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Erster Theil.


I.

Brief von Majken Ring an Amalie K–.

Meine gute, liebe Amalie!

Du klagst mich zweier Fehler an, welche du deiner Aussage nach mir schwer verzeihen kannst, nämlich der Trägheit im Schreiben und der Zurückhaltung. Du forderst mich auf, etwas zur Entschuldigung anzugeben, daß ich nur dreimal im Jahr von mir Mittheilung mache und dann von allem, nur nicht von mir selbst rede. Das ist deiner Vermuthung nach ein Beweis von Mangel an Freundschaft auf meiner Seite.

Ich kann nicht entscheiden, ob meine Gefühle tief oder oberflächlich sind, aber ich kann versichern, daß du meinem Herzen werth bist.

Du wendest vielleicht ein, daß dieß noch unerwiesen ist. Mag so sein; Eins ist indessen sicher: du bist meine einzige Freundin, und was mein Herz betrifft, so kann ich darauf des Dichters Worte anwenden: »des reichen Mannes Haus ist geschlossen, aber das des armen Mannes steht offen.« Mache nun hievon die schmeichelhafteste Schlußfolgerung auf mich.

Und nun zu meiner Entschuldigung gegen deine Anklagen.

Die erste fällt ja sogleich, wenn du dich erinnerst, daß ich beinahe jeden Monat geschrieben habe; dies wird wohl nach menschlicher Berechnung zwölf Mal des Jahres ausmachen. Summa sechsunddreißig Briefe in drei Jahren; obwohl du deren Anzahl auf neun verminderst.

Undankbares und unwahrhaftiges Geschöpf! Ich sollte meine Feder niederlegen und nie mehr eine Zeile an dich schreiben.

Du legst mir weiter zur Last, daß ich mich mehr dafür interessire, wie das Leben sich für dich gestaltete, als wie die Tage für mich dahinschleichen.

Meine eigene werthe Person ist etwas, woran ich nicht gern denke, womit ich mich nicht gern beschäftige; dagegen gibt es nichts auf dich Bezügliches, was nicht für Majken ein Interesse hat. Deine Fragen habe ich immer, wenn auch kurz, beantwortet, aber da dies dir Unruhe macht, so will ich mich jetzt auf eine umständlichere Schilderung dieser drei Jahre, welche wir getrennt von einander durchlebt haben, einlassen.

Du lächelst und glaubst recht gerathen zu haben, wenn du behauptest, daß ich verliebt sei.

Noch ist dieses Gefühl meinem Herzen fremd. Traurig genug, muß ich hinzusetzen, da ich in diesen Tagen mein sechsundzwanzigstes Jahr zurücklege.

Der letzte Brief, worin ich von mir selbst rede, war derjenige, welchen ich nach meiner Ankunft in Falknäs schrieb. Den folgenden Tag gab es zwischen mir und Tante Therese einen minder angenehmen Auftritt, welcher mich bestimmte, von Neuem mein Glück als Lehrerin zu versuchen. Ich vertraute mich der Probstin Wendius an, und Oberst Björnstam machte mir kurz nachher den Antrag, seiner Tochter Lehrerin zu werden. Ich nahm sogleich das Anerbieten an, und zwar, obwohl mein herzensguter Oheim darüber beinahe einen Schlag zu bekommen glaubte: dieß Alles habe ich dir schon einmal mitgetheilt.

Der Widerwille meines lieben Oheims dagegen, daß ich mit einem Gehalt von sechshundert Reichsthalern Dagmars Lehrerin werden sollte, rührt daher, daß er sich in den Kopf gesetzt hat, der Oberst sei ein leiblicher Bruder des bösen Feindes, ein Urtheil, welches ich vom ersten Augenblick an unrichtig gefunden habe.

Oberst Björnstam ist reich und der vornehmste Mann in der Umgegend. Er ist gefürchtet von allen seinen Untergebenen – und gegen sie stolz und streng, aber gerecht. Verleumdet von den Nachbarn, mit welchen er keinen Umgang hat, wird er gleichwohl von ihnen mit großer Achtung behandelt.

Gegen seine Tochter ist er gut bis zur Schwäche, und deren Erzieherin, Frau Thorén, wird von dem Oberst mit viel Artigkeit behandelt.

Es war ein schöner Abend, als ich auf dem »Burgplatz« von Haraldshof anfuhr. Als der Wagen durch das Thorgewölbe rollte und ein dumpfes, düsteres Geräusch dabei verursachte, empfand ich eine eigenthümliche Beklemmung, welche ich mir nicht zu erklären vermochte; wahrscheinlich ging sie von meiner allzu lebhaften Einbildungskraft aus, welche stets mich entweder irgend ein schweres Leiden oder irgend eine große Freude erwarten läßt. Ich dachte ganz unwillkürlich an des Obersts junge Frau, welche sich ins Wasser gestürzt hatte, an den frühern Besitzer, welcher in einem Brunnen ertrunken war, und die Phantasie ließ mich mein Grab in dem alten Wohngebäude erblicken.

Der gegenwärtige Besitzer hat den Hof so einladend als möglich zu machen gesucht. Er hat die Mauern mit Spalieren von üppigen Schlinggewächsen bekleidet. Auf den Ecken hat er Bäume und Gesträuche angepflanzt, und vier grüne Lauben gewähren im Sommer eine angenehme Zufluchtsstätte gegen die Sonnenhitze. Die Mitte des Platzes ist mit Gras und prunkenden Rosenbüschen besetzt. Der unbehagliche Eindruck, welchen ich empfand, als der Wagen unter dem Thorgewölbe hindurchrollte, verlor sich auch sogleich, als er einen Halbkreis beschrieb und vor einer großen Treppe anhielt.

Hier wurde ich von dem Oberst empfangen.

Mag die ganze Welt ihn als ein Ungeheuer ansehen, ich thue es nicht. Sein äußerer Mensch, seine Rede und sein Wesen schmeicheln meinem Schönheitssinn und stellen ihn als einen Mann mit wahrhaft ritterlicher Denkart dar. Er bot mir den Arm und führte mich über einen langen Korridor, welcher nach dem östlichen Theile des Schlosses führte. Hier vertraute er mich Dagmar und Frau Thorén an, welche letztere mich zuerst in ein großes Eckzimmer, das zu meinem und Dagmars Arbeitslokal bestimmt war, und von da in ein anstoßendes Kabinet, und sofort in mein Schlafgemach führte. Die beiden letztgenannten Räumlichkeiten, mir zum Privatbesitz angewiesen, waren neu tapezirt und elegant möblirt. Alles, was zu dem Zweck gethan werden konnte, ihnen ein heiteres Aussehen zu geben, hatte man in Anwendung gebracht, und mit einem äußerst angenehmen Gefühl wiederholte ich mir, daß dieselben für mich, für mich und Niemand anders bestimmt waren. Von meinem Schlafzimmer führte ein Gang nach demjenigen von Dagmar, und aus demselben gelangte man nach ihrer entzückenden kleinen Wohnung.

Verwundere dich nicht über den letzten Ausdruck. Das Mädchen hat wirklich ihre eigene Wohnung, wo sie zugleich mit Frau Thorén lebt.

Dagmar legte große Freude über meine Ankunft an den Tag und redete mit mir, als ob wir schon alte Bekannte und gute Freunde wären.

Nachdem ich mich ein wenig umgekleidet hatte, ging ich mit ihr in den Pavillon hinunter.

Er liegt am Ende des großen Gartens, auf einem freien Platz am Strande der See, und die Aussicht dahin ist herrlich.

Der Abend wurde dort auf eine ganz angenehme Weise zugebracht. Der Oberst erzählte einige alte Sagen, welche sich an Haraldshof knüpften, und benahm sich gegen mich, als ob ich ein Gast wäre, dessen Gegenwart er sich zur Ehre schätzte, und den er deßhalb mit Allem zu unterhalten suchte, was für ihn nach seiner Voraussetzung von Interesse sein konnte. Dagmar nahm am Gespräche Theil, ganz wie wenn sie eine erwachsene Person gewesen wäre. Ihr Benehmen unterhielt mich; es lag darin etwas Altkluges, das auf eine köstliche Weise gegen ihr kindliches Antlitz und ihre zuweilen vorkommende Schüchternheit abstach.

Madame Thorén war eine gebildete Frau, etwas steif, aber mit einem verbindlichen Lächeln und mit freundlichen Augen.

Den Tag nach meiner Ankunft kam Botschaft von dem Oberst, welcher mich unter vier Augen zu sprechen wünschte. Er gedachte schon am Nachmittage eine Reise in die Hauptstadt anzutreten und von da sich in das Ausland zu begeben.

Er erwartete mich in dem blauen Salon der großen Wohnung und kam mir mit seiner gewöhnlichen Artigkeit entgegen. Er schob mir einen Fauteuil hin und nahm selbst auf einem Stuhle Platz.

»Wenn ich eben im Begriffe bin, Ihnen, Mamsell Ring, meine Tochter anzuvertrauen, handle ich nicht so unbedachtsam, als man wohl annehmen möchte, wenn man bedenkt, daß Sie mir völlig unbekannt zu sein scheinen. So verhält es sich indessen keineswegs. Bevor ich meinen Wunsch gegen Sie aussprach, hatte ich mich genugsam über Sie unterrichtet, und die Aufklärungen, welche ich erhielt, sind von der Art, daß ich Dagmar keinen bessern Händen anvertrauen zu können glaube. Ich weiß, daß Sie die Verantwortlichkeit Ihres Berufs vollkommen fassen. Ich habe somit Sie in Bezug auf meiner Tochter Unterweisung um Nichts zu bitten. Daß Sie derselben gute Kenntnisse und alle die moralische Bildung beibringen werden, in deren Besitz ein Kind gelangen kann, davon bin ich ganz und gar überzeugt. Auch wünsche ich nur mit Rücksicht auf deren Behandlung in den Freistunden mich gegen Sie auszusprechen. – Sie werden gewiß nicht mißdeuten, was ich Ihnen sagen will?«

Der Oberst heftete die Augen auf mich, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Ich versicherte ihm, daß es mir lieb sein würde, wenn ich seine Wünsche entgegennehmen könnte.

»Ich wünsche,« nahm der Oberst das Wort, »daß Dagmars Studien mit Eifer betrieben werden und daß sie während der Lektionsstunden zu emsiger Arbeit angehalten wird, aber daß sie, wenn dieselben vorüber sind, ihre volle Freiheit habe und sich deren ohne alle Einschränkung bedienen dürfe. Sie brauchen nicht, wie es gewöhnlich ist, ihr auf Schritt und Tritt zu folgen, sondern können dieselbe auf eigene Faust über ihren Zeitvertreib bestimmen lassen. Mag sie so lang als möglich sich frei fühlen, in Spielen und Lustbarkeiten nur ihren eigenen Eingebungen folgen, ohne jenen verhaßten Zwang, worunter die Mädchen gewöhnlich aufwachsen, indem man ihnen unaufhörlich zuruft: ›das schickt sich nicht‹ u. s. w. Manieren und Sitten sind nicht Lektionen, welche eingeübt werden, sondern Eigenschaften, welche von dem Verstand und dem Herzen ausgehen müssen. Haben sie ihren Ursprung nicht aus diesen Quellen, so sind sie nichts werth. Bilden Sie Dagmars Verstand, unterweisen Sie ihr Herz, und äußerer Anstand wie innere Sittlichkeit wird dann von selbst erblühen. – Ich hoffe, daß diese meine Ideen nicht im Widerspruch mit den Ihrigen stehen,« setzte der Oberst ganz verbindlich hinzu.

Es war seine Tochter, und ich konnte nicht anders, als nach seinem Willen mich richten. Er dankte mir dafür und sprach die Hoffnung aus, daß Dagmar kein schwer zu behandelndes Kind sein dürfte. Ich begriff, daß die Unterredung zu Ende war, und erhob mich. Er äußerte, indem er gleichfalls aufstand: »Noch etwas: Sie haben wahrscheinlich gar viel Schlimmes von Dagmars Vater gehört; glauben Sie nicht daran. Es muß immer unangenehm sein, ein Kind anzuleiten, dessen Vater im Verdachte steht, daß er zu dem Tode zweier ihm verwandter Personen Anlaß gegeben. Versuchen Sie stark genug zu sein und auf diese unheimlichen Geschichten nicht zu achten. Sie werden niemals Grund zur Reue finden, im Fall Sie unbedingt annehmen, daß ich ein Mann von Ehre bin.«

Er faßte meine Hand und fügte noch bei:

»Lieben Sie Dagmar, wenn es Ihnen möglich ist, und leben Sie, soviel Sie können, getrennt von den Nachbarn. Ich würde es gern sehen, daß Dagmars Urtheil und Verstand entwickelt wären, ehe deren Ohren durch jene Erzählungen über mich entweiht werden. Ich will nicht, daß sie als Kind Eindrücke aufnimmt, sondern daß sie frei und selbstständig zu einem ebenso moralisch starken wie charakterfesten Mädchen sich entwickeln mag. – Nun leben Sie wohl, vielleicht auf ein Jahr.«

Er küßte der Gouvernante seiner Tochter die Hand.

Vor seiner Abreise hatte er mit Dagmar eine lange Unterredung. Das elfjährige Mädchen sah ganz ernst aus, als sie mit Thränen im Auge dem hinwegeilenden Wagen des Vaters nachschaute. Auch ich fühlte mich sehr feierlich gestimmt, als Frau Thorén mit einem geheimnißvollen Ton äußerte:

»Jetzt kann manches Jahr vorbeigehen, ehe man ihn wieder zu sehen bekommt.«

Du begreifst sicherlich, daß ich nach der Unterredung mit dem Oberst eine ganz gute Vorstellung von ihm bekam. Bis zur gegenwärtigen Stunde habe ich keinen Grund gehabt, dieselbe zu ändern, und seitdem sind bereits drei Jahre verflossen.

