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Elftes Kapitel.

Der Waräger und Graf Robert hatten, unter der Gefahr entdeckt zu werden, so nahe gelauscht, um den Sinn der ganzen Unterredung zu erfassen, auch wenn sie nicht jedes einzelne Wort verstehen konnten.

»Hat er ihre Forderung angenommen?« sagte der Graf von Paris.

»Ja, und, wie es schien, bereitwillig,« sagte Hereward.

»O, ohne Zweifel –« antwortete der Kreuzfahrer; »aber er weiß nicht, welche Geschicklichkeit in der Fechtkunst ein Weib haben kann; Gott weiß es, es hängt viel für mich von dem Ausgang dieses Kampfes ab, aber ich wünsche zu Gott, es hinge noch viel mehr davon ab. Ich schwöre es bei U. L. F. zu den gebrochenen Lanzen, ich wollte, jede Furche Land, das ich als Eigenthum besitze – jede Würde, die ich mein eigen nenne, von der Grafenwürde von Paris bis zu meinem Spornleder herab, hinge von diesem Kampfe zwischen eurem Cäsar, wie man ihn nennt, und Brenhilda von Aspramonte ab.«

»Das ist ein edles Zutrauen,« sagte der Waräger, »auch will ich es nicht als voreilig tadeln; nur muß ich sagen, daß der Cäsar ein eben so starker als schöner Mann ist, im Gebrauch der Waffen geübt, und weniger von den Gesetzen der Ehre gebunden, als Ihr Euch für gebunden erachtet. Es gibt allerhand Vortheile, die nach der Meinung des Cäsars die Gleichheit des Kampfes nicht gefährden, obwohl sie es nach der Ansicht des ritterlichen Grafen von Paris und selbst des armen Warägers allerdings thun. Doch laßt mich Euch zuerst an einen sicheren Platz bringen: denn Eure Flucht muß bald entdeckt werden, wenn sie es nicht schon bereits ist. Die Töne, welche wir gehört haben, zeigen an, daß einige Mitverschworne in den Garten gekommen sind, die kein Liebeshandel herführt. Ich will dich zu einer anderen Thüre als die, durch welche wir hereingekommen sind, hinausführen. Doch, ich vermuthe, Ihr werdet Euch schwerlich zu dem besten Auskunftsmittel verstehen.«

»Und was wäre das für eins?« sagte der Graf.

»Daß du deine Börse, auch wenn sie dein Alles wäre, einem armen Schiffer gäbest, der dich über die Meerenge setzte, daß du dann eiltest, dem Gottfried von Bouillon deine Klage vorzutragen, und daß du mit einer hinlänglichen Anzahl von Kreuzfahrern, die du leicht zusammenbringen kannst, hierher zurückkehrtest, und die Stadt mit einem unverzüglichen Kriege bedrohtest, wofern der Kaiser deine, auf so nichtswürdige Art gefangen gehaltene Dame nicht frei gäbe, und dadurch diesem abgeschmackten und unnatürlichen Zweikampfe nicht vorbeugte.«

»Und möchtest du also haben,« sagte Graf Robert, »daß ich die Kreuzfahrer verleitete, ein schon abgestecktes Schlachtfeld zu verlassen? Glaubst du, daß Gottfried von Bouillon wegen einer so unbedeutenden Sache auf seinem Kreuzzuge umkehren, oder daß es die Gräfin von Paris für einen Dienst annehmen werde, wenn man ihr ein Rettungsmittel anbietet, das ihre Ehre für immer beflecken würde, weil dadurch ein feierlicher Vertrag gebrochen würde, der auf ihre eigene Forderung gemacht worden ist? – Das sei ferne!«

