Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwei Briefe über die neuesten Veränderungen in Rußland seit der Thronbesteigung Paul's des Ersten

 

Auf dem Titel des ersten Druckes dieser Schrift von 1797 ist Zürich als Verlagsort genannt, ein Verleger aber nicht angegeben.

 

Erster Brief

Lieber Freund!

Sie glauben, daß ich nach meinen Verhältnissen Rußland vorzüglich kennen müsse, und wollen meine Meinung über die neuen Phänomene in dieser Region hören. Wäre das Erste, so hätten Sie zu dem Zweiten sehr gegründete Ursache. Aber Rußland ist wegen seiner ungeheuern Ausdehnung nach allen Weltgegenden, der größten Verschiedenheit der Nationen, die dieses kolossalische Reich bilden, der unbestimmten Norm, nach welcher es regiert wird, und wegen der wenigen Publicität, die in Rücksicht der öffentlichen Geschäfte ausschließlich dort stattfindet, so schwer zu kennen, daß selbst Männer, die am Ruder sitzen, oft kaum bestimmt sagen können: so ist dieses, und jenes war so. In Rußland ist fast Alles, was sich auf den Staat bezieht, blos Meinung und nichts Wissenschaft, und diese Meinung, die mehr als irgendwo einem Wetterhahne gleicht, wird selten laut, als insofern sie ukasenmäßig ist. Ich selbst kenne dieses Reich und seine innern Verhältnisse sehr unvollkommen, und wenn Sie etwas von mir verlangen, so kann ich weiter nichts, als mit Ihnen aus etwas mehr Einsicht in die dortigen Dinge philosophiren, insofern man über Gegenstände dieser Art philosophiren kann und darf. Leider hat man immer die Philosophie aus diesem Gebiete zu den traurigen Quidditäten der Schule verbannen wollen; aber sie hat sich nach und nach mit ihrer Allgewalt selbst wieder in ihre Rechte eingesetzt, indem sie nach ihrer Befugniß Herz und Kopf zugleich in Beschlag nimmt. Nur ein alter vernunftlahmer Actenritter kann noch vom juristischen und philosophischen Naturrecht sprechen; denn wenn das Naturrecht nicht ganz philosophisch ist, so kann es gar nicht juristisch sein. Dieses Kriterien sollte eigentlich auch bei jedem positiven Gesetze für bürgerliche Rechtsfälle Giltigkeit haben; man mag nachsehen, wie weit es wirklich Giltigkeit hat.

Schlimm genug ist es, daß man meistens außer den Grenzen eines Reichs sein muß, um über dieses Reich vernünftig, freimüthig sprechen und schreiben zu dürfen, und daß die Aengstlichkeit der meisten Regierungen so groß ist, daß jede Berührung einer öffentlichen Sache und ihre gründliche Untersuchung verdächtig wird. Der Probirstein der Wahrheit in jeder Rücksicht ist Fähigkeit der Publicität, und ich zweifle, daß es Wahrheiten gebe, die man zum Wohl der Menschheit geheim halten müsse. Freilich muß man dahin sehen, daß diese Wahrheiten völlig verstanden werden, welches sehr leicht ist; denn jede Wahrheit ist leicht; aber der größte Theil arbeitet dahin, daß sie entweder gar nicht oder, was noch schlimmer ist, falsch verstanden werden. Das sehen wir täglich in der Religionslehre, der Moral, dem Staatsrecht, dem bürgerlichen Recht und der Philosophie überhaupt, wo die Menge durch die gefärbten Gläser ihrer Leidenschaften sieht und nach der Richtung der Privatwünsche handelt. Die absolute Wahrheit ist Asträens Schwester; beide sind in den Himmel zurückgekehrt, und beide kommen nur Hand in Hand wieder. Die Männer sind Schutzgeister ihres Geschlechts, die sie zu uns herabrufen und ihre Altäre wieder bei uns aufbauen helfen; aber Gefahr ist, daß nicht anstatt Asträens Nemesis und anstatt der Wahrheit das Chaos der Vernunft in Trümmern erscheine. Der Mensch muß blos menschlich beurtheilt und behandelt werden; wir haben für ihn keinen andern Maßstab. Aber was ist rein menschlich? Das war die Frage vor Jahrtausenden, und noch hat Keiner befriedigend geantwortet. Ich verliere mich in Rhapsodien; wir wollen zurück zu den Russen, von denen Sie hören wollen.

»Rußland ist das Land der Möglichkeiten,« sagt ein neuer fremder Schriftsteller und will damit sagen, daß große, sonst ungewöhnliche, unerwartete Veränderungen mit Sachen und Personen in diesem Reiche nichts Ungewöhnliches sind. Die ganze Geschichte dieser Nation giebt Belege zu dieser Bemerkung. Wir dürfen nur die Phänomene derselben in diesem Jahrhunderte nehmen, um uns zu überzeugen, wie wahr sie ist. Vor einiger Zeit hatte man Ursache zu glauben, Rußland würde mit dem Tode der Kaiserin Katharina der Zweiten aufhören, ausschließlich das Land der Möglichkeiten zu sein, da unter ihrer Regierung Alles von innen und außen eine so feste Consistenz zu gewinnen schien. Die Einrichtung der Staatsgeschäfte, des Militärs und der Justiz hatte angefangen, einen so einförmigen, verhältnißmäßig so guten Weg zu nehmen, daß es das Ansehen hatte, es dürften nur strenge die vorhandenen Gesetze befolgt werden, um bald zu einer merklichen Vollkommenheit zu gedeihen.

Der Charakter Katharinens wird von den verschiedenen Parteigängern aus so verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet, daß die eine Hälfte des europäischen Publicums sie als ein Muster der Regenten aufstellt und die andere sie als das Nonplusultra eines bösen Weibes verschreiet. Selbst in Rußland fehlt es nicht an Stimmen für die letzte Meinung, versteht sich, daß man nur ihr Lob laut sagt und bitteren Tadel mit vielen Gemeinsprüchen von Gerechtigkeit, Humanität und Eifer für Menschenwohl überzieht. Man stellt wider sie auf: ihre Thronbesteigung, ihre Kriege, ihre Eingriffe in die Rechte der Provinzen, ihre Eigenmächtigkeit von innen und außen. Ich bin zu nichts weniger verbunden und nichts weniger gesonnen, als ihr Vertheidiger ohne Einschränkung zu sein; aber leicht ließe sich darstellen, daß in der ersten fürchterliche Collision war, in welche sie sich nicht selbst gesetzt hatte, und in dem Uebrigen Consequenz und folglich wenigstens nach ihrem Plan und nach ihrer Absicht für das Wohl ihrer Unterthanen keine Ungerechtigkeit. Die Ursachen, Beschaffenheit und Verkettung ihrer Kriege kann ich hier nicht ausführlich behandeln. Sie sind freilich nicht so gut, als sie in ihren Manifesten sein sollen, aber auch nicht so schlecht als in den Schmähungen ihrer Feinde, und manchmal war es blos der Fehler ihrer Minister, daß sie auch nicht bessere Manifeste machten, da sie doch bessere Gründe hatten. Man hält sich überall noch zu sehr an den Bombast der Diplomatik und des Kanzleistils, um dem Ganzen ein recht feierliches, kanonisches Ansehen zu geben, ohne zu erwägen, daß Dunkelheit und Unverständlichkeit wol eine gute Sache schlimm, aber keine schlimme Sache gut machen können, außer bei Leuten, denen der Rauch die Sehnerven beizte, und die folglich blindlings glauben. Ihre Einrichtungen im Innern waren, wenn auch nicht vollkommen, doch musterhaft für einen Staat auf der Stufe der Cultur, auf welcher Rußland stehet, und der herrliche Anfang zum kühnen Fortschreiten in jedem Felde der Humanität. Wem dieses bei einigen Phänomenen unter ihrer Regierung widersprechend scheint, der unterscheidet nicht das, was sie that und thun wollte, und das, was durch niedrige Eigenmacht, Herrschsucht, Cabale, Geldgeiz und Leidenschaften aller Art von den Ausführern ihrer Entwürfe vereitelt wurde. Wie oft wird ein Monarch mit dem hellsten Beobachtungsgeist und dem thätigsten Eifer für seine Pflichten und das Wohl seiner Länder hintergangen! und Katharina war nur ein Weib, die bei allen großen Eigenschaften ihres Charakters doch in vielen Fällen immer nur sehen konnte, wie man sie sehen lassen wollte. Auf ihrer Reise nach Cherson hatte man plötzlich am Wege ungewöhnliche Wohlhabenheit geschaffen; es war auf Potemkin's Wort schnell eine neue Schöpfung entstanden, und selbst sonst öde Gegenden wimmelten von glücklich scheinenden Menschen. Hätte sie nur funfzig Werste links oder rechts abwärts von der Heerstraße gemacht, mit welcher Empfindung würde sie die wahre Gestalt des Landes gesehen haben, die man ihr verbergen wollte! Was sie thun konnte, hat sie gethan. Die großen Wohlthaten, die sie mehr als dreißig Jahre ihren Nationen zu erweisen gesucht und wirklich erwiesen hat, müssen ihre Fehler zugedeckt haben. Der Verfasser der hyperboreischen Briefe nennt sie im heiligen Enthusiasmus für Humanität a great bad woman; ich weiß nicht, mit welchen Gründen der Mann seinen Ausspruch beweisen will. Das Buch hat den Vortheil eines guten Stils und einer angenehmen Erzählung; aber wider den Inhalt dürften Sachkundige in mehrern Punkten mit Recht ihren Protest einlegen. Die Nachwelt wird gewiß der Frau die Gerechtigkeit widerfahren lassen, die sie verdient, sie höchst wahrscheinlich nicht zum vollkommenen Regentenmuster aufstellen, aber sie doch von den Anklagen und Schmähungen lossprechen, mit welchen der gleichzeitige Parteigeist jeden ihrer Schritte verfolgte.

Ich kann weder ihr Panegyrist noch ihr Geschichtschreiber sein; aber ich muß Einiges von ihr erwähnen, ehe ich mit Ihnen über mehrere Maßregeln des jetzigen Kaisers spreche, die den ihrigen geradezu entgegengesetzt zu sein scheinen. Jedermann weiß, wie viel Publicität und Liberalität des Denkens unter Katharina der Zweiten in Rußland gewonnen haben, wie viel sie durch Nationalerziehung auf Nationalbildung zu wirken suchte und in der That wirkte, mit wie vielem Eifer sie dem Chaos der russischen Justiz durch Einführung der Gouvernements und guter Dikasterien einige Gestalt zu geben wußte. Das Wohlthätige der Verordnungen wurde überall verspürt, und man tröstete sich billig, daß die Zeit das noch Mangelhafte verbessern würde. Freilich schrie der lievländische Adel über Beeinträchtigung seiner Privilegien und suchte anfangs die Verordnungen der Monarchin in dem gehässigsten Lichte darzustellen. Es wurde ihm dadurch die uneingeschränkte eigenmächtige Jurisdiction über seine Leibeigenen aus den Händen gewunden, oder sie wurde wenigstens der Aufsicht des Gouvernements näher gestellt, da die Regierung Sorge trug, daß der Landmann wenigstens dem Namen nach als Person und nicht mehr als Sache behandelt wurde. Man murrte, weil man bei jeder Neuerung fürchtet; aber bald schwiegen alle Stimmen zum Vortheil der neuen Ordnung der Dinge still, und nur hier und da wurmte es noch einige alte hochmeisterliche Familien, die nun nicht mehr wie vorher das Magnatenwesen treiben, die Uebrigen als Klienten um sich her versammeln und durch ihren Einfluß den größten Theil der Provinz von sich abhängig machen konnten. Der Adel verlor zwar die Ritterschaftsgüter; aber die Einkünfte dieser Güter wurden zur Besoldung der neuen Dikasterien verwandt, und diese Besoldung kostete der Regierung doppelt die Summe dieser Einkünfte. Wenn die Justiz deswegen zuweilen nicht besser ging und ihre wächserne Nase noch immer nach allen Angeln gedrehet wurde, so war die Monarchin zu bedauern, daß ihre wohlgemeinten Absichten durch Bosheit, Cabale und Kastengeist oft so sehr vereitelt wurden. Der Adel selbst gewann, wenigstens der ärmere Theil desselben, beträchtlich, und der angesehenere verlor blos seine Bassawürde. Die Stellen waren zwar nur mäßig besoldet, aber ihre Anzahl war groß, und eine Menge junger Edelleute ohne Vermögen von Hause gewannen dadurch eine ehrenvolle Aussicht auf das Leben. Durch ganz Rußland hatte die Einrichtung bei weniger Schwierigkeiten den nämlichen Vortheil; denn der russische Adel konnte keine solchen ausschließlichen Privilegien prätendiren und war, als Hauptnation betrachtet, nach der alten Verfassung des Reichs unbedingter dem Willen des Monarchen unterworfen. Wenn die neue Justizverfassung der Kaiserin nicht absolute Vollkommenheit hatte, so war sie, was jede menschliche Verordnung ist, und die Ursachen ihrer Mängel lagen mehr in den Gesetzen als der Verfassung, mehr in den Gebrechen der Verwalter als der Norm der Verwaltung. Sie war nicht unbedingt gut; aber sie war doch die beste, die in den Umständen möglich war, und folglich die beste für Rußland; und sie enthielt den Grund, wenn man darauf fortgebaut hätte, zu einem herrlichen Gebäude für wahre Gerechtigkeit und Humanität. Freilich wäre dem Adelssinn und Kastengeist dadurch nicht sehr gerathen gewesen; aber ist es denn nicht eben dieser Adelssinn und Kastengeist, der die meisten Staaten, so viel ihrer die Menschengeschichte nennt, so lange niederdrückte und zerrüttete, bis endlich die Maschine eines natürlichen oder gewaltsamen Todes durch innerliche oder äußerliche Ursachen starb?

Paul der Erste ließ es seine erste Sorge sein, diese neue, aber schon zur Festigkeit gediehene Ordnung wieder zu ändern und den alten Gang der Geschäfte herzustellen. Ich weiß nicht, ob diese Veränderung durch ganz Rußland gehet, aber in Kurland, wo sie kaum angefangen hatte, und Lievland und Esthland ist sie gewiß. Die Veränderung ist gewiß; es fragt sich nun, ob auch die Verbesserung? Daß der Monarch Verbesserung gewünscht und gewollt hat, ist kein Zweifel; denn es wäre Unsinn, ihm eine andere Absicht unterzuschieben, da in allen menschlichen Verhältnissen keinem Manne auf Gottes Erdboden mehr daran gelegen sein muß, Gutes zu wirken oder wenigstens den guten Willen der Nation, über die er gebietet, zu gewinnen. Und diesen gewinnt man nur, indem man ihr wahres Glück zu befördern sucht. Nichts ist gefährlicher, als Despot zu sein; eine Wahrheit, welche die Geschichte mit hundert blutigen Beispielen belegen kann. Und doch arbeiten so Viele in großen und kleinen Sphären auf Despotismus hin, vielleicht ohne alle Absicht, weil sie die Menschen und ihre Verhältnisse, ihre Tugenden und ihre Schwachheiten und alle ihre Leidenschaften nicht genug in Erwägung ziehen. Wenn der Kaiser Paul bei seiner Regierung die Absicht hat, unbegreiflich wie die Gottheit zu sein, so hat er bis jetzt in vielen Dingen diese Absicht erreicht. Sein Charakter war anerkannt von je her strenge Gerechtigkeit, Ordnungsliebe und Unparteilichkeit. Ein Monarch hat selten öffentliche Feinde, aber desto mehr Widersacher im Stillen: und selbst diese und alle Diejenigen, die unter seinen bisherigen Verfügungen litten und seine Maßregeln mißzustellen suchen, sind genöthiget, diesen Charakter zu unterschreiben. Aber mit diesem Charakter kann doch Vieles gegen denselben geschehen, ohne daß er beleidiget würde; und ich fürchte fast, daß dieses in mancher Rücksicht so wie in dieser der Fall sei. Es ist eine Krankheit der meisten neuen Regierungen, in Allem das Gegentheil der alten zu thun, so sehr, daß es in allen Sprachen zum Sprichwort geworden ist.