Das Kind, welches während dieser Zeit mir anvertraut war, steht in einer gewissen Seelenfreundschaft zu mir, obgleich Alles bei ihr mehr über das gewöhnliche Maß geht, als bei deiner Freundin. Möglich, daß dieß eine Folge ihrer Erziehung ist. Sie hat von ihrer frühesten Kindheit allen Eingebungen folgen dürfen, welche in ihrem Kopf sich geregt haben. Von Natur mit einem guten Herzen begabt, nimmt bei ihr der Eigenwille und die Herrschsucht einen mildern Charakter an, als bei einem andern Gemüthe, und darum haben dieselben ihr niemals eine Abneigung von Jemand zugezogen. Dadurch, daß sie im Besitze völliger Unabhängigkeit ist und selbst über andere zu gebieten hat, ist sie etwas altklug geworden, und dieß widerstreitet ihrer sonstigen ungemeinen Lebhaftigkeit, ihrer oft übermüthigen Fröhlichkeit und ihrem aufgeräumten, oft muthwilligen Wesen. Sie ist unbeugsam in ihren Neigungen und Ansichten, und nimmt schnell Eindrücke auf, so daß Scherz und Ernst, Freude und Betrübniß, stille Ueberlegung und gedankenloser Leichtsinn augenblicklich mit einander wechseln. Sie kann weinen und lachen, schmeicheln und zürnen, alles im Laufe von einigen Minuten. Es herrscht eine beständige Ebbe und Flut in ihren Gefühlen; erstaunlich ist der Reichthum an Ideen und Phantasiebildern. Sie gleicht einer seltenen Perle, welcher man eine Fassung zu geben fürchtet, weil es schwer hält, die rechte dafür zu finden, und dennoch ist eine solche nothwendig; sonst wird ja der Werth der Perle – gleich Nichts.

Das erste Jahr zeigte sie eine unverbesserliche Gleichgültigkeit während der Lektionen. Frau Thorén hatte ihr die ersten Elemente in den gewöhnlichen Schulkenntnissen beigebracht, aber eine Wißbegierde war dadurch nicht hervorgerufen worden. Sie war zum Entsetzen ungelehrig. Ich gerieth auch in Verzweiflung darüber und erklärte ihr eines Tags, da ich überzeugt wäre, daß es mir nicht glücken würde, mit dem Unterricht bei ihr etwas zu Stande zu bringen, hätte ich mich entschlossen, an ihren Vater zu schreiben und meine Stelle aufzukündigen. Dagmar gab darauf keine Antwort, sondern ging von mir weg. Sie kam den ganzen Tag nicht wieder, aber als sie gegen Abend sich sehen ließ, schlang sie die Arme um meinen Hals und sagte:

»Schreibe nicht an Papa; Majken soll fortan mit mir zufrieden sein.«

Sie hielt Wort! Von diesem Tage an wurde sie fleißig. Ja, es konnte geschehen, daß sie auf ihren Streifzügen während der Freistunden eines von ihren Lehrbüchern mit sich nahm, um das, was ihr zu lernen schwer fiel, zu überlesen.

Ich war noch nicht viel über vier Wochen Dagmars Lehrerin gewesen, als ein Brief von dem Oberst anlangte, worin er mich bat, mit Dagmar unverzüglich nach Schonen zu reisen, wo seine Mutter den Sommer auf ihrem Gut zubrachte. Die Großmutter wünschte ihre Enkelin, welche sie noch nie gesehen hatte, kennen zu lernen.

Dagmar wollte durchaus nicht reisen, und ich hatte einen schweren Kampf durchzumachen, ehe ich sie dazu vermochte, dem Befehle des Vaters Folge zu leisten. Dagmar weinte, flehte, zürnte, drohte, sich etwas am Leben zu thun, wenn ich sie zwänge, mit mir Haraldshof zu verlassen. Endlich, nach achttägigem Streite, gab sie nach, und wir reisten ab.

Das arme Kind war tief betrübt, als der Wagen sie der Heimat entführte, welche sie früher nie verlassen hatte und leidenschaftlich liebte.

Ulftorp, das Gut der Oberlandrichterin Björnstam, ist nicht sehr groß und liegt zwischen Nachbarn gleichsam eingebettet – ein Umstand, der Dagmar unmöglich Freude machen konnte, besonders da die Großmutter ebenso gern Leute um sich sah, als die Enkelin dergleichen fürchtete. Zu dieser Plage für meine Schülerin kam, daß dieselbe ihre Großmutter nicht leiden konnte. Meine kleine Wilde weinte beständig und brachte den größten Theil des Tages auf ihrem Zimmer eingeschlossen zu, ohne daß die Oberlandrichterin oder ich sie bestimmen konnte, es zu verlassen, wenn irgend Fremde zu Besuch da waren.

Die Oberlandrichterin, eine meiner Ansicht nach eitle und herrschsüchtige Frau, wurde bald ihrer eigensinnigen Enkelin müde, und die Folge war, daß wir nach Verfluß einiger Wochen wieder heimkehrten.

Ich würde sicherlich unsern kleinen Ausflug nach Schonen angenehm gefunden haben, wenn nicht Dagmars Betrübniß und Menschenscheu mich gehindert hätte, das Vergnügen und Abwechslung, welche derselbe bot, zu genießen.

Als Dagmar sich wieder zu Haraldshof befand, war sie außer sich vor Freude.

Unser Leben daselbst blieb ganz einförmig. Es war ein Uebel, dem sich nicht abhelfen ließ. Wenn das ewige Einerlei daran mich allzu sehr plagt, gehe ich nach Falknäs. Frau Thorén und Dagmar verlassen das Gebiet von Haraldshof nie, als wenn sie zur Kirche fahren. Mit diesem abgeschiedenen Dasein ist das lebhafte Kind zufrieden und wünscht sich nichts Anderes. Sie unternimmt große Spaziergänge durch die Wälder und rudert hinaus auf die See. Zuweilen machen wir meilenlange Fahrten und im Sommer geschieht es auch manchmal, daß wir ausreiten; doch gehören solche Ausflüge zu den Seltenheiten. Der Park, der Garten und Wald sind Dagmars Lieblingsorte. Da schweift sie mit ihrem treuen Hektor, ihrem einzigen Spielkameraden, herum. Für mich bleibt nichts übrig, als zu lesen, zu musicieren oder Frau Thorén Gesellschaft zu leisten.

Dieser Mangel an Berührung mit der übrigen Welt hat meiner fröhlichen Gemüthsart bedeutenden Eintrag gethan, denn so einförmig meine Lebenstage zuvor verflossen, habe ich doch von Zeit zu Zeit andere Menschen, als die tägliche Umgebung gesehen.

Ich hatte in Westgothland dich, deinen Mann, deine Kinder und meinen Vater. Die Familie, in der ich war, zählte mehrere Mitglieder, und dieses Stillschweigen, dieses lebende Grab, worin ich mich jetzt befinde, hat nichts Gemeinsames mit dem, woran ich gewohnt war. Du weißt, daß ich damals darüber klagte wie sehr die Einförmigkeit mich quälte; wie soll ich mich nun darein schicken, da nichts geschieht, um den einen Tag dem andern ungleich zu machen. Dieser alte Haraldshof ist ein Gefängniß, und dennoch, wo werde ich, ein armes Mädchen, eine bessere Heimat finden? Hier gibt es Niemand und Nichts, um mich an meine abhängige Stellung zu erinnern. Dagmar liebt mich wie eine Schwester, Frau Thorén behandelt mich wie eine Tochter, und mein guter, theurer Oheim, welcher nun mit meinem hiesigen Aufenthalt versöhnt ist, hat mich immerdar gleich lieb. An Anhänglichkeit und Zuneigung fehlt es nicht; ebenso wenig an Büchern und Musik; eine schöne Natur lächelt mir, wohin ich blicke, entgegen, und doch … bin ich schwermüthig. Ich möchte weinen, daß ich sechsundzwanzig Jahre gelebt und noch nichts, was der Erinnerung werth ist, erfahren habe. Und doch kein Glück zu vermissen, keinen Schmerz zu erleiden haben, ist sehr traurig.

Solcher Art sind meine Gedanken, während ich mit äußerer Ruhe und scheinbarer Zufriedenheit die endlos langen Tage dahinschleppe. In meinen einsamen Stunden strecke ich die Arme in die Luft aus und rufe:

»O! du großer Herrscher der Welten, laß mich empfinden, daß ich lebe! Laß mich leiden, kämpfen, siegen oder untergehen, aber laß mich nicht an meinem eigenen nutzlosen Dasein mich verzehren!«

Nun, geliebte Amalie, laß uns von diesem Gegenstand abbrechen; du könntest sonst unruhig werden und dich verwundern über mich, welche doch, wenn man die Sache klug und vernünftig betrachtet, Gott für so Vieles zu danken hat.

Du fragst nach Waldners. Du kennst sie, und es interessirt dich, etwas von »diesen liebenswürdigen Menschen,« wie du dich ausdrückst, zu hören. Meine gute Amalie, ich kenne nur Georg Waldner, einen stattlichen Jungen, mit welchem ich ein paar Mal bei dem Oheim zusammentraf und welcher auch dort zu Besuch war. Frau Waldner habe ich allerdings gesehen, bin aber niemals in Gesellschaft mit ihr gewesen, und der älteste Sohn ist mir eine unbekannte Größe.

Du weißt vielleicht nicht, daß Frau Waldner, welche neben andern Vollkommenheiten auch den Stolz besitzt, die pekuniären Verhältnisse ihres verstorbenen Mannes Niemand wissen zu lassen, als Wittwe alle seine Schulden übernahm. In den ersten Jahren gelang es ihr, einen Theil davon abzubezahlen; aber in Folge mehrjährigen, nach einander eintretenden Mißwachses kam es so weit, daß sie sich genöthigt sah, Aengsberga zu verkaufen. Dieß wurde indessen durch den Oberst verhindert, welcher durch einen Bevollmächtigten einen so vortheilhaften Pacht bieten ließ, daß die Gläubiger ihre Rechnung dabei fanden, denselben anzunehmen. Der Betrag des Pachtes geht mittlerweile denselben unverkürzt zu, und wenn die Zeit desselben abgelaufen ist, sind wahrscheinlich auch die Schulden so gut als gedeckt.

Frau Waldner wohnt für jetzt in **köping und besitzt dort ein kleines Haus, dessen Ertrag für ihre Bedürfnisse genügend ist.

Noch eine Neuigkeit, und damit will ich meinen Brief schließen. Lieutenant Broolind, Schwestersohn des Oberst, hat sich neulich mit Frau Waldners Schwestertochter, Mathilde Lindal, verheiratet. Vor einigen Jahren sagte man allgemein, Mamsell Lindal werde mit der Zeit des älteren Waldners Frau; aber das Mädchen wollte wohl nicht warten, da sie nun den Lieutenant genommen hat. Sie soll einiges Vermögen besitzen, und durch diese Heirat ist es nun dem ehrenwerthen Herrn Broolind möglich geworden, Brovik, ein größeres, einige Meilen von hier gelegenes Gut zu pachten.

Nun lebe wohl, liebe Freundin; möge dieser lange Brief dich zufrieden stellen und dir die Möglichkeit benehmen, in deinem nächsten wiederum auf mich zu schelten.

Majken.

 

II.

Die Bäume verloren allmälig ihren grünen Schmuck – der Herbst war gekommen.

»Majken, hier ist ein Brief von Papa,« rief Dagmar, als sie eines Abends bei der Gouvernante eintrat, welche in ihrem kleinen Kabinet saß und sich mit Lesen die Zeit vertrieb.

»Ja, nun werden wir es recht angenehm bekommen,« setzte sie hinzu und überreichte Majken ein Schreiben folgenden Inhalts:

 

»Meine liebe Tochter!

Den Tag, nachdem du diese Zeilen empfangen hast, hoffe ich in Haraldshof zu sein; aber ich komme nicht allein. Ich habe zwei junge Männer bei mir. Der eine ist Kandidat der Medicin und Stellvertreter für den Gutsarzt; den andern sollst du zu deiner Unterhaltung haben. Unterrichte deine Tante hievon und halte dich bereit zu umarmen deinen

Vater

 

»Nun, was sagst du dazu, Majken?« ließ sich Dagmar weiter vernehmen. »Zwei Herren! Den Papa wieder zu sehen, freut mich von Herzen; aber was die zwei Herren anbelangt, so wird es mir um die Ohren heiß, wenn ich nur daran denke. Sie sind gewiß nicht zum vierten Theil so gemüthlich, wie Hektor, und ich kann fremdes Volk nicht leiden. Ich muß weinen, wenn mir die unbekannten Menschen einfallen.«

»Du hast somit unser Leben nicht einförmig gefunden?« fragte Majken.

»Einförmig?! Was willst du damit sagen, Majken?«

»Daß du der alleinigen Gesellschaft von mir müde geworden.«

»Nein, niemals! Deiner wird man niemals müde; du bist so schön und so gut, daß …«

Es klopfte an der Thüre; Dagmar eilte zu öffnen.

Der Oberst stand auf der Schwelle und fragte, ob er eintreten dürfe.

Dagmar schrie vor Freude laut auf, und der heimgekehrte Vater wurde mit einem förmlichen Sturm von Liebkosungen bewillkommt.

Er küßte das Mädchen auf Stirne, Augen und Mund, machte sich dann von ihren Umarmungen los und begrüßte Majken, welche ganz bestürzt mit dem Briefe in der Hand dastand.

»Ich bedaure, daß ich nicht heute Morgen in Haraldshof angekommen bin,« sprach der Oberst und zog ein kleines Etui heraus, welches er Majken überreichte. »Mein Wunsch war, daß Sie zu ihrem siebenundzwanzigsten Geburtstage dieses kleine Andenken von Dagmar auf Ihrem Kaffeetische finden sollten.«

»Wie weißt du, daß Majken heute geboren ist?« fragte Dagmar; »ich habe ja keine Ahnung davon gehabt.«

»Das ist schlimm, daß du in drei Jahren dir keine Ahnung davon verschafft hast, wann deine Lehrerin geboren ist,« bemerkte der Oberst.

