheit darinnen. Folgender Aufzug, noch ziemlich lange vor der Revolution, war für ihn auch äußerst empfindlich. In dem deutschen Schauspiele, wo der König oft gegenwärtig war, kam in einer Stelle eine pathetische Rhapsodie des Patriotismus vor, welche mit den Worten schloß: »Wehe dem Lande, dessen König schläft!« Der Schauspieler arbeitete seine Rolle gut; der Beifall war ungestüm, und er mußte unter lautem Klatschen zweimal die Stelle wiederholen. Eine größere Demüthigung kann man schwerlich für das Ehrgefühl eines Regenten ersinnen; denn man suchte die Beziehung gar nicht zu verbergen. Der König ist übrigens der beste, rechtschaffenste, freundschaftlichste Mann, von dem aber ziemlich die Charakterzeichnung Friedrich's des Zweiten von Karl dem Sechsten gilt. Der Kaiser Karl der Sechste würde höchst wahrscheinlich in ähnlichen Verhältnissen Stanislaus Poniatowsky und dieser vice versa Karl der Sechste geworden sein. Hier haben Sie meine Gedanken. Eben erfahre ich, daß unser General Beningsen, dessen Talente und Verdienste bekannt sind, die vollständige Geschichte des Feldzuges schreibt; alsdann werden Sie hoffentlich etwas ächt Pragmatisches haben.


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