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Frei fliegt das Vöglein unter seinen Zinnen,
Wie hart bedrängt es immer sei –
Wenn Falken auch auf Beute sinnen;
Hier Vöglein bist du frank und frei.
Wordsworth.
Trotz aller Gefahr schlief der flüchtige Prinz mit der tiefen Ruhe, welche Jugend und Anstrengung gewährt. Aber der junge Cavalier, sein Führer und Wächter, verbrachte eine unruhigere Nacht, indem er von Zeit zu Zeit aus dem Schlafe schreckte und horchte, bemüht, ungeachtet aller Versicherungen des Doctor Rochecliffe, sich eine genauere Kenntniß von dem Zustande der Dinge um sich herum zu verschaffen, als es ihm bis jetzt möglich war.
Er stand gleich nach Tagesanbruch auf, aber obgleich er mit so wenig Geräusch als möglich sich bewegte, so ward doch der Schlummer des ermüdeten Prinzen leicht gestört. Er erhob sich in seinem Bette, und frug ob etwas vorgefallen sei.
»Nichts, um Verzeihung Ew. Majestät,« erwiederte Lee; »da ich aber an die Frage dachte, welche Ew. Majestät mir gestern Abend vorlegte, und die vielen unvorhergesehenen Zufälle, welche die Sicherheit Ew. Majestät gefährden können, so nahm ich mir vor, frühe aufzustehen, um mit Doctor Rochecliffe zu reden, und den Ort wieder einmal recht anzusehen, welcher für jetzt Englands Schicksal beherbergt. Ich fürchte, ich muß Ew. Majestät, zu Allerhöchst Ihrer eigenen Sicherheit bitten, die Gnade zu haben, sich herabzulassen, die Thüre mit eigenen Händen wieder zu verschließen, wenn ich fortgegangen bin.«
»Ach theurer Albert, schwatze doch um Gottes Willen nichts von der Majestät!« antwortete der arme König, welcher es umsonst versuchte, einen Theil seiner Kleidung ordentlich anzulegen, um durch das Zimmer zu gehen. »Wenn eines Königs Jacke und Hosen so arg zerrissen sind, daß er eben so leicht den Weg hineinfinden wird, als er ohne Führer durch den Wald von Deane reisen könnte; du lieber Himmel, da sollte doch die Majestät ein Ende nehmen, bis sie besser geflickt wären. Ueberdieß laufen wir Gefahr, daß ohne Verschulden eins dieser unnützen Worte entschlüpft, wenn Ohren in der Nähe sind, bei denen es gefährlich sein könnte.«
»Ihrem Befehle soll gehorcht werden,« sagte Lee, welcher nun glücklich die Thüre geöffnet hatte. Er verabschiedete sich und verließ den König, welcher mit jämmerlich schlecht geordneten Kleidern an die Thüre geeilt war, um sie hinter ihm zu verschließen, und Albert bat Se. Majestät, sie auf keinen Fall und Niemanden zu öffnen, wenn nicht er oder Rochecliffe von der Partei wären, welche ihn dazu aufforderte.
Dann ging Albert um Doctor Rochecliffes Zimmer aufzusuchen, das nur ihm und dem treuen Joliffe bekannt war, und das zu verschiedenen Zeiten den kräftigen Geistlichen zu verbergen gedient hatte, wenn sein kühnes geschäftiges Temperament ihn in die weitläufigsten und gewagtesten Umtriebe für die Sache des Königs verwickelt hatte, und er von der anderen Partei sorgfältig verfolgt wurde. In der letztern Zeit hatten die Nachsuchungen nach ihm ganz aufgehört, da er sich vernünftiger Weise von dem Schauplatze der Intrigue zurückzog. Seit der Schlacht von Worcester aber war er wieder in Bewegung, und zwar thätiger als jemals, und durch Freunde und Correspondenten und besonders durch den Bischof von – hatte er Mittel gefunden, die Flucht des Königs nach Woodstock zu lenken, obgleich er diesem nur erst am Tage seiner Ankunft eine sichere Aufnahme in dem alten Gebäude versprechen konnte.