Majken öffnete das Etui. Es enthielt eine kostbare Brosche, welche unter einem von ihren mit ächten Perlen eingefaßten Blättern einen Knoten von Dagmars Haaren verbarg. Mit einer höheren Farbe als sonst auf ihren Wangen dankte Majken. Der Oberst sagte ihr einige verbindliche Worte, nahm hierauf Dagmar bei der Hand und betrachtete sie.

»Du bist sehr gewachsen, aber nicht zu deinem Vortheil.«

»Du findest mich somit häßlich?« fragte Dagmar ganz niedergeschlagen.

»Ja, aber das darf dich nicht betrüben; ich vermuthe, daß du um so mehr an Kenntnissen gewonnen hast, und damit ersetzest du ja, was du an Aussehen verloren hast. Mir macht es mehr Freude, eine gebildete, als eine schöne Tochter zu haben.«

»Dann wirst du mit mir wohl zufrieden sein; Majken hat mich zu einem wahren Licht von Gelehrsamkeit gemacht.«

»Bist du eigenliebig?«

»Das darf dich nicht betrüben,« antwortete Dagmar und lächelte ihrem Vater zu, als sie seine Worte wiederholte.

»Immer gleich verzogen.«

Der Oberst legte seine Hand auf ihr Haupt. Er sah ihr mit forschendem, ernsten Blick in die großen, klaren Augen.

»Du hast mich so haben wollen,« bemerkte Dagmar.

Majken betrachtete Beide.

Der Oberst hatte in den drei verflossenen Jahren sich nicht verändert. Er war sich vollkommen gleich geblieben. Majken dachte, während sie ihn so ansah: »Unmöglich kann ein Mann von schlechtem Charakter ein solches Aussehen haben.«

In diesem Momente flogen die Augen des Obersts von der Tochter zu der Gouvernante hinüber, und als ob er deren Gedankengang geahnt hätte, sagte er:

»Das Aeußere täuscht gewiß oft; aber ich glaube nicht, daß das Auge lügt; oder was meinen Sie, Mamsell Ring?«

»Ich bin Ihrer Ansicht, Herr Oberst,« antwortete Majken.

Nach dem Austausche von einigen weiteren Worten entfernte sich der Oberst.

 

III.

Dagmar und Majken arbeiteten wie gewöhnlich am folgenden Tage den ganzen Morgen, und Frau Thorén hatte mit der Haushälterin und den Domestiken genug zu thun, um die Zimmer für die beiden jungen Herren in Ordnung zu bringen. Um Mittag erschien der Kandidat der Medicin, Granstedt, der stellvertretende Gutsarzt. Einige Tage später sollte der zweite der von dem Oberst eingeladenen Gäste anlangen.

Es gab nun ein anderes Leben auf dem alten Herrensitz. Dagmar hatte nicht mehr ihren eigenen Tisch. Man dinirte und soupirte zusammen in dem großen Speisesaal. An den Abenden leistete man einander Gesellschaft.

Die Woche ging inzwischen zu Ende, ohne daß der erwartete Gast sich sehen ließ. Dagmar hatte diese ganze Zeit nicht vermocht werden können, zwischen den Eßstunden im Salon zu bleiben, wenn der junge Arzt da war, sondern eilte von der Gesellschaft hinweg, scheu und unzugänglich, wie ein wilder Vogel.

Des Mädchens außerordentliche Blödigkeit fiel dem Oberst in die Augen und erregte bei ihm etwas wie Mißvergnügen. So äußerte er denn eines Tages, es dürfte an der Zeit sein, daß in Dagmars Lebensgewohnheiten eine Aenderung einträte.

An einem schönen Sonntagsmorgen verreiste der Oberst. Doktor Granstedt machte Krankenbesuche und die Frauen waren ganz allein zu Hause. Am Nachmittag fuhr Frau Thorén nach dem Probsthof, und Dagmar begab sich mit Hektor aus einen längeren Streifzug. Es ging gegen Abend, und die Luft war ungewöhnlich milde. Majken ließ sich im Garten nieder, um eine Stunde zu verträumen. Schritte und Laute von Sprechenden, welche sich näherten, verhinderten jedoch alle Träumerei.

Sie hörte eine jugendliche Stimme äußern:

»Nun, wie findest du es hier?«

»Gut; der Oberst ist artig und die Damen liebenswürdig; das heißt, das Wort liebenswürdig paßt nur auf eine von ihnen.«

»Und wer ist das?«

»Die Gouvernante.«

»Ah, Mamsell Ring. Ich bin als junger Bursche ganz neugierig auf sie gewesen.«

»Dann bist du es wohl noch,« meinte Granstedt, »da du die Jugendjahre noch nicht hinter dir hast; aber still, da sehe ich Jemand.«

Die Redenden kamen auf einem Fußpfad heran und hatten jetzt Majken vor sich.

Granstedt war von einem großen, schlanken Jüngling mit einer Studentenmütze auf dem Kopfe begleitet.

»Kandidat Waldner, Mamsell Ring,« präsentirte Granstedt. David verbeugte sich sehr ungezwungen vor Majken, aber dabei trat eine lebhaftere Röthe auf seine etwas bleichen Wangen.

Majken sprach ihr Bedauern aus, daß der Oberst und Frau Thorén nicht zu Hause wären, und die Herren deßhalb einstweilen mit ihrer Gesellschaft vorlieb nehmen müßten. Den jungen Männern schien dieß nicht sonderlich leid zu thun. Majken bot auch all ihr Vermögen auf, unterhaltend zu sein.

Es stand nicht lange an, so fühlte sich der junge Waldner völlig frei von aller Befangenheit, welche er immerdar zu Anfang einer Bekanntschaft empfand. Majken sprach von Upsala, von dem Berufe eines Arztes u. a. m., und schien hiefür so viel Interesse zu haben, als ob sie niemals an etwas Anderes gedacht hätte. Die beiden jungen Männer schienen auch ganz vergnügt, und als Frau Thorén etwas später am Abend heimkehrte, fand sie alle drei in der besten Stimmung.

Dagmar konnte nicht dazu gebracht werden, sich vor dem Souper sehen zu lassen, und da beantwortete sie David Waldners artige Begrüßung ganz unfreundlich. Sie war noch scheuer ihm gegenüber, als vor Granstedt.

Am Abend, als Majken sich zur Ruhe begeben wollte, kam Dagmar noch zu ihr herein.

»Wie gefällt dir David, Majken?« fragte sie.

»Sein Aussehen erregt eine gute Vorstellung von seinem Charakter,« antwortete Majken.

Dagmar hüpfte auf den Sopha und kauerte sich in der Ecke wie ein Knäuel zusammen.

»Schön ist er wohl,« sagte sie darauf ganz nachdenklich, »aber zum Entsetzen langweilig. Ich kann die Männer nicht leiden, darf ich wohl sagen, und es wird mir übel, wenn sie nur mit mir reden. Ach, wenn sie alle zusammen nur weit, weit von hier weg wären!«

»Und dein Vater damit?«

»Ach, ihn rechne ich nicht dazu, aber die andern. So vergnügt, als wir es hatten, da wir allein waren, bekomme ich es niemals mehr.«

Majken theilte die Ansicht des Mädchens nicht, aber sie sprach ihre Gedanken nicht aus, sondern bemühte sich statt dessen, es Dagmar klar zu machen, daß sie darum, weil sie schüchtern wäre, nicht unhöflich sein dürfte. Majken meinte, Dagmar selbst würde es unterhaltender finden, wenn sie diesem Gefühle entgegen arbeitete. Dagmar schüttelte den Kopf und konnte nicht begreifen, warum man mit den Leuten leben sollte, wenn man es ohne sie angenehm und gemüthlich hätte. Nachdem sie dieß gesagt hatte, warf sie Majken eine Kußhand zu und sprang aus dem Zimmer.

 

IV.

In Doktor Granstedts Zimmer saßen die beiden Kameraden und rauchten.

»Was hältst du von Mamsell Ring?« fragte David.

»Daß sie einen ungewöhnlich guten Kopf hat, schön, und im Uebrigen eine sehr angenehme Frau ist.«

»Nun, das hätte ich auch sagen können,« fiel David lächelnd ein. »Dazu gehörte kein sonderlicher Scharfsinn. Ich meinte, welches deine Gedanken über ihren Charakter wären?«

»Sie ist klug, kalt, berechnend genug, um kokett zu sein, und wird darum sehr gefährlich.«

»Das ist keine sehr vortheilhafte Schilderung von ihr,« rief David, indem er seine Cigarre von sich warf.

»Ich glaube das Gegentheil. Mamsell Ring gleicht dem Krystall; sie ist fleckenlos wie er, aber auch ebenso gefühllos. Mir gefallen dergleichen Frauen.«

»Aber mir nicht,« entgegnete David.

»Kinder haben noch keinen Geschmack. Du warst indessen von der Gouvernante ganz entzückt.«

»O ja, sie war auch gar zu artig.«

»Und das erzeugt immer das gewöhnliche Verlangen bei dir, Anmerkungen zu machen. Geh hin und lege dich zu Bette und flehe zu Gott, daß er dein Kinderherz bewahre, damit du nicht in irgend eine Gefahr geräthst.«

»Welche Gefahr? Du darfst doch wohl nie voraussetzen, daß …«

»Daß dir von Mamsell Ring der Kopf verdreht wird; ja, gerade das setze ich voraus.«

»Sie ist ja bereits etwas bei Jahren.«

»Bah, die Jahre bedeuten eigentlich nichts, am allerwenigsten, wenn man wie sie nur einige zwanzig auf dem Nacken hat, und dazu ein Aussehen, einen Wuchs und einen Kopf besitzt, deßgleichen man lange suchen darf. Nimm hiezu das stündliche Zusammensein und deine Jugend, so will ich Zehn gegen Eins wetten, daß du in schwere Versuchungen geräthst.«

»Höre auf mit deinem dummen Scherz,« rief unser zwanzigjähriger Heilkunst-Laborant, welcher sich zum Mindesten für einen Cato hielt, und kein Gefallen daran fand, daß man mit ihm über Schwachheiten scherzte, von welchen er sich völlig befreit glaubte.

Die beiden Kameraden trennten sich.

 

V.

Dagmar war während der Lektionen der folgenden Tage im höchsten Grade zerstreut. Eines Morgens warf sie das Buch von sich und rief:

»Majken, es ist mir unmöglich, heute etwas zu thun; gib mir für diesen Tag Urlaub, und ich verspreche morgen desto fleißiger zu arbeiten.«

Dieses Benehmen Dagmars war nichts Ungewöhnliches; es war bis jetzt öfters vorgekommen, und Majken hatte sie unter solchen Umständen immer von der Arbeit dispensirt, ohne ihr jedoch die Freiheit zu gewähren, sich nach ihrer Weise zu unterhalten. Auch jetzt wurde Dagmar das Lernen erlassen.

Nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen war und durch das Fenster geschaut hatte, begann Dagmar davon zu reden, daß sie schlimme Gedanken habe, gab aber keine weitere Rechenschaft von denselben, sondern erwähnte bloß, daß dieselben sich regen, sobald sie gezwungen würde, fremde Leute zu sehen. Majken nahm davon Veranlassung, ihr die Nothwendigkeit vorzustellen, eine Menschenscheu zu überwinden, wodurch sie sich selbst und andern unerträglich würde. Dagmar wollte davon nichts wissen, sondern meinte, wenn sie eines Tags Herrin von Haraldshof würde, brauche sie sich nicht Dingen zu unterwerfen, welche ihr keine Unterhaltung gewähren. Sie, Dagmar, sei von den Meinungen, Wünschen und Urtheilen anderer Menschen nicht abhängig.

Lange redete sie in diesem kindisch übermüthigen Tone fort.

Majken hatte in ihrer freundlichen und herzlichen Weise ihr das Lächerliche der Einbildung gezeigt, als ob sie gewisse Privilegien besäße, weil sie eines reichen Mannes Tochter wäre. Dagmar, ein mit ungewöhnlichem Verstand begabtes Kind, hatte sich davor gehütet, lächerlich zu werden, aber heute waren alle schönen Lehren vergessen.

»Wie,« rief Majken, »ich glaube, du redest davon, Dagmar, Besitzerin von Haraldshof zu werden?«

»Ja, das werde ich auch,« antwortete Dagmar ganz stolz, »und da dem so ist, weiß ich kaum, warum ich nicht davon reden soll.«

»Darum, weil es so schlecht lautet und auch noch ungewiß ist.«

»Ungewiß? Wer sollte mir denn Haraldshof nehmen?«

»Dein Vater kann es verkaufen, Dagmar; widrige Umstände können es mit sich bringen, daß mit seinem Tode das Vermögen dahin ist, und dann wirst du, Dagmar, aus einem reichen in ein armes Mädchen verwandelt, welches gleich mir selbst für sein Brod arbeiten muß.«

»Mein Vater hat nicht das Recht, Haraldshof zu verkaufen; darum kann ich auch nicht in Abhängigkeit von andern gerathen.«

»Jetzt redest du – wie ein Kind, Dagmar,« fiel Majken ein. »Haraldshof gehört dem Oberst, und er kann demnach damit machen, was ihm beliebt.«

»Nein, er kann es nicht verkaufen, es muß seinem Kinde zufallen,« rief Dagmar heftig.

