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Hoch über den Spitzen der Sierra ragt drohend der Tallacgipfel. Dreitausend Meter über den Meeresspiegel hebt er sein Haupt und blickt nordwärts auf den großen wundervollen Türkis, den die Menschen den Tahosee nennen, und nordwestwärts über ein Fichtenmeer hin auf seine große, weiße Schwester Shasta im Schneegebirge. Ringsum lauter Wunder an Farben und Gestalten: juwelengeschmückte, mastengleiche Fichten, Ströme, die ein Buddhist für geweiht erklärt, Hügel, die ein Araber heilig gehalten hätte. Aber Lan Kellyans Augen schauten nach anderen Dingen aus. Das kindliche Entzücken an Licht und Leben um ihrer selbst willen gab es für ihn nicht, und wie konnte das anders sein bei einem, dessen Ausbildung dahin zielte, sie gering zu achten! Was gilt ihm das Gras? Die ganze Welt ist Gras. Was gilt ihm die Luft, wenn sie sich überall ins Ungemessene dehnt? Was gilt ihm das Leben, wenn er, durch und durch voll Leben, sein Dasein fristet, indem er andern das Leben raubt? Gespannt waren seine Sinne nicht auf die Regenbogenhügel und die kristallklaren Seen, sondern auf die lebenden Wesen, mit denen er im täglichen Ringen ums Dasein kämpfte. »Jäger« stand auf seinem Ledergewand geschrieben, auf seinen verwitterten Zügen, auf seiner mageren, sehnigen Gestalt, und »Jäger« blitzte es aus seinen klaren, grauen Augen.
Den gespaltenen Granitgipfel ließ er unbeachtet, aber er bemerkte einen leichten Eindruck im Grase. Kein Tastzirkel hätte herausgefunden, daß er sich an seinem Ende erweiterte, wohl aber des Jägers Auge, und der Richtung folgend, fand er ein weiteres und dann kleinere Zeichen. Nun wußte er, daß ein großer Bär und zwei kleine des Weges gegangen waren und sich noch in der Nähe befanden; denn das Gras war noch im Aufrichten. Lan lenkte sein Jagdpony auf die Fährte. Es schnaubte und stampfte aufgeregt; denn es wußte so gut wie sein Reiter, daß eine Grislybärenfamilie nahe war. Sie kamen zu einer Terrasse, die in ein offenes Hochland mündete. Sechs Meter davor glitt Lan zur Erde, ließ die Zügel los, für das Pony das wohlbekannte Zeichen, daß es an dieser Stelle stehenbleiben mußte; dann spannte er den Hahn seiner Flinte und erklomm die Höhe. Oben schritt er noch vorsichtiger aus und sah bald eine alte Grislybärin mit ihren beiden Jungen. Sie lag etwa fünfzig Meter entfernt und bot ein schlechtes Ziel; Lan nahm etwas aufs Korn, das ihre Schulter zu sein schien, traf auch gut, verursachte aber nur eine Fleischwunde. Die Bärin sprang auf und auf die Stelle zu, wo der Pulverdampf aufstieg. Sie kam den Abhang heruntergerannt, als er knapp im Sattel saß, und etwa hundert Meter weit sprang das Pony entsetzt dahin, während die alte Bärin fast neben ihm lief und beim Schlage nach ihm kaum um Haaresbreite fehlte. Aber selten kann ein Grisly lange schnell laufen. Das Pferd griff mächtig aus, und die zottige Alte gab die vergebliche Jagd auf und kehrte zu ihren Jungen zurück.
Sie war ein auffallendes Tier. Auf der Brust hatte sie einen großen, weißen Fleck; ebenso glänzten Backen und Schultern in Weiß, das an andern Körperstellen allmählich in Braun überging. In Lans Erinnerung war sie deshalb eine ›Pinte‹, eine Schecke. Diesmal hätte sie ihn beinahe gepackt, und der Jäger meinte, ihr daher einen Groll nachtragen zu müssen.
Eine Woche darauf hatte er mehr Glück. Als er am Rande eines kleinen, tiefen Taleinschnitts mit meist felsigen Abhängen entlangging, sah er die alte Schecke mit ihren beiden braunen Jungen. Sie kreuzte die Schlucht von einer Seite, wo der Rand niedrig war, nach einer andern, leicht erklimmbaren Stelle hin. Als sie stehen blieb, um aus dem klaren Wasser zu trinken, gab Lan Feuer. Bei dem Schuß wandte sich die Schecke ihren Jungen zu und trieb eins nach dem andern mit Klapsen auf einen Baum. Nun traf sie ein zweiter Schuß, und wütend kroch sie in klarer Erkenntnis der ganzen Sachlage und entschlossen, diesen Jäger zu vernichten, den Abhang empor. Verwundet und voll Wut kam sie schnaubend den steilen Anstieg herauf und empfing wieder einen Schuß, den letzten; ins Gehirn getroffen rollte sie zurück und blieb tot auf dem Boden des Engtals liegen. Nachdem der Jäger vorsichtig eine Weile gewartet hatte, schritt er an den Rand und sandte noch eine Kugel in den Körper der Alten; dann lud er wieder und ging langsam zu dem Baum, auf dem sich noch die Jungen befanden. Sie starrten ihn beim Näherkommen wild und ängstlich an, und als er anfing, hinaufzuklettern, krochen sie höher. Hier ließ das eine ein klägliches Winseln, das andere ein zorniges Heulen hören, und zwar immer lauter, je näher er ihnen kam.
Lan zog einen starken Strick heraus, und nachdem er ihnen Schleifen umgelegt hatte, zerrte er sie herunter. Das eine stürzte sich auf ihn und hätte ihn, obwohl wenig größer als eine Katze, sicher ernstlich verletzt, wenn er es nicht mit einem Gabelstock abgehalten hätte. Er band beide an einen starken, grünen Ast, ging zu seinem Pony, holte einen Getreidesack, steckte sie hinein und ritt so beladen zu seiner Hütte. Dort befestigte er jedes Junge mit Reifen und Ketten an einen Pfosten, auf den sie kletterten und winselnd und heulend sitzenblieben. In den ersten paar Tagen bestand die Gefahr, daß die Jungen sich erdrosselten oder die Nahrungsaufnahme verweigerten, aber schließlich ließen sie sich bewegen, etwas Milch zu trinken, die man einer mit dem Lasso eingefangenen Kuh etwas gröblich abgenommen hatte. Eine Woche später schienen die Gefangenen mit ihrem Lose einigermaßen ausgesöhnt zu sein und gaben es ihrem Pfleger kund, wenn sie Futter oder Wasser haben wollten.
Und so rannen die beiden kleinen Bächlein den Berg nun etwas weiter hinab, tiefer und breiter, dichter beieinander. Sie hüpften über Steinriegel und freuten sich im Sonnenlicht; ein kleiner Damm hielt sie wohl eine Weile auf, aber bald überspülten sie ihn und sprangen weiter zu Teichen und Tiefen, die Größeres bargen.
Jack und Hill benannte der Jäger die Jungen, und Hill, die kleine Bestie, verstärkte den ersten Eindruck ihres üblen Temperaments immer mehr. Kam Lan zur Essenszeit herbei, so kroch sie auf das äußerste Ende des Pfostens und heulte; sonst saß sie furchtsam und in mürrischem Schweigen da. Jack dagegen kroch hinab, eilte seinem Pfleger leise winselnd entgegen, soweit es die Kette erlaubte, und verschlang sein Futter sofort mit dem größten Vergnügen und völlig formlos. Er hatte viele Eigenheiten und strafte alle Lügen, die da sagen, ein Tier habe keinen Sinn für Humor. In einem Monat war er so zahm geworden, daß man ihn frei herumlaufen ließ. Seinem Herrn folgte er wie ein Hund, und seine Kunststücke und drolligen Einfälle ergötzten Kellyan und die wenigen Freunde, die er im Gebirge hatte, immer aufs neue.
Auf dem Talgrunde unterhalb des Falls war eine Wiese, auf der Lan Heu genug gewinnen konnte, um seine beiden Ponys durch den Winter zu füttern. Als in diesem Jahr die Heuzeit anbrach, war Jack sein täglicher Begleiter, der ihm in gefährlicher Nähe der klingenden Sense folgte oder sich dann zusammenrollte und stundenlang auf seinem Rocke saß, um ihn fleißig gegen die Angriffe von Erd- oder Streifenhörnchen zu schützen. Eine unterhaltende Abwechslung brachte der Tag, wenn der Mäher ein Hummelnest fand. Jack liebte natürlich den Honig und wußte recht gut, was ein Hummelnest ist; so brachte ihn der Ruf: »Honig, Jack – Honig!« immer eilig watschelnd zur Stelle. Vor Vergnügen sein witterndes Naschen hochziehend, kam er vorsichtig näher; denn er wußte, daß Hummeln Stacheln haben. So oft sich Gelegenheit bot, schlug er geschickt mit den Tatzen danach, bis er eine nach der andern gefangen und zerdrückt hatte. Nun schnüffelte er mächtig, um sich völlig zu versichern, und dann griff er behutsam ins Nest, bis die letzte Bewohnerin hervorkam und getötet wurde. Wenn das Dutzend Tierchen, das das Volk bildete, auf diese Weise erledigt war, grub Jack sorgfältig das Nest aus und verzehrte zuerst den Honig, dann die Larven und das Wachs und zu allerletzt die Hummeln, die er getötet hatte; dabei kaute er wie ein kleines Schwein am Trog, während seine lange, rote Schlangenzunge gar geschäftig die Nachzügler in sich hineinleckte.
Lans nächster Nachbar war Lu Bonamy, vormals Cowboy und Schäfer, jetzt Bergbewohner. Er lebte mit seinem Hund in einer Hütte etwa anderthalb Kilometer weiter unten als Kellyan. Bonamy hatte Jack an einem Hummelnest arbeiten sehen. So sagte er einmal zu Kellyan: »Lan, bring Jack 'rüber; 's gibt 'nen Spaß.« Er ging voran den Fluß hinab in den Wald. Kellyan folgte ihm, und Jack trottete hinter seinem Herrn her und schnüffelte von Zeit zu Zeit, um sich zu überzeugen, daß er nicht dem falschen Beinpaar folgte.
»Da, Jack, Honig – Honig!« und Bonamy zeigte auf ein riesiges Wespennest auf einem Baume. – Jack richtete seinen Kopf nach einer Seite und schwang seine Nase auf die andere.
Offenbar sahen die Dinger da, die summend umherflogen, wie Bienen aus, wenn er auch noch niemals ein Bienennest von dieser Form oder an solcher Stelle gesehen hatte.
So kroch er den Stamm hinauf. Die Männer warteten – Lan war im Zweifel, ob er seinen lieben Pflegling solcher Gefahr aussetzen sollte, Bonamy blieb dabei, es werde ein Hauptspaß sein, den kleinen Bären so zu überraschen. Jack gelangte zu dem Ast, an dem das große Nest hoch über dem tiefen Wasser hing, und bewegte sich nun mit doppelter Vorsicht. Ein solches Bienennest hatte er noch nie gesehen, auch hatte es nicht den richtigen Geruch. Dann tat er einen weiteren Schritt auf dem Ast – was für eine schreckliche Menge Bienen! – dann noch einen – ja, Bienen waren es! Vorsichtig rückte er einen Fuß weiter vor – und Bienen bedeuteten Honig –, noch ein klein bißchen näher – jetzt war er keine vier Fuß mehr von der großen Papierkugel entfernt. Die Tierchen summten zornig, und Jack wich voll Zweifel ein wenig zurück; da wiederholte Bonamy leise sein trügerisches: »Honig, Jack – Honig!«
Zu seinem Glück ging der kleine Bär, der der Sache immer noch nicht traute, langsam; er machte keine plötzliche Bewegung und wartete trotz der Lockung lange, bis der ganze Schwarm wieder im Neste war. Nun reckte Jack sein Näschen in die Höhe, rückte langsam etwas weiter, bis über die unheilschwangere Kugel. Er neigte sich, legte eine hornige, kleine Vordertatze über das Ganze, griff mit dem andern Arm nach dem Nest, und mit einem kühnen Sprunge, die ganze Geschichte mit sich nehmend, tauchte er kopfüber in den Teich darunter! Sobald er im Wasser war, riß er mit den Hinterfüßen das Nest in Stücke, dann ließ er es schwimmen und strebte ans Land, während das zerfetzte Wespennest flußabwärts trieb. Jack lief am Ufer entlang, bis das Nest an einer seichten Stelle landete. Dann sprang er wieder hinein; die Wespen waren ertrunken oder zu naß, um gefährlich zu sein, und Jack trug seine Beute triumphierend ans Ufer. Kein Honig; das war freilich eine Enttäuschung, aber dafür eine Masse fetter, weißer Maden, die fast ebenso gut waren, und Jack speiste, bis sein Wanst wie ein Gummiball aussah.
»Na?« sagte Lan, leise kichernd.
»Das Lachen geht auf unsere Kosten«, antwortete Bonamy grinsend.
Jack wuchs nun schnell heran und begleitete seinen Herrn oft weit über Bonamys Wohnsitz hinaus. Als die beiden Nachbarn ihm wieder einmal zuschauten, wie er sich in übermütigem Frohgefühl überkugelte, bemerkte Kellyan zu seinem Freunde: »Ich fürchte, es kommt mal einer und schießt'n im Walde über'n Haufen, weil er'n für einen wilden Bären hält.«
»Warum zeichnest du ihn da nicht mit den neuen Schafringen?« entgegnete ihm der frühere Schäfer.
So kam es, daß Jacks Ohren, sehr gegen seinen Willen, durchlocht und er wie ein Preishammel mit Ohrringen geziert wurde. Die Absicht war gut, aber es war weder schön noch bequem. Tagelang lag Jack im Kampf mit den Ringen, und als er schließlich heimkam und einen Ast mit sich schleppte, der sich in seinem linken Ohrschmuck verfangen hatte, entfernte Kellyan ärgerlich die Ringe.
Bei Bonamy machte unser kleiner Bär zwei neue Bekanntschaften: Es waren ein eingebildeter, grober, alter Hammel, der letzte Rest der früheren Herde, der Jack eine Todfeindschaft gegen alles, was nach Schaf roch, einflößte, und Bonamys Hund.
Das war ein ruheloser, kläffender, unangenehmer Köter, dem es besonderen Spaß zu machen schien, nach Jacks Fersen zu schnappen. Einen Spaß läßt man sich ja schließlich gefallen, aber dieses schreckliche Tier konnte kein Ende finden, und Jacks erste Besuche bei Bonamy litten arg unter dieser hündischen Tyrannei. Hätte er den Köter fassen können, so hätte er die Rechnung schon zu seinen Gunsten beglichen, aber dazu war er nicht schnell genug. Seine einzige Rettung war, auf einen Baum zu klettern. So fand er bald, bei Bonamy sei nicht gut weilen, und wenn er seinen Pfleger den Weg zum Nachbarn einschlagen sah, schaute er ihn mit einem Blick an, als wollte er sagen: »Nein, ich danke«, und kehrte um, um sich daheim auf eigene Faust zu vergnügen.
Aber oft kam sein Feind mit Bonamy zur Jägerhütte und nahm da wieder das alte Spiel auf, den kleinen Bären zu zwicken. So viel Spaß machte dem Hund die Sache, daß er auch allein heraufkam, wenn er Unterhaltung haben wollte, bis Jack gar nicht mehr aus der Angst vor dem gelben Köter herauskam. Aber auf einmal hörte das auf.
An einem heißen Tage, als die beiden Männer rauchend vor Kellyans Haus saßen, jagte der Hund den kleinen Bären wieder auf einen Baum, streckte sich dann zu gemütlicher Siesta im Schatten seiner Äste aus und überließ sich bald dem Schlummer, ohne weiter an sein Opfer zu denken. Jack verhielt sich eine Zeitlang ganz still, dann aber, als seine funkelnden, braunen Äuglein auf den verhaßten Hund fielen, den er nicht loswerden konnte, schien in seinem kleinen Gehirn ein Gedanke wachzuwerden. Er kroch langsam und lautlos den Ast hinunter, bis er über seinem Quälgeist war, der zusammengerollt und schlummernd dalag und leise Töne ausstieß, als ob er im Traume auf der Jagd wäre oder, noch wahrscheinlicher, den hilflosen kleinen Bär peinigte. Davon wußte Jack natürlich nichts. Sein einziger Impuls war zweifellos der, daß er diesen Köter haßte und diesem Haß nun Luft machen könnte. Er zielte sorgfältig, ließ sich fallen und landete gerade auf den Rippen des Hundes. Für den war es ein fürchterliches Erwachen, er gab aber keinen Laut von sich, aus dem guten Grunde, weil ihm der Atem ausgegangen war. Knochen waren ihm nicht gebrochen, aber er war kaum imstande, sich in lautloser Flucht wegzuschleppen, während sein Hinterteil von Jacks mit Fleischhaken befransten Tatzen fleißig bearbeitet wurde.
