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Wie wenn ein roher Haufe sich empört,
Laut schreiend, rennend, laufend, wie bethört,
Wenn zwischen Steinen fliegt der Feuerbrand
Und was als Waffe Wuth gibt in die Hand, –
Tritt dann ein ernster, frommer Mann hervor,
Dann schweigen sie, und Alles ist ganz Ohr.
Dryden's Virgil.
Ein furchtbares Rachegeschrei ward von der lustigen Gesellschaft erhoben, die ihre Kurzweil so grausig unterbrochen sah. Einen Augenblick blieben die Masken unbeweglich, weil sie keine Waffen hatten, und weil das zornglühende Gesicht und der geschwungene Dolch Rolands sie schreckte. Der entsetzte Abt flehte mit aufgehobenen Händen um Gnade für die im Heiligthum verübte Blutthat. Nur Magdalene Graeme schien entzückt über den Stoß, den ihr Abkömmling gegen den Spötter geführt, zugleich aber auch außer sich vor Angst um sein Leben.
»Laßt ihn umkommen in seiner Lästerung,« sprach sie, »laßt ihn sterben auf dem heiligen Boden, den er entweiht hat.«
Doch die Wuth der Menge, der Schmerz des Abtes, das Frohlocken der schwärmerischen Magdalene waren übel angebracht.
Eulenspiegel sprang trotz seiner vermeintlichen Todeswunde munter vom Boden auf und rief laut:
»Ein Wunder! ein Wunder! ihr Herrn! Ein so herrliches Wunder, wie es nur je in der Kirche zu Kennaquhair bewirkt worden ist. Und ich gebiete euch, als euer rechtmäßig erwählter Abt, an Niemand Hand anzulegen. Wolf und Bär, ihr werdet diesen vorschnellen Jüngling in Gewahrsam nehmen, doch ohne ihm ein Leid zuzufügen. Und Ihr, ehrwürdiger Bruder, werdet Euch mit Euren Kameraden in eure Zellen zurückziehen, denn unser Gespräch hat geendet, wie alle Gespräche: Jeder ist auf seinem Sinn geblieben – und wenn wir handgemein werden, zieht Ihr und Eure Brüder und die Kirche den Kürzeren. Steckt also eure Pfeifen ein und packt euch.«
Der Lärm wollte wieder beginnen, und Pater Ambrosius zögerte, ungewiß was seine Pflicht erheischte, ob Trotz zu bieten dem Sturm, oder sich auf bessere Zeiten zu erhalten. Sein Bruder von Unsinn bemerkte eine Verlegenheit und sprach in natürlicherem und weniger seiner Rolle angemessenem Tone, als bisher:
»Wir sind, guter Herr, hiehergekommen, mehr um Scherz zu treiben, als um Unheil zu stiften. Unser Bellen ist schlimmer als unser Beißen. Insbesondere wollen wir Euch selber kein Leid zufügen. Darum entfernt Euch, so lange das Spiel noch gut ist, denn es ist schlimm einem Falken pfeifen, wenn er aufgeflogen ist, und noch schlimmer einem Kettenhund seine Beute nehmen. Fangen diese Bursche einmal Spektakel an, so wird er selbst der Tollheit zu arg. Drum laßt den Abt von Unsinn gewähren, daß er sie zurücklocke.«
Die Klosterbrüder drängten sich um Pater Ambrosius und bestürmten ihn gleichfalls mit Bitten, nicht gegen den Strom zu schwimmen.
»Die gegenwärtige Lustbarkeit,« sagten sie, »ist ein altes Herkommen, und der alte Pater Niclas hat selber den Drachen gespielt in den Tagen von Abt Ingelram.«
»Und jetzt ernten wir die Frucht ihrer unklugen Saat,« entgegnete Ambrosius. »Sie haben die Menschen gelehrt, das Heilige in den Staub zu ziehen: kein Wunder, wenn die Nachkommen von Spöttern Räuber und Plünderer werden. Aber euer Wille geschehe. Laßt uns in den Schlafsaal gehen. Und Euch, Dame, befehle ich, bei meiner Gewalt, die ich über Euch habe und bei der Rücksicht, die Ihr dem Leben dieses Jünglings schuldig seid, geht, ohne ein Wort weiter zu reden, mit uns. – Doch halt! was habt Ihr mit diesem Jüngling im Sinn? – Wißt Ihr wohl,« sprach er in herrischem Tone zu Eulenspiegel, »daß er die Livree des Hauses Avenel trägt? Die, so den Zorn des Himmels nicht scheuen, mögen wenigstens den Grimm der Menschen fürchten.«
»Bekümmert Euch seinetwegen nicht,« antwortete Eulenspiegel. »Wir wissen recht gut, wer und was er ist.«
»Laßt mich bitten,« fuhr der Abt in sanfterem Tone fort, »daß Ihr ihm kein Leid zufügt für die unbesonnene Handlung, die er sich in unverständigem Eifer erlaubt hat.«
»Seid außer Sorgen seinetwegen, sage ich,« wiederholte Eulenspiegel, »und entfernt Euch mit Eurem Troß, männlichem und weiblichem, oder ich stehe nicht dafür, daß jene Heilige dem Tauchschemel entgeht. Und was das Nachtragen von Haß betrifft, dafür hat mein Leib keinen Raum,« fügte er hinzu, mit beiden Händen seinen mächtigen Wanst streichend. »Er ist zu wohl mit Stroh und Steifschechter ausgestopft; – Dank beiden! Sie haben den Dolch dieses Hansnarren so gut abgehalten, wie ein mailänder Brustschild.«
Wirklich hatte der bis an's Heft hineingestoßene Dolch nur die Fütterung des falschen Bauches getroffen, der zur Ausstaffirung des Abtes von Unsinn gehörte, und nur die Heftigkeit des Stoßes hatte den Ehrwürdigen für einen Augenblick niedergestreckt.