Obgleich nun Albert Lee sowohl den kühnen Geist als die beständigen Hülfsquellen des geschäftigen und unternehmenden Geistlichen achtete, so fühlte er doch, daß er von diesem nicht in den Stand gesetzt worden war, die Fragen des Königs so deutlich zu beantworten, wie Jemand, dem des Königs Sicherheit anvertraut ist, es hätte thun sollen. Er wollte sich also jetzt wo möglich persönlich mit der wichtigen Sache bekannt machen, wie es einem Manne ziemte, auf den ein großer Theil der Verantwortlichkeit wahrscheinlich fallen würde.
Selbst seine Ortskenntniß reichte kaum hin, das geheime Zimmer des Doctors zu finden, wenn ihm nicht ein wohlduftender Geruch von gebratenem Wildpret durch verschiedene geheime Gänge, durch Seiten- und Nebenwege und unnütze Treppen den Weg zum Allerheiligsten bezeichnet hätte, wo Joceline Joliffe dem guten Doctor mit einem förmlichen Frühstück von Rebhühnern und Halbbier aufwartete, was der Doctor allen übrigen Speisen vorzog. Bevis saß neben ihm, wedelte und sah ihn freundlich an, von dem seltenen Geruch des Frühstücks bewegt, welches fast die natürliche Würde seiner Haltung unterdrückte.
Das Zimmer, in welchem sich der Doctor festgesetzt hatte, war eine kleine achteckige Stube mit sehr dicken Mauern, in denen sich verschiedene Ausgänge befanden, die nach allen Richtungen hin führten und mit verschiedenen Theilen des Gebäudes in Verbindung standen. Um ihn her lagen Bündel mit Waffen, und nahe bei ihm ein kleines Fäßchen, dem Anscheine nach mit Pulver angefüllt; mehrere Papiere in verschiedenen Packeten, und Schlüssel zu seinen Correspondenzen, welche mit Zeichen geführt wurden; auch zwei oder drei mit Hieroglyphen bedeckte Rollen, welche Albert für Nativitäts-Plane hielt, und verschiedene Modelle zu Maschinen. Es befanden sich auch in dem Zimmer Werkzeuge aller Art, Masken, Kleider, eine Blendlaterne und eine Anzahl anderer nicht zu beschreibender Dinge, die zu dem Handwerke eines kühnen Verschwornen in gefährlichen Zeiten gehörten. Endlich stand ein Becken mit Gold- und Silbermünzen aller Länder da, welches nachlässigerweise offen stand, als wäre es Doctor Rochecliffes letzte Sorge, obgleich seine Kleidung im Allgemeinen eine beschränkte Lage, wenn nicht gar wirkliche Armuth verrieth. Nahe bei dem Tische des Geistlichen lag eine Bibel, ein Gebetbuch und einige Aushängbogen, wie man sie im technischen Ausdruck nennt, welche frisch von der Presse zu kommen schienen. Ferner auf Handweite – ein spanischer Dolch, ein Pulverhorn, ein Carabiner und ein paar schöne Terzerolen. Mitten unter dieser vermischten Sammlung saß der Doctor, verzehrte sein Frühstück und schien von den Werkzeugen der Gefahr, welche neben ihm lagen, ebensowenig beunruhigt, wie ein Handwerker, der an die Gefahren einer Pulvermühle gewöhnt ist.
»So junger Edelmann,« sagte er, indem er aufstand und ihm die Hand reichte, »kommen Sie um brüderlich mein Frühstück mit mir zu theilen, oder um es durch unzeitige Fragen zu verderben, wie unser gestriges Abendessen?«
»Ich will von ganzem Herzen ein Knöchlein mit Ihnen abnagen,« sagte Albert; »und wenn Sie es erlauben, Doctor, werde ich Ihnen auch einige Fragen vorlegen, die nicht ganz unzeitig scheinen.«
Er sprachs, setzte sich nieder und half dem Doctor ein paar Rebhühner und einige Schnepfen verzehren. Bevis, der mit großer Geduld und Schmeichelei seinen Platz behauptete, bekam seinen Theil von einem Kalbsknochen; denn er verschmähte die Wasservögel, wie die meisten Hunde von guter Rasse.