Offenbar war der Plan ganz ausgezeichnet gewesen, und wenn hinfort der Hund herauf- oder Jack mit seinem Herrn hinunterkam, was er bald wieder öfter zu tun pflegte, so spielte der kleine Bär wieder mit mehr oder weniger Glück, wie es die Menschenkinder nennen würden, das ›Plumpsackspiel‹. Da verlor der Hund schnell allen Geschmack am Bärenreizen, und bald war es ein vergessener Sport.
Jack war drollig, Hill war mürrisch. Jack wurde gehätschelt, und man gönnte ihm die Freiheit; so wurde er immer drolliger. Hill wurde geschlagen und angekettet; so wurde ihre schlechte Laune noch schlechter. Man traute ihr nichts Gutes zu und strafte sie deshalb oft; so geht's meistens.
Als Lan eines Tages nicht daheim war, kam Hill frei und gesellte sich zu ihrem Bruder. Sie brachen in den kleinen Speicher ein und hausten arg unter den Vorräten. Die leckersten Sachen verschlangen sie, und die geringeren, wie Mehl, Butter und Backpulver, die auch mühsam fünfzig Meilen weit zu Pferd hergeschafft worden waren, schienen nur dazu gut, auf dem Boden herumgestreut zu werden. Jack hatte soeben den letzten Sack Mehl aufgerissen, und Hill griff nach einer Büchse mit Dynamit, als sich der Eingang verdunkelte und Kellyan dastand, ein Bild des Staunens und der Wut. Kleine Bären wissen nichts von Bildern, aber die Wut ist ihnen nicht unbekannt. Sie waren sich, so schien es, ihrer Sünden oder doch der Gefahr bewußt, und Hill kroch mürrisch und mißmutig in einen dunklen Winkel, von wo aus sie voll Trotz den Jäger anstarrte. Jack legte seinen Kopf auf eine Seite, dann aber ließ er, ohne weiter an seine Untaten zu denken, ein fröhliches Grunzen hören und, auf Lan zueilend, winselte er, reckte sein Naschen und hielt seine klebrigen, fettigen Arme hoch, um aufgehoben und gestreichelt zu werden, als wäre er der beste kleine Bär der Welt.
Ach, wie leicht gelten wir doch so viel, wie wir uns selbst einschätzen! Der Zorn schwand von der Braue des Jägers, als der freche kleine Winsler anfing, an seinem Bein emporzuklettern. »Du kleiner Deibel«, grollte er, »ich brech' dir deinen verdammten Hals«, aber er tat's nicht. Er hob das schmutzige, klebrige, kleine Tier auf und streichelte es wie gewöhnlich, während Hill, die nicht schlechter, ja, weil weniger erzogen, entschuldbarer war, seinen ganzen Zorn aushalten mußte und an ihren Pfosten doppelt angekettet wurde, damit sie keine weiteren Missetaten mehr begehen konnte.
Das war ein Unglückstag für Kellyan. Am Morgen war er gefallen und hatte die Flinte zerbrochen, bei der Heimkehr fand er seine Vorräte vernichtet, und jetzt stand ihm eine neue Versuchung bevor.
Ein Fremder mit drei Packpferden sprach am Abend bei ihm vor und blieb über Nacht. Jack zeigte sich ausgelassener als je und ergötzte die beiden Zuschauer mit seinen Künsten, welche die Drolligkeit und Gelenkigkeit eines jungen Hundes mit der eines Affen vereinten, und am Morgen, als der Fremde aufbrach, sagte er: »Wie ist's? Ich geb' Ihnen fünfundzwanzig Dollar für das Paar!« Lan zögerte, dachte an seine verlorenen Vorräte, seine leere Börse, seine zerbrochene Flinte und antwortete: »Sagen Sie fünfzig, und wir sind einig!«
»Hand drauf.«
So wurde der Handel geschlossen, das Geld gezahlt, und in fünfzehn Minuten war der Fremde mit einem kleinen Bären in jedem Seitenkorb verschwunden.
Hill war mißmutig und still. Jack winselte beständig, daß es Lan ins Herz schnitt; aber er wappnete sich dagegen mit dem Gedanken: »Es ist besser, sie sind fort; ich wäre ruiniert, wenn sie mir nochmal die Vorräte plünderten.« Bald war der Fremde mit seinen drei Packpferden und dem Bärenpärchen im Wald verschwunden.
»Gut, daß er fort ist«, dachte Lan, obwohl er wußte, daß ihn schon die Reue gepackt hatte. Er begann, seine Hütte aufzuräumen. Dann ging er in den Speicher und las die Reste seiner Vorräte auf. Schließlich war noch ein gut Teil gerettet. Er schaute hinter die Kiste, wo Jack zu schlafen pflegte. Wie still es war! Er blickte auf die Stelle, wo Jack an der Tür zu kratzen pflegte, um hereingelassen zu werden, und fuhr bei dem Gedanken, daß er dieses vertraute Geräusch nie mehr hören werde, zusammen und redete sich mit vielen Flüchen ein, er sei »mächtig froh darüber«. Länger als eine Stunde polterte er umher und tat – tat – oh, irgend etwas; dann sprang er plötzlich auf sein Pony und raste auf der Wegspur hinter dem Fremden her. Er trieb sein Pferd so zur Eile, daß er in zwei Stunden den Zug beim Übergang über den Fluß einholte.
»Wissen Sie, ich habe Unrecht getan. Ich hätte die kleinen Bären nicht verkaufen sollen, am wenigsten Jack. Ich – ich will nu – ich muß sie zurücknehmen. Hier ist Ihr Geld!«
»Ich meinerseits bin mit dem Kauf zufrieden«, sagte der Fremde kühl.
»Aber ich nicht«, sagte Lan mit Wärme, »und ich nehm's zurück.«
»Sie vergeuden Ihre Zeit, wenn Sie deshalb gekommen sind«, war die Antwort.
»Darüber woll'n wir reden.« Lan warf die drei Goldstücke dem Reiter hin und ging auf den Korb zu, in dem Jack beim Klange der vertrauten Stimme fröhlich winselte.
»Hände hoch!« sagte der Fremde mit dem kurzen, scharfen Ton eines Menschen, der das schon öfter gesagt hat, und als sich Lan umwandte, blickte er in den Lauf eines auf ihn gerichteten Revolvers.
»Sie sind mir über«, sagte er; »ich hab' keine Waffe; aber seh'n Se mal, der kleine Bär ist meine einzige Freude. Er ist immer bei mir, und wir sind uns allmächtig gut. Ich wußte nicht, wie sehr ich 'n vermissen würde. Nu seh'n Se hier; nehmen Se Ihre fünfzig Dollars zurück; Sie geben mir Jack und behalten Hill!«
»Für fünfhundert Dollar Metall können Sie ihn haben. Sonst gehen Sie gerade auf den Baum zu, ohne die Hände herunterzunehmen oder sich umzusehen, oder ich schieße. Nu los!«
Die Umgangsformen im Gebirge sind streng gemessen, und Lan, der ohne Waffen war, mußte wohl oder übel gehorchen. Vom Revolver bewacht, ging er zu dem fernstehenden Baum. Jacks Winseln schlug ihm schmerzlich ans Ohr, aber er kannte die Gebirgler und ihr abgekürztes Verfahren zu gut, um sich umzudrehen oder noch ein Gebot zu machen, und der Fremde zog weiter.
Mancher hat schon tausend Dollar an den Fang eines wilden Tieres gewendet und meinte eine Zeitlang, auf seine Kosten gekommen zu sein. Dann war er bereit, es für die Hälfte herzugeben, dann für den vierten Teil, und am Ende schenkte er es weg. Dem Fremden gefielen seine possierlichen Bärlein anfänglich sehr, und er schätzte sie demgemäß. Aber von Tag zu Tag schienen sie ihm lästiger und weniger vergnüglich zu sein, und als man ihm nach einer Woche in der Glockenkreuzfarm für das Pärchen ein Pferd bot, ging er auf den Handel ein, und das Wanderleben hörte für die Bären auf.
Der Eigentümer dieser Viehfarm besaß weder Sanftmut oder Bildung noch Geduld. Als der gutgeartete Jack aus seinem Korbe genommen wurde, kam ihm die neue Sachlage einigermaßen zum Bewußtsein, und er verhielt sich entsprechend, als aber die weniger gefügige Hill aus ihrem Korbe geholt und in ein Halseisen gelegt werden sollte, kam es zu einer so unerquicklichen Szene, daß überhaupt kein Eisen mehr nötig war. Der Farmer trug seinen Arm zwei Wochen lang in der Schlinge, und Jack mußte am Ende seiner Kette den Hof allein durchmessen.
In den nächsten anderthalb Jahren bot Jacks Laufbahn wenig Reizvolles. Sein Anteil am Erdball war ein Kreis von sechs Meter im Durchmesser um einen Pfahl im Hof. Die blauen Hügel im Hintergrund, der nähere Fichtenhain und auch das Farmhaus selber waren Fixsterne, die aus weiter Entfernung seinen etwas matten Augen nur schwache Abbilder ihres Glanzes zukommen ließen. Selbst die Pferde und Menschen lagen außerhalb seines kleinen Bereiches und hatten für ihn etwa die Bedeutung wie Kometen für die Erde.
Auch die Kunststücke, um derentwillen man ihn so geschätzt hatte, vergaß er bald, als er so, an der Kette liegend, heranwuchs.
Zuerst hatte ein Butterfäßchen einen geräumigen Käfig für ihn abgegeben, aber schnell schritt er über die Stufen: Butterfäßchen, Nagelfäßchen, Mehlfaß und Öltonne hinüber und war jetzt ein regelrechter Weinfaß-Bär, wenn er auch den mächtigen, an fünfhundert Liter fassenden Hohlraum seines letzten Gefängnisses noch bei weitem nicht ausfüllte.
Das Farmgasthaus lag gerade da, wo die Berge am Fuße der Sierra mit ihren Eichenhainen sich zu den goldenen Gefilden des Sacramento abdachten. Dort hatte die Natur die wunderbarsten Gaben aus ihrem Füllhorn geschüttet: im Vordergrund Blumen und üppige Früchte, Schatten und Sonne, trockene Weiden, rauschende Flüsse und murmelnde Bächlein im Überfluß. Gewaltige Bäume boten dem Auge Abwechslung, und im Osten bauten die hohen Sierren über ihre wunderbaren Nadelwälder Blöcke von ausgemeißeltem Blau. Hinter dem Hause ein edler Fluß, vom Gebirge stammend, wohl von Schleuse und Damm gebändigt und gefesselt, aber immer noch voll Adel, war er doch, als Rinnsal hoch oben der Flanke des dräuenden alten Tallac entquellend, von hoher Geburt.
Ringsherum atmete alles Schönheit, Leben, Farbe, und doch wies die Menschheit hier ihre niedrigsten Vertreter auf. Wenn man sie in diesem Rahmen sah, bezweifelte man wohl, ob der Mensch »sich hebt von der Natur empor zu ihrem Gott«. Keine Großstadtspelunke hat je ein gemeineres Pack gesehen, und wäre Jack zu solcher Überlegung fähig gewesen, er hätte die Zweibeinigen um so niedriger einschätzen müssen, je besser er sie kennenlernte.
Grausamkeit ward ihm zuteil, und Haß war seine Antwort darauf. Fast das einzige Kunststück, das er noch zum besten gab, war die Art, wie er mit Bierflaschen umzugehen verstand. Er war ein großer Freund von Bier, und die Gasthausbummler warfen ihm oft eine Flasche zu, um zu sehen, wie geschickt er den Draht abwickelte und den Kork herausklaubte. Sobald es puffte, hob er die Flasche zwischen seinen Tatzen und leerte sie bis auf den letzten Tropfen.
Hin und wieder wurde die Eintönigkeit seines Lebens durch einen Kampf mit Hunden unterbrochen. Seine Peiniger brachten ihre Bärenhunde, »um sie an dem Jungen zu probieren«. Menschen und Hunden schien dieser Sport sehr zu gefallen, bis Jack lernte, sich ihrer zu erwehren. Im Anfang pflegte er wütend auf den nächsten Angreifer loszustürzen, bis ihn die Kette mit einem Ruck festhielt und ihn nun ein zweiter Hund im ungedeckten Rücken anfallen konnte. Im Laufe einiger Wochen machte er ein ganz neues Verfahren ausfindig. Er setzte sich gegen sein Faß und beobachtete ruhig die ihn umkläffenden Hunde, scheinbar ohne ihnen Beachtung zu schenken und ohne eine Bewegung zu machen, so nahe sie ihm auch kamen, bis sie sich »gebündelt«, d. h. auf einen Haufen gesammelt hatten. Dann fuhr er los. Natürlich sprangen die hintersten zuletzt davon und hinderten die ersten am schnellen Entweichen; so faßte Jack einen oder mehrere, und seine Bedränger verloren den Geschmack an dem Spiel.
Als Jack etwa anderthalb Jahre alt und halb ausgewachsen war, ereignete sich etwas ganz Absonderliches. Er war in den Ruf eines gefährlichen Tieres gekommen; denn er hatte mit einem Schlag einen Mann zum Krüppel gemacht und einen Betrunkenen, der mit ihm ringen wollte, beinahe getötet.
Ein harmloser, aber arbeitsscheuer Schäfer betrank sich eines Abends und beleidigte ein paar Raufbolde. Sie beredeten sich, da er keine Waffe bei sich habe, sei es das beste, ihn nach Herzenslust zu verprügeln, statt ihm nach ihrem gewöhnlichen Komment die Haut zu durchlöchern. Faco Tampico stolperte aus der Tür in die Dunkelheit hinaus. Seine Verfolger waren noch mehr betrunken, aber ihr Mütchen wollten sie kühlen, sie jagten ihm also nach, und Faco flüchtete sich in den Hof. Seine Verfolger hatten, als sie ihr Opfer suchten, gerade noch so viel Besinnung, sich außer Bereich des Grislys zu halten; sie fanden es aber nicht. Als sie sich Fackeln verschafft und überzeugt hatten, daß Faco nicht im Hof war, meinten sie, er sei in den Fluß hinter der Scheuer gefallen und sicher ertrunken. Ein paar rohe Witze, dann kehrten sie ins Haus zurück. Als sie beim Weinfaß des Grislys vorbeikamen, weckten ihre Laternen in seinen Augen einen Lichtschimmer. Am Morgen hörte der Koch, als er an sein Geschäft ging, sonderbare Töne im Hof. Aus dem Faß vernahm er die schläfrig gesprochenen Worte: »Da bleib drüben liegen!« worauf sich ein tiefes, unzufriedenes Brummen hören ließ.
Der Koch trat so dicht heran, wie ihm die Vorsicht erlaubte, und spähte hinein. Da sagte dieselbe schläfrige Stimme: »Was drängelst du so, zum Kuckuck!« und ein menschlicher Ellbogen, der sich reckte und stieß, ward sichtbar, und wieder antwortete ein ungeduldiges Bärengebrumm.
Die Sonne ging auf, und mit Erstaunen sahen die Gasthausbummler, daß der vermißte Schäfer im Bärenfaß steckte und so, geradezu im Rachen des Todes, seinen Rausch ausschlief. Sie versuchten, ihn herauszuziehen, aber der Grisly ließ keinen Zweifel, daß sie das nur über seine Leiche hinweg tun könnten. Voll Wut stürzte er auf jeden, der sich heranwagte, und als sie den Versuch aufgaben, legte er sich vor dem Eingang des Fasses als Wache nieder. Am Ende kam der Schäfer zum Bewußtsein, erhob sich auf seine Ellbogen, und als er sich in der Gewalt des Grislys fand, stieg er behutsam über den Rücken seines Wächters und lief davon, ohne auch nur: »Dankeschön« zu sagen.
Der Freiheitstag, der 4. Juli, stand bevor, und der Gasthausbesitzer, der seines ungeschlachten Gefangenen im Hof müde war, kündigte an, zur Feier des Unabhängigkeitstages werde ein großer Kampf zwischen einem »auserlesenen, kampfbewährten Stier und einem wilden kalifornischen Grisly« stattfinden. Die Neuigkeit machte schnell die Runde. Auf dem Stalldach wurden Sitze zu einem halben Dollar eingerichtet. Der Heuwagen wurde halbbeladen neben den Viehpferch gefahren; ein Sitz hier gewährte eine gute Aussicht und war für einen Dollar feil. Der alte Pferch wurde ausgebessert, alte Pfosten durch neue ersetzt und zuallererst am Morgen des Vierten ein bösartiger alter Bulle hineingetrieben und so lange gepeinigt, bis er aufs äußerste gereizt und sehr gefährlich war.
Inzwischen hatte man Jack in sein Faß gelockt und die Tür zugenagelt. Da Kette und Halsreifen zusammengenietet waren, hatte man den Reifen abgenommen; denn man meinte, es werde ja leicht sein, Jack, wenn nötig, wieder anzuketten, sobald der Stier mit ihm fertig wäre.
Das Faß wurde zum Pferchtor gerollt, und alles war bereit.