»Mein Verstand verläßt mich,« sagte der Waräger; »denn ich sehe, daß ich kein Auskunftsmittel ersinnen kann, ohne daß Ihr mir auf irgend eine Art mit Euren überspannten Ansichten dazwischenfahret. Da ist ein Mann, der durch die schändlichste Hinterlist in die Gewalt seines Feindes fiel, das Weib dieses Mannes wird durch ähnliche Ränke an ihrem Leben und ihrer Ehre bedroht, und nun glaubt er doch, es sei nöthig, diesen nächtlichen Banditen so viel Treu' und Glauben zu halten, wie einem untadelhaften Manne!«

»Du sagst eine bittere Wahrheit,« versetzte Graf Robert; »aber mein Wort ist das Bild meiner Treue, und wenn ich es einem ehrlosen und falschen Feinde gebe, so ist das unklug von mir gehandelt; doch wenn ich es breche, wenn es einmal angenommen worden ist, so ist das eine ehrlose Handlung, deren Makel immer an meinem Schild haften würde.«

»Seid Ihr also damit einverstanden,« sagte der Waräger, »daß die Ehre Eures Weibes von dem Erfolg eines ungleichen Kampfes abhängen soll?«

»Gott und die Heiligen mögen dir diesen Zweifel verzeihen!« sagte der Graf von Paris. »Ich werde diesem Kampfe mit einem so ruhigen, wenn auch nicht so fröhlichen Herzen zusehen, wie je einem anderen, wo Lanzen gebrochen wurden. Sollte ein Unglück oder Verrath erfolgen (denn von einem solchen Gegner kann Brenhilda von Aspramonte unmöglich besiegt werden), so trete ich in die Schranken, erkläre den Cäsar für einen Schurken, was er ist, zeige sein falsches Benehmen von Anfang bis zu Ende, rufe jedes edle Herz, das mich hört, zum Zeugen, und dann – Gott zeigt das Recht!«

Hereward schwieg und schüttelte den Kopf. »Das Alles,« sagte er, »würde thunlich sein, wenn der Kampf in Gegenwart Eurer eigenen Landsleute stattfände, oder wenn die Waräger die Schranken bewachten. Aber die Griechen sind mit Verrätherei jeder Art so vertraut, daß ich glaube, sie werden in dem Betragen ihres Cäsars nichts weiter als eine sehr verzeihliche und natürliche Liebeslist erblicken, die man eher belachen als tadeln und bestrafen müsse.«

»Ein Volk,« sagte Graf Robert, »das zu solchem Spaße lachen kann, muß der Himmel in der letzten Noth verlassen, wenn das Schwert in seiner Hand zerbrochen ist, und wenn die Weiber und Töchter unter der harten Faust feindlicher Barbaren schreien!«

Hereward blickte auf seinen Gefährten, dessen feurige Wangen und blitzende Augen den inneren Eifer kundgaben.

»Ich sehe,« sagte er, »Ihr seid entschlossen, und ich weiß, daß Euer Entschluß nur eine heldenmüthige Thorheit genannt zu werden verdient – Was thut's, lange schon schmeckt das Leben dem armen Waräger bitter. Jeder Morgen weckte ihn in seinem freudenlosen Bette, in welchem er die Nacht gelegen hatte, um ihn eine Söldnerwaffe in fremden Kriegsdiensten schwingen zu lassen. Längst hat er gewünscht, sein Leben für eine ehrenvolle Sache zu lassen, und keine ehrenvollere als die gegenwärtige kann gefunden werden. Auch paßt sie zu meinem Plan, den Kaiser zu retten, was durch den Fall seines undankbaren Schwiegersohnes am meisten möglich gemacht werden wird.« Hierauf wandte er sich an den Grafen und fuhr fort: »Gut, Herr Graf, da Ihr die hauptsächlich beteiligte Person seid, so unterwerfe ich mich in dieser Sache Eurer Meinung; doch hoffe ich, daß Ihr mir erlaubt, Eurem Entschluß mit einigen Rathschlägen beizuspringen, die alltäglicher und nüchterner Art sind. Eure Flucht aus den Blachernäkerkern muß bald bekannt werden. Aus Klugheit muß ich selbst der erste sein, sie anzuzeigen, weil sonst Verdacht auf mich fallen könnte. – Wo gedenkt Ihr, Euch zu verbergen? denn gewiß, man wird überall strenge Nachsuchung halten.«

