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Eine Mutter
Trauer und Verzweiflung lag auf unserem Hühnervolk. Schon länger als einen Monat verschwanden die Bewohner unseres Geflügelhauses aus eine unerklärliche, geheimnisvolle Weise, und als ich in den Sommerferien von der Universität heimkam, hielt ich es für meine Pflicht und Schuldigkeit, die Ursache ausfindig zu machen. Die Hühner wurden eines nach dem andern frech davongeschleppt, ehe sie sich auf ihrer Stange zur Ruhe niederließen, oder nachdem sie sie verlassen. Diese Tatsache entlastete Landstreicher und allzu anhängliche Nachbarn, und auch Raubvögel konnten die Übeltäter nicht sein; denn die Hühner waren nicht von ihren Nistkästen heruntergeholt. Ebenso fand man keine halbaufgezehrten Leichname, so daß Wiesel, Sumpfotter oder der Skunk, das nordamerikanische Stinktier, unschuldig sein mußten. Der freche Diebstahl blieb infolgedessen einzig und allein auf Meister Reineke sitzen.
Das weite Nadelholz von Erindale lag auf dem anderen Ufer des Flusses, und bei genauerer Untersuchung der unteren Furt fand ich einige Fuchsspuren und eine gestreifte Feder von einem unserer englischen Hühner. Als ich auf der Suche nach mehr Beweismaterial das Ufer erklomm, hörte ich mit einem Male das ohrenverletzende Geschrei eines Volkes Krähen, und mich umschauend, sah ich einige dieses Gesindels auf irgend etwas in der Furt herabschießen. Bei näherem Hinschauen war es die alte Geschichte – ein Dieb verrät den andern – dort mitten durch die Furt lief ein Fuchs mit einem Huhn zwischen den Fängen; er kam mit einem neuen Opfer von unserem Hühnerhof. Die Krähen, obwohl selbst freche Räuber, sind immer die ersten, um zu rufen »Haltet den Dieb!«, dabei aber stets bereit, ihren Hehlerlohn in Gestalt eines Teiles der Beute zu nehmen.
Darauf waren sie auch jetzt aus. Der Fuchs mußte, um heim zu gelangen, den Fluß durchkreuzen und war dem vollen Angriff der pöbelhaften Krähen ausgesetzt. Er machte einige verzweifelte Sätze nach dem Ufer und würde zweifellos mit seiner Beute entkommen sein, hätte ich mich nicht dem Angriff angeschlossen. Infolgedessen war er gezwungen, die Henne, aus der kaum das Leben entflohen war, fallen zu lassen, worauf er im Walde verschwand.
Diese regelmäßige Eintreibung einer solch hohen Lebensmittelsteuer und die Tatsache, daß der Fuchs sie unzerstückelt davontrug, wies darauf hin, daß er eine Familie von kleinen Füchsen zu Hause hatte, und diese aufzufinden, machte ich mir nun zur Pflicht.
Am selben Abend begab ich mich mit Ranger, meinem Hund, über den Fluß hinüber und mitten in die Erindaler Forste hinein. Sobald der Hund zu suchen begann, hörte ich das kurze, scharfe Bellen eines Fuchses aus einem dicht verwachsenen Einschnitt dicht neben mir. Ranger setzte sofort hinein, fand eine frische Fährte und raste im lebhaftesten Tempo davon, bis sich seine Stimme in der Ferne hinter den Hügeln verlor.
Nach fast einer Stunde kam er unverrichteter Sache zurück, keuchend und erhitzt, denn es war heißes Augustwetter, und legte sich zu meinen Füßen nieder.
In demselben Augenblick ertönte direkt neben uns dasselbe fuchsische »Jap-Jurr«, und davon sauste der Hund auf eine neue Jagd.
Fort ging es, in die Dunkelheit hinein, der Hund, bellend wie ein Nebelhorn, mit der Richtung direkt nach Norden. Das laute »Boo–boo« wurde zum leisen »Ooo–o«, dieses zum schwachen »O–o« und dann war es still. Sie mußten etliche Kilometer weit gelaufen sein; denn selbst mit dem Ohr auf dem Erdboden konnte ich nichts hören, obwohl einige Kilometer keine Entfernung für Rangers messingne Stimme waren.
Wie ich so im dunklen Forst stand und wartete, vernahm ich den melodischen Klang von tropfendem Wasser: »Tink tank tenk tink, ta tink tank tenk tonk.«
Ich wußte nichts von dem Dasein einer Quelle in dieser Gegend und war in der heißen Nacht glücklich über den Fund. Der Ton führte mich zu einer Eiche, bei der ich die Urheberin fand. "Es war ein weicher, süßer Gesang, wie der Zaubergesang der Verführung:
»Tonk tank tenk tink
Ta tink a tonk a tank a tink a
Ta ta tink tank ta ta tonk tink
Trink a trank a trink a trunk.« –
Es war der Tropfgesang der Sägewetzeule. –
Plötzlich weckte mich ein tiefes, heiseres Stöhnen und das Rascheln der Blätter – Ranger war zurück. Er war vollkommen erschöpft. Seine Zunge hing ihm fast bis zum Erdboden, der Schaum stand ihm vorm Maule, seine Lungen arbeiteten schwer, und der Schweiß tropfte von Brust und Flanken. Einen Augenblick schaute er mich an, leckte pflichtschuldig meine Hand und warf sich dann auf den Boden, um alle anderen Geräusche mit seinem lauten Keuchen zu übertönen.
Da auf einmal ertönte einige Schritte vor mir wieder das neckende »Jap-Jurr«, und alles wurde mir klar.
Wir standen dicht bei der Höhle, wo die kleinen Füchse hausten, und die alten versuchten abwechselnd uns hinwegzulocken.
