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In dem gleichen Wagen, worin er hergebracht worden, wurde Bertram nach Portanferry transportiert, in das neben dem Zollhause, dicht am Seestrande, befindliche Stockhaus. Die beiden Gebäude wurden durch ein starkes Bollwerk, das sich jäh zum Ufer hinsenkte, gegen den Anprall der Wogen geschützt. Die Vorderfront schloß eine hohe Mauer ein, die einen kleinen Hof bildete, in welchem die Insassen sich ergehen durften. Gendarm Mac Guffog, der Bertram arretiert hatte, war Aufseher des Hauses. Er ließ den Wagen vor das Tor fahren und rief die Wächter herbei. Ein Schwarm zerlumpter Jungen, die sich die Zeit damit vertrieben, auf den Lachen, die die Flut zurückgelassen, Papierfregatten treiben zu lassen, rannten herbei, neugierig, wer in Glossins neuem Wagen säße. Riegel wurden zurückgeschoben, Ketten rasselten, und Frau Mac Guffog, eine derbe Hünin, die, wenn ihr Mann abkommandiert war, die »Kommandeuse« spielte, riß das Tor auf; vor ihr hatten die Jungen einen Heidenrespekt und retirierten in gemessener Entfernung.
Bertram wurde von ihrem Manne ziemlich unsanft aus dem Wagen befördert und in den Hof gezerrt, und als er nun den Blick warf auf die hier auf und niedergehenden Verbrecher, denen Verzweiflung und Liederlichkeit ihr Brandmal aufgedrückt hatten, fühlte er sich unsäglich gedrückt durch den Gedanken, in solcher Gemeinschaft auch nur Augenblicke zu verweilen ... »Sie weisen mir hoffentlich eine besondere Zelle an?« fragte er Mac Guffog.
»Und was hätte ich davon?« antwortete dieser.
»Mein Aufenthalt hier wird höchstens zwei Tage dauern. Ich will mich gern für solche Gefälligkeit bei Ihnen abfinden.«
»Ja, aber wann und wie?«
»Sobald ich frei bin und mein Geld aus England erhalte.«
Mac Guffog schüttelte ungläubig mit dem Kopfe.
»Sie halten mich doch nicht für einen gemeinen Verbrecher?« fragte Bertram wieder.
»Kann ich's wissen, oder nicht? aber soviel ist klar, daß Ihr nicht zu den geriebenen gehört, wenn Ihr dazu gehört!«
»Wie habe ich das zu verstehen?«
»Nun, was Ihr in Kippletringan gelassen habt, läßt sich doch nur ein Tropf nehmen. Mir hätte es nicht passieren sollen – keinen roten Stüber hätten sie bekommen! Ihnen das Geld abzunehmen, war nicht in Ordnung; und Sie ins Loch zu stecken, ohne alle Mittel, was hier für sich zu haben und auf sich wenden zu können, erst recht nicht. Alles andere hätten sie ja als Beweismaterial behalten können. Warum haben Sie dann aber Ihre Guineen nicht zurückverlangt? Ich habe Ihnen doch beim Verhöre immer zugewinkt und zugenickt; aber Sie hatten ja weder Auge noch Ohr für mich.«
»Ich danke Ihnen, Mann, und wenn ich mein Geld fordern darf, so werde ich es auch sicher tun, und um Ihnen davon zu zahlen, was Ihre Forderung beträgt, dazu reicht's allemal,«
»Wie es um Ihre Geldverhältnisse steht, weiß ich nicht, mein lieber Herr,« versetzte Mac Guffog, »aber auch nicht, wie lange Sie hier vielleicht werden brummen müssen. Und Borgen ist an sich ein dummes Ding, das dümmste aber in Verhältnissen, wie zwischen uns. Und wer borgen soll, der rechnet auch alles höher. Aber immerhin – meine Frau sagt zwar, ich käme durch meine Gutmütigkeit immer ins Schlamassel; ich will aber noch 'mal ein Auge zudrücken und mich mit einem Gutschein auf Ihr Geld hin begnügen. Mit dem Glossin werde ich schon fertig werden; weiß ich doch einiges über einen gewissen Arrestanten, der jüngst aus Ellangowan ausgebrochen ist; mir wird der Glossin schon zum Rechte verhelfen.«