Die Cowboys kamen von fern und nah in ihrem prächtigen Aufputz; denn der kalifornische Cowboy ist der Stutzer seiner Art. Ihre schmuckesten »Schätze« brachten sie mit, und aus fünfzig Meilen in der Runde erschienen Farmer und Viehzüchter, um den Stier-Bären-Kampf zu genießen. Es kamen Gebirgsbewohner, mexikanische Schafhirten, Kaufleute aus der Stadt Placerville, Fremde aus Sacramento; Stadt und Land, Gebirge und Ebene sandten ihre Vertreter. Der Heuwagen war so begehrt, daß ein zweiter auf dem Markte erschien. Das Scheuerdach war ausverkauft. Ein bedenkliches Krachen der Balken wirkte einigermaßen preisdrückend, aber ein paar starke Stützen stellten das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Preis wieder her, und alle Wettlustigen warteten mit Eifer auf den Beginn des Kampfes. Wer unter dem Vieh aufgewachsen war, setzte natürlich auf den Stier.
»Ich sag' euch, nichts auf der Welt kann's mit 'n großen Viehfarmbullen aufnehmen, der seine fünf Sinne beieinander hat.«
Aber die Gebirgler traten für den Bären ein. »Pah, was ist 'n Bulle gegen 'nen Grisly? Ich sag' euch, ich hab' 'nen Grisly gesehen, wie er 'nen Gaul in 'm Wuppdich mit seiner Rechten glatt über die Hecke geschmissen hat. Bulle! Ich wette, er läßt sich beim zweiten Gange gar nicht mehr seh'n.«
So ging das Prahlen und Wetten hin und her, dicke Weiber, die anziehend wirken wollten, warfen mit allen möglichen Redensarten um sich, sie seien entsetzt über die ganze Geschichte, nervös von dem Lärm, voll Furcht, es könnte empörend werden; im Grunde waren sie auf das Schauspiel ebenso erpicht wie die Männer.
Alles war fertig, und der Wettmeister schrie: »Los nu, Jungs; Haus ist voll un Zeit da!«
Faco Tampico hatte es fertig gebracht, dem Stier ein paar Dornenzweige an den Schwanz zu binden, so daß sich das gewaltige Tier tatsächlich selbst in einen Zustand der Wut hineingepeitscht hatte.
Jacks Faß war inzwischen tüchtig herumgerollt worden, bis er ebenfalls in Wut geriet, und Faco begann, die Tür aufzubrechen. Das Faßende war dicht am Zaun, die Tür war weg; Jack hatte nichts weiter zu tun als herauszukommen und den Stier in Stücke zu reißen. Aber er kam nicht. Das Geschrei, der Lärm, die sonderbare Menschenmenge machten solchen Eindruck auf ihn, daß er lieber blieb, wo er war, und die Stierpartei erhob ein spöttisches Geschrei. Ihr Held kam brüllend und schnaubend daher und stampfte von Zeit zu Zeit wie herausfordernd auf den Boden. Den Kopf hielt er hoch empor und näherte sich bis auf zehn Fuß dem Grislyfaß. Dann schnaubte er heftig, wandte sich und rannte nach dem andern Ende des Pferchs. Jetzt war die Reihe zu schreien an den Bärenfreunden.
Aber die Menge lechzte nach dem Kampf, und Faco warf, seiner Dankesschuld gegen den Grisly uneingedenk, durchs Spundloch eine Handvoll Feuerwerkskörper in Jacks Faß. »Krach!« und Jack fuhr auf. »Fis – kräck – kr – rr ä – ä – ck kr – k krk – ck!« und verwirrt sprang Jack aus seinem Käfig. Der Stier stand in großartiger Haltung in der Mitte des Platzes, als er aber den Bären auf sich zuspringen sah, schnaubte er heftig zweimal und zog sich unter Hurrarufen und Zischen so weit wie möglich zurück.
Die beiden bezeichnendsten Züge eines Grislybären sind wohl die Schnelligkeit, mit der er sich einen Plan macht, und die Tatkraft, mit der er ihn ausführt. Ehe noch der Stier die andere Wand des Pferchs erreicht hatte, schien sich Jack über das beste Verfahren klar zu sein. Seine Blicke fuhren wie der Blitz über den Zaun und nahmen die erklimmbarste Stelle wahr, da, wo in der Mitte ein Querriegel aufgenagelt war. In drei Sekunden war er dort, in zwei Sekunden war er darüber, und in einer weiteren Sekunde fegte er durch die auseinanderstiebende Menge der Gaffer und strebte den Bergen zu, so schnell ihn seine kurzen, gelenkigen Beine tragen konnten. Frauen und Männer schrien, Hunde bellten; es folgte ein wildes Jagen zu den Pferden, die man, um sie nicht zu erregen, weit vom Kampfplatz angebunden hatte, aber der Grisly hatte dreihundert Meter Vorsprung und fünfhundert Meter ebenes Land vor sich, und ehe aus der geputzten Menge eine lange, fliegende Reihe von übermütigen Reitern sich loslöste, war der Grisly in den Fluß getaucht, dessen Strömung kein Hund zu überwinden vermochte, und hatte, den fichtenbedeckten Hügeln zustrebend, den Dornengürtel und das unebene Gelände erreicht. In einer Stunde war das Farmgasthaus mit seiner qualvollen Kette, seinen Grausamkeiten und rohen Menschen ein Ding der Vergangenheit, jenseits der Berge seiner Kindheit und jenseits des Flusses Jugend, des Flusses, der wie Jack selbst, vom fernen, stolzen Tallacgipfel herkam. Dieser 4. Juli war in der Tat ein Unabhängigkeitstag für Grisly-Jack.
Ein verwundeter Hirsch pflegt sich bergab zu schleppen, ein gejagter Grisly läuft bergan. Jack war die Gegend unbekannt, aber fort wollte er, fort von diesen Menschen, und so strebte er dem zerrissensten Gelände zu und stieg immer weiter hinan, stundenlang.
Die Ebene war nicht mehr zu sehen. Granitfelsen umgaben ihn, Kiefernstämme und jetzt die Beeren, und er pflückte sie mit geschickter Pranke und Zunge von den niederen Büschen, wanderte aber dabei immer weiter und machte erst halt in dem Felsengewirr, wo die nachmittägliche Sonnenglut zur Rast mehr nötigte als einlud.
Als er erwachte, war es dunkle Nacht, aber Bären fürchten die Nacht nicht, eher den Tag; wieder eilte er dahin, immer von dem Drang geleitet, über die Gefahr hinauszukommen, und so erreichte er am Ende den höchsten Gebirgszug, das Reich seines urheimischen Tallac.
Die gewöhnliche Ausbildung eines jungen Bären fehlte Jack fast ganz, aber er besaß von Natur einige Instinkte, die ihm in allen wichtigen Punkten zugute kamen, und seine Nase war eine vortreffliche Führerin. So konnte er sein Leben fristen, und die Erfahrungen, die er in der Wildnis bald sammelte, erweiterten und schärften seinen Geist schnell.
Für Gesichter und Tatsachen hatte Jack ein schlechtes Gedächtnis, aber unauslöschlich war seine Erinnerung an Gerüche. Bonamys Köter selbst hatte er vergessen, aber bei dessen Witterung hätten ihn sofort die alten Empfindungen gepackt. Der widerwärtige Hammel war ihm aus dem Gedächtnis entschwunden, aber seine Witterung hätte ihn im Augenblick mit Erbitterung und Haß erfüllt, und als ihm eines Abends der Wind einen starken Hammelgeruch zutrug, war es ihm, als kehrte ein verflossenes Leben zurück. Wochenlang hatte er von Wurzeln und Beeren gelebt, und nun auf einmal empfand er die Sucht nach Fleisch, die jeden aufrichtigen Vegetarier von Zeit zu Zeit mit überwältigender Macht befällt. Der Hammelgeruch war wie eine Antwort darauf. So stieg er denn bei Nacht (kein verständiger Bär wandert am Tage) hinunter, und die Witterung führte ihn aus den Kiefern des Abhangs in ein offenes Felsental.
Lange ehe er dort ankam, leuchtete ein sonderbares Licht auf. Er kannte das; er hatte es die Zweibeiner unweit der Viehfarm, die so üble Gerüche und Erinnerungen in sich barg, entfachen sehen und fürchtete es nicht. Er schwang sich vorwärts, schweigend und eilig; denn der Geruch wurde bei jedem Ausgreifen stärker, und als er eine Stelle über dem Feuer erreicht hatte, blinzelte er hinab, um die Schafe zu sehen. Jetzt war der Geruch stark und ranzig, aber Schafe waren nicht zu erblicken. Statt dessen sah er in dem Tal einen Strich grauen Wassers, das die Sterne widerzuspiegeln schien, und doch flimmerten und regten sie sich nicht, von der Fläche stieg ein Gemurmel auf, aber es klang ganz anders als sonst vom Wasser der Seen.
Besonders massenhaft waren die Sterne unweit des Feuers, aber sie sahen mehr wie Teilchen phosphoreszierenden Holzes aus, die auf dem Boden ausgestreut werden, wenn man einen verwesenden Stumpen zerschlägt, um die darin hausenden Schwärme von Waldameisen aufzulecken. So kam Jack näher und schließlich so nahe, daß auch seine geblendeten Augen sehen konnten. Der große, graue See war eine Schafherde und die phosphoreszierenden Flecken ihre Augen. Dicht beim Feuer war ein Balken oder eine niedrige, unebene Erdwelle. Das waren der Schäfer und sein Hund. Beides waren unangenehme Gegenstände, aber die Schafe dehnten sich weit weg von ihnen aus. Jack wußte, er hatte es mit der Herde zu tun.
Er kam dicht an die jenseitige Ecke und fand die Schafe von einer niedrigen Dornhecke umgeben; aber wie klein waren sie doch im Vergleich zu dem großen und furchtbaren Hammel, an den er sich nur dunkel erinnerte. Blutdurst überkam ihn. Er schlug die Hecke beiseite, drang in die Masse von Schafen hinein, die mit Getrappel und murmelndem Geblök vor ihm auseinanderstoben, schmetterte eins nieder, ergriff es und wandte sich damit um – wieder den Bergen zu.
Der Hirt sprang auf und feuerte sein Gewehr ab, und der Hund kam durch die Herde dahergerannt und bellte laut. Aber Jack war fort. Der Hirt begnügte sich damit, ein paar Feuer anzuzünden, sein Gewehr abzuschießen und seine Häupter zu zählen.
Das war Jacks erstes, aber nicht sein letztes Schaf. Hatte er Verlangen danach – und das war fortan die Regel –, so wußte er, er brauchte nur auf dem Bergrücken entlangzugehen, bis seine Nase sagte: »Halt, hierher!«; denn im Bärenleben macht der Geruch den Glauben aus.
Pedro Tampico und sein Bruder Faco waren keine Schäfer wie sie in Büchern und Liedern leben. Sie schritten nicht ihren Lieblingen voran mit dem Krummstab als Zeichen ihrer Würde oder mit Handtrommel und Pfeife, um auf den musikalischen Sinn ihrer »idealen« Gefolgschaft einzuwirken. Statt die Herde mit einem Sinnbild zu leiten, trieben sie sie mit aufgelesenen Steinen und Stöcken an. Sie waren keine Hirten, sie waren Herdentreiber. Ihre Pfleglinge galten ihnen nicht als geliebte und liebende Jünger, sondern als vierbeiniges Geld, jedes Schaf gleich so und so viele Dollars. Und wie man sich um sein Geld sorgt, sorgten sie sich auch um ihre Tiere und zählten sie nach jeder Störung und jedem Wandertag. Es ist aber für niemand ein leichtes, dreitausend Schafe zu zählen, und für einen mexikanischen Schäfer vollends ein Ding der Unmöglichkeit. Jedoch hat er ein einfaches, zweckentsprechendes Mittel. In einer gewöhnlichen Herde kommt durchschnittlich auf hundert Schafe ein schwarzes. Ist ein Teil der Herde verlorengegangen, so befindet sich vermutlich ein schwarzes Tier darunter. So gab sich Pedro durch tägliches Zählen seiner dreißig schwarzen Schafe einigermaßen Rechnung vom Bestand seiner ganzen Herde.
Jack hatte in der ersten Nacht nur ein Schaf getötet. Beim nächsten Besuche schlug er zwei und am folgenden nur eines, aber das war zufällig ein schwarzes, und als Tampico nur neunundzwanzig schwarze zählte, kam er zu dem wohlbegründeten Schluß, daß er Schafe verliere – nach seinem Maßstab waren hundert verschwunden.
»Ist das Land ungesund, so ziehe aus«, lautet eine alte Weisheit. Tampico füllte seine Tasche mit Steinen und trieb seine Schützlinge aus der Gegend, die offenbar im Bereich eines Schafmörders lag. Abends fand er einen umrandeten Cañon, einen natürlichen Pferch, und die wollige, auseinanderstrebende Masse ergoß sich, in ein festes Vlies zusammengepreßt, in das Loch, von dem Hund intelligent, von dem Mann stumpfsinnig hineingetrieben. An einer Seite des Eingangs zündete Pedro sein Feuer an. Etwa neun Meter davon war eine steile Felswand.
Sechzehn Kilometer sind für einen Grisly wenig mehr als zwei Stunden Wegs. Es ist außer Sicht-, aber keineswegs außer Riechweite, und für Jack war es ein leichtes, seiner Beute zu folgen. Seine Abendmahlzeit verspätete sich etwas, doch um so besser war sein Appetit. Da alles im Lager ruhig war, schlief Pedro ein; ein Knurren seines Hundes weckte ihn. Er machte sich auf und bekam das entsetzlichste Ungetüm zu Gesicht, das er je gesehen oder geahnt hatte: einen Riesenbären, der auf den Hinterbeinen stand und der mindestens neun Meter maß. Erschreckt floh der Hund davon, aber er war die Tapferkeit selbst im Vergleich zu Pedro. Dem war die Angst so in die Glieder gefahren, daß er das Gebet in seiner Brust: »O ihr Heiligen, laßt ihn alle sündenschwarzen Schafe in der Herde haben, aber erbarmt euch eures armen Gläubigen!« nicht hervorbringen konnte. Er verbarg sein Gesicht und erfuhr deshalb nie, daß das, was er sah, kein neun Meter, sondern nur ein zwei Meter hoher Bär war, der nicht weit vom Feuer stand und einen neun Meter hohen schwarzen Schatten auf den glatten Felsen dahinter warf. Und regungslos in seiner Angst lag der arme Pedro im Staube.
Als er aufblickte, war der Riesenbär verschwunden. Die Schafe drängten sich durcheinander; ein kleiner Teil eilte aus dem Cañon in die Nacht hinaus, und hinter ihnen ging ein Bär von gewöhnlicher Größe, wahrscheinlich ein Junges des Ungeheuers.
Pedro hatte in den letzten paar Monaten seine Gebete versäumt, aber er versicherte nachher seinem Beichtvater, er habe in dieser Nacht sein Versäumnis wieder gutgemacht, ja bis zum Morgen noch ein gut Teil darüber im voraus gebetet. Bei Sonnenaufgang überließ er seinem Hund die Hut der Herde und machte sich auf, die Durchgänger zu suchen; denn er wußte erstens, daß bei Tageslicht wenig Gefahr war, und zweitens, daß manche sich verirren würden. Sonderbar genug hatten sie sich nicht zerstreut, und Pedro konnte ihrer Fährte eine Meile weit durch die Wildnis folgen bis zu einer andern sehr kleinen Felsenschlucht. Hier fand er seine vermißten Schafe an verschiedenen Stellen, auf Felsblöcken und steinigen Zinnen, so hoch sie hatten steigen können. Er war entzückt und vermehrte eine halbe Minute lang seinen Bilanzüberschuß an Gebeten, mußte aber zu seinem Leidwesen erfahren, daß sich die Schafe auf keine Weise bewegen ließen, von ihren Felswarten herunterzukommen oder den Cañon zu verlassen. Ein paar hatte er glücklich ein Stück vorwärts gebracht, da sprangen sie wieder zurück aus Furcht vor etwas auf dem Boden, was sich bei Prüfung als – Pedro leistet einen Eid darauf – die tiefe, frischausgetretene Fährte eines Grislys erwies, die von einer Wand quer hinüber zur andern führte. Alle Schafe waren ihm nun wieder auf ihre unzugänglichen Posten entwischt. Pedro fing an, für sich selbst besorgt zu werden und kehrte hastig zur Hauptherde zurück. Nun war er schlimmer dran als je. Der andere Grisly war ein Bär von gewöhnlicher Größe gewesen und hatte jede Nacht ein Schaf verzehrt, aber der neue Bär, in dessen Bereich er gekommen war, war ein Ungetüm, ein Riese, der zu einer Mahlzeit vierzig oder fünfzig Schafe brauchte. Je eher er von hier fort kam, desto besser.
Es war schon spät, zu spät, und die Schafe waren zu müde, um weiter zu wandern. So traf Pedro große Vorbereitungen für die Nacht: zwei mächtige Feuer am Eingang der Schlucht und fünf Meter hoch auf einem Baum eine Plattform für sein eigenes Lager. Der Hund konnte selbst sehen, wo er blieb.