Es war inzwischen stockdunkle Nacht geworden, und wir wandten uns heimwärts, zumal wir die Gewißheit hatten, daß das Rätsel nahezu gelöst sei.
Es war allgemein bekannt, daß ein alter Fuchs mit seiner Familie in der Nachbarschaft lebte, doch niemand vermutete ihn so nahe.
Dieser Fuchs war von allen anderen seinesgleichen leicht durch eine Narbe zu unterscheiden, die vom Auge durch und bis hinter das Ohr reichte. Man vermutete, daß er sie auf der Hasenjagd von einem Stacheldrahtzaun erhielt, und da die Haare nach der Heilung der Wunde an dieser Stelle weiß wuchsen, blieb die Narbe ein untrügliches Abzeichen.
Im Winter vorher hatte ich diesen Fuchs zum erstenmal getroffen, und er hatte mir seine Schlauheit durch ein Beispiel bewiesen. Nach einem Schneefall war ich auf die Jagd gegangen und hatte die Felder gekreuzt, bis ich zu einer buschbewachsenen Einsenkung hinter einer alten Mühle kam. Als ich so weit herangekommen war, daß ich das flache Tal überblicken konnte, blieb mein Auge auf einem Fuchs haften, der außer Schußweite auf der anderen Seite herabtrottete und meinen Weg kreuzte. Augenblicklich hemmte ich meine Schritte, blieb vollkommen regungslos stehen und vermied es, auch nur meinen Kopf zu neigen oder zu wenden, um seine Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken, bis er im dichten Gebüsch auf der Talsohle verschwunden war. Dann duckte ich mich und lief nach der anderen Seite, wo er die Deckung verlassen mußte. Dort wartete ich eine gute Weile, aber kein Fuchs erschien. Bei näherer Untersuchung der frischen Fährte entdeckte ich, daß der Fuchs unter dem Schutze des Buschwerks seine Richtung geändert hatte, und, den Fußspuren mit den Augen folgend, erblickte ich den alten Schlaumeier in beträchtlicher Entfernung direkt hinter mir, auf den Hinterläufen sitzend und augenscheinlich erheiternd grinsend.
Eine Untersuchung der Fährte erklärte alles. Er hatte mich in demselben Augenblick gesehen, als ich ihn entdeckte, aber schlau, wie es eben nur ein Fuchs sein kann, hatte er gar nicht dergleichen getan, bis er im Gebüsch war. Dort war er um mich herumgelaufen und weidete sich nun an meiner Enttäuschung.
Im Frühjahr hatte ich einen weiteren Beweis von seiner Verschmitztheit. Mit einem Freund ging ich auf dem Wege über eine Schafweide spazieren und sah in einiger Entfernung verschiedene graubraune Steine. Als wir uns der Stelle näherten, meinte mein Freund:
»Stein Nummer drei sieht ganz so aus, wie ein zusammengerollter Fuchs.«
Jedoch ich konnte nichts erkennen, und wir gingen weiter. Wir hatten nur einige Schritte zurückgelegt, als der Wind diesen Stein aufblies wie ein Fell.
Mein Freund wiederholte: »Ich bin sicher, es ist ein schlafender Fuchs.«
»Das wollen wir einmal gleich feststellen,« erwiderte ich und wendete mich zur Seite. Aber sobald ich einen Schritt vom Wege gemacht, sprang richtig der alte Schlauberger auf und rannte davon. Ein Präriefeuer hatte das Gras in der Mitte der Weide verbrannt und einen breiten, schwarzen Gürtel zurückgelassen; darauf lief er entlang, bis er an frisches Grün kam, duckte sich und verschwand. Die ganze Zeit hatte er uns beobachtet und würde sich nicht geregt haben, hätten wir uns auf dem Wege gehalten. Das Wunderbarste bei der Sache war nicht, daß er genau so aussah, wie einer der runden Feldsteine und wie das trockene Gras, sondern daß er es wußte und es sich zunutze machte.
Bald kam es zutage, daß es mein alter Bekannter, der Fuchs mit der weißen Narbe, und seine Gattin Vixen waren, die sich in unseren Wäldern heimisch niedergelassen hatten und unseren Hühnerhof als Verpflegungskammer betrachteten.
Am nächsten Morgen nahmen wir eine sorgfältige Untersuchung der Stelle unter den Fichten vor und fanden einen großen Erdhügel, den die Füchse innerhalb weniger Monate aufgeworfen hatten. Bei dieser Arbeit mußten sie ein Loch nötig gehabt haben, jedoch war nichts davon zu entdecken. Nun ist es allgemein bekannt, daß ein wirklich geriebener Fuchs, sobald er eine neue Höhle gräbt, die Erde aus dem ersten Loch herauswirft, aber dabei einen Tunnel nach irgendeinem entfernten Dickicht führt. Dann schließt er das erste wieder, da es zu leicht entdeckt werden könnte, und benutzt nur den verborgenen zweiten Eingang unter dem Buschwerk.
So fand ich denn auch auf der anderen Seite unter einer Baumwurzel den wirklichen Eingang und sichere Beweise, daß drinnen ein Volk junger Füchse hauste.
Die Büsche auf der abfallenden Hügelseite überragte ein hohler Lindenbaum. Er lehnte etwas über und hatte ein großes Loch dicht am Erdboden, ein kleineres etwas höher.
Dieser Baum war in meinen Knabenjahren oft der Mittelpunkt unserer Robinsonspiele gewesen. In die weichen, morschen Wände hatten wir Stufen geschnitten und so ein Auf- und Absteigen in der Höhlung ermöglicht. Dies kam mir jetzt zustatten. Am nächsten Tage, als die Sonne höher stieg, begab ich mich dorthin und konnte von dem erhöhten Aussichtspunkt die interessante Familie unter mir gemütlich beobachten. Vier junge Füchschen konnte ich zählen. Sie sahen aus wie etwas mißratene kleine Schafe, mit ihren wolligen Pelzen, ihren langen, dicken Beinchen und ihrem unschuldigen Gesichtsausdruck. Jedoch bei näherer Betrachtung konnten die breiten, scharfnasigen und scharfäugigen Gesichter ihre Abstammung von einem schlauen Fuchs nicht verleugnen.