Bertram versprach ihm, den Gutschein zu geben, falls er nicht binnen der nächsten beiden Tage auf andere Weise aus der Verlegenheit kommen sollte ... »Na, dann abgemacht,« sagte Mac Guffog, »dann soll's Euch an nichts fehlen.« Um jede Differenz zu vermeiden, erklärte er rund heraus, was er für eine besondere Zelle, für Benutzung von Gerät und Bett forderte, und versprach, für Essen und Trinken sich mit zwanzig Prozent über den Einkaufspreis zu begnügen. »Außer diesen Hauptsachen,« setzte er hinzu, »dürften wohl nur ein paar kleine Nebenkosten noch in Betracht kommen, so z.B. für das Recht, frei im Hofe zu spazieren, jedesmal sechs Pence.«
Mit der Aussicht auf derlei große »Benefizien« führte er seinen Arrestanten eine steile Steintreppe hinan, oben mit einer starken Tür verschlossen und auf einen langen schmalen Gang mündend, auf dessen beiden Seiten je drei ärmliche Zellen mit eisernen Bettstellen und Strohsäcken lagen, am hintersten Ende aber ein kleines Stübchen noch lag, das, von dem Gitterfenster und der mit Eisen beschlagenen Tür abgesehen, in keiner Hinsicht an eine Kerkerzelle erinnerte und meist als Krankenstube für die Arrestanten gebraucht wurde. »So! das ist Ihr Bett, Rittmeister,« sagte Mac Guffogs Frau, die gleich merkte, woher bei dem neuen Insassen der Wind wehte, »und wenn Sie Betttücher, oder Kopfkissen oder etwas Tischzeug, oder Handtücher brauchen, so sagen Sie es nur, denn das geht meinen Mann nicht an, und er macht darüber nie etwas aus.«
»In Gottes Namen,« antwortete Bertram, »macht nur alles anständig und fordert, was Ihr wollt.«
»O, das ist bald getan; wir schröpfen niemand, wenn wir auch dicht am Zollhause wohnen.«
Bertram war allein. Trübselig ging er ein paarmal in der Zelle auf und ab, blickte ein paarmal durch das enge, vergitterte Fenster auf die See hinaus, las auch ein paar von den Witzen, der der und jener frühere Insasse in seiner desperaten Stimmung auf die getünchten Wände gekritzelt hatte. Was er zu hören bekam, war so häßlich wie alles, was er sah; bald schlug die Flut brausend gegen den Fuß der Mauern, bald knarrten Riegel oder Angeln, bald hallte die rauhe Stimme Mac Guffogs oder die gellende seiner keifsüchtigen Ehefrau, bald das Gebell des grimmigen Kettenhundes, wenn ihn Gefangene neckten, in seinen Ohren wider.
Eine schmutzige Magd kam, den Tisch zum Essen herzurichten, indem sie Messer und Gabel, denen man nicht ansah, daß sie viel geputzt wurden, neben einen zerbrochenen Steingutteller legte, zusammen mit einem leeren Senftopf und einem Salzfaß, das bedenkliche Gebrauchspuren aufwies. Bald kam die nichts weniger als appetitliche Hebe zum andern mal wieder mit Rindfleischschnitten in wässriger Brühe, und einem Stück Schwarzbrot, und fragte, was der Gefangene trinken wolle. Bertram hielt sich an Wein und Brot mit etwas Käse, gab auf die Frage, ob ihr Herr ihn besuchen solle, der Magd den Bescheid, daß er lieber allein bleiben wolle, und ließ sich Licht, Papier, Feder und Tinte geben. Aber nur Licht konnte er haben, die andern Dinge, ließ Mac Guffog sagen, müßten erst besorgt werden, aber er könne das Geld dafür nicht auslegen. Bertram fragte, ob er ein Buch haben könne, und drückte der Magd ein Trinkgeld in die Hand. Nach geraumer Zeit kam sie mit ein Paar Heften des Newgate-Registers wieder, die Bertrams Gedanken sehr trübe stimmten, weckten sie doch das Bewußtsein seiner trüben Lage immer von neuem in seinem Herzen, so sehr er sich auch Mühe gab, sie im günstigsten Lichte zu betrachten. Bertram dachte an Delaserre, der nun bald in Schottland sein mußte, an die Papiere, die auch bald von seinen Vorgesetzten kommen