Pedro wußte, daß der große Bär kommen werde; denn die fünfzig Schafe in der kleinen Schlucht konnten den Appetit eines solchen Geschöpfes nur reizen. Wie gewöhnlich lud er sein Gewehr sorgfältig und begab sich hinauf in sein Lager. So mangelhaft auch sonst seine Schlafstätte sein mochte, die Ventilation war gut, und bald schauerte es ihn durch und durch. Voll Neid blickte er auf seinen Hund, der zusammengeknäuelt beim Feuer lag; dann betete er, die Heiligen möchten eingreifen und die Schritte des Bären zur Herde eines Nachbarn lenken, und um jedes Mißverständnis zu vermeiden, bezeichnete er diesen Nachbarn ganz genau. Hierauf suchte er sich selbst in Schlaf zu beten. Das gelang ihm doch in der Kirche regelmäßig, warum also nicht auch jetzt? O ihr Heiligen ... Alles vergebens. Die unheimliche Mitternachtsstunde ging vorüber, dann rückte die graue Morgendämmerung, die Stunde trostloser Verzweiflung, heran. Pedro fühlte es, und ein langer Seufzer fuhr behend durch seine klappernden Zähne. Der Hund sprang auf und bellte wie toll, die Schafe begannen sich zu regen, dann drängten sie sich in das Düster zusammen – man hörte ihr erregtes Stapfen –, und eine mächtige dunkle Gestalt tauchte auf. Pedro griff zum Gewehr und hätte geschossen, wäre ihm nicht zum schmerzlichen Bewußtsein gekommen, daß der Bär neun Meter, seine Plattform aber nur knapp fünf Meter hoch war, gerade die rechte Höhe für solch eine Bestie. Nur ein Wahnwitziger konnte den Bären jetzt durch einen selbstmörderischen Schuß zum Angriff reizen!
So warf sich Pedro flach auf den Boden seiner Plattform, mit dem Gesicht nach unten, brachte seinen Mund an eine Spalte und stammelte unaufhörlich Gebete an seinen Fürsprecher im Himmel. Er bedauerte zwar, daß er dabei eine so unpassende Haltung einnahm, aber er hoffte von Herzen, man werde es als notgedrungen hinnehmen, und seine Bitten würden von der unteren Seite der Plattform irgendwie die rechte Richtung finden.
Am Morgen erwies sich, daß seine Gebete Erhörung gefunden hatten. Eine Bärenfährte war da, ja, aber die Zahl der schwarzen Schafe war noch unverändert; so füllte Pedro die Tasche mit Steinen und trieb seine Herde weiter, wobei er wie gewöhnlich laut vor sich hinsprach.
Dann rief er: »Auf, Capitan – du Säufer«, als der Hund den Kopf vom Wasser hob, »bring die abwegigen Söhne der Verdammnis zurück!« Ein Stein bekräftigte den Befehl, den der Hund sofort ausführte. Die große Schar murmelnder, behufter Heuschrecken umkreisend, hielt er sie zusammen und in Bewegung, während Pedro stolz und mit lauten Befehlen folgte.
Als sie durch offenes Gelände wanderten, fiel das Auge des Treibers auf eine menschliche Gestalt, die links oben auf einem Felsen saß, Pedro betrachtete den Mann forschend; dieser grüßte und winkte. Das bedeutete »Freund«; hätte er ihn vorwärtsdeuten sehen, so konnte das bedeuten: »Weg von mir, oder ich schieße!« Pedro ging ein Stückchen auf ihn zu und setzte sich hin. Der Mann kam herab; es war Lan Kellyan, der Jäger.
Jeder von ihnen war froh, mit einem menschlichen Wesen Worte wechseln zu können und Neuigkeiten zu hören. Diese betrafen besonders den Wollpreis, den mißglückten Kampf zwischen Stier und Bär und vor allem den riesigen Bären, der Tampicos Schafe verschlungen hatte. »Oh, ein Bärenteufel, ein Geschöpf der Hölle – ein Gringo-Bär Gringo ist der Spitzname, den die Mexikaner ihren Nachbarn im Norden geben. – verzeih, Freund, ich meine, es ist der leibhaftige Schrecken.«
Als der Schäfer nicht genug die wunderbare Schlauheit des Bären rühmen konnte, der sich einen eigenen Schafpferch zugelegt habe, und die Größe des Ungeheuers beschrieb, die jetzt schon zwölf Meter maß – denn solche Bären wachsen erstaunlich schnell –, blinzelte Kellyan und sagte:
»Sag, Pedro, hast du nicht mal dicht beim Hassayampa gewohnt?«
Das bedeutet nicht etwa, daß dort das Land der großen Bären sei, sondern es war eine Anspielung auf den Volksglauben, daß, wer nur einen Tropfen vom Wasser des Hassayampa getrunken habe, nie mehr ein wahres Wort sprechen könne. Einige Gelehrte sind der Sache nachgegangen und behaupten, diese wunderbare Eigenschaft komme dem Rio Grande ebenso zu wie dem Hassayampa, ja, allen mexikanischen Flüssen und gleicherweise den Nebenflüssen, Quellen, Brunnen, Teichen, Seen und Kanälen. Wie dem aber auch sein mag, der Hassayampa ist wegen dieser Absonderlichkeit am besten bekannt. Je weiter aufwärts, desto wirksamer ist seine Kraft, und Pedro stammte aus der Quellgegend. Aber er rief alle Heiligen an als Zeugen für die Wahrheit seiner Geschichte. Er zog eine kleine Flasche mit Granaten heraus, die er auf den Hügeln der Wüstenameisen gefunden hatte, versenkte sie aber wieder in seine Tasche und holte eine andere Flasche hervor, die etwas Goldstaub enthielt, den er ebenfalls in den seltenen Stunden gefunden hatte, in denen er nicht schläfrig war und die Schafe nicht treiben, tränken, mit Steinen werfen oder ausschimpfen mußte.
»Hier, das wett' ich, daß's wahr is'.«
Gold führt eine laute Sprache.
Kellyan horchte auf. »Ich kann nichts dagegen bieten, aber, Pedro, ich erlege den Bären für den Inhalt der Flasche.«
»Es gilt«, sagte der Schäfer, »wenn du die Schafe von den Felskuppen im kleinen Cañon zurückbringst.«
Des Mexikaners Augen blitzten, als der Weiße auf die Wette einging. Das Gold in der Flasche, zehn oder fünfzehn Dollars, war eine Kleinigkeit und genügte doch, den Jäger auf die Fährte zu bringen, ihn ans Werk zu locken, und mehr war nicht nötig. Pedro kannte seinen Mann: Am Gewinn lag dem wenig, aber hatte er einmal seine Hand an den Pflug gelegt, so zog er die Furche um jeden Preis; ein Zurück gab es für ihn nicht. Und wieder nahm Lan Kellyan die Spur des Grisly-Jack auf, der einmal sein Liebling gewesen und nun aus seinem Gesichtskreis entschwunden war.
Der Jäger ging sofort zu der kleinen Felsenschlucht und fand die Schafe noch auf ihren Felswarten. Am Eingang sah er die Überreste zweier, vor kurzem geschlagener Tiere und dabei die Spuren eines mittelgroßen Bären. Von dem Scheidewege – der Todeslinie –, den der Grisly ausgetreten haben sollte, um die Schafe gefangenzuhalten, bis er sie brauchte, sah er nichts. Aber die Schafe standen hier und da in lähmendem Schrecken an erhöhten Stellen und wollten offenbar lieber verhungern als herunterkommen.
Lan zerrte eins herunter; sofort kletterte es wieder hinauf. Er sah nun, wie die Sachen standen; so machte er außerhalb der Schlucht eine kleine Hürde aus Dorngesträuch, zerrte die Schafe einzeln – mit einer Ausnahme – herab und schleppte sie aus der Höhle des Todes heraus in die Hürde. Dann schloß er den Cañoneingang mit einem eilig hergerichteten Zaun, holte die Schafe aus der Hürde und trieb sie langsam dem Rest der Herde zu.
Es waren nur zehn oder elf Kilometer über Land, aber erst spät in der Nacht kam Lan an.
Erfreut gab Pedro die Hälfte des Goldstaubs her. In der Nacht lagerten sie zusammen, und es erschien natürlich kein Bär.
Am Morgen ging Lan zum Cañon zurück und fand, wie er erwartet hatte, daß der Bär zurückgekehrt war und das übriggelassene Schaf getötet hatte.
Der Jäger trug den Rest der Schafkadaver auf eine offene Stelle zusammen, streute über die Grislyfährte leichtes Reisig, dann errichtete er sich etwa fünf Meter über dem Boden auf einem Baum eine Plattform, hüllte sich in seine Decke und legte sich gelassen schlafen. Er konnte es auch ruhig tun.
Ein alter Bär wird selten einen Platz drei Nächte hintereinander besuchen; ein schlauer Bär meidet eine Fährte, die über Nacht verändert worden ist; ein geschickter Bär geht völlig geräuschlos. Aber Jack war weder alt, noch schlau, noch geschickt; er kam das viertemal zum Schafcañon und folgte seiner alten Spur geradeswegs zu den köstlichen Hammelbeinen. Er fand die menschliche Spur, aber die hatte etwas an sich, das ihn eher anzog. Er schritt auf den dürren Zweigen hin. »Kräck«, machte einer, »kräckkrack« ein zweiter, und Kellyan erhob sich auf seiner Plattform und spähte in die finstere Nacht, bis er eine dunkle Gestalt sich auf der offenen Stelle bei den Schafresten bewegen sah. Des Jägers Flinte krachte, der Bär brummte, trollte sich ins Gebüsch und war verschwunden.
Das war Jacks Feuertaufe, denn die Kugel hatte ihm eine tiefe Fleischwunde im Rücken gerissen. Schnaubend vor Schmerz und Wut strich er durch das Unterholz und wanderte über eine Stunde, dann legte er sich und suchte sich die Wunde zu lecken, konnte sie aber nicht erreichen; nur gegen einen Stamm konnte er sie reiben. Er wanderte weiter dem Tallac zu und dort, in einer von wirren Felsblöcken gebildeten Höhle, legte er sich zur Rast nieder. Er wälzte sich noch vor Schmerzen hin und her, als die Sonne schon hoch stand und ein sonderbarer Feuergeruch durch die Höhle zog. Dieser nahm zu, und ein unangenehmer, dicker Rauch beizte Jacks Augen. Die Luft wurde so stickig, daß Jack fortkriechen mußte. Aber der Rauch folgte ihm, bis der Bär es nicht mehr ertragen konnte und auf einem andern Weg aus der Höhle stürzte. Da sah er, wie ein Mann Holz auf das Feuer am Eingang warf, und der zustreichende Wind sagte ihm: »Das ist der Mann, der letzte Nacht die Schafe bewachte.« Da der Wald frei von Rauch war, von einem dünnen Streifen in den Bäumen abgesehen, so konnte Jack sich unbehelligt davonmachen. Er ging über den Felsrücken, fand Beeren und hielt seine erste Mahlzeit, seit er das letzte Schaf getötet hatte. Er zog weiter und pflückte Beeren und grub Wurzeln aus, wohl eine, zwei Stunden lang; da wurde der Rauch dunkler und der Feuergeruch stärker. Jack wandte sich nach einer andern Richtung, aber in aller Ruhe. Nun fingen Vögel, Hirsche und Hasen an davonzufliegen und -zulaufen. In der Luft war ein Dröhnen, wurde lauter, kam näher, und Jack wandte sich und folgte dem übrigen Waldgetier.
Der ganze Wald stand lichterloh in Brand, der Wind sprang auf, und die immer weiter ausgreifenden Flammen flogen wie wilde Pferde. Für Jack war das etwas Unfaßbares, aber sein Instinkt trieb ihn warnend, dem anrückenden Dröhnen, das oben dunkle Wolken und flackernde Feuerzungen und unten Hitzeboten aussandte, aus dem Wege zu gehen; so floh er davon wie die andern alle. Doch so schnell er lief – und wenige Tiere kommen auf unebenem Boden dem Grisly darin gleich –, der heiße Wirbel kam ihm näher. Aus seiner Witterung der Gefahr war jetzt fast Schrecken geworden, ein Schrecken, wie er ihn vorher nie gekannt hatte; denn hier gab es nichts, wogegen man kämpfen, dem man Widerstand leisten konnte. Das Flammenmeer umgab ihn nun von allen Seiten, zahllose Vögel, Kaninchen und Hirsche waren dem roten Tod erlegen. Wild sprang er durchs dichte Dornengebüsch, das alle schwächeren Tiere festhielt, bis der Feuerdrache sie packte. Sein Haar war versengt und die Wunde vergessen, da er nur an Entrinnen dachte, als sich das Dickicht vor ihm lichtete und er, vom Rauch geblendet und halb geröstet von der Hitze, einen Abhang hinunter in einen klaren Teich plumpste. Das Fell auf seinem Rücken machte »hiß«; denn es war glühend heiß. Ganz tief tauchte er, schluckte das frische Naß und schwelgte in Sicherheit und köstlicher Kühle. Solange die Lunge es aushielt blieb er unter Wasser, dann hob er langsam und vorsichtig den Kopf. Der ganze Himmel war ein Feuermantel. Brennende Holzstücke und fliegende Asche trafen das Wasser als zischender Regen. Die Luft war heiß, ließ sich aber zeitweise einatmen, und er füllte seine Lunge, bis es ihm schwer fiel, seinen Körper untenzuhalten. Noch andere Geschöpfe waren im Teich, manche verbrannt, manche tot, diese klein und am Rande, jene größeren an tieferen Stellen, und eins war dicht neben ihm. Oh, er kannte den Geruch; auch das Feuer – der ganze Gebirgswald stand in Flammen – konnte ihm den Jäger nicht aus den Sinnen bringen, den Mann, der von der Plattform aus geschossen hatte, und der ihm, was Jack freilich nicht wußte, den ganzen Tag gefolgt war, der versucht hatte, ihn in seiner Höhle auszuräuchern und dabei den Wald in Flammen setzte.
Hier standen sie Aug in Auge am tiefsten Ende des kleinen Teiches, nur drei Meter voneinander entfernt. Die Flammen waren unerträglich. Bär und Mensch taten einen hastigen Atemzug und verschwanden wieder unter der Oberfläche, und jeder von beiden fragte sich, was der andere tun würde. In einer halben Minute tauchten sie wieder auf, beide froh, daß der andere nicht nähergekommen war. Jeder versuchte, seine Nase und ein Auge über Wasser zu halten. Aber die Hitze der Feuerbrunst zwang sie, ganz unterzutauchen und solange wie möglich unten zu bleiben.
Die Flammen brausten wie ein Orkan daher. Eine gewaltige Kiefer krachte quer über den Teich und hätte beinahe den Mann getroffen. Das aufspritzende Wasser löschte den Brand zum größten Teil, verbreitete aber solche Hitze, daß der Jäger etwas näher an den Bären heranrücken mußte. Ein zweiter Waldriese stürzte schräg hernieder, erschlug einen Kojoten und kam quer über den ersten zu liegen. Wo sie sich trafen, flammte es hell auf und trieb den Bären etwas mehr dem Manne zu. Jetzt waren sie nur noch auf Armeslänge voneinander entfernt. Lans Gewehr lag nutzlos im seichten Wasser unweit des Ufers, aber er hatte sein Messer in der Hand, zur Verteidigung bereit. Er brauchte es nicht, die höhere Gewalt des Feuers hatte Frieden geboten. Auf- und niedertauchend, mit der Nase an der Luft und möglichst mit einem Auge auf den Feind, verbrachten sie gut eine Stunde. Der rote Orkan raste weiter. Der Rauch im Walde war noch unangenehm, doch nicht länger unerträglich. Als sich der Bär dann aufrichtete und ins seichtere Wasser ging, um das Ufer zu gewinnen und zu verschwinden, bemerkte der Mann einen Schimmer von rotem Blut, das vom zottigen Rücken in den Teich sickerte. Das Blut auf der Fährte, war ihm nicht entgangen; nun wußte Lan, daß es der Cañonbär, das Ungetüm, nicht aber, daß er auch sein alter Jack war. Kellyan kroch in entgegengesetzter Richtung aus dem Teich. So schieden Jäger und Wild: Jeder ging seinen eigenen Weg.
Da alle Abhänge auf der Westseite des Tallac vom Feuer verheert waren, wandte sich Kellyan nach einer neuen Hütte auf dem östlichen Abhange, wo es noch grüne Oasen gab; ebenso machten es Waldhuhn, Kaninchen und Kojote und auch unser Grisly-Jack. Seine Wunde heilte schnell, aber die Erinnerung an den Geruch des Flintenschusses blieb ihm dauernd. Es war ein gefährlicher Geruch, eine neue und schreckliche Art von Rauch, die er nur zu gut kennenlernen und bald wieder auf seinem Lebenswege antreffen sollte. Jack ging den Tallac hinab, einem süßen Geruch nach, der Erinnerungen an frühere Genüsse wachrief – dem Duft von Honig, wenn er das auch nicht wußte. Ein Schwarm von Waldhühnern flog ihm träge aus dem Weg und ließ sich auf einem niedrigen Baum nieder, als er die Witterung von einem Menschen in die Nase bekam und einen Knall hörte, ähnlich wie einst im Schafpferch, worauf eines der Hühner dicht neben ihm niederfiel. Er trat vor, um Witterung zu nehmen, gerade als ein Mann aus dem gegenüberliegenden Gebüsch heraustrat. Sie standen keine drei Meter voneinander und erkannten sich wieder; denn der Jäger sah, daß ein versengter Bär mit einer Wunde im Rücken vor ihm stand; und der Bär roch den Flintenrauch und den Lederanzug. Schnell wie ein Grisly – das heißt blitzschnell – zog sich der Bär zurück, der Mann sprang ebenfalls zurück, glitt aber aus und fiel hin; und der Grisly war über ihm. Der Jäger lag mit dem Gesicht nach unten wie tot da; ehe Jack aber zuschlug, kam ihm eine Witterung, die ihn innehalten ließ. Er roch an seinem Opfer, und der Geruch war wie das Wegziehen eines Vorhangs oder das Heraufbeschwören einer vergangenen Zeit. Die Tage in der Jägerhütte hatte er vergessen, aber auf Geheiß der Nase wurden die Gefühle jener Tage in ihm mächtig. Ein tiefer Zug der Nase erstickte alles Rachegelüst in ihm; er ließ den Jäger unverletzt liegen und trollte sich davon.