In Petersburg hat man zu dieser alten Bemerkung ganz neue Belege. Der Kaiser hat die von seiner Mutter festgesetzte Justizverfassung in gedachten Provinzen wieder aufgehoben und die alten Privilegien wieder hergestellt. Das klingt schön; und es ist nur zu bestimmen, ob es gut ist. Unstreitig haben einige Männer von Gewicht oder Gunst, welches oft gleich viel ist, welche neue Aspecten auf das alte Magnatenwesen haben, dem Monarchen vorgestellt, daß doch das Versprechen Peter's des Großen, die Vorrechte der Provinzen zu schützen, verletzt sei, und daß man solche Verfügungen allerdings noch etwas bitter empfinden müsse, und der Monarch würde sogleich bei dem Antritt seiner Regierung die enthusiastische Liebe dieser Provinzen durch Rückgabe dieser Privilegien erwerben. Die Maßregel war sehr leicht und der Preis sehr schmeichelhaft. Ein Federstrich cassirte, was eine lange mühsame Arbeit gebaut hatte. Was ward nun dadurch gewonnen und verloren? Gewonnen ward wol vorzüglich die ausschließende Zufriedenheit der vornehmsten, parteiführenden, reichen Familien, die nun durch ihre Sippschaft die Staatsämter wieder in ihre Disposition bekommen; gewonnen ward der Ueberschuß der Kosten zu der Einrichtung unter Katharina der Zweiten; gewonnen ward die Bedingung, welche jetzt hinzugefügt wurde, daß die Provinzen im erforderlichen Falle Rekruten stellen sollten, eine Bedingung, die sich bei gesunden Begriffen vom Staatsrecht von selbst versteht. Die Provinzen blieben von der Rekrutirung verschont wegen der Verheerungen zu Ende des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts durch Krieg und Pest. Daß sie sich bei ihrer natürlichen Fruchtbarkeit leider noch nicht außerordentlich erholt haben, spricht nicht sehr zum Vortheil ihrer Cultur und der Humanität ihrer Besitzer. Dieses ward gewonnen; aber der Verlust ist von der andern Seite wol nicht geringer als der Gewinn. Es wurden durch die schnelle Veränderung eine Menge leidlich glücklicher Familien in Mangel, vielleicht oft in den drückendsten Mangel versetzt. Männer, welche dem Staate dreißig und mehrere Jahre mit Rechtschaffenheit und unermüdetem Eifer gedient hatten, wurden auf einmal als nicht existirend angesehen und wurden in den Provinzen, denen sie ihre Kräfte geopfert hatten, auf deren Dank im Alter sie gerechten Anspruch machen durften, ein Gegenstand des öffentlichen Mitleids, und noch dazu vielleicht oft eines Mitleids ohne Wirkung. Ohne ein Quartalgehalt wurden Männer mit Familien den Sorgen der Nahrung überlassen, deren ganzer Reichthum eben der Ertrag ihrer Stellen oft zur kleinen Belohnung für beschwerliche Kriegsdienste gewesen war. Der neuen Aemter sind nun weniger; also ist die Hoffnung zu Stellen geringer. Der Adel wird gewiß nicht mehr zur Verwaltung der öffentlichen Geschäfte ausgeben, als die zurückgegebenen Ritterschaftsgüter Einkünfte bringen. Zu fürchten ist, daß eben deswegen die Justiz, die leider in Rußland zuvor noch sehr nachlässig war, desto schlimmer gehen werde, da sie zumal nun nicht mehr unter der ganz nahen Aufsicht der Regierung stehen wird. Welchen Gang wird die Gerechtigkeit haben, wenn sich der Senat mit der Appellation in jeder kleinen Privatsache beschäftigen soll, da bisher schon Processe von der größten Wichtigkeit auf die lange Bank geschoben wurden? Nun kommt es darauf an, ob der Oberlandrichter, oder wer sonst der Matador der Provinz sein wird, ein Mann von Grundsätzen, Entschlossenheit, Muth und Eifer ist; und wehe dem ärmern Theile der Rechtenden, wenn dieses dem Zufalle überlassen bleibt! Aber höchst wahrscheinlich wird es noch schlimmer sein. Der Adel ist nun ganz wieder allein Person in den Provinzen. Unter Justiz versteht er, was zur Feststellung oder wol gar Erweiterung seiner sogenannten Privilegien dient. Er wird immer einen Mann wählen, der mit Muth und Klugheit diese Vorrechte des Adels zu vertheidigen bereit ist. Jedermann weiß, was die Rechte des Adels in den meisten Ländern bedeuten; und was sie in Lievland und den angrenzenden Provinzen zu sagen haben, davon hat die Humanität der meisten übrigen Länder keinen Begriff. Snell und Merkel haben die Sache nicht übertrieben, selbst nach dem Geständnisse der Vernünftigern aus der Gesellschaft der Unterdrücker nicht übertrieben. Jeder Reisende, der in den Provinzen nur etwas rechts und links von der Poststraße abgewandelt ist, kann in einer Woche Scenen genug sammeln, um sein ganzes Leben bei der Erinnerung Herzdrücken zu haben; auch wol die Poststraße selbst kann ihm solche empörende Beispiele zeigen. Merkel spricht von den Letten in Lievland; ihre unglücklichen Brüder in Kurland liegen unter einer noch härtern Geißel, je weniger sich der kurländische Adel bisher um seine schwachfüßige Regierung bekümmerte. Ein Jeder spielte nach Gefallen den Wohlthäter oder den Verderber, den Vater oder den Tyrannen in seinem Gebiet. Natürlich, daß der kurländische Adel die neuen russischen Einrichtungen gar nicht nach seinem Geschmacke fand, und daß der General Palen als Ordnungsstifter in Mitau, wenn auch nach Weltsitte viel freundliche Gesichter, doch wenig freundschaftliche Gesinnungen zur Erreichung der Zwecke der Monarchin antraf. Die Esthen bei und über Dorpat sind nicht besser daran, nur daß sie noch etwas mehr Nationalenergie haben; und ihre wahre Schilderung könnte ein Gemälde machen, das dem Merkelschen von den Letten nichts nachgeben würde. Alle diese armen Leute hatten die Hoffnung, nach und nach durch Unterstützung der Regierung in ein vernünftiges, menschliches Verhältnis im Staate zu treten. Die Monarchin würdigte sie ihrer Sorgfalt. Das klingt seltsam; ein Monarch würdigt eine seiner Nationen seiner Sorgfalt, als ob das nicht seine Pflicht wäre, deren Vernachlässigung sich zuweilen fürchterlich rächt; aber leider waren sie über ein ganzes Jahrhundert gar keiner Sorgfalt gewürdiget worden. Nun sind sie nach Aufhebung der Statthalterschaftsregierung wieder ihren Gewaltigen auf gänzliche Discretion übergeben. Der Adel ist wieder ausschließend in seiner eigenen Sache Richter, Vollstrecker und Machthaber; das nulle Pactum ist wieder da, auf einer Seite lauter Rechte und keine Pflichten, auf der andern lauter Pflichten und keine Rechte. Denn Rechte, die ich nicht behaupten, und Pflichten, deren Erfüllung ich nicht erzwingen kann, sind, so lange dieser Zustand dauert, so gut als nicht existirend. Ueber Gerechtigkeit, Menschenliebe und Humanität wird nirgends mehr declamirt als in jenen Provinzen, selbst von Denen, die Antipoden derselben sind, und die durch ihren Zungenbeitrag die Pflichten selbst quittirt zu haben glauben. Der Kaiser Paul hat gewiß nicht erwogen, und man hat sich gehütet, es ihn ahnen zu lassen, daß der Wolf nie ein guter Hirte werden wird, auch wenn er seine ganze Haut zum Unterpfande setzte. Es sei fern von mir, zu glauben, daß nicht eine Menge Individuen der Genossenschaft recht menschliche Geschöpfe sind! Aber eben diese werden schwerlich die Verwalter der Gesetze werden, und was ist das unter so Vielen? Bonis non scriptae leges; und die Schlimmen, für welche sie eigentlich sind, erhalten Mittel, sich durchzubrechen oder durchzuschleichen. Die Einförmigkeit der Justizverwaltung, einer der größten Vorzüge eines Reichs, wird gestört. Die leidigen Privilegien waren gestorben und vergessen; jetzt sind sie wieder zum Leben erweckt worden; wird aber ihr Leben Segen oder Fluch verbreiten? Schon in dem Worte Privilegien, ein Ueberrest aus dem alten römischen Sauerteige, liegt nach geläuterten Begriffen des Staatsrechts eine Ungerechtigkeit, ein Widerspruch. Eine Ausnahme vom Gesetz auf einzelne Individuen oder Gesellschaften ist eine Beleidigung der Uebrigen, die dem Gesetz unterthan sind. Zugegeben, daß es Fälle giebt, wo dergleichen Ausnahmen durch Noth und Klugheit geboten und also entschuldiget werden, so ist die Staatsverfassung gewiß nicht weise, wo dergleichen Fälle vervielfältiget erscheinen; und diejenige ist die vernünftigste, wo die wenigsten sind. Der Monarch ist allen seinen Provinzen und jedem Gliede derselben gleiche Sorgfalt für ihr Glück und ihre Wohlfahrt schuldig. Wenn die Privilegien consequent in einer gesunden Politik und in einem gereinigten Staatsrecht gegründet liegen, sind sie überflüssig; denn sie sind des Monarchen Pflicht; sind sie dieses nicht, so sind sie ungiltig, denn sie sind, wie die Juristen zu reden pflegen, contra jus in thesi, das heißt hier: wider die Vernunft, die Absicht der Gesellschaft. Wo viele Privilegien sind, ist es ebenso bedenklich, als wo viele Gesetze sind, und meistens ist Beides verbunden. Wenn man sich immer die Mühe geben will, nachzudenken, so wird man jederzeit finden, daß ein Theil die Privilegien des andern bitter entgelten muß. Jedes Privilegium ist ein Collisionsfall, wo eine kleine Ungerechtigkeit auch für das Ganze einen großen Vortheil erreichen soll; wenn der Vortheil aber gar nicht für das Ganze und blos für Individuen ist, so ist das Privilegium Unsinn, dergleichen wir freilich in unserer moralischen Welt vielen haben. So viel von der Veränderung der Justizverfassung! Mich däucht, Jeder sieht leicht ein, wie mißlich das Unternehmen ist, und welche unglücklichen Folgen es für die Provinzen haben kann, die nun ganz wieder der Willkür des Adels überlassen werden. Sonst konnte freilich der Bauer nur sehr schwerlich Recht gegen seine Peiniger erhalten; nun wird es fast unmöglich sein. Jedes Land hat noch etwas von diesem alten Sauerteig, und überall sucht der Adel noch gern sich im ausschließlichen Besitz der wichtigsten Richterstellen zu erhalten; aber nirgends hat er doch ohne Ausnahme gesetzlich die ganze Jurisdiction, wie er sie sich in diesen für die niedern Volksclassen so unglücklichen Provinzen angemaßt hat. Es fing an, sich eine Idee von Volk zu bilden, welche nach und nach zur Cultur hätte leiten können; nun wird selbst diese Idee verschwinden, und Jahrhunderte werden sie nur mit Mühe wieder herbeiführen können.

Ein zweiter, zwar minder wichtiger, aber doch nicht unwichtiger Punkt, in welchem der Kaiser Paul sogleich neue Verordnungen ergehen ließ, ist die Censur und das Bücherwesen. Unter Katharina der Zweiten herrschte anfangs in dieser Rücksicht eine völlige Freiheit. Die allgemeinen vernünftigen Bedingungen verstehen sich von selbst, nach welchen wider gute Sitten, öffentliche Religion und Staat nicht geschrieben werden durfte. Der Mißbrauch dieser Freiheit führte zwar die Censur ein, aber sie war doch durchaus sehr liberal und nur in Ansehung der Bücher in russischer Sprache etwas behutsamer. Man erstaunt in Deutschland billig über die Freimüthigkeit der Schriften, die in Petersburg geschrieben, gedruckt und verkauft wurden. Niemand hielt sie für gefährlich, weil sie es in einer wohlgeordneten Regierung nicht waren. Wahrheit ist immer nützlich, und Calumnie wird verachtet und stirbt. Man las Spottgedichte auf die Monarchin in der Peripherie des Hofes, und sie nahm sich nicht die Mühe, deswegen eine Inquisition anzustellen. Sie ließ schmähen und handelte; ihre Thaten bleiben, und von den Schmähungen weiß Niemand etwas mehr, wenn sie auch damals das gährende Hirn einiger Witzlinge kitzelten. Die ausländischen Bücher waren ausländische Waaren, von welchen Jeder nahm, was nach seinem Geschmack war. Wo die gewöhnliche Klugheit einige Behutsamkeit erforderte, verbannte man wenigstens alle Aengstlichkeit. Es wurden in Rußland Bücher und Zeitschriften öffentlich gelesen, die in Deutschland schwer verpönt waren, und Niemand war deswegen mit der Regierung unzufrieden. Jeder aß und trank, sagte sein Bonmot glücklich oder unglücklich und ging in das Comtoir, das Gericht oder auf den Exercirplatz. Er hatte nicht zu klagen; und Diejenigen, welche vielleicht zu klagen gehabt hätten, lasen überhaupt gar keine Bücher und werden wol in einem Jahrhunderte noch keine lesen. Fremde wunderten sich, in Rußland so liberale Gesinnungen in dieser Rücksicht bei der Regierung zu finden. Der Franzose, der Engländer, der Deutsche fanden ihre classischen Landsleute wieder und in größern Ehren als zu Hause. Nun erscheint auf einmal ein strenges Censuredict, um den neuen Sauerteig auszufegen, damit er ein alter Teig werde. Die Absicht des Monarchen dabei ist gewiß höchst heilsam; es fragt sich aber, ob sie durch das Mittel erreicht wird. Dem Fortrücken einer Nation in ihrer Bildung auf diese Art Grenzen zu setzen, ist bei der jetzigen Publicität etwas schwer. Es wird confiscirt und verbrannt, was man confisciren und verbrennen kann, unstreitig weit mehr, als der Wille des Monarchen und des Ministeriums ist. Es ist nur Schade, daß oft gleichgiltige Bücher durch diese Criminalprocedur erst ein Interesse gewinnen und gesucht werden, daß man dann erst anfängt, sie zu studiren, zu verstehen oder mißzuverstehen und das etwanige Gift herauszusaugen. Ein verbranntes Buch wirkt nur stärker durch das Feuer; und eine Menge Bücher würden nicht so viel Credit erhalten haben, wenn sie nicht verbrannt worden wären. Es ist wol eigentlich eine ziemlich gleichgiltige Sache, ob man den »Deutschen Merkur« in Riga confiscirt und den Genius der Zeit verbrennt oder nicht; aber gewiß gewinnen beide Producte nur desto mehr die Aufmerksamkeit des nordischen Publicums, wenn es auch nur aus Neugierde und bloßem Spieltrieb wäre, und ein einziges verborgenes Exemplar wird mehr gelesen als sonst funfzig. Das Censuredict ist freilich nicht mehr und nicht weniger strenge als in den meisten übrigen Ländern, aber bei dem ungeheuern Geschäftskreise in Rußland haben die Censoren ausgebreitetere Macht, willkürlich ihr Autodafé über jedes Buch zu halten, das irgend eine Ketzermiene trägt. Es werden dazu nicht immer Männer von liberaler Sinnesart genommen, aber wohl Männer von Gewissenhaftigkeit im theologischen und politischen Verstande, die dann freilich den Spaniern wenig nachgeben werden. Die Geistlichkeit hat dabei Gelegenheit, den Rest ihres kanonischen Ansehens zu retten, und die kleinliche Engbrüstigkeit der Gerichtsleute spricht Anathema über Alles, was auf irgend eine Weise eine etablirte Ehrenkaste beleidiget oder ihre Befugnisse mit der Sonde der Vernunft zu berühren scheint. Man thut, glaub' ich, den Büchern und Bücherschreibern zu viel Ehre, wenn man so große kosmische Wirkungen auf ihre Rechnung setzt, obgleich ihr mittelbarer Einfluß auf Nationalangelegenheiten nicht ganz zu verkennen ist. Wahrheit dringt endlich ohne Buch durch, und Glaukome halten sich in den besten Schriften in die Länge nicht. Das meiste Gute und Böse ist ohne Bücher geschehen, und das mit Recht; denn es geschah aus der menschlichen Natur nach Ursachen, die tiefer liegen als auf Papier und Pergament. Die Römer hatten keine Bücher, als ihre Plebejer auf den heiligen Berg gingen und sich ihre Tribunen ertrotzten. Die Griechen hatten außer ihrem Homer und Hesiod, die nichts weniger als Freigeister waren, kein Buch, als sie bei Marathon schlugen und ihren Schriftstellern durch ihre Thaten erst Stoff zur Geschichte gaben. Weder Rousseau noch Voltaire noch Mercier haben die französische Revolution bewirkt; wenigstens ist ihre Mitwirkung wie ein Regentropfen, der in den Ocean fällt. Wäre der Adel in Frankreich in der Behandlung seiner Unterthanen nicht noch so ostgothisch und die Geistlichkeit nicht gedankenlos sybaritisch gewesen; hätte die Regierung nicht das Mark der Nation verschwendet, um dann an ihren Knochen zu nagen; hätten Alle zusammen etwas mehr auf die wahre Natur des Menschen calculirt: so hätte Voltaire spotten und Rousseau predigen, Voltaire zehn »Mahomets« und Rousseau zehn »bürgerliche Verträge« schreiben mögen: die Franzosen hätten sie gelobt und getadelt und wären ruhig geblieben. Um eine Nation zu verführen, muß die Nation unzufrieden sein; und diese ist es nie bei einer guten Regierung. Die französische Regierung hat sich selbst gestürzt; die Nation hat Rousseau's »Contract« erst spät nachher zu ihrem Katechismus gemacht. Ob es gleich das wichtigste Werk des Mannes ist, so nannte man es doch kaum unter seinen Meisterstücken, und la loi naturell, die größte Arbeit Voltaire's, wird neben seinem Mädchen und seinen prächtigen Theaterstücken und philosophischen Rhapsodien kaum bemerkt. Hat Aretin durch seinen Spott den italienischen Fürsten großes Leid zugefügt? Er wurde die Geißel der Fürsten genannt; aber keiner ist von seiner Geißel gestorben, noch durch ihn um eine Mahlzeit ärmer geworden. In Rom beförderte die griechische Philosophie des Karneades und Consorten wol vielleicht die Despotie, aber Brutus konnte mit der ganzen Stoa das alte Staatsgebäude nicht retten, und keine philosophische Secte war doch eine so große Stütze der Freiheit als die Stoa. Die Revolutionen wurden immer durch innere Krankheiten verursacht. Wo die Könige fielen, haben sie durch ihre bösen oder übel berechneten Anschläge ihr Urtheil selbst geschrieben. Wie will ein Mann über Menschen herrschen, der die Menschen nicht kennt? Durch Liberalität ist noch keine Regierung gestürzt worden, aber wohl durch engbrüstige despotische Einschränkung. Nie hat wol ein Mann willkürlicher regiert als Friedrich der Zweite; aber er war ein Mann in dem ächten Sinne des Worts, und in keinen Staaten herrschte größere Freiheit des Kopfs als in den seinigen. Wo die Grundlage der Regierung Gerechtigkeit, Volkswohl und Humanität ist, hat Niemand etwas Besseres zu wünschen, und die Machinationen der Uebelgesinnten zerstieben wie schlimme Dünste in einem strengen Morgenwinde.

Die Büchercommissionen in Petersburg, Moskau und Riga bestehen meistens aus Russen, einem Geistlichen, einem sogenannten Gelehrten und einer Civilperson. Die Engbrüstigkeit der Geistlichkeit kennt man an allen Orten, und nirgends ist im Durchschnitt diese Menschenclasse alt rechtgläubiger, das heißt vernunftleerer als in Rußland. Es giebt Ausnahmen; aber selten sind die Ausnahmen Büchercensoren; und selbst freimüthige Denker ihres Standes gewinnen durch das Furchtbare ihres Auftrags eine gewisse Angst, in welcher sie gern die Vernunft gefangen nehmen unter dem Gehorsam der Ordonnanzen. Wenn man nun auch alle neue Broschüren unterdrückt, confiscirt und verbrennt, kann man denn auch die classischen Werke der gebildeten Nationen vernichten, die in Jedermanns Händen sind, ohne zu befehlen, es soll alte Barbarei sein? Kann man alle Rousseaus und Voltaires und Raynals, alle Shaftesburys und Bolingbrokes auf den Scheiterhaufen tragen? Und gesetzt, dieses wäre möglich, so darf unter schwerer Verpönung Niemand den Cicero und Plato in die Hand nehmen, Niemand den Livius, Thucydides und Plutarch lesen, der nicht von dem bösen Enthusiasmus des Alterthums angesteckt sein will. Die Krankheit der Freiheit ist bei ihnen etwas heftiger epidemisch und etwas weniger vernünftig als vielleicht bei den meisten Neuern. Die Regierungen mögen nur sorgen, daß sie selbst gut seien, gut werden und gut bleiben, das Volk wird gewiß nicht böse sein. Es ist eine glückliche gutmüthige Schwachheit des Volks, daß es sich führen läßt, so lange man es nur leidlich führt. Die Minister, welche laut das Gegentheil schreien, sind vermuthlich keine guten Führer, oder sie traten schon in unleidliche Verhältnisse. Ich kann und mag hier nicht untersuchen, inwiefern gänzliche Preßfreiheit dem Staate gefährlich werden könne; aber daß die Eingeschränktheit der politischen und religiösen Bonzen recht eigentlich dazu gemacht ist, alles Emporstreben des Geistes zuerst niederzudrücken und dann durch den Druck emporzuheben, ist eine Wahrheit, die jetzt wol Niemand mehr leugnet, Niemand mehr zu bekennen Bedenken trägt. Es leiden unter der Veranstaltung nicht blos einige Buchhändler und Liebhaber; diese können sich leicht trösten, oder ihre Klagen sind von keiner Wichtigkeit. Aber man macht die Menge mißtrauisch und flößt ihnen den Gedanken ein, die Regierung verrathe Furcht. Furcht ist überall ein schlimmes Zeichen, am Allermeisten bei Männern, die am Ruder sitzen. Die Klugheit muß, wenn sie consequent mit sich selbst handeln will, nicht den Strom zu dämmen, sondern ihn abzuleiten suchen, sonst geht es vielleicht wie mit dem schlecht berechneten Rigischen Wasserbau an der Düna: die Fluth bricht durch und wirft wenigstens Sandbänke in das Fahrwasser, welche sehr hinderlich sind.

Die Veränderungen bei dem Militär sind wichtiger, sind von der größten Wichtigkeit. Daß der Kaiser sie für Verbesserungen hält, ist kein Zweifel; sonst würde er gewiß keine einzige verordnet haben, da die Kosten sich jetzt unendlich höher belaufen müssen als nach dem alten Etat und man im Ueberschlag der russischen Finanzen kaum begreiflich findet, wie diese neuen Kosten für so ungeheure Truppencorps ohne neue Beschwerde zu erschwingen sind. Die Oekonomie, welche durch Reduction des glänzenden überflüssigen Hofstaats und der innerlichen Einrichtung in den Provinzen hier und da gemacht wird, scheint bei Weitem nicht hinreichend, diese neuen Bedürfnisse zu bestreiten und die Staatspapiere wieder in völlig giltigen Credit zu setzen oder sie endlich ganz zu tilgen, wie der Vorsatz des Monarchen ist. Aber ohne diese Rücksicht, welche blos Sache der Staatswirthschaft ist, wollen wir erwägen, ob, militärisch genommen, die neue Ordonnanz besser ist, als die alte war.