Einigermaßen beruhigt durch dieses Mannes Zusicherungen und genöthigt, der Gewalt zu weichen, entfernte sich der Abt an der Spitze seiner Mönche und ließ den Spaßmachern freien Spielraum. So ausgelassen diese auch waren, verfolgten sie ihn doch nicht mit dem Hohngeschrei, mit welchem sie ihn Anfangs begrüßt hatten. Des Abtes Rede hat in Einigen Reue, in Anderen Scham, in Allen ein vorübergehendes Gefühl der Achtung erweckt. Sie beobachteten Stillschweigen, bis der letzte Mönch durch die Seitenthüre verschwunden war, welche zu ihrer Wohnstätte führte, und selbst dann kostete es erst noch einige Aufmunterungen von Seiten Eulenspiegels, einige Bocksprünge des Pferdchens und einige Koller des Drachen, um den gedämpften Geist der Luft wieder anzufrischen.
»Heda, ihr Herren!« rief der Abt von Unsinn, »warum schaut ihr mich mit solch trübseligen Strohmannsgesichtern an? Wollt ihr euren alten Zeitvertreib aufgeben, weil ein altes Weib euch von Höll' und Fegfeuer erzählt hat? Ich dachte, das hättet ihr doch Alles längst in die Brüche fallen lassen. – Lustig aufgespielt, Trommel und Harfe, Geige und Stockfiedel! tanzt und seid lustig für heut, sorgen kommt morgen! Bär und Wolf, habt Acht auf euren Gefangenen! Pferdchen spring', Drache zisch, und ruft Halloh, ihr Buben! Jeden Augenblick werden wir älter, und das Leben ist zu kurz, um es im Mummenschanz hinzubringen.«
Diese kräftige Ermahnung hatte den gewünschten Erfolg. Die Kirche wurde mit glimmender Wolle und Federn, statt Weihrauch, geräuchert, in die Weihkessel wurde schmutziges Wasser geschüttet, und der Abt trat auf den Altar und las eine Narrenmesse. Dazu wurden unanständige Parodieen auf Kirchenlieder in der Weise dieser gesungen, und alle Gewänder und Geräthe der Abtei, welche dem Haufen in die Hände fielen, entweiht. Indem die Vermummten alle möglichen tollen Streiche trieben, welche die Laune des Augenblicks eingab, verfielen sie endlich auch auf zerstörenden Muthwillen. Kunstreiches Schnitzwerk wurde heruntergerissen und zertrümmert, gemalte Fenster, welche bei früheren Verwüstungen verschont geblieben waren, wurden eingeschlagen und bei den sorgfältigen Nachsuchungen nach Götzenbildern begann eine Zerstörung des Restes der auf den Gräbern und um die Karnieße der Pfeiler noch vorhandenen Bildhauerarbeiten.
Die Lust am Verwüsten wächst wie andere Neigungen, wenn man sich ihnen hingibt. Der ungestümere Theil der Versammlung dachte schon darauf, von diesem geringeren Unfuge zu einer Zerstörung im größeren Maßstab überzugehen.
»Laßt uns das ganze alte Nest ausheben;« schrien sie. »Zu lauge hat es dem Papste und einen Krähen gedient!« Und damit stimmten sie folgenden Gassenhauer an:
»Der Papst zu Rom, der stolze Heid',
Hat uns zu lang verblendet.
Da wo der Blind' den Blinden leit't,
Der Weg in Irrsal endet.
In keiner Tück'
Blieb er zurück,
That's Fürst und König gleich.
Singt: Juchhe! Heisasa!
Unter dem Waldgezweig.«
Der Bischof spricht: Ich pred'ge nicht –
Und kurzweilt mit den Dirnen.
Es bettelte das Diebsgezücht
Der Mönch' mit frechen Stirnen.
Der Pfarrer im Ort
Konnt' lesen kein Wort, –
Pfui! über das schlechte Gezeug!
Singt: Juchhe! Heisasa!
Unter dem Waldgezweig.«
Diese Verse sind aus einem Gassenliede mit der Ueberschrift »Juchheh« genommen. Das Lied findet sich in einer Sammlung, betitelt: »Handbuch gottseliger und geistlicher Lieder aus allerlei Theilen der heiligen Schrift gezogen, sammt etlichen Volksliedern, so aus Schelmenliedern umgestaltet sind, zur Vermeidung von Sünde und Unzucht, nebst einem Anhang etlicher guten und gottseligen Volkslieder. Edinburg, gedruckt bei Andres Hart.« Diese merkwürdige Sammlung findet sich abgedruckt in
Johann Grahame Dallyells Schottischen Gedichten des 16. Jahrhunderts, Edinburg 1801. 2 Bände.
Unter den Donnertönen dieses Chores eines ursprünglichen Jagdliedes, welches ein polemischer Dichter in ein Reformationslied umgeschaffen hatte, wurde das Gefolge des Abts von Unsinn mit jedem Augenblicke ungestümer, so daß selbst diese ehrwürdige Person den tollen Haufen nicht mehr bändigen konnte. In diesem Augenblicke trat ein Ritter in voller Rüstung mit drei Reisigen ein und herrschte der Menge zu, von ihrem Unfug abzulassen.
Sein Visier war aufgeschlagen, aber auch ohnedies würde schon der Steineichenbusch auf dem Helme hinlänglich Herrn Halbert Glendinning bezeichnet haben, der auf seinem Heimwege durch das Dorf Kennaquhair kam, und auf die Kunde von dem Lärm zum Schutze seines Bruders geradewegs nach der Kirche geritten war.