Sie spielten umher, wärmten sich in der Sonne oder balgten sich miteinander, bis ein leises Geräusch sie entsetzt in der Höhle verschwinden ließ. Jedoch die Aufregung war unnötig gewesen; denn die Urheberin war die Mutter; sie kam langsam aus den Büschen hervorgeschlichen und trug in ihrem Maul ein Huhn – Nummer siebzehn, wie ich mich entsinne. Ein leiser Ruf, und die Kleinen kamen hervorgepurzelt, und nun begann ein Schauspiel, das ich reizend fand, über das jedoch mein Onkel in helle Wut geraten wäre.
Die Jungen stürzten sich auf die Henne, rissen und balgten sich darum und knurrten vor Behagen, während die Alte Wache hielt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war bezeichnend. Es war ein vergnügtes Grinsen, aber weder der gewöhnliche wilde und schlaue Blick fehlte, noch Grausamkeit und Nervosität, doch mehr als alles andere war es der Mutter Stolz und Liebe, die sich in ihrem Gesicht aussprachen.
Der Fuß meines Baumes war in den Büschen verborgen und lag bedeutend tiefer als der Erdhügel, in dem die Füchse hausten. Infolgedessen konnte ich kommen und gehen, ohne sie aufzustören.
Immer und immer wieder kehrte ich nach dem Baume zurück, um die Erziehung der jungen Füchse zu beobachten. Schon zeitig lernten sie, bei irgendeinem Geräusch mäuschenstill zu sitzen, und wenn sie es dann zum zweitenmal vernahmen, nach einer sicheren Deckung zu suchen.
Einige Tiere besitzen so viel Mutterliebe, daß sie, davon überwältigt, sie auch auf Fernerstehende ausdehnen. Mutter Vixen schien nicht so geartet. Ihre Liebe zu den Jungen verleitete sie zu übertriebenster Grausamkeit. Oft brachte sie Mäuse oder Vogel lebend nach Haus und vermied mit teuflischer Vorsicht, sie ernstlich zu verletzen, damit die Füchschen sich länger daran belustigen könnten, die armen Opfer zu Tode zu quälen.
Oben auf dem Hügel in einer Obstpflanzung lebte ein Murmeltier. Es war weder hübsch von Aussehen, noch interessant, aber es wußte ein bequemes Dasein zu führen. Zwischen den zähen Wurzeln eines alten Fichtenstumpfes hatte es sich eine Höhle gewühlt, damit die Füchse ihm nicht durch Graben folgen könnten; denn anstrengende Arbeit ist nicht nach Reinekes Geschmack, und er erreicht seine Ziele lieber durch Witz und Schlauheit. Dieses Murmeltier nun pflegte sich jeden Morgen auf dem Stumpf zu sonnen, und sobald es einen Fuchs erblickte, schlüpfte es hinunter in die Tür seiner Höhle, oder wenn der Feind in zu gefährlicher Nähe schien, kroch es tiefer hinein und wartete so lange, bis die Gefahr vorüber war.
Eines Morgens beschlossen Vixen und ihr Gemahl, die Kenntnisse ihrer Kinder durch eine Lehrstunde über das Murmeltier zu bereichern, und als Versuchsgegenstand hatten sie sich das Murmeltier in der Obstpflanzung als besonders passend ausgewählt. So zogen sie denn zusammen bis an den Zaun, der die Pflanzung einschloß, ohne vom alten Einsiedler auf seinem Fichtenstumpf bemerkt zu werden. Vater Fuchs schlenderte dann in einiger Entfernung an dem Stumpf vorüber, mitten durch den Obstgarten, ohne dabei den Kopf zur Seite zu wenden, um das stets wachsame Murmeltier mißtrauisch zu machen. Als der Fuchs auf der Bildfläche erschien, verschwand das Murmeltier im Eingang seiner Höhle und blieb dort ruhig sitzen, wohl wissend, daß Vorsicht die Mutter der Weisheit sei.
Das war es, was die Füchse gewollt hatten. Vixen hatte sich bis dahin versteckt gehalten, jetzt aber lief sie schnell nach dem Stumpf hinüber und versteckte sich dahinter. Der Alte hatte inzwischen langsam seinen Weg verfolgt. Da das Murmeltier durch das Erscheinen des Fuchses keineswegs in große Angst versetzt worden war, steckte es bald seinen Kopf zwischen den Wurzeln heraus und sah sich neugierig um. Weit in der Ferne gewahrte es den Fuchs, seine alte Richtung immer noch einhaltend. Je weiter der Feind sich entfernte, desto dreister wurde das Murmeltier, kam weiter heraus, und als die Luft vollkommen rein schien, kletterte es wieder auf den Stumpf. Mit einem Sprunge saß ihm Vixen im Genick und schüttelte es, bis es besinnungslos dalag. Der alte Fuchs hatte mit einem Auge das ganze Manöver beobachtet und kam schnell herbeigelaufen. Aber Vixen nahm das Murmeltier zwischen die Zähne, lief nach der Behausung, und der Alte wußte nun, daß man seiner nicht mehr benötigte.