»Komm also her, Albert Lee,« sagte der Doctor, indem er Messer und Gabel hinlegte, als Joceline hinausgegangen war; »du bist immer noch derselbe Bursche, wie zur Zelt, wo ich dein Lehrer war – warst nie zufrieden, wenn ich dir eine grammatikalische Regel gab, sondern plagtest mich immer mit Fragen, warum die Regel so wäre und nicht anders, neugierig nach Dingen, die du nicht verstehen konntest, so wie Bevis nach dem Hühnerknochen winzelte, den er doch nicht essen konnte.«
»Ich hoffe, Sie werden mich jetzt vernünftiger finden, Doctor,« sagte Albert, »und zugleich werden Sie sich erinnern, daß ich nun nicht mehr sub ferula stehe, sondern in Verhältnissen, wo ich das Recht nicht habe, nach dem ipse dixit irgend eines Mannes zu handeln, bis mein eigener Verstand überzeugt ist. Gewiß würde ich verdienen gehenkt, geköpft und geviertheilt zu werden, wenn durch einen Fehler von meiner Seite ein Unglück erfolgen sollte.«
»Und deßwegen auch, Albert, wünschte ich, daß du mir das Ganze anvertrautest, ohne viel zu fragen. Du sagst freilich, du stündest nicht mehr sub ferula, aber bedenken Sie, daß während Sie im Felde kämpften, ich in meinem Studirzimmer Complotte entwarf, – daß ich die Verbindungen aller Freunde unseres Königs kenne, ja und sogar die Bewegungen seiner Feinde, so wie die Spinne jeden Faden ihres Netzes kennt. Denke an meine Erfahrung, Freund. Es ist nicht ein Cavalier im Lande, der nicht von Rochecliffe, dem Verschwörer, gehört hat. Ich war ein thätiges Mitglied in jeder Sache, die seit anno 42 versucht wurde – setzte Erklärungen auf – führte Correspondenzen – stand mit den Häuptern in Verbindung – warb Soldaten – bestellte Waffen, erhob Gelder und bezeichnete die Sammelplätze. Ich war bei dem westlichen Aufstand – früher bei der Bittschrift der City – bei der Verschwörung des Sir John Owen in Wales; kurz, fast bei jedem Complotte für den König seit der Geschichte von Tomkins und Challoner.«
»Aber blieben nicht alle diese Complotte ohne Erfolg,« sagte Albert; »und wurden nicht Tomkins und Challoner gehängt, Herr Doctor?«
»Ja, mein junger Freund,« antwortete der Doctor ernst, »wie noch gar viele Andere, mit denen ich in Verbindung handelte; aber bloß, weil sie meinem Rathe nicht blindlings folgten. Sie haben doch nie gehört, daß ich selbst gehängt worden bin.«
»Kann auch noch kommen, mein lieber Doctor,« sagte Albert, »der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht, wie mein Vater zu sagen pflegt. Aber auch ich habe einiges Vertrauen auf meine eigene Urtheilskraft, und so sehr ich auch die Kirche ehre, so werde ich mich doch nie einem blinden Gehorsam unterwerfen. Ich will Ihnen also kurz die Punkte nennen, über welche ich Aufklärung haben muß; es steht bei Ihnen, ob Sie sie geben, oder dem Könige sagen lassen wollen, daß Sie Ihre Pläne nicht erklären werden; wenn er in diesem Falle meinem Rathe gemäß handelt, so verläßt er Woodstock und versucht ohne Zögerung die Küste zu erreichen.«
»Nun gut, du mißtrauisches Ungeheuer, stelle deine Fragen, und wenn sie der Art sind, daß ich sie beantworten kann, ohne das Zutrauen anderer Leute zu verletzen, so werde ich darauf erwiedern.«