mußten; er dachte an den Obersten Mannering, der ihm schlimmstenfalls sein Zeugnis nicht weigern würde – er dachte weiter, ob es nicht vielleicht auf diese Weise zu einer Aussöhnung mit ihm kommen möchte? hatte er doch mehr denn einmal bei ihm die Beobachtung gemacht, daß er, wenn er sich einmal für jemand zu erwärmen anfing, vor keinem Opfer zurückscheute, und denjenigen immer am meisten anhing, denen er das Leben hatte schwer machen müssen. Vom Obersten fanden seine Gedanken den Weg zu Julien, seiner Tochter, und ohne Acht für die Kluft, die ihn, einen Glücksritter und Emporkömmling, der sich auf ihres Vaters Zeugnis angewiesen sah, um der Haft ledig zu werden, von der Tochter eines durch seine Waffentaten berühmten Helden und einzigen Erbin all seiner Reichtümer und Schätze schied, genau abzumessen, baute er die größten Luftschlösser und dekorierte sie mit all dem muntern Farbenspiel eines Sommerabend-Himmels, als plötzlich lautes Pochen am Außentore und heftiges Hundegebell ihn aus seinen Sinnen riß. Bald nachher hörte er das Tor offnen und jemand eintreten. Dann kam ein Hund die Treppe herauf und kratzte winselnd mit der Pfote an der Tür; dann tönten schwere Schritte auf dem Korridor, Mac Guffogs rauhe Stimme ließ sich vernehmen, dann wurde die Tür geöffnet, und zur nicht geringen Verwunderung und Freude sah Bertram Silvan, seinen Dachshund, über die Schwelle springen; ihm hinterher kam sein anderer treuer Freund aus Charlieshope, der Landmann Dinmont.
»Ei! sieh da!« rief dieser mit einem Blick auf die elende Zelle – »was ist denn mit Ihnen vorgegangen?«
»Das Schicksal hat mir eins ausgewischt, Freund Dinmont,« erwiderte Bertram, ihm herzlich die Hand schüttelnd – »sonst ist nichts weiter!«
»Aber was soll – was kann dabei geschehen? Welcher Grund liegt dabei vor? Geldschulden? Oder was sonst?« fragte Dinmont lebhaft.
»Falls Ihr Zeit habt, lieber Dinmont, und Euch ein Weilchen setzen könnt, will ich Euch sagen, was ich von der Sache weiß.«
»Zeit? Na, Schwerenot, Freund! Ich bin ja doch zu dem Zwecke hier, zu sehen, was los ist, denke aber, Sie essen doch lieber erst? Spät genug ist's wenigstens dazu. Im Wirtshause, wo mein Rappen steht, habe ich den Leuten gesagt, sie sollen mir das Abendessen hierherbringen, und Mac Guffog, der liebe Mensch! läßt's passieren – die Sache ist schon mit ihm abgemacht. Aber nun sagt mir, was Euch passiert ist ... Kusch dich, Silvan! ... Der arme Kerl freut sich noch scheckig, Sie wiederzusehen!«
Bertram hatte bald erzählt, was ihn hierhergebracht: das unselige Vorkommnis mit dem jungen Hazlewood, und die Verwechslung mit einem beim Angriffe gegen Woodbourne beteiligt gewesenen Schmuggler gleichen Namens. Dinmont hörte aufmerksam zu ... »Na, dann ist die Sache ja nicht weiter schlimm! Dem jungen Laird geht's ja besser und ein Paar Schrotkörner in der Schulter haben nicht viel auf sich – freilich, wenn er das Auge dabei eingebüßt hatte, wär's anders!«
»Aber wie habt Ihr erfahren, Freund, daß ich hier stecke?«
»Ja, das ist eine schnurrige Geschichte! Aber erst wollen wir essen. So lange dies weibliche Ungetüm sich um uns herbewegt, wär's kaum gut, davon zu reden.«
Das Essen kam, und Bertram mußte seine Neugier zügeln; denn Dinmont hatte, wie er sagte, seit dem Frühstück keinen Bissen genossen, rechnete dabei freilich die halbe Hammelkeule nicht, die er sich zu Mittag hatte schmecken lassen, und fiel wie ein Scheunendrescher über das leckere Mahl her, ganz wie ein homerischer Held, wenig, weder Gutes noch Schlimmes, redend, bis Hunger und Durst gestillt waren.