»Und denkst du bereits daran, deinen Vater zu beerben?« entgegnete Majken, jedes Wort betonend. »Wenn mein Vater reich wäre, würde ich mir niemals gestatten, mit meinen Gedanken bei den Vortheilen zu verweilen, welche sein Tod mir bringen würde; aber du kannst das freilich thun, Dagmar.«

Das Blut schoß dem Mädchen in die Wangen und verschwand eben so schnell wieder davon. Sie kämpfte einen innern Kampf. Majken stellte sich, als merke sie es nicht, sondern nahm nach einer Pause wieder das Wort:

»Ich will dir ein kleines Märchen erzählen, Dagmar. Es war einmal ein Vogel, welcher sich ein großes und geräumiges Nest auf einer Königseiche erbaut hatte. Sein Nest war besser als die aller andern Vögel, und der Baum, worauf es sich befand, größer als alle Bäume weit herum. Der Vogel war ein stolzer und edler Vogel, aber schwach gegen sein einziges Junges. Er pflegte zuweilen dem kleinen Unverstand zu sagen: Diese Eiche und dieses Nest gehen eines Tages in deinen Besitz über, du bist zu Reichthum, Freiheit und Glück geboren, sei darauf bedacht, daß du gut wirst und dieser Vorzüge dich würdig machst. Alle die andern Vögeln auf den geringern Bäumen wiederholten, was der Vater gesagt hatte, obwohl in andern Ausdrücken, und das unverständige Junge glaubte, es sei besser, als die andern, könne thun, was ihm beliebe, und dahin leben, ohne daß es nöthig habe, sich um seinesgleichen zu kümmern. Der thörichte Vogel vergaß, daß sein Vater der zärtlichste der Väter war, er fragte nichts darnach, ihm Freude zu machen, sondern ließ sich nur von seinen selbstsüchtigen Launen leiten. Er dachte nur daran, wie reich und mächtig er einst würde, wenn der Vater stürbe und er allein Herrscher auf der Eiche und im Neste wäre. Während er so träumte, sandte Gott einen heftigen Sturm über die Erde. Die Jahrhunderte alte Eiche wurde mit den Wurzeln ausgerissen und zu Boden geworfen. Das prächtige Nest wurde zerstört und dessen Eigenthümer getödtet, und da saß nun der junge Vogel einsam und verlassen, ohne Vater, ohne Freunde und ohne Heimat. Die Vögel auf den geringern Bäumen waren von dem Verderben nicht betroffen worden; sie sangen munter und freuten sich, als das Unwetter vorüber war. Und als nun jener, all seines Reichthums beraubt, sich in seiner Noth an sie wandte, antworteten dieselben: Du wolltest nicht mit uns halten, da du den großen Baum besaßest, nun können wir dir ebenso wenig helfen; und so mußte der unverständige kleine Vogel fortfliegen, weit fort, um in andern Gegenden, unter fremden Vögeln, welche von seinem frühern Uebermuth nichts wußten, Hülfe und Unterstützung zu suchen.«

Majken schwieg. Eine lange Weile saßen Dagmar und sie da, ohne ein Wort zu reden; endlich rief Dagmar:

»Majken, bist du mir böse?«

»Nur betrübt darüber, daß ich nicht so viel Gutes in Dagmar gewirkt habe, um Uebermuth und Hoffart zu ersticken.«

»Sprich nicht so,« bat Dagmar und schlang ihre Arme um deren Leib; »verzeihe mir vielmehr. Ich war nicht übermüthig, ich war erbittert, und darum redete ich so wie ich that.«

»Erbittert, und worüber?«

»Ach, über viele, viele Dinge. Es plagte mich, daß David Waldner ein schöner Jüngling sein sollte, während ich häßlich bin; es reizte mich, daß Papa über meine Schüchternheit mißvergnügt war, und so konnte ich mich nicht mit dem versöhnen, was du, Majken, am Abend in Bezug auf die Nothwendigkeit, gegen Fremde höflich und artig zu sein, gesagt hast. Ich fand es so verdrießlich, daß du, Majken, mit mir nicht zufrieden sein solltest, und da dachte ich, wenn die Leute im Hause mich lieb hätten, bedürfte ich des Beifalls anderer nicht, und würde nicht gezwungen, in Gesellschaft derer zu verweilen, welche ich nicht kannte. Ich wollte mich damit trösten, daß ich eines Tages in den Besitz von Haraldshof gelangen würde, und daß, wenn David schön, ich dagegen reich wäre. Ach, das war schlecht; aber ich bin so traurig, so traurig.«

Große Thränen rannen über Dagmars Wangen. Sie weinte heftig, wie nur Kinder weinen, wenn sie durch etwas in Aufregung versetzt werden.

Majken verstand jedoch die Kunst, sie zu beruhigen, so daß sie, als einige Zeit darauf Botschaft kam, Dagmar sollte sich zu ihrem Vater verfügen, ihr Angesicht wieder lächelnd war.

Nach Verfluß einer Stunde trat Dagmar wieder bei Majken ein.

»Wir haben noch einen Fremden,« äußerte sie; »kannst du rathen, Majken, wen?«

»Frau Waldner.«

»Beinahe, aber nicht ganz richtig, denn es ist Georg Waldner. Er ist schöner als sein Bruder und, meiner Meinung nach, viel angenehmer. Ich war nicht so blöde bei ihm, sondern wir wurden gleich gute Freunde.«

»Das muß wirklich schnell geschehen sein,« fiel Majken lächelnd ein, »denn es ist noch nicht lange her, Dagmar, daß du mich verlassen hast.«

»Je nun, er war bei Papa, als ich hinkam, und er grüßte mich so freundlich, daß ich durchaus keine Blödigkeit empfand. Nun sollst du sehen, Majken, daß ich hinfort mich ganz angenehm mache. Ich werde nur an dein Märchen denken und dir zu gleichen suchen.«

Dagmar hielt Wort. Sie kämpfte gegen ihre Blödigkeit. Sie antwortete, ohne zu schnauzen, wenn einer der Herren sie anredete, und schickte sich besser an, als Majken zu hoffen gewagt hatte.

Georg Waldner war ein ungewöhnlich schöner Jüngling, einfach und anspruchslos.

Am Abend regnete es. Man versammelte sich in dem kleinen Salon und machte Musik. David und Georg sangen, Majken akkompagnirte, und der Abend verfloß schnell und angenehm.

Am Morgen darauf war Majken krank und konnte mehrere Tage das Zimmer nicht verlassen. Endlich wurde sie von dem Fieber frei, und von da an ging es immer besser.

Als sie zum ersten Mal nach ihrer Krankheit in den Speisesaal trat, waren David und Georg bereits dort.

Der erstere eilte auf Majken zu und bezeugte in einigen herzlichen Worten seine Freude darüber, daß sie endlich wiederhergestellt wäre. Sein Angesicht hatte einen so theilnehmenden Ausdruck, daß Majken die Aufrichtigkeit dessen, was er sagte, darin erkannte. Am Abend versammelte man sich wie gewöhnlich im Salon, und auch heute schwanden die Stunden wie in einem behaglichen Traume.

Vierzehn Tage verflossen auf ganz gemüthliche Weise. Alle waren fröhlich und Frau Thorén versicherte, daß sie sich um zehn Jahre verjüngt habe, seitdem es in Haraldshof lebendiger geworden.

Das tägliche Zusammensein bewirkt, daß man schneller mit einander bekannt wird. Dagmars Blödigkeit verschwand, die Freundschaft zwischen ihr und Georg befestigte sich, und ihr Benehmen gegen David nahm einen vertraulichen Charakter an. Majken, immer artig, wurde, ohne selbst darauf Acht zu geben, freundlicher gegen die jungen Herren Waldner, als sie jemals gegen ein Mitglied des männlichen Geschlechts, ihren Oheim natürlich ausgenommen, es gewesen.

David beschäftigte sich ausschließlich mit Majken, und in seinen ausdrucksvollen Zügen stand zu lesen, daß es ihm unangenehm war, wenn Majken sich mit einem andern als ihm abgab.

 

VI.

Am Schluß des Oktobers erhielt der Oberst einen Brief von seiner Mutter, welcher ihn veranlaßte, eines Vormittags in das Arbeitszimmer von Majken und Dagmar zu treten.

»Ich komme und störe,« sagte der Oberst, »aber Mamsell Ring wird entschuldigen; ich habe etwas mitzutheilen, was Sie ebenso nahe wie Dagmar angeht. Es ist nämlich zwischen mir und meiner Mutter ausgemacht worden, daß Sie und Dagmar den Winter bei ihr in Stockholm zubringen sollen.«

Dagmar hörte den Vater mit schwellenden Adern und glühenden Wangen an; als er schwieg, erklärte sie in bestimmtem Ton:

»Papa, ich will nicht zu der Großmutter nach Stockholm gehen und gedenke auch nicht, es zu thun.«

Ein heftiges Zucken in des Obersts Gesichtsmuskeln bewies, daß die Sprache, deren sich Dagmar von Kindheit an bedient hatte, ihm jetzt mißbehaglich war.

»Ich finde, daß Dagmar von ihrer Selbstständigkeit nichts verloren hat,« bemerkte der Oberst. »Ich hatte jedoch gehofft, daß das Zusammenleben mit Mamsell Ring auf sie einwirken möchte; aber ich sehe zu meinem Leidwesen, daß dem nicht so ist.«

»Papa,« rief Dagmar, »ich verstehe nicht, was du meinst; aber wenn du mit Majken unzufrieden bist, so thust du Unrecht daran.«

»Unzufrieden mit Mamsell Ring, wie wäre das möglich!« antwortete der Oberst. »Ich beklagte nur, daß du, meine kleine Dagmar, deine Lehrerin dir nicht zum Vorbild genommen hast, um in einem Alter von vierzehn Jahren einzusehen, daß du mit deinem Vater in einem andern Tone reden müßtest.«

»Hast du nicht allezeit meinen Willen gelten lassen, wenn es sich darum handelte, was mir gefiel oder nicht gefiel?« wandte Dagmar ein.

»Das habe ich,« sagte der Oberst, indem er die Tochter auf seine Kniee zog; »aber weißt du, warum?«

»Weil du schwach gegen dein Kind gewesen bist,« flüsterte Dagmar und lehnte den Kopf an seine Schulter.

»Ich schwach?«

Der Oberst sprach diese Worte in einem Tone aus, welcher Dagmar bestimmte, schnell aufzusehen. Sein Angesicht hatte einen Ausdruck, welcher in vollkommenem Gegensatz zu einer solcher Behauptung stand. Der Oberst wandte sich zu Majken und fragte:

»Glauben Sie auch, Mamsell Ring, daß ich aus Schwäche gehandelt habe?«

»Nein, Herr Oberst.«

»Ich danke Ihnen; es beweist, daß Sie mich verstanden haben, und es ist Zeit, daß Dagmar es auch thue.«

Dagmar betrachtete ihn mit einem Blick, als wäre sie nahe daran, in Thränen auszubrechen. Der Oberst fuhr in milderem Tone fort:

»Sieh nicht so ängstlich aus, mein Kind, sondern bedenke, daß nichts gefährlicher ist, als wenn wir uns über die Beweggründe zu den Handlungen derer täuschen, mit welchen wir in naher Berührung stehen. Ich will nicht, daß du fortwährend mich für einen schwachen Vater ansiehst. Als deine Mutter starb, that ich mir selbst das Gelübde, dich wo möglich zu einer guten Frau mit einem offenen und unverstellten Charakter zu erziehen. Ich ließ dich ohne allen Zwang, nur den Eingebungen deines eigenen Herzens Folge leistend, aufwachsen. Waren dieselben gut, so sollten dieselben dich zum Guten leiten; waren sie schlecht, so sollten sie ohne Rückhalt hervortreten und mir dadurch Gelegenheit verschaffen, ihnen entgegenzuarbeiten. Um deine Launen zu zügeln, hielt ich es für das Beste, dir eine Lehrerin zu geben, welche du lieben könntest, und deren ganzes Wesen von der Art wäre, daß du ihr gleichzukommen suchtest. Meine Wahl fiel auf Mamsell Ring. Ich bat sie, dir dieselbe Freiheit zu geben, welche du immer gehabt hattest, weil ich nicht wollte, daß deine Herrschsucht, deine Selbstklugheit und dein Eigenwille sich hinter einer Maske von Verstellung verberge, vielmehr wünschte, daß du selbst den Fehlern entgegenarbeiten möchtest, welche dich dem Vorbilde, das du in Mamsell Ring hattest, ähnlich machten. Ich rechnete sicher darauf, daß die Jahre, während welcher ich fort war, mein Naturkind zu einem liebeswürdigen Mädchen umgeschaffen haben würden. Das erwartete ich, aber fand es nicht.«

»Papa, Papa!« murmelte Dagmar. Die Thränen rollten ihr über die Wangen.

»Herr Oberst,« fiel Majken ein, »der Fehler lag sicherlich an mir; ich habe vielleicht nicht recht verstanden, Dagmar zu leiten, und bin wohl selbst nicht die Person, für welche Sie mich halten.«

»Gestatten Sie mir, daß ich abbreche,« sagte der Oberst. »Sie haben hiebei keine Schuld; dieselbe liegt einzig an Dagmar, welche nicht begriff, daß sie ein Musterbild an ihrer Seite hatte. Ich wünschte, daß meine Tochter sich aus eigenem Antriebe aus einem launenhaften Kinde in eine gute Frau verwandeln möchte. Ich erwartete ferner, in ihr eine gehorsame Tochter zu finden. Ich habe deren Herz und Verstand überschätzt; aber ich bin überzeugt, daß der Tag kommt, wo Dagmar meine Hoffnungen verwirklicht. Nun überlasse ich dir selbst, mein Mädchen, zu entscheiden, ob du entweder hier bleibst, oder in die Hauptstadt reisest. Meine Wünsche kennst du.«

Der Oberst küßte seine Tochter auf die Stirne, schob sie sachte von sich und stand auf.