Als Vixen vor der Höhle anlangte, war das Murmeltier wieder so weit bei Sinnen, daß es etwas zappelte. Ein unterdrücktes »Wuf« der Alten brachte die Kleinen aus der Höhle heraus, wie Schuljungen zum Spielen. Sie warf ihnen das verwundete Tier vor, und wie vier kleine Teufel stürzten sie sich darauf, schwache Freudenschreie ausstoßend und mit aller Kraft ihrer kleinen Kinderzähne zubeißend. Jedoch das Murmeltier kämpfte für sein Leben, und die Quälgeister abschüttelnd, hinkte es langsam nach dem schützenden Dickicht davon. Die Füchschen verfolgten es wie eine Meute Hunde und zogen es an Schwanz und Fell, konnten es aber nicht zurückhalten. Da kam die Mutter zu Hilfe, mit einigen Sätzen hatte sie es überholt und zog es wieder ins freie Feld zurück, zur Belustigung der Kinder. Dieses grausame Schauspiel wiederholte sich einigemal, bis einer der Kleinen jämmerlich zerbissen war und sein Schmerzensgeschrei die Mutter bewog, dem jammervollen Dasein des Murmeltieres ein schnelles Ende zu bereiten. –
Nicht weit vom Neste entfernt war eine mit hohem Gras überwucherte Talsenkung, der Spielplatz einer ganzen Ansiedlung von Feldmäusen. Die erste Unterweisung in der edlen Weidmannskunst, die die Kleinen, entfernt von ihrer Behausung, erhielten, war in dieser Niederung, hier hatten sie ihre erste Übungsstunde in der Mäusejagd, der leichtesten Jagd von allen. Bei der Belehrung war die Hauptsache das Beispiel der Mutter und der angeborene Instinkt. Die Alte bediente sich einiger Zeichen und Winke, die z. B. bedeuteten »Liegt still und paßt auf« oder »Kommt und macht mir alles genau nach« usw.
An einem stillen Abend zog die ganze Familie vergnügt nach der Niederung, und Mutter Fuchs hieß die Jungen im Gras stilliegen. Ein leises Quieken bewies die Anwesenheit des gesuchten Wildes. Vixen erhob sich und lief auf den Zehenspitzen in das hohe Gras; sie kroch nicht, sondern machte sich so hoch, als sie konnte, und stand zuweilen auf den Hinterfüßen, um besser Umschau halten zu können. Die Pfade, welche die Mäuse zu nehmen pflegen, sind unter dem Gewirr des Grases verborgen, und das einzige, wodurch sich der Aufenthaltsort der Mäuse feststellen läßt, ist das leichte Bewegen der Halme; das ist der Grund dafür, daß man dieser Jagd nur an windstillen Tagen obliegen kann.
Die Kunst dabei ist nun, den Ort zu bestimmen, an dem die Maus krabbelt, und sie mit einem Satze zu packen, ohne sie vorher gesehen zu haben. Nach einigen Sekunden Wartens tat Vixen einen Sprung, und mitten in dem Büschel vertrockneten Grases, das sie packte, quiekte eine Feldmaus zum letztenmal.
Sofort war sie verschlungen, und die vier häßlichen kleinen Füchse versuchten nun, es ihrer Mutter nachzutun. Als der Älteste zum erstenmal in seinem Leben solch ein zappelndes Wesen erwischte, zitterte er vor Erregung und grub seine perlenweißen, kleinen Milchzähne in die arme Maus mit einer angeborenen Wildheit, die ihn selbst zu überraschen schien.
Eine weitere Lehrstunde wurde an einem Eichhorn erteilt. Eines von diesen lärmenden, sehr nervösen Geschöpfen wohnte dicht neben der Behausung der Füchse und pflegte den halben Tag damit zuzubringen, die ehrenwerte Familie von irgendeinem sicheren Zweige aus zu beschimpfen. Die Jungen machten viele vergebliche Versuche, es zu erwischen, wenn es von einem Baum zum anderen über die Lichtung rannte oder sie aus nächster Nähe mit den gemeinsten Schimpfreden überschüttete. Alt-Vixen war sachverständig in der Naturgeschichte; genau kannte sie die Gepflogenheiten eines Eichkätzchens und nahm die Sache in die Hand, sobald es ihr angemessen schien. Sie versteckte ihre Kinder und legte sich flach mitten in der Lichtung nieder. Das freche, niedrig denkende Eichhorn kam und begann wie gewöhnlich zu schimpfen. Jedoch die Füchsin zuckte mit keiner Wimper. Das Eichkätzchen kam näher und schrie schließlich von einem Zweig über ihr herunter: »Du Lump du, du Lump du!« Aber Vixen lag da wie tot. Das schien dem Eichhorn höchst merkwürdig. Sich ängstlich umschauend, kam es den Baumstamm herab und lief mit einem kräftigen Anlauf über den Rasen hinüber nach einem anderen Baum, um dort seine Schimpferei von neuem zu beginnen.
»Du Lump du, du trauriger Lump du, Skrrr – skrrr!«
Aber unbeweglich und leblos lag Vixen im Grase. Das war dem Eichhorn denn doch zu viel. Es war von Natur aus neugierig und abenteuersüchtig, wieder kam es von seinem Baum herunter und eilte über die Lichtung, diesmal näher als zuvor.
Wie tot lag Vixen, »sicherlich, sie war tot«. Die Meinen Füchse fingen an zu glauben, ihre Mutter sei eingeschlafen.
Das Eichhorn arbeitete sich mehr und mehr in einen Anfall von närrischer Neugier hinein. Ein Stück Baumrinde hatte es gerade auf Vixens Kopf geworfen, seine Liste von gemeinen Schimpfworten hatte es aufgebraucht und sie bereits wiederholt, aber auf nichts eine Antwort erhalten. Nachdem es noch einige Male die Lichtung gekreuzt hatte, wagte es sich in die nächste Nähe der in Wirklichkeit lauernden Füchsin, die sofort aufsprang und das dumme Eichhorn im Nu beim Genick packte.
Und die Kleinen knabberten die Knochen, oh!