Als Peter der Erste nach Aufhebung der Strelitzen sein Militär gründete, nahm er seine damaligen Muster von stehenden Heeren, die er auf seinen Reisen gesehen und beobachtet hatte, und vorzüglich von seinen Nachbarn, den Brandenburgern, deren Kriegsrenommee schon damals ziemlich gestiegen war. Staat, Ordonnanz und Bezahlung der Officiere war also gleich anfangs auf ziemlich gleichem Fuß mit dem Deutschen. Seine gemeinen Soldaten konnte er durch eigene Lieferung der Lebensmittel weit wohlfeiler unterhalten, so daß der russische Soldat außer allen seinen Bedürfnissen ungefähr jährlich nur sieben Thaler zur Reinlichkeit und zu kleinen Notwendigkeiten erhielt. Der Proviant kostete, hochgerechnet, der Krone doch gewiß nicht mehr als eben diese Summe von sieben Thalern auf den Kopf, und die Bekleidung war verhältnißmäßig ebenso wohlfeil und ebenso gut als die deutsche. Die russischen Truppen waren also für kaum zwei Drittheile der Summe, welche nach deutschem Fuß der Kriegsmann kostet, ebenso gut oder noch besser gekleidet und besser und sicherer verpflegt als die preußischen. Krieg und Friede machten keinen Unterschied, und der russische Soldat war immer auf Kriegsfuß, da er im Sommer beständig im Lager stand. Die verstorbene Kaiserin gab der Armee in den letzten Jahren ihrer Regierung, sowol den Officieren als den Gemeinen, Zulage, so daß die letztern nun ungefähr jährlich elf Thaler erhielten. Uebrigens blieb Alles bei der alten Einrichtung. Ihre Kleidung war von Peter's des Ersten Zeiten an herab bis auf das Commando des Fürsten Potemkin auch der deutschen ziemlich ähnlich, nur noch etwas steifer und gezwungener. Potemkin, ein Mann, dem man einen vielumfassenden Geist nicht absprechen kann, sah das Unzweckmäßige und Beschwerliche dieser Tracht, zumal in dem russischen Klima, ein. Er machte unstreitig bei der Armee, vielleicht aus bloßer Neuerungssucht, manche Veränderungen, die nichts taugten; besonders litt die Disciplin, welche vorher und vorzüglich unter Romanzow vortrefflich gewesen war, durch seine ungewöhnliche Nachsicht außerordentlich, so daß es wol Leute giebt, die ihm deswegen böse Absichten beimessen, weil er die ersten Generale mit despotischem Stolz behandelte und den kleinen Officier und gemeinen Mann durch übertriebene Gelindigkeit und Popularität an sich fesselte. Sein moralischer Charakter kann hier nicht in Betrachtung kommen, wir reden nur von dem, was er bei der Armee gethan hat; und darunter sind gewiß mehrere Anordnungen, die nach dem Urtheile aller ächten Militäre zweckmäßig und also gut waren. Er ließ die Soldaten Locken und Zöpfe abschneiden, und dadurch gewannen sie beträchtlich in der Schnelligkeit des Anzugs und verloren nichts an kriegerischem Ansehen. Er gab ihnen anstatt der dreieckigen Hüte eine wohlgebaute Kaske, wo ein metallenes Stirnband die Stirn vor dem Schuß und ein großer eiserner Bogen oben über den Kopf den Mann am Schädel ziemlich gegen den Hieb sicherte. Der Bogen war mit dicker, schön gekämmter Wolle oder mit Roßhaaren umwunden, um desto mehr aufzuhalten und dem Ganzen ein größeres Ansehen zu geben. Anstatt des deutschen Zwitterdings von Rock gab er eine Kurtke, die durchaus völlig und warm und gewiß zum Marsch das beste Leibkleid war. Anstatt der kurzen unbequemen Beinkleider erhielten die Leute lange Hosen nach Art der ungarischen, nur weiter und gemächlicher. Die Gamaschen wurden in jeder Rücksicht durch die Stiefeln ersetzt, nur daß diese etwas theurer waren. Auf diese Art gekleidet, erreichte der Soldat alle Zwecke seiner Bestimmung; er war leicht, frei, gewandt, ansehnlich und vor Allem in kurzer Zeit fertig. Das quod quis per pauca ist wol nirgends eine herrlichere Regel als bei dem Kriegsmanne und im Kriege. Parade ist zwar das Allerletzte in militärischer Berechnung, aber wo sie als ein Accidens sich finden kann, ist sie doch dem Mann von Geschmack nicht unwillkommen; und man kann kaum einen schönern, kriegerischen Aufzug denken, als ein russisches Regiment auf diese Weise machte. Wenn der Fürst Potemkin diese Erfindung nicht aus sich selbst nahm, sondern sie ihm von fremden Officieren angegeben ward, so verliert sie dadurch nichts von ihrem Werth, sondern gewinnt vielmehr, weil auch eine andere wackere Nation schon vorher ihre Zweckmäßigkeit einsah. Die Montirung ist nämlich mit außerordentlich kleinen Veränderungen und den Zugaben der Hosen die Montirung der Bergschotten. Jedermann weiß, welche brave Truppen diese Leute sind, wenn sie sich gleich von dem Parlament keine Hosen wollten anziehen lassen.

Diese ganze Kleiderordnung des Militärs hat der Kaiser verändert und fast wieder auf den alten Fuß gesetzt. Gewöhnliche Leute scandalisiren sich über den neuen grotesken Anzug; das ist wol Kleinigkeit, und in einigen Monaten wird er dem Auge gewöhnlich oder gewinnt wol gar eine Art von Hogarthischer Schönheit. Aber erreicht denn die alte erneuerte Einrichtung besser die Absichten des Militärs als die cassirte? Ich zweifle, daß dieses die Meinung irgend eines unparteiischen Sachkundigen sein wird. Vieles ist dabei schlimmer und nichts besser; und gesetzt, daß Alles wenigstens ebenso gut wäre, so wäre die gleichgültige Aenderung schon deswegen weniger gut, weil sie Aenderung ist. Individuen, deren Geist voll Unruhe und Spieltriebes ist, machen gern in ihren Erscheinungen so viel verschiedene Nuancen, als sie können; aber eine ganze Nation bleibt gern bei dem alten Gleise, wenn sich nicht ihr Genius nach und nach selbst anders stempelt. Unter Peter dem Ersten war der Fall anders. Damals war die Reform durchaus nothwendig. Die Russen waren damals in jeder Rücksicht halbe Barbaren und mußten den Schritt in Allem von ihren Nachbarn lernen, die vorangegangen waren. Jetzt ist dieses nicht mehr; sie können sich schon allein durch sich selbst halten und heben, und die beabsichtigte Reform scheint wirklich nicht Reform zu sein. Angesehene Generale sollen dieses dem Kaiser vorgestellt haben. Selbst Suworow, den die Russen nach der Schlußfolge des Herrn Pangloß billig für den ersten Militär der Welt halten, soll ihm mit seinem gewöhnlichen lakonischen Geiste bemerkt haben, Zöpfe seien keine Bajonnette und Locken keine Kanonen, und der Russe werde mit Gamaschen um kein Haar breit besser Batterien nehmen als in Stiefeln. Der Kaiser befahl die Veränderung. Das ist freilich eine hinreichende Bestimmung zum Gehorsam, aber noch kein hinlänglicher Grund, sie deswegen gut zu finden. Mehrere Regimenter kamen mit ihren Officieren zum Monarchen und baten, man möchte ihnen lieber die neue Zulage an Gehalt wieder nehmen und ihnen ihren Anzug lassen, sie wären daran gewöhnt, und er wäre der beste. Niemand kann wol besser über Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit eines Anzuges urtheilen, als die ihn tragen, wenn es nicht Petitmaitres der feinen Welt sind, welche der Mode zu Gefallen nicht selten Angstschweiß schwitzen; zu diesen darf man aber wol die gemeinen Russen nicht rechnen. Der Kaiser war unerbittlich, und die Antiquitäten wurden erforderlichen Falles mit dem Stock wieder retablirt. Man muß zugesehen haben oder, noch besser, selbst Rekrut gewesen sein, um von der penibeln Aengstlichkeit des Gamaschenanzugs, des Zopfwickelns und des Lockendrechselns einen completten Begriff zu haben. Nun denke man sich ein Regiment ächter Russen, die sechzehn Jahre gleich kriegerisch, bequem und geschmackvoll sich gekleidet hatten, und die nach des Kaisers neuem Befehl nun auf einmal wieder unter das Bügeleisen eines stockgerechten steifen Corporals sollen. Sie werden das bald können und thun – denn der Russe kann Alles – aber sich deswegen um keinen Kopeken besser befinden.

Die russische Infanterie hatte, die Grenadiere ausgenommen, wie billig, keine Seitengewehre. Wozu soll der Soldat mit mehr belastet werden, als ihm nöthig ist? Wenn der Infanterist trotz seinem Bajonnett verloren ist, so wird ihn kein Säbel retten. Das Bajonnett ist seine Stärke. Der Fürst Potemkin hatte einigen Grenadierregimentern ziemlich schwere handbreite Säbel gegeben, mit sehr guter Berechnung; nicht zum Gefecht – denn da sind sie unnütz und nie gebraucht worden – sondern zum Wegehauen durch Waldung und zum Faschinenarbeiten, wozu denn doch ausschließlich die Grenadiere bei allen Armeen jetzt gebraucht werden. Er würde sie allen Grenadierregimentern gegeben haben, wenn er länger gelebt hätte. Der erste Anblick eines solchen Säbels steht freilich sehr schlächtermäßig aus und hat doch für die Action keinen Vortheil; wenn man aber überlegt, warum er eigentlich getragen wird, so ist kein Instrument bequemer zu einer solchen Absicht. Er ist eigentlich mehr Beil als Säbel und nur auf diese Weise leicht tragbar gemacht. Der Kaiser hat diese Säbel abgeschafft und an ihre Stelle andere gesetzt, wie sie die ganze preußische Infanterie ganz zwecklos trägt. Vorher war der russische Soldat leicht, frei und stolz und hielt sich für den ersten Soldaten in der Welt. Man sollte ihm wenigstens seine Originalität und seine eigene Meinung der Überlegenheit lassen, welche bei dem gemeinen Mann eines Truppencorps durchaus keine Chimäre ist, so gefährlich sie oft werden kann, wenn sie auch der Officier hat. Darin besteht sein Enthusiasmus und sein felsenfester Muth, den der Befehlshaber nur benutzen darf. Nun sind aus guten Originalen, wofür sich die Russen nicht ganz ohne Grund hielten, mittelmäßige Copien geworden, Copien von Truppen, denen man schon längst den Vorrang abgewonnen zu haben glaubte. Man hätte die Nationalmeinung schonen sollen und das fremde Gute unbemerkt benutzen können. Niemand, der nur einige Kenntnisse vom Metier hat, wird leugnen, daß das preußische Militär noch einige wesentliche Vorzüge habe; aber ihre Kleidung ist gewiß das Gegentheil von einem Vorzuge. Die Preußen haben vorzüglich Festigkeit des Marsches, halten meistens richtig Linie, ohne zu wogen, beobachten den Schwenkpunkt mit exemplarischer Genauigkeit; ihr Gewehr hat einen bessern innern Bau als das russische, und sie handhaben dieses Gewehr noch besser als irgend ein anderer Soldat. Diese Vortheile hätte man nehmen können und sollen. Freilich wird der Kaiser auch diese nehmen wollen; sie sind aber nicht so leicht übergetragen als Hut und Locke und Zopf, die kaum des Transports werth sein dürften. Die russische Ordonnanz wollte von jeher auch diese wesentlichen Vorzüge; aber die russischen Officiere scheinen jetzt noch nicht bis dahin zu arbeiten. Mit dem gemeinen Mann läßt sich überall Alles machen. Es würde den Russen in ihrem alten Anzug leichter geworden sein, ihre sogenannten Meister zu übertreffen. Nunmehr müssen sie erst wieder anfangen und sich in einer neuen Kleidung leidlich befinden lernen. Etwas Wesentliches wäre die Veränderung der Gewehre gewesen. Jedermann begreift beim ersten Anblick, daß das konische Zündloch und der cylindrische Ladstock von der größten Wichtigkeit seien. So lange wir noch kleines Feuergewehr haben, ist Schnelligkeit des Feuers ein Haupterforderniß. Ob für das kleine Feuergewehr kein besserer Ersatz möglich ist, bleibt eine andere Frage. So lange wir aber noch schießen, müssen wir so ordentlich und schnell als möglich schießen. Dazu ist das preußische Gewehr am Besten eingerichtet. Man macht ihm vielleicht den Vorwurf der wenigern Wirkung; aber dieser ist unbeträchtlich, und der kleine unmerkliche Nachtheil wird vielfach durch die größere Geschwindigkeit ersetzt, da es bei dem kleinen Feuer doch mehr auf Genauigkeit und Geschwindigkeit als auf Kraft ankommt. Wenn nur der Mann verwundet und aus dem Gefecht gebracht wird, ist die Absicht erreicht; es ist nicht nöthig, daß er getödtet werde. Das Erste hat noch den Vorzug der sichern Humanität in Gelegenheiten, wo sie so selten, so theuer und oft so gefährlich ist.

Die Preußen schießen mit ihrem Gewehr gewöhnlich siebenmal in einer Minute; die Russen können durchaus nicht mehr als fünfmal schießen. Ich habe von den Regimentern, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, keines gefunden, das mehr als dreimal geschossen hätte. Höchst wahrscheinlich werden die Gewehre auf preußische Art eingerichtet; aber dieses ist keine Arbeit von einigen Monaten. Das russische Bajonnett ist besser gebaut als das preußische, und ich glaube, jede Veränderung in demselben würde zweckwidrig sein. Man nimmt an, daß das schwedische und schottische die besten Bajonnette sind; aber nach diesen kommt gewiß gleich das russische. Niemand wird leugnen, daß die Russen das Bajonnett zu führen verstehen. Aber daß sie mit demselben so viel und so außerordentlich gearbeitet haben, beweiset allein noch nichts, weder für die Güte der Truppen noch der Bajonnette. Die Türken haben keine Bajonnette und sind folglich mathematisch verloren, sobald es zum Handgemenge kommt, wenn auch hier und da einer ihrer vortrefflichen Säbel einen Schädel spaltet und einen Gewehrlauf durchhaut. Bei Otschakow und Ismail war dieses der Fall. Die einzige Gelegenheit, wo die Russen ihr Bajonnett auch gegen Bajonnett und Pike mit furchtbarer Wirkung brauchten, war bei Praga. Aber das Schrecken war vor Suworow hergegangen, und die Polen in den Werken waren durch anhaltende Arbeit und Mangel so entkräftet, daß man sie kaum mehr für Soldaten halten durfte. Die Polen haben bei der letzten Revolution zu ihrem Schwanengesange den Preußen und Russen bei mancher Gelegenheit gezeigt, daß beide nicht so entschieden Meister des Handwerks sind, und hätte der vaterländische Genius die armen Sarmaten fünfzig oder nur zwanzig Jahre früher geweckt, sie wären nicht weggewischt worden aus den Völkern der Erde. Doch auch so ist die Epoche ihres Todes das Schönste von ihrem Leben seit einem Jahrhunderte. Man sagt, der Kaiser Paul wolle auch das Bajonnett nach Potsdamer Art machen lassen. Der Vorzug des russischen Bajonnetts zeigt sich gleich mathematisch dem Auge, da es sich mit dem Preußischen noch nicht gemessen hat. Denn wenn im siebenjährigen Kriege die Preußen auch einige russische Batterien nahmen, so hatte die Artillerie schon zu fürchterliche Bresche geschossen oder das kleine Feuergewehr so entschieden vorgearbeitet, daß der Angriff auf das Bajonnett nicht in Betrachtung gezogen werden darf; und die Russen haben es, obgleich mit vielem Verluste, reichlich zurückgegeben. Der Nachtheil in der Veränderung des Bajonnetts würde zwar nicht beträchtlich sein, aber der gegenwärtige Vortheil ist doch besser. Wenn das Instrument etwas leichter, spitziger und länger ist, so ist es brauchbarer als ein schwereres, das vielleicht in nicht ganz richtigem Verhältnisse zum Gewehre steht.

Daß der Kaiser die Disciplin auf einen etwas festern, bestimmtem Fuß gesetzt hat, oder vielmehr, daß er nur strenger darüber gehalten wissen will, ist für die ganze Armee eine vortreffliche Sache. Bisher war der Oberste der Kaiser seines Regiments, und der Befehlshaber des Corps ging mit dem Obersten ebenso willkürlich um. Dieses Bassawesen stieg vom Commandeur en chef herab bis zum Corporal, so daß fast Niemand seine Pflichten und Rechte kannte und der ganze Dienst aus lauter blindem, staarblindem Gehorsam zu bestehen schien. Der Capitän oder vielleicht ein noch kleinerer Officier ließ willkürlich einem Manne ohne Proceß sechshundert Stockprügel geben, dagegen der Oberste den Officier in einer ganz fremden Sache böotisch durackte; Durack! »Du Narr«, ist im Russischen das gewöhnliche verächtliche Schimpfwort und ebenso beleidigend, als ob man im Deutschen Jemand einen H–t nennte, wofür sich Militäre nothwendig die Hälse brechen müssen. und Alle glaubten, daß dieses so sein müßte, oder daß man es wenigstens nicht ändern könnte. Nach der Verfügung des Kaisers ist der Oberste nicht mehr Tyrann seiner Officiere, der Officier nicht mehr Tyrann seiner Soldaten. Jeder weiß seine Pflicht und seine Strafe für die Vernachlässigung derselben. Für diese strenge Verordnung werden Alle dem Monarchen laut danken, ob sie gleich Manchen heimlich wehe thun wird, die nun den Eigensinn ihrer ungezogenen Laune nicht mehr an ihren Untergebenen auf ihre eigene Weise auslassen dürfen. Die Obersten hatten die uneingeschränkte Oekonomie der Regimenter und gewannen bei der Cavallerie jährlich zwanzig und mehr tausend Rubel, nachdem die Standquartiere weniger oder mehr vorteilhaft waren. Als Soldat kann der Soldat ehrlicherweise durchaus nichts Beträchtliches erwerben; man kann also denken, wenn es ja ehrlich herging, daß es sehr kaufmännisch hergehen mußte. Der Kaufmann und der Oekonom können ehrlich reich werden, aber kein Mann, der in öffentlichen Diensten steht. Der Oberste hatte zum Abschluß der Rechnungen doch die Capitäne nöthig, und wenn er dieselben ja noch etwas schonte, so geschah es blos, damit sie keine Schwierigkeiten bei den Unterzeichnungen der Rechnungen machen möchten. Der Soldat suchte sich im Quartier am Wirth zu erholen, und der Oberste ließ die Disciplin schleichen, damit von den Soldaten keine Klagen entständen; die Wirthe wußte man schon zu beschwichtigen. Was hier gewonnen wurde, fraß der ungeheure Luxus; denn selten ward ein Oberster reich. Equipage, Tafel, Spiel und Galanterie waren die gewöhnlichen Ableiter der Börse. Wenn der Oberste nicht bald, nachdem er ein Regiment bekommen hatte, ein Silberservice besaß, so galt er kaum für einen rechtlichen Mann seiner Brüderschaft. Es ist nicht nöthig zu sagen, daß es vorteilhafte Ausnahmen gab; da waren die Obersten aber ungewöhnlich reich oder ungewöhnlich ehrlich oder Beides zusammen, und diese Fälle waren nicht alltäglich, so daß es sogar zum Sprichworte unter den Russen geworden war, ein Oberster müsse stehlen. Diesem Unwesen sucht der Kaiser durch Ordnung und strengere Aufsicht zu steuern. Der Himmel gebe, daß er seine Absicht erreiche; denn die Krankheit ist groß und erstreckt sich von oben herab bis auf den gemeinen Mann.