»Was bedeutet das, ihr Herren?« sprach er. »Seid ihr Christen und Unterthanen des Königs, und verwüstet Kirche und Chor, wie Heiden?«
Alle verstummten. Einige waren sehr betroffen, Scheltworte zu erhalten statt Dank von einem so eifrigen Protestanten. Der Drache übernahm endlich das Sprecheramt und brummte aus der Tiefe seines bemalten Rachens:
»Wir kehren bloß das Papstthum aus der Kirche mit dem Besen der Zerstörung.«
»Ei, Freunde,« versetzte Herr Halbert, »meint ihr, diese Mummerei und Maskerade hätte nicht mehr vom Papstthum an sich, als die steinernen Wände? Entfernt den Aussatz von eurem Fleische, ehe ihr davon sprecht, steinerne Wände zu reinigen; mäßigt eure kecke Ausgelassenheit, welche nur zu Eitelkeiten und sündlichem Unfug führt. Wisset, das, was ihr jetzt treibt, ist eine der frevelhaften und unziemlichen Kurzweilen, welche die römischen Priester selber eingeführt haben, um die Seelen, welche in ihr Netz fielen, zu bethören und zu entmenschen.«
»Oh! bläst der Wind daher?« murrte der Drache in drakonischer Uebellaune, welche ganz zu seiner Rolle paßte. »Da wären wir gescheidter römisch geblieben, wenn wir keine Freiheit bei unserem Zeitvertreib haben sollen!«
»Ist das eine Antwort für mich?« fragte Herr Halbert; »oder ist ein Zeitvertreib dabei, wie eine unfläthige Riesenraupe auf der Erde herumzukriechen? Geh' heraus aus deiner bemalten Schale, oder, bei meinem Ritterthum, ich will dich behandeln, wie das Vieh und Gewürm, zu dem du dich gemacht hast!«
»Vieh und Gewürm?« versetzte der beleidigte Drache. »Abgesehen von deinem Ritterthume halte ich mich für so wohlgeboren wie dich.«
Der Ritter gab keine mündliche Antwort, sondern versetzte dem kecken Drachen ein paar solche Streiche mit dem Schaft seiner Lanze, daß nur die Stärke der Reife, welche die Rippen des Ungethüms bildeten, die Rippen des Schauspielers vor'm Zerbrechen bewahrte. Eilig kroch der Vermummte aus seiner Schale, ohne einen dritten Schlag von der Hand des erzürnten Ritters abzuwarten. Und als der Erdrache auf dem Fußboden der Kirche stand, da erkannte Halbert Glendinning das wohlbekannte Gesicht Daniels vom Eulennest, eines seiner ehemaligen Gesellschafter, bevor das Schicksal ihn so hoch über seinen angeborenen Stand emporgehoben hatte. Der Bauer blickte verdrießlich den Ritter an, als wollte er ihm seine Gewaltthätigkeit gegen einen alten Bekannten vorwerfen, und Glendinning selber that es leid, ihn so unmanierlich behandelt zu haben.
»Ich habe Unrecht gethan, dich zu schlagen, Daniel,« sprach er, »aber ich erkannte dich ja nicht. Du warst immer ein toller Kerl. Komm auf Schloß Avenel, da wollen wir meine Falken fliegen sehen.«
»Und wenn wir ihm nicht Falken zeigen, die so lustig steigen, wie die Raketen, so wollt' ich, Eure Gestrengen träfe meine Knochen so hart, wie eben die seinigen,« sprach der Abt von Unsinn.
»Was, Herr Taugenichts?« versetzte der Ritter. »Was hat Euch hieher geführt?«
Der Abt entäußerte sich der falschen Nase, die sein Gesicht unkenntlich machte, und des künstlichen Bauches und stand vor seinem Herrn in seiner wahren Eigenschaft als Adam Woodcock, der Falkner von Avenel.
»Schlingel!« rief der Ritter; »wie konntest du dich unterstehen, hieher zu kommen und in dem Hause, wo mein Bruder wohnt, Unfug zu treiben?«
»Eure Gestrengen wird verzeihen,« antwortete Adam, »gerade deswegen bin ich hergekommen. Ich hatte gehört, daß das Land in Bewegung war, um einen Abt von Unsinn zu wählen, und da dacht' ich: Ich, der ich singen, tanzen, rückwärts über ein Schwert springen kann und ein so guter Narr bin, wie nur irgend Einer, der sich um Beförderung bewirbt, ich habe die beste Aussicht, das Amt zu erlangen; und wenn ich gewählt werde, so kann ich vielleicht dem Bruder meines gestrengen Herrn von einigem Nutzen sein, wenn es etwa zu toll wird in der Kirche zu Kennaquhair.«
»Du bist eben ein durchtriebener Taugenichts,« versetzte Herr Halbert. »Ich weiß wohl, daß die Liebe zu Bier und Branntwein und die Lust an tollen Späßen dich eine Meile weit zieht, wo die Liebe zu meinem Hause dich nicht einen Schritt weit bringt. Jetzt geh', führe die Lärmer anderswohin, in's Bierhaus, wenn sie wollen; hier sind Kronen, ihre Zeche zu bezahlen. Führet die Tollheit zu Ende, ohne weiteres Unheil anzurichten, und seid morgen vernünftig und lernt für die Zukunft, einer guten Sache besser dienen, als in der Rolle von Schalksnarren und Räubern.«
Dem Gebot seines Herrn gehorsam, sammelte der Falkner seine entmuthigte Gesellschaft und flüsterte. Einem und dem Andern ins Ohr:
»Fort, fort! – tace Schweige. ist gut Latein. Laßt euch durch den puritanischen Eifer des guten Ritters nicht irre machen. Wir wollen den Spaß ausspielen auf der Tenne von Dame Martin, der Bierbrauerin, bei einem Faß guten Doppelbiers. Vorwärts, Harfe und Handpauke, Dudelsack und Trommel, – still, bis ihr zum Kirchhof hinaus seid, und dann laßt wieder das Himmelsgewölbe widerhallen. Vorwärts, Wolf und Bär, auf den Hinterfüßen, bis ihr über die Kirchentreppe hinaus seid, und dann zeigt euch wieder als tüchtiges Vieh! Welcher Teufel hat ihn hieher geführt, unseren Spaß zu verderben? Aber reizt ihn nicht, Herzensbrüder; sein Spieß ist kein Gänsekiel; Daniels Rippen wissen davon zu erzählen.«
»Meiner Seel',« sprach Daniel, »wär' es ein Andrer gewesen, als mein alter Kamerad, so wollt' ich ihm meines Vaters alten Fuchs Eine Art Schwert. um die Ohren haben tanzen lassen.«
»Psch! Psch! Alter,« versetzte Woodcock, »kein Wort der Art, so lieb Euch Eure gesunden Knochen sind. Man muß sich einen Puff im Vorbeigehen gefallen lassen, wenn er nicht böse gemeint ist.«
»Ich will mir Nichts der Art gefallen lassen,« erwiderte Daniel vom Eulennest, und sträubte sich mürrisch gegen Woodcock, der ihn aus der Kirche hinauszog. Unterdessen entdeckte des Ritters kriegerischer Scharfblick den jungen Roland zwischen seinen beiden Wächtern.