»Ich habe,« sagte er zu Majken, »es als eine Pflicht angesehen, diese Erklärung in Ihrer Gegenwart zu geben, und bitte Sie, nehmen Sie sich meiner Tochter mit derselben Sorgfalt an, welche Sie ihr während meiner Abwesenheit bewiesen haben.«

Der Oberst verbeugte sich und ging nach der Thüre. Dagmar blieb stehen, die Hände auf die Augen gedrückt.

Das Schloß drehte sich, die Thüre ging auf, und der Oberst stand auf der Schwelle. Jetzt nahm Dagmar die Hände vom Gesicht und sprang ihm nach mit dem Ausrufe:

»Papa, ich bin und werde immerdar deine gehorsame Tochter verbleiben. Wann willst du, daß wir nach Stockholm reisen?«

Und sie schlang ihre Arme um des Vaters Hals.

 

VII.

Mittag war vorüber. Georg, welcher die Absicht hatte, sich dem Bergbau zu widmen und nun denselben praktisch studirte, hatte bereits vor einer guten Weile sich nach dem Hüttenwerk begeben. Dagmar verließ den Salon mit einem dankbaren Ausdruck in ihrem Angesicht, lockte Hektor zu sich und nahm ihre Richtung auch dorthin.

In einiger Entfernung ertönten die regelmäßigen Schläge des Eisenhammers, und zwischen den entlaubten Bäumen flammten die Feuer von den Hütten und Schmieden. Sie blieb am Ende des Parks stehen und schaute sich um. Hohe, düstere Wälder umgaben sie, und dahin brauste der gewaltige Strom. Die Dämmerung senkte sich über die Gipfel der Fichten, und der Himmel hatte jenen dunkeln Farbenton, wo die Sterne so hell strahlen.

Dagmar blieb lange stehen und betrachtete sich die Landschaft, welche ihr so lieb war, und von welcher sie bald scheiden sollte. Sie fühlte, daß es eine bittere Stunde sein würde, und daß sie, entfernt von dieser Heimat, niemals irgend ein Glück finden könnte. Plötzlich erinnerte sie sich, daß da unten auf dem Hüttenwerk sich Jemand befand, welchen sie ebenso sehr, wo nicht mehr vermissen würde, als diese Wälder, Gewässer und Thäler, und sie setzte ihren Weg fort. Als die Dämmerung über der Erde ausgebreitet lag, stand Dagmar vor einer der Eisenschmelzhütten; hier traf sie Georg.

»Laß deine Arbeit,« sagte Dagmar, »und komm mit mir; ich muß mit dir reden.«

»In einer Viertelstunde bin ich fertig,« antwortete Georg und ging wieder hinein.

Dagmar setzte sich auf einen Stein, und spielte mit Hektors langen Ohren, ohne wie gewöhnlich mit ihrem Liebling zu sprechen. Der Hund legte seinen großen Kopf auf ihre Kniee und schaute mit seinen klugen Augen zu ihr auf, als wollte er sie fragen, was ihr fehle.

Nach Verfluß einer Viertelstunde erschien Georg.

»Nun, Dagmar, wohin wollen wir gehen?«

»Heim,« sagte Dagmar und nahm seinen Arm, ohne daß er ihr denselben bot.

»Georg, du weißt ja, daß wir uns trennen sollen?« begann Dagmar mit bebender Stimme.

»Ja, der Onkel sagte davon, daß du nach Stockholm gehen würdest,« antwortete Georg sehr ruhig.

»Und das macht dir keinen Kummer?« fragte Dagmar.

»Liebe, kleine Dagmar, davon wollen wir nicht reden, da dein Vater einmal beschlossen hat, daß du reisen sollst.«

Dagmar ließ seinen Arm fahren und brach in Thränen aus.

»Geh, Georg, du bist boshaft, recht boshaft, und ich will mich gar nichts um dich kümmern,« stammelte sie. »Du bist niemals gut gegen mich gewesen, und ich werde dich auch gar nicht vermissen.«

Hektor setzte sich neben sie, und schien auf seine Weise in ihr Weinen einzustimmen.

Georg konnte bei seiner ruhigen, praktischen Gemüthsart nicht recht fassen, warum Dagmar und Hektor so betrübt wären, aber da er der Erstern von Herzen gut war, und sie nie zuvor in Thränen gesehen hatte, so wurde er unruhig. Er sagte ihr das und noch viel mehr, was ein achtzehnjähriger Jüngling einem Kinde, an welchem er Wohlgefallen hat, zu sagen haben kann. Es würde allerdings traurig, sehr traurig werden, meinte er, wenn sie fort wäre, und gewiß würde es ihm recht langweilig werden; aber der Winter müßte ja vorübergehen und der Frühling kommen, und mit ihm sollte auch Dagmar wiederkehren.

Dagmar hörte zu weinen auf. Der Winter und die Trennung waren über dem Frühling und Wiedersehen vergessen. Sie nahm wieder Georgs Arm, und Hektor sprang lustig um sie herum.

Dagmar hatte nun so viel zu erzählen: sie sollte bei Berg singen, bei van Boom spielen, und etwas ganz Außerordentliches werden. Dann wollte sie Georg, wenn er sang, akkompagniren, und da mußte es denn viele, viele Unterhaltung geben. Unter solchen Plänen und Aussichten kamen sie nach Hause. Auf dem Hofe blieb Dagmar stehen, legte ihre Hände dem Jüngling auf die Schulter und sagte ganz ernst:

»Wirst du mich auch gleich lieb behalten, wenn ich fort bin?«

Es verstand sich von selbst, daß Georg das that. Warum er sie nicht lieb behalten sollte, konnte er gar nicht begreifen. Dagmar klopfte ihm zum Dank auf beide Wangen, und verschwunden war alle Sorge, als sie in den Salon traten.

Der Nordwind hatte scharf geblasen und auf Dagmars Wangen lebhafte Spuren zurückgelassen; sie waren förmlich rothviolett, und dieß kleidete das junge Mädchen nicht gut. David fand sich auch veranlaßt, gegen Georg zu äußern:

»Wie Dagmar häßlich ist! Sie sieht ja im Gesicht aus wie lauter Preiselbeeren.«

Georg drehte seinem Bruder den Rücken und gab keine Antwort. Dabei fielen seine Augen auf Majken, und so fühlte er sich beinahe versucht, darauf zu entgegnen, wenn Dagmar einer Preiselbeere gleiche, so habe Majken eine auffallende Aehnlichkeit mit einer reifen Pfirsiche; nun könne es aber recht wohl geschehen, daß nicht Jedermann Liebhaber von Pfirsichen sei. Was Georg insbesondere betraf, so hatte er eine große Vorliebe für Preiselbeeren, und zum Beweise davon leistete er den ganzen Abend nur Dagmar Gesellschaft. Allerdings mußte er zugeben, daß sie nicht so außerordentlich schön sei, aber dabei hielt sie sehr viel auf ihn, und dieß war vollkommen genug.

Nach dem Souper äußerte der Oberst gegen David:

»Wann reisest du ab?«

David wurde glühend roth. Er hätte schon vor einer Woche in Stockholm sein sollen.

»Morgen schon,« antwortete David.

Der Oberst lächelte.

»Verstehe mich wohl,« erläuterte er; »ich will deine Abreise nicht beschleunigen, sondern nur mir Gewißheit verschaffen, ob du noch einige Zeit hier bleiben könntest.«

»Ich soll so bald als möglich bei dem Krankenhause eintreten,« erklärte David.

»Dann ist es vielleicht das Beste, wenn du übermorgen abgehst. Nun, wo wirst du während des Aufenthalts in der Hauptstadt deine Wohnung aufschlagen?

»Ich habe mich bis jetzt nach keiner umgesehen.«

»Um so besser, da ich es gethan habe, aber das wollen wir morgen verhandeln. Ich habe nämlich zu erwähnen vergessen, daß ich bei meinem Besuche in **köping deine Mutter traf.«

Der Oberst wandte sich zu Majken und Frau Thorén mit den Worten:

»Im Fall es keine allzu große Schwierigkeiten verursacht, möchte ich, daß Mamsell Ring und Dagmar in den ersten Tagen vom November von hier abgehen.« Nachdem er dieß gesagt hatte, wünschte er den Anwesenden gute Nacht und entfernte sich.

Majken stand an einem Fenster, schaute in die Finsterniß hinaus und dachte an die Reise nach Stockholm. Sie war früher noch nicht daselbst gewesen und hätte jetzt gern ausgerufen:

»Endlich bekomme ich die Welt zu sehen, welche kennen zu lernen ich mich so sehr gesehnt habe. Meine Tage sollen nicht länger in Einförmigkeit dahin fließen, sondern ich werde in das Getümmel der Weltbegebenheiten hineingeworfen.«

Majken war von diesen Vorstellungen so sehr in Anspruch genommen, daß sie die Gegenwart vergaß. Einige Akkorde vom Piano her riefen sie jedoch in die Wirklichkeit zurück.

David sang:

»So müssen wir nun scheiden« u. s. w.

Majken horchte auf den Gesang, und unwillkürlich fiel ihr ein, was sie von Davids Liebe zu Mathilde gehört hatte.

»Es ist wahrscheinlich die Erinnerung an sie, was ihn veranlaßt, so gern und so oft Wennerbergs Abschied zu singen. Armer Junge,« fuhr sie in Gedanken fort, »der hat eine frühzeitige Erfahrung gemacht, welcher schon mit zwanzig Jahren geliebt hat und verlassen worden ist; und ich, die ich meine sechs- oder siebenundzwanzig zähle, weiß noch nicht einmal, was Liebe ist.«

Der Gesang verstummte. Majken drehte sich nach dem Zimmer um.

David trat zu ihr.

»Sie sind so nachdenklich,« sagte er.

»Ich dachte an Stockholm und vergaß, daß ich hier war. Ihr Gesang hat mich in die Wirklichkeit zurückgerufen.«

»Und damit habe ich Ihnen gewiß einen schlechten Dienst geleistet?«

»Ganz und gar nicht. Das was ist, hat sein eigenes Behagen.«

»Aber ein Behagen, welches Sie gerne gegen die Freuden der Hauptstadt vertauschen.«

»Ich leugne es nicht. Stockholm ist etwas Neues, Unbekanntes, und ich … ich liebe das, was mir fremd ist.«

»Um dessen überdrüssig zu werden, womit Sie Bekanntschaft gemacht haben. Haraldshof hat somit keinen Werth mehr für Sie?«

»O ja, einen sehr großen; aber in dessen Mauern hat ein Tag dem andern so sehr geglichen, daß ich sie bisweilen lang gefunden. Nichts ist vorgefallen, Alles hat seinen gewöhnlichen Gang gehabt, und man vergaß völlig, daß ein Geist der Unruhe in uns lebt, und fühlte sich in eine Schnecke verwandelt.«

»Das ist sehr niederschlagend für diejenigen, welche Ihre tägliche Gesellschaft ausmachten.«

»Sie irren sich; ich dachte noch nicht an die Zeit nach der Rückkehr des Oberst, sondern nur an die drei Jahre, welche ich, kurz gesagt, einsam in diesen Mauern verlebt habe. Diese letztern Wochen sind sehr angenehm gewesen, und dafür haben wir zu großem Theil Ihnen zu danken.«

David wurde über diese Antwort etwas verwirrt; er wußte nicht, wie er sie deuten sollte.

Majken hatte gesagt, daß sie morgen nach Falknäs reisen wollte, und dieß gab David Veranlassung, beim Frühstück zu fragen:

»Haben Sie im Sinn, Mamsell Ring, Haraldshof heute zu verlassen?«

»Nein, ich bleibe hier, da Sie morgen abreisen.«

»Wiederum spotten Sie meiner,« platzte David heraus. »Gestehen Sie ein, daß Sie fast allzu oft auf meine Kosten sich lustig machen.«

»Gegen diese Beschuldigung halte ich nicht nöthig mich zu vertheidigen,« meinte Majken; »Sie denken doch nicht so, wie Sie eben aussprechen.«

»Wie können Sie das behaupten?«

»Ihre Augen sagen, daß Herz und Mund in Bezug auf Gedanken nicht übereinstimmen. Sie haben sehr verräterische Augen; durch sie lernte ich Ihren Charakter kennen.«

»Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Worte bezweifle.«

»Thun Sie das immerhin; ich werde Ihnen in der Zukunft zur Genüge beweisen, daß ich die Wahrheit geredet habe. Aber auf welche Weise beabsichtigen Sie diesen Ihren letzten Tag in Haraldshof zuzubringen?

»Mit der Sehnsucht nach den vergangenen Tagen.«

»Werden Sie den Abschied singen und denken an …«

»Sie,« fiel David hastig ein. »Darf ich Sie um eine Gunst bitten?«

»Ich kann eine Bitte Ihnen nicht abschlagen, aber ich habe ein Nein zur Antwort bestimmt.«

»Sind Sie dessen gewiß?«

»Vollkommen.«

»Sie wissen ja nicht, um was es sich handelt.«

»Mag sein, aber ich fühle mich geneigt, allen Ihren Wünschen mich zu widersetzen.«

»Sie verkennen sich selbst; denn wenn ich Sie nun bäte, diesen Vormittag ein paar Stunden mit mir zu musiciren, könnten Sie da nein sagen?«

David sah Majken an; sie lächelte, und sein Begehren wurde bewilligt. Aber als Majken sich an das Instrument setzen sollte, hatte sie ein mißvergnügtes Aussehen.

»Wie steht es mit Ihrer Gemüthsstimmung?« fragte David.

»Ich bin ärgerlich auf mich und auf die Musik,« lautete die Antwort.

