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Lady Rowena

Erstes Kapitel.

Leontius. – – Die Macht, die gütig Wolken
Als Zeichen nahen Schau'rs am Himmel ausstreut,
Damit der Hänfling flugs sein Schirmdach suche,
Sieht Griechenlands Verfall gleichgültig an,
Und keine Zeichen künden unser Schicksal.
Demetrius. Verkündet haben's tausend Schreckenszeichen:
Der Lenker Schwäche, das verkehrte Recht,
Des Volkes Meuterei, der Großen Lüste,
Und alle Uebel eines kranken Staats.
Und wenn Verderbtheit, dem Gesetz zu stark,
Frech ihre Stirne zeigt, des Unheils Botin,
Kannst du dann Zeichen suchen in der Luft,
Wie sie der Schalk auslegt, der Thor begafft?

Irene, Act I.

Genaue Beobachter der Pflanzenwelt haben bemerkt, daß ein von einem alten Baume genommener junger Schößling dem äußeren Ansehen nach zwar Jugendfrische habe, in der That aber zu demselben Grad von Reife oder Verfall gelangt sei, wie der Urstamm. Daher soll der allgemeine Hinfall und Tod kommen, der oft zu derselben Zeit Bäume von einer gewissen Gattung ergreift, die, ihre Lebenskraft von einem Vaterstamm entlehnend, ihre Dauer nicht über denselben hinaus verlängern können.

Gleicherweise haben die Machthaber der Erde den Versuch gemacht, große Städte, Staaten und Gemeinden durch eine gewaltige Unternehmung zu verpflanzen; sie gedachten, der neuen Hauptstadt den Reichthum, das Ansehen, die großartigen Zierden und die weite Ausdehnung der alten Stadt zu verleihen, die so erneuert werden sollte, indem sie zugleich hofften, von dem Bau der Stadt eine neue Geschichte beginnen zu können, die, wie sie wähnten, wenigstens so lang und ruhmreich sein würde, wie die ihrer Vorgängerin. Doch die Natur hat ihre Gesetze, die sich in der sittlichen Welt eben so gut geltend machen, wie in der Pflanzenwelt. Es scheint ein allgemeines Gesetz zu sein, daß das, was dauern soll, nur langsam zur Reife komme, und nach und nach verbessert werde, während jede plötzliche Unternehmung, die ein Werk, das Jahrhunderte dauern soll, im Nu ausführen will, trotz ihrer Größe die Merkmale frühen Verfalls schon im Keime trägt. So erklärt in einer schönen, morgenländischen Erzählung ein Derwisch dem Sultan, wie er die großen Bäume, unter denen sie wandelten, aus dem Samen aufgezogen habe, und des Fürsten Stolz wird durch den Gedanken gedemüthigt, daß diese so einfach gezogene Pflanzung an jedem neuen Morgen neue Kraft gewinne, während seine eigenen erschöpften Cedern, die mit so viel Anstrengung verpflanzt worden seien, in dem Thale Orez ihre hohen Häupter neigten.

Alle Männer von Urtheil, deren viele Constantinopel jüngst besucht haben, sind meines Wissens einig darüber, daß, wenn es gälte, für ein Weltreich eine Hauptstadt zu suchen, sich die Stadt Constantins durch Schönheit, Reichthum, Sicherheit und Bedeutung mehr zu dieser Wahl eignen würde als jede andere. Aber ungeachtet dieser örtlichen und klimatischen Vorzüge, ungeachtet der Pracht von Kirchen und Hallen, ungeachtet der Marmorblöcke und goldenen Schatzkammern mußte der kaiserliche Gründer die Erfahrung gemacht haben, daß, wenn ihm auch so reiche Hülfsmittel zu Gebote standen, es der Geist des Menschen selbst, und das von den Alten auf's Höchste vervollkommnete Talent gewesen waren, welche die Kunstwerke oder Thaten hervorgebracht hatten, worüber die Welt staunte. Der Kaiser hatte Macht genug, andere Städte ihrer Zierden zu berauben, um seine neue Hauptstadt damit zu schmücken; aber die Männer, die große Thaten verrichtet hatten, und die Künstler, die jene Thaten durch Gesang, Farbe und Töne verherrlicht hatten, waren nicht mehr. Die Nation, wiewohl noch immer die gebildetste der Welt, war über die Lebensperiode hinaus, wo des Namens Ruhm der einzige oder höchste Lohn für den Geschichtschreiber und Dichter, den Maler und Bildhauer ist. Der Despotismus und der Knechtsinn, die sich in das Reich eingeschlichen hatten, hatten längst den Geist zerstreut, der einst das freie Rom durchwehte, und nur schwache Erinnerungen waren zurückgeblieben, die zu keiner Nacheiferung anspornten.