Das Einquartierungssystem ist noch ferner eine Aenderung bei dem Militär, die nach dem preußischen Fuße gemacht zu sein scheint, die aber in Rußland in der Anwendung große Schwierigkeiten haben dürfte. Bisher lag nicht allein die Reiterei, sondern auch ein großer Theil der Infanterie auf dem platten Lande in den Dörfern zerstreut einquartiert und marschirte monatlich ungefähr nur einmal nach dem Stabsquartier zur Wache oder dem übrigen Dienst, wo sodann die Wachen oft acht Tage ohne Ablösung standen. Tägliche Ablösungen fand man im russischen Dienst nicht, und wo die Truppen auch in Hauptörtern sehr dicht lagen, geschah doch die Ablösung immer nur alle drei Tage. Der Kaiser hat nun die täglichen deutschen Ablösungen eingeführt. In Petersburg, Moskau, Riga und einigen andern beträchtlichen Garnisonen hat dieses unstreitig keine Schwierigkeit und giebt dem Dienste ein lebendigeres Ansehen. Damit dieses nun gar keine Schwierigkeit habe und alle Truppen besser zusammen den Dienst besorgen und ihre Manöver machen mögen, hat er alle Infanterie in die Städte zusammengebracht. In Deutschland und allen übrigen südlichern Ländern Europa's ist dieses sehr leicht, und sowol Militär als Städte gewinnen durch die Einrichtung. Aber der Kaiser hat verhältnißmäßig nicht die Anzahl von Städten, die der König von Preußen hat, und die wenigen sind bei Weitem noch nicht von der Beschaffenheit der meisten deutschen Oerter. Wenn nun, wie bestimmt ist, in Riga zehntausend und in Mitau nur sechstausend Mann stehen sollen, so wissen weder Soldaten noch Bürger, wo sie vor Angst Platz nehmen und geben sollen. Der Soldat weiß sich endlich wol zu rathen und zusammenzuschichten; aber wie wird dem Bürger zu Muthe sein, der in seinem Häuschen vielleicht nur einige kleine Zimmer zu seiner Hantierung und Wohnung für sich und seine Familie hat, wenn er noch sechs, zehn bis fünfzehn Mann mit allem ihrem Gewehr und Packwerk unterbringen und sie mit nothwendigem Platz zu ihrer Arbeit versehen soll? Riga muß wie im Belagerungszustand sein, nur mit dem Unterschiede, daß man auf keine Erlösung hoffen darf und die Hälfte der Besatzung nicht immer auf den Wällen ist. Der Soldat befand sich vorher den ganzen Sommer in seinem Lager so wohl; er war so recht in seiner eigenen Sphäre und hatte Freiheit und Spielraum, sein Wesen nach Belieben zu treiben; und ich zweifle, ob ihm das neue feste Quartier behagen und seinem Militärgeiste Vortheil bringen werde. Der Endzweck des Manövrirens wurde im Lager weit besser erreicht; denn gewöhnlich campirten immer einige Regimenter aus der ganzen Provinz zusammen. An Lagerplätzen fehlt es in Rußland nie, und der Soldat ist durchaus mehr in seinem eigentlichen Fache im Lager als im Quartier. Man kann in Rußland zuweilen ganze Tage reisen, ehe man in einen Ort kommt, der den Namen einer Stadt verdient. Lievland ist keine der leersten Provinzen; wenn man nun aber nach Walk oder Werro nur ein Bataillon legen wollte, in welche Verlegenheit würde man die Soldaten und in welche Angst die Bürger versetzen! Ein russischer Soldat ist freilich ein Inbegriff aller Handwerke, um sich sogleich nöthige Bequemlichkeit zu verschaffen; aber seine Arbeit ist doch mehr für das Lager, und hier schont er in der That rund umher der Wälder nicht sonderlich, wenn er Holz zu seinen etwanigen Bauen braucht. Daß der Bürger unter dem neuen Einquartierungssystem sehr leidet, ist wol ohne Zweifel, und daß der Soldat dadurch gewinne, unwahrscheinlich. Mit den ersten schönen Tagen des Frühlings sehnte sich der russische Soldat ins Lager, um sich dort in und vor dem Zelte ungestört mit seinen Kameraden recht wohl zu befinden. Natürlich war es, daß er mit Anfange des Septembers, wenn das Wetter sehr unfreundlich und strenge zu werden anfing, sich auch wieder nach dem Quartier sehnte. Aber war nicht dieser Wechsel für ihn der größte Vortheil? Alles geschah nach der Natur und nach seinen Wünschen, und dann ist ja der Mensch am Zufriedensten. Was gegen den Winter in Städte bequem einquartiert werden konnte, wurde in Städte verlegt, und die Uebrigen befanden sich auf dem Lande bei den Bauern um nichts schlimmer. Daß dann und wann ein Huhn oder ein Dutzend Kohlköpfe gestohlen wurden, ist wol nirgends eine seltne Erscheinung, und welche die wachsamste militärische Polizei noch weniger bei der neuen Einrichtung verhüten wird. Wenn der Kaiser dem Militär die Zulage bei der alten Ordonnanz hätte geben wollen; wenn er nur streng auf Ordnung und Mannszucht hätte halten lassen; wenn er nur die ächten Vorzüge des fremden Dienstes dem russischen gegeben hätte, ohne diesem seine eigenen ächten Vorzüge wegzunehmen: so wäre gewiß in Kurzem der russische Dienst ausschließlich der erste an wahrem militärischen Werth geworden. Denn entschieden ist, daß keine Nation mehr persönlichen Muth, mehr ausdauernde Kraft, mehr guten Willen und mehr Gehorsam hat als die russische. Das hat sie seit Peter's des Ersten Zeiten bei hundert Gelegenheiten vom Jenesey bis an den Rhein bewiesen. Die Militärgesetze waren bisher in jeder Rücksicht recht gut; aber sie wurden nur nicht gehalten. Nach Peter's des Ersten Ordonnanz wurde Jeder sehr hart gestraft, der ohne Befehl des Commandeurs auch in feindlichem Lande nur einen Baum niederhauen ließ. Münch und Romanzow hielten auf diesen Artikel noch mit Strenge. Potemkin bekümmerte sich nichts darum, und unter Suworow und Igelström wurden ganz schöne Baumpflanzungen vernichtet. Freilich geschah es nicht auf ihren Befehl, aber es geschah doch unter ihrem Befehl. Peter sahe ein und bewies durch seine eigene Arbeit, daß ein Baum ein Heiligthum sei, und man sich keine Secunde besinnen müsse, zu pflanzen, aber Jahre, um niederzuhauen. Repnin ist vielleicht von allen russischen Generalen der einzige, der die Humanität dieser strengen Verordnung noch fühlt und übt. Strenge und Ordnung würden schnell dem Dienst in und außer der Linie eine andere vollkommenere Gestalt gegeben haben, ohne ihn ganz zu Metamorphosiren. »Prüfet Alles, das Gute behaltet!« sagt der alte Namensbruder des Kaisers, ein Mann, der so viel Welt gelesen hatte, daß er gewiß im erforderlichen Falle auch kein schlechter General würde gewesen sein. Zu bedauern würde es sein, wenn der Kaiser auch die großen, runden asiatischen Zelte gegen deutsche umtauschen wollte. Wer soll die Oekonomie des Zeltes wol besser kennen als Nationen, welche selbst beständig Zeltbewohner sind? Wenn das runde Zelt in die russische Armee gekommen ist, weiß ich nicht. Vermuthlich hat es Peter der Erste, welcher überall das Zweckmäßige schnell durchschaute, gleich bei der Organisirung aufgenommen; aber gewiß ist es, daß keines seine wahre Bestimmung besser erreicht als eben dieses. Die Maschinerie ist außerordentlich einfach und leicht. Es ruht auf einer einzigen Stange, rund umher ausgespannt, anstatt daß unsere auf einem Joche liegen. Die unsrigen geben höchstens nur für sechs Mann Platz. Das deutsche hat wenigstens hinten noch den sogenannten Sack zur Bergung der Menage; aber das englische ist hinten gerade herunter ganz abgestutzt und hat noch weniger Raum. In dem russischen liegen achtzehn bis zweiundzwanzig Mann mit ziemlicher Bequemlichkeit um die Stange herum, mit dem Kopfe nach der Peripherie des Zirkels. Auf diese Weise liegen die Füße einwärts warm zusammen, und die Körper sind nicht gedrängt und können sich wenden und zusammenrücken und von einander entfernen nach Gefallen. Wer in einem vollen Zelte geschlafen hat, wird wissen, welche Wohlthat es ist, wenn man durch die Entfernung einiger Kameraden im Dienst etwas mehr Raum gewinnt. Dieses abgerechnet, hat das große runde Zelt noch andere wesentliche Vorzüge. Daß es bessere Parade macht, ist für nichts zu nehmen; denn dafür giebt die Menge der kleineren einem Corps mehr das Ansehen der Stärke. Aber es ist besser für den Transport, weil es verhältnißmäßig leichter ist. Ein großes Zelt ist zwar schwerer als ein kleines; aber es ist doch nicht so schwer als drei kleine. Die große Stange wiegt zwar mehr als eine kleine, aber sie wiegt doch kaum so viel als ein Joch, das drei Stück hat, und es gehören drei Joche oder neun Stück dazu, die Wirkung einer einzigen russischen Stange zu leisten, nach dem oben angegebenen Verhältnisse. Das Nämliche gilt von der Menage. Ein großer Kessel, aus welchem Zwanzig essen, wiegt nicht so viel als drei kleinere, aus welchen nur Achtzehn essen sollen. Für Zwanzig kann nach russischer Einrichtung ein Einziger kochen; nach der deutschen Ordnung, das Zelt zu sechs Mann, sind Drei noch nicht genug. Es giebt also große Kameradschaften, große Menagen, großen Muth; denn Zeltkameraden sind einander immer die entschlossensten, treuesten Gefährten im Gefecht, so daß es zu wünschen wäre, man könnte eine ganze Compagnie in ein Zelt zusammenbringen.

Das russische Artellwesen ist besser als irgend eine Menageeinrichtung bei andern Truppen und vorzüglich Ursache, daß der Soldat immer sicher und gut verpflegt ist und niemals Mangel leidet. Und zu bewundern ist es, daß bei den kleinen Summen, welche dazu gegeben werden, fast immer Vorrath und die Casse nie leer ist. Mancher Soldat erhält gelegenheitlich einige Rubel aus dem Artell zurück; und sogar mancher Officier nimmt in der Noth seine Zuflucht zum Artellgeld oder den Menagesummen der Compagnie und zahlt das Geborgte sodann mit Interessen zurück. Die Veruntreuung dieser Casse ist eins der größten Verbrechen bei der Armee, und das billig, da der Soldat in Ansehung seiner Nahrung darauf rechnen muß. Auch steht es der Mannschaft frei, welchem Officier von der Compagnie sie diese Gelder anvertrauen will; gewöhnlich hat sie der Hauptmann. Es ereignet sich wol zuweilen, daß ein Officier Unterschleife damit begehet; und nicht zu strenge ist die Strafe infamer Cassation. Das russische Militär hatte schon bisher vor dem Militär aller übrigen Länder in mancher Rücksicht so viel voraus, daß bei verändertem Gewehr nur die strengste Genauigkeit und Uebung im Manövriren und mehr Aufmerksamkeit der Officiere erfordert wurde, um es bald der Vollkommenheit nahe zu bringen. Ob der Kaiser diesen Zweck durch seine Veränderungen erreichen wird, kann man erst nach zehn Jahren bestimmen, so wie man erst am Abend wissen kann, ob das Wetter des Tages schön war. Aber Zweifel steigen billig auf, so wie schon der Aufgang der Sonne den geübten Bemerker die Beschaffenheit des Wetters für den Tag vermuthen läßt.

Ich schließe hier und fahre in meinem künftigen Schreiben fort, wenn Ihre Geduld nicht ermüdet ist und Ihre Neugierde noch die Fortsetzung meiner Urtheile hören will.

Zweiter Brief.

Sie machen mir den Vorwurf, lieber Freund, daß ich als Tadler auftrete und die neuen Maßregeln in Rußland mit etwas Bitterkeit beleuchte. Sie irren Sich gewiß, Bester: Bitterkeit ist durchaus nicht in meinem Charakter. Wenn aber die Wahrheit einen etwas herben Geschmack hat, so liegt das in der Sache, und man mag in der Darstellung noch so sehr überzuckern, die Composition wird dadurch nur noch widerlicher. Der natürliche Ton ist der beste überall, und Freimüthigkeit ist besser als Schmeichelei. Ueberall, wo ich das Gute finde, hat es meine Huldigung; aber noch niemals hat mich die alte Regel Nil admirari, außer vielleicht einigemal bei dem Anblick einer schönen Weibergestalt, verlassen.

Sie sagen, ich selbst habe durch die Veränderung gelitten und könne parteiisch sein. Gesetzt, ich hätte verloren, so würde mich dieses um keinen Punkt anders stimmen; so weit sollten Sie mich doch wol kennen. Aber ich habe nicht gelitten, und es kam blos auf mich an, meinen Vortheil daraus zu ziehen, wenn ich wollte. Thun Sie mir nicht das Unrecht, zu glauben, als ob meine Personalität in irgend einem meiner Urtheile überwöge. Ich sagte einst vor mehrern russischen Generalen in Warschau, Kosciusko sei der bravste, rechtschaffenste Pole, als er eben bei Krakau ein Corps Russen total geschlagen hatte und überall als Meuter und Bösewicht nicht allein behandelt, sondern auch wol geachtet wurde. Der General Igelström gab mir darum nicht weniger seine geheimen Papiere, ob er gleich zu mir sagte: » Mon cher, Sie sind ein sonderbarer Mensch«; und ich that meine Pflicht nicht weniger. Die öffentliche Meinung hat nun Alles gerechtfertiget. So lange man über öffentliche Angelegenheiten noch reden und schreiben darf, muß man es mit wahrer Ueberzeugung und bescheidener Freimüthigkeit thun; dieses ist das Vorrecht eines jeden freien Mannes. Hat man dieses Recht cassirt, so wollen wir, die wir noch denken müssen, uns in den cynischen Mantel wickeln und jeder Menschengestalt ein Sarkasm wenigstens ins Gesicht blicken, wenn wir es nicht sagen dürfen.

Ich lasse allem Guten, das in Rußland geschiehet, Gerechtigkeit widerfahren. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß die Absichten des Monarchen die besten von der Welt sind, daß er alle seine Völker zum größten Flor des irdischen Wohlseins emporheben will; aber ich zweifle nur etwas, daß dieses durch die Mittel, die er wählt, bewirkt werde, und sage Ihnen die Gründe dieses Zweifels. Man sagt wol hier und da mit dem Gesicht eines allgemeinen Kritikers, der Monarch gehe zu rasch; ein ungegründeter Vorwurf! In den jetzigen Verhältnissen kann das, was wirklich gut ist, ohne Gefahr und kaum zu schnell geschehen. So lange dem Monarchen die Armee feste Treue hält – und sie hält sie gewiß, wenn sie nicht auf das Aeußerste gekränkt wird – ist nichts zu besorgen. Der Kaiser ist durch seine Familie und ihre Eintracht hinlänglich gegen alle Unternehmungen gesichert. Wäre er in den ehemaligen Verhältnissen seines Vaters, so würden freilich Bedenklichkeiten von allen Seiten mit Recht erhoben werden. Aber seine Söhne sind nicht Kinder, sondern junge Männer, die ihn lieben und ehren, seine Gemahlin wird eine exemplarische Matrone; und ohne Theilnehmung eines Gliedes der Familie kann schwerlich in Rußland dem Monarchen große, wesentliche Gefahr drohen. Es geschiehet also nichts zu rasch; sondern ich glaube, was geschiehet, beruhet auf weniger richtigen Berechnungen und verfehlt seiner gehofften Wirkung. Wir wollen noch einige der Verordnungen in Erwägung ziehen, die eigentlich gleichgiltiger sind, aber eben deswegen, weil sie gleichgiltig sind, als Verordnungen auffallen, indem sie die natürliche Freiheit des Menschen ungewöhnlich einschränken. Jedermann ist verbunden, den Gesetzen ohne Ausnahme zu gehorchen; aber diese Gesetze dürfen nicht in die ersten Rechte des Menschen greifen, sonst ist er wenigstens befugt, zu sagen: »Ich finde diese Gesetze nicht gut.«

Der Kaiser hat befohlen, es sollen durchaus keine runden Hüte mehr getragen werden, außer zu der russischen Nationalkleidung; als ob man unter dem dreieckigen Hute und der Zobelmütze nicht ebenso gut Jakobiner sein könnte wie unter dem runden Hute! Es war mir kaum glaublich, als die Zeitungen davon sprachen, und ich vermuthete, diese Verordnung erstrecke sich nur auf Militäre und Civilpersonen, die nach dem Staat Uniformen tragen müssen. Bei diesen war freilich die größte Unordnung im Aeußern eingerissen. Man sahe überall Officiere von jedem Range als Stutzer gekleidet im Frack gehen. Gerichtsmänner thaten ebendasselbe; und mancher junge Mann, der nichts weniger als das Podagra hatte, ging oder fuhr mit Pelzstiefeln, rundem Hute und der Gouvernementsuniform in das Collegium. Die Erscheinung dieses sonderbaren Aufzugs beleidigte alle Augenblicke und störte nicht selten die Ordnung, indem der Mann im Frack verlangte, was nur dem Mann in der Uniform gebührte. Es war in Warschau der Fall, daß ein General im Frack befehlen wollte und thätliche Mißhandlungen leiden mußte, wegen welcher er bei Suworow nicht einmal um Genugthuung bitten durfte, da die Beleidiger fremd und von der ganz gemeinen Classe waren. Eine strenge gesetzliche Anweisung auf ihre Uniformen schloß also sogleich alle runden Hüte aus; und wenn man nun noch alle Landedelleute dazunimmt, die nach der Verordnung bei öffentlicher Erscheinung auch Gouvernementsuniformen tragen sollten, so nahm freilich durch Einführung der strengen Ordnung der Gebrauch der runden Hüte sehr ab. Aber ich habe erfahren, daß sich der Befehl auf Alle, ohne Ausnahme, erstreckt. Es hat sich noch kein Monarch die Mühe genommen, sich so geflissentlich um die Mode zu bekümmern, wenn man Peter's des Ersten Processe mit den Bärten ausnimmt, welche Niemand unter seinen großen Thaten aufführen wird. Die armen runden Hüte sind also mit einem Male in Staatsinquisition gerathen, weil der Jakobinismus darunter sitzen soll. Die Mode, sie zu tragen, ist seit zwanzig Jahren ziemlich herrschend geworden, weil man sie etwas zweckmäßiger und geschmackvoller fand als die dreieckigen. Das Dreieck kommt dem Quadrat am Nächsten, und beide sind zwar wegen ihrer Festigkeit zu Grundlagen, aber niemals wegen ihrer Zierlichkeit zum Schmuck des obersten Endes in Credit gewesen. Quadrat ist in allen Sprachen ein Gegensatz des Feinen. Der runde Hut bedeckt am Besten den Kopf gegen Sonne und Regen und macht immer den Mann, wenn sonst nicht zu viel Quadratur an ihm ist, zu einer ästhetischen Figur. Daß die verdammten Jakobiner eben runde Hüte trugen, war sehr begreiflich, weil man sie überall trug und Jedermann so schloß und dachte oder sich die Bequemlichkeit der Mode ohne Gedanken gefallen ließ. Aber der runde Hut hatte doch nicht die Ehre, als sie ihr System emporgipfelten, das Symbol ihrer neuen Lehre zu werden, welches er gewiß geworden wäre, wenn sie ihn ausschließlich in Affection genommen hätten. Sie brauchten dazu vielmehr eine Mißgeburt von Mütze, die, so unförmlich sie auch war, doch immer noch mehr für das ans Natürliche und Schöne gewöhnte Auge gab als der dreieckige Hut. Gellert's Fabel ist eine herrliche Geschichte des Geschmacks. Es kann Jedermann ziemlich gleichgiltig sein, die Gewohnheit, die kleine Bequemlichkeit und den Geschmack abgerechnet, ob er eine Pyramide oder einen Cubus auf dem Kopfe trägt; aber eben dieses wird befremden, daß die Gesetzgeber gleichgiltige Dinge so wichtig behandeln und ohne Noth und Nutzen die natürliche Freiheit beschneiden; und ich wette, daß nun unter den dreieckigen Hüten mehr Jakobinismus sitzt als vorher unter den runden. Ganze Nationen in Süden und Norden tragen runde Hüte, die gewiß nichts weniger als Jakobiner sind. An gleichgiltigen Dingen hängt der gewöhnliche Mensch mehr als an wesentlichen Sachen. Selbst die Russen werden gewiß lieber jährlich einige Rubel Obrock mehr geben, ehe sie dreieckige Hüte aufsetzen, ob sie sich gleich unter einem Jakobiner, wenn sie ja diesen Namen hören, gewiß ein ungeheures Monstrum vorstellen. Die preußischen Manifeste gegen Polen im Jahre 93, welche viel über Jakobinismus expectorirten, gedachten doch der runden Hüte mit keiner Silbe, und durch ganz Deutschland, wo man gar nicht sich von der neuen Ketzerei anstecken zu lassen gesonnen ist, halten die orthodoxesten Männer in Kirche und Staat noch den runden Hut in allen Ehren, weil er auch die alte Nationaltracht der Deutschen war. Daß der Kaiser die runden Hüte nicht leiden kann, mag ein ganz verzeihlicher Eigensinn sein, dessen die großen Herren zuweilen eine ziemliche Dosis haben sollen; aber Friedrich der Zweite hätte gewiß eine Antipathie dieser Art auf eine solche Weise nicht in das Publicum getragen. Ein glaubwürdiger Mann erzählte, daß der Kaiser einem fremden Officier eines gar nicht Jakobinischen Staats, der in Petersburg mit dem runden Hute seiner Uniform auf die Parade kam, habe befehlen lassen, nicht mit dem runden Hute zu erscheinen. Als der Officier, wie billig, wiederholt sich weigerte, auf Befehl eines fremden Monarchen etwas in seiner Ordonnanz zu ändern, habe der Kaiser ihm sogleich befohlen, sich zu entfernen und ihm eine militärische Begleitung bis an die Grenze nach Polangen mitgegeben. Finden Sie, Bester, daß durch diese Maßregeln den neuen Meinungen der Zugang wirklich wird verwehrt werden? Von Dingen, die überall in der Kirche und im Staat Adiaphora sind, sollte billig nicht mehr Notiz genommen werden, als sie verdienen, das heißt, sehr wenig. Es war eine alte Observanz in Rußland, welche ganz Tamerlanischen Ursprungs zu sein scheint, daß bei der Annäherung des Monarchen alle Wagen halten, die Fahrenden aussteigen und ihren Respect auf eine dem griechischen Proskynein ähnliche Art bezeigen mußten. Diese Observanz war seit Peter's des Ersten Zeiten nach und nach veraltert und jetzt fast ganz in Vergessenheit gerathen. Ganz Europa hat gesehen, daß weder die wahre Würde des Kaisers noch das Ansehen der Regierung durch diese Vergessenheit gelitten hat. Katharina die Zweite hat ebenso unwidersprechlich geboten als Iwan Wassilewitsch, obgleich ihre Befehle nicht so blutig waren und ihre Majestät nicht so in Furchtbarkeit gehüllet war. Der Kaiser Paul der Erste hat diese alte Observanz von Neuem wieder hergestellt. Der Wagen muß halten, der Inhalt muß aussteigen, sich in Ordonnanz setzen und seinen Poklon machen. Ohne Zweifel thut dieses die größere Hälfte bei gutem Wetter sehr gern, weil Jedermann dadurch einen Gruß vom Monarchen erhält. Aber was gewinnt der Kaiser durch diese Art von Ehrenbezeugung? Seine Augen, seine Hände und sein Hut sind in Bewegung, und er wird durch das Halten der Kutschen in manchen guten Gedanken gestört, deren ein Mensch und vorzüglich ein König nie zu viel haben kann. Ob Geistliche, Aerzte und Hebammen von dieser wie von einer andern Verordnung ausgenommen sind, weiß ich nicht, wenigstens sollte ich glauben, daß doch die Geschäfte der beiden Letzten für den Staat selbst billig die größte Eile haben. Doch die Damen sind ausgenommen und halten sich nur mit der Miene des Aussteigens innen an der Wagenthür; eine Galanterie, die noch weit besser den Alten, Halbkranken und Podagraisten hätte zu Statten kommen können, man müßte denn auf diese Methode das Podagra curiren wollen. Der Mann, der sehr dringende Geschäfte hat, muß dadurch doch einige Minuten verlieren, die ihm vielleicht sehr wichtig sind. Für Leute, die den Wagen zum Luxus haben, ist die Verordnung schon gut, und diese lassen sich gewiß eben wieder aus Luxus die Parade sehr gern gefallen. Aber Leute, die den Wagen zum Bedürfnis entweder zur Geschwindigkeit oder aus Schwachheit gebrauchen müssen, verlieren doch wirklich dadurch mehr, als die Form der Untertänigkeit gewinnt. Ein alter fußkranker Mann, der sich, um nur das Fahren vertragen zu können, den Boden des Wagens hat polstern lassen, soll, da ihn jeder Tritt mehr als der Verlust einer Banknote schmerzt, nunmehr auf dem harten Pflaster den Kaiser erwarten, blos um den Hut zu ziehen und die Beugung zu machen. Mehr als Einer wird sich bei schlechtem Wetter das Fieber oder wenigstens den Schnupfen an den Hals grüßen. Man wird schon von fern, wenn es noch möglich ist, durch das erste Seitengäßchen, durch das man füglich abstechen kann, dem Wagen des Kaisers ausweichen; und das wird doch wahrlich dem Monarchen nicht angenehm sein können, daß seine Unterthanen vor ihm fliehen, um eine eben jetzt sehr beschwerliche, nur förmliche Reverenz zu ersparen. Wahre Würde und wahre Hochachtung sind über solche kleine Zwangsmittel erhaben. Es bleibt im menschlichen Leben und zumal bei Hofe immer noch Formalität genug, die man durchaus nicht abschaffen kann, weil sie zu sehr mit den Begriffen der Ordnung zusammengewebt ist. Diese Dinge sind die Draperie der Gemälde, die nach dem Genius der Zeit bald mehr, bald weniger überladen sind; aber ohne alle Draperie giebt es keine Gemälde für die gewöhnliche Menschheit.