»He, Falkner! Woodcock! Taugenichts!« rief Herr Halbert. »Hast du den Edelknaben meiner Gemahlin in meiner Livree hergeschleppt, um deiner sauberen Lustbarkeit mit Wolf und Bär beizuwohnen? Wenn du einmal bei der Mummerei warst, so hättest du so gut sein können, die Ehre meines Hauses zu schonen, und ihn als einen Hansnarren aufzuputzen. – Bringt ihn her, ihr Bursche!«
Adam Woodcock war zu ehrlich, um Tadel auf den jungen Menschen fallen zu lassen, wo derselbe ihn nicht verdiente. »Ich schwöre,« sprach er, »bei S. Martin von Bullions Der heilige Swithin oder der weinende Heilige von Schottland. Wenn ein Festtag (4. Juli) naß ist, werden vierzig weitere Regentage erwartet.« – –
»Was hast du mit Sanct Martin zu schaffen?«
»Gewiß nicht viel,« antwortete Adam, »außer wenn er solche Regentage schickt, daß wir keinen Habicht fliegen lassen können. Aber ich sage Ew. Gestrengen, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin« – –
»So wahr du ein schlechter Kerl bist, wäre eine bessere Betheuerung.«
»Nun, wenn Ew. Gestrengen mich nicht anhören will, kann ich mein Maul halten,« sprach Adam. »Aber der Junge ist nicht auf mein Geheiß hieher gekommen.«
»Sondern von seinem eignen Vorwitz getrieben,« sprach der Ritter. »Kommt her, junger Springinsfeld, und sagt mir, ob Ihr von Eurer Gebieterin Erlaubniß habt, so weit vom Schloß weg zu sein, oder meine Livree zu entehren durch Theilnahme an einem solchen Maispiel.«
»Herr Halbert Glendinning,« antwortete Roland Graeme mit Festigkeit, »ich habe die Erlaubniß oder vielmehr den Befehl Eurer Gemahlin, in Zukunft über meine Zeit nach meinem eignen Belieben zu verfügen. Ich bin ein sehr unwilliger Zuschauer dieses Maispiels gewesen, wie Ew. Gestrengen es zu nennen beliebt, und ich trage Eure Livree nur so lange, bis ich Kleider erlangen kann, welche kein solches Kennzeichen der Dienstbarkeit an sich haben.«
»Wie soll ich das verstehen, junger Mensch?« fragte Herr Halbert. »Sprich deutlich; meine Sache ist es nicht, Räthsel zu lösen. Daß meine Gemahlin dich gern hatte, weiß ich. Was hast du gethan, um ihr deine Gegenwart zu verleiden und deine Entlassung herbeizuführen?«
»Nichts, was der Rede werth wäre,« fiel Woodcock ein. »Ein einfältiger Streit mit mir, der noch einfältiger der gnädigen Frau wieder erzählt wurde, hat dem armen Jungen seinen Platz gekostet. Ich will nur offen gestehen, daß ich von Anfang bis zu Ende Unrecht hatte, ausgenommen was das Waschen des Fleisches für die Nestlinge betrifft. In diesem Punkte, behaupte ich, hatte ich Recht.«
Nach diesem Eingange erzählte der gute Falkner seinem Herrn die ganze Geschichte von dem Zanke, welcher den jungen Roland bei seiner Gebieterin in Ungnade gebracht hatte, aber in einer für den Edelknaben so günstigen Weise, daß Herr Halbert seine edelmüthige Absicht errieth.
»Du bist ein guter Kerl, Adam Woodcock,« sprach er.