»Was das betrifft,« sagte der Graf von Paris, »so muß ich mich auf dich verlassen, und mit Dank jede Lüge annehmen, die du für mich erfinden kannst; nur bitte ich dich, so wenig Lügen als möglich zu machen: denn sie sind eine Münze, die ich nicht schlage.«

»Herr Ritter,« antwortete Hereward, »ich muß Euch vornweg sagen, daß kein Ritter, der je das Schwert umgürtete, ein größerer Verehrer der Wahrheit ist, als der arme Soldat, der mit Euch redet, wenn man ihn ebenfalls mit Wahrheit bedient; aber wenn das Spiel nicht von Ehrlichkeit abhängt, sondern davon, daß man die Vorsichtigkeit Anderer durch Verstellung einlullt, und ihre Sinne durch einen Schlaftrunk benebelt, können diejenigen, die keinen Anstand nehmen, mich zu betrügen, schwerlich von mir erwarten, daß ich, den man mit falscher Münze bezahlt, meinerseits nun rechtlich und ehrlich handeln solle. Für jetzt müßt Ihr Euch in meiner schlechten Wohnung, in den Baracken der Waräger, wo man Euch gewiß am letzten suchen wird, versteckt halten. Hier nehmt meinen Mantel, und folgt mir; und da wir nun bald aus dem Garten sein werden, so kannst du mir, ohne Verdacht zu erregen, wie eine den Offizier begleitende Schildwache folgen; denn das sollt Ihr wissen, edler Graf, daß wir Waräger Leute sind, welche die Griechen nicht gern lang und genau betrachten.«

Sie hatten nun das Thor erreicht, durch welches sie von der Negerin eingelassen worden waren, und Hereward, der, wie es schien, die Vollmacht hatte, das Landgut des Philosophen ohne den Beistand der Thürhüterin verlassen zu können, zog einen Schlüssel der nach Innen öffnete, so daß sie sich bald im Freien befanden. Auf Nebenwegen durchgingen sie die Stadt, Hereward voran, der Graf schweigend hinter ihm, bis sie endlich vor dem Thore der Baracken der Waräger hielten.

»Eilt euch,« sagte die Schildwache, die auf dem Posten stand, »man ißt schon zu Mittag.« Diese Worte erfreuten Hereward, der gefürchtet hatte, sein Begleiter möchte angehalten werden. Durch einen Seitengang gelangte er zu seiner Wohnung; hier führte er den Grafen in ein kleines Gemach, dem Schlafzimmer seines Dieners, entschuldigte sich, daß er ihn daselbst für einige Zeit zurücklassen müsse, und, als er wegging, verschloß er die Thüre, aus Furcht, wie er sagte, daß Jemand kommen möchte.

Es war nicht anzunehmen, daß der Geist des Argwohns ein so offenes Gemüth, wie das des Grafen Robert, plagen würde, und dennoch veranlaßte ihn die letzte Handlung Herewards zu peinlichen Betrachtungen.