Gewöhnlich ist es, daß neue Regierungen neue Veränderungen geben; in Rußland war dieses von je her der Fall vorzüglich. Man hatte Ursache zu glauben, daß die Regierung Paul's des Ersten eine Ausnahme machen würde; aber man hat sich doch geirrt. Einige Veränderungen waren in der That vorherzusehen; von andern aber, die doch geschehen sind, hätte man sich kaum träumen lassen. Daß der Fürst Platon Subow nicht die Menge der Staatsämter behalten würde, womit ihn die Vorliebe der Kaiserin überhäuft hatte, war nicht allein sehr begreiflich, sondern auch sehr natürlich; daß er aber in der Kette der Geschäfte auf einmal aufhören würde, ein Glied zusein, daß er gänzlich Null werden würde, war nicht zu erwarten. Jedermann, der ihn näher zu kennen Gelegenheit hatte, läßt ihm die Gerechtigkeit widerfahren, daß er Humanität und Mäßigung besitzt und seinem alten Namensvetter keine Schande macht. Meteore wie er waren am russischen Horizont keine Seltenheit, und er war keines der schlimmsten. Daß er nicht allen Aemtern gewachsen war, ist auch nichts Neues. In den despotischen Staaten, denen man auch wol zuweilen in den übrigen folgt, sucht man ja selten die Staatsämter mit Männern zu besetzen, sondern nur die Söhne und Verwandten der großen Sippschaften mit Aemtern zu versehen. In den Republiken geht es nach einem andern Maßstabe auch nicht viel besser; denn Volksgunst ist oft ebenso blind als Nepotismus. Ein Mann von Kopf, denkt man, weiß durch seine Gehilfen viel zu machen. Dieses verstanden in Rußland die Großen vortrefflich, die ihre unbärtigen Söhne und Neffen als Obersten zur Armee schickten. Ein veteraner Major arbeitete unter den Auspicien des jungen Helden, mit vielem Glück zum Ruhm des jungen Helden, der sich nach und nach wol in das Regiment finden lernte, weil es doch niemals eine Hexerei ist, mit etwas Geist Andere für sich arbeiten zu lassen. Daß Subow nicht viel von der Artillerie verstand und doch General-Feldzeugmeister war, befremdete sehr Wenige; er hatte dafür die Klugheit, sich so wenig als möglich um die Artillerie zu bekümmern, die deswegen sich um nichts schlimmer befand. Sein Einfluß war freilich in Rußland allmächtig; denn der Einfluß der Favoriten ist es immer, und in Petersburg war man es gewohnt, solche Männer des Tags schnell hervortreten und schnell abtreten zu sehen. Wenn man auch seinen Namen nannte, so verstand man doch immer mehr den Minister als den Militär. Er war Chef der Chevaliergarde und als solcher der erste nächste Leibwächter der Monarchin. Ganz natürlich war es, daß der Kaiser diesen Posten sogleich mit einem Manne besetzte, der mehr sein persönlich warmer Freund war, als Subow es vielleicht in seinen Verhältnissen sein konnte. Dieser Posten gehört mehr zum Hofe als zum Staate und ist nur insofern wichtig, als er den Besitzer beständig um den Monarchen hält. Wer Hof- und Welthändel kennt, weiß, daß dieses sehr viel ist. Feldzeugmeister konnte Subow nach den richtigen Militärbegriffen des Kaisers unmöglich bleiben, ohne seine ganze Existenz einem Studium zu widmen, das auch in Rußland nicht mehr in der Wiege liegt, und das ihm vielleicht nur wenig Vergnügen gewähret. Es mußte ihm also eine wahre Wohlthat sein, eine Würde zu missen, die ihm drückende Bürde gewesen wäre. Er blieb immer noch ein angesehener Mann des Hofes; und wenn die Hofleute etwas mehr Lebensphilosophie hätten, als sie gewöhnlich zu besitzen scheinen, so hätte er jetzt gewiß weit zufriedener leben können als vorher. Die Güte der Monarchin hatte ihn hinlänglich versorgt, und die Gerechtigkeit des Kaisers sicherte ihm alle diese Besitzungen, aus deren Ertrag er immer noch fürstlichen Aufwand machen konnte. Ob der Fürst Subow sich freiwillig oder auf den Willen des Monarchen gänzlich entfernt hat, ist schwer zu bestimmen; wenigstens ist es nicht wider den Willen des Kaisers geschehen. Ein Liebling der Monarchen hat immer mehr Feinde als Freunde; und es ist ein Beweis der großen Mäßigung Subow's, daß er, wenn er auch nicht viel warme, wahre Freunde, doch sehr wenig Feinde hatte. Seine Entfernung ist politisch von keinem Belang; und er selbst befindet sich wahrscheinlich nun etwas besser als in dem veränderlichen Nimbus des Hoflebens.

Die Verabschiedung einiger Generale von entschiedenem militärischen Werth und die Art dieser Verabschiedung erregt etwas mehr Aufmerksamkeit. Daß mehrere tausend Officiere den Abschied genommen und bekommen haben, ist, obgleich bei so ungeheuern Truppencorps nicht ganz unwichtig, aber bei Weitem doch nicht so bedeutend als der Abgang eines einzigen Mannes, der dem Ganzen Leben und Seele zu geben versteht. Durch die Entfernung einer so großen Menge von Officieren jeden Ranges sind unstreitig manche brave Männer mit verloren worden; aber die Armee ist auch dadurch gereiniget worden von einem Ausschuß untauglicher Subjecte. Die letzten zu verlieren, ist Gewinn; und der Verlust der ersten ist vielleicht bald wieder zu ersetzen. Der Dienst bildet Soldaten, und aus guten Soldaten gehen leicht gute Officiere hervor. Nur der Krieg schafft Generale. Aber das Vaterland setzt auf alle billig mehr Vertrauen, wenn sie schon gebildet und bewährt sind. Rußland ist dieses Jahrhundert fruchtbar für die Kriegsgeschichte gewesen, und die Nation darf ebenso stolz sein auf die Verdienste ihrer Generale als auf die Bravheit ihrer Soldaten. Friedrich selbst begegnete dem Feldmarschall Romanzow mit vorzüglicher, ausgezeichneter Achtung, und er verdiente als Feldherr und Mensch die Ehre einer allgemeinen Trauer, die der Monarch für ihn durch die ganze Armee befahl. Noch leben Männer bei der Armee, die ihren Credit aufrecht erhalten können und werden, und deren Namen das militärische Publicum mit Hochachtung nennt. Repnin, Soltikow, Igelström, Fersen, Derfeldt und Andere stehen als Männer an der Spitze der russischen Truppen, als Männer, deren Werth das deutsche und übrige europäische Publicum nicht immer gehörig würdigen kann, da ihr Wirkungskreis so weit entfernt lag und mancher Zug ihrer Geschichte aus Unkunde oder Parteisucht entstellt wird. Aber bei dem Allem wird doch Suworow's Abgang von der Armee für einen großen, sehr empfindlichen Verlust angesehen. Die öffentlichen Blätter enthalten so wenig Authentisches über die Begebenheiten der Zeit, daß man billig auch über Thatsachen seinen Glauben überall zurückhält und erst aus dem Erfolg die richtige Beschaffenheit zu finden sucht. Die meisten Zeitungen haben den General Igelström auf seiner Reise nach Orenburg des Todes sterben lassen, und der Mann befindet sich bis jetzt noch frisch und gesund und hofft, sich noch eine ziemliche Zeit wohl zu befinden. Daß Suworow nicht mehr im Dienste ist, und daß der Dienst in ihm vielleicht den ersten Mann verloren hat, ist gewiß. Von den Umständen sagt uns Niemand etwas Bestimmtes. Allgemeine Nachricht ist, daß er dem Monarchen über die Einführung der neuen Ordonnanz sehr freimüthige Vorstellung gethan. Seine Sprache ist gewöhnlich sehr lakonisch und eindringlich. Energie ist durchaus sein Charakter, etwas Satire seine Schwachheit und Kürze seine Handlungsweise gegen Freunde und Feinde. Der Monarch habe dem alten, etwas rauhen Krieger den Mangel des Hoftons nicht verziehen und ihn ablösen lassen. Suworow, durch dieses Verfahren in seinen natürlichen Charakter gesetzt, legt seine Stellen nieder und geht nach Hause. »Tragen Sie alle diese Dinge«, sprach er zu seinem Nachfolger, indem er sein Commando abgab, »mit so viel Ehre, als ich sie getragen habe, und Sie werden Beruhigung haben! Mir hat der Kaiser mehr gegeben, als genommen. Dieses brauch' ich nicht mehr, und es ist für mich kein Verlust: Ruhe ist mir nöthig; denn ich bin ein alter Mann.« Auf diese Weise ging der Mann ab, der das Schrecken der Feinde des Vaterlandes von allen Seiten gewesen war. Die eine Hälfte der Armee hatte mit und unter ihm gefochten und gesiegt am Don, am Dniepr und an der Weichsel und hatte ein blindes, unbegrenztes Zutrauen auf seinen Namen. Igelström ist nicht ein Mann, der Gefahren scheuet; aber doch bin ich selbst Zeuge, daß sich die Grenadiere in Warschau während der Action ihren Lieblingsanführer wünschten. »Ja, wenn Vater Suworow hier wäre,« sagten sie mitten im Feuer, »dann würde es sehr kurz gehen!« Die andere Hälfte staunte ihn mit Ehrfurcht an und hatte nur den Ehrgeiz, auch einmal mit ihm zu schlagen. Er hatte bei Kinburn gesiegt und geblutet, hatte Ismail genommen und die Werke bei Praga zerstöret. Alles waren entscheidende Tage. Denn wären die Streiche auf Ismail und Praga nicht gelungen, so hätten einige Wochen den Conjuncturen eine andere Wendung geben können. Zeit gewonnen, viel gewonnen, heißt es im Kriege.

Man wirft ihm Grausamkeit und Härte vor. Ich habe nie unter ihm gedient; aber nach Allem, was ich von competenten Personen über ihn gehört habe, ist Grausamkeit keiner seiner Züge. Seine mit Gelindigkeit und außerordentlicher Gutmüthigkeit verbundene Kraft trägt vielleicht selbst dazu bei, daß der halbgebildete russische Soldat in der Hitze des Feuers, das er ihm einzuhauchen versteht, auf einige Augenblicke die Menschlichkeit vergißt und Dinge begeht, über die er eine Stunde nachher selbst weinet. Man muß zur Erklärung des empörenden Phänomens auch erwägen, mit welchen Feinden und in welchen Lagen er gefochten hat. Der Charakter des russischen Soldaten ist immer noch Humanität gegen die wilde, unsinnige Wuth der Ottomanen; und in Praga war es leider ein so ungeheures, unregelmäßiges Gefecht, daß bei der allgemeinen Bewaffnung und Verwirrung der Soldat kaum wußte, wen er schonen sollte; denn Alles focht mit verzweifelnder Unbesonnenheit. Auch sind der Grausamkeiten nicht so viel vorgefallen, als die Tadelsucht und die empörte Menschheit in der ersten Empfindung des Schmerzes aufzählte. Freilich hätte strengere Disciplin gehalten werden sollen; die Schuld der Vernachlässigung fällt aber mehr auf die Obersten und Commandeure der Divisionen. Keiner seiner Officiere, keiner seiner Soldaten klagt über eigensinnige Strenge; vielmehr dürfte der unparteiische Zuschauer über etwas sorglose Connivenz klagen. Die einzige Beschwerde der Seinigen über ihn war, daß er, wie die russische Formel lautet, seinen Officieren nicht forthilft; welche Beschuldigung mehr ein Lob enthält, indem es beweiset, daß er nur Verdienste nach seiner Ueberzeugung belohne, und daß bei ihm Gunst und Cliquenwesen keinen Eingang finden, wie wol bei mehrern andern vornehmen Generalen des russischen Heere. Mehrere Regimenter sollen bei der Entfernung des Feldmarschalles und bei Gelegenheit der Einführung der neuen Ordonnanz unruhig und schwierig gewesen sein. Der Kaiser soll eingesehen haben, daß er die offenherzigen Aeußerungen eines alten, unter den Waffen grau gewordenen, höchst verdienten Mannes zu hoch empfunden, und ihm das Commando unter schmeichelhaften Ausdrücken wieder angetragen haben. Aber Suworow kann wol nicht glänzender von der Bühne treten, und er ist Philosoph genug, um den Rest seiner Tage in der ihm zu Theil gewordenen Ruhe zuzubringen. Er soll dem Kaiser geantwortet haben, er bedürfe der Ruhe und bäte darum, und ist auch während der Krönungsfeierlichkeiten nicht nach Moskau gekommen. Man ist geneigt, den Mann nach der öffentlichen Meinung für einen Barbaren zu halten; er ist es aber gewiß nicht, weder von Kopf noch von Herzen. Ich selbst bin Zeuge, daß er Deutsch und Französisch recht gut spricht. In seiner Muttersprache drückt sich kaum ein Russe besser aus als er. Tartarisch und Türkisch soll er mit Fertigkeit reden. An Belesenheit fehlt es ihm in den meisten Fächern nicht, und sein lakonischer, oft sarkastischer Geist ist schon aus seinen bekannt gemachten Rapporten bei wichtigen Vorfällen bekannt genug. Er ist ein guter Soldat, weil er ganz Soldat ist; vielleicht würde er kein schlechter Minister sein, wenn er Minister wäre, welches er aber durchaus nicht sein will. Wenn nur irgend ein Geschäft ein ministerielles Ansehen hat, weiset er es sogleich zurück und sagt: »Das verstehe ich nicht, darum müßt Ihr mich nicht fragen.« Sein militärischer Credit ist ihm Alles, und diesen hat er freilich höher gebracht als die meisten seiner Zeitgenossen und Landsleute. Er ist jetzt ein Siebziger mit schneeweißem Haupt; aber jeder Nerv an ihm ist noch Spannkraft. Einige Anekdoten erlauben Sie mir, Ihnen von dem Manne zu erzählen, die zwar nicht groß, aber doch charakteristisch genug sind und gar nicht den Gefühllosen bezeichnen, für den man ihn unglücklicherweise gehalten hat.

Ein vornehmer Kosackenofficier hatte in Warschau ein polnisches Mädchen mit Gewalt in sein Quartier holen lassen. Mag das Mädchen Vestalin gewesen sein oder nicht, thut nichts zur Sache; sie war wenigstens keine öffentliche Person einer gewissen Classe, gegen die man einem Kosacken allenfalls diesen Streich hätte verzeihen können. Sie fand Gelegenheit, auf öffentlicher Parade dem Feldmarschall ein Papier zu übergeben und um Genugthuung für die schimpfliche Gewaltthätigkeit zu bitten. Alle Polinnen haben viel Grazie und verstehen dadurch im Gespräch und Betragen zu wirken. Das Mädchen war schön; denn sonst hätte sie der Kosack nicht zur Beute gemacht. Sie sprach rührend und weinte. Der alte Suworow hob sie auf, gerieth bei dem Vortrag der schändlichen Geschichte in Heftigkeit und weinte selbst, halb aus Theilnahme, halb aus Zorn, auf dem öffentlichen Platze vor den litthauischen Kasernen. Er rief den Gouverneur General Buxhoevden, der während seines Gouvernements die Zufriedenheit der Warschauer Bürgerschaft sich wenig erworben hat, und sprach sehr heftig mit ihm. »Mein Herr, welche unerhörte Dinge gehen hier unter Ihren Augen und fast unter den meinigen vor, die man mir dann vielleicht alle zur Last legt? Kennen Sie Ihre Pflicht nicht, für die öffentliche Sicherheit und Ruhe zu wachen? Was soll aus der Disciplin werden, wenn der Soldat solche Beispiele siehet und höret?« Er drohete ihm, sobald wieder die geringste Unordnung durch seine Schuld vorfallen würde, wolle er ihn nach Petersburg schicken und an die Monarchin rapportiren. Die Hamburger Zeitungen sangen oft ein großes Lob des Generals Buxhoevden, und die Warschauer lasen es mit thränenden Augen und durften es nicht wagen, zu widersprechen. Die Hamburger müssen für oder ohne Gratial sehr viel in ihre Blätter rücken; sie sollten billig etwas prüfen, aus welcher Quelle die Nachrichten fließen. Wer damals in Warschau war und gesunde Augen und Ohren hatte, dem konnten die kläglichen Litaneien der armen Einwohner und ihre treffenden Bemerkungen, die sie so laut machten, als es die Umstände erlaubten, nicht entgehen.