O du blinder Mensch! Seine einzige Erklärung des Vorgangs war: »Man kann nie wissen, was ein Grisly tun wird, aber man tut gut, sich niederzulegen, wenn man in seiner Gewalt ist.« Nie kam es ihm in den Sinn, dem zottigen Tier einen angeborenen Trieb zum Guten zuzutrauen, und als er dem Schäfer von seinem Abenteuer im Teich, von der Verwundung des Bären und vom Verlieren der Fährte im Waldbrand erzählte, sagte er: »Und da stand er mir auf einmal gegenüber und hatte mich, und ich dachte mein letzter Tag sei gekommen. Warum er mir nichts getan hat, weiß ich nicht. Aber das sag' ich dir, Pedro: Das war der Bär, der deine Schafe auf der oberen Weide und im Cañon geholt hat! Keine zwei Bären haben dieselben Hinterfüße, wenn man eine klare Fährte hat, und diese geht ein ganzes Stück geradeaus.«
»Was ist's mit dem zehn Meter hohen Bären, den ich mit eigenen Augen gesehen habe?«
»Ach, das war doch in der Nacht, wo du die Schafe in die enge Schlucht geführt hast. Aber warte nur; ich krieg ihn noch.«
So machte sich Kellyan auf zu einer langen, langen Jagd und wandte dabei jeden ihm bekannten Kunstgriff zur Einkreisung eines Bären an. Zur Teilnahme lud er Lu Bonamy ein, dessen gelber Köter ein guter Spürhund war.
Sie beluden vier Pferde mit Proviant und Ausrüstungsgegenständen und führten sie über den Kamm auf die Ostseite des Tallac und hinunter zur Jackspitze, die Kellyan zu Ehren seines Bärenjungen so benannt hatte, dem Laubsee zu. Der Jäger hoffte, dort nicht nur Pedros Riesenbären, sondern auch andere aufzufinden, da die Gegend vom Feuer verschont geblieben war.
Schnell schlugen sie ihr Lager auf – ihr Zelt sollte sie mehr vor der Sonne als vor dem Regen schützen –, pflockten ihre Pferde auf einer Wiese an und gingen jagen. Während sie den Laubsee umschritten, bekamen sie eine gute Übersicht über den Wildbestand: viele Hirsche, einige Bären, Zimt- und Grislybären. Am Ufer wies Kellyan auf eine Fährte mit den vielsagenden Worten: »Das ist er!«
»Der Riesenbär?«
»Jawohl! Das ist der zehn Meter hohe Grisly. Ich denke, er wird wohl bei Tageslicht so um die zwei Meter hoch sein, aber bei Nacht wirken die Bären natürlich größer.«
So wurde denn der gelbe Köter auf die Fährte gesetzt und lief mit spaßigem, abgebrochenem Gekläff den beiden Jägern voran, die, so schnell sie konnten, hinter ihm herstolperten und von Zeit zu Zeit dem Hunde zuriefen, er solle langsamer gehen. Dabei machten sie einen solchen Lärm, daß Jack, der über ihnen am Berghang entlangtrottete, sie eine Meile weit hörte. Er ließ sich von der Nase zu vielen guten und eßbaren Dingen führen und ging deshalb gegen den Wind. Der Lärm dahinten war aber so eigentümlich, daß er mit Hilfe seiner Nase dessen Herkunft auskundschaften wollte. Er wandte sich daher, ging oberhalb des Geräusches zurück, dann hinunter und kam so gegen den Wind auf die Fährten der Jäger und ihres Hundes. Sofort gab ihm seine Nase Bescheid. Hier war der Jäger, den er erst verschont hatte, und zwei andere Gerüche aus ferner Vergangenheit – beide verhaßt; alle drei jetzt Kenngerüche von Feinden. Ein ausdrucksvolles, rollendes »Wuf« kam aus seiner Kehle.
Besonders der Hundegeruch erregte ihn, obwohl er von dem Hunde sicher nicht mehr das geringste wußte. Jack ging schnell und geräuschlos, ja wunderbar geräuschlos auf der Spur seiner Widersacher dahin.
Auf unebenem, felsigem Boden ist ein Hund kaum schneller als ein Bär, und da der Hund beständig von den Jägern zurückgehalten wurde, war es dem Bären leicht, ihn einzuholen. Als er nur noch etwa hundert Meter von ihnen entfernt war, verfolgte der Bär, zum Teil aus Neugierde, den Hund noch weiter, bis der umspringende Wind diesem die Bärenwitterung zutrug. Er drehte sich – man kann dem Fährtengeruch nicht länger folgen, wenn man vom Körper selbst Witterung hat – und kam zurückgelaufen, nun aber mit ganz anderem Gekläff und mit gesträubtem Rückenhaar.
»Ich versteh' das nicht«, flüsterte Bonamy.
»'s ist der Bär, schon recht«, war die Antwort, und der Hund ging in hohen Sprüngen gerade auf den Feind zu.
Jack hörte ihn kommen, roch ihn kommen und sah ihn auch endlich kommen. Aber was ihn erregte, war der Geruch, die volle Witterung von dem Plagegeist seiner Jugendzeit. Das Zorngefühl jener Tage überkam ihn; aber die angeborene Schlauheit ließ ihn besonnen handeln: Er wich zurück, stellte sich neben die Fährte, da, wo sie unter einer Wurzel wegführte, und als der Gelbe kam, versetzte Jack ihm einen Schlag, wie er es vor Jahren getan hatte, aber diesmal mit der Kraft eines erwachsenen Grislys. Keinen Ton gab der Hund von sich, kein zweiter Schlag war nötig. Ohne ein Wort zu sprechen, suchten die Jäger eine Stunde lang, ehe sie die Stelle fanden und aus vielen stummen Zeichen erkannten, was sich hier zugetragen hatte.
»Das soll er mir büßen«, sagte Bonamy grollend; denn er hatte den unansehnlichen Köter gerngehabt.
»'s ist Pedros Bär, 's stimmt. Er ist gewiß ein Schlauer, auf seiner eigenen Fährte hinterherzulaufen. Aber wir stell'n ihn doch!« Und sie gelobten, den Bären zur Strecke zu bringen »und koste es das eigene Leben.«
Ohne Hund mußten sie einen neuen Jagdplan entwerfen. Sie suchten zwischen paarweise stehenden Bäumen einige günstige Stellen für Fallen aus. Dann ging Kellyan zum Kamp zurück, die Axt zu holen, während Bonamy den Boden herrichtete.
Als Kellyan nahe am Lagerplatz war, blieb er seiner Gewohnheit gemäß stehen und blickte nieder auf den Kamp. Schon wollte er weitergehen, als eine Bewegung sein Auge fesselte. Dort saß ein Grisly und blickte zum Kamp hinunter. Das versengte Braun an Kopf und Hals und der weiße Fleck auf jeder Seite des Rückens ließen keinen Zweifel, daß Kellyan und Pedros Bär einander wieder gegenüberstanden. Die Entfernung war groß, aber Lan hob die Flinte, und da der Bär plötzlich den Kopf senkte und seine Hintertatze hob, um eine kleine Schramme zu belecken, kamen Kopf und Brust für Kellyan beinahe in eine Linie und boten ein sicheres Ziel, so sicher, daß Lan zu hastig schoß. Er fehlte Kopf und Schulter, aber die Kugel traf den Bären sonderbarerweise in den Rachen und an die hintere Zehe und riß ihm einen Zahn und die Hälfte der Zehe weg. Schnaubend sprang der Bär auf und eilte bergab auf den Jäger zu. Kellyan kletterte auf einen Baum und machte sich schußfertig, aber der Kamp lag gerade dazwischen, und der Bär wandte sich diesem zu. Ein Fegen seiner Tatze, und das Zelt war unten und zerrissen. Ritsch! und die Konserven flogen nach. Ratsch! und die Säcke Mehl gingen denselben Weg. Hui! und das Mehl zerstob wie Rauch. Schlapp – kräck! und eine Kiste mit Inhalt stürzte ins Feuer. Piffpaff! und ein Sack voll Patronen folgte ihr! Prr! und der Wassereimer war altes Eisen. Pat-pat-pat! und alle Tassen lagen in Scherben.
Kellyan, der sicher auf seinem Baum saß, hatte kein freies Schußfeld; er konnte nur warten, bis sich der Sturm etwas gelegt hatte. Der Bär stieß auf eine verkorkte Flasche. Geschickt nahm er sie in seine Pfoten, klaubte den Kork heraus und hielt die Flasche an den Mund mit einer Gewandtheit, die auf lange Erfahrung deutete. Aber was auch in der Flasche sein mochte, dem Eindringling behagte der Inhalt nicht; er spuckte ihn aus und schleuderte vor Lans erstaunten Augen die Flasche weg. »Kräck – kräck – kräck!« kam's jetzt vom Feuer, wo die Patronen losgingen, einzeln, zu zweien, vieren und in zahlloser Menge. Der Grisly wirbelte herum und zerschmetterte alles, was ihm vor Augen kam. Das Geknatter des 4. Juli gefiel ihm aber nicht; er sprang auf eine Bodenwelle, bewegte sich dann plump und keuchend zur Wiese und hatte eben die Pferde in panische Flucht gejagt, als er zum ersten Mal dem Jäger ein klares Ziel bot. Seine Flanke erhielt einen zweiten Streifschuß, und heulend wandte er sich in den Wald.
Die Jäger waren übel daran. Eine volle Woche dauerte es, bis der Schaden, den ihr zottiger Gast angerichtet, wieder gutgemacht war und sie sich wieder mit neuen Vorräten versehen und ihr Zelt am Laubsee ausgebessert hatten. Von ihrem Gelübde, den Bären zu erlegen, sprachen sie wenig. Für beide stand fest, daß es ein Kampf bis aufs Messer war. Sie sagten niemals: » Wenn wir ihn kriegen«, sondern: » Sobald wir ihn kriegen.«
Wütend, aber vorsichtig, stieg Jack den Berghang hinauf und suchte weit entfernt auf der südlichen Abdachung in einem Dorndickicht ein ungestörtes Lager auf, wo er ruhen, seine Wunden pflegen und den argen Schmerz lindern konnte, den ihm der zerschmetterte Zahn verursachte. Dort lag er zeitweise in großer Pein, einen Tag und eine Nacht lang, ohne sich vom Flecke zu rühren. Aber am zweiten Tage trieb ihn der Hunger auf; er verließ sein Lager, erstieg den nächsten Höhenrücken und ging diesen gierig schnüffelnd entlang, als ihm die Witterung eines Bergjägers in die Nase kam. Da er sich zu nichts Besonderem veranlaßt fühlte, setzte er sich hin und tat nichts. Der Geruch wurde stärker, und Tritte ließen sich hören; sie kamen näher, das Strauchwerk ging auseinander, und ein Reiter wurde sichtbar. Das Pferd schnaubte und wollte umkehren, aber der Höhenkamm war eng, und ein Fehltritt konnte verhängnisvoll werden. Der Cowboy hielt das Pferd kurz, und obwohl er ein Gewehr hatte, machte er keinen Versuch, auf das Tier, das ihn mißmutig anblinzelte und den Weg versperrte, zu schießen. Er war ein alter Bergbewohner und gebrauchte nun einen Trick, den die Indianer seit langem üben, von denen er ihn in der Tat gelernt hatte: Er fing an, »mit seiner Stimme Medizin zu machen.«
»Sieh mal hier, Bär«, rief er laut, »ich tu' dir ja nichts, und ich bin dir auch nicht böse, und du hast keinen Grund, mir böse zu sein!«
»Gro–o–oh!« sagte Jack, in leisem, tiefem Tone.
»Nun, ich will auch keine Reiberei mit dir, wenn ich schon mein Schießeisen zur Hand habe; ich will bloß, daß du beiseite gehst und mich den näheren Weg da gehen läßt.«
»Groh–wu–u–wau«, brummte Jack.
»Ich mein's ehrlich, mein Lieber. Du läßt mich allein, und ich lasse dich allein; geh mir bloß fünf Minuten aus dem Weg.«
»Groh–groh–wau–u–ömph«, war die Antwort.
»Siehste, es führt kein Weg herum und nur einer durch, und da sitzst du gerade drauf. Ich muß durch; denn zurück kann ich nicht. Komm nu, soll's gelten? Hände hoch und keinen Krach?«
Ganz sicher waren das für Jack nichts als komische, harmlose, eintönige Menschenlaute; schließlich blinzelte er dem unbegreiflichen Wesen mit einem »Gr–ö–ph« in die Augen und trollte sich seitwärts bergab, und der Cowboy spornte sein widerwilliges Roß an.
»Na ja«, kicherte er, »ich wußt' ja, das versagt nie. Darin sind alle Bären gleich.«
Hätte Jack die Fähigkeit klaren Denkens besessen, so hätte er wohl gesagt: »Das ist gewiß eine neue Art von Mensch.«
Jack wanderte mit wachsamer Nase weiter. Da gab es zahllose Witterungen von Beeren, Wurzeln, Waldhühnern, Hirschen, bis ein neuer und wohlgefälliger Geruch mit besonderer Kraft kam.
Das war kein Schaf oder Wild, auch nichts Totes; denn es roch wie lebendiges Fleisch. Er ließ sich davon bis auf eine kleine Wiese führen, wo er es vorfand. Es waren fünf Wesen, rot und weiß und so groß wie er selbst; aber er fürchtete sich nicht vor ihnen. Vom Jägerinstinkt geleitet und mit dem Wagemut und der Tatfreude eines Weidmanns kroch er gegen den Wind auf sie zu, um die Tiere noch länger zu wittern und an der Witterung seiner selbst zu hindern. Am Waldrand machte er halt; denn hier mußte er sichtbar werden. Ganz nahe befand sich eine Wasserstelle. Leise stillte er seinen Durst; dann legte er sich in ein Dickicht, wo er die Tiere im Auge hatte, und harrte eine Stunde lang. Die Sonne sank, und das Rindvieh erhob sich, um zu weiden. Eines von ihnen, ein kleineres Tier, kam näher an ihn heran; dann kam ihm ein plötzlicher Antrieb, und es ging zum Wasserloch. Jack wartete den günstigen Augenblick ab, und als die junge Kuh in den Schlamm stapfte und den Kopf senkte, schlich er heran und schlug mit aller Kraft zu. Quer über den Schädel zielte und traf er; denn noch wußte er nichts von Hörnern, und das scharfe, aufwärts gebogene Horn fuhr ihm in die Tatze und brach ab. Dabei verlor der Schlag die Hälfte seiner Kraft. Die Kuh stürzte zu Boden, aber Jack mußte mit. Da riß er voll Wut seine Pranke zurück. Die andern Rinder waren vom Schauplatz weggelaufen. Sein Opfer nahm der Bär zwischen die Zähne und schleifte es bergauf in sein Lager. Dort blieb er, mit Fleischvorrat versehen, wieder liegen, um seine Wunden zu pflegen. Sie waren zwar schmerzhaft, aber nicht bedenklich, und binnen einer Woche etwa war der Grisly so gesund wie je und durchstreifte wieder die Wälder um den Laubsee und weiter nach Süden und Osten hin. In dem Maße, wie er älter wurde, dehnte er seine Jagdgründe immer weiter aus – der König schuf sich sein Königreich. Im Laufe der Zeit stieß er auch auf andere seiner Art und maß mit ihnen seine Kräfte. Manchmal siegte er, manchmal unterlag er, aber er wuchs immer weiter im Wechsel der Monde und nahm zu an Alter, Kenntnissen und Kraft.
Kellyan blieb ihm auf der Spur und kannte wenigstens die Haupttatsachen aus seinem Leben, da ihn ein paar Merkmale ständig von anderen unterschieden. Die gründliche Untersuchung der Fährte ergab, daß in einer Vordertatze ein rundes Loch und daß auch eine Hinterpranke verwundet war. Aber da war noch ein anderes Kennzeichen: Der Jäger hatte im Kamp, wo er nach dem Bären geschossen hatte, die Knochensplitter aufgelesen und war nach langem Zweifeln zu dem Schluß gekommen, daß der Bär einen Reißzahn gebrochen habe. Er trug Bedenken, von einem Schuß zu erzählen, der zugleich einen Zahn und eine hintere Zehe getroffen haben mußte, bis er später klarere Beweise für die Wahrheit dieser Tatsachen fand.