So wurden nach und nach die Anfangsgründe zur Erziehung der Jungen gelegt, und als sie stärker wurden, nahm man sie weiter hinaus und begann die höhere Unterweisung im Fährtensuchen und Fährtenfinden.
Jedes Wesen hat eine besondere Art zu jagen; denn ein jedes Tier hat irgendeine große Stärke, sonst könnte es nicht leben, und irgendeine große Schwäche, sonst könnten die anderen nicht leben. Des Eichhorns Schwäche ist alberne Neugier, die des Fuchses, daß er keinen Baum ersteigen kann. Die Erziehung der kleinen Füchse war auf dem Grundsatze aufgebaut, sich die Schwächen anderer Tiere zunutze zu machen oder ihre Stärke durch Schlauheit zu überbieten.
Von ihren Eltern lernten sie die Hauptlehrsätze der Fuchsweisheit. Das Wie ist nicht so leicht zu erklären, aber daß sie diese unter der Leitung der Alten lernten, bewiesen sie bald. Folgendes sind einige Regeln, die sie den Füchsen beibrachten und die ich ihnen ablauschte:
»Schlafe niemals auf deiner Fährte!
Deine Nase sitzt vor den Augen, darum traue ihr zuerst!
Nur ein Narr läuft mit dem Wind!
Ein laufender Bach heilt manch Ungemach!
Gehe niemals den geraden Weg, wenn du einen krummen findest!
Ist dir etwas fremd, so ist's dir auch feindlich!
Staub und Wasser verderben den Geruch!
Jage niemals Mäuse in einem Walde, wo Hasen sind oder Hasen im Hühnerhof!
Lauf' nicht im Gras!«
Eine Ahnung von der Bedeutung dieser Regeln begann bereits in den Köpfen der Kleinen zu dämmern. So z. B. »Folge niemals einem Dinge, das du nicht riechen kannst!« Das war ihnen klar, denn wenn sie es nicht riechen konnten, stand der Wind so, daß es sie riechen mußte.
Nach und nach lernten sie alles kennen, was da in ihrem heimatlichen Forste kroch und flog, und als sie groß genug waren, um mit ihren Eltern weitere Ausflüge unternehmen zu können, kamen ihnen noch viele neue Tiere zu Gesicht. Bald bildeten sich die Kleinen ein, sie wüßten alles; jedoch eines Nachts nahm sie die Mutter mit hinaus ins Feld und zeigte ihnen einen fremdartigen, flachen Gegenstand, der auf der Erde lag. Die Alte brachte ihre Jungen dorthin, damit sie an diesem unbekannten Ding riechen sollten, und beim ersten Schnüffeln standen ihnen alle Haare zu Berge, sie zitterten an allen Gliedern und wußten nicht warum – es schien in ihrem Blute zu kitzeln und sie mit Haß und Furcht zu erfüllen. Als die Alte die Wirkung sah, flüsterte sie ihnen zu: »Das ist Menschengeruch!«
Inzwischen verschwanden unsere Hühner, eins nach dem andern. Noch hatte ich das Nest mit den Jungen nicht verraten; denn ich hielt von diesen kleinen Räubern mehr als von unseren langweiligen Hühnern. Mein Onkel war natürlich höchst aufgebracht und machte die verächtlichsten Bemerkungen über meine Tüchtigkeit als Jäger. Um ihm gefällig zu sein, nahm ich eines Tages den Hund mit auf einem Wege durch den Wald, und während ich mich auf einem Baumstumpf an der unbewachsenen Hügelseite niederließ, lief der Hund suchend umher. In weniger als drei Minuten gab er den allen Jägern so wohlbekannten Laut: »Fuchs! Fuchs! Fuchs!« und hinab ging die Hetze ins Tal.
Nach einer Weile hörte ich sie zurückkommen. Voran mein alter Bekannter, der Fuchs, der in leichten Sprüngen die Uferböschung hinab auf den Fluß zulief, Dann trottete er in dem seichten Wasser einige hundert Meter am Ufer entlang und kam gerade mir gegenüber heraus. Obwohl ich ohne Deckung saß, sah er mich nicht, sondern kam den Hügel hinauf, über die Schulter hinweg den Hund beobachtend. Ungefähr vier Schritte vor mir drehte er um, ließ sich nieder, verdrehte den Hals, mit gespannter Aufmerksamkeit dem vergeblichen Suchen des Hundes zusehend. Ranger kam bellend die Fährte entlang, bis er am laufenden Wasser anlangte. Dort verlor er die Spur und suchte ratlos hin und her. Da gab es nur einen Ausweg, er mußte den Fluß an beiden Ufern so lange auf und nieder laufen, bis er die Stelle gefunden hatte, wo der Fuchs das Land betreten.
Der alte Schlaumeier vor mir änderte seine Stellung etwas, um besser Umschau halten zu können, und beobachtete mit einem geradezu menschlichen Interesse das Hin- und Hersuchen des Hundes. Er saß so nahe bei mir, daß ich sehen konnte, wie sich die Haare auf seiner Schulter sträubten, als der Hund näherkam. Das vor Erregung klopfende Herz konnte ich an die Rippen schlagen sehen, ebenso das Aufleuchten seiner gelben Augen. Als der Hund die Fährte am Wasser verloren hatte und vollkommen verwirrt umherlief, war es einfach komisch zu beobachten, wie Meister Reineke nicht mehr stillsitzen konnte, sondern vor Freude hin und her sprang und sich auf den Hinterfüßen erhob, um eine bessere Aussicht auf seinen langsam sich zurechtfindenden Verfolger zu bekommen. Mit beinahe bis an die Ohren aufgerissenem Maule atmete er geräuschvoll einige Male oder, besser, lachte er belustigt, wie es Hunde zuweilen zu tun pflegen.