»Nun,« begann er endlich, die Knochen eines verspeisten Huhns mit den Blicken wägend, »für eine Stadthenne im Grunde genommen gar nicht übel, aber unsere Hühner in Charlieshope sind mir doch lieber, Kind,« rief er der Magd zu, »Rum, heißes Wasser und Zucker haben wir – Du kannst also Deiner Wege gehen; wir wollen allein sein.«
Die Magd ging: Dinmont guckte durch das Schlüsselloch, um zu sehen, daß auch niemand lauschte, trat zum Tische, mischte einen strammen Grog, fachte das Feuer an und nahm endlich das Wort auf eine sonst ihm nicht gewohnte ernste Weise.
»Seht, Rittmeister,« sagte er, »ich bin ein paar Tage in Edinburg gewesen, beim Begräbnis einer weitläufigen Verwandten, hab wohl gedacht, der Ritt würde was einbringen, bin aber abgefallen. Was kann das aber helfen? Auch um einen Prozeß ging's mir – um ein Stück Hutweide – aber was interessiert das Sie? Kurz und gut, ich hatte in Edinburg nichts mehr zu verrichten und war frühmorgens draußen auf der Heide, um nach den Herden zu sehen, und da kam mir ein Mensch in Sicht, der keiner von den Hirten war – wer aber war's? Gabriel, der Fuchsjäger! Das wunderte mich nicht wenig ... »He, was macht denn Ihr hier, ohne Eure Hunde?« fragte ich; »wollt wohl den Fuchs fangen ohne Hunde?«
»Nein, Herr,« versetzte er, »Euch suche ich!« – »Nun, was wollt Ihr denn von mir?« fragte ich, »wohl was für den Winter?« – »Nein, nein, so was nicht,« sagte er; »aber, mit dem Rittmeister, dem Brown, der hier war, steht Ihr doch gut?« – »Freilich, Gabriel,« erwiderte ich, »was ist denn los mit ihm?« – »Na,« sagte er, »es gibt noch andre, die's gut mit ihm meinen, und Leute, denen ich parieren muß, also ist's nicht aus eignem Willen, daß Ihr mich hier seht – aber wenn Ihr's gut mit ihm meint, dann reitet Ihr nach Portanferry; laßt aber nicht Gras unterm Hufe wachsen; und trefft Ihr ihn im Stockhause, so bleibt zwei Tage bei ihm, Tag und Nacht, denn er wird Freunde brauchen, die ihre Fäuste zu führen wissen. Versäumt's nicht, denn Ihr möchtet's 'mal bereuen; solche Gelegenheit, ihm rechter Freund zu sein, kommt Euch Euer Lebtag ganz gewiß nicht wieder.« – »Aber, Gabriel,« sagte ich, »wie habt Ihr denn das erfahren? Bis Portanferry ist eine stramme Tour.« – »Schert Euch nicht um das Wie,« sagte er, »auch nicht um den Mann, der die Kunde brachte, und der Tag und Nacht hat reiten müssen. Aber Ihr müßt, wenn Ihr noch was helfen wollt, auf der Stelle fort – sonst hab ich Euch weiter nichts zu sagen.« Darauf ging er ins Tal hinunter. Ich ritt heim, wußte eigentlich nicht, was ich machen sollte, dachte, es wäre doch dumm, sich von einem Landstreicher in den April schicken zu lassen. Da kam ich ja schön an bei meiner Alten! »Eine Schande wär's,« sagte sie, »wenn Ihnen was zustieße, was ich vielleicht hindern könnte.« Da kam Ihr Brief, der alles bestätigte, und da bin ich zu meinem Kasten gegangen, hab ein Paar Banknoten herausgenommen für alle Fälle und von dem Jungen den Rappen satteln lassen, der frisch war wie ein Röschen, denn ich hatte die Tour nach Edinburg auf dem Falben gemacht. Und Silvan, der Strick, war gar nicht zu halten, wie wenn er gewußt hätte, wohin es gehen sollte – und, nun bin ich da, Freund – aber – die Hosen hab ich mir durchgeritten – 's war eine stramme Tour!«