Kaum zwei Tiere sind einander gleich, zahme eher als wilde, und die einzeln hausenden Grislybären zeigen große Unterschiede. Die meisten machen an den Bäumen ihre Größe kenntlich, indem sie sich mit dem Rücken daran reiben, andere richten sich am Baum auf und schlagen ihre Krallen hinein, wieder andere umfassen den Stamm mit den Pranken und scharren daran mit den Hinterkrallen. Jacks Eigenart war, sich zuerst zu reiben, dann umzudrehen und den Stamm mit den Zähnen aufzureißen.
Dies hatte Kellyan festgestellt, als er eines Tages einen Bärenbaum untersuchte. Den ganzen Morgen war er der Bärenspur gefolgt und hatte aus einer Reihe schöner Abdrücke im Staube ersehen, daß eine Zehe am Hinterfuß durch die Schußwunde verletzt worden war, und daß der entsprechende Vorderfuß eine große, runde Wunde trug, ein Andenken an das Kuhhorn. Als er zum Bärenbaum kam, wo Jack sein Namenszeichen eingegraben hatte, ersah er aus den Zahnspuren deutlich, daß einer der oberen Reißer abgebrochen war. So war an der Tatsache nicht länger zu zweifeln.
»'s ist derselbe alte Bär«, sagte Lan zu seinem Gefährten.
Während dieser ganzen Zeit bekamen sie ihn nicht ein einziges Mal zu Gesicht. Nun legten die beiden Genossen eine Reihe von Bärenfallen. Diese bestehen aus schweren Balken und haben eine Falltür von behauenen Planken. Der Köder befindet sich auf einem Drücker am andern Ende; ein Zug daran bringt die Tür zum Fallen. Es kostete eine Woche schwere Arbeit, vier solche Fallen fertigzustellen. Sie beköderten sie nicht sofort; denn kein Bär wird an einen solchen verdächtig neu aussehenden Gegenstand herangehen; er muß erst etwas verwittert und grau sein. Aber sie räumten alle Späne weg und beschmierten das frischgehauene Holz mit Schlamm, dann rieben sie das Innere mit altem Fleisch und hängten an den Drücker jeder Falle angegangenes Wild.
Drei Tage hielten sie sich zurück; solange dauert es, bis der Menschengeruch sich verflüchtigt hat. Dann fanden sie nur eine Falle ausgelöst. Bonamy wurde ganz aufgeregt; denn sie hatten die Fährte des Grislys eben gekreuzt. Aber als Kellyan den Boden betrachtete, lachte er plötzlich laut auf.
»Sieh das mal an« – und dabei wies er auf eine bärenartige, aber kaum zwei Zoll lange Spur. »Das ist der Bär, den wir finden werden, ein Bär mit buschigem Schwanz«, und Bonamy lachte mit, als er sah, daß sich in der großen Falle nur ein kleiner Skunk, ein Stinktier, gefangen hatte.
»'s nächste Mal hängen wir das Lockfleisch höher«, sagte Lan.
Sie rieben ihre Stiefel vor Begehen der Fallenstrecke mit altem Fleisch und blieben eine Woche lang weg.
Es gibt Bären, die sich fast nur von Wurzeln und Beeren nähren; für andere ist der Lachs die Lieblingsspeise, den sie auf seiner langen Wanderung mit den Krallen aus den Teichen holen können, und wieder andere sind auf Fleisch erpicht. Die dritte Gruppe ist selten; sie ist ungewöhnlich wild und findet meist ein frühzeitiges Ende. Jack gehörte dazu; er entwickelte sich wie ein muskelstrotzender, mit viel Fleisch genährter Gladiator und wurde größer, stärker und wilder als seine Früchte und Wurzeln verzehrenden Genossen. Im Gegensatz dazu stand seine Vorliebe für Honig. Der Jäger auf seiner Fährte fand, daß er kein Bienennest auf seinem Wege unausgegraben ließ, und wenn er keines fand, verzehrte er die kleinen Honigblüten, die wie Schlittenglöckchen auf der Heide hängen. Diese Eigenart wollte Kellyan sofort ausnützen. »Du, Bonamy, wir brauchen Honig.«
Es ist nicht leicht, einen Bienenbaum ausfindig zu machen, wenn man keinen Honig hat, um die Leitbienen zu füttern. Deshalb ritt Bonamy zum nächsten Kamp, Tampicos Schafkamp, hinunter, wo er zwar keinen Honig, aber etwas Zucker erhielt, aus dem sie Sirup bereiteten. Dann fingen sie an mehreren Stellen Bienen, hängten ihnen etwas Baumwolle an, gaben ihnen Sirup zu naschen, ließen sie fliegen und schauten ihnen nach, solange die Baumwolle sichtbar war. Sodann verfolgten sie die angegebene Richtung, bis sie den Bienenstock fanden. Ein Stück Honigwabe wurde in einem Jutebeutel auf die Fallenfedern gelegt, und als Jack in der folgenden Nacht mit dem langen, rastlosen Schwung, der Dampfrädern gleich Meilen frißt, dahintrottete, trug ihm seine wachsame Nase einen köstlichen Geruch zu, der ihn mehr als alle andern ergötzte. So folgte er ihm eine Meile weit, bis er die sonderbare Blockhütte erreichte und schnüffelnd haltmachte. Da waren Gerüche von Jägern, ja, aber vor allem der Honiggeruch! Er ging um die Hütte herum und sah, daß der Honig darin war. Vorsichtig trat er ein. Ein paar Waldmäuse liefen davon. Er beschnupperte die Lockspeise, leckte daran, nahm sie zwischen die Zähne, schwelgte darin, zerrte daran, um mehr Saft herauszuholen, als auf einmal mit großem Krach die Tür hinten zufiel und er gefangen war. Mit einem Ruck fuhr er auf, prallte gegen die Tür und hatte nun wenigstens eine Ahnung von der Gefahr. Mit Mühe drehte er sich um und bearbeitete die Tür, aber sie war zu stark. Nun untersuchte er den Bau und prüfte alle Balken, wo er an ihrer Rundung mit den Zähnen am besten ankommen könnte. Aber umsonst versuchte er einen nach dem andern, riß am Dach und am Boden, alles waren schwere, harte Balken, trefflich gefügt und festgenagelt.
Während Jack noch in voller Wut war, ging die Sonne auf und schien durch kleine Spalten; dorthin wandte er sich mit seiner ganzen Kraft. Die Tür war flach und gab wenig Halt, aber er schlug mit den Tatzen und riß mit den Zähnen, bis eine Planke nach der andern nachgab. Mit einem letzten Ruck stieß er das Wrack vor sich her und war wieder frei.
Die beiden lasen die Geschichte der nächtlichen Ereignisse, als hätten sie sie gedruckt vor sich, ja noch besser, denn Plankensplitter lügen nicht, und die Fährte zu und von der Falle war die eines großen Bären mit den ihnen bekannten Absonderlichkeiten, während die Rißspuren an den Seitenbalken von einem gebrochenen Zahn zeugten.
»Diesmal hatten wir ihn, aber er war zu stark für unsere Falle. Aber wart nur; wir kriegen dich!«
So fuhren sie fort und fingen ihn wieder; denn Honig war für ihn unwiderstehlich. Aber am Morgen fanden sie nur eine zertrümmerte Falle.
Pedros Bruder kannte einen Mann, der Bären gefangen hatte, und der Schäfer erinnerte sich, daß es mehr darauf ankam, eine lichtdichte als eine starke Tür zu haben, weshalb sie sie außen ganz mit Teerpapier verklebten.
Aber Jack kannte sich bald aus in dieser Art Fallen. Er zerbrach die Tür nicht, durch die er nicht hindurchsehen konnte, steckte aber eine Pranke darunter und drückte sie mit aller Gewalt auf. So narrte er die Jäger und trieb seinen Spott mit den Fallen, bis Kellyan die Tür in eine tiefe Rinne senkte, so daß der Bär seine Krallen nirgends ansetzen konnte. Aber inzwischen war es kalt geworden. Die Bärenspur verschwand, und die Jäger wußten, daß Jack seinen Winterschlaf angetreten hatte.
Der April hieß den Schnee der hohen Sierra zur Meeresmutter zurückkehren. Der kalifornische Grünspecht oder Lachvogel lärmte laut vor Lust; die Menschen dachten wohl, es geschehe wegen der paar Eicheln, die er noch in der Borke verwahrt gefunden hatte, es war aber nichts als Freude am Leben. Die Hirsche sprangen, Waldhühner stiegen auf, Rinnsale plätscherten – alles war voll lauter Daseinslust.
Kellyan und Bonamy hatten sich wieder zur Grislyjagd eingestellt. »Zeit, daß er wieder draußen is' und gute Spur zum Folgen und viel Schnee in den Löchern.« Sie hatten sich für eine lange Jagd ausgerüstet; es fehlte nicht an Honig als Lockmittel, an großen Stahlfallen und Gewehren. Die Blockfalle, die je älter um so besser ist, war ausgebessert und mit frischem Köder versehen, und mehrere schwarze Bären wurden gefangen. Aber der »Riesenbär«, wenn er überhaupt da war, hatte sie meiden gelernt.
Er war da, wie die Männer bald erfuhren, sein Winterschlaf war vorüber. Seine unverkennbare Spur fanden sie im Schnee, aber nicht allein, daneben oder gerade davor war eine andere Bärenfährte, die eines kleineren Tieres. »Sieh mal«, sagte Kellyan, indem er auf die kleinere Spur wies, »jetzt ist Paarungszeit, unser Bär hat seinen Honigmonat«, und er folgte der Spur eine Weile, nicht in der Erwartung, die Bären zu finden, sondern nur, um sich über ihre Bewegungen zu unterrichten. Mehrmals folgte er meilenweit, und die Spur erzählte ihm vieles. Hier schloß sich die Fährte eines dritten Bären an. Hier hatte ein Kampf stattgefunden, und dort war zu lesen, daß ein Nebenbuhler abgewiesen worden war. Einmal führte sie den Berg hinunter zu einer Stelle, wo der größere Bär ein Liebesfest gefeiert hatte; denn die Überreste eines halbverzehrten Stiers und die Spuren auf dem Boden sprachen deutlich von dem Kampf, der dem Fest vorausgegangen war. Wie um seine Kraft zu zeigen, hatte der Bär den Stier am Maule gepackt und eine Weile geduckt gehalten – so erzählte eine Strecke breit zertrampelter Erde – trotz allem Sträuben, Schnauben und Brüllen, sicher Musik für die Ohren der Genossin, bis der Grisly es an der Zeit hielt, ihn mit seinen stählernen Tatzen zu Boden zu strecken.
Nur einmal bekamen die Jäger das Paar einen Augenblick zu Gesicht, einen Bären von solchem Ausmaß, daß ihnen Tampicos Erzählung beinahe glaubwürdig erschien, und einen kleineren Bären mit einem Fell, über das im Sonnenschein braune und silberne Reflexe liefen.
»Oh, ist das nicht das Schönste, was je im Wald zu sehen war!« und beide Jäger gafften, als das Paar aus dem freien Feld ins Dornendickicht schritt. Es war nur ein Kranz von Dornen, beide mußten in einer Minute auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kommen, und die Männer machten sich schußbereit. Aber aus irgendeinem unbegreiflichen Grunde erschien das Paar nicht wieder. Es blieb in Deckung und war schon weit fort, ehe die Jäger es merkten.
Aber Faco Tampico sah es. Er machte sich zu seinem Bruder auf, und als er in den Vorbergen jagte, in der Hoffnung, einen Hirsch zu erlegen, fielen seine schwarzen Äuglein auf ein Bärenpaar, das miteinander weit unterhalb durch den Wald trottete. Er fühlte sich in sicherer Stellung und ließ eine Kugel fliegen, welche die Bärin mit gebrochenem Rückgrat zu Boden streckte. Sie brach mit schmerzlichem Stöhnen zusammen und vermochte nicht mehr aufzustehen. Da fuhr Jack herum, schnüffelte im Wind nach dem Feind, und Faco feuerte wieder. Knall und Rauchwölkchen verrieten dem Bären, wo der Mann versteckt lag. Er raste bergauf, aber Faco kletterte auf einen Baum, und Jack kehrte zu seinem Weibchen zurück. Faco feuerte noch einmal; Jack versuchte von neuem, zu ihm zu gelangen, konnte ihn aber diesmal nicht finden und ging wieder zu seiner Silberbraunen.
War es nun Zufall oder Geschicklichkeit – als Faco noch einen Schuß auf Jack abgab, traf die Kugel. Es war Facos letzte, und als der Grisly wieder heraufstürmte, fand er keine Spur vom Feinde. Der war fort, über eine Stelle hinweg, die kein Bär überschreiten konnte, und bald eine Meile entfernt. Der große Bär hinkte zu seiner Gefährtin zurück, aber sie regte sich nicht mehr bei seiner Berührung. Eine Zeitlang schnüffelte er herum, aber es kam niemand. Das Silberfell hat kein Mensch angerührt, und als der Körper seines Weibchens alle Ähnlichkeit mit ihrer früheren Gestalt verloren hatte, ging Jack davon.
Die Welt war voller Jäger, Fallen und Gewehre. Jack wandte sich hinkend, denn er hatte eine neue Fleischwunde, den unteren Hügeln zu, wo die Schafe weideten und er einst Pedros Herde angefallen hatte. Dabei stieß er auf den Geruch des Feindes, der seine Silberbraune getötet hatte, und wäre ihm gefolgt, aber er hörte an einer Stelle auf, wo Pferdespuren einsetzten. Doch fand er ihn vermischt mit der ihm so vertrauten Schafwitterung in der nächsten Nacht wieder und folgte ihm, wund und wild, bis zu der gebrechlichen Hütte eines Ansiedlers, der Wohnung von Tampicos Eltern. Und als der große Bär dort auftauchte, hasteten zwei menschliche Wesen zur Hintertür hinaus.
»Mein Gatte«, schrie die Frau, »bete! Laß uns zu den Heiligen um Hilfe flehen!«
»Wo ist meine Pistole!« schrie der Mann.
»Verlaß dich auf die Heiligen!« rief die Frau entsetzt.
»Ja, wenn ich ein gutes Gewehr hätte, oder wenn's 'ne Katze wäre! Aber mit dem alten Eisen von Pistole einem Bären wie 'n Berg gegenüber verlass' ich mich lieber auf einen Baum«, und der alte Tampico kletterte eiligst auf eine Fichte.
Der Grislybär schaute in die Hütte, dann wandte er sich zum Schweinekoben, schlug das größte Tier – es war eine neue Sorte Fleisch für ihn –, schleppte es weg und hielt seine Abendmahlzeit. Immer wieder kehrte er zum Schweinestall zurück und fand dort seine Nahrung, bis seine Wunde geheilt war. Einmal stieß er auf einen Selbstschuß, aber dieser war zu hoch angebracht. Die Ladung ging über seinen Kopf hinweg, und er kam unverletzt davon – ein sicherer Beweis, daß er ein Teufel war. Jack wurde das eine klar: Der Menschengeruch ist immer und überall ein gefährlicher Geruch. Er verließ das kleine Tal mit der Hütte und wanderte hinab, der Ebene zu.
Eines Nachts kam er an einem Hause vorbei, und als er darauf losging, fand er ein hohles Ding, das köstlich roch. Es war ein kleines Fäßchen, das Zucker enthalten hatte, wovon noch etwas auf dem Boden lag, und als er seinen gewaltigen Kopf hineinstieß, haftete der mit Nägeln gespickte Faßrand fest. Er raste umher, kratzte wild daran und heulte, bis ein Schuß aus den oberen Fenstern ihn so sehr anspornte, daß das Fäßchen in Stücke zersprang und er die Blende los war.
So erstarkte der Gedanke in ihm: Näherst du dich einer menschlichen Behausung, so kommst du sicher in Ungelegenheiten. Hinfort suchte er seine Beute im Wald oder auf der Prärie. Eines Tages fand er die Menschenwitterung, die ihn so in Wut versetzt hatte, als er seine Silberbraune verlor. Er nahm die Spur auf und folgte ihr mit fast unglaublicher Lautlosigkeit durch Dornengebüsche auf und ab und an Binsengesträuch vorbei bis zur Ebene. Die Witterung führte weiter und war nun frischer. In der Ferne erschienen weiße Punkte, die sich bewegten, sie bedeuteten ihm nichts; er hatte Wildgänse nie gewittert, kaum gesehen; aber die Fährte seines Wildes führte weiter, bis die Binsen ein wenig raschelten und die Witterung Körperwitterung wurde. Ein machtvolles Hindrängen, ein einziger Schlag – und die Gänsejagd war zu Ende, ehe sie recht begonnen hatte, und Facos Schafe erbte sein Bruder.
