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Der wohlhabende Teppichhändler Abu-Nabbut ging seitlich von der Schubra-Allee nach dem Herzen Kairos und nach seiner Wohnstätte zurück. Eine von Akaziengeruch durchsetzte Staubluft lag durchsichtig über dieser Strecke, die, wie stets in der Abendstunde, von Verkehr wimmelte. Die monotonen Schreie der nacktfüßigen Saîs, die mit klatschenden Sprüngen die Menge zerteilten, waren der heisere Unterton der Geräuschwelle um den würdig dahinwandelnden Abu-Nabbut. Eunuchen, in Turbanen und prallen Livreen, blinzelten voll fetten Hochmuts von den Kutscherböcken herab; in den Fonds federnder Equipagen lagen Damen und bewegten dunkle Augen über den Säumen gebauschter Gesichtsschleier. Eseljungen hieben ihre eilig trippelnden, staubgrauen Tiere, deren Ohren unablässig auf- und niederwippten; ein ganzes Kontingent von schreienden, halbnackten Fellachen, die leere Wasserschläuche auf den beweglichen Schultermuskeln hin- und herwarfen, brach sich Bahn. Dann stolperte ein grauhaariger Orangenverkäufer durch das Gedränge und pries seine Ware, die goldgelb aus einem schmutzigen Bastkorb quoll, mit wüster, tonloser Stimme; oder träge Kerle mit blatternarbigen Gesichtern stießen ihre Zuckerrohrbündel wie Lanzen vor sich her. Eine Wolke von Gerüchen, abgelagert und sonnverbrüht, ging von diesem zügellosen Menschenknäuel aus, der sich, vom 128 Stumpfsinn der Hitze erlöst, seinen nächtlichen Späßen entgegenwälzte. Zuweilen erhob sich ein Parfüm, ein Rüchlein Moschus oder Heliotrop, und flatterte wie ein Schmetterling, schnell und verstohlen, über die wechselnden Miasmen. Die Abendländer sausten auf ihren Gigs, Kabrioletts oder Korbwägen vorüber; einige kehrten auch beritten von ihren Ausflügen nach Karafe oder der Insel Roda in die Stadt zurück.
Abu-Nabbut schlenderte behaglich des Weges. In seinem schwarzen, rund geschnittenen Vollbart stak eine breite Zigarette, deren Rauch er in die Nüstern seiner beweglichen Nase sog. Seine apathischen Augen – die nur zuweilen blitzartig scharfe Blicke aussandten – ruhten hinter fetten Lidern, halb verdeckt von kohlschwarzen Wimpern. Er ging ohne Prunk, sacht und geräuschlos in seinen Pluderhosen aus brüchiger Seide; seine Hände verschränkten sich auf der breiten Schärpe; von ihren Knöcheln fielen die Ärmel wie große Faltensäcke. Zuweilen konnte man an den Fingern die weißgrauen Nagelkuppen und große Edelsteine in altertümlicher Fassung sehen. Er hatte etwas Verschmitztes und Fürstliches zugleich an sich; er war ein gut unterrichteter und behäbiger Mann.
Er ging über den Platz, wo der Korso wogte, und in der Nähe von Shepherds Hotel zögerte sein Schritt. Der Mann wurde für Sekunden gleichsam steinern; seine Kleidung, seine Ärmel hörten auf zu wallen. 129 Seine Augen wurden kreisrund; etwas wie eine dicke, zurückschnappende Stahlfeder straffte seinen Nacken. Dann sah er sich schnell um; seine schimmernden Zähne ließen jäh Luft hervorzischen: ein wütender Kehllaut entfuhr ihm, während er die Finger in der Luft spreizte. Sein Fuß zertrat die entfallene Zigarette, und, die Stirn in Falten gelegt, ging er langsam weiter.
Der Himmel wurde dunkelblau; weite Sterngefilde blühten. Die schwarzen Nadeln der Minarette zerstachen den Horizont; die Kuppeln auf den Mausoleen der Kalifen verschwammen zu massigen Wellen von besänftigter, geisterhafter Ruhe. Von den Türmen der Amr-, Kait-Bey- und El-Ahzar-Moschee fielen die Rufe der Muezzin; Taubenschwärme, die im Filigranwerk des zweifarbigen Marmors hausten, stoben knatternd ein letztes Mal um die Galerien.