»Zuerst also, was ist das mit dieser Geister-, Hexen- und Zaubergeschichte, und halten Sie es für sicher, daß Se. Majestät in einem Hause verweile, das wirklichen und vorgeblichen Besuchen unterworfen ist?«
»Sie müssen sich mit meiner Antwort in verbo sacerdotis begnügen. Der Umstand, den Sie erwähnen, wird den Aufenthalt des Königs zu Woodstock nicht im Geringsten stören. Ich kann keine weitere Erklärung geben; aber dafür stehe ich mit meinem Halse.«
»Also,« sagte Lee, »müssen wir den Doctor zum Bürgen nehmen, daß der Teufel mit unserem erlauchten Herrscher, dem Könige, Frieden halten wird. – Nun streifte aber den größten Theil des gestrigen Tages (vielleicht schlief er gar hier) ein Bursche Namens Tomkins um das Haus herum – ein heftiger Independent und Secretär oder so Etwas des königsmörderischen Hundes Desborough. Der Mann ist wohlbekannt – ein toller Schwärmer in religiösen Meinungen, aber in Privatgeschäften scharfsichtig, heuchlerisch und eigennützig, wie nur Einer von diesen Schurken.«
»Seien Sie ganz ruhig, wir werden uns seines thörichten Fanatismus bemächtigen, um seine niedrige Heuchelei irre zu führen; ein Kind kann einen Eber leiten, wenn es Verstand genug hat, einen Strick an den Ring seiner Nase zu befestigen,« erwiederte der Doctor.
»Sie können getäuscht werden,« sagte Albert; »unser Zeitalter hat viele Menschen dieser Art, deren Ansichten von der geistigen und zeitlichen Welt so verschieden sind, daß sie den Augen eines schielenden Mannes gleichen, wovon das eine, verdreht und verkehrt, nichts sieht als die Spitze seiner Nase, während das andere, statt denselben Fehler zu theilen, scharf und genau die Gegenstände unterscheidet, die sich seinem Blicke darbieten.«
»Aber wir wollen ein Pflaster auf das bessere Auge legen,« sagte der Doctor, »und ihm nur gestatten, mit der unvollkommeneren Hälfte um sich zu blicken. Sie müssen wissen, daß dieser Bursche immer die meisten und abscheulichsten Erscheinungen gehabt hat; in solchen Dingen hat er nicht den Muth einer Katze, wenn er schon ein tapferer Mann ist, sobald er fleischliche Gegner gegen sich hat. Ich habe ihn der Obhut des Joceline Joliffe anvertraut, der ihn mit Sect und Geistergeschichten so betäubt, daß er unfähig ist, das zu beurtheilen, was geschieht, und sollten Sie selbst den König in seiner Gegenwart proclamiren.«
»Aber warum sollen wir denn den Burschen hier behalten?«
»Ach Herr, beruhigen Sie sich; – er liegt hier auf Wache, eine Art Abgesandter seiner würdigen Herren, und wir sind vor jeder Aufdringlichkeit sicher, so lange sie von dem ehrlichen Tomkins Nachricht von Woodstock erhalten.«
»Ich kenne Jocelins Rechtlichkeit,« sagte Albert; »und wenn er mir die Versicherung gibt, daß er diesen Burschen bewachen will, so will ich ihm das Zutrauen schenken. Er kennt freilich die Wichtigkeit der Sache nicht, aber da er weiß, daß mein Leben dabei im Spiele ist, so ist's hinreichend, ihn wachsam zu erhalten. – Also gut – ich fahre fort: wie aber, wenn Markham Everard zu uns kömmt?«