»Somit mißvergnügt darüber, daß Sie mein Begehren erfüllt haben. Wir können es ja bei dem Anfang bewenden lassen. Es würde mich schmerzen, wenn Sie um meinetwillen etwas thäten, was Ihnen unangenehm ist.«

»Ei, jetzt werden Sie empfindlich. Meine üble Laune geht vorüber, wenn Sie ein Lied gesungen haben, und ich bin Ihnen gern zu Willen an dem letzten Tag, wo wir beisammen sind, wozu ich Ihnen Glück wünsche.«

»Was meinen Sie, ist es ein Glück für mich, daß unser Beisammensein zu Ende ist? Mich dünkt, das ist ein Unglück.«

»Sie sind jung, sehr jung,« sagte Majken, ohne sich an seine Worte zu halten, »und Sie müssen mit Personen in Berührung kommen, welche sich nicht überreden lassen, Ihre Wünsche zu erfüllen. Sie werden sonst verzogen und erwerben niemals eine Gewohnheit, sich selbst zu beherrschen; darum ist es gut, daß wir, Sie und ich, nicht länger ein und dieselbe Heimat mit einander haben.«

»Wieder ein Irrthum; aber wenn Sie erlauben, lassen wir den Gegenstand fahren.«

Nun begannen sie zu musiciren, und die zwei Stunden, welche David sich ausgebeten hatte, verflossen ganz gemüthlich und angenehm für Beide.

Am Abend, als David von Majken Abschied nahm, sagte er:

»Ich hoffe, Sie werden heute Abend einen Wunsch für mich haben, nämlich, daß ich in Stockholm eine Heimat finde, gleich derjenigen, welche ich nun verlasse, und daß ich dort irgend einen freundlichen Menschen treffe, welcher mich zu verziehen geneigt ist. Das wäre ein so glückliches Gefühl.«

»Aber nicht heilsam, und deßwegen werde ich Ihnen eine Heimat wünschen, wo Sie eine Umgebung von klugen und verständigen Leuten finden, welche nicht geneigt sind, junge Herren zu verzärteln. – Und nun leben Sie wohl; ich hoffe auf ein fröhliches Wiedersehen.«

»Ich auch … ich wünsche, daß Sie in der großen Stadt ein ergebenes Herz und ein Wesen finden mögen, gegen das Sie recht gut sein können. Daß die Heimat, die ich bekomme, die beste ist, die ich finden kann, davon bin ich überzeugt.«

»In diesem Fall beklage ich Ihrer Mutter Sohn, und nun … gute Nacht.«

»Wie schön sie ist,« sprach der Jüngling bei sich selbst, als Majken sich entfernte, »und wie glücklich wäre ich, wenn ich eine solche Schwester hätte. Wie Schade, … daß ich erst zwanzig Jahre alt bin.«

 

VIII.

Die Oberlandrichterin Björnstam war eine Frau von etlichen sechzig Jahren mit einem wohlerhaltenen Aeußern.

Sie hatte drei Kinder gehabt: zwei Söhne und eine Tochter. Von diesen war der Oberst das zweite in der Reihe. Sie hatte nie eines geliebt, außer dem ältern Sohn, den frühern Besitzer von Haraldshof. Die andern waren mit großer Kälte behandelt worden.

Die Oberlandrichterin war ein Kind des Prunkes und der Thorheit und sie liebte alle die Eitelkeit dieser Welt von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Mit sechzehn Jahren verheiratet, mit zwanzig Mutter von drei Kindern, und Wittwe, ehe sie das fünfundzwanzigste erreicht, hatte sie in der Zeit von acht Jahren die wichtigsten Perioden im Leben einer Frau durchgemacht, besonders da nichts sie bestimmen konnte, sich noch einmal zu verheiraten. Jetzt war sie achtundsechzig Jahre alt und hatte somit den größten Theil ihres Lebens in völliger Unabhängigkeit zugebracht. Der einzige ernste Kummer, welcher sie traf, war ihres Sohnes Tod.

Die Oberlandrichterin bewohnte ein schönes Haus in der Hauptstadt.

Es war ein kalter Novemberabend, als Majken und Dagmar dort eintrafen. Von der Haushälterin wurden sie in die Zimmer geführt, welche für sie bestimmt waren.

Dagmar warf trostlose Blicke um sich auf die prächtigen Möbel; der Lärm auf den Straßen machte ihr den Kopf schwindeln und erinnerte sie auf schmerzhafte Weise daran, daß sie weit entfernt von der theuren Heimat war.

Mit Mühe brachte Majken sie dazu, daß sie sich umkleidete, um ihrem Vater und der Lehrerin zu der alten Dame zu folgen.

In einem schönen Salon befand sich die Oberlandrichterin, umgeben von einer kleinen Gesellschaft, die zu ihrem vertrautern Umgang gehörte, größtentheils jüngern Personen. Frau Björnstam selbst war, kurz gesagt, die einzige alte.

Sie saß in einem Fauteuil und plauderte mit einem jungen Mann, welcher den Eintretenden gerade den Rücken zukehrte. Die achtundsechzigjährige Dame lachte und zeigte zwei Reihen glänzendweißer Zähne; man fühlte sich fast versucht, sie für ihre eigenen zu nehmen. Sie war eine schöne alte Frau, welche sich in ihrer geschmackvollen Toilette gut ausnahm.

Sie reichte dem Oberst die Hand, welcher sie küßte, sagte ihm im Vorbeigehen einige verbindliche Worte, stellte ihren Sohn, ihre Enkelin und Majken der Gesellschaft vor, küßte Dagmar auf die Stirne, und wandte sich dann von Neuem zu dem jungen Mann, um das abgebrochene Gespräch fortzusetzen. Er hatte sich etwas zurückgezogen, aber die Oberlandrichterin rief:

»Monsieur David, du hast kein Recht, einer andern von den Damen den Hof zu machen; du mußt meinen Bericht bis zum Schluß hören.«

David war nun wieder an der Seite der »gnädigen Tante«. Als die Oberlandrichterin geschlossen hatte, und Davids Augen Majken suchten, fanden sie dieselbe in einem Gespräch mit dem Oberst begriffen.

Einige junge Mädchen von sechzehn und siebzehn Jahren hatten Dagmar umstellt, welche einem armen, von der Katze verfolgten Vogel glich, der, keuchend und müde, wirre und erschrockene Blicke auf seine Verfolger wirft. Die jungen Mädchen glichen Katzen und fanden ein grimmiges Vergnügen daran, die junge Landpuppe zu quälen. Dagmar war roth wie Blut und wußte nicht, ob sie rechts oder links sehen sollte, von einem Gespräch war gar keine Rede; sie gab nur kurze abstoßende Antworten.

Die Stockholmer Mädchen ergötzten sich höchlich an Dagmars Blödigkeit. Sie vermochten durchaus nicht zu begreifen, wie man eine solche »Gans« sein könnte.

David, welcher merkte, daß sie Dagmar zum Gegenstand eines nicht sehr barmherzigen Scherzes machten, glaubte seiner jungen Verwandten zu Hülfe kommen zu müssen, obwohl sie den in seinen Augen unverzeihlichen Fehler hatte, häßlich zu sein, während die Plagegeister dagegen ganz hübsch waren.

Er ließ sich bei den jungen Mädchen nieder, welche ihm sehr freundlich zulächelten, überzeugt, in dem »schönen Doktor« einen Bundesgenossen zu bekommen.

Sie hatten sich jedoch dieses Mal verrechnet.

David, welcher gern scherzte, hatte bald ein kleines Wortgefecht im Gange, und die jungen Mädchen bekamen ihre Bosheit gegen Dagmar theuer zu büßen; wurden indessen vollkommen abgeschreckt, sie fernerhin zur Zielscheibe ihrer Witze zu machen.

Nach dem Souper kam David zu Majken heran.

»Nun endlich ist er zu der Entdeckung gekommen, daß ich hier bin,« sagte sie bei sich selbst. »Es geschieht indessen etwas spät, gerade da ich Abschied nehmen soll.«

»Sie sind so in Anspruch genommen gewesen, Mamsell Ring, daß man keine Gelegenheit fand, Sie in Stockholm auch nur willkommen zu heißen,« äußerte David.

»Dagmars Vater reist morgen frühe wieder ab,« antwortete Majken, »und es war natürlich, daß er zuvor noch Verschiedenes der Lehrerin seiner Tochter zu sagen hatte. Uebrigens unterhielten Sie sich so munter mit den Fräulein J., daß Sie für Jemand anders nicht die geringste Aufmerksamkeit übrig hatten.«

»Habe ich lebhaft ausgesehen?«

»Ja, bedeutend.«

»Das freut mich zu hören.«

»Aus welchem Grunde?«

»Soll ich beichten?«

»Gewiß; ich kann nicht begreifen, warum mein Urtheil in diesem Fall Sie erfreuen soll?«

»Nicht, und doch wäre es so leicht.«

»Erklären Sie sich.«

David lachte.

»Nun Sie dazu auffordern, werde ich wohl gezwungen, zu gehorchen.«

»Es fällt Ihnen allerdings, wie es scheint, sehr schwer, Gehorsam zu leisten.«

»Ich suche nach Worten, um auf würdige Weise meine Freude und meinen Stolz darüber zu verdolmetschen, daß Sie mir so viel Aufmerksamkeit widmeten, um zu beobachten, ob ich lebhaft gewesen oder nicht. Das beweist, daß ich Ihnen nicht ganz gleichgültig bin.«

»Sie machen allzu große Sprünge in Ihren Schlußsätzen,« wandte Majken ein; »ich gehöre zu den Menschen, welche Alles sehen, mögen Sie sich nun dafür interessiren oder nicht.«

»Wollen Sie damit sagen, daß ich Ihnen eine vollkommen gleichgültige Person bin?«

»Ich rede nicht von etwas Vollkommenem, sondern von Ihnen; aber nun dürfte es Zeit sein, daß Sie Ihren Freundinnen gute Nacht sagen. Alle die andern Gäste haben sich schon entfernt.«

»Mit Ihrer Erlaubniß bleibe ich noch.«

»Sie beabsichtigen wohl hier zu übernachten?«

»Ja, das ist meine Absicht. Ihre Wohnung ist auch die meinige.«

Der Oberst nahm nun Abschied, herzlich von seiner Tochter, artig von seiner Mutter, verbindlich von Majken, freundlich von David.

Einige Minuten hernach befanden sich Dagmar und Majken auf ihrem Privatzimmer.

Die erstere warf sich mit dem Gesicht in die Kissen und weinte unaufhaltsam. Es war nicht die Trennung von dem Vater, welche sie betrübte – Dagmar war von den Kinderjahren daran gewöhnt, daß er unaufhörlich ab- und zureiste – sondern es war der Eindruck der neuen Heimat, welcher das Kind so unglücklich machte.

Majken nahm deren zerzausten Kopf in ihre Arme und sprach herzliche und beruhigende Worte darüber, wie unterhaltend es würde, wenn Dagmar nach Haraldshof zurückkehrte, und wie angenehm sie es da im Sommer wieder finden sollten. Majken verstand die Kunst, durch heitere Bilder der Zukunft das Unbehagen der Gegenwart zu vertreiben, und ihre Bemühungen hatten auch jetzt den entsprechenden Erfolg.

 

IX.

Ueber einen Monat hatten Dagmar und Majken sich in der Hauptstadt verweilt – für Majken eine Reihe von frohen Tagen, und für Dagmar von neuen Lehren und Prüfungen.

Was er für David gewesen, ist sehr schwer zu entscheiden. Nie war die Zeit schneller vergangen, aber nie war er auch mehr der Sklave ungleichartiger Eindrücke gewesen. Mit dem Arbeiten ging es nur sehr mäßig, weil er alle freien Stunden Majken und Dagmar widmete. Die Oberlandrichterin war viel fort, und nicht immer befanden sich die jungen Leute dabei. David war dann deren Kavalier. Diese gemüthlichen Abende kamen indessen nicht so oft vor, als er wünschte, weil die Oberlandrichterin es sich angelegen sein ließ, daß Dagmar und Majken gleichfalls draußen sein und an möglichst vielen Lustbarkeiten Theil nehmen sollten.

Ihre Zeit war so eingetheilt, daß sie an den Vormittagen arbeiteten, Nachmittags spazieren gingen und die Abende dem Gesellschaftsleben widmeten. Die Stunden, welche Majken, Dagmar und David zu ihrer eigenen Verfügung hatten, wurden von beiden letztgenannten als wahre Feierstunden angesehen. Majken ihrerseits fand an den Zerstreuungen in der großen Stadt viel Vergnügen. Sie war schön, hatte einen guten Kopf und wurde in Folge davon der Gegenstand mancher Huldigung.

Majken besaß großen Einfluß auf David. Alles, was ihren Beifall hatte, darnach trachtete er; was sie mißbilligte, dem strebte er auszuweichen. Er suchte beständig ihre Gesellschaft, und dieß so unverholen, daß man davon zu reden anfing. Majken wurde bei einer Andeutung, daß David so große Stücke auf sie hielte, ärgerlich; aber dann lächelte sie darüber und dachte:

»Angenommen, der Junge hat mich gern, was ich wirklich glaube, was kann das wohl bedeuten? Er und ich, wir können gute Freunde sein, ohne befürchten zu müssen, uns in einander zu verlieben.«

Majken war hievon so fest überzeugt, daß sie ihr Benehmen in keiner Hinsicht änderte, sondern freundlich, heiter und ungezwungen ihm gegenüber blieb.

Was Majken selbst nicht beachtete, war der Umstand, daß der Jüngling einen nicht so unbedeutenden Einfluß auf sie ausübte. Wenn man sie zum Beispiel gefragt hätte, warum sie ihre Haare nicht mehr in breiten Flechten, sondern gekräuselt trüge, würde sie in schwere Verlegenheit gerathen sein, weil sie dann hätte anerkennen müssen, daß sie diese Veränderung vorgenommen, weil David die Flechten nicht gefielen. Wenn man ferner Majken gefragt hätte, wie es käme, daß sie, die anfänglich unter der Jugend so lebhaft und fast übertrieben fröhlich gewesen, nunmehr ihrer Lustigkeit Zaum und Zügel anlege, so hätte sie wiederum anerkennen müssen, daß diese Veränderung von einem Abend herdatirte, wo David ihr Schuld gegeben, sie wäre vergnügungssüchtig.