Abu trat in das Gewirr von schattigen Gassen, in denen Lärm und Geschrei herrschte. Er ging in die Straße Sook-el-selah, wo er wohnte, und verschwand in der niedrigen geschnitzten Holztüre.
In dem überkragenden ersten Stockwerk mit keilförmig vorgespitzten Fensterläden, die man partienweise öffnen konnte, lag Abus Reich. Das Haus war auf das Fundament eines älteren, kleinen Palastes gepflanzt, von dem noch einige Säulenstrünke mit marmornem Rankenwerk in der roh beworfenen Backsteinmauer steckten. Von der Gasse betrachtet, war es trostlos 130 taubenkot-beschmitzt vom First bis zum Türpfosten; grau, bröckelig und dürftig; innen war es bunt und reich. Abu durchschritt die offene Mandara und ging in den Harim. Kein Laut von draußen kam herein. Hier war es kühl; kleine, an Schnüren herabhängende Glaslampen brannten. Draußen, an der Hinterseite des Hauses, gurgelte der Kanal, der zwischen hohen Mauern den Unflat der Stadt nach dem Nile rollte. Dieses trübe Lehmwasser quälte sich seit Jahrzehnten nach einem Sonnenblick ab, den es nur in flüchtigen Streifen erhielt; und in den Nächten erzählte es verstohlene, lange Märchen, die einschläferten wie das dürre Geräusch der Ratten in der schlammigen Kellertiefe.
Die drei Gattinnen Abus regten sich nicht, als er kam. Zwei schliefen, faul in den Kissenwust des Erkers vergraben, und die dritte saß aufrecht, das Auge von trägen Träumen verhüllt, die mit den sanften Ornamenten des Teppichs verschmolzen. Abu räusperte sich, sie atmete eine kaum hörbare Begrüßung und ging mit klappernden Fußringen hinaus, um ihm die Haschischpfeife mit allem Zubehör zu bringen. Abu blieb ernst und würdig. Er öffnete seine Kleidung ein wenig, warf einen Geldbeutel in einen hölzernen Verschlag, wo er mit kurzem, wuchtigem Klirren niederfiel, und ließ sich hierauf von der schweigsamen Gattin eine Art Sessel aus Kisten errichten, in dem er, halb 131 sitzend, versank. Leise schmatzend rauchte er. Eine farblose graue Wolke stieg auf. Er blies stark, bis das Pflanzengift ins Schmoren kam. Dann verfiel er in Lethargie. Ein lebhaftes Traumleben begann sich um ihn zu entfalten.
Da war Ismael, der Türhüter von Shepherds Hotel, mit dem frech zugespitzt Tarbusch und der langen baumelnden Quaste daran. Er war fünfzehn Jahre alt und sah aus wie ein Prinz. Sein Burnus und seine Pluderhosen waren funkelnd weiß, dazu trug er ein gesticktes Jäckchen. Er verdiente Berge von Trinkgeldern, hübsch und anstellig wie er war. Die Fremden verzärtelten ihn; und selbst der Khedive hatte ihm einmal zugelächelt. Auf einmal war Ismael der Sklave Abus; sie befanden sich in blinzelndem Einverständnis miteinander.
»Allah ist gnädig!« sagt Abu. »Wer ist die Herrin?«
»Eine Deutsche,« flüstert Ismael. »Sie wohnt seit gestern in Shepherds Hotel.«
Irgend eine dunkle, leiernde Musik kreist im Kopfe Abus. Ismael scheint seine Gedanken zu erraten; er tanzt wie ein kleiner Satan auf einem Bein. Abu sagt noch – er hört die eigenen heiseren Worte ganz vernehmlich –: »Ich habe den zehnten Beutel Goldzechinen gestern in den Verschlag fallen lassen. Einer davon ist dein, wenn du die Herrin in mein Haus 132 lockst . . . Sie wird Teppiche kaufen wollen. Ich habe ein großes Lager; schöne Ware; der Khedive putzt seinen Harim im Schubra-Palast damit.« Und Ismael lacht und nickt unaufhörlich.