»Wir haben sein Wort dafür, daß er es nicht thun wird,« antwortete Rochecliffe, »sein Ehrenwort von seinem Freunde überbracht – glauben Sie, daß er es brechen wird? –«
»Ich halte ihn für unfähig, das zu thun,« antwortete Albert; »und übrigens glaube ich, würde Markham keinen schlimmen Gebrauch davon machen, wenn auch etwas zu seiner Kenntniß gelangte. Doch bewahre uns Gott vor der Nothwendigkeit, in einer so theuren, wichtigen Sache Jemanden trauen zu müssen, welcher je die Farbe des Parlaments trug!«
»Amen!« sagte der Doctor; »sind Ihre Zweifel nun gelöst?«
»Ich habe immer noch eine Einrede,« sagte Albert, »jenen unverschämten, aufdringlichen Buben betreffend, der sich einen Royalisten nennt, sich gestern Abend in unsere Gesellschaft eindrängte, und das Herz meines Vaters durch die Erzählung des Sturmes von Brentford gewann, obgleich ich wetten will, daß der Schurke ihn nie sah.«
»Sie verkennen ihn, theurer Albert – obgleich ich den Roger Wildrake in der letzten Zeit nur dem Namen nach kannte, so ist er doch ein Edelmann, der in dem Adelsinstitute erzogen ist, und sein Vermögen im Dienste des Königs verlor.«
»Oder vielmehr im Dienste des Teufels,« sagte Albert. »Er ist einer von denen Menschen, welche von der Frechheit ihrer militärischen Gewohnheiten zu müßigen, ausschweifenden Burschen herabgesunken sind, die das Land mit Rebellionen und Räubereien verpesten, in Winkelkneipen und Branntweinschenken Streit anfangen, und die mit ihren schrecklichen Eiden, ihrer hitzigen Ergebenheit und ihrer betrunkenen Tapferkeit bei jedem anständigen Manne schon den bloßen Namen eines Royalisten mit Abscheu bedecken.«
»Ach,« sagte der Doctor, »es ist nur zu wahr, was kann man anders erwarten? Wenn die höheren, besseren Classen niedergedrückt werden, und unerkenntlich mit den gemeineren Ständen vermischt, dann verlieren sie leicht das wahre Zeichen ihrer Würde in der allgemeinen Verwirrung der Moralität und der Sitten – sowie eine Handvoll Silberstücke entstellt und entfärbt wird, wenn man sie mit den gemeinen Kupfermünzen vermischt. Selbst das edelste Metall, das wir Royalisten so gern nahe an unserem Herzen trügen, konnte einigem Abschleifen nicht entgehen. Aber mögen andere Zungen als die meinige darüber sprechen.«
Albert Lee schwieg lange, nachdem er diese Mittheilung von Rochecliffe gehört hatte. – »Doctor,« sagte er, »man gesteht es allgemein, und selbst einige, welche glauben, daß Sie bei Gelegenheiten zuweilen ein wenig zu geschäftig waren, andere Leute zu gefährlichen Handlungen zu verleiten« –
»Gott vergebe denen, welche eine so falsche Meinung von mir hegen,« sagte der Doctor.
»– Daß Sie dennoch für den König mehr gethan und gelitten haben, als irgend ein Mann von Ihrem Stande.«
»Da erweist man mir nur Gerechtigkeit,« sagte Doctor Rochecliffe, »bloße Gerechtigkeit.«
»Ich bin also geneigt, Ihrer Meinung beizustimmen, wenn Sie nach genauer Ueberlegung es für sicher halten, daß wir in Woodstock bleiben sollen.«
»Das ist jetzt nicht die Frage,« erwiederte der Geistliche.
»Und was ist denn die Frage?« frug der junge Krieger.