Genug, die Freundschaft zwischen dem zwanzigjährigen Jüngling und der siebenundzwanzigjährigen Frau war von einer Wechselwirkung begleitet, welche für beide sich wohlthätig erwies.

 

X.

Eines Sonntags, nachdem man zu Mittag gespeist hatte, äußerte die Oberlandrichterin gegen David:

»Du hast heute einen Brief von **köping erhalten?«

»Ja, von Mama,« antwortete David erröthend.

»Was schreibt meine Schwestertochter?«

»Sie läßt sich Ihnen empfehlen,« versetzte David, der nicht geneigt schien, über den Inhalt des Briefes weitere Rechenschaft zu geben.

»So angenehm es auch sein mag, einen solchen Gruß zu empfangen, vermuthe ich gleichwohl, daß dieß nicht den ganzen Inhalt des Briefes ausmachte.«

»Gewiß nicht; aber ich glaube kaum, Tante, daß das Uebrige Sie interessiren wird, da es meine Heimreise auf Weihnachten betrifft.«

»Will deine Mutter, daß du nach **köping kommest?«

»Ja, das ist ihr Wunsch.«

»Und du wünschest in Stockholm zu bleiben, was dir Niemand verdenken wird. Mama's Verlangen bleibt also unberücksichtigt.«

»Gewiß nicht, ich habe im Sinne hinzureisen.«

»Das ist schön, mein Junge, obwohl ich möchte, du wärest in diesem Fall ein minder gehorsamer Sohn. Ich habe für die Weihnachtslustbarkeiten auf dich gerechnet. Aber wie lange wirst du ausbleiben?«

»Ich weiß es nicht; ich habe mich noch nicht darüber entschieden.«

Dagmar seufzte und fragte, ob Georg auch über Weihnachten nach **köping käme. David gab hierauf eine bejahende Antwort.

Die Oberlandrichterin zog sich in ihr Schlafzimmer zurück. Sie wollte fort, und die jungen Leute sollten sich unterhalten, so gut es ihnen beliebte.

Dagmar ließ sich am Piano nieder. Majken setzte sich an das Fenster und betrachtete den Strom.

David ging eine Weile im Zimmer auf und ab, wurde aber bald dessen müde und nahm Platz neben Majken.

»Ist es entschieden, daß Sie auf Weihnachten heimreisen?« fragte sie.

»Ja, sofern nicht ein Hinderniß eintritt.«

»In diesem Fall wünsche ich, daß deren recht viele sich entgegenstellen.«

»Ich begreife diesen Wunsch nicht.«

»Und dennoch sollte es Ihnen nicht so schwer fallen. – Werden Sie verhindert zu reisen, so bleiben Sie ja hier.«

»Wollen Sie das?«

»Ja.«

»Wenn ich meiner Mutter nicht das Versprechen gegeben hätte, so würde aus der ganzen Reise nichts.«

»Das wäre schlimm, wenn Sie wegen einer bloßen Laune von mir Ihre Mutter der Freude beraubten, ihren Sohn zu sehen. Ich werde mich mit der Leere, wenn Sie fort sind, schon versöhnen.«

Majken verließ ihren Platz und trat an das Piano. Dagmar rief:

»Sing etwas!«

Majken schüttelte den Kopf und wollte eben David bitten, Dagmars Wunsch zu erfüllen; aber sie wandte sich sogleich wieder zum Instrument zurück und begann in den Noten zu blättern. Sie hatte gesehen, wie David ein Taschentuch, welches sie verloren hatte, aufhob und es an seine Lippen drückte.

 

XI.

Weihnachten war vorüber. David war vier Wochen fortgeblieben und diese Zeit für Majken langsam, sehr langsam vergangen.

Sie hatte inzwischen die eine und andere Entdeckung gemacht. So fand sie, daß Stockholm mit allen seinen Lustbarkeiten doch keine so berauschende Unterhaltung gewährte, wie sie sich vorgestellt hatte; daß man auch hier etwas vermissen, sich nach etwas sehnen konnte. Ebenso glaubte sie an sich zu erkennen, daß das Wohlwollen, welches sie David widmete, gar sehr der Anhänglichkeit glich, und daß die Zerstreuungen alles Befriedigende verloren hatten, seitdem er fort war.

Endlich, zu Ende Januars, erhielt die Oberlandrichterin Kunde, daß ihr Schwestertochtersohn am folgenden Tag in Stockholm zu erwarten wäre. Man wollte eben in das Theater fahren, als der Brief abgegeben wurde. Die Oberlandrichterin, welche ihn ganz flüchtig überlaufen hatte, äußerte:

»Morgen kommt David.«

Majken wurde es warm um die Wangen.

Am Tage, da man David erwartete, war die Oberlandrichterin auswärts. Majken und Dagmar erhielten den Auftrag, ihn zu empfangen. Um sechs Uhr klingelte es an der Thüre der Hausflur. Dagmar eilte hinaus, um zu öffnen, kam aber mit einem Briefe zurück. Sie las:

 

»Liebe, gute Dagmar!

Ich komme erst morgen. Grüße die Tante und Mamsell Ring von deinem brüderlichen Freunde

David

 

Majken sagte nichts, aber der Abend kam ihr sehr lang vor.

Am Tage darauf sollten Dagmar und Majken die Oberlandrichterin in eine Kaffeevisite begleiten. Dagmar bekannte ganz dreist, sie habe im Sinne daheim zu bleiben; die Antwort der Oberlandrichterin auf diese Aeußerung des Widerspruchs bestand darin, daß sie der Enkelin erklärte, sie dürfe nicht zu Hause bleiben. Während Dagmar und Majken sich ankleideten, grübelte die erstere darüber nach, wie sie es dessen ungeachtet dahin brächte, daß sie wenigstens nicht den ganzen Abend fort sein müßte. Sie ging zu der Großmutter hinein, um noch einen Versuch zu machen.

Die Oberlandrichterin war eben im Begriff, die letzte Hand an ihre Toilette zu legen. Sie sah des Mädchens Angesicht im Spiegel und drehte sich schnell gegen sie um mit dem Ausrufe:

»Mein Gott, Kind, wie du meinem geliebten Wilhelm gleich siehst!«

Sie erhob sich, nahm Dagmars Kopf zwischen ihre Hände, und betrachtete sie mit einem leidenschaftlichen Ausdruck. »Daß ich das nicht früher gesehen habe!« fuhr sie fort; »das ist ja sein Auge. O, mein armer Wilhelm!«

Die Oberlandrichterin, diese sonst so gefühllose Frau, verbarg das Angesicht in den Händen und weinte.

Dagmar sah ihre Großmutter bestürzt an. Nach Verfluß einiger Minuten hörte die Oberlandrichterin auf zu weinen. Sie fragte in scharfem Tone:

»Was suchst du hier?«

»Ich wollte dich nur um etwas bitten,« sagte Dagmar. Die Stimme lautete so schmeichelnd, ihr Blick war so flehend. In diesem Momente war Dagmar beinahe schön.

»Du sollst mich nicht so ansehen,« rief die Großmutter heftig; »du reißest die Wunde wieder auf, woran mein Herz blutet. Nun, was hast du?«

»Darf ich nicht daheim bleiben, David empfangen?«

Die Oberlandrichterin wandte sich von Dagmar zu der Toilette.

»Das geht nicht an; es ist der Geburtstag der Frau von R., und es würde unhöflich aussehen.«

Dagmar merkte an dem Accent, daß die Großmutter nicht so entschieden war, wie sie sonst zu sein pflegte, und beschloß, noch einen weitern Versuch zu machen.

»Beste, beste Großmutter, erlaß es mir, zu Frau von R. zu gehen!«

Sie legte ihren Arm der Großmutter um den Hals.

Die Oberlandrichterin drehte sich um und antwortete kurz:

»Nun, so mag es sein; aber verlaß mich.«

Dagmar küßte ihre Hände und eilte, jubelnd über ihren Sieg, hinweg.

Einige Minuten darauf kam Botschaft an Majken von der Oberlandrichterin; sie wollte mit ihr reden.

»Dagmar wünschte heute Abend daheim zu bleiben,« äußerte die alte Dame, »und ich habe ihr Erlaubniß dazu gegeben; aber da es sich nicht schicken würde, daß sie allein ist, so wollte ich dir vorschlagen, daß du mich zu Frau von R. begleitest, aber nach einer Stunde wieder heimkehrst. Du mußt einem Vergnügen entsagen, aber ich kann für dießmal nicht helfen.«

Majken erklärte aufrichtigen Herzens, daß sie sich gern darein ergebe.

Es schlug sieben Uhr, als Majken von der Kaffeevisite heimkehrte.

»Er ist bereits angekommen!« rief Dagmar.

»Hast du ihn gesprochen?« fragte Majken, die erste zu sein wünschend, welche David willkommen hieße.

»Nein, er ist noch auf seinem Zimmer,« bemerkte Dagmar. »Ach, wie erfreulich wird es sein, etwas von Georg zu hören!«

Majken warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel, um sich zu überzeugen, wie sie aussähe. In diesem Augenblick ging eine Thüre auf und David trat ein.

Majkens Herz schlug heftig, als David vor ihr stand, und nur mit Mühe konnte sie einen Gruß hervorbringen. Er lautete sehr kalt; aber wahrscheinlich las der Jüngling in ihren Augen einen wärmeren Willkomm; denn das seinige glänzte von Freude, als er sich zu Dagmar wandte und ihr einen Brief von Georg übergab.

Majken war im Herzen froh. Verschwunden war alle Leere, und ein Gefühl inniger Zufriedenheit erfüllte ihre Seele.

»Nun,« sagte sie, nachdem man sich um den Theetisch niedergelassen hatte, »ich brenne vor Ungeduld, zu vernehmen, was für eine Flamme sich Ihrer in **köping bemächtigt hat. Die Mädchen dort sind ja so hübsch, daß sich dergleichen kaum auf Erden findet.«

»Obwohl dieß richtig ist,« antwortete David, »so kehre ich doch mit ebenso freiem Herzen zurück, als ich abreiste.«

»Das ist schlimm. Ich habe mich die ganze Zeit darauf gefreut, in dieser Richtung mit Ihrem Vertrauen beehrt zu werden.«

»Das soll gleichwohl geschehen, wenn auch nicht diesen Abend. Statt dessen habe ich eine Bitte vorzubringen, und diese werden Sie gewiß nicht abschlagen.«

»Wer weiß; ich bin nicht schwach für den Laut der Bitte; sie reizt mich gewöhnlich.«

»Heute nicht,« fiel Dagmar ein. »Am ersten Abend, da David daheim ist, müssen wir ihm Alles bewilligen, um was er bittet. Rücke nur mit deinem Begehren heraus. Ich gewähre es in meinem eigenen und Majkens Namen.«

Diese Aeußerung erregte große Munterkeit, und als man darüber scherzte, kam David mit dem Anliegen heraus, Majken sollte ihn David nennen und als Bruder ansehen.

Majken wußte nicht, ob sie bewilligen oder abschlagen sollte; aber Dagmar half ihr aus der Verlegenheit, indem sie sagte:

»Das wollte ich auch schon vorschlagen. Also, Majken, meine Liebe, fort mit den Titeln.«

Nach dieser so plötzlich geschlossenen Dutzfreundschaft plauderte und scherzte man ganz ungenirt, und die Zeit eilte schnell dahin. Dagmar meinte, das sei der gemüthlichste Abend, welchen sie in der Großmutter Hause erlebt hätte.

»So kommt es Majken nicht vor,« fiel David ein, welcher gern eine ähnliche Erklärung von dieser gehört hätte.

»Nein, warum sollte es auch so sein? Ich vermag diesen Abend durchaus nicht gemüthlich zu nennen, und darum sage ich David gute Nacht.«

Majken nickte lächelnd mit dem Kopfe und entfernte sich. David war unzufrieden mit der Antwort, aber dessen ungeachtet fühlte er sich glücklich, wieder in ihrer Nähe zu sein.

 

XII.

Majken war wieder froh und zufrieden mit dem Genuß, den die Stunde brachte.

Mit jedem Tage wurde es deutlicher, daß David an nichts Anderes, als an Majken dachte. Er widmete ihr die ehrerbietigste Aufmerksamkeit, studirte ihre Wünsche und schien sich zur Aufgabe gemacht zu haben, dieselben zu befriedigen. Die Art und Weise, wie er ihr seine Ergebenheit bezeigte, war so zart und fein, daß Majken sich davon bewegt und geschmeichelt fühlen mußte.

Die Oberlandrichterin äußerte einmal gegen sie:

»Davids Bewunderung für dich ist sehr groß. Du bist die Gottheit, welche er anbetet. Es ist inzwischen recht gut, daß die Neigung des Jungen auf ein kluges und verständiges Mädchen gefallen ist, für welche er nicht gefährlich werden kann.«

Diese Worte hätten Majken zur Prüfung von ihren und Davids Gefühlen bestimmen sollen; aber so geschah es nicht. In ihren Augen gab es nichts Unschuldigeres, als deren gegenseitige Freundschaft. Er war ja so jung, und sie um viele Jahre älter.

Majken verweilte nicht bei einem einzigen von allen den Zeichen, welche sie beunruhigen mußten. Sie hatte eine langweilige und einförmige Jugend durchlebt. Sie war jetzt glücklich und genoß ihr Glück in vollen Zügen.

So war der Winter verschwunden und der Frühling näherte sich.

In einigen Wochen sollten Majken und Dagmar nach Haraldshof zurückkehren. Mit wehmüthigen Empfindungen sah Majken diesem Scheiden entgegen.

Sie sollte jedoch die Hauptstadt nicht verlassen, ohne daß das Glück, welches sie genossen hatte, ihr verbittert wurde.