Hätte Constantin auch durch eine Eingießung des alten Römergeistes die Wiedergeburt seiner neuen Hauptstadt bewerkstelligen können, so war es nicht mehr an der Zeit, daß Constantinopel diesen Lichtfunken hätte entlehnen oder Rom ihn verleihen können.

In einer sehr wichtigen Beziehung jedoch hatte sich Constantinopel zu seinem offenbaren Vortheil verändert. Die Welt war christlich geworden, und hatte sich von dem Drucke des heidnischen Aberglaubens befreit. Es steht nicht zu bezweifeln, daß der bessere Glauben seine Früchte gebracht habe, indem er nach und nach die Herzen besserte und die Leidenschaften des Volkes zähmte. Doch während sich viele der Bekehrten in Demuth zu dem neuen Glauben wandten, schränkten einige in der Vermessenheit ihres Verstandes die Schrift nach ihren Meinungen ein, und andere machten aus dem religiösen Charakter und dem geistlichen Stand Staffeln, um zur weltlichen Macht emporzustreben. So kam es, daß die Wirkungen dieser großen Umwälzung, wiewohl sie eine alsbaldige Ernte brachte, und manchen guten Samen für die Zukunft ausstreute, im vierten Jahrhundert nicht dem großen Frühlinge glichen, wie er das Ergebniß der christlichen Grundsätze hätte sein müssen.

Grade der erborgte Glanz, womit Constantin seine Stadt schmückte, schien auf einen vorzeitigen Verfall zu deuten. Indem der kaiserliche Gründer alte Statuen, Gemälde, Obelisken und Kunstwerke aufbringen ließ, beurkundete er sein Unvermögen, ihren Platz durch neue Erzeugnisse des Genies zu ersetzen; und wenn die Welt, und namentlich Rom ausgeplündert wurde, Constantinopel zu verzieren, so kann man den Kaiser, unter dem dies geschah, einem verschwenderischen Jüngling vergleichen, der einer betagten Verwandtin ihren Mädchenputz raubt, um eine eitle Geliebte damit zu zieren, welcher jener Schmuck gar nicht zu Gesicht steht.

Als sich im Jahr 324 das kaiserliche Constantinopel aus dem bescheidenen Byzanz erhob, zeigte es schon bei seiner Entstehung und in seiner entlehnten Pracht Merkmale des eilenden Verfalls, zu dem die ganze civilisirte Welt, welche das römische Reich damals einschloß, tief und still hinneigte. Auch dauerte es nicht lange, bis sich die Voraussage dieses Verfalls als völlig wahr erwies.

Im Jahr 1080 bestieg Alexius Comnenus den Thron des Reichs, d. h. er wurde zum Herrn von Constantinopel und dessen Gebiet ernannt; auch mochten die wilden Einfälle der Scythen und Ungarn den Schlummer des Kaisers nicht oft stören, wenn sich derselbe, nach Ruhe verlangend, in seine Hauptstadt einschloß. Aber diese Sicherheit erstreckte sich nicht viel weiter: denn die Kaiserin Pulcheria soll der Jungfrau Maria eine Kirche in der größten Entfernung vom Stadtthor erbaut haben, damit sie in ihrer Andacht durch das Kriegsgeschrei der Barbaren nicht gestört werden könnte, und der Kaiser hatte aus demselben Grund einen Pallast in der Nähe dieses Ortes errichtet.