»Ob man nicht noch einen sichereren Weg einschlagen könnte. Es thut mir leid, bei dem jetzigen Standpunkte der Dinge die Sache nur vergleichungsweise behandeln zu können. Von vollkommner Sicherheit kann jetzt leider nirgends die Rede sein. Nun aber sage ich, daß Woodstock für jetzt und bei dieser Bewachung der beste Platz ist, das theure Haupt zu verbergen.«
»Genug, ich überlasse Ihnen die Frage, als einer Person, deren Kenntniß in so wichtigen Dingen der meinigen weit überlegen ist, Ihr Alter und Ihre Erfahrung gar nicht zu erwähnen.«
»Sie thun wohl daran,« antwortete Rochecliffe; »und hätten Andere nur mit demselben Mißtrauen gegen ihre eigene Einsicht und mit demselben Zutrauen auf competente Männer gehandelt, so würde es besser um unsere Zeit stehen. Dann zieht sich der Verstand in seine Festung zurück und die Vernunft in ihre Citadelle.« (Hier sah er mit einer selbstgenügsamen Miene um sich.) »Der Weise sieht den Sturm voraus und verbirgt sich.«
»Doctor,« sagte Albert, »möge unsere Vorsicht nur Andern dienen, die wichtiger sind als wir. Erlauben Sie mir die Frage: haben Sie es wohl überlegt, ob es besser ist, daß unser wichtiges Unterpfand in Gesellschaft der Familie bleiben, oder sich in einen entfernteren Winkel des Hauses zurückziehen soll?«
»Hm! er wird am sichersten als Louis Kerneguy sein, wenn er sich mehr bei Ihnen hält« –
»Ich fürchte, es wird nöthig sein, daß ich ein wenig umherstreife und mich in einem entfernteren Theil der Gegend zeige, damit sie nicht noch eine höhere Person finden, wenn sie hieher kommen, um mich zu suchen.«
»Ich bitte, unterbrechen Sie mich nicht – wenn er sich nahe bei Ihnen oder bei Ihrem Vater hält, und zwar in dem Zimmer des Victor Lee, oder doch wenigstens nicht weit davon; denn Sie wissen, daß er von dort aus leicht entfliehen kann, wenn die Gefahr sich nahen sollte. Das scheint mir für jetzt am besten zu sein. Ich hoffe heute oder höchstens morgen Nachrichten von dem Schiffe zu bekommen.«
Albert Lee wünschte dem thätigen aber eigensinnigen Mann guten Morgen; voll Verwunderung, wie diese Art von Intrigue das Element geworden zu sein schien, in welchem der Doctor lebte, ungeachtet dessen, was die Dichter von dem Schrecken erzählten, welcher zwischen dem Entwurf und der Ausführung einer Verschwörung liegen soll.
Als er von Doctor Rochecliffe's Heiligthum zurückkehrte, begegnete er dem Joceline, welcher ihn ängstlich suchte. »Der junge schottische Edelmann,« sagte er auf eine geheimnißvolle Weise, »ist aufgestanden, und als er mich vorbeigehen hörte, rief er mich in sein Zimmer.«
»Gut,« erwiederte Albert, »ich will sogleich zu ihm gehen.«
»Er verlangte frische Wäsche und Kleider von mir. Nun aber, Sir, scheint er ein Mann zu sein, der gewöhnt ist, daß man ihm gehorcht, also gab ich ihm ein Kleid, welches zufällig in der Garderobe im westlichen Thurme war, und auch etwas von Ihrer Wäsche. Angekleidet, befahl er mir, ihn zu Sir Henry Lee und meinem jungen Fräulein zu führen. Ich hätte gerne etwas davon gesagt, Sir, daß er warten solle, bis Sie zurückkehren, aber er zauste mich gutmüthig an den Haaren (denn er scheint ganz besondere Launen zu haben) und sagte: er wäre ein Gast des Mr. Albert Lee, und nicht sein Gefangener! – Also Herr, obgleich ich glaube, daß es Ihnen mißfallen könnte, wenn ich ihm die Mittel gebe, herumzustreichen und vielleicht von denen gesehen zu werden, die ihn nicht sehen sollten – was konnte ich sagen?«
»Du bist ein vernünftiger Mann, Joceline, und verstehst immer vollkommen, was man dir aufträgt. Ich fürchte, dieser Jüngling wird sich von keinem von uns Beiden einreden lassen; aber wir müssen um so mehr für seine Sicherheit sorgen. Du hältst doch über den Soldaten Wache?«