Bertram erkannte daraus, daß eine neue Gefahr über ihm schwebte, vielleicht bedrohlicherer Art, als ein kurzer Arrest sie ihm hätte bringen können, sowie weiter, daß ein unbekannter Freund über ihm wachte und für ihn arbeitete ... »Sagtet Ihr nicht, Freund Dinmont,« fragte er, »der Gabriel, von dem Ihr spracht, gehöre zu den Zigeunern im Lande?« »So heißt es,« antwortete Dinmont, »und was wir jetzt erfahren, macht es sehr wahrscheinlich. Die wissen alles voneinander und untereinander und tragen Neuigkeiten durch das ganze Land von einem Ende zum andern. Daß ich's übrigens nicht vergesse, nach dem alten Weibe, das wir in Newcastle gesehen, hat Tod und Teufel gefragt – die Behörde hat an allen Ecken und Enden nach ihr suchen lassen und eine Prämie von fünfzig Pfund auf ihren Kopf gesetzt, aber kriegen wird man sie drum doch nicht, wenn sie sich nicht kriegen lassen will.«
»Und warum wird sie gesucht?« fragte Bertram.
»Kann's nicht sagen. Was drüber geschwatzt wird, ist wohl dummes Zeug; bei den einen heißt's, sie könne sich unsichtbar machen und durch Schlüssellöcher kriechen – andre, sie sei schon über hundert Jahre alt und könne von den unruhigen Zeiten erzählen, als die Stuarts aus dem Lande gejagt wurden. Ja, hätte ich gewußt, daß es die Meg Merrilies wäre, die wir in der Schenke sahen, so hätte ich ihr schon was in die Hände gedrückt.«
Bertram lauschte Dinmonts Worten sehr gespannt, trafen sie doch in so manchen Stücken mit all dem zusammen, was er selbst von der alten Sibylle gesehen. Nach kurzem Besinnen meinte er, sich nicht wortbrüchig zu machen, wenn er dem Freunde, der von der Zigeunerin eine so gute Meinung zu haben schien, alles erzählte, was er in Derncleugh erlebt hatte.
Dinmont schüttelte drob seine schwarzen Locken ... »Ja, ja, Gutes und Böses wohnt beides in diesem wunderlichen Volk, und uns geht's nicht an, wenn sie gemeinsame Sache mit dem Bösen machen – das müssen sie 'mal selbst ausbaden – soviel bloß weiß ich, die Schmuggler lassen, wenn einer von ihnen im Kampfe geblieben, immer gleich ein Weib wie die alte Meg holen, damit sie die Leiche in Ordnung bringt; von einem Begräbnis wie wir, wissen sie nichts; hat die Leiche, was ihr zukommt, dann wird sie verscharrt wie ein Hund. Bloß ein altes Weib muß dabei sein, das alte Lieder oder Zaubersprüche herleiert. Ich wette, der Tote war einer von den Leuten, die bei dem Woodbourner Brande erschossen wurden.«
»Aber Woodbourne ist ja nicht niedergebrannt worden,« fiel ihm Bertram ins Wort.