»So gut wie je einer einen Falken auf der Faust gehabt hat,« erwiderte Adam; »und von Meister Roland ist dasselbe zu sagen. Aber da er durch sein Amt ein halber Edelmann ist, so wird sein Blut schnell heiß, und so geht mir's ebenfalls.«
»Dem sei wie ihm wolle,« sprach der Ritter, »meine Gemahlin hat übereilt gehandelt, denn dies war kein so großes Vergehen, daß sie darum den Jungen hätte fortschicken sollen, den sie Jahre lang erzogen hatte. Freilich wird er durch sein Geschwätz die Sache ärger gemacht haben. Uebrigens paßt es ganz zu einem Plane, den ich im Sinne hatte. – Woodcock, bringe diese Leute weg, und Ihr, Roland Graeme, begleitet mich.«
Der Jüngling folgte ihm schweigend in die Wohnung des Abtes. Der Ritter trat in das erste Gemach ein, welches er offen fand, und gebot einem seiner Leute, seinen Bruder, Meister Edward Glendinning, wissen zu lassen, daß er ihn zu sprechen wünsche. Die Reisigen entfernten sich vergnügt, um ihren Kameraden Adam Woodcock und die lustige Gesellschaft bei Dame Martin, der Wirthin, aufzusuchen, und der Edelknabe und der Ritter blieben allein in dem Gemach. Herr Halbert ging einige Augenblicke schweigend auf und ab und redete dann den jungen Menschen folgendermaßen an:
»Du wirst bemerkt haben, Bürschchen, daß ich nie große Aufmerksamkeit für dich an den Tag gelegt habe, – ich sehe, das Blut steigt dir zu Kopfe, aber sprich nicht eher, als bis ich ausgeredet habe. Ich sage, ich habe dich nie sehr ausgezeichnet, nicht als ob nichts Lobenswerthes an dir wäre, sondern weil ich Tadelhaftes an dir sah, was durch Lob hätte verschlimmert werden können. Deine Gebieterin, welche in ihrem Haushalt freie Hand hat, was ihr so gut, wie nur irgend einer Frau zukommt, hat dich vor den Uebrigen ausgezeichnet und dich mehr wie einen Verwandten, denn wie einen Diener behandelt. Bei dieser Auszeichnung hast du zwar einige Eitelkeit und Muthwillen gezeigt, allein ungerecht wäre es, zu verschweigen, daß du im Lernen und in deiner Erziehung Fortschritte gemacht, und daß du manche Funken eines edlen und mannhaften Sinnes hat merken lassen. Unedel wär' es, dich hülflos in die Welt hinauszustoßen, nachdem man dich zu einem launenvollen und heftigen Wesen erzogen hat; die Hand von dir abzuziehen, weil du die Reizbarkeit und den Widerwillen gegen Zurechtweisung an den Tag gelegt hat, die Folge der allzunachsichtigen Behandlung sind. Darum und um der Ehre meines Haushalts willen bin ich entschlossen, dich in meinem Gefolge zu halten, bis ich dich anderweitig anständig und so unterbringen kann, daß Aussicht ist, du werdest mit Ehre durch die Welt gehen und zum Ruhm des Hauses, welches dich erzogen hat.«
Wenn in Herrn Halberts Rede Manches war, was Rolands Stolze schmeichelte, so enthielt sie auch Vieles, was nach seiner Denkungsart den Werth des Compliments herabsetzte. Doch gebot ihm sein Gewissen sofort, mit ehrfurchtsvollem Danke das Anerbieten anzunehmen, welches der Gemahl seiner liebreichen Beschützerin ihm machte, und die Klugheit, so gering sie auch bei ihm war, sagte ihm, daß er mit ganz anderen Aussichten in die Welt eintreten würde, im Gefolge des durch Weisheit, Muth und Einfluß ausgezeichneten Ritters, denn als Reisegefährte und Werkzeug in der Hand seiner Großmutter, deren Plane ihm träumerisch vorkamen. Doch ein heftiger Widerwille gegen den Wiedereintritt in einen Dienst, aus welchem er mit Schimpf entlassen war, hielt diesen Erwägungen fast das Gleichgewicht.
Herr Halbert betrachtete ihn verwundert und fuhr fort:
»Ihr scheint Anstand zu nehmen, junger Mensch. Sind Eure Aussichten so lockend, daß Ihr Euch besinnt, mein Anerbieten anzunehmen? Oder muß ich Euch zu Gemüthe führen, daß Eure Wohlthäterin, wenn Ihr sie auch beleidigt habt, doch noch weit schmerzlicher von dem Gedanken ergriffen werden würde, daß Ihr ohne Führer in eine so stürmische Welt, wie sie hier in Schottland ist, hinausgegangen seid, und daß Dankbarkeit gegen sie Euch verpflichtet, ihr diesen Kummer zu ersparen, eben so sehr, wie die Pflicht gegen Euch selbst Euch gebietet, meinen Schutz anzunehmen, ohne welchen Ihr Euch in Gefahr des Leibes und der Seele stürzen würdet?«
Roland Graeme antwortete in ehrerbietigem Tone aber mit einigem Selbstbewußtsein:
»Ich bin nicht undankbar für die Gunst, welche der Herr von Avenel mir zugewandt hat, und ich bin erfreut, zum ersten Mal zu erfahren, daß ich nicht das Unglück gehabt habe, so ganz seiner Aufmerksamkeit unwerth zu sein, wie ich gedacht habe. Es bedarf weiter Nichts, als mir zu zeigen, wie ich meine schuldige Dankbarkeit an den Tag legen kann gegen meine langjährige Wohlthäterin von Kindheit auf, und ich bin bereit, mein Leben für sie zu wagen.«
Er hielt inne.
»Das sind bloß Worte, junger Mensch,« entgegnete Herr Halbert. »Weitläufige Betheuerungen sollen oft wirkliche Dienste ersetzen. Ich wüßte nicht, wie mit Gefahr Eures Lebens der Frau von Avenel gedient sein könnte. Ich kann nur sagen, es wird ihr angenehm sein, zu erfahren, daß Ihr eine Lebensbahn eingeschlagen habt, welche die Erhaltung Eurer Person und das Wohl Eurer Seele sichert. Was fehlt Euch, daß Ihr nicht annehmt, was man Euch zu Eurem Heile anbietet?«
»Meine einzige noch lebende Verwandte,« antwortete Roland, »oder vielmehr die Einzige unter meinen Angehörigen, die ich je gesehen, ist nach meiner Entlassung von Schloß Avenel wieder zu mir gekommen, und sie muß ich befragen, ob ich den Weg, den Ihr mir eröffnet, betreten darf, oder ob ihre zunehmende Schwäche oder die Gewalt, welche sie berechtigt ist über meinen Willen auszuüben, mir nicht gebieten, bei ihr zu bleiben.«
»Wo ist diese Verwandte?« fragte Herr Halbert Glendinning.
»In diesem Hause,« antwortete der Jüngling.
»So gehe hin und suche sie auf,« versetzte der Ritter von Avenel. »Es ist mehr als schicklich, es ist die Pflicht, ihr Gutheißen nachzusuchen. Mehr als Thorheit aber würde es von ihrer Seite sein, wollte sie dasselbe verweigern.«
Roland verließ das Gemach, um seine Großmutter aufzusuchen, und nachdem er sich entfernt, trat der Abt ein. Die zwei Brüder begegneten sich, wie Brüder, die sich herzlich lieben, aber selten zusammentreffen. Ihre wechselseitige Zuneigung knüpfte sie aneinander, aber in allen Geschäften, Gewohnheiten und Empfindungen, welche mit dem Hader der Zeit in Berührung standen, war der Freund und Rathgeber Murrays der Gegner des katholischen Priesters, und Beide durften nicht viel geselligen Verkehr mit einander haben, wofern sie Anstoß und Verdacht bei ihren beiderseitigen Bundesgenossen vermeiden wollten. Nachdem Beide sich herzlich umarmt, und der Abt den Ritter willkommen geheißen, drückte Herr Halbert seine Freude darüber aus, daß er noch zu rechter Zeit gekommen sei, um dem von Eulenspiegel und seinen lärmenden Gesellen angestellten Unfug ein Ende zu machen.