Als Ranger dann langsam den Hügel hinaufkam, drückte sich der alte Fuchs gemächlich in den Wald. – Nur vier Schritte vor mir war er gesessen, aber ich hatte den Wind gegen mich und war mäuschenstill sitzen geblieben, und er hatte nicht bemerkt, daß sein Leben zehn Minuten lang in der Hand seines bestgehaßten Feindes lag. Auch Ranger würde an mir vorbeigelaufen sein, hätte ich ihn nicht angerufen. Mit einem kleinen, aufgeregten Schreck verließ er die Fährte und warf sich schnaufend und außer Atem zu meinen Füßen nieder.
Diese Komödie wiederholte sich mit einigen kleinen Veränderungen mehrere Tage hintereinander. Mein Onkel verlor endlich bei dem täglichen Verlust seiner Hühner die Geduld und begab sich in höchsteigener Person hinaus, ließ sich auf dem Hügel nieder, und als der alte Reineke nach seinem Beobachtungsposten getrottet kam, schoß er ihn erbarmungslos nieder, gerade als sich das schlaue Füchslein über eine neue Nasführung des Hundes gebührend belustigte.
Die Hühner verschwanden jedoch wie zuvor. Mein Onkel schäumte vor Wut und beschloß, den Vernichtungskrieg nun selbst zu leiten. Er besäte die Wälder förmlich mit vergifteten Ködern, dabei auf sein gutes Glück vertrauend, daß unsere Hunde sich nicht daran machten. Sooft er mich sah, erging er sich in wenig liebenswürdigen Bemerkungen über seinen Glauben an meine Weidmannskunst, und Abend für Abend trieb es ihn hinaus mit seiner Büchse und zwei Hunden, in der Hoffnung, den Räuber zu erwischen.
Vixen war nicht so dumm, sie wußte ganz genau, was ein vergifteter Köder war, sie lief an ihnen vorüber und behandelte sie mit Verachtung. Nur einmal nahm sie einen auf, warf ihn in die Höhle eines alten Feindes, eines Skunks, und vom selbigen Tage an ward dieser nicht mehr gesehen. Früher hatte der alte Reineke die Hunde auf sich genommen und sie von der Behausung ferngehalten. Jetzt lag auf Vixen die ganze Last der Erziehung und Ernährung der Jungen allein, sie konnte nicht viel Zeit damit verschwenden, jede Fährte, die nach der Höhle führte, zu verwischen, und war auch nicht immer zur Hand, um Feinde irrezuführen.
Das Ende war leicht vorauszusehen. Ranger folgte eines Tages einer frischen Fährte nach der Höhle, und kurz darauf verkündete Flick, der englische Jagdhund, ein Foxterrier, daß die ganze Familie zu Hause sei.
Das Geheimnis war nun heraus und die Stunden der Füchse gezählt; Arbeiter wurden herbeigerufen und begannen sie herauszuschaufeln, während wir mit den Hunden dabeistanden. Noch ehe das Werk vollendet war, zeigte sich Vixen am nahen Waldsaum und führte die Hunde davon, hinab nach dem Flusse. Dort schüttelte sie ihre Verfolger durch einen schlauen Kunstgriff ab, indem sie einfach auf den Rücken eines friedlich weidenden Schafes sprang. Das geängstigte Tier raste mit seiner Reiterin davon, die – sicher, daß die Hunde ihrer Spur nicht mehr folgen konnten – nach einigen hundert Metern herabsprang und nach der Höhle zurückkehrte. Aber die Verfolger, stutzig gemacht durch das Verschwinden der Fährte, taten dasselbe und fanden Vixen, sich vergeblich abmühend, auch uns von ihren Schätzen hinwegzulocken.
Inzwischen hatte mein Onkel Hacke und Schaufel mit Kraft und Erfolg gebraucht. Der gelbe, grobe Sand häufte sich zu beiden Seiten, und der rüstige Schatzgräber verschwand bald in der Tiefe. Nach einer Stunde harter Arbeit rief der Alte:
»Da haben wir das Gesindel!«
Die Höhle am Ende des Tunnels war blaßgelegt, und in einer Ecke zusammengeduckt saßen die vier Jungen.
Ehe ich Einspruch erheben konnte, hatte ein mörderischer Schlag mit der Schaufel und ein plötzliches Zufahren des Foxterriers das Leben von dreien beendet. Das vierte und kleinste wurde am Schwanze herausgezogen und den Hunden nur mit Mühe entrissen.
Es gab einen kurzen, quiekenden Schrei von sich; und die arme Mutter, dadurch herbeigelockt, kreiste so nahe um uns herum, daß sie sicher niedergeschossen worden wäre, hätten die Hunde sie nicht in ihrem Übereifer beschützt; denn sie liefen immer in die Schußlinie. Zuletzt führte sie sie zu einer erfolglosen Jagd davon.
Der kleine lebende Fuchs wurde in einen Sack gesteckt, wo er ganz ruhig lag, und seine unglücklichen Geschwister wurden in ihre Kinderstube zurückgeworfen und unter einigen Schaufeln voll Erde begraben.
Wir Mörder begaben uns nach dieser Hinrichtung nach Hause, und der Kleine wurde im Hofe angekettet. Niemand wußte recht, warum man ihn am Leben gelassen, aber bei uns allen machte sich eine Gefühlsänderung bemerkbar, und keiner kam auf den Gedanken, auch ihn zu töten.
Es war ein hübscher, kleiner Kerl, der aussah wie eine Kreuzung zwischen Fuchs und Lamm. Seine wollige Gestalt und sein Gesicht ähnelten merkwürdig einem Schaf, und sein Ausdruck war unschuldig, wie der eines Lammes. Bei scharfem Beobachten jedoch konnte man in seinen Augen ein Aufleuchten von Schlauheit und Wildheit erkennen, das ihn einem Lamm so unähnlich wie möglich machte.