Die Dame hat zwei Begleiter. Er sieht sie in ihren weißen Flanellanzügen, wie sie ihre langen, ungeschickten Beine von den Eseln herabhängen lassen. Sie haben lachsfarbene Gesichter und hellblaue Augen. Sie trinken und lachen viel; man kann sie leicht übertölpeln. Aber ihre Revolver sitzen locker in den ledernen Gürtelfutteralen. Wenn ihre kalten Blicke auf Abu ruhen, siedet sein Blut vor Haß. Doch lächelt er und schicke Ismael; und auf einmal ist die Herrin bei ihm, bei Abu. Ihre helle, scharfe Stimme ertönt; und Abu sieht die blonden Haare auf ihrem weißen, kräftigen Nacken flimmern und fühlt die kleinen, harten weißen Hände, die herrisch an seinem knisternden Barte zupfen.
Abu, in seinem Rausch, stöhnt leicht. Seine Finger krallen sich um die Kissen. Die hellgraue Rauchsäule, von seinem hastigen Atem zerfetzt, verbreitet sich, und in seinem Hirn entsteht das brennende Bild von einer jähen Gewalttat – – –
Das war sein geheimer Exzeß gewesen, seine geheime Lust. Täglich ging er aus und spähte nach dem Hotel hinüber. Er sah die Deutsche zuweilen auf der Veranda sitzen, ihre Begleiter lagen in Korbstühlen, die 133 Taschentücher um die Köpfe gewickelt. – Als Abu das dritte Mal vorüberkam, nahm das Mädchen eine perlmutterne Lorgnette und besah ihn sich.
Abu trug sich fortan reicher. Er ging wie ein Pfau und schminkte sich. Er kleidete seine geräuschlosen kleinen Füße in spitzschnäbelige Schuhe von rotem Saffianleder und fächelte sich mit einem runden Palmblattfächer, den er mit einer roten Seidenschnur an der Hüfte befestigte. Dabei entstand ein glückverlorenes, offenes Lächeln um seine beweglichen braunen Lippen, und sein glänzend schwarzer Bart ging halb in die Höhe, wenn er sich Kühlung schaffte und aus den Augenritzen die Wirkung seines Gehabens prüfte.
Einmal trat er zu Ismael, der mit schmollend vorgeschobener Unterlippe auf den Stufen der Veranda saß. Der »Prinz« streckte seine braunen Kniee, wollüstig und matt, in die Sonne.
»Salaam!« grüßte Abu. »Allah mit dir, du Schêsch aller Torhüter! – Wie lange bleiben jene Fremden?«
»Bis morgen,« sprach Ismael. »Sie wollen nach Gizeh. Die Herrin hat eine zarte Brust. Zum Anfang des Ramadan kommen sie wieder.«
Und Abu ging heim, tat seinen Prunk ab und zog seine brüchigen Pluderhosen wieder an. Er wartete, bis der Fastenmonat kam. –
Und als der Schaaban sich seinem Ende zuneigte, kamen die Fremden wieder zurück und bezogen ihr altes 134 Quartier. Nach einigen Orientierungspromenaden trat Abu-Nabbut eines schwerheißen Nachmittags – in den Wochen, da die Nilschlammflora verschrumpft und die Akaziendolden sich dürstend entblättern – an die Veranda, kreuzte die Arme auf der Brust und trug in einem verdorbenen, doch gewichtig vorgebrachten und mit blumigen Beteuerungen geschmückten Englisch sein Anliegen vor.
Er pries seinen Bazar und die Fülle seiner köstlichen Waren. Er sang einen Hymnus auf die Firmen des Orients, von denen er seine Teppiche bezog; sanfte Schlummerdecken waren darunter, leicht wie Rosenblüten, Plaids, deren Schönheit den ganzen Korso zum Stocken brachte; Kissenbezüge mit Mustern wie brennende Träume, voller Fabelknospen; stilisierte Ranken, zerstückelte Fetzen von großer Kostbarkeit, Überbleibsel aus der Zeit des Propheten, und kleine, handseidene Abfälle gewaltiger Webtücher, in deren rauchwerkdurchduftetem Schatten die Gläubigen vor der Kaaba gelegen hatten. Abu wurde zum Dichter; er wußte sich nicht zu lassen vor Entzücken über so viel reiches Tuchwerk. Er pries sich selbst, er lud den Umkreis der Erde ein, sein Lager zu besichtigen. Dann verfiel er ziemlich unvermittelt nach all dem leiernd deklamierten Überschwang in ein diskretes Lächeln und in den Ton sachlichster Bitte um ein unverbindliches Gutachten.