»Uebrigens,« fügte er hinzu, »wenn ich deine Kleider betrachte, Bruder Edward, kann ich mich nicht des Gedankens erwehren, daß immer noch innerhalb des Klosters ein Abt von Unsinn ist.«
»Und warum willst du dich über meine Kleidung aufhalten, Bruder Halbert?« entgegnete der Abt. »Sie ist die geistliche Rüstung meines Berufs, und als solche steht sie mir, denk' ich, eben so wohl an, wie Panzer und Wehrgehenk.«
»Aber ich meine, es wäre wenig Klugheit dabei, eine Rüstung anzulegen, wenn wir nicht zu fechten vermögen. Es ist lediglich gefährliche Verwegenheit, den Feind herauszufordern, dem wir nicht widerstehen können.«
»Das, lieber Bruder,« entgegnete der Abt, »kann Niemand mit Bestimmtheit sagen, bevor der Kampf geendigt ist. Und gesetzt, es wäre, wie du sagst, der Widerstand vergeblich, so denk' ich, ein wackerer Mann, auch wenn er am Siege verzweifelt, wird lieber fechten und fallen, als Schwert und Schild in Folge eines schmählichen Vertrags seinem Gegner überliefern. Doch laß uns nicht über einen Gegenstand streiten, über welchen wir uns nicht vereinigen können, sondern weile lieber hier und nimm, obwohl ein Ketzer, Theil an meinem Antrittsschmaus. Du brauchst nicht zu fürchten, daß dein Eifer für urchristliche Kirchenzucht bei dieser Gelegenheit an der Ueppigkeit des klösterlichen Festmahles Anstoß nehmen werde. Die Tage unseres alten Freundes Bonifacius sind vorüber. Der Obere zu S. Marien hat weder Forste noch Fischereien, weder Wildbahnen noch Triften, noch Fluren, weder Rinder- noch Schafheerden, weder Hoch- noch Federwild, weder Waizenscheuern noch Oel-, Wein-, Bier- und Methkeller. Das Amt des Tafeldeckers ist eingegangen. Ein Mahl, wie es ein Klausner im Mährchen einem fahrenden Ritter anbieten kann, ist das Einzige, was wir dir vorzusetzen haben. Aber wenn du es mit uns theilen willst, wollen wir es mit fröhlichem Herzen genießen und dir für deinen rechtzeitigen Schutz gegen diese rohen Spötter danken.«
»Theurer Edward,« antwortete der Ritter, »es thut mir herzlich leid, daß ich nicht bei dir verweilen kann. Es würde uns Beiden übel anstehen, wollte der Reformierte sich niedersetzen zur Theilnahme an dem Antrittsschmaus des katholischen Abtes. Wenn es mir irgend gelingen soll, dir einen nachhaltigen Schutz zu gewähren, so kann es nur damit geschehen, daß ich frei von dem Verdacht bleibe, eure religiösen Bräuche zu billigen und zu unterstützen. Ich will alle mögliche Rücksicht von meinen Freunden in Anspruch nehmen, um den kühnen Mann zu schützen, der, dem Gesetz und den Verordnungen des Parlaments zum Trotz, gewagt hat, das Amt eines Abtes von S. Marien anzunehmen.«
»Bemühe dich nicht damit, lieber Bruder,« versetzte Edward. »Mein Herzblut wollte ich darum geben, zu wissen, daß du die Kirche um der Kirche willen vertheidigtest. Aber solange du ihr Feind bleibst, möchte ich nicht, daß du dir Gefahren oder Unannehmlichkeiten um meiner Person willen zuzögest, – Doch wer kommt hier, die wenigen Minuten brüderlicher Besprechung zu stören, welche das Schicksal uns verstattet?«
Die Thüre des Zimmers war während dieser letzten Worte aufgegangen, und Dame Magdalene trat ein.
»Wer ist dies Weib? und was will sie?« fragte Herr Halbert in etwas barschem Tone.
»Daß Ihr mich nicht kennt,« sprach die Alte, »hat Nichts zu sagen. Ich komme auf Euren Befehl, meine Einwilligung zu geben, daß das Bürschchen Roland Graeme wieder in Euren Dienst tritt. Weiter hab' ich Nichts zu sagen, und ich will Euch nicht länger mit meiner Gegenwart lästig fallen. Friede sei mit Euch!«
Damit drehte sie sich um und wollte sich entfernen. Aber Herr Halbert hielt sie mit seinen Fragen zurück:
»Wer seid Ihr? Was seid Ihr? Und warum wartet Ihr nicht, um mir Antwort zu geben?«
»Ich war,« antwortete sie, »so lange ich noch der Welt angehörte, eine Frau von nicht gemeinem Namen. Jetzt bin ich Magdalena, eine arme Pilgerin für die heilige Kirche.«
»Ei!« rief Herr Halbert, »bist du katholisch? Ich dachte, meine Gemahlin sagte mir, Roland Graeme sei aus einer reformierten Sippschaft.«
»Sein Vater,« antwortete die Alte, »war ein Ketzer, oder vielmehr Einer, der sich weder um Recht- noch um Irrgläubigkeit, weder um die Kirche Gottes noch um den Tempel des Antichrist kümmerte. Auch ich – denn die Sünden der Zeit veranlassen Sünden – habe mich scheinbar Euren unheilgen Gebräuchen anbequemt. Aber ich hatte Dispensation und Absolution dafür.«
»Du siehst, Bruder,« sprach der Ritter mit bedeutungsvollem Lächeln zum Abt, »daß wir Euch nicht ohne Grund der Zweideutigkeit beschuldigen.«
»Du thut uns Unrecht, Bruder,« entgegnete der Abt. »Dies Weib ist, wie sich aus ihrem Benehmen erkennen läßt, nicht recht bei Sinnen, – Dank der Verfolgung eurer räuberischen Landherren und eurer nachsichtigen Geistlichkeit.«
»Darüber will ich nicht streiten,« sprach Herr Halbert. »Der Uebel sind leider in unsern Tagen so viele, daß beide Kirchen sie theilen können, und daß noch ein gutes Theil übrig bleibt.«
Mit diesen Worten trat er an's offene Fenster und stieß in sein Hifthorn.