Solange jemand in seiner Nähe war, verkroch er sich furchtsam in der Hütte, und es dauerte eine volle Stunde, bis er es wagte, wieder herauszuschauen.
Mein Fenster mußte jetzt die Stelle des hohlen Weidenstammes vertreten. Eine Anzahl Hühner von der Rasse, die dem Füchschen nur zu gut bekannt war, trieben sich in der Nähe auf dem Hofe herum. Am späten Nachmittag, als sie sich zu nahe an den Gefangenen herangewagt hatten, wurde ich durch das plötzliche Rasseln der Kette ans Fenster gelockt und erblickte den kleinen Burschen, der auf das nächste Huhn zusprang und nur von einem heftigen Ruck der Kette zurückgehalten wurde, es zu packen. Reineke junior krabbelte wieder aus die Füße und kroch zurück in seine Hütte. Er versuchte dasselbe Manöver noch verschiedene Male, wurde aber immer wieder von der grausamen Kette zu Boden geschleudert.
Als die Dämmerung hereinbrach, begann er unruhig zu werden. Er schlüpfte aus seiner Hütte heraus, verkroch sich aber beim leisesten Geräusch wieder, nagte an seiner Kette oder biß wütend darauf herum. Plötzlich hielt er inne, als ob er lauschte, erhob dann seine kleine schwarze Nase in die Luft und gab einen kurzen, zitternden Schrei von sich.
Dies wiederholte er einige Male, die Pause durch Knabbern an der Kette und ruheloses Umherlaufen ausfüllend. Da plötzlich ertönte eine Antwort, das ferne »Japp-Jurr« der alten Füchsin, und einige Minuten später erschien eine schattenhafte Form auf einem Holzhaufen in der Ecke des Hofes. Der Kleine kroch in seine Hütte, kam aber sofort wieder heraus und sprang der Alten entgegen, mit all der Freude, die nur ein Kind seiner Mutter zu zeigen imstande ist. Schnell wie der Blitz packte sie ihn, um ihn auf demselben Wege davonzutragen, den sie gekommen. Jedoch in dem Augenblick, als das Ende der Kette erreicht war, wurde der Kleine der Mutter mit einem Ruck entrissen, und erschreckt durch das Öffnen eines Fensters entfloh sie über den Holzhaufen.
Eine Stunde später hatte das Junge aufgehört, ruhelos hin und her zu laufen und zu schreien. Ich schaute hinaus und sah beim fahlen Licht des Mondes die Mutter lang ausgestreckt neben ihrem Söhnchen liegen und an etwas knabbern – das Klirren von Eisen verriet mir, an was –, es war die grausame Kette. Tip, das Söhnchen, bekam inzwischen einen warmen Trank.
Als ich heraustrat, entfloh Vixen in den dunklen Forst. Neben der Hütte hatte sie zwei kleine Mäuse zurückgelassen, blutig und noch warm – Futter für das Junge.
Am folgenden Morgen fand ich bei einem Gang durch den Wald nach der zerstörten Höhle neue Zeichen von Vixen. Die arme, unglückliche Mutter war gekommen und hatte die Leichen ihrer erschlagenen Kinder ausgegraben.
Da lagen die drei kleinen Füchse, glatt geleckt, und daneben zwei von unseren Hühnern, eben erst getötet. Auf der frisch aufgeworfenen Erde waren überall Spuren, Spuren, die erzählten, daß hier die Mutter an der Seite ihrer Toten gewacht. Neben ihnen hatte sie sich hingestreckt, ihnen vergeblich Nahrung angeboten und versucht, sie zu füttern und zu wärmen wie früher. Aber nur kleine, steife Leichen hatte sie unter ihrem weichen Fell gefühlt und kleine, kalte Nasen, still und unbeweglich. Der tiefe Eindruck von Ellbogen, Brust und Läufen zeigte, wo Vixen gelegen in ihrer stummen Verzweiflung und gewacht stundenlang und getrauert – eine Mutter um ihre Kinder. Nach dieser Nacht kam sie nicht wieder nach dem zerstörten Heim; denn sie wußte jetzt gewiß, daß ihre Kleinen tot blieben für immer.
Tip, der Gefangene, der einzig Überlebende von Vixens Jungen, war nun der Erbe ihrer ganzen Liebe. Die Hunde waren losgelassen, um die Hühner zu bewachen, die Leute hatten Anweisung, sofort zu schießen, wenn sich die Füchsin zeigte, und auch mir war dieser Befehl zugegangen, aber ich war entschlossen, nichts zu sehen. Die Köpfe geschlachteter Hühner, die der Fuchs besonders liebt, und die ein Hund nicht anrührt, hatte man vergiftet und im Walde ausgestreut, und der einzige Weg, zum Hofe zu gelangen, wo Tip in erniedrigender Gefangenschaft lebte, war über den Holzstoß in der Ecke. Trotz aller Maßregeln erschien Vixen in jeder Nacht, um ihr Junges zu säugen und ihm frischgefangene Hühner oder Wild zu bringen.
In der zweiten Nacht von Tips Gefangenschaft vernahm ich das Rasseln der Kette und erblickte die Füchsin, wie sie eifrig ein Loch neben des Kleinen Hütte scharrte. Als es tief genug war, um sich selbst darin zu begraben, packte sie die Kette hinein und füllte das Loch darüber wieder zu. Dann ergriff sie, triumphierend bei dem Gedanken, daß sie die Kette nun los sei, den kleinen Tip beim Genick und sprang in der Richtung nach dem Holzhaufen davon, aber nur mit dem Erfolg, ihr Junges mit einem Ruck von sich gerissen zu sehen.