Die drei Leute, die amüsiert und doch gespannt gehorcht 135 hatten, wechselten Blicke, sagten zu und erhoben sich. Ismael tanzte um die Ecke und klatschte die Esel heraus, worauf sich die drei verfrachteten. Abu ging, prunkvoll rauschend, einen eleganten Rauchfaden über die Schulter wehen lassend, voran; Ismael folgte, eine Gerte in der Faust, wobei er sich voll schläfriger Koketterie in den Hüften wiegte. Und als die Gasse Sook-el-selah erreicht war, ließ Abu die Fremden eintreten und schickte Ismael mit den Eseln zurück.
Die Fremden blieben lange in seinem Lager und suchten sich manches heraus, was ihnen gefiel. Da die Hitze draußen äußerst drückend war und ihnen der Schweiß auf den Gesichtern stand, ließen sie sich überreden, durch die offene Mandara einzutreten und mit gemessener Neugier einen Teil von Abus Heim zu besichtigen. Er selbst blieb würdig und verbindlich; er klatschte in die Hände und erregte dadurch das klappernde Geräusch von Porzellan und Messingkannen hinter einem Verschlag von ziselierten Bronzegittern, wo der Schatten eines fetten, weibisch anmutenden Burschen – offenbar des Koches – hin und her glitt. Und dann bemühte Abu seine Gäste über eine Art Hühnerleiter in den Empfangsraum des ersten Stockes hinauf. Nackte Kinder rollten mit leisem Geschrei umher; ein Wink verscheuchte sie. Die Frauen blieben unsichtbar; ihr Gespräch klang wie Taubengurren durch die Balkenritzen.
136 Abu entfaltete die Gabe seiner Unterhaltung. Er hatte gleichsam drei Körbe unsichtbar um sich verteilt, Politik, Skandal und Witterung; und aus ihnen entnahm er, anmutig wechselnd, seine Themen. Der Duft des klebrigen schwarzen Mokkas und der Zigaretten erzeugte eine Atmosphäre anspruchsloser Gemütlichkeit, welche den Deutschen, die ein wenig hilflos und ungelenk, aber stets freundlich interessiert mit vorsichtig gruppierten Beinen auf den flachen Kissen saßen, mit der Zeit insgeheim sehr behagte. Sie empfanden so etwas wie »Romantik« in der Situation; und dies Gefühl verstärkte sich, als der fette Bursche mit den weiblichen Merkmalen persönlich erschien und Cidre-Wein in einem Schlauche brachte –einen Wein, der ein kühles Labsal und zugleich süß und hitzig war.
Und um die Stimmung abzurunden, genossen sie unbedenklich, wie es ihre Sitte war, und trauten ihren Fähigkeiten völlig, dieser originellen Geschichte mit der erprobten Abgebrühtheit wohlhabender Reisenden ohne Verlust an Haltung Herr zu werden. Und siehe da: es wurde immer reizender; es wurde eine verträumte Idylle daraus; und um Abus Haupt wob sich ein Regenbogenglanz. Er wurde zum freundlichen Herbergsvater; er war – Allah strafe ihn! – ein lustiger Tausendsasa voller Späße und mimischer Talente; seine melodische Stimme lullte sie ein; ein paar Griffe auf einer zirpenden Laute gaben die Melodie zu seiner 137 ganzen liebenswerten Person. Kurz und gut: am Schlusse lachte selbst das blonde Fräulein, daß ihr die weiße Kehle hüpfte.
Keiner merkte, daß die Zeit unversehens verstrich – außer Abu. Auf einmal rollte eine dumpfe Erschütterung durch das Gemach, und die Glaslampen zitterten an ihren Schnüren. Dreimal wiederholte sich dies kaum hörbare Getöse – und machte eine Viertelminute wüst, gedankenberaubt wie ein schwingendes Nichts, in das drei glanzlose Augenpaare hineinstarrten.
»Es ist die Kanone,« sprach Abu. »Die ›Nacht der Würde‹ ist da.« – Er trat an das Schubfenster und stieß einige der schmuckreichen Lädchen auf. Die Abendsonne lag mit einem letzten staubgoldenen Rauch, in dem schon die blaue Heimlichkeit der Sterne glühte, über den Mauerfirsten. Nun wollten die Deutschen aufbrechen. Sie begannen zu lachen und machten lebhafte Anstalten, sich zu erheben. Ihre Gesichter waren dunkelrot; das des Mädchens erschien perlblaß, vor Unbehagen und rätselhafter Beklemmung.