»Dieser Mann,« sagte er, »hat große Treue nöthig: denn ich habe ihm ein Vertrauen geschenkt, dessen wenige Miethlinge wie er würdig sein möchten. Was hindert ihn, dem Befehlshaber der Wache zu berichten, daß der fränkische Gefangene, Robert Graf von Paris, dessen Weib mit dem Cäsar in einen so verzweifelten Kampf verwickelt ist, wirklich diesen Morgen durchgebrochen sei, daß er sich aber um Mittag wieder hätte erwischen lassen, und nun in den Baracken der Waräger gefangen sitze? – auf welche Art wollte ich mich vertheidigen, wenn ich diesen Söldlingen verrathen würde? – Was ein Mann thun konnte unter dem Schutze U. l. F. von den gebrochenen Lanzen, das habe ich gethan. Ich habe einen Tiger erschlagen, einen Wärter getödtet, und das verzweifelte Ungeheuer, das ihm beistand, überwunden. Es hat mir nicht an Worten gefehlt, diesen Waräger auf meine Seite zu bringen – wenigstens dem Anschein nach; doch das Alles läßt mich nicht hoffen, daß ich lang zehn oder zwölfen dieser Rindfleischfresser stehen könnte, zumal wenn ein starker handfester Bursch, wie dieser mein Begleiter ist, sie führt – Doch pfui, Robert! solche Gedanken sind eines Nachkömmlings Karls des Großen nicht würdig. Seit wann wärest du gewohnt, so ängstlich deine Feinde zu zählen, und seit wann dürftest du so argwöhnisch sein, da der, welcher sich des Trugs unfähig nennt, wenigstens auch bei anderen Redlichkeit voraussetzen muß? Der Blick des Warägers ist offen, sein Gleichmuth in Gefahr unverkennbar, und seine freie herzliche Sprache ist nicht die eines Verräthers. Wenn er falsch ist, so verdient die Hand der Natur keinen Glauben: denn Treue, Biederkeit und Muth sind ihm an der Stirne zu lesen.«

Während Graf Robert also über seine Lage nachdachte, und die Zweifel und argwöhnischen Gedanken bekämpfte, die aus der Ungewißheit derselben hervorgingen, fing er an zu merken, daß er seit vielen Stunden nichts gegessen hatte; und unter manchen Zweifeln und Befürchtungen heroischerer Art verfiel er auch auf den Argwohn, daß man seine Kraft durch Hunger brechen wolle, ehe man in's Gemach dringen würde, um ihm den Garaus zu machen.

Wir werden am besten sehen, ob Hereward diesen Argwohn verdiente, oder ob er ungerecht war, wenn wir dem Waräger auf allen Schritten, die er that, als er das Gemach verlassen hatte, folgen wollen. Nachdem er einige Bissen genossen hatte, die er mit einem Anschein von Heißhunger verschlang, um sich unangenehmen Fragen und jedes anderen Gesprächs zu entziehen, schützte er den Dienst vor, und verließ alsbald seine Cameraden, um sich nach der Wohnung des Achilles Tatius zu begeben, die einen Theil des Gebäudes ausmachte. Ein syrischer Sclave, der Lieblingsdiener des Akoluthos, öffnete die Thüre mit einer tiefen Verbeugung, und sagte zu Hereward, daß sein Herr ausgegangen wäre, aber zurückgelassen habe, daß, wenn ihn Hereward zu sprechen wünsche, er in den Gärten des Philosophen Agelastes anzutreffen sei.

Hereward kehrte sogleich um, und da er auf dem kürzesten Weg die Straßen von Constantinopel durchschnitt, stand er bald vor der Gartenthüre, durch welche er einige Zeit vorher mit dem Grafen von Paris gegangen war. Die nämliche Negerin erschien auf das gegebene Zeichen, und als er nach Achilles Tatius fragte, versetzte sie etwas spitz: »Da Ihr diesen Morgen hier waret, so wunderts mich, daß Ihr ihn nicht gesehen habt, oder, wenn Euch Geschäfte zu ihm führten, daß Ihr auf seine Ankunft nicht gewartet habt. Gewiß ist, daß der Akoluthos, der nicht lange nach Euch in den Garten kam, nach Euch gefragt hat.«

