Willy Seidel
Der Tod des Achilleus
Willy Seidel

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IV

Auf dem Zedernholzturm lag der Leichnam und leuchtete. Der Geist des Achilleus umkreiste ihn mit lautlosen Schwingenschlägen; seine gespreizten Arme, zwischen denen sich ein Etwas blähte wie Stoff eines Gewandes, durchfächelten die Luft.

Dieser Stoff, der an seinen Fingerspitzen hing wie zartestes Spinnennetz, wie Byssusflor, mündete als wimpelndes Band im Nabel des Toten, bald sich straffend, bald als locker wallende Knüpfung. – Unausdenkbares, so fühlte er in namenloser Furcht, müsse geschehen, wenn dies Band zerrisse; denn dann würde er nicht mehr sehen können, was mit seinem Körper vor sich gehe.

Auf den gekreuzten Zederbohlen standen Schalen mit Wein, Honig und Gewürzen. Dann schleppten sie Rinder herzu und Schafe. Aus den offenen Kehlwunden der Tiere stieg ein Brodem auf. Lüsternheit, gegen die er nicht ankämpfen konnte, ergriff den Geist; mit geweiteten Nüstern und tastender Zunge ließ er sich nieder dort, wo das frische Tierblut troff. Er hörte sich schlürfen ... doch nun trat der riesige Agamemnon heran mit brennender Fackel, deren Lohe im Sonnenlicht durchsichtig waberte und schwarze Schwaden aufwärts schickte. Der Geist, in seiner Mahlzeit unterbrochen, wich voll Unmut zurück; der Durst war noch da, aber auch ein wiedererwachter Haß auf den, der ihn nun erneut zur Seite stieß und kränkte ...

Jetzt war er machtlos, und Angst erfaßte ihn, ja Gewißheit, daß der mit der Fackel sein Todfeind sei. Durch die aufwölkenden Rauchschwaden erblickte er die bunte Spange am Arm Agamemnons, der sich gebückt hatte und die untersten Bohlen entzündete. Die Gruppen der Männer bewegten sich in voller Rüstung zu Pferd um den Turm, und er vernahm ihre eintönigen Klagegesänge. Einer kam, der führte seine beiden Hengste Xanthos und Balios am Zaum; sie hielten die Köpfe gesenkt, aus ihren Augen glitten Tränen, und ihr Schnauben klang wie Geschluchz. Auf bestickten Sandalen, deren vergoldete Schnäbel er, an der weichen Regung ihrer runden Knie vorbeispähend, wunderlich wiedererkannte wie ein verschollenes Geschenk, lief ein junges Weib herzu, verschränkte die leuchtenden Arme über dem Haupt und schnitt sich mit drei rasenden Hieben eines sichelförmigen Messers die ebenholzschwarze Lockenflut herunter: Briseïs ... Sie, die Raubbeute dessen, der soeben die hämische Brandfackel gelegt – sie warf das, worin des Achilleus mordmüde Hände sich ungezählte Male gekühlt, ihr Haar, in die Glut ...

Briseïs ... Und dort standen die Maste der Schiffe im Sonnengold. Dort starrten, wie Klötze, die Basteien Ilions ... die unbesiegten! Der Hellespontos war ein einziges Funkeln. Hier war das pochende Leben, das bunte Abenteuer. Ein sanfter Wind bewegte die Zelttücher, die wie Segel schwollen. Geier kreisten über der Walstatt. Es war schwer, von diesem allem zu scheiden. Vom Sonnenlicht zu scheiden. Es ging nicht an. Es war zu früh.

Doch die Lohe hatte nun gezündet und leckte golden, sprang spitzzüngig und prasselte. Schon brannte der Unterbau; schon splitterten die Weiheschalen, kohlten die Kadaver der Tiere. Noch hielt das flaumleichte magische Band ... Doch bald, bald mußte es reißen ...

Da krachte es im schwelenden Holz. Der Leichnam machte eine Drehung, als wolle er das Antlitz verbergen und zur Erde wenden.

Das ganze Bild: Scheiterhaufen, Zelte, Schiffe, funkelndes Meer, wurde rauchfarben. Und auf einmal, nach einem kurzen Schmerz, nach einem grausamen Schlag, war gar nichts mehr da als dieses ebenmäßige, alles schluckende wunderliche Grau.


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