Plötzlich wies sie mit einem kurzen Ausruf, der zum Warten mahnte, und schwankender Hand nach Abu. Er stand regungslos; nur seine Finger waren geschäftig und drehten einen Rosenkranz. Er stand wie ein schwarzer Schatten, sein Kopf hatte sich gesenkt; seine Lippen murmelten einen Korânspruch. Es war 138 die Stunde, da »alle Meere süß werden und die Pforten der Himmel sich öffnen«: für einen flüchtigen, unfaßbaren Augenblick.
Und dann sank Abu zusammen und küßte den Boden. Er lag still da; und über ihm waren die dunkelnden Vierecke der Fenster. Ein fernes Geräusch klang herein: eine einzige wirre Lautwelle, die in der Luft vibrierte über dem im Gebet erstarrten Kairo, der Choral einer erhabenen Gemeinde, der vereinigte Anruf, der von den Türmen schwamm. Und nachdem dieser verklungen war, ergoß sich wie eine Brandung ein Schrei der Lust darüber hin und verschlang die klare Meditation dieser benedeiten Minuten: verschlang sie mit Saitenklimpern, Fußgetrampel, klappernden Eßgeräuschen, wieherndem Gelächter und kreischendem Trubel von Freude: der Ramadan war da; man stärkte sich für die Fastentage, man stärkte sich gründlich und wälzte sich im Vergnügen.
Abu wußte: nun sind die Kaffeehäuser voll; nun erglüht die Lichterreihe der Zitadellen-Moschee, nun schwanken Laternen durch die Gassen, nun gürtet man sich und genießt, was Allah in seiner Gnade beschert, skrupellos mit Kauen und Schlürfen – und er blieb liegen, noch einige Minuten lang, während seine Gedanken sich vom Gebet abkehrten und zu einem einzigen zitternden Nerv von Spannung und gierig behutsamem Lauschen zusammentraten, – und dann drehte 139 er den Kopf; sein Bart glitt ruckweise über den Teppich; er bewegte sich so leise, daß keine Falte knisterte. Er lauschte eine Weile auf die satten, rasselnden Atemzüge . . . schnalzte dann leise mit der Zunge und nickte befriedigt vor sich hin. Die kleine Manipulation an dem starken Weine hatte ihre Wirkung nicht verfehlt . . . Abu erhob sich aus seiner kriechenden Stellung, entzündete alle Lampen und betrachtete seine Gäste.
Die Trunkenheit hatte sie rücklings überfallen. Draußen zog eine Musikbande vorüber, klimpernde Töne drangen herein. Abu besorgte sich gemächlich seine Haschisch-Pfeife; und während er sog, sah er sich mit Muße die Abendländer an, die wie die Kinder schlummerten. Seine dunklen Augen grübelten über der Gruppe . . . Zwei Schritte entfernt lag das weiße Mädchen, das mit halbgeöffneten Lippen über das Polster zurückgesunken war; und ihre Füße, die zuerst ratlos getastet hatten, streckten sich bei der völligen Lösung der Glieder tief zwischen die Kissen.
Drunten gurgelte der Kanal, und die Ratten wisperten.
Und mit der Zeit – da senkte sich der Kopf Abus: und vom Licht der Lampen, die einsam, gleich herzlosen Gestirnen, in dem Raume schwebten, empfing sein zu einer leeren Grimasse verzerrtes Gesicht die tiefen Schlagschatten des Turbanrandes über Stirn und Wangen; und zu beiden Seiten des scharf bestrahlten 140 Nasenrückens, der gleichsam gierig witternd hervortrat, erwachten zwei andere Augen als die, welche noch vor einer Stunde so sanft, duldsam und verschleiert unter ihren behaglichen Wimpern geruht: halb ins Bläuliche verkehrt, verwandelten sie sich und wurden regsam, schief und gehässig. Das war der behäbige Abu nicht mehr, der gewinnende Wirt und Herbergsvater!
Fahlblauer Sternenglanz erfüllte die sammetdunkle Glocke des Himmels; die großohrigen Fledermäuse zwitscherten im Schacht des Kanals. Und wenn man horchte – so ganz auf die Stille horchte, die inmitten dieser dunstigen Mauern, abgeschieden vom ferner brandenden Lärm der Gassen, ihr beklemmendes Wesen trieb, so bestand sie aus einem rhythmischen Gewebe allerfeinster Laute, durch die als Grundton der schrille, unersättliche Hymnus der Mücken klang, leise, durchbohrend und tückisch; sie schwebten drunten auf dem träge gurgelnden Wasser. Man konnte sich vorstellen, daß von ihren tanzenden Füßen kleinste Wellenkreise entstanden; und wenn man sich ganz in ihre Musik versenkte, dachte man an Fieber und Blut.