»Schon gut, Alte,« sagte der Waräger; »ich gebe meinem Vorgesetzten über meine Schritte Rechenschaft, aber nicht dir.« Er trat hierauf in den Garten, und indem er den dunklen Pfad vermied, der zur Laube der Liebe führte, wie der Pavillon hieß, wo er das Gespräch zwischen dem Cäsar und der Gräfin von Paris belauscht hatte, gelangte er zu einem einfachen Gartenhause, dessen bescheidenes Aeußere die Wohnung der Philosophie und Wissenschaft verkündigte. Indem er hier vor den Fenstern vorbeischritt, machte er ein Geräusch, um die Aufmerksamkeit des Achilles Tatius oder seines Mitverschwornen Agelastes zu erregen. Es war Jener, der ihn zuerst hörte. Die Thüre that sich auf; eine hohe Feder neigte sich, damit ihr Träger die Schwelle überschreiten könnte, und die hohe Gestalt des Achilles Tatius trat in den Garten. »Was bringt,« sagte er, »unsere treue Schildwache? was hast du uns zu dieser Tageszeit zu berichten? Du bist unser guter Freund und hochgeschätzter Waffengenosse, und wir wissen wohl, daß dein Bericht wichtig sein muß, da du ihn selbst und zu außergewöhnlicher Stunde bringst.«

»Wollte der Himmel,« sagte Hereward, »daß die Neuigkeiten, welche ich bringe, einen Willkomm verdienten.«

»Nur heraus damit,« sagte der Akoluthos, »gut oder böse; du sprichst zu einem Mann, der die Furcht nicht kennt.«

Aber sein Auge, das zuckte, als er den Soldaten ansah, seine Farbe, die schwand und kam, seine Hände, die unsicher an den Gürtel des Schwertes zupften, das Alles verrieth einen Gemüthszustand, der von dem trotzigen Ton seiner Rede sehr verschieden war. »Muth,« sagte er, »wackerer Krieger! sage mir deine Neuigkeiten. Ich kann auch das Schlimmste hören.«

»Nun denn mit einem Wort,« sagte der Waräger; »Ew. Festen hat mich diesen Morgen beauftragt, die Runde in den Kerkern des Blachernäpallastes, wo der blinde alte Verräther Ursel sitzt, und wo letzte Nacht der tollköpfige Graf Robert von Paris eingeschlossen wurde, zu befehligen.«

»Ich erinnere mich,« sagte Achilles Tatius. – »Was weiter?«

»Als ich mich in einem Gemach über den Kerkern ausruhte,« sagte Hereward, »hörte ich ein Schreien von unten, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich eilte nachzusehen, und war im höchsten Grad erstaunt, als ich, in das Gefängniß hinabschauend, zwar nichts deutlich sehen konnte, aber doch ein Gewimmer vernahm, das, wie ich schloß, von dem Waldmenschen Sylvan herkam, dem unsere Soldaten das Sächsische so weit verständlich gemacht haben, daß sie ihn bei dem Wärterdienst in dem Gefängniß gebrauchen können. Ich stieg mit einer Fackel hinab, und fand das Bett, auf welches man den Gefangenen niedergelegt hatte, zu Asche verbrannt, den Tiger, der einen Sprung weit von dem Gefangenen angekettet war, mit zerschlagenem Schädel, den Sylvan sich am Boden windend vor Schmerz und Angst und keinen Gefangenen in dem Kerker. Ich fand, daß alle Riegel von einem mytilenischen Soldaten von unserer Wache, als er zur bestimmten Zeit die Kerker durchsuchte, aufgemacht worden waren; und als ich nach ängstlichem Suchen endlich seine Leiche mit einer Wunde im Hals entdeckte, mußte ich, indem ich den Kerker durchsuchte, annehmen, daß der Graf Robert, dessen Tollkühnheit eines solchen Streiches wohl fähig ist, vermittelst der Leiter und Fallthüre, die mir beim Herabsteigen behülflich gewesen waren, seine Flucht bewerkstelligt haben müsse.«

»Aber warum machtest du nicht gleich Lärm, und ließest ihn verfolgen?« fragte der Akoluthos.