Armer, kleiner Kerl, er wimmerte jämmerlich, als er in seine Hütte zurückkroch. Eine halbe Stunde später hörte ich die Hunde wütend anschlagen, und als sich das Bellen weiter und weiter entfernte, wußte ich, daß sie auf Vixens Fährte waren. Nördlich, in der Richtung nach der Bahnlinie, ging ihre Jagd, und das Bellen verklang in der Ferne. Am anderen Morgen fehlte Ranger, und bald wußten wir warum. Füchse lernen beizeiten die Vor- und Nachteile einer Eisenbahn kennen und wissen sie sich aus verschiedene Weise zunutze zu machen. Erstlich pflegen sie, wenn verfolgt, die Schienen entlang zu laufen, kurz bevor ein Zug darüberfährt. Die Spur, auf Eisen sowieso schwer zu verfolgen, wird von dem Zug ganz und gar verwischt, auch ist immer die Möglichkeit vorhanden, daß der eifrig suchende Hund überfahren wird. Ein anderer sicherer, aber gefährlicher Kniff besteht darin, den Hund quer über die Schienen direkt vor einem Zuge hinwegzuführen, so daß die Lokomotive ihn überholt und tot zur Seite schleudert.
Dieser Kunstgriff war von Vixen meisterlich ausgeführt worden, und am Fuße des Bahndamms fanden wir die zermalmten Überreste unseres alten, treuen Rangers, und irgendwo im Walde saß die Füchsin und lachte sich ins Fäustchen.
Noch in derselben Nacht kam sie zum Hofe zurück, ehe der müde Jagdhund Flick sich eingefunden hatte, mordete eine Henne, brachte sie Tip und streckte sich außer Atem neben ihm nieder. Sie schien zu glauben, der Gefangene bekäme keine andere Nahrung als die, die sie ihm brachte.
Diese Henne verriet meinem Onkel den nächtlichen Besuch.
Meine volle Zuneigung und Teilnahme war mit Vixen, und ich weigerte mich, meine Hand zu neuem Morde zu bieten. In der nächsten Nacht wachte mein Onkel in höchsteigener Person, das Gewehr im Arm, eine ganze Stunde. Als es dann kühler wurde und der Mond sich umwölkte, fiel ihm irgendein anderes wichtiges Geschäft ein, und er rief einen von unseren Leuten an seine Stelle.
Doch dieser machte es sich bald bequem, als die Stille der Nacht und das gespannte Wachen seine Nerven zu sehr anstrengten, und das laute »Bäng! Bäng!« eine Stunde später regte uns wenig auf; denn es war nur Pulver um nichts verschossen worden.
Am Morgen fanden wir, daß Vixen ihr Junges nicht vergessen. – Den nächsten Abend hielt mein Onkel zum zweitenmal Wache, da wieder ein Huhn verschwunden war. Kurz nach Eintreten der Dunkelheit ertönte ein Schuß; Vixen ließ die Beute, die sie trug, fallen und entfloh. Ein zweiter Versuch, den sie in der gleichen Nacht machte, ließ wieder einen Schuß folgen. Jedoch am Morgen bewies das Glänzen der Kette, daß sie zum drittenmal gekommen war und stundenlang vergeblich versucht hatte, die grausamen Bande, die ihr Kleinod hielten, zu durchbeißen.
Eine solche Tapferkeit und standhafte Treue muß Achtung, wenn nicht gar Mitleid gewinnen. In der nächsten Nacht wachte kein Schütze, und alles war still. Was sollte es auch nützen? Dreimal war Vixen durch Schüsse hinweggejagt worden, würde sie nun noch einmal versuchen, ihr gefangenes Kind zu befreien oder zu füttern?
Würde sie es tun? Ihre Liebe war die einer Mutter! Es war in der vierten Nacht, als das klagende Wimmern des Kleinen beim Auftauchen einer schattenhaften Gestalt auf dem Holzstoß verstummte.
Aber sie trug keinen Vogel, kein Beutestück, soviel ich erkennen konnte. Hatte die geschickte Jägerin am Ende ihr Ziel gefehlt? Brachte sie nichts für ihren Einzigen oder vertraute sie auf die Pflege seiner Wächter?
Nein, gewiß nicht! Der wilden Mutter Liebe und Haß waren felsenfest, und ihr einziger Gedanke und Wunsch war, ihren Sohn zu befreien. Alles hatte sie versucht, und jeder Gefahr hatte sie getrotzt, um ihn freizumachen, aber alles war vergeblich gewesen.
Wie ein Schatten war sie gekommen und im Augenblick wieder verschwunden. Tip packte gierig etwas, was sie ihm zugeworfen, und schlang und kaute mit Behagen. Aber während er noch fraß, entfuhr ihm plötzlich ein Schrei voll Schmerz; dann folgte ein kurzer Todeskampf, und Tip war nicht mehr.
Die Mutterliebe in Vixen war stark, aber ihre Überlegung war stärker. Sie kannte des Giftes Gewalt, und als sie am Ende einsah, daß sie für ihr Junges zu wählen hätte zwischen dem traurigen Leben eines Gefangenen oder dem plötzlichen Tod, unterdrückte sie die Mutter in ihrer Brust und befreite es auf diese einzig mögliche Weise.
*
Wenn der Schnee den Boden bedeckt, pflegen wir den Waldbestand aufzunehmen, und als der Winter kam, erzählte er mir, daß Vixen nicht mehr in den weiten Forsten jenseits unseres Flusses hauste. Wohin sie gezogen, habe ich nie erfahren, aber so viel war sicher, in unserer Nachbarschaft weilte sie nicht mehr.
Vielleicht war sie nach weit entfernten Jagdgefilden ausgewandert, um der traurigen Erinnerung an ihre gemordeten Lieben zu entfliehen. Oder sie war freiwillig von dem Schauplatz eines traurigen Daseins abgetreten, wie manche wilde Mutter es vor ihr getan, mit Hilfe des gleichen Mittels, mit dem sie ihren Sohn, das letzte ihrer Kinder, befreite.