»Ho,« meinte Abu zu sich, »sie sind in meine Hand gegeben, diese Drei. Ich kann nach Belieben mit ihnen verfahren.« Und schon sah er es vor sich, was er tun würde:
Das Mädchen trägt er in das innerste Gelaß und 141 sperrt sie ein, noch während sie schläft, als sein künftiges, hilfloses Eigentum und als Augenweide für sich und sein Haus!
Abus Hirn gebar immer gewaltsamere Bilder, immer hitzigere, aus dem aufgestörten Vorstellungswust einer traumhaften Vergangenheit und der Zeit seiner Vorväter heraus, die große Macht besaßen und ihre Begierden kühlen durften, wann es ihnen beliebte. Und diese Vorväter traten aus dem wallenden, bleigrauen Rauch, der wie ein Schleier über ihm lag; stolz zurückgeworfene Köpfe tauchten auf, deren glühende Augen ihn streiften; und ihre Gewänder wallten geisterhaft in dem Nebel. Sie waren mit dem Padischah verschwägert und hatten Schwärme von Trabanten und Sklaven, die ihren Launen dienten: und ihre Stimmen klangen, wie durch eine Wüste von Zeit von ihm geschieden, dennoch seltsam nah und heiser an sein inneres Ohr und redeten dunkel zu seinem Blute. Das war ein Wirrwarr von Stimmen!
»Schleife diese Männer hinaus,« rieten sie ihm. »Packe sie an den Füßen und zerre sie über die Hühnerleiter; ihre Köpfe werden aufschlagen Sprosse um Sprosse. Schaffe sie auf die Gasse, lehne sie in albern hockender Stellung ans Mauerfundament der Amr-Moschee, mitten in den Strom des festtollen Pöbels, der sie erniedrigt, verlacht, beschimpft und mit Kot bespritzt!«
142 Abu streckt abwehrend die Hände von sich. Und dennoch neigt er das Ohr, halb betäubt vom Tumult dieser verlockenden Stimmen. Er darf, er kann ihnen nicht nachgeben; und doch spreizt er sich vor Behagen . . . Andere Stimmen erheben sich; sie übertönen die ersten; und es ist, als ob ein heißer, flauer Wind durch das Gemach spiele, als ob ein leises, blutdürstiges Kichern aus den Ecken dringe.
»Du hast recht, Abu,« klingen diese anderen Worte. »Es wäre zu gefährlich, diese Fremden dem Pöbel zu zeigen; du lebst in einer aufgeklärten Zeit, und man würde deiner habhaft werden. Aber wie? Wenn du sie verstohlen beiseiteschaffen könntest? – Zur Hu-sên-Moschee oder in das Koptenviertel? Und dort verstecktest? – Dann sind sie grausam um ihre Macht bestohlen, geäfft und mißbraucht zu eklem Handlangertum, oder von der Straße durch vier oder fünf dumpfige Mauerhöfe getrennt – als Spaßmacher für eine verschmitzte und wollüstige Dame, oder zu Eunuchen degradiert, ähnlich denen, die auf den Kutscherböcken die Schubra-Allee hinunterfahren; aber viel, viel verächtlicher. Man wird ihnen ihre Revolver und ihren Verstand nehmen; sie werden bleich und gedunsen ein paar kümmerliche Jährchen hinsiechen, farblos wie Pflanzen bei Sonnenmangel! Und du, Abu der Teppichkrämer, du wirst zuweilen kommen, dir erzählen lassen, was sie anstellen werden, um Hand an sich 143 zu legen, und wirst ihnen mit Gelassenheit in die blonden Gesichter speien!« . . .
Abu fährt zusammen und stiert nach der Gruppe hinüber. Das verlockende Geflüster klingt jetzt ganz nah; jede Silbe ist ein Geißelhieb nach seiner träge brütenden Ohnmacht. Er zittert, und seine Augen erweitern sich.