Alexius Comnenus war ein Monarch, dessen Ansehen mehr auf dem Reichthum, der Macht und dem großen Ländergebiete seiner Vorfahren beruhte, als auf dem, was von diesen Glücksgütern gegenwärtig noch übrig war. Dieser Kaiser übte in der Wirklichkeit nicht mehr Herrschaft aus über die zerstückten Provinzen seines Reichs als ein halbtodtes Pferd über die Glieder übt, die bereits der Raub von Krähen und Geiern geworden sind.

In den verschiedenen Gegenden seines Reichs erhoben sich verschiedene Feinde, die einen glücklichen oder zweifelhaften Kampf gegen den Kaiser führten, und für alle die zahlreichen Nationen, mit denen er im Kriege war (die Franken drängten von Westen und die Türken von Osten heran; die Cumanen und Scythen schickten ihre zahlreichen Horden und den Wolkenzug ihrer Pfeile von Norden; die Saracenen endlich nach ihren verschiedenen Stämmen stürmten von Süden heran), war das griechische Reich ein leckerer Bissen. Jede dieser feindlichen Nationen hatte ihre eigene Kriegskunst und eine eigene Art sich zu schlagen. Aber der Römer, wie sich der elende Unterthan des griechischen Reichs noch stets nannte, war bei weitem der schwächste, unwissendste und feigste, den man in's Feld schicken konnte, und es war ein Glück für den Kaiser, wenn es ihm möglich war, die feindlichen Kräfte gegen einander selbst zu kehren, sich der Scythen zu bedienen, um die Türken zu verdrängen, oder diese beiden wilden Völker zu benutzen, um die muthigen Franken zurückzutreiben, die damals durch Peter den Einsiedler und den mächtigen Einfluß der Kreuzzüge zu doppelter Wuth entflammt waren.

Wenn darum Alexius Comnenus während seiner unruhigen Regierung gezwungen war, in der Politik eine niedrige Rolle zu spielen, wenn er manchmal, den Muth seiner Truppen in Zweifel ziehend, dem Gefecht auswich, wenn er gewöhnlich List und Verstellung statt Weisheit, und Falschheit statt Muth aufzuwenden pflegte, so hingen diese Hülfsmittel mehr mit der Schlechtigkeit des Zeitalters als der seines Charakters zusammen.

Hingegen mag der Kaiser Alexius mit Recht getadelt werden, daß er die Prunksucht fast bis zur Tollheit trieb. Er war stolz darauf, sich selbst und Andere mit den gemalten Zeichen verschiedener adeliger Orden zu bekleiden, während der freie Barbar diesen Adel als ein Geschenk des Fürsten doppelt verachtete. Daß der griechische Hof mit unsinnigen Ceremonien überladen war, um den Mangel an Ehrfurcht zu ersetzen, die auf wahrer Würde und wirklicher Macht beruht, war nicht der Fehler dieses Fürsten, sondern hing mit dem Geist der constantinopolitanischen Regierung seit Jahren zusammen. Durch diese Etikette, die Vorschriften über die geringsten und alltäglichsten Dinge enthielt, wurde das griechische Kaiserthum dem von Peking vergleichbar: beide hatten ohne Zweifel denselben eitlen Wunsch, Dingen Werth und Gewicht zu verleihen, die ihrer Natur nach nur nichtsbedeutend sein können.

Doch das müssen wir dem Alexius lassen, daß die gemeinen Hülfsmittel, deren er sich bediente, seinem Reiche nützlicher waren, als es die Maßregeln eines stolzeren und hochfahrenden Fürsten unter den nämlichen Umständen gewesen sein würden. Er war nicht der Mann, um mit seinem fränkischen Gegner, dem berühmten Bohemund von Antiochien, eine Lanze zu brechen, aber bei mehr als einer Gelegenheit setzte er sein Leben frisch aufs Spiel, und so weit wir seine Thaten nach genauer Betrachtung derselben beurtheilen können, war er in Waffen nie gefährlicher, als wenn sich ihm ein Feind entgegenstellte, während er sich aus einem Kampfe zurückzog, worin er besiegt worden war.