Die zweite Anekdote, Suworow betreffend, ist etwas älter, und ich habe sie aus dem Munde des verstorbenen Hauptmanns von Blankenburg, eines Mannes, der für die Geschichte seiner Zeit viel Wichtiges hätte liefern können und vielleicht geliefert haben würde, wenn ihn der Tod nicht übereilt hätte. Suworow war im siebenjährigen Kriege, wenn ich nicht irre, noch als Major mit den russischen Truppen in Deutschland. Die Kosacken hatten bei dem Berliner Ueberfalle einen jungen schönen Knaben aus der Residenz mit sich fortgeschleppt, weil sie ihn vermuthlich für den Sohn eines vornehmen Mannes gehalten hatten. Der Knabe weinte und konnte die wilden Leute weder verstehen, noch sich ihnen verständlich machen. Suworow fand ihn bei den Kosacken, sprach freundlich mit ihm und nahm ihn sogleich zu sich und hielt ihn so gut, als er ihn im Felde halten konnte. Der Knabe wußte so eben noch den Namen seiner Mutter zu sagen und die Straße zu nennen, wo sie wohnte. Während der übrigen Zeit des Feldzugs sprach er ihm Geduld zu; sobald er aber ins Quartier gerückt war, schrieb er aus der Gegend von Königsberg nach Berlin der Wittwe ungefähr folgenden Brief: »Liebes Mütterchen! Ihr kleiner Sohn ist bei mir in Sicherheit. Wenn Sie ihn bei mir lassen wollen, so soll es ihm an nichts fehlen. Ich will für ihn sorgen, und er soll wie mein Sohn sein. Wollen Sie ihn aber zurück haben, so können Sie ihn hier abholen oder mir schreiben, wohin ich ihn schicken soll. Ich bin ganz unschuldig, daß die bösen Kosacken ihn mitgenommen haben.« Herr von Blankenburg versicherte mich, er habe selbst das Billet gelesen; und es ist schon ganz in dem gutherzigen, etwas barocken Tone des nachmaligen Suworow geschrieben. Es muß der jetzige Feldmarschall sein; denn so viel ich weiß, hat die russische Armee keinen andern Suworow mehr. Ein solcher Mann sollte ein Wütherich sein, wozu ihn die Lästerung macht? Die ihn näher kennen, versichern, daß er außerordentlich weichherzig sei, welches seinem übrigen Charakter gar nicht widerspricht. Die einzige Ursache der Erscheinung ist vielleicht, daß er Alles zu sehr nur auf die höchste Energie des Moments berechnet. Der russische Soldat ist mehr als irgend ein anderes irdisches Geschöpf ungebildeter Enthusiast. Gott, der heilige Nikolas, die Kaiserin, oder Alles dieses auch wol in umgekehrter Ordnung, und Sieg sind seine einzigen Gedanken oder vielmehr nur gedankenähnliche Gefühle; die Türken, seine barbarischen Nachbarn, haben in ihm den Rest der Menschlichkeit, den er vorher vielleicht noch hatte, durch ihre grausame, wüthende Art, den Krieg zu führen, noch ausgelöscht, und man macht ihm also den Vorwurf der Grausamkeit nicht ohne Grund. Es giebt selbst unter den Officieren noch eine Menge, die ungebildet genug find, in den Ton der Soldaten einzustimmen oder ihn sogar anzustimmen, um seine Wuth noch mehr zu befeuern. Zu meiner nicht geringen Befremdung habe ich wahrgenommen, daß diese Officiere mehr Deutsche als Russen waren. Nun gehörte ein Mann von Trajan's fester Humanität dazu, diese Mixtur von Halbwilden im Zaum zu halten. Suworow hat insofern Schuld, daß er seinen Untergebenen nicht genug Menschlichkeit eindringend anempfiehlt und Alles nur auf Kraft hinarbeitet, ohne zu erwägen, was unter dem Verstummen der Philanthropie sonst noch zertrümmert wird, das gerettet werden konnte. Aber seinem Charakter selbst kann man den Vorwurf der Grausamkeit mit Recht nicht machen. Seine Eigenheiten, deren er eine Menge hat, gehören nicht hierher. Ob er ein General ist, der Probe gegen jedes Manöver und gegen alle Hilfsmittel der Taktik hält, ist eine Frage, die unentschieden ist und vielleicht unentschieden bleibt. Aber bei welchem Generale kann man sie gewiß beantworten? Der eine siegt meistens blos durch die Fehler des andern. Die Welt hat gesehen, was Suworow gethan hat. Er wählte überall die zweckmäßigsten Mittel, und man hatte Ursache, zu erwarten, er würde sie ferner überall gewählt haben.

Der Generallieutenant Palen ist der zweite vorzügliche Mann, der auf eine sehr unförmliche Weise geradezu aus dem Dienste geschlossen ward. Der Kaiser hat selbst gleich nachher die Unschuld desselben eingesehen, anerkannt und seine Ehre hergestellt, und man sagt, auch Palen habe die Ruhe gewählt, die er so zufällig erhalten hatte. Soweit mir die Geschichte bekannt ist, war sie folgende. Der König Stanislaus sollte durch Riga nach Petersburg gehen, und der Monarch hatte dem Gouverneur General Palen befohlen, ihn so ehrenvoll und glänzend als möglich zu empfangen. Der General thut seine Schuldigkeit, so gut er kann, daß das Militär ihn gehörig bewillkomme. Die Bürgercompagnien stehen in Bereitschaft, ihn feierlich zu begrüßen, und auf dem Hause der Schwarzen Häupter hatte man eine große Mahlzeit bereitet. Zum Unglück kommt der König diesen Tag nicht, und ebenso sehr zum Unglück kommt an demselben Tage von Petersburg der Fürst Subow an, dessen Credit bei Hofe äußerst mißlich stand. Der General Palen, ein offener, freimüthiger, rechtschaffener Mann, empfängt den Fürsten als einen Mann, mit dem er immer in freundschaftlichem Vernehmen gestanden hatte. Die Compagnien geben natürlich demselben, als einem russischen General, die Ehrenbezeugungen, und Beide gehen zusammen nach Hause. Die Mahlzeit, die man heute für einen König bereitet hat, ist morgen schwerlich mehr für ihn gut; man läßt also einen Theil derselben holen und verzehrt ihn, damit er nicht verderbe. Alles in guter Vertraulichkeit und kein arger Gedanke dabei. Sogleich setzt sich ein Sykophant hin und schreibt nach Hofe, der General Palen habe den Fürsten auf diese ungewöhnlich ausgezeichnete Weise empfangen und bewirthet, und den folgenden Posttag kommt ein Befehl, der General Palen sei ausgeschlossen, und seine Ablösung. Palen verlangt billig Kriegsrecht; denn Niemand muß eigentlich ungehört verdammt werden. Das Gegentheil ist ein Machtspruch und Machtsprüche große Mängel in der Regierung und nur in den äußersten Collisionen zu rechtfertigen. Der Monarch aber hat unterdessen die wahre Beschaffenheit der Sache erfahren und schickt dem General die Restitution zu. Man sagt, der General habe sich auf seine Güter in Kurland zurückgezogen und wolle da in Ruhe leben. Durch diese Schnelligkeit wurde der Charakter eines der bravsten und rechtschaffensten Männer compromittirt, weil man das audiatur et altera nicht geachtet hatte. Wo nicht periculum in mora ist, kann die Verurtheilung nicht zu langsam gehen; hier war gewiß gar keine Gefahr. Ueberall, wo der General Palen Aemter verwaltete, hat er die allgemeine Zufriedenheit seiner Mitbürger und Untergebenen. Die Bürger von Riga segnen ihn für seinen uneigennützigen, unermüdeten Eifer bei verschiedenen sehr kritischen Zeitpunkten. Und wenn der kurländische Adel nicht ganz mit ihm zufrieden war, so lag dieses in der Natur der Sache und der Beschaffenheit seiner Aufträge, so wie es noch mehr in der Natur der Sache lag, daß ein russischer General in Warschau gehaßt werden mußte, und daß man also Igelström nicht leiden konnte, wenn er auch Titus selbst gewesen wäre.

Noch eine Erscheinung, die mir am nördlichen Horizonte sonderbar vorkommt, ist, daß der König von Polen den Kaiser zur Krönung nach Moskau begleitet. Was konnte Paul der Erste durch die Gegenwart des Königs Stanislaus Poniatowsky gewinnen? Der Pomp gewann, aber die Würde nicht. Paul der Erste hatte nicht das Geringste dazu beigetragen, daß Poniatowsky auf diesem Fuß in Moskau war; und wenn es auch ganz allein sein Werk gewesen wäre, so hätte ihn die Großmuth vielleicht besser mit dieser Reise verschont. Mit welchem Gefühl der König Poniatowsky sie gemacht hat, ist ebenso unbegreiflich, als es unbegreiflich ist, mit welchem Gefühle er seine ganze Regierung vom Jahr 63 bis 94 geführt hat. Nur Poniatowsky allein hat die Nation zu Grabe getragen. Die Nachbarn hatten freilich ihren Mann gekannt. Ein Mann von Entschlossenheit und wahrer Königswürde wäre in die Katastrophe von 71 nicht gerathen, und das Ende von 94 wäre nicht denkbar gewesen. Wenigstens konnte ein Mann, der das Wohl und die Ehre der Nation und seine eigene lebendig im Herzen trug, dieses nicht überleben, wenn er wirklich ein Mann war. Was kann die Absicht des Kaisers dabei sein? Unmöglich, den König Poniatowsky zu ehren; denn jede Höflichkeit, die einem Manne in diesen Verhältnissen auf diese Weise erwiesen wird, ist Insult für den Charakter, den er haben sollte. Vielleicht sollten sich endlich die Russen mit den Polen versöhnen für die Scenen, welche die letzten zu Anfange des vorigen Jahrhunderts in Moskau gespielt haben. Sie haben sich einander reichliche Vergeltung gegeben. Wenn der Stolz einer zertrümmerten Nation noch unter der Asche brennen kann, so dürfen die Polen vielleicht sagen, daß sie damals ganz allein die Geißel der Russen waren, und daß jetzt die Russen mit allen Nachbarn zu ihrer Vernichtung im Bunde standen. Die Russen erhoben sich freilich damals schnell wieder; aber es ist vielleicht blos die Lage des Landes Schuld, daß die Russen sich schnell wieder erhoben und Polen sich wahrscheinlich nie wieder erheben wird. Hat Poniatowsky den feierlichen Zug mitzumachen gewünscht, so ist dieser Wunsch das Unbegreiflichste in seinem unbegreiflichen Leben: ist er blos der Einladung des Kaisers gefolgt, so geht diese letzte Nachgiebigkeit mit in das traurige große Register, daß er nicht einmal endlich den Muth hatte, einem solchen Befehle nicht zu gehorchen. Im Jahre 63 stand es in den Händen des Königs Poniatowsky, sein Vaterland zu einem der glänzendsten und glücklichsten Länder von Europa zu machen. Die Nation hatte das Recht, dieses zu erwarten und zu fordern. Ein Mann würde der Forderung Genüge geleistet haben. Im Jahre 97 wohnte er den Exequien seines Volkes in Moskau bei, nachdem seine Schwachheit es zu Grabe geführt hat. Eine herrliche Lehre, das alte quid valeant humeri, zu beherzigen, für alle Bewerber um eine Krone oder um große Aemter, damit sie nicht das Spielwerk der Stärkern und Listigern und nachher der Gegenstand der allgemeinen Verdammung oder wenigstens des allgemeinen Mitleidens werden! Einem Manne ist nichts niederdrückender als Mitleiden, weil es in dem Gegenstande Mangel der Kraft voraussetzt. So lange Kraft und Ausübung derselben im Kampfe da ist, fühlt der Zuschauer Theilnahme oder Bewunderung, aber nicht Mitleiden. Wenn das Mitleiden eintritt, ist der Gegenstand klein geworden; und das sollte ein Mann nie werden. Nur Unglücksfälle der Natur können ihm vielleicht seinen Muth rauben; aber Unglücksfälle des Schicksals machen ihn größer, wenn wirklich Stoff zum großen Manne in ihm lag. Und ein König sollte wenigstens ein Mann oder nicht König sein.

Eine vortreffliche Unternehmung des Kaisers, durch deren glückliche Ausführung er den Dank und die Verehrung aller seiner Unterthanen und die Bewunderung der Ausländer verdienen wird, ist die Creditrettung und beabsichtigte Tilgung des Papiergeldes. Der erste Anfang zur Tilgung ist, daß sein Werth ebenso gut oder besser als Münze sei, und daß selbst ein bedenklicher Mann sein baares Vermögen lieber in seinem Taschenbuche als in seinem Koffer habe. Papiergeld ist überall eine Staatskrücke, bis der Patient wieder gesund wird und auf eigenen Füßen gehen kann oder endlich am Schaden stirbt. Hume hat schon in seinen »Versuchen« diesen Gegenstand mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn abgehandelt, weit ehrlicher als den Urvertrag, weil er mit dem Papiergelde keinen Rousseau zu widerlegen und keine Gunst des Ministers zu kaufen hatte. Man darf denjenigen Staat als Staat immer für einen der gesündesten und blühendsten halten, wo alle Bedürfnisse aus den festgesetzten Einkünften hinlänglich bestritten werden, und wo sich keine Staatspapiere finden; folglich ist in dieser Rücksicht Preußen einer der gesündesten. Krücken kann man immer machen, wenn der geschehene Schade es fordert; aber man lernt nicht so bald wieder ohne dieselben gehen. Der Werth des Papiers hängt durchaus von dem Credit des Staats ab, und dieser beständig von seinen innern und oft noch mehr von seinen äußern Verhältnissen. Als es im Jahre 94 in Warschau Schwierigkeiten wegen der Assignaten gab, schien es ein Herr von der Kommission sehr sonderbar zu finden und sagte: »Sind denn unsere Assignaten nicht ebenso gut und sicher wie die russischen?« – »Weiß nicht,« antwortete einer der Unsrigen, »wenn wir nur Brod und Fleisch dafür kaufen könnten!« – »Es kommt nur auf eine Kleinigkeit an,« setzte ein Anderer hinzu, »so sind sie so giltig wie die besten Holländer.« – »Und die wäre?« fragte der Pole. »Sie müssen nur tüchtig links und rechts die Russen und die Preußen schlagen,« war die Antwort. »Das wollen wir, das wollen wir,« sprach der Sarmate im Weggehen und strich lachend seinen Schnurrbart. An dem guten Willen war nicht zu zweifeln; aber das Vollbringen forderte bessere Sehnen, als damals der tödtlich fieberkranke Staat noch hatte.

Die Kaiserin Katharina die Zweite ließ Papier prägen in ihrem ersten Türkenkriege, um keine Kriegssteuer fordern zu dürfen. Nirgends sind wol Papiere eigentlich sicherer als in Rußland; denn nirgends giebt der Staat mehr Werth zum Unterpfande. Nicht allein die öffentlichen Einkünfte, sondern vorzüglich die unermeßlichen Krongüter sind die Hypothek, und diese sind nach den außerordentlichen Verschenkungen immer noch der Werth von unbeschreiblichen Summen, zumal da die Preise der Grundstücke täglich steigen und in Rußland vorzüglich noch lange steigen müssen. Die Anzahl der Assignaten hat sich freilich sehr gemehrt, und ihr Totum, das man nicht sicher genug kennt, mag sich wol auf einige hundert Millionen Rubel belaufen. Noch eine Kleinigkeit gegen die englische Nationalschuld, indessen doch immer groß genug, bei kritischen Perioden den Besitzern viele Unruhe zu verursachen. Der Fürst Potemkin hatte nach den Berichten von Personen, die näher um ihn waren, allein mehrere Millionen eingekapselt. Die Kapseln sahen aus wie Bücherbände und standen in Repositorien. Dieses pflegte er sehr fürstlich seine Bibliothek zu nennen und hatte ein großes Vergnügen, zuweilen ein Stündchen darin zu studiren und sie zu mustern. Anfangs waren die Assignaten, wie überall gewöhnlich ist, ebenso gut oder noch besser als Silber; aber sie verloren nach und nach bei ihrer Vermehrung und den gefährlichen Kriegen beträchtlich, und ihr Verlust stieg bis auf dreißig Procent. Fünfundzwanzig verloren sie bei dem Tode der Kaiserin. Kupfer sollte man voll dafür in den kaiserlichen Banken bekommen; aber auch dieses konnte man sehr selten erhalten. Die Kaufleute und Landbesitzer wußten sich wol zu helfen; denn bei beiden richteten sich Waaren und Producte im Preise nach dem Preise des Geldes. Aber Personen, die in öffentlichen Diensten standen, sowol Militäre als vom Civiletat, waren sehr übel daran, da sie ihren Gehalt in Papier erhielten. Die Besoldungen waren außerdem schon sehr mäßig, und nun mußten sie noch über fünfundzwanzig Procente Verlust bei der Umsetzung leiden, oder wenn sie kauften, so war es schon auf die Waaren geschlagen. Stellen Sie Sich vor, daß ein Mann in einem Collegio vierhundert Rubel Gage in Papier zog, die gaben ihm in Silber dreihundert. Davon sollte er mit seiner Familie leben, sollte, wie man es nennt, standesmäßig leben! Unbegreiflich ist es mir oft gewesen, wie Leute von dieser Summe noch so erträglich leben konnten. Die meisten suchten sich freilich durch das sogenannte Nefas oder, feiner gesprochen, durch Accidenzen zu erholen; aber es gab doch auch ehrliche Männer, die sich durchaus in diese Art Krummholz nicht fügen konnten. Die nordische Hospitalität kommt nur ledigen einzelnen Personen zu Gute; denn ein Mann mit Familie kann davon nicht Gebrauch machen. Und doch mußten Männer mit Hofrathscharakter in Gouvernementsstädten von dreihundert Rubeln leben.

Für alle Leute in ähnlichen Verhältnissen ist der nun festgesetzte gleiche Preis des Papiergeldes mit der Münze eine wahre Wohlthat. Der kleine Officier hebt nun seinen vollen Gehalt und zahlt zurück ohne Verlust, und ein Mann, dessen ganzer Reichthum seine Gage ist, muß eine Ersparniß von zehn Rubeln in seiner kleinen Oekonomie schon sehr vorteilhaft empfinden. Der Kaiser befahl, die Assignationen sollten wie Münze stehen, und sie standen. Freilich zahlten die öffentlichen Banken noch fast ebenso wenig als vorher. Die Verlegenheit war um desto größer, da der Kaiser wol befehlen konnte, das Papier sollte in Zahlungen voll gehen, aber Niemand zu zwingen im Stande war, es auf demselben Fuß einzuwechseln. Die erste Erscheinung also war, daß man nun auf einmal weder Gold noch Silber mehr sahe und Alles ohne Ausnahme mit Papier und zur Auseinandersetzung mit Kupfer abgemacht wurde. Reisende, welche in dieser Periode aus Rußland kamen, haben mich versichert, daß man hundert Meilen fahren konnte, ohne ein Stück Silber zu sehen. Alles ist sehr natürlich; Jedem ist doch der Werth des Silbers lieber als der Werth des Papiers, da dieser doch immer nur auf sehr unsichern Etablissements, jener aber auf der uralten Übereinstimmung aller cultivirten Nationen beruht, der die uncultivirten sogleich beitreten, so wie sie sich aus ihrer ersten Rohheit erheben. Der Kaiser soll schon, sagen die öffentlichen Nachrichten, gegen neun Millionen Assignationen verbrannt haben. Der Anfang ist gut. Wenn er im Stande ist, bei seiner Staatsökonomie jährlich nur einige Millionen zu vernichten, und die Zahlung der Banken nur auf leidlichen Fuß gesetzt wird, so wird bald die Münze mit Sicherheit wieder aus den Koffern der Capitalisten hervorströmen. Das Mißtrauen hat sie zurückgehalten, und das Zutrauen wird sie wieder ins Publicum bringen. Wenn der Monarch dieses Unternehmen glücklich beendiget, so hat er seinen Ländern mehr wesentliche Wohlthaten erwiesen, als ob er sie den Nachbarn noch einmal so furchtbar gemacht hätte.

Auch dem Handel hat der Kaiser bei dem Antritt seiner Regierung den Druck erleichtert, unter welchem er vorher arbeitete, und ihm so viel Freiheit gegeben, als die Umstände zu erlauben scheinen. Wenn man in den Zollhäusern an den Grenzen die Listen der Contrebande durchsah, gerieth man in Verlegenheit, was nun außer diesen verbotenen Artikeln noch eingeführt werden könnte, so enge waren die Linien gezogen! Fast alle ausländischen Manufacturartikel aller Art waren untersagt; und seit dem Anfange der französischen Unruhen und dem Ausbruche des Krieges war Alles noch weiter eingeschränkt worden. Wäre Rußland ein Reich, das verhältnißmäßig nur so stark bevölkert wäre als die meisten übrigen Provinzen von Europa, und dessen Industrie und Manufacturen sich mit den übrigen nur etwas messen könnten, so könnte die Einschränkung, vorzüglich des Importationshandels, aus den Gründen sehr weise sein, aus welchen sie es bei den Engländern wirklich ist. Aber so sehr sich auch einige Fabriken in Moskau, Petersburg, Tula und einigen andern Orten auszeichnen, so stehen sie doch durchaus noch in keinem leidlichen Verhältnisse zu dem Ganzen. Da Rußland noch mit seinen Naturproducten so unerschöpflich reich und in seinen Manufacturen so ausgezeichnet arm ist, darf es noch lange nicht befürchten, daß auch bei der größten gegebenen Freiheit sein Handel passiv werde. Es können wol noch hundert Jahre vergehen, ehe diese Periode, auch bei dem glücklichsten Frieden und den besten Einrichtungen wahrscheinlich eintreten dürfte. Wo der Ackerbau in allen Provinzen noch so ausschließlich mehr Hände fordert, als man ihm geben kann, darf man auch noch nicht so ängstlich auf Fabriken denken, die billig nur den mehr müssigen Theil der Nation beschäftigen. Die Engländer, trotz ihren Raffinements in Manufacturen und dem Nonplusultra ihres Handelsgeistes und trotz der Anglomanie der Russen, verlieren doch jährlich einige Millionen Rubel an Rußland. Man bezahlt zwar ihre Artikel des Luxus mit schweren Summen, aber diese Summen gleichen bei Weitem nicht denen, die sie an Rußland nothwendig zurückzahlen müssen. Ihre Flotten brauchen Flachs und Hanf und Maste und Eisen und Kupfer, das sie durchaus von Rußland nehmen müssen, wenigstens von Rußland zu den billigsten Preisen bekommen können. Sie suchen sich an andern Nationen über ihren Verlust von dieser Seite zu erholen. So lange die Russen noch nicht selbst alle Früchte des Landes verzehren können, – und innerhalb hundert Jahren können sie dieses gewiß noch nicht, – werden sie bei voller Handelsfreiheit und bei nur mäßigem Fleiß im Arbeiten durchaus nicht verlieren. Bis dahin werden nach dem gewöhnlichen Lauf ihre Manufacturen und ihre Industrie aller Art wahrscheinlich steigen; und dann ist es Zeit genug, gegen den Passivhandel Maßregeln zu ergreifen. Bis dahin, glaube ich, ist jede Art von Handel, wenn nur die Nation zu ihrer eigenen Bildung etwas dadurch gewinnt, gesetzt auch, daß sie in diesem Artikel des Handels selbst verlöre, ohne allen Schaden, da das Resultat des Ganzen noch Gewinn ist. Die russischen Fabriken gewinnen durch die Freiheit des Handels in jeder Rücksicht mehr als durch die Sperrung; denn die Eifersucht wird rege gehalten, und der Wetteifer für Qualität und Quantität der Producte arbeitet mit allen Kräften um den Vorzug oder wenigstens um gleichen Schritt. Die Stücke des Auslandes dienen zu Mustern, die man zu erreichen oder zu übertreffen sucht. Wenn man blos auf die Heimath eingeschränkt ist, bleibt die alte Trägheit bei der Weise der Großväter und ist zufrieden, ihre Sachen nur fast so gut gemacht zu haben wie die Großväter. Den Russen fehlen zur wahren Cultur noch die ersten nothwendigsten Handwerker, so viel auch der Russe natürliche Geschicklichkeit zu allem Möglichen hat. Es giebt zwar hier und da vortreffliche Leute in ihrer Art; aber ihre Anzahl ist für das Ganze noch so geringe, daß ihr Mangel nur desto mehr empfunden wird. Die nützlichste Anstalt würde vielleicht sein, die zur ersten feineren Cultur notwendigsten Menschen vorzüglich vermehren zu helfen, Ziegelbrennereien anzulegen, gute Maurer und Zimmerleute zu schaffen, die durch ihre Existenz und Arbeit dem ganzen Lande sogleich ein humaneres Ansehen geben. In Deutschland ist es dem letzten Bauer unmöglich, sich ein Haus ohne Kamin, Schornstein und ordentliche Fenster zu denken; in den meisten Provinzen Rußlands erzählt man es als einen Beweis eines ungewöhnlichen Wohlstandes und eintretenden Luxus von einem Bauer, er habe sich ein Haus mit Schornstein und Fenstern bauen lassen. In Deutschland findet in jedem Dorfe ein marschirendes Corps ein Quartier, wo allenfalls ein General einige Tage gemächlich ausruhen könnte; in Rußland ist es eine Seltenheit, die Edelhöfe ausgenommen, welche auch zuweilen elend genug sind, auf dem platten Lande ein Quartier zu sehen, wo nicht der eingesperrte Rauch die Augen wund beizte.