So wie manchmal bei den Menschen eine Zeitlang absonderliche Modetorheiten überhandnehmen, so kann auch eine Tierart in den Bann einer krankhaften Neigung geraten. In diesem Jahre schienen die Grislys der Sierren von der Sucht nach Rindfleisch wie besessen zu sein. Lange hatte man sie als eine wurzelfressende, beerenrupfende und in ungereiztem Zustande harmlose Art gekannt, aber nun schienen sie in Massen zu den Tierfarmen hinabzusteigen und sich ausschließlich von Fleisch zu nähren.
Einen Viehbestand nach dem andern griffen sie an, und es hatte den Anschein, als sei das ganze Land unter Bären von unglaublicher Größe, Schlauheit und Mordsucht verteilt. Die Viehzüchter boten Prämien, gute, steigende, zuletzt sehr hohe Prämien, aber die Bärenplage hielt an. Sehr wenige wurden erlegt, und in etwas rohem Scherz fing man an, die Viehherden nicht mit ihrem Brandzeichen, sondern nach dem Grisly, der dort sein Absteigequartier hatte, zu benennen.
Wunderbare Geschichten erzählte man sich von den verschiedenen Bären des neuen Geschlechts. Der schnellste war Eilfuß, der Schlächter von Placerville, der aus einem dreißig Meter entfernten Dickicht losbrach und einen Stier packte, ehe dieser wenden und davonrennen konnte, der sogar Ponys im Freien einholte, wenn sie keine Renner waren. Der schlaueste von allen war Hellauf, der mit Vorliebe Rassevieh tötete und einen Merinowidder oder eine weißstirnige Herefordkuh aus fünfzig Stück aussuchte, der jede Nacht ein neues Rind schlug und nie zu dem Opfer zurückkehrte und darum auch nie zum Fallenlegen oder Vergiften Gelegenheit gab.
Leisetritt vom Federfluß bekam kaum je einer zu Gesicht; geheimnisvoller Schrecken schwebte um ihn. Er kam und würgte bei Nacht. Schweine waren seine Leibspeise, aber auch Menschen fiel er oft an.
Aber Pedros Gringo-Grisly war der allerwunderbarste: »Hassayampa« – das war des Schäfers Spitzname – kam eines Abends in Kellyans Hütte.
»Ich sag' dir, er ist noch da. Tausend Schafe hat er mir umgebracht. Du hast mir gesagt, du machst 'n tot; du hast's nicht getan. Er ist größer als der Baum da. Er frißt bloß Schafe, viele Schafe. Ich sag' dir, er ist der Deibel, der Bärendeibel. Ich habe drei Kühe, zwei fette und eine magere. Er packt und erschlägt die fetten, die magere läuft fort. Er wälzt sich im Staub, macht groß Staub. Kuh kommt und guckt, was macht Staub; er fängt se und macht se tot. Der Bärendeibel kaut Fichtenholz, ich kenn 'n an seinem abgebrochenen Zahn. Er scheuert sich Gesicht und Nase mit Fichtenharz, denn stechen 'n die Bienen nicht, und er frißt alle Bienen auf. Er ist immer 'n Deibel. Er frißt Haufen von fauligen Manzanillabeeren, bis er benebelt ist; dann wird 'r toll und schlägt die Schafe zum Spaß tot. Er kriegt den großen Ochsen an der Schnauze und zerrt 'n zum Spaß wie 'ne Ratte. Er macht Kuh und Schafe tot und auch Faco, nur zum Spaß. 'n Deibel ist 'r. Du hast versprochen, ihn tot zu machen; du kriegst 'n nie tot!«
Das ist ein Auszug aus Pedros aufgeregter Erzählung.
Und da war noch ein Grisly – der große Bär, dessen Revier von Stanislaus bis Meced reichte, der » Monarch des Gebirges«, wie man ihn genannt hatte. Man glaubte, nein, man wußte, er war der größte lebende Bär, ein Geschöpf von übernatürlicher Geisteskraft. Er schlug Kühe der Nahrung wegen und jagte die Schafe oder bezwang Zuchtstiere zum Vergnügen. Ja, fand sich irgendwo ein außergewöhnlich großer Stier, dann hieß es, sicher werde Monarch bald da sein, um sich das Vergnügen zu verschaffen, mit einem würdigen Feinde zu kämpfen. Ein Vertilger von Rindvieh, Schafen, Schweinen und doch nur durch seine Fährte bekannt. Er selbst wurde von niemandem gesehen, und bei seinen nächtlichen Streifen schien er mit ausgesuchtem Geschick alle Arten von Fallen zu meiden.
Die Viehzüchter taten sich zusammen und boten eine ungeheure Prämie für jeden auf diesem Gebirgszug erlegten Grisly. Bärenfallensteller kamen und fingen ein paar Tiere, Braune und Zimtbären, aber das Viehmorden hörte nicht auf. Als sie bessere Fallen aus starken Stahl- und Eisenstäben legten, fingen sie endlich einen von den vielgesuchten mörderischen Grisly, Hellauf! Ja, und in den Erdspuren lasen sie, wie er gekommen war und den verhängnisvollen Schritt getan hatte; aber Stahl kann brechen und Eisen sich biegen. Die große Bärenfalle berichtete den Hergang: Eine Weile hatte er gegen das harte, schwarze Metall, das in seine Pranke biß, gerast und geschäumt, dann hatte er sich einen Felsblock ausgesucht, die Falle daran in Stücke gehauen und so seine Tatze freigemacht. Seitdem wurde er jedes Jahr schlauer, gewaltiger und mörderischer.
Von den ausgesetzten Preisen angelockt, kamen jetzt Kellyan und Bonamy von den Bergen herab. Sie sahen die mächtige Fährte, sie erfuhren, daß das Vieh an allen Orten zugleich geschlagen wurde. Sie fanden auch im Staub die Fußeindrücke der verschiedenen Ungetüme in weit voneinander entfernt gelegenen Gegenden, und sie stellten fest, daß alles Vieh in derselben Weise getötet wurde: die Schnauzen aufgerissen und das Genick gebrochen. Sie besichtigten schließlich die Male an den Bäumen, wo die Bären sich mit dem Rücken gerieben und sie dann mit einem gebrochenen Zahn gekerbt hatten, überall auf dem Gebirge das gleiche Bild – und Kellyan erklärte mit ruhiger Sicherheit: »Pedros Gringobär, Leisetritt, Eilfuß, Hellauf und der Monarch des Gebirges sind alle ein und derselbe Bär.«
Der kleine Mann vom Gebirge und der große vom Hügelland machten sich daran, ihn zu erjagen, mit einer Leidenschaft, die, wie der eingedämmte Fluß, durch die Hindernisse nur noch ungestümer wurde.
Keine Art von Fallen genügte für ihn. Stahlfallen zerschmetterte er, keine Blockfalle war stark genug, dieses zottige Riesentier festzuhalten; an den Köder ging er nicht; niemals fraß er ein zweites Mal von einem Raub.
Zwei kecke Burschen folgten einmal seiner Spur bis zu einer felsigen Schlucht. Da die Pferde scheuten, gingen die beiden zu Fuß hinein, und nie wieder hat man etwas von ihnen gehört. Die Mexikaner hatten eine abergläubische Furcht vor ihm, da sie meinten, er sei gegen den Tod gefeit. So verbrachte er noch ein Jahr in der Viehgegend, jetzt als »Monarch des Gebirges« bekannt und gefürchtet. Nachts mordete er im Freien, und am Tage zog er sich in das anstoßende Hügelland zurück, wo ihn kein Reiter einholen konnte.
Bonamy war ins Unterland abgerufen worden, aber den ganzen Sommer und auch den Winter hindurch – denn Jack hielt keinen Winterschlaf mehr – ritt Kellyan unermüdlich hierhin und dorthin, kam aber immer zu spät oder zu früh, um Monarch zu treffen. Fast hätte er es aufgegeben, nicht aus Verzweiflung, sondern aus Mangel an Mitteln, als ein reicher Mann, ein Zeitungsbesitzer aus der Stadt, sich erbot, die Prämie zu vervielfachen, wenn einer Monarch nicht tötete, sondern lebendig brächte.
Kellyan schickte nach seinem alten Genossen, und als verlautete, es seien in der Nacht drei Kühe in der bekannten Weise unweit der Glockenweide getötet worden, sparten sie nicht Roß und Sattel, dorthin zu gelangen. Ein zehnstündiger Nachtritt erschöpfte die Pferde völlig, aber die Männer waren von Eisen, und nach einer Minute hatten sie frische Gäule unter sich. Hier waren die geschlagenen Rinder, dort die gewaltigen Tatzenspuren, die seinen Namen buchstabierten. Kein Hund hätte dem Täter besser nachspüren können als Kellyan. In fünf Meilen Entfernung stand am Fuße der Hügel ein undurchdringliches Dornendickicht. Die große Fährte führte hinein, nicht aber heraus; so saß Bonamy Schildwache, während Kellyan mit der Nachricht zurückritt. – »Sattelt die besten, die wir haben!« rief er.
Man nahm die Gewehre herunter und schwenkte Patronengürtel, als Kellyan Halt gebot.
»Wißt, Jungens, wir haben 'n sicher genug. Vor Nacht wird 'r die Dornen nicht verlassen. Schießen wir, so kriegen wir die Viehzüchterprämie; fangen wir ihn lebend – und das ist leicht im Freien –, so haben wir den Zeitungspreis zehnmal so hoch. Laßt alle Gewehre weg, Lassos genügen.«
»Warum nicht die Gewehre mitnehmen, daß sie zur Hand sind?«
»Ich kenne meine Leute; sie könnten der Gelegenheit, ihm eins auszuwischen, nicht widerstehen; also lieber keine Gewehre.«
Trotzdem nahmen drei ihre schweren Revolver mit. Sieben tapfere Reiter auf sieben untadeligen Rossen, so ritten sie aus, den Monarchen des Gebirges zu stellen. Noch war er im Dorn; denn es war noch Morgen. Mit Steinen und Geschrei suchte man ihn hinauszutreiben, ohne Erfolg, bis sich der Mittagswind der Ebene erhob, der Luftstrom, der von den Bergen niederrinnt. Dann zündeten sie an verschiedenen Stellen das Gras an, so daß eine wogende Flamme und dicker Rauch ins Dickicht drangen. Da krachte es lauter als das Feuer, das Strauchwerk knackte, und aus dem andern Ende stürzte der Bärenmonarch heraus. Schon war er von Reitern umringt, die nicht mit Gewehren, sondern mit den Lederschlangen bewaffnet waren, deren fliegende Schleifen Fesseln oder Tod bedeuten. Die Männer waren ruhig, aber die Pferde schnaubten und schlugen aus vor Angst. Einen kurzen Blick warf der Grisly auf diesen und jenen Reiter, die Pferde beachtete er kaum; dann wandte er sich ohne Hast den befreundeten Hügeln zu.
»Aufgepaßt, Bill, Manuel, Rico! Jetzt ist's an euch!«
Drei Reiter von der Farm segelten, schwebten wie Falken dahin, ihre Lassos flogen, sangen, sangen höher, und Monarch, ganz erstaunt, aber schwerlich schon voll Zorn, erhob sich auf die Hinterpranken und schaute von seiner Turmhöhe nieder auf Roß und Mann. Wenn die Kraft des Besiegten, wie man sagt, auf den Sieger übergeht, dann mußte auch in der machtvollen Brust die Kraft all der Rinder wohnen, die Monarch im Kampf zu Boden gestreckt hatte.
»Herr, was für 'n Bär! Pedro ging nicht so sehr fehl.«
»Swing – sing – sing!« Die Lassos flogen. »Swisch – pat!« eine, zwei, drei fielen nieder; denn bei diesen Männern gab es keinen Fehlwurf, und drei Pferde sprangen darauf los, den Hals des großen Grisly einzuschnüren. Aber schneller als ein Gedanke flogen die gelenkigen Arme nach oben; die Riemen wurden abgestreift, und die gespornten Ponys, des Ruckes gewärtig, sprangen ungehemmt davon und zogen die losen Schlingen hinter sich her.
»Hi – Hal! Ho – Lan! Weg abschneiden!« ertönte der Ruf, als sich der Grisly, dem der ungleiche Kampf nicht paßte, dem Gebirge zuwandte. Aber ein gewandter Mexikaner in silbergesticktem Anzug ließ seine Lederfessel sausen, ließ sein geübtes Pferd sich schräg stemmen, als die sichere Schlinge niedersank, und hemmte Monarch mit einem schweren Ruck. Mit kurzem, wütendem Schnauben wandte sich das große Tier, seine riesigen Kiefer packten den Strick und zermalmten ihn, wie ein Hund einen Zweig, und das Pony galoppierte wie rasend davon.
Nun umkreisten ihn die Reiter, um eine günstige Gelegenheit abzupassen. Mehr als einmal legte sich ihm die Schlinge um den Hals, aber er schlüpfte mit der Schnauze durch, als wär's ein Spiel. Dann wieder ward er am Fuß gefangen, gezerrt und durch das Gewicht zweier starker Pferde fast zu Boden geworfen, und nun schäumte er vor Wut. Es kam ihm die Erinnerung an alte Tage oder wohl eher an das, was er ehemals zu tun pflegte, damals, als er lernte, die gellende Meute abzuwehren. Von dem angezündeten Dickicht war er weit entfernt, aber ein einzelner Busch war nahe; so setzte er sich mit dem breiten Rücken dagegen und erwartete die ihn umringenden Feinde. – Immer näher trieben sie die verängstigten Pferde, und Monarch saß lauernd da, wie damals den Hunden gegenüber, bis sie fast aneinanderstießen. Da stürzte er wie eine Felslawine los. Was kann dem blitzartigen Angriff eines Grislys widerstehen? Die Erde bebte, als er sich vorwärtsschleuderte und zuschlug. Drei Mann, drei Pferde hierhin und dorthin. Der Staub war dick; sie wußten nur, er schlug – schlug – schlug! Die Pferde standen nicht wieder auf.
»Heilige Maria!« erklang ein Todesschrei, und die Reiter stürzten vor, den Bären wegzutreiben. Drei Pferde tot, ein Mann tot, einer halbtot und nur einer gerettet.
»Kräck! Kräck! Kräck!« machten nun die Pistolen, als der Bär seine riesige Gestalt schnell dem befreundeten Hügel zuschaukelte, und vier Reiter, von Kellyan getrieben, folgten ihm schnell. Sie überholten ihn, drehten um und ritten ihm entgegen. Die Pistolen hatten ihn an vielen Stellen verwundet.
»Schießt nicht – schießt nicht; er muß sich ganz erschöpfen!« schrie der Jäger.
»Ganz erschöpfen? Sieh auf Carlos und Manuel dahinten. Wieviel Minuten wird's dauern, bis wir übrigen unten liegen wie sie?« Und unablässig knallten die Pistolen, bis alle Kugeln verschossen waren und Monarch vor Wut schäumte.
»Haltet aus! Ruhig Blut!« schrie Kellyan.
Sein Riemen flog, als die mörderische Pranke einen Augenblick aufwärts gerichtet war, und der Lasso fesselte sie am Gelenk. »Sing! Sing!« kamen zwei und legten sich Monarch um den Hals. Hat ein Stier seinen starken Klumpfuß in der Schlinge, so ist er sicher gefangen, aber der Grisly hob seine feine, handartige, spitzzulaufende Pranke und hatte sie mit einem Ruck frei. Jetzt wurden die beiden Schlingen um seinen Hals angezogen, so daß er sie nicht abstreifen konnte. Die Pferde an den Enden stemmten sich nach hinten und würgten ihn; die Männer schrien, ritten hin und her und warteten eine neue Gelegenheit ab, als Monarch, beide Tatzen fest aufsetzend, sich stemmte, seine mächtigen Schultern krümmte und trotz der Atembeklemmung an den beiden Riemen zog wie Samson an den Pfeilern des Baalshauses. Die sich sperrenden Pferde samt den Reitern wurden immer wieder vorwärtsgeschleift, tiefe Furchen in den Boden pflügend; und da sie nachgaben, zerrte er sie schneller. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und die Zunge hing heraus.
»Vorwärts! Haltet fest!« schrie jemand, bis die Lassowerfer zusammenrückten, um so besser Widerstand leisten zu können. Monarch, voll wahnsinnigen Hasses, sah aufs neue seinen Vorteil und schoß wie ein Pfeil vorwärts. Die Pferde sprangen zurück und retteten sich – beinahe, das eine war um einen knappen Zoll zu nahe; die furchtbare Tatze mit den stählernen Dolchen streifte es noch an der Flanke. Wie unbedeutend das klingt! Aber was es in Wahrheit besagt, mag lieber unbeschrieben bleiben.
Die Reiter hatten ihre Riemen vorsorglich losgelassen, und Monarch schleifte sie brummend, schnaubend und springend bis in das Hügelland, wo er sie in Ruhe abbiß, während der Rest der tapferen Schar wutentbrannt zurückritt.
Bittere Worte und Verwünschungen gegen Kellyan wurden laut.
»Seine Schuld. Warum ließ er uns nicht die Gewehre mitnehmen?«
»Wir steckten alle drin«, war die Antwort. Dann fielen noch härtere Worte, bis Kellyan rot wurde, seine Ruhe verlor und eine bis dahin versteckte Pistole vorzog, worauf der andere »es zurücknahm«.