Aber abgesehen davon, daß er keinen Anstand nahm, seine Person der Sitte der Zeit gemäß im Handgemenge auszusetzen, so besaß Alexius auch solche Feldherrntalente, wie man sie von einem Führer heut zu Tage verlangt. Er verstand es, vortheilhafte militärische Stellungen anzunehmen, und oft machte er Niederlagen oder zweifelhafte Gefechte in einer Weise gut, daß diejenigen, welche gewähnt hatten, der Ausgang des Krieges müsse von der gelieferten Schlacht abhängen, höchlich darüber betroffen waren.

Verstand Alexius Comnenus die Künste des Kriegs, so war er noch geübter in denen der Politik, wobei er, das Ziel der gegenwärtigen Unterhandlung weit überschreitend, irgend einen wichtigen und dauernden Vortheil mit Sicherheit zu gewinnen hoffte, obwohl er sehr oft durch die Unbeständigkeit und Verrätherei der Barbaren, wie die Griechen gemeinhin andere Nationen und vorzüglich die benachbarten Horden (sie verdienen nicht den Namen von Staaten) nannten, am Ende hintergangen wurde.

Wir schließen diese Charakterzeichnung des Comnenus mit der Behauptung, daß er wahrscheinlich ein achtbarer und menschlicher Fürst gewesen sein würde, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, sich gefürchtet zu machen, da er in und außer seiner Familie jeder Art von Verschwörung ausgesetzt war. Offenbar zeigte er sich als einen gutmüthigen Mann, und er ließ weniger Köpfe abschneiden und Augen blenden, als seine Vorgänger gethan hatten, die auf diese Weise den ehrgeizigen Absichten ihrer Nebenbuhler zu begegnen pflegten.

Noch muß bemerkt werden, daß Alexius seinen vollen Antheil an dem Aberglauben seiner Zeit hatte, womit er einen äußeren Heuchlerschein verband. Ja sogar seine Gemahlin Irene, die mit des Kaisers wahrem Charakter wohl am besten vertraut sein konnte, war der Meinung, daß ihr sterbender Gemahl in den letzten Stunden die nämliche Verstellung gezeigt habe, mit der er in seinem ganzen Leben befreundet gewesen sei. Auch nahm er warmen Antheil an allen kirchlichen Dingen, bei welchen Ketzerei, die der Kaiser wahrhaft oder verstellter Weise verabscheute, im Spiele war. In der Art, womit er die Manichäer oder Paulicianer behandelte, vermissen wir jene Nachsicht mit speculativen Irrthümern, die nach dem Urtheile unserer Tage durch die äußeren Verdienste jener unglücklichen Sectirer aufgewogen wurden. Alexius hatte keine Nachsicht mit allen, welche die Geheimnisse oder Dogmen der Kirche falsch auslegten, und die Pflicht, die Religion gegen Ketzer zu vertheidigen, lag ihm, wie er glaubte, eben so sehr ob, als die, das Reich gegen die zahllosen Barbarenhorden zu schützen, die von allen Seiten die Gränzen antasteten.

Diese Mischung von Verstand und Schwäche, von Gemeinheit und Würde, von kluger Mäßigung und Mangel an Muth (was man nach europäischer Anschauungsweise fast Feigheit nennen könnte) war die Grundlage von des Kaisers Alexius Charakter in einer Zeit, wo das Schicksal Griechenlands, und die Ueberreste griechischer Kunst und Bildung auf der Wage schwankten, und ihr Gewinn oder Verlust von der Geschicklichkeit abhing, womit der Kaiser das gefährliche Spiel, das ihm oblag, zu handhaben wußte.

Diese wenigen Andeutungen genügen, jedem nur mäßig belesenen Geschichtsfreund den Zeitraum zurückzurufen, in welchem die nachstehende Erzählung ihren Platz finden soll.



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