Der Salzhandel ist in den meisten Ländern ein Monopol der Regierungen und bei einer vernünftigen Einrichtung nicht zum Schaden der Länder, wenn die Regierungen nicht den unseligen Einfall haben, durch dieses Monopol großen Gewinn zu machen. In Rußland ist es doppelt nöthig, daß die Krone dafür sorgt, daß in allen Provinzen gehöriger Vorrath von Salz zu finden sei, da schwerlich ein Particulier aus eigenen Kräften diesen so notwendigen Artikel aus so großen Entfernungen immer sicher würde herbeiführen können, ohne daß man ihm wieder ein Monopol gäbe. Und wenn denn einmal ein Monopol sein muß, so läßt man es doch sicherer in den Händen des Monarchen, dem schon so viel anvertraut ist. Meistens kommt das russische Salz von der sibirischen Grenze, wo es in großer Menge auf sehr leichte Weise gewonnen wird. Der Vortheil, den die Commission in einigen Provinzen daraus zieht, wird vielleicht gänzlich wieder in andern entferntern verloren, denen man das Salz bei dem weiten Transport doch zu sehr billigen Preisen liefert, so daß wahrscheinlich der Gewinn im Ganzen sehr geringe ist. Desto größer ist er aber von dem Monopol des Branntweinhandels. Man wird vielleicht dieses sonderbar finden, aber es ist nichts desto weniger wahr; in Rußland ist der Kaiser allein in dem ausschließlichen Besitz, Branntwein zu schenken. Esthland, Livland und nun vielleicht Kurland sind ausgenommen, wo nur der Adel privilegirter Branntweinbrenner ist, der ihn dann verschenkt oder an die Ausländer verkauft. Ob der Handel der Krone mehr einträgt als in andern Ländern der Blasenzins, läßt sich leicht bestimmen; der Vortheil muß sehr groß sein. Ueberall ist der gemeine Mann dem Trunke ergeben, aber nirgends stärker als in Rußland; und vielleicht soll dieses ein Mittel sein, daß die öffentlichen Häuser, wo das berauschende Getränk verkauft wird, unmittelbar unter der Aufsicht eines Kronbeamten stehen, der Trunkenheit einigermaßen zu wehren. In Livland und Esthland ist das Adelsprivilegium, da nämlich nur blos der Adel Branntwein brennen und verkaufen darf, ein Mittel, das letzte Mark des ärmlichen Lebens des Volks, wenn man so unglückliche, ohne Grenzen elende Geschöpfe Volk nennen kann, in die Casse der Menschenbändiger zu ziehen. Der Kaiser scheint der Freiheit günstig zu sein; wenigstens zeigen die Einrichtungen, die er ehemals auf seinen Privatgütern traf, er sei überzeugt, daß nur durch sie Industrie gehoben, feste Gerechtigkeit geschafft und das Glück des Gesammten gesichert werden könne. Was er in dieser Absicht nun für das ganze Reich thun wird, muß die Zeit lehren. Es steht blos bei ihm, auch ohne den Namen der Freiheit zu nennen, deren Begriff die Halbwilden noch nicht richtig fassen können, sie wirklich zu geben. Ein Mann mit seiner Vollmacht, mit allen Guten des Reichs und vielleicht den bravsten Truppen von Europa zu seiner Unterstützung, kann Alles thun, was er consequent findet. Die Sache der allgemeinen Personalfreiheit soll unter der Regierung seiner Mutter schon einmal im Senat bestimmt zur Sprache gekommen sein. Der Kastengeist fand natürlich sein Interesse, sie zu unterdrücken, und brauchte den damals so eben eintretenden gleißenden Prätext der Revolte des Pugatschew, um die gefährlichen Folgen einer solchen Concession zu zeigen. Die Monarchin glaubte das Wagniß zu sehen und noch mehr das Mißvergnügen, das es mehrern angesehenen Hofleuten und inhumanen Landbesitzern in den Provinzen machen würde. Die Sache unterblieb. Aber es ist leicht, deutlich zu beweisen, daß bei einem nur persönlich freiem Volke eine Revolte wie Pugatschew's nicht möglich gewesen wäre; wenigstens hätte sie sich nicht so ausgebreitet und die entsetzlichen Gräuel hervorgebracht, welche diese wirklich hervorgebracht hat. Ein nur persönlich freies Volk ist noch weit von der wahren Freiheit entfernt. Nichts ist leichter, als die Wohlthätigkeit einer vernünftigen Freiheit zu beweisen; und jede Freiheit ist vernünftig, oder sie verdient nicht mehr diesen edeln Namen. Wo die Sclaverei nur an einem einzigen Menschen gesetzlich bleibt, ist der Staat auf einen Widerspruch gebauet und muß früher oder später sich verbessern oder zu Grunde gehen. Dieses war die Krankheit der alten Staaten, die so viel von Freiheit schwärmten. Die kommenden Jahrhunderte werden lehren, ob die neuern durch den Irrthum der alten weiser geworden sind. Gemäßigte kirchliche und politische Freiheit ist die sicherste Stütze eines jeden Throns und der sicherste Grund zum Wohlsein des Volks. Man sehe rund um sich her in der Geschichte, um sich von dieser Wahrheit zu überzeugen! Der Druck eines großen allgewaltigen Despoten ist noch nicht so schwer als der Druck von tausend kleinern, die unter die Fittige des großen sich verbergen. Rußland hat nicht den vierten Theil der intensiven Kraft, die es haben könnte, wenn seine Einwohner freie Leute wären. Man nehme Deutschland unter Friedrich dem Dritten und jetzt – und man hat die Vergleichung. Es ist unmöglich, daß Gerechtigkeit wohne, unmöglich, daß Kunstfleiß gedeihe, unmöglich, daß allgemeine Wohlhabenheit ihren Sitz aufschlage, wo der größte Theil der Lebenden keine Person hat. Wer will mit Lust blos für Andere pflanzen, für Andere arbeiten, für Andere bauen? Kein Sclav thut mehr, als er muß; und er wäre ein Thor, wenn er mehr thäte. Denn wo ist Sicherheit, daß der Genuß seiner Arbeit für ihn sei? Man nehme ferner: wo die Freiheit Wurzel schlägt, breitet sie sich aus wie jedes gute Gewächs der Natur, und die Sclaverei gedeihet wie jedes Unkraut. Wo der Kern der Nation Sclav ist, kann und wird Keiner für seine Freiheit Sicherheit haben, der nicht in die Kaste der Unterdrücker tritt. Hätte ich als armer deutscher Bauer ein halbes Dutzend Söhne, ich würde sie alle lieber mit einem Schusse tödten, ehe ich sie unter gleißnerischen Versprechungen als sogenannte Pflanzer nach Rußland gehen ließe. Sie bleiben frei, sagt man laut. Richtig; aber man sehe weiter! Den Ankömmlingen macht Niemand ihre Persönlichkeit streitig, nur daß man sie nicht sogleich nach Belieben wieder fortgehen läßt. Die Söhne sind als Eingeborne schon zweideutig. Bei den Enkeln ist keine Quästion mehr; der Edelmann oder der Oekonomieinspector der Krone behandelt sie in jeder Rücksicht wie alle übrigen Leibeigenen. »Er ist hier im Gebiet geboren; sein Vater ist weder Edelmann noch Städter; folglich ist er Erbe;« so spricht man etwas humaner, wenn man nicht Sclav sagen will. Eine herrliche Aussicht, der Vater einer Sclavenrace zu sein! Mir selbst sind Beispiele von solchen Processen bekannt. Ein Fremdling, der in Rußland nicht seine Zuflucht in eine Stadt nimmt, hat auf die Freiheit seiner Nachkommenschaft Verzicht gethan. Der Satz ist Unsinn, aber er ist doch wahr; denn es ist leider viel Unsinn unter den Menschen als Wahrheit giltig. Dieses ist eine von den triftigsten Ursachen, warum in Rußland auf dem platten Lande die Cultur noch nicht höher gestiegen ist. In einem despotischen Staat ist zwar der erste Fürst als Staatsglied rechtlich ebenso wenig etwas als der letzte Sclav; aber desto schlimmer, daß eine Null die andere so sehr das Gewicht ihrer Nullität auf einer andern Seite fühlen läßt. Nirgends kann öffentliche Wohlfahrt auf einige Sicherheit rechnen, als wo Rechte und Pflichten in ein vernünftiges Verhältniß treten; und nirgends kann dieses Verhältniß stattfinden, wo der Begriff der Sclaverei noch am Throne geduldet wird. Katharina die Zweite hat zwar schon das Wort verbannt; aber der Adel hat sich die Sache nicht nehmen lassen: non missura cutem. –

In Deutschland ist der Adel, das Unwesen der Kanonikate ausgenommen, deren Entstehung Pfeffel allegorisch in der Fabel angiebt, so ziemlich unschädlich geworden und kann, wenn er anders in den Grenzen der Mäßigung bleiben will, für den Staat noch leidlich unschuldig bestehen. Doch giebt es hier und da des alten Sauerteigs noch genug; und das Capitel der ungemessenen Frohne erinnert noch oft an die Zeiten der goldenen Bulle, die zwar für den Adel, aber für Philosophie, Gerechtigkeit und Humanität gar nicht golden waren. Mit einem Federstriche könnte Paul der Erste viele Millionen glücklicher Menschen schaffen, und dieses wäre um desto leichter, da ihre kraftvollen Brüder für ihn und ihr Vaterland, an dem sie doch noch keinen Antheil haben, muthig das Schwert tragen. Niemand würde es wagen, ihm und ihnen zu widersprechen, und selbst die Verlierenden würden in der Folge bald mehr gewinnen, als sie jetzt verlieren. Nach meiner Ueberzeugung wäre dieses der vollkommenste Sieg, den er über alle seine Feinde, die ihm in seinen Verhältnissen nicht fehlen können, erhalten würde. Die äußerlichen Verhältnisse der Politik können ebenso wenig immer dieselben bleiben, und es wäre im Falle einer Veränderung zu befürchten, daß der richtige Gebrauch einer einzigen Idee Rußland mehr Schaden thäte als eine starke Armee.

Der Kaiser verlangt sicheren Nachrichten zufolge von allen Fremden, die sich eine beträchtliche Zeit in Rußland aufgehalten haben und ferner dort zu bleiben wünschen, ein eidliches Versprechen, daß sie für sich und ihre Nachkommen im Reiche bleiben und es nie wieder verlassen wollen. Die Nachricht ist mir ungeachtet der Verbürgung kaum glaublich. Er hat allerdings das Recht zu dieser Forderung, da er überhaupt das Recht hat, Fremde zu dulden oder nicht; aber Liberalität liegt nicht darin, und ich zweifle, ob Gewinn für den Staat daraus entspringen werde. Ein solches Versprechen ist billig Jedem abschreckend, dessen Lage noch nicht die verzweifelteste ist, und eine Menge Ausländer sollen sich sogleich entschlossen haben, das Reich zu verlassen. Für sich selbst kann zwar Jeder Verbindlichkeiten eingehen, so viel er will; aber über seine Nachkommen kann er durchaus nichts Giltiges beschließen. Und welcher freie Mann wollte auch auf das erste heiligste Recht des Menschen Verzicht thun? Nur der hoffnungslose Schwächling kann seine Befugnisse so verkaufen! Der Gewinn an solchen Leuten wäre sodann dem russischen Reiche nicht zu beneiden. Mancher würde freiwillig mit seinem ganzen Muth dort arbeiten wollen, den dieser Zwang zurückscheucht. Eine solche Verzichtleistung wäre der erste Schritt zur Sclaverei. Der Gedankenlose ist zu bedauern; aber wenn ein Mann von hellem Kopf ein Sclav ist, so verdient er es zu sein. Es giebt keine Fessel, die der Muth nicht brechen könnte. Jeder rechtliche Mann, der den Antrag eines solchen Versprechens erhält, wird billig antworten: »Für mich will ich nichts versprechen, für meine Nachkommen kann ich nicht.« Nur ein ganzes corpus mysticum kann mit Giltigkeit für seine Nachkommen versprechen; dazu sind andere Gründe.

Der Monarch zeigt, daß er den Frieden wünscht. Es ist ein Wunsch, eines Regenten würdig. Rußland kann Frieden haben, wenn es will; denn es hängt blos von sich selbst ab, und kein Nachbar wird es nunmehr wagen, es zu beeinträchtigen. Aufmerksamkeit auf das Militär ist die Bedingung. Der Löwe kann ruhen, aber er darf nicht sicher schlafen. Wer Frieden haben will, muß zum Kriege fertig sein. Leider ist dieses eine Wahrheit, die kein gutherziger Philanthrop aus dem Codex der Völker wischen kann. Man kann sagen, Rußland hat in diesem Jahrhunderte noch keinen Frieden gehabt, und seine glücklichen Kriege haben ihm vielleicht bis jetzt wenig wahren Vortheil gebracht. Wenn Paul der Erste die Früchte dieser Kriege zum Frieden sammelt, so thut er mehr, als wenn er Schlachten gewönne. Seine Provinzen sind von unermeßlicher Ausdehnung. Der Ehrgeiz würde wenig gewinnen, sie noch zu vergrößern; wenn er sie aber glücklich macht, werden ihm funfzig Nationen den Namen Vater mit Segen zurufen. Schon Peter der Erste empfahl seinen Nachfolgern: »Es ist genug; arbeitet zu Hause!« Man hat seinen Rath nicht befolgt, vielleicht nicht befolgen können. Jetzt dürfte man es nochmals mit neuem Nachdrucke rufen. »Wir werden so viel verschlingen,« sagte mir einst ein Russe von sehr gesunder Politik, »daß wir zuletzt an der Unverdaulichkeit sterben.« Eine herrliche Warnung für physische und moralische Schwelger! Die Geschichte hat ihre Wahrheit auch an Nationen bewährt. Kein Land hat den Frieden nöthiger als Rußland; denn kein Land ist trotz der starken Bevölkerung einiger Provinzen im Ganzen ärmer an Volk; kein Land braucht mehr die Künste des Friedens und kann den Frieden leichter behaupten; aber in keinem Lande wird aus tiefliegenden Ursachen von dem Frieden für das Ganze weniger Segen gezogen. Die einzige Besorgniß wäre vielleicht, daß bei langer Ruhe das Gros der Armee anfinge, einen Glimmer von dem Begriffe der Menschenrechte zu bekommen, die man bis jetzt weder ihm noch seinen Brüdern auf dem Lande zugestanden hat. Die Knechtschaft ist zwar im eigentlichen Rußland sehr mild; denn eine ganze so energische Nation läßt sich in die Länge nicht mit unerträglichen Ketten belasten. Aber Alles lebt doch oder vegetirt vielmehr nur noch in dumpfem Brüten, und das Erwachen würde desto fürchterlicher sein, je weniger man noch die Ideen von Recht und Pflicht zu verbinden im Stande ist, da sie ihre Treiber bisher so wenig verbunden haben. Wenn die Könige auch nicht das Glück der Völker wollten, so erforderte doch ihre eigene Sache in der jetzigen Periode, daß sie dem Rechte und der Freiheit wenigstens schmeicheln. Nur durch die Aufrechterhaltung beider können sie beide wieder einschläfern, welches die Schlangenköpfe der Cabinette nur zu gut einsehen werden. Wäre diese Wahrheit vor acht Jahren daselbst lebendig gewesen, welche Veränderungen würden nicht ungeschehen sein, von denen jetzt noch ungewiß ist, ob sie der Menschheit Fluch oder Segen bringen werden! Denn noch liegt Alles in der Krise. Für Rußland wollen wir das Beste hoffen, da dort noch nichts verdorben, das heißt, noch gar nichts gethan ist. Der Himmel gebe, daß nie daselbst etwas gewaltsam geschehe; denn es würde der Orkan wie Aetna und Hekla zusammen brennen. Wenn der Monarch das Bedürfniß seiner Nation und die gerechten Forderungen der Menschennatur um Rath fragt und nicht die bunten Meinungen der großen und kleinen Höflinge, so sind die Gerechtsame gesichert, welche die Menschheit an ihm hat.

Daß der Kaiser den Dienstadel abgeschafft hat, ist die gleichgiltigste Sache im Staate. Peter der Erste hielt die Einrichtung zur Aufmunterung im Dienst für nöthig, daß jeder Officier ipso facto durch seine Anstellung für seine Person Edelmann war und als Stabsofficier den Adel auf seine Familie fortbrachte. Jetzt ist diese Aufmunterung nicht mehr nöthig; der Dienst ist auf alle Fälle versehen. Warum sollte der Adel in infinitum vermehrt werden? Freilich wäre dieses der beste Weg, am Ende gar keinen mehr zu haben; aber welche Verwirrung würde vor diesem Ende noch entstehen! Von dem Kaiser von Rußland sowie von jedem andern Regenten ist es natürlich consequent, daß er den Adel hält, um sich an den Adel zu halten. Vorurtheile scheinen zur Existenz des Menschen im Einzelnen und Allgemeinen nöthig zu sein; so wie wir uns von einem losmachen, setzt sich ein anderes wieder fest. Das Vorurtheil des Adels ist also vielleicht bis auf einen gewissen Punkt allen Parteien ziemlich dienlich. Nur wenn das Vorurtheil es wagt, das Ansehen der Vernunft anzunehmen und das Privilegium, die Giltigkeit des Rechts zu behaupten, so entstehen daraus die fürchterlichen Collisionen, die wir so häufig in der Geschichte der meisten Nationen finden. Privilegien und Vorurtheile müssen immer das Licht scheuen, weil das Licht nothwendig die Nullität der einen und das Phantasma der andern zeigen muß. So lange aber alle Menschen noch nicht hell sehen, und daran wird man sie mit Hilfe der Enthusiasten aller Art das nächste Jahrtausend wol noch zu hindern wissen, so lange sind kleine Vorurtheile sowie kleine Thorheiten keine üble Ingredienz zu dem Wohlbefinden des Ganzen. Daß der Kaiser den Adel begünstiget, liegt in seinen Verhältnissen; er will aber, daß der Adel edel sein soll, wozu allerdings etwas mehr als das Machtwort des russischen Kaisers gehört. Ob ihm der Monarch die Schranken wird anweisen können, in welchen er auch für Rußland bleiben soll, muß die Zeit lehren; denn jedes Land hat leider seinen eigenen Maßstab für seine Begriffe im allgemeinen und besondern Staatsrecht. Es ist in Rußland ein ausschließliches Vorrecht des Adels, allein Güter besitzen zu können. Dieses Vorrecht allein hemmt Cultur und Industrie auf dem Lande mehr, als zwanzig stockbigotte Verfügungen des Dalai Lama thun könnten. Dadurch gewinnt allein der Adel Personalität; denn wer nicht Grundstücke gesetzlich besitzen kann, hat nur halbe Personalität im Staate. Und ich möchte nicht in einem Staate leben, wo ich nicht ebenso rechtlich der Eigenthümer der größten Ländereien werden könnte als der Hofmarschall oder Kriegspräsident, und wenn ich auch im neunzigsten Jahre noch keinen Fuß breit hätte. Durch diese Freiheit wird der deutsche Adel noch am Meisten unschädlich gemacht. Die Provinzen, wo noch ein Zwitterding von Hierarchie und Aristokratismus lebt, zeichnen sich auch noch in Deutschland durch ihre Dunkelheit und den Mangel an Cultur aus.