»Warum bläsest du, Bruder?« fragte der Abt. »Wir sind kaum erst ein paar Minuten beisammen.«
»Ach!« sprach der ältere Bruder, »und selbst diese wenigen Augenblicke sind durch Mißhelligkeit verbittert worden. Ich blase zu Pferd, Bruder, um so früher, je baldigere Bemühungen von meiner Seite es erfordert, die Folgen deiner heutigen Unbesonnenheit abzuwenden. – Dame, Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr Euren jungen Verwandten wissen lasset, daß wir den Augenblick aufsitzen, Er soll nicht mit mir nach Avenel zurückkehren, – dies würde zu neuem Streit zwischen ihm und meinen Leuten führen, wenigstens zu Vorwürfen, welche ein stolzes Herz nicht wohl ertragen würde; und ich wünsche, ihm Gutes zu erweisen. Darum soll er mit einem Manne meines Gefolges, den ich mit der Kunde von dem, hier Geschehenen zurücksende, nach Edinburg reisen. – Ihr scheint erfreut hierüber,« setzte er hinzu, seine Augen scharf auf die Alte heftend.
Magdalene erwiderte seinen Blick mit dem ruhiger Gleichgiltigkeit und antwortete:
»Es wäre mir lieber, daß Roland, der arme freundlose Waise, der Spott der großen Welt, als die Zielscheibe des Hohnes für das Gesinde zu Avenel würde.«
»Seid unbesorgt, Dame, kein Mensch soll ihn höhnen,« versetzte der Ritter.
»Es mag sein, es mag wohl sein,« erwiderte sie. »Aber ich will mehr auf sein eignes Benehmen bauen, als auf Euren Schutz.«
Mit diesen Worten verließ sie das Gemach. Der Ritter sah ihr einen Augenblick nach und wandte sich dann zu einem Bruder, ihm herzlich Lebewohl zu wünschen und sich bei ihm zu beurlauben.
»Meine bösen Buben,« sprach er, »sind zu sehr in's Bierfaß vertieft, um ihrer Lustbarkeit entsagend, dem hohlen Tone eines Hifthorns Folge zu leisten.«
»Ihr habt sie von höherem Zwange frei gemacht,« bemerkte der Abt, »und damit habt ihr sie gelehrt, sich gegen euren eignen aufzulehnen.«
»Da bist du irre, Edward,« versetzte Halbert, der seinem Bruder nie seinen Klosternamen Ambrosius gab. »Keiner gehorcht dem Gebot wahrer Pflicht so bereitwillig, wie Derjenige, welcher der Fesseln der Knechtschaft entledigt ist.«
Er wollte sich entfernen, aber der Abt hielt ihn zurück mit den Worten:
»Noch einige Augenblicke; hier kommt eine kleine Erfrischung. Verlasse nicht das Haus, welches ich jetzt mein nennen muß, bis die Gewalt mich daraus vertreibt, – ohne zuvor wenigstens Brod mit mir gebrochen zu haben.«
Der arme Laienbruder, derselbe, welcher den Pförtner gemacht hatte, trat mit einer einfachen Speise und mit einer Flasche Wein in's Zimmer. Er sagte mit amtsmäßiger Demuth, er habe die Flasche gefunden, nachdem er jeden Winkel des Kellers durchstöbert. Der Ritter füllte einen kleinen silbernen Becher, trank ihn aus und bat seinen Bruder, ihm Bescheid zu thun, indem er bemerkte, daß es Bacharacher aus der ersten Lage und von hohem Alter sei.
»Ganz recht,« sagte der Laienbruder, »er ist aus dem Winkel, den der alte Bruder Niclas (Gott hab' ihn selig!) Abt Ingelrams Winkel zu nennen pflegte. Abt Ingelram war im Kloster zu Würzburg erzogen, was meines Wissens nicht weit von dem Ort ist, wo dieser herrliche Wein wächst.«
»Allerdings, ehrwürdiger Herr,« sprach Herr Halbert. »Und darum bitt' ich meinen Bruder und Euch, mir in einem Becher aus einer so orthodoxen Lage Bescheid zu thun.«
Der schmächtige alte Pförtner warf dem Abt einen lüsternen Blick zu. »Deo veniam« Ich gebe die Erlaubniß., sprach sein Vorgesetzter; und der alte Mann faßte mit zitternder Hand das Getränk, welches er schon so lange nicht mehr geschmeckt hatte, leerte den Becher langsam, als wollte er recht lange das Feuer und die Blume des Weines genießen, und setzte ihn endlich mit einem schwermüthigen Schmunzeln und Kopfschütteln nieder, als wollte er solch' klösterlichem Trank für ewig Lebewohl sagen. Die beiden Brüder lächelten. Der Ritter wiederholte seine Aufforderung an den Abt, ihm ebenfalls Bescheid zu thun; dieser aber schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Dies ist nicht der Tag für den Abt zu S. Marien, das Fette zu essen und das Süße zu trinken. – In Wasser aus Unserer Lieben Frauen Brunnen,« fuhr er fort, einen Becher mit dem klaren Element füllend, »wünsch' ich dir, mein Bruder, alles Glück, vornehmlich aber Erkenntniß deiner Irrthümer im Glauben.«
»Und dir, lieber Edward,« versetzte der Ritter, »wünsche ich den freien Gebrauch deiner Vernunft und die Erfüllung wichtigere Pflichten als der mit dem leeren Namen verknüpften, den du so unbesonnen angenommen hat.«
Die Brüder schieden mit tiefem Bedauern, und doch fühlte jeder von Beiden, fest in seiner Ueberzeugung, sich erleichtert durch die Entfernung von Einem, den er so sehr achtete und mit welchem er so wenig übereinstimmen konnte.