»Ich wagte es nicht,« versetzte der Waräger, »ohne Befehl von Euch zu haben. Der Lärm und die verschiedenen Gerüchte, die daraus entstanden wären, hätten ein Nachsuchen zur Folge haben können, welches vielleicht dem Akoluthos selbst Verdacht hätte zuziehen können.«

»Du hast Recht,« sagte Achilles Tatius flüsternd: »aber doch dürfen wir die Flucht eines so wichtigen Gefangenen nicht länger verheimlichen, wenn wir nicht für seine Mitschuldigen gelten wollen. Wohin denkst du, daß dieser unglückselige Flüchtling geflohen sein mag?«

»Gerade das hoffte ich von Eurer größeren Weisheit zu erfahren,« sagte Hereward.

»Glaubst du nicht,« sagte Achilles, »daß er über den Bosporus ist, um seine Landsleute und Begleiter aufzusuchen?«

»Das ist wohl zu fürchten,« sagte Hereward. »Gewiß, wenn der Graf sich von Jemand rathen ließ, der die hiesigen Verhältnisse kennt, so ist ihm wohl dieser Rath gegeben worden.«

»Die Gefahr, daß er von dort zurückkehrt an der Spitze einer racheschnaubenden fränkischen Schaar,« sagte der Akoluthos, »ist nicht so drohend, als ich zuerst glaubte: denn der Kaiser hat bestimmten Befehl gegeben, daß die Fahrzeuge, welche gestern die Kreuzfahrer an's asiatische Ufer brachten, gleich zurückkehren und keinen Mann wieder herüberbringen sollten. Ueberdies haben Alle, oder wenigstens die Anführer, ehe sie übergesetzt worden sind, das Gelübde gethan, daß sie, da sie sich nun wirklich auf dem Weg nach Palästina befänden, keinen Schritt darauf zurückthun wollten.«

»Von zwei Dingen ist also eins gewiß,« sagte Hereward; »entweder ist Graf Robert jenseits der Meerenge, ohne die Mittel zu haben, mit seinen Genossen zurückzukehren, um das erlittene Unrecht zu rächen, und braucht also nicht gefürchtet zu werden, – oder er ist irgendwo in Constantinopel versteckt, ohne Freunde und Verbündete, die sich seiner annehmen und seine Klagen offen unterstützen; – in beiden Fällen halte ich es für unschicklich, im Pallast seine Flucht bekannt zu machen, da dies nur den Hof erschrecken und dem Kaiser Grund zu Argwohn geben würde. – Aber es geziemt nicht einem unwissenden Barbaren, Eurer Weisheit vorgreifen zu wollen, und der weise Agelastes wäre wohl ein besserer Rathgeber als ich.«

»Nein, nein, nein,« sagte der Akoluthos lebhaft; »der Philosoph und ich sind rechte gute Freunde, geschworne gute Freunde, recht fest mit einander verbunden; doch wenn es dahin kommen sollte, daß Einer von uns den Kopf des Andern dem Kaiser zu Füßen legen müßte, so würdest du mir doch nicht rathen wollen, daß ich, dessen Haare noch keine Spur von Silber haben, meinen eigenen Kopf darbringen sollte; also will ich von diesem Unglück nichts gesprochen haben, aber dir hiermit alle Vollmacht und den strengsten Befehl geben, den Grafen von Paris zu suchen, ihn todt oder lebendig in unser eigenes Gefängniß zu bringen, und, sobald dies geschehen sein wird, mir Bericht darüber zu erstatten. Ich kann ihn zu meinem Freunde machen, indem ich sein Weib durch die Aexte meiner Waräger aus Gefahren rette. Was können sie dagegen einzuwenden haben?«

»Nichts, wenn es einer gerechten Sache gilt,« antwortete Hereward.