»Und des Mädchens wirst du dich bemächtigen, sobald du dich sicher weißt . . . ah! – wie sie schreien und sich wehren wird! Doch wenn ihre Hilferufe gellen, wird in die summende Menge unter den Fenstern keine Stockung kommen! Das Echo ihrer Qual wird vielleicht das Gebrüll eines Derwisches sein, aus einer Gruppe von ekstatischen Teufeln heraus, die in Verneigungen und Schwingungen hin und her taumelt, sobald die Klänge von el Fahrids Weinlied zum Rhythmus dieses Getümmels geworden sind! Und dann wirst du das Mädchen in deinen Harim sperren und dich an ihrer Ohnmacht belustigen! Ihre kleinen weißen, selbstbewußten Hände werden dich streicheln müssen; ihre hellblauen kalten Augen werden Bitten enthalten, und ihr Mund, der hochmütig geschürzte, wird deine Befehle nachlallen müssen . . . und du wirst ihr dies alles mit Fußtritten lohnen!«
Immer befehlender, immer hastiger dringen die Stimmen auf Abu ein. Er läßt seine Augen, starr wie vorher, über das Mädchen und dann über die Männer 144 streifen. Dann kommt ein wilder Entschluß über ihn; sein Atem wird schwer, und keuchend erwidert er: »Ja, bei Allah, so will ich mit diesem Mädchen verfahren! – Doch die Männer will ich nicht verstecken und erniedrigen; nein, töten will ich sie; jetzt, während sie betäubt sind; zwischen meinen vier Wänden will ich sie erwürgen, und mein Koch und meine drei Weiber werden Beifall klatschen! Und dann werfe ich sie in den Kanal, oder ich stecke sie in den Kellerschlamm, tief hinein, und jede Nacht werde ich aufwachen, lauschen und mich freuen, daß mein Haß befriedigt ist.
Oh, wie will ich schlau sein, wenn die Zeitungen schwatzen! Ich werde zum Konsul gehen. ›Allah ist groß!‹ werde ich sprechen. ›Ich kannte diese Fremden. Sie haben Waren bei mir gekauft. Ich habe sie gewarnt; und doch haben sie die Schultern dazu gezuckt. Sie sind in die Irre gegangen und haben nicht zurückgefunden: es ist eine unsichere Zeit.‹ Niemand wird sie im Schlamme meines Kellers finden; niemand wird ihnen nachspüren können, wenn sie ihre gemächliche Wanderung auf dem Grunde des Kanals nach dem Nile beginnen. Und der Vizekönig wird aus Angst vor dem englischen Regime die Kolik bekommen und sich verstecken müssen . . .«
Und nach Verlauf von etwa einer Stunde erhebt sich Abu, steht einige Minuten zögernd mit fliegendem Atem, der zum Keuchen wird; und dann nähert er sich 145 mit vorwärtsfallenden Schritten, die kurzen Sprüngen gleichen, seinen Gästen . . . Sie liegen reglos vor ihm und lächeln . . .
Abus harte, erbarmungslose Finger gleiten bis über die knochigen, hageren Handgelenke aus den prächtigen Ärmeln, wie Krallen gekrümmt, und nähern sich dem Kopf des Mädchens. Es gelüstet ihn, diesen Kopf an den blonden Flechten, die so golden in dem vagen Schein der Lampen flimmern, emporzuzerren und brutal hin und her zu schleudern; er freut sich – im voraus – des erstickten Angstschreies, den sie ausstoßen wird, wenn er sie mit ganzer Kraft seiner geschlossenen Fäuste über den Teppich schleift und seinen Wünschen unterjocht . . .
Aber dicht über dem Antlitz der Schlummernden halten seine zitternden Hände inne; er sinkt zurück, und eine Apathie überkommt ihn, die seine Spannung augenblicklich löst, noch im Sprunge ermatten macht: – es gibt etwas, das stärker ist als er; das die letzte Haaresbreite von Lust zwischen dem Opfer und der hinzustürzenden Tat undurchdringlich macht, das diese für den Augenblick wehrlosen Leute wie ein schützender Panzer umgibt und ihn zurückstößt, so daß sein knirschender Trotz sich in widerwillige Demut wandelt –: es ist der leidenschaftliche ferne Klang einer eifernden Stimme in irgendeiner Volksschule im Herzen der Stadt, leiernd wiederholt von Knabenlippen, hundert 146 beweglichen Lippen in tief geneigten, schmutzigen Gesichtern . . . die Sure von der Unverletzbarkeit der Gäste; diese Sure klingt ihm, schmerzhaft deutlich, wie mit Tubenstößen, durch das flammende Hirn.