Bald darauf hörte man den Klang der Trompeten des Ritters von Avenel, und der Abt bestieg einen Thurm, von dessen zerbrochenen Zinnen er die Reisigen die Höhe nach der Zugbrücke zu hinaufreiten sehen konnte. Während er hinaus blickte, kam Magdalena Graeme zu ihm.
»Du kommst eben noch recht, Schwester,« sprach er, »um noch einmal deinen Enkel zu sehen, bevor er in der Ferne verschwindet. Dort reitet er unter der Obhut des besten Ritters in Schottland, seinen Glauben stets ausgenommen.«
»Du kannst es bezeugen, Vater,« erwiderte die Alte, »daß weder mein noch Rolands Wunsch den sogenannten Ritter von Avenel veranlaßt hat, meinen Enkel in seinen Haushalt wieder aufzunehmen. Der Himmel, welcher die Weisen mit ihrer eignen Weisheit zu Schanden macht und die Gottlosen mit ihrer Schlauheit, hat ihn an den Platz gestellt, wo ich ihn zum Dienste der Kirche vor Allem hinwünschte.«
»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, ehrwürdige Schwester,« sprach der Abt.
»Hochwürdiger Vater,« fuhr die Alte fort, »hast du nie gehört, daß es Geister gibt, welche die Kraft haben, die Mauern einer Burg zu zerreißen, sobald sie einmal eingelassen sind, die aber nicht in das Haus hineingehen können, wenn sie nicht eingeladen, ja sogar über die Schwelle geschleift werden? Zwei Mal ist Roland auf solche Weise in das Haus Avenel von Denen gezogen worden, welche jetzt diesen Namen führen. Sie sollen sich vorsehen wie das endet.«
Mit diesen Worten verließ sie den Thurm. Der Abt dann einen Augenblick über ihre Worte nach und schrieb sie ihrer Geistesverwirrung zu. Dann stieg er ebenfalls die Wendeltreppe hinab, um den Antritt seines Amtes durch Fasten und Beten, statt mit Jubel und Danksagung zu feiern.
Anmerkung zum Kapitel:
Nach dem Volksglauben können böse Geister nicht in bewohnte Häuser kommen, wenn sie nicht eingeladen oder vielmehr über die Schwelle geschleppt werden. Ein Beispiel von diesem Aberglauben findet sich auch in den Geistermährchen, wo ein Zauberer vorkommt, der sich in den Divan des Sultans einschleicht.
»Mögen so,« sprach der erlauchte Misnar, »die Feinde Mohammed's zu Schanden werden! Doch sagt mir, ihr Weisen, unter wessen eurer Brüder Gestalt hat dieses Scheusal von Zauberer hier Zutritt gefunden?« – »Möge der Herr meines Herzens,« antwortete Balihu, der Einsiedler unter den Gläubigen von Queda, »all' seine Feinde überwinden! Als ich von Queda aus durch die Berge wanderte und weder Fußtapfen von Thieren, noch Flug von Vögeln erblickte, siehe, da kam ich durch eine Höhle, in deren Gewölbe ich diesen verfluchten Weisen fand. Ihm erzählte ich die Einladung des Sultans von Indien; er schloß sich an mich an und wir reiseten zusammen zu dem Divan. Aber ehe wir eintraten, sprach er zu mir: Strecke deine Hand aus und ziehe mich dir nach in den Divan unter Anrufung des Namens Mohammed, denn böse Geister sind über mir und plagen mich.«
Viele dieser, von Jakob Ridley herausgegebenen, schönen Mährchen, und besonders dies von Sultan Misnar, sind, wie ich höre, aus orientalischen Quellen geschöpft.
Doch zum schönsten Gemälde ist dieser Volksglaube benutzt in Coleridge's herrlichem Bruchstücke Christabel, welches uns mit ewig unbefriedigter Sehnsucht erfüllt. Fürchtet unser phantasiereicher Dichter nicht, daß künftige Geschlechter Luft bekommen möchten, ihn aus seiner Gruft heraufzubeschwören, gleich wie Milton Verlangen fühlte,
»Ihn aufzurufen aus dem Grab,
Der halb Camuscans Mähr nur gab« – ?
Die Verse, auf welche ich anspiele, enthalten die Stelle, wo Christabel ein geheimnißvolles böses Wesen, welches die Gestalt einer in Noth befindlichen Fremden angenommen hat, in ihres Vaters Burg führt:
»Das Paar, so über'n Graben kam,
Und Christabel den Schlüssel nahm,
Schloß ein Thürlein auf im Thor,
Wartete nicht lang davor.
Das Thor war mit Eisen gar wohl verwahrt,
Ein Heer konnt' hindurch zur Schlacht geschaart.
Umsank das Fräulein hart am Thor,
Doch Christabel hob sie empor –
Schwer sie war – und trug sie schnell
Ueber ihres Hauses Schwell.
Drauf das Fräulein ging und stand,
Als wäre Schwäch' ihr unbekannt.
Sonder Noth und ohn' Gefahr
Ueber'n Hof dann schritt das Paar,
Und Christabel sprach freudig hier
Zu dem Fräulein neben ihr:
›Preis sey der Himmelskönigin,
Die Euch erlös't von solchem Leid!‹ –
›Ach, ach! ich kann,‹ sprach Geraldin,
›Nicht reden jetzt vor Mattigkeit!‹
Sonder Noth und ohn' Gefahr
Ueber'n Hof so kam das Paar.«