»Was? – ist's wahr?« sagte der Akoluthos; »wie meinst du das? – doch ich weiß – du hältst gewissenhaft darauf, bei Allem, was du thust, dem rechtlichen und gesetzmäßigen Befehl deines Vorgesetzten zu folgen, und da du hierin pflichtgemäß und wie es dem Krieger ziemt, denkst, so ist es meine Pflicht, deiner Bedenklichkeit Genüge zu thun. Du sollst eine Vollmacht haben, den fremden Grafen zu suchen und gefangen zu sehen. – Noch eins, mein wackerer Freund,« sagte der Akoluthos nach einigem Zögern, »es wäre besser, du wärst hier weg, darum beginne oder vielmehr vollende deine Nachsuchung. Es ist nicht nöthig, unseren Freund Agelastes von dem Vorgefallenen zu unterrichten, bis jetzt bedürfen wir noch nicht seines Raths. Nach Haus – nach Haus, zu den Baracken; ich will dein Erscheinen hier verantworten, wenn der argwöhnische Alte neugierig genug sein sollte, darnach zu fragen. Fort – zu den Baracken, und handle so, als wenn du die ausgedehnteste Vollmacht hättest. Ich werde dir eine ausstellen, sobald ich in's Quartier zurückgekehrt sein werde.«

Der Waräger wandte sich schnell heimwärts um.

»Nun, ist es nicht,« sagte er, »sonderbar und genug, einen auf Lebenszeit zum Spitzbuben zu machen, wenn man sieht, wie der Teufel junge Anfänger im Lügen begünstigt! Ich habe eine größere Lüge gesagt, wenigstens habe ich mehr Wahrheit verschwiegen, als je sonst in meinem Leben, und was ist die Folge davon? – mein Vorgesetzter rüstet mich mit einer Vollmacht aus, die mehr als hinreicht, mich in Allem, was ich gethan habe oder noch thun will, zu schützen! Wenn der böse Feind seine Verehrer immer so in Schutz nähme, so hätten dieselben keine Ursache, sich über ihn zu beschweren, und bessere Menschen würden die Anzahl der Lügner nicht so groß finden. Doch es kommt eine Zeit, sagt man, wo er nicht verfehlt, die Lügner stecken zu lassen. Darum hebe dich weg von mir, Satan! Wenn ich für einen Augenblick dein Diener zu sein geschienen habe, so geschah es nur aus einem ehrlichen christlichen Vorsatz.«

Als er diesen Gedanken nachhing, sah er hinter sich und fuhr beim Anblick eines Geschöpfs zusammen, das größer und seltsamer gebaut war als ein Mensch, und, das Gesicht ausgenommen, von einem dunkelröthlichen Pelz bedeckt war; der Ausdruck dieses Wesens war widrig und niedergeschlagen; ein Tuch war um eine seiner Hände gewunden und ließ eine Wunde vermuthen. So sehr war Hereward in seine Betrachtungen vertieft, daß er zuerst glaubte, den Teufel wirklich beschworen zu haben, doch nach dem ersten Schreck erkannte er seinen Bekannten Sylvan. »Ei! alter Freund,« sagte er, »es freut mich, daß du dich an einen Ort geflüchtet hast, wo du Früchte genug finden kannst, um dich satt zu essen. Doch höre meinen Rath – laß dich nicht erwischen – das sagt dir ein Freund.«

Der Waldmensch beantwortete diese Anrede mit einem lauten Geschnatter.

»Verstanden,« sagte Hereward; »du willst mir nichts vorschwatzen, sagst du; und gewiß ich traue dir eher als den meisten meiner zweibeinigen Mitbrüder, die sich ewig einander überlisten und morden.«

Eine Minute später war das Thier verschwunden, als Hereward auf einmal einen Schrei und eine weibliche Stimme hörte, die um Hülfe rief. Die Töne mußten bei dem Waräger große Theilnahme erregen: denn, seine eigene gefährliche Lage vergessend, wandte er sich um und flog dem Ort zu, wo man Hülfe begehrte.



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