Er sieht die Wortgruppen vor sich, die drohenden Kolonnen der ewigen Schriftzeichen, und auf den milden Wohlklang des Einganges folgt der Racheschrei der Vergeltung in Form jener phantastischen Verwünschungen, die die Kraft haben, ganze Völker niederzuwerfen!
Abu bleibt reglos sitzen und läßt die Stunden verrinnen; er horcht auf die Atemzüge und sieht die Lampen kurz nacheinander aufzucken, qualmen und verlöschen . . . die Zeit schreitet vor, und draußen erwacht eine gespenstische, tote Farbe am Himmel, wie sie der Dämmerung des ersten Morgengrauens vorausgeht.
Und in der kurzen Zeitspanne, während einiger Minuten, die das wesenlose Licht braucht, um sich voll zu entwickeln und die Konturen der Dinge aus ihren Schatten herauszuziehen, empfindet Abu eine plötzliche Kälte, die von innen seinen Körper durchstrahlt; das letzte, ersterbende Aufbäumen des seelischen Krampfes dieser furchtbaren Nacht, in der nichts geschah, und dieser mörderischen Dunkelheit, die dennoch nichts zu verhüllen hatte und nun dem Lichte zögernd und schaudernd ihren Schoß öffnete.
Und horch: eine Lautwelle erhob sich von den Türmen, 147 doch nicht sonor und erhaben wie die abendliche, sondern grell und klanglos. Ein blendend scharfer Schimmer war erwacht, in dem die erste Ahnung der Hitze bebte, doch morgenkeusch und von leichten Brisen gemildert. Auf den Galerien der Minarette standen wiederum die Muezzin und priesen das Licht durch ihre hohlen Hände; sie eilten, von endlos langen, verblassenden Schatten begleitet, die ihre Bewegungen grotesk nachahmten, rund um die Türme, auf den schmalen Geländergängen hin und her.
Abu warf sich nieder, und seine Lippen wiederholten die grell hervorgestoßenen Worte des Gebets, die auf den Fittichen der Tauben, wie sie nach allen Richtungen silbern von den Türmen zu schwärmen anhuben, über die flachen Dächer der noch totenstillen Stadt dahinflogen und sie gebieterisch zum Erwachen und zum morgendlichen Kniefall mahnten. Abu lag lange, lange stumm, von Flüstern durchschüttert, das Haupt in der vorgeschriebenen Richtung nach Südost, und die Finger wie hölzern verschränkt, ganz versunken in den inbrünstigen Anruf und niedergedrückt von der Wucht seines Glaubens. Das Antlitz, das er erhob, war still und grau; in seinen Augen, die zu den Gästen hinübersahen, war eine seltsame Müdigkeit . . . Ja, etwas von der Güte dessen, der sich selbst überwunden hat.
Und dann erwachten die Deutschen. Sie sammelten 148 mühsam ihre Gedanken; doch es war eine Schranke in ihrem schmerzenden Gedächtnis und stimmte sie mürrisch. Mit einer Haltung, die durch die peinliche Nachempfindung ihrer blamablen Lage etwas Kraftloses erhielt, erhoben sie sich und blinzelten in den gleißenden Morgen.
Abu, einen Scherz auf den Lippen, begleitete sie mit würdiger Höflichkeit und ganz als der reizende Wirt, der er war und blieb, auf die Straße hinab. Und die Leutchen, nach endlosem Händeschütteln, dankten reichlich, ja überreichlich, in ihrem stotternden Englisch. Ismael erschien; sein kokettes Röckchen blitzte blendend weiß um die Wette mit der Stickerei auf seinem Jäckchen. Er umarmte zwei Esel und bewegte sich, an einem Zuckerrohr lutschend, schunkelnd und trällernd die Straße hinunter.
Das einzige, was Abu, der der kleinen Karawane lange Zeit nachblickte, noch von ihnen vernahm, ehe sie um die Ecke bogen, war ein atemloses, schallendes Gelächter, das mit dem Wiehern der Esel und Ismaels kreischendem Treiberruf zusammenklang.
Und Abus Gesicht, grau wie Blei, mit tiefgesenkten Lidern, tauchte langsam in das Dunkel des Türrahmens zurück, während das Volk im Umkreis gähnend erwachte.