Der Kaiser will künftig den Adel selbst ertheilen. Da in Rußland der Kaiser das Gesetz ist, so ist die Verfahrungsweise sehr schlußgerecht, weit mehr als in andern Staaten, wo der Monarch nicht das Gesetz ist und doch nach Gutdünken für eine Handvoll Gold den Stempel der Kaste giebt. Der Lateiner sagt sehr richtig, nobilitirt; denn es wird nur der Name gegeben; um die Sache bekümmert sich keine Kanzlei. Es ist eine schwere Sache für einen Regenten, Volk und Adel im richtigen Gleichgewicht zu halten; denn auf diesem Gleichgewicht beruhet in den meisten Fällen seine eigene Sicherheit, und diese weise Abmessung kann nicht immer nach Lehnrecht und Pergamentrollen geschehen. Obgleich in Rußland eigentlich noch kein Volk ist, wird dadurch das Problem nicht leichter; denn eben desto eher ist zu befürchten, daß sich nicht einmal durch irgend einen Stoß ein Volk bilde mit allen seinen fürchterlichen Befugnissen und Forderungen. Immer besser, die Regierung kann dem Volke Freiheit ertheilen, – ein sehr uneigentlicher Ausdruck! – als das Volk steht auf, der Regierung Artikel vorzuschreiben. Gar keine neuen und keine widerrechtlichen Erscheinungen in der Geschichte, wenn sie gleich nicht in der Form der Diplomatik geschehen.

Bekanntlich waren die Todesstrafen unter der Regierung der Kaiserin Katharina der Zweiten abgeschafft, und Pugatschew mit einigen seiner Rottenführer ausgenommen, ist Niemand hingerichtet worden. An der Knute sterben nur Wenige. Diese Gelindigkeit war Menschlichkeit für die Verbrecher, aber ich fürchte, sie war Grausamkeit für den Staat. Peter's des Ersten eiserne Strenge und diese Güte waren Extreme. Wir haben noch keine Nachricht, ob Paul der Erste die Todesstrafe herstellt oder ihre Abschaffung bestätiget. Ich habe mich oft nicht enthalten können, zu wünschen, daß in jedem Gouvernement Rußlands noch ein Galgen stehen möchte, um vorzüglich den großen Verächtern der Gesetze und der Menschlichkeit immer ihren gehörigen Gesichtspunkt zu geben. Jeder Schurke, der durch seine Niederträchtigkeit und Habsucht, durch seine Grausamkeit und Ungerechtigkeit aller Art das Glück ganzer Familien oder ganzer Provinzen zerstört, gehört rechtlich an dieses Instrument; diese Wohlthat darf die Menschheit fordern. Wenn man ehedem einen unbefugten Hirschjäger auf das Thier schmieden ließ, so war dieses die unsinnigste Barbarei, die je die Inconsequenz des Lehnsystems ausgeheckt hat; wenn man aber jetzt den überwiesenen Mörder seiner Brüder und den gemästeten Betrüger, der die Früchte des bitteren Schweißes einer Provinz verzehrte, der den Staat beraubte und den hilflosen Privatmann plünderte, nur mit aufgeschlitztem Nasenloche hinschickt, wo er nicht selten neue Verbrechen begeht, so ist dieses im Gegentheil die grausamste Schonung. Man hat Beispiele, daß russische Soldaten, die das Leben der Gefangenen als ihre Wächter kannten, blos darum ein Verbrechen begingen, um in ihre Gesellschaft zu kommen, da sie das Schicksal derselben weit besser fanden als ihr eigenes. Dieses ist kein Beweis gegen Howard's Meinung über die russischen Gefängnisse, aber wohl ein Beleg über die elende Lage der niedrigen Volksclasse, vorzüglich des gemeinen Soldaten wegen der ehemaligen willkürlichen Grausamkeit vieler großen und kleinen Officiere. Ich bin selbst sehr wohl überzeugt, daß die reine Gerechtigkeit der Todesstrafen sich nicht erweisen läßt; aber ebenso wenig läßt sich die reine Gerechtigkeit irgend eines Kriegs erweisen; und wer wollte deswegen die Befugniß zum Kriege leugnen? Der Staat verfährt mit jedem Verbrecher nach Kriegsrecht. Der Verbrecher ist Feind, und die Sicherheit befiehlt seine Vernichtung, wenn jene nicht ohne diese bestehen kann. Der Staat hat keine Verpflichtung, seine verderblichen, räudigen, sich selbst trennenden Glieder weiter zu ernähren; ihre Schonung auf Kosten und Gefahr der gesunden ist nicht Menschlichkeit. Will man dem Wundarzt das wohlthätige Messer nehmen? Das vestigia terrent ist keine verächtliche Betrachtung bei Criminalgesetzen. Ich rede damit eben nicht der blutigen Karoline das Wort, aber glaube doch, daß weise Ordnung der Lebensstrafen in einem Staate traurige Nothwendigkeit sei. Nirgends fühlt man dieses bitterer als in Rußland. Der Verbrecher sind durch Schonung nicht weniger geworden. Man hört im Gegentheil Beispiele von Missethaten, vor denen jedes gesunde Menschengefühl zurückschaudert. »Der Himmel ist hoch, der Kaiser wohnt weit von hier, und es kann doch nichts Schlimmeres kommen als die Knute!« sagt wol dort der gemeine Mann, und mancher große gemeine Mann handelt so, wie seine Brüder sprechen. Gewöhnliche Verbrechen sind dort in angesehenen Posten Veruntreuung der öffentlichen Cassen und Bedrückung der Provinzen. Bei der Rüge wurde meistens blos mit Absetzung bestraft. Die Plünderer waren mit ihrem Raub in Sicherheit, suchten ihr Verfahren in ein geheimnißvolles Dunkel zu verhüllen, und nicht selten war der Nachfolger wie der Vorgänger und hatte nur aus dessen Fehlern mehr Feinheit gelernt. Was verdienen solche Leute zum Wohl des Landes? Je mehr sie Bänder und Ansehen haben, je mehr verdienen sie ausgezeichneten Lohn für ihre Thaten. Der Monarch würde durch weise Strenge in dieser Rücksicht seinen Provinzen eine sehr große Wohlthat erzeigen, und seine gerechte Humanität würde von Vater Gleim ein ebenso gutes Lob verdienen, als da er hunderttausend für das Schwert Bestimmte dem Pfluge wiedergab.

Den eigentlichen Charakter des Kaisers Paul scheint der Mann in den Anekdoten über Katharina die Zweite und ihre Familie, die neulich zu Hamburg gedruckt worden sind, sehr treffend geschildert zu haben, obgleich manche Anekdoten den Umständen nach, so wie er sie erzählt, nicht ganz wahr sein können. Der Charakter des Monarchen ist gut; man hat nicht nöthig, ihm zu schmeicheln und zu sagen, er habe nicht die Fehler seines Ahnherrn; er scheint sie allerdings zu haben. Wo ist Licht ohne Schatten? Er ist sehr heftig, und man erzählt sich schon von seiner Heftigkeit Beispiele, die der Procedur Peter's des Ersten, als er den saumseligen Senat an der Thür des Saals auf seine eigne Manier bewillkommte, nicht viel nachgeben. Je mehr sich seit der Zeit das Ehrgefühl verfeinert hat, desto mehr muß ein solches Verfahren in die Periode der kaum anfangenden Cultur zurücksetzen. Wenn sich der Monarch in seinem Zorn aber irrt und wirklich Unrecht thut, so kann er auf keine Weise nachher völlig wieder gut machen; denn das feinere Publicum ist nicht mehr geneigt, in seinen Meinungen sich durchaus ohne Ausnahme nach den Meinungen des Monarchen zu richten, wenn er auch der unumschränkteste wäre. Wer kann dann Bürgschaft leisten, daß die wiederkehrende Gnade eines Königs nicht ebenso ungerecht ist, als vorher sein Zorn war? Zorn ist eine vorübergehende Leidenschaft, Gunst eine bleibende; aber beide können gleich guten und gleich schlechten Grund haben. Kein Mensch sollte im Zorn handeln, am Allerwenigsten ein König.

Paul der Erste fängt seine Regierung mit Experimenten an. Die Experimente einer Regierung brauchen etwas länger Zeit, ehe sie gedeihen oder verunglücken, als chemische oder andere physische. In zehn Jahren werden wir also mehr von dem Resultat seiner Einrichtungen sehen; das Kriterion wird sein, wenn er nicht nöthig hat, irgend eine Verordnung zu ändern, und Alles sich dabei wohl befindet. Dieses Wohlbefinden zu beweisen, muß er dann nicht die Paläste der Hauptstädte und die Landhäuser der privilegirten Kaste, sondern mehr den Wohlstand der Bürger und der Hüttenbewohner aufstellen. Es ist niemals ein Beweis von dem Flor eines Landes, wenn es viele, ungewöhnlich reiche Particuliers hat – denn sonst müßte Polen seit einem Jahrhundert das blühendste Land gewesen sein – sondern mehr, wenn der Kern der Nation im Gedeihen seiner Gewerbe den Reichthum der Wenigen entbehren kann.

Man hat den Kaiser Paul bei uns wol schon der Ungerechtigkeit beschuldiget; aber, lieber Freund, diese Beschuldigung finde ich ungegründet, so sehr ich auch glaube, daß er manchmal aus falschen Prämissen geschlossen und gehandelt hat. Wenn die Geschichte mit dem General Palen gewesen wäre, wie sie der Sykophant gemeldet hatte, so hatte der Monarch zu einer solchen Behandlung völliges Recht, nur hätte es förmlicher und nach Untersuchung geschehen sollen, wo es alsdann gewiß nicht geschehen wäre. Ein Befehl, in Petersburg zu erscheinen und sich zu rechtfertigen, hätte den Schuldigen oder Unschuldigen sogleich gezeigt. Daß er den Fürsten Subow freundschaftlich aufnahm, kann und wird ihm nicht zum Verbrechen angerechnet werden; hätte er aber für ihn, wie der Verleumder sagte, wirklich alle die Feierlichkeiten veranstaltet, so hätte er, so zu sagen, die Maßregeln des Monarchen auf dem Markte am hellen Mittage auf eine unerhörte Weise getadelt, und dieses hätte strenge Ahndung verdient. Es läßt sich dieses weder von der anerkannten Rechtschaffenheit noch Klugheit des Generals denken.

Der Kaiser hat einen Unterofficier degradirt, den der General Apraxin in seinen eigenen Geschäften verschickt hatte, und in Deutschland hat der arme Unterofficier viele Anhänger gefunden und wird als ein unschuldiges Opfer der Willkür bedauert. Die Empfindung des deutschen Publicums ist gerecht und löblich; die Ungerechtigkeit ist desto schreiender, je kleiner und hilfloser der Mann ist, der sie duldet. Ich sage, die Empfindung ist gerecht, aber das Urtheil höchst wahrscheinlich falsch. Man sagt: mußte nicht der Unterofficier dem General gehorchen ohne Widerrede? Das fordert jede vernünftige Ordonnanz und wird in der Ordonnanz Paul's des Ersten nicht anders sein. Erst gehorcht der Untergebene, wenn er nicht einsieht, daß der Befehl geradezu Hochverrath ist; dann beklagt er sich auf dem Wege des Rechts. Was konnte der Unterofficier dafür, daß der General durch ihn nicht recht that? Das war die Sache des Generals, und die seinige war, sein Recht nachher zu suchen. Doch wurde er degradirt. Wenn die Sache sich wirklich so verhält, so ist das Urtheil des Publicums richtig. Aber ich habe gegründete Ursache zu glauben, sie verhält sich nicht ganz so, und der Zeitungsschreiber hat aus Unkunde geradezu nur das Final gemeldet, ohne sich um den Proceß zu bekümmern. Der General verschickte den Unterofficier nicht in Dienstsachen; dafür erhielt er den Verweis vom Monarchen. Der Unterofficier wurde degradirt, höchst wahrscheinlich nicht, weil er verschickt wurde, sondern vermutlich, weil er auf seiner Versendung Excesse begangen hatte. Die Aufführung der Couriere ist leider zu bekannt; und nirgends war die Licenz dieser Leute größer als in Rußland. Als Couriere konnten sie nicht angehalten werden, erlaubten sich also nicht selten eine Menge Ungebührlichkeiten auf ihrem Wege. Mißhandlung gegen Menschen und Vieh war etwas Gewöhnliches. Es war nichts Neues, daß ein General auf einer Reise, die nicht viel mehr als eine gewöhnliche Lustreise war, mehrere Pferde zu Tode jagte. Wenn die Posten klagten, so wurden ihre Klagen angenommen und beiseite gelegt. Die kleinen Officiere und Unterofficiere bedienten sich der nämlichen Freiheit, und wenn Klage über sie angebracht ward, waren sie vielleicht schon über dreihundert Meilen entfernt. Das Extrem der Grausamkeit gegen Vieh ist die Behandlung der Postpferde in Rußland von den Courieren oder auch wol Privatreisenden, die ihr Gewicht können fühlen lassen. Vermuthlich rechnete der Unterofficier auf das Ansehen seines Generals und wirthschaftete auf irgend einer Post nach dem alten Fuße. Der Postmeister benutzte die neue Strenge der Gerechtigkeit und brachte schleunig Klage; und General und Unterofficier hatten sogleich die Folge. Nichts ist natürlicher und gerechter als dieses.

Das Degradiren der Officiere war sonst unter den Russen sehr gewöhnlich; jetzt wird es aber etwas seltner, und ich glaube, mit gutem Grunde. Das Degradiren erstickt das Ehrgefühl und tödtet es oft ganz. Ein Officier, der eine solche Herabsetzung verdient hat, verdient überhaupt die Entfernung vom Corps. Man hat militärische Strafen genug, die das Point d'honneur mehr schonen und nicht weniger strenge sind. An guten Officieren kann es bei den guten Instituten in Rußland und der gewöhnlichen Aufmunterung nicht so leicht mehr fehlen, und ein guter Officier wird wahrlich nicht in den Fall kommen, daß man ihn degradiren müßte, weil man ihn auf keine andere Weise in seiner Pflicht halten kann. In dem preußischen Dienst, der in der wohlberechneten Disciplin ein Muster ist, hat man keine Idee von dieser Strafe. Geheime und öffentliche Verweise, kürzerer oder längerer Arrest, Festung, gegebener Abschied, Fortschickung ohne Abschied, ehrlose Cassation sind, glaube ich, Mittel genug, die schlimmen Subjecte zu bessern oder zu entfernen. In Rußland brauchte man bisher alle diese Mittel selten zweckmäßig; vielleicht werden sie künftig besser angewendet.

Der Kaiser läßt den ausländischen Adel in dem russischen Kataster nicht gelten. Dieses ist eigentlich ohne alle Folgen, da politisch in Rußland keine Stände und keine Reichsversammlungen sind und der erste Fürst nicht mehr als der letzte Edelmann ist. Es ist insofern gut, daß man sich nicht mehr von außen her den Adel für Geld kaufen wird. Aber das bloße Verbot, sich nicht mehr fremden Adel zu kaufen oder als Geschenk ohne Billigung des Monarchen anzunehmen, würde vielleicht den Zweck ebenso gut erreicht haben, ohne Collision mit den Nachbarn zu verursachen. Wenn nun die Nachbarn den russischen Adel ebenso wenig in ihren Registern wollen gelten lassen, so ist dieses zwar nach der Verfassung der meisten Staaten fast ebenso wenig von Bedeutung; aber es wird doch dadurch ein, obgleich sehr weites Band des freundschaftlichen Vernehmens aufgelöset, und die Bande der Freundschaft sollten jetzt vorzüglich alle Regenten ohne Privatabsichten unter sich enger zusammenziehen.

Daß der Kaiser gleich bei dem Antritt seiner Regierung dem General Kosciusko, dem Grafen Potocky und allen Anhängern der polnischen Revolution die Freiheit gab, zeigt von seinem tiefen Gefühl für Gerechtigkeit. Nur diejenigen Polen verdienten bei dem endlichen Sturz ihres Vaterlandes ausschließliche Achtung, die als brave Männer zu seiner noch möglichen Rettung die Waffen trugen. Die Politik konnte ihnen entgegenarbeiten, konnte sie festhalten, aber konnte sie nicht verdammen. Auch Katharina würde, sobald sie den Zeitpunkt für sicher gehalten hätte, dasselbe gethan haben. Für einen Schatten in Katharinens Charakter würde ich vielleicht zuletzt ihre übergroße Güte gegen Menschen halten, die ihrem Ministerio zu Gefallen schlecht gewesen waren. Die meisten erhielten reichliche, sehr reichliche Pensionen, welche wol ehrliche Männer ihrer alten Unterthanen verdient hätten und nicht erhielten. Friedrich würde nicht so gehandelt haben. Solche Leute braucht und bezahlt man, so lange sie nöthig sind; dann läßt man sie gehen. Wer seine Ehre verkauft, muß am Ende schlechte Bezahlung haben; denn er hat schlechte Waare gegeben. Vielleicht hielt die Kaiserin diese Leute noch für nöthig, ob es gleich schwer einzusehen ist, wozu sie weiter nützen konnten. Ihre Arbeit war gethan, und es mußte billig befürchtet werden, sie würden die folgende ebenso schlecht machen. Aber die Kaiserin war gütig ohne Grenzen, und Güte der Könige gegen Einige ist nicht selten Grausamkeit gegen die Uebrigen.

So sehr der Monarch sich bemüht, Alles selbst zu sehen, zu beurtheilen und nach seinem eigenen Urtheil zu handeln, so mögen doch mehrere Zehrer von dem Fette des Landes Mittel finden, ihn durch ihre Gläser schauen zu lassen. Es giebt der Sophisten überall genug, aber sie sind nirgends so zahlreich, nirgends ist ihr Gewebe größer, feiner, dichter und bestrickender als an Höfen. Daß er gerecht sein will und in seinen Absichten immer gerecht ist, leidet nicht den geringsten Zweifel. Er ist so unparteiisch, daß er den Vater befördert und den Sohn cassirt, weil Beide haben sollten, was sie verdienten. Daß man den Kaiser die Sache nur einseitig schauen läßt, mag besonders der Fall mit der Veränderung der Justiz sein, durch die nach meiner Ueberzeugung der ärmere Theil durchaus verlieren muß.

Hier haben Sie meine freimüthigen Gedanken, lieber Freund! Wagen Sie dieselben auf ihrer eigenen Wage und untersuchen selbst, wie viel Wahres oder Ungegründetes darin ist! Die Sache ist für Humanität und Völkerglück des ganzen Welttheils nicht unwichtig. Daß ich sie für wahr halte, brauche ich Ihnen nicht zu versichern; denn sonst würden sie nicht meine Gedanken sein. Heuchler bin ich nicht; ich spreche, was ich denke, oder schweige. Ich bin zu sehr entfernt von dem großen Wirbel dieser Geschäfte, daß ich kompetent darüber urtheilen könnte; ich bin es aber doch nicht genug, daß ich nicht mit gewöhnlicher Theilnahme für allgemeines Menschenwohl Manches recht lebhaft beherzigen sollte. Wo wir selbst nichts thun können, Freund, wollen wir wenigstens mit Bescheidenheit unsere Meinungen und Wünsche laut werden lassen, damit Andere vielleicht handeln mögen, welche können, wenn sie wollen.

Sie wissen, daß ich weder den Zorn der Einen fürchte, noch auf den Beifall der Andern hoffe. Bei meiner Denkungsart und Handlungsweise werden mir die Einen wenig schaden und die Andern wenig nützen. Was ich sage, ist meine reine individuelle Ueberzeugung, und ich sage sie deswegen, weil ich glaube, daß sie doch wol hier und da einige Berichtigung schaffen, auch wol einigen Nutzen bewirken könnte. Freuen wird es mich, wenn sich am Ende auch das als etwas Gutes zeigt, was ich nicht dafür erkannte.

Leben Sie wohl!


 << zurück weiter >>