»Was nu, Lan?« sagte Lu Bonamy, als sie in jener Nacht am Feuer saßen. Kellyan schwieg eine Weile, dann sagte er langsam und ernst mit glänzendem Auge: »Lu, das ist der größte Bär, den's gibt. Wie ich 'n da stehn sah wie 'n Turm und Pferde umschmeißen wie Fliegen, da mußt' ich ihn geradezu liebhaben. Er ist das Größte, was Gott hier im Gebirge losgelassen hat. Bis heute habe ich ihn sicher kriegen wollen, nu aber, Lu, muß ich 'n kriegen und lebendig kriegen, und wenn's alle meine Lebenstage kostet. Ich denke, ich kann's alleine machen, aber ich weiß, ich kann's auch mit dir tun«, und tief in Kellyans Auge glühte ein kleiner Funke von etwas unaussprechlich Hohem.
Ihr Lager hatten sie jetzt im Hügellande, da sie bei den Viehzüchtern nicht mehr willkommen waren; diese hielten nämlich den ausgesetzten Preis für zu hoch. Einige meinten sogar, daß Monarch als Schreck für die Schafe kein unerwünschter Nachbar sei. Diese Prämie wurde also zurückgezogen, nicht aber die von der Zeitung angebotene.
»Bringen Sie mir den Bären«, war die kurze, aber unzweideutige Weisung des reichen Zeitungsbesitzers, als er von dem Kampf mit den Reitern erfuhr.
»Wie kommen Sie vorwärts in der Sache, Lan?«
Jede Brücke hat ihr verfaultes Brett, jeder Zaun seine lockere Latte, jeder große Mann seinen schwachen Punkt, und als Kellyan anfing, ernstlich zu überlegen, sagte er sich, daß es eine Tollheit sei, ein Tier von solcher Muskelstärke mit bloßer, roher Gewalt zu überwinden.
»Stahlfallen sind nichts; er zerschmettert sie. Lassos tun's auch nicht, und in Blockfallen kennt er sich aus. Aber ich hab' 'n Plan. Zuerst müssen wir ihm nachgehen und seinen Bereich ausmachen. Ich denke, das kost't drei Monate.«
So arbeiteten die beiden weiter. Am nächsten Tage nahmen sie die Bärenspur auf; die Lassos fanden sie abgekaut. Dann folgten sie Tag für Tag der Fährte. Auch Viehzüchter und Schäfer befragten sie und erfuhren viel mehr, als sie glauben konnten.
Drei Monate, hatte Lan gesagt, aber ein halbes Jahr kostete die Ausführung seines Planes, während Monarch seine Raubzüge fortsetzte.
In jedem Teile seines Reiches errichteten sie einige Käfig- oder Blockfallen aus befestigten Stämmen und stellten in jede am hinteren Ende einen kleinen Grat von schweren Eisenstäben auf. Die Türen waren sorgfältig gearbeitet und in Vertiefungen eingepaßt. Sie hatten zwei Bretterlagen mit Teerpapier dazwischen. Innen waren sie mit Eisen beschlagen, und wenn sie niedergingen, fuhren sie in die mit Eisen gefütterte Vertiefung.
Diese Fallen ließen sie offen und ohne Köder, bis sie altersgrau waren und den Menschengeruch verloren hatten. Dann gingen die beiden an den letzten Teil ihres Planes. Sie beköderten alle, ohne die Feder zu spannen – beköderten sie mit Honig, dessen Lockung Monarch nie widerstanden hatte, und als sie schließlich fanden, daß der Honigköder verschwunden war, gingen sie dahin, wo Monarch zur Zeit seinen Tribut erhob, und legten ihm die langgeplante Schlinge. Jede Falle wurde gespannt und wie zuvor mit Honig beködert, aber jetzt mit Honig, der mit einem starken Schlafmittel gemischt war!
In jeder Nacht verließ der große Bär sein Lager, eins von den vielen Lagern, die er hatte, und schritt, von allen seinen Wunden geheilt, im Hochgefühl seiner gewaltigen Kraft der Ebene zu. Seine allzeit wachsame Nase meldete ihm Schafe, einen Hirsch, ein Birkhuhn, Menschen, mehr Schafe, einige Kühe und Kälber; einen Stier – einen Kampfstier –, und Monarch schwelgte in großer, roher Bärenfreude über den bevorstehenden Zweikampf. Als er aber mächtig ausgriff von einem Hügel zum andern, kam eine ganz andere Meldung, so weich und lind, so ganz anders als die scharfe Witterung von Rindvieh, daß man sich wundern möchte, wie er sie überhaupt wahrnehmen konnte; doch wie ein feiner Glockenschlag durch das Grollen des Donners hindurch, so drang sie in sein Bewußtsein, und Monarch wandte sich ihr sofort zu. Oh, sie übte einen mächtigen Zauber. Sie erfüllte ihn mit einer Art Begeisterung, und den Hügel hinab und durch den Nadelwald ging er mit schnelleren Schritten, ganz ihrem Zauber hingegeben. Bis zu ihrer Quelle folgte er ihr, einer langen niederen Höhle. Derart hatte er schon viele gesehen, und er war in ihnen mehr als einmal festgehalten worden, hatte aber gelernt, sie zu meiden. Seit Wochen plünderte er ihre Schätze, und ihr Duft leitete ihn auch diesmal wie eine rufende Stimme. In die Höhle hinein trat er, die von dem wonnigen Duft erfüllt war. Da lag die süße Masse, und Monarch, vorsichtig wie immer, lutschte daran, leckte und leckte, begann dann am Klumpen zu zerren, als mit leisem »Bang!« die Tür herunterfiel. Monarch stutzte, aber alles war still und keine Gefahr zu wittern. Solche Türen hatte er schon früher bezwungen. Sein Gaumen lechzte nach mehr Honig, und er leckte und leckte, zuerst gierig, dann ruhig, dann langsam, dann schläfrig und schließlich hörte er auf. Seine Augen schlossen sich, er sank zu Boden in einen schweren Schlaf.
Ruhig, aber bleich waren sie – die Männer, als sie in der Morgendämmerung kamen. Da war die mächtige, gezeichnete Fährte, die hineinführte, da war die Tür unten, da konnten sie eine zottige Masse sehen, die den Raum füllte und im tiefsten Schlaf sich hob und senkte.
Starke Taue, starke Ketten und Stahlbänder waren zur Hand, ebenso Chloroform, damit er nicht zu bald erwachte. Durch Löcher im Dach fesselten sie ihn mit unendlicher Mühe, banden ihm die Tatzen an den Hals, Hals und Brust und Hintertatzen zu einer starren Rolle. Dann hoben sie die Tür und schleiften ihn hinaus, nicht mit Pferden – keines ließ sich näher bringen –, sondern mit einer am Baum befestigten Winde; und da sie schon fürchteten, es könnte der Todesschlaf sein, so ließen sie ihn nun zum Leben zurückkehren. – In Ketten, in doppelten Ketten, vor wahnsinniger Wut schäumend und völlig hilflos – wie können Worte den Zustand des gestürzten Königs beschreiben? Er wurde auf einen Schlitten geladen und von sechs Pferden in Etappen in die Ebene hinab zur Bahnstation gezogen. Nahrung flößte man ihm gerade so viel ein, daß er nicht verhungerte. Ein großer Dampfkran hob den Bären, so, wie er war, auf einen flachen Bahnwagen, und ein Teertuch wurde über seinen hilflosen Körper gebreitet, die Maschine puffte, zog an, und der Grislykönig schied von seinen alten Bergen.
So brachten sie ihn, den geborenen Herrscher, in Ketten in die große Stadt. Dort schafften sie ihn in einen Käfig, nicht nur stark genug für einen Löwen, sondern dreimal so stark. Einmal riß ein Tau, als der Riese an seinen Fesseln rüttelte. »Er ist los!« gellte es, und der Schwarm der Zuschauer und Wärter flüchtete; nur der Kleine mit den ruhigen Augen und der Große vom Gebirge hielten stand, und so wurde Monarch doch festgehalten.
Frei in seinem Käfig schwang er sich herum, schaute sich nach allen Seiten um, wandte sich dann mit ganzer Kraft gegen die eisernen Stäbe und bearbeitete den Käfig so, daß kein Teil unbeschädigt blieb. Es war vorauszusehen, daß er nach einiger Zeit ausbrechen würde. Man schleppte ihn in einen anderen Zwinger, den kein Elefant hätte niederbrechen können; aber er stand auf Erde, und in einer Stunde hatte der Grisly eine Höhle gegraben, in der er verschwand, bis ein auf ihn gerichteter Wasserstrahl das Loch füllte und ihn zwang, wieder zum Vorschein zu kommen. Nun transportierte man ihn in einen neuen Käfig, der seit seiner Ankunft angefertigt worden war. Dieser hatte einen harten Felsboden und große, fast zweizöllige Stahlstäbe, die drei Meter hoch waren; außerdem war das Gitter nach innen durch eineinhalb Meter lange Stangen geschützt. Monarch drehte sich einmal um, richtete dann seinen schweren Körper auf, verbog die »unzerbrechlichen« Stangen, drehte sie mit einem Ruck, bis die Stäbe aus der Richtung gebracht waren, und begann am Gitter hinaufzuklettern. Nur spitzige Eisen und Feuerbrände in den Händen von zwölf starken Männern konnten ihn zurückhalten. Die Wärter beobachteten ihn Tag und Nacht, bis ein noch stärkerer Käfig fertig war, ein unbezwinglicher mit Stahl oben und Fels unten.
Der Ungebändigte bewegte sich schnell darin umher, versuchte jede Stange, prüfte jeden Winkel, suchte nach einem Riß im Felsboden und fand schließlich eine Stelle, wo ein sechszölliger Balken war, das einzige Stück Holz am ganzen Käfig. Er war mit Eisen beschlagen und lag nur einen Zoll lang frei. Dahin konnte er mit einer Klaue reichen, und hier lag er auf der Seite und kratzte, kratzte den ganzen Tag, bis ein großer Haufen Splitter dalag und der Balken entzweigesägt war; aber die Querbolzen hielten, und als Monarch seine breite Schulter an die Stelle stemmte, wich sie keinen Deut. Das war seine letzte Hoffnung gewesen, und die war dahin. Der mächtige Bär sank im Käfig nieder, die Schnauze in die Tatzen vergraben und stieß Seufzer aus, lange, schwere Seufzer, freilich Tierlaute, aber sie zeugten nicht anders als beim Menschen von einem gebrochenen Geiste, dem Hoffnung und Leben schwand. Die Wärter kamen zur bestimmten Zeit mit Futter, doch der Bär regte sich nicht. Sie setzten es hin, fanden es aber am Morgen unberührt. Der Bär lag immer noch in derselben Haltung wie am Tage zuvor da. Statt der Seufzer ließ er von Zeit zu Zeit ein leises Wimmern hören.
Zwei Tage vergingen. Das Futter blieb unberührt und verdarb in der Sonnenhitze. Der dritte Tag kam, und immer noch lag Monarch auf der Brust, die riesige Schnauze unter der noch riesigeren Pranke. Die Augen waren nicht sichtbar; nur ein leichtes Heben und Senken seiner breiten Brust war zu bemerken.
»Er stirbt«, sagte der eine Wärter. »Er überlebt die Nacht nicht.«
»Holt Kellyan«, sagte ein anderer.
Kellyan kam. Da lag das Tier, das er gefesselt hatte, sich zu Tode härmend. Mit dem Schwinden seiner letzten Hoffnung schwand auch sein Leben dahin. Und ein starkes Mitgefühl überkam den Jäger; denn Männer von Charakter und Kraft lieben Charakter und Kraft. Er streckte seinen Arm zwischen die Stäbe des Käfigs und streichelte den Bären, aber Monarch rührte sich nicht. Schließlich kam ein leises Wimmern, und Kellyan sagte: »Laßt mich zu ihm hinein.«
»Sie sind toll«, sagten die Wärter und wollten den Käfig nicht aufmachen. Aber Kellyan beharrte darauf, bis sie ein Quergitter vor den Bären schoben. Dann näherte er sich ihm und legte seine Hand auf den zottigen Kopf, doch Monarch blieb regungslos liegen. Der Jäger streichelte sein Opfer und sprach zu ihm. Seine Hand fuhr zu den großen, runden Ohren, die nur ein wenig über den Kopf ragten. Sie fühlten sich rauh an; er blickte noch einmal hin, dann fuhr er zusammen. »Um Gottes willen! Kann das wahr sein?« Ja, sie sprachen die Wahrheit – beide waren mit runden Löchern gezeichnet, das eine weit ausgerissen, und Kellyan wußte, daß er seinen kleinen Jack wiedergefunden hatte.
»Ach, lieber Jack, ich wußte ja nicht, daß du's warst. Ich hätt's nie getan, wenn ich das gewußt hätte. Jack, alter, lieber, kennst du mich nicht?«
Aber Jack regte sich nicht. Da richtete sich Kellyan schnell auf und eilte in seinen Gasthof. Dort legte er sein verrauchtes, mit Harz und Fett getränktes Jägerzeug an und kehrte mit einer Honigwabe in den Käfig zurück.
»Jack, lieber Jack!« rief er, »Honig, Honig!« und hielt ihm die verführerische Wabe hin. Aber Monarch lag nun wie tot da.
»Jack, lieber Jack! Kennst du mich nicht?« Er ließ den Honig fallen und legte dem Bären seine Hände auf die breite Nase.
Die Stimme war vergessen. Der alte Ruf: »Honig, Jack, Honig!« hatte seine Kraft verloren, aber der vereinte Geruch von Honig, Rock und Händen, den er einst so gern gehabt hatte, übte seine geheime Wirkung aus.
Es kommt ein Zeitpunkt, wo ein Sterbender sein Leben vergißt, aber die Bilder der Kindheit klar vor sich sieht; sie allein sind wirklich und kehren mit überwältigender Kraft zurück. Warum nicht auch bei einem Bären? Die Gewalt des Geruches allein vermochte das Vergangene zurückzurufen, und Jack, der Grislymonarch, hob den Kopf ein wenig, eben nur ein wenig. Die Augen waren fast geschlossen, aber die große, braune Nase schnüffelte schwach zwei- oder dreimal – das Zeichen von Teilnahme, das Jack in der alten Zeit von sich zu geben pflegte. Jetzt brach Kellyan zusammen wie vorher der Bär.
»Ich wußte ja nicht, daß du's warst, lieber Jack; ich hätt's nie getan. Lieber Jack, vergib mir.« Er stand auf und eilte aus dem Käfig.
Die erstaunten Wärter wußten sich die Szene nicht zu erklären, einer von ihnen griff verständnisvoll den Faden auf, stieß den Honig näher heran und rief: »Honig, Jack, Honig!«
Voll Verzweiflung hatte sich Monarch zum Sterben niedergelegt, doch da tauchte eine neugeborene Hoffnung auf, allerdings nur unbestimmt, aber sein Bezwinger hatte sich als Freund erwiesen; das schien eine neue Hoffnung zu sein, und der Wärter wiederholte den alten Lockruf: »Honig, Jack, Honig!« und schob die Wabe vor bis dicht vor die Schnauze. Die große Zunge leckte am Honig, das Verlangen nach Speise erwachte, und so begann Jacks letzter düsterer Lebensabschnitt.
Erfahrene Wärter wußten jede Neigung des entthronten Monarchen auszunutzen. Die lockendste Nahrung bot man ihm und tat alles Erdenkliche, ihn wieder zu Kräften zu bringen.
Er aß und lebte als Gefangener – weiter.
Und noch lebt er, aber langsam schreitend, schreitend, immer schreitend. Sein Blick schweift nicht zur schaulustigen Menge, sondern weit über sie hinaus zu einem fernen Ziel. Manchmal bricht er in zornige Wut aus, aber bald gewinnt er seine volle Würde wieder, und er fährt fort zu blicken, zu warten, zu lauern, immer aufrechterhalten von der Hoffnung, die über ihn gekommen ist. Kellyan weilt seitdem bei ihm, aber Monarch kennt ihn nicht. Über seinen Kopf hinweg geht der Blick des großen Bären, weithin zum Tallac oder zur fernen See – wer kann es wissen?
Die Wundmale sind längst von seinem zottigen Fell verschwunden, aber die Ohrlöcher sind ihm geblieben, auch die Riesenkraft und die hohe Würde. Seine Augen sind trüb – hell waren sie nie –, aber sie scheinen nicht inhaltslos zu sein, und meist sind sie auf das Goldene Tor bei San Franzisko gerichtet, wo der Strom sich mit dem Weltmeer vereinigt.
Der Strom, dem Abhang der Hochsierra entspringend – er lebt und rauscht und reckt sich zwischen den Bergfichten hindurch, setzt über die Dämme von Menschenhänden, tritt mit wachsender Stärke in die Ebene und bringt seine mächtige Flut in die Bucht der Buchten, wo er als Gefangener liegen bleibt, ein Gefangener des Goldenen Tores, immerdar dem Freiheitsblau zustrebend, suchend und grollend – grollend und suchend – rückwärts und vorwärts, immerfort – vergebens.