»Nun, recht gut für alle, die darin wohnen. Bei uns hat's geheißen, es sei kein Stein auf dem andern geblieben. Aber gekämpft worden ist, und ohne Frage ist der Tote auch dort geblieben, wie auch die Zigeuner Ihnen das Felleisen genommen haben, als Ihre Kutsche im Schnee steckte.«
»Wenn das alte Weib aber so viel Macht über sie hat, warum konnte sie mich nicht offen beschützen und mir meine Habe zurückgeben lassen?«
»Wer vermöchte das zu sagen?« versetzte Dinmont, »die andern werden wohl auf ihrem Willen bestehen, wenn ihnen Profit winkt. Es waren ja doch auch Schmuggler mit dabei, und über sie hat die Meg nicht soviel Gewalt. Und dann ist wohl auch zu bedenken, daß die Alte nicht ganz richtig im Kopfe ist. Das Wahrsagen mag sie wohl verstehen, zum wenigsten glaubt sie selbst steif und fest daran und richtet sich immer nach ihrem wunderlichen Getue – aber bleib mir einer mit solchem Krame, wie Zauberei, Leichenverscharren und dergleichen vom Halse! wir leben doch in keinem Märchenparadiese!«
Mac Guffog störte die Unterhaltung, indem er die Riegel wegschob und den Kopf zur Tür hereinsteckte ... »Na, nun wird s Zeit, Herr Dinmont,« fügte er, »eine Stunde haben wir Euch zu Gefallen zugegeben, aber jetzt müssen wir die Bude schließen – Sie müssen sich in Ihr Quartier begeben.«
»Ich, Freund? Reden Sie nicht! ich schlafe heute nacht hier. Ein Bett ist ja übrig.«
»Das geht nicht,« versetzte Mac Guffog – »unter keinen Umständen.«
»Geht nicht? Sie meinen, ich gehe nicht? Na, das sollen Sie auch erleben. Nicht von der Stelle geh ich. Kommt her und nehmt mal ein paar gute Schlucke.«
Mac Guffog nahm ein paar gute Schlucke, bestand aber auf seinem Begehr ... »Es ist wider die Hausordnung, Herr Dinmont! Hier haben bloß Missetäter und Vagabunden Unterkunft, und Sie sind keins von beiden,«
»Den Kopf schlag ich Euch ein, Kerl, wenn Ihr das Maul noch einmal aufmacht – und hier Anspruch auf ein Nachtquartier zu haben, wird dann wohl weitere Missetat nicht von nöten sein.«
»Aber, Herr Dinmont, es ist wider die Hausordnung, und ich komme um mein Amt!«
»Mac Guffog, nur zwei Worte noch! Ihr kennt mich und wißt, daß ich keinem Arrestanten zur Freiheit verhelfe.«
»Woher soll ich das wissen?«
»Wißt Ihr das nicht, dann was anderes: z. B., daß Euch Euer Amt zuweilen in unser Tal führt. Laßt mich heut ruhig beim Rittmeister nächtigen; ich zahle Euch die doppelte Stubentaxe – sagt Ihr aber nein, dann gibt's eine Prügelsuppe, wie noch nie, sobald Ihr wieder einen Fuß zu uns ins Tal setzt.«
»Gut denn, Herr Dinmont, wer auf seinem Kopfe besteht, muß seinen Willen haben. Das ist 'mal nicht anders. Aber werd' ich darüber zur Rede gestellt, dann weiß ich, an wen ich mich zu halten habe. Das laßt Euch gesagt sein.«
Darauf ging er, visitierte noch sämtliche Türen und begab sich zur Ruhe.
»Es ist zwar noch nicht spät,« meinte Dinmont, als sie allein waren und die Glocke die neunte Stunde schlug; »aber Sie sind müde, wie ich merke. Legen wir uns aufs Ohr, wenn Sie keine Lust haben, noch einen Becher mit mir zu leeren.«
Bertram ließ sich nicht lange nötigen, konnte sich aber, als er sich das Bett ansah, nicht zum Auskleiden entschließen, sondern warf sich in Sachen auf die von der Schließerin für rein erklärten und doch höchst unsaubern Laken.
»Sie haben recht, Rittmeister,« meinte Dinmont, »und ich will's ebenso machen; zum Glück wird mein Flausrock schon was abhalten.«
Und mit einer Wucht, daß alle Fugen krachten, warf er sich auf das Bett, und sein Schnarchen verriet bald, daß er im tiefsten Schlafe lag.
Bertram konnte lange nicht einschlafen, denn sein Gemüt war zu rege befaßt mit dem Gedanken an sein seltsames Geschick und die Geheimnisse, die sich immer dichter um ihn scharten, während Feinde und Freunde aus einer Menschenklasse, mit der er bislang nie in Verbindung gestanden, ihn verfolgten und beschützten, ohne daß er weder diese noch jene kannte. Endlich schloß ihm Müdigkeit die Augen, und er schlief bald ganz eben so fest wie sein Gefährte.