»Vertrauen Sie ihn meiner Sorge – von dieser Seite brauchen Sie nichts zu fürchten. Aber ach, Sir, ich wollte wir hätten den jungen Schotten wieder in seinen alten Kleidern; denn Ihr Reitkleid, das er jetzt trägt, gibt ihm ein ganz anderes Ansehen.«
Nach der Weise zu schließen, mit welcher sich der getreue Diener ausdrückte, sah Albert wohl, daß er vermuthen mochte, wer der schottische Page in Wirklichkeit war, doch hielt er es nicht für angemessen, ihm eine so wichtige Sache anzuvertrauen, da er auf seine Treue gleich sicher rechnen konnte, gleichviel, ob er ihm Alles anvertraue, oder es seinen eigenen Vermuthungen überließe. Voll ängstlicher Gedanken ging er in das Zimmer des Victor Lee, von dem ihm Joliffe gesagt hatte, daß er dort Alle versammelt finden würde. Das Gelächter, das ihm entgegen schallte, als er sich der Thüre näherte, machte einen so sonderbaren Mißton mit den zweifelhaften, trübsinnigen Betrachtungen, in welchen sein eigener Geist vertieft war, daß er erschreckt zurückfuhr. Er trat ein und fand seinen Vater in vorzüglich guter Laune mit seinem jungen Begleiter lachend und schwatzend. Der Anblick des Letzteren war wirklich so sehr zu seinem Vortheil geändert, daß es kaum möglich schien, wie die Ruhe einer einzigen Nacht, Toilette und anständige Kleider in so kurzer Zeit so viel zu seinen Gunsten thun konnten. Doch konnte man es keineswegs bloß der Verschiedenheit der Kleider zuschreiben, obgleich auch diese ohne Zweifel das Ihrige beitrugen. Keineswegs glänzend war das, was Louis Kerneguy (wir fahren fort, ihn bei seinem angenommenen Namen zu nennen) nun trug. Es war bloß ein Reitkleid von grauem Tuche mit silbernen Borten, wie es damals die Landedelleute zu tragen pflegten; aber zufällig paßte es ihm sehr gut, und stand zu seiner dunkeln Farbe, besonders da er jetzt den Kopf aufrecht hielt, und sich nicht allein wie ein wohlgezogener, sondern auch wie ein vollkommener, ausgebildeter Edelmann betrug. Wenn er sich bewegte, so schien er etwas zu hinken, was die Folge einer Wunde zu sein schien, und in diesen gefährlichen Zeiten eher eine anziehende, als eine zurückstoßende Wirkung hervorbrachte.
Die Züge des Wanderers waren eben so rauh wie früher, aber er hatte seine rothe Perrücke (denn das war es, wie es sich jetzt zeigte) bei Seite gelegt, und mit Jocelins Hülfe fiel jetzt sein schwarzes Haar in Locken herab, unter deren Schatten sein schönes schwarzes Auge leuchtete, und mit dem lebhaften, obgleich nicht schönen Kopfe übereinstimmte. In der Unterredung hatte er die Härte der Aussprache bei Seite gelegt, welche er am vergangenen Abend so stark affectirte; und obgleich er fortfuhr, ein wenig schottisch zu sprechen, um seinen Charakter als ein junger Edelmann dieser Nation aufrecht zu erhalten, so geschah es doch nicht mehr in einem solchen Grade, daß seine Sprache dadurch unkenntlich oder undeutlich wurde, sondern es war nur der nöthige Anstrich der vorzustellenden Rolle. Keine Person auf Erden verstand besser die Gesellschaft zu beurtheilen, in welcher sie sich befand; Verbannung hatte ihn mit dem Schatten und den Abwechselungen im Lichte des Lebens bekannt gemacht – sein Geist fügte sich den Umständen – er hatte jene Art der epikuräischen Philosophie, die selbst in den größten Schwierigkeiten und Gefahren bei zufälliger Unterbrechung sich der Vergnügungen des Augenblicks bemächtigt – kurz, er war in der Jugend und im Unglück, sowie späterhin in seiner königlichen Würde, ein fröhlicher aber hartherziger Wollüstling – weise, außer wo seine Leidenschaften im Spiele waren, wohlthätig, außer wenn Verschwendung ihn der Mittel beraubt hatte, oder Vorurtheil ihn daran verhinderte – seine Fehler, welche oft in Laster ausarteten, waren doch mit so viel Gutmüthigkeit vermischt, daß es der beleidigten Person unmöglich fiel, ihm das volle Bewußtsein des Unrechts nachzutragen, das sie erlitten hatte.