Es fand sich eine unbesonnene Frau unter den Bekannten der Oberlandrichterin, welche sich vornahm, im Beisein von Majken zu erzählen, wie man es im Allgemeinen minder in der Ordnung fand, daß Majken Davids Neigung aufmunterte. Majken fühlte sich durch diese Anmerkung verletzt, änderte ihr Benehmen und wurde gegen David kalt und zurückhaltend.

Sie vermied sorgfältig Davids Gesellschaft. Sobald dieser es merkte, wurde sein Wunsch, mit ihr zusammenzutreffen, nur um so lebhafter. So geschah es eines Tages, als die Oberlandrichterin Dagmar zu sich rief, daß Majken, welche sich mit David allein befand, sogleich das Zimmer zu verlassen beabsichtigte. David war inzwischen nicht geneigt, dieß geschehen zu lassen, sondern hielt sie mit den Worten zurück:

»Ich wünschte dir einige Worte zu sagen.«

»Ist es von Wichtigkeit?« fragte Majken.

»Für mich, ja.«

David faßte ihre Hand und setzte hinzu:

»Warum bist du verändert, Majken? Habe ich auf irgend eine Weise mich verfehlt? Wenn dem so ist, so gib mir meine Strafe; aber sei dann wieder gut und freundlich.«

»Du hast dich in Nichts verfehlt, David,« antwortete Majken.

»Aber es ist doch etwas.«

»Bester David, lege kein Gewicht auf meine Veränderlichkeit; meine Gemüthsart ist unstet und nicht darauf zu bauen. Es bedarf so wenig, um mein Interesse zu wecken und ebenso es zum Erlöschen zu bringen.«

»Willst du damit sagen, Majken, daß es mit dem Wohlwollen, das ich bisher genossen, nun zu Ende ist?« fuhr David fort, während der Ausdruck von Angst in seinem Gesichte zu lesen war. »In diesem Fall würde ich zu beklagen sein. Ich habe mich so innig an dich gehängt, Majken, daß ich nicht zu begreifen vermag, wie ich leben soll, wenn ich der Freundschaft beraubt bin, die ich zu besitzen glaubte.«

»David, ich habe niemals gesagt, daß ich dir Freundschaft geschenkt habe,« fiel Majken ein.

»Diese Worte könnten mich wahnsinnig machen, wenn ich voraussetzte, daß du so denkst, wie deine Lippen reden,« rief David. »Alle die Freundlichkeit, welche du an mich verschwendetest, ist dann eine Grausamkeit gewesen, welche nur traurige Folgen mit sich bringen kann. Wie groß meine Ergebenheit ist, das weißt du, Majken; warum demnach so reden, wie du jetzt thust? Damit ich fortwährend deine Freundschaft verdiene, werde ich Alles thun, um deiner würdig zu bleiben; ohne dieß verliert das Leben seinen vornehmsten Reiz für mich. Es ist somit nicht möglich, daß du mir etwas rauben kannst, an dessen wirklichen Besitz du mich einmal glauben ließest.«

David blickte sie mit einem Ausdruck an, welcher das Eis schmelzen mußte, womit Majken ihr Herz zu umgeben suchte. Sie lächelte ihm zu, während sie ihm antwortete:

»Verbleibe derselbe edelgesinnte David, der du jetzt bist, und ich werde eines Tags dich wie einen Bruder lieb haben.«

David küßte Majkens Hände mit einer solchen Wärme, daß Majken hastig sie zurückzog.

Er fühlte sich allzu glücklich, als daß er im Mindesten geneigt gewesen wäre, mit seiner Vernunft nach der Ursache von seinem Glücke zu forschen.

Eine Woche darauf waren Dagmar und Majken in Haraldshof. Dagmars Freude war unermeßlich, als sie sich wieder in ihrer alten geliebten Heimat befand.

Majken dagegen war in der Seele betrübt.

Drei Wochen waren verflossen, seitdem sie Stockholm verlassen hatten. Majken glaubte, es sei eine ganze Ewigkeit.

Es war Abend. Majken stand auf dem freien Platze vor dem Schlosse und horchte mit beklemmtem Herzen auf den Gesang der Vögel und das muntere Gelächter von Dagmar und Georg, welche sich im Garten befanden. Es kam ihr vor, als ob sie von Allem verlassen wäre; als ob Freundschaft und Glück entflohen wären, um niemals wiederzukehren, als ob sie verurtheilt wäre, ewig das zu beweinen, was ihr Genuß gemacht hatte. Majken seufzte, drehte sich aber in demselben Augenblick um; es betrat Jemand den Rasenplatz.

»David!« rief sie und streckte die Hände aus. Ihr Gesicht strahlte vor Freude.

»Majken, theuerste Majken!« stammelte David, ganz erregt.

Wir haben nicht die Absicht, die schnellere oder langsamere Entwicklung der Gefühle aufzuzeichnen, wir erzählen schlecht und recht die wirklichen Ereignisse, verweilen darum nicht bei dieser Begegnung und schildern ebenso wenig Davids und Majkens steigende Neigung zu einander.

David war von dem Oberst eingeladen, zur Pflege seiner angegriffenen Gesundheit den Sommer in Haraldshof zuzubringen.

Der Oberst, welcher sonst an einem und demselben Orte nicht lang Ruhe hatte, verweilte inzwischen den ganzen Sommer auf seinem Gute. Er war viel in Gesellschaft von seiner Tochter, von Majken und den Herren Waldner. Immerdar artig und freundlich, mußte er sich die Freundschaft seiner Umgebung gewinnen. Auch hatte der Oberst insoferne noch eine Aenderung eintreten lassen, als er nun mit den Nachbarn Umgang pflegte.

Es gab inzwischen zwei Personen, welche man in Haraldshof nicht sah, nämlich Lieutenant Broolind und Frau Waldner.

Die letztere hatte dem Pachtkontrakt gemäß das Recht, ihr Gut zu bewohnen, stand aber davon ab. Es war ihr allzu schmerzlich gewesen, dasselbe überhaupt verpachten zu müssen, als daß sie dort hätte weilen mögen. Erst wenn die Schulden bezahlt, die Pfandverschreibungen eingelöst waren, und Alles wieder auf dem alten Fuß sich befand, dann, und nicht eher, wollte sie dorthin ziehen. Da sie nun auf ihrem Gute ihren Wohnsitz nicht nehmen wollte, hatte sie auch keine Lust, die Gegend zu besuchen, und darum kam sie nicht nach Haraldshof trotz aller Einladungen von Seiten des Obersts. Warum Broolind seinen Oheim nicht besuchte, darüber blieb man in Unkunde. Vielleicht war David derjenige, welcher ihn davon abhielt. Man behauptete wenigstens, der Lieutenant sei eifersüchtig.

Die Tage verflossen dessen ungeachtet sehr angenehm. Majken vergaß der Anmerkungen zu Stockholm, war wieder glücklich und wünschte, ihr ganzes Leben möchte so bleiben, wie es nunmehr war.

 

XIII.

Eines Abends, als man von diesem und jenem redete, brachte Frau Thorén das Gespräch auf ein Paar Eheleute, welche schon seit mehreren Jahren verheiratet waren. Der Mann stand damals in jungen Jahren, die Frau war vergleichungsweise alt.

Diese Ehe, unter dem Einfluß einer heftigen Neigung von beiden Seiten geschlossen, wurde seitdem sehr unglücklich. Einer aus der Gesellschaft war bösartig genug, sich zu der Ansicht zu bekennen, die Frau habe alle die Leiden verdient, von welchen sie nunmehr betroffen werde. Sie hätte die Vernunft und nicht das Gefühl zu Rathe ziehen sollen; von ihren Jahren konnte man das fordern. »Aber damit sie das thun konnte,« äußerte der Oberst, »müßten wir voraussetzen, daß die Gefühle sich befehlen lassen, daß sie die demüthigen Diener des Verstandes sind.«

»So muß es auch sein,« fiel Majken ein; »sonst würden wir in Sklaven unserer Leidenschaften verwandelt.«

»Und das sind wir auch in größerem oder geringerem Grade,« versicherte der Oberst. »Ich glaube nicht, daß der Verstand Kraft genug besitzt, nein zu antworten, wenn das Herz ja ruft.«

»Ich habe eine entgegengesetzte Ueberzeugung,« meinte Majken.

»Wirklich? Sie nehmen somit an, daß ein Frau, welche von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebt, dem Verlangen entsagen kann, die Gattin des geliebten Mannes zu werden, deßhalb, weil sie um einige Jahre ihm voraus ist?«

»Davon bin ich vollkommen überzeugt; daß sie älter, ist ein Unglück, das sich nicht ändern läßt, ein Unglück, welches fortbesteht und beständig mit bittern Leiden droht, wenn der Mann erwacht und sich an eine alte Frau gekettet findet.«

»Gestatten Sie mir die Behauptung,« rief der Oberst, »daß ein Mensch, welcher so redet, keinen rechten Begriff von dem hat, was Liebe ist.«

»Mag sein, ich vermag indessen nicht einzusehen, wie man anders sich aussprechen kann.«

»Ich kann aber das leicht. Macht man die Jugend einer Frau zur Hauptsache in einer Ehe, so macht man auch die Liebe zu etwas rein Materiellem. Angenommen, daß ich mich in eine Frau verliebe, welche zehn Jahre älter ist als ich. Was bewiese das? Nun, daß diese Frau, welche nicht mehr den Reiz der Jugend besitzt, mit Seelengaben ausgestattet ist, welche mich vergessen lassen, daß sie die äußeren Vorzüge verloren hat. Nun wohl, ich verheirate mich mit ihr. Muß eine Ehe, welche auf die durch Schönheit der Seele erweckte Liebe gegründet ist, minder glücklich sein, als diejenige, welche von einer durch sinnliches Wohlgefallen hervorgerufenen Liebe geknüpft ist? Was antworten Sie darauf?«

»Natürlich müßte die erstere stärker sein,« entgegnete Majken; »aber ich fürchte gleichwohl, daß dem nicht so ist. Des Mannes Neigung ist im Allgemeinen schwer zu erhalten. Einer ältern Frau wird es nicht gelingen, dieselbe fortdauernd an sich zu fesseln. Er mag sie noch so hoch lieben, wird er doch in einem unbewachten Augenblick darüber seufzen, daß die Wange der Frau eingefallen, ihre Stirne gefurcht und ihr Haar grau gesprenkelt ist. Er wird mit dem Wunsche beginnen, daß sie jung wäre, und mit dem Verdruß darüber enden, daß er eine Alte geheiratet hat. Die Freunde werden über deren Alter scherzen, seine Eigenliebe und Eitelkeit werden so oft verwundet, und diese Stiche werden endlich das Band drückend machen. Er wird dann Fehler entdecken, welche er früher nicht gefunden hat, und welche nun eine Folge ihres Alters sind. Liebe und Glück werden erbleichen und die Reue über eine übereilte Ehe wird ihnen nachfolgen.«

»Majken, du hast vollkommen Recht,« rief Frau Thorén.

David schwieg.

»Ich kann nicht einstimmen,« erklärte der Oberst, »will aber gleichwohl mich darauf beschränken, Mamsell Ring eine Frage vorzulegen: ist es ein Fehler, wenn eine ältere Frau einen jüngern Mann liebt?«

»Ja, in meinen Augen ist es nicht bloß ein Fehler, es ist eine Unnatürlichkeit.«

»Erläutern Sie das näher,« bat der Oberst.

»Die Erläuterung macht sich selbst, wenn wir uns bloß erinnern, daß die Frau in dem Manne ein an Verstand, physischer und moralischer Kraft ihr überlegenes Wesen sehen muß, welches durch Rath und Erfahrung sie zu leiten im Stande ist. Dieß alles kann ein jüngerer Mann schwerlich für eine ältere Frau sein.«

»Sie würden also nicht zugeben, daß ihr künftiger Mann jünger wäre, als Sie?«

»Nein, unmöglich,« versicherte Majken lachend.

David verließ das Zimmer und wurde für den Abend nicht mehr sichtbar.

Durch die Ansichten, welche Majken äußerte, waren auf einmal die Träume von Glück zerstört worden, in welche David Wochen und Monate lang sich eingewiegt hatte. Niemals, als eben jetzt, da sie ihr Verdammungsurtheil über eine eheliche Verbindung zwischen einem jungen Manne und einer ältern Frau aussprach, hatte er so tief gefühlt, wie innig er Majken liebte. Niemals hatte David an deren Alter gedacht; nur Eines war ihm klar geworden, daß Majken das Ziel all seines Strebens war.

Man ist nicht geneigt, zu entsagen, wenn man einundzwanzig Jahre zählt; man kann nicht einmal den Nutzen davon einsehen. Auch fragte David sich selbst, ob Majken ihn verstoßen könnte, im Fall sie Liebe fühlte. Nicht, wenn sie liebte, lautete die Antwort; aber nun kam die Frage: besaß er deren Herz? David fühlte sich unglücklich bei der Voraussetzung, daß sie nur eine laue Anhänglichkeit an ihn hege. Das Verlangen, Gewißheit zu erhalten, wurde bei ihm immer mächtiger; er mußte ihr sagen, was er empfand, hoffte und fürchtete.

David ging mit dem Vorsatz zur Ruhe, vor dem nächsten Sonnenuntergang sich das klar zu machen.

 

XIV.

Wiederum war es Abend; ein warmer und mondheller Abend im August.

Majken saß ganz allein unten im Pavillon, als David sie aufsuchte.

»Endlich treffe ich dich allein!« rief er. »Wie dieser Tag so lang gewesen! Ich habe an nichts Anderes, als an deine Worte von gestern denken können. Sage mir, waren sie wirklich ein Ausdruck deiner innersten Gedanken?«

»Ich erinnere mich kaum dessen, was ich gesagt habe,« antwortete Majken.

»Du erinnerst dich sicherlich, Majken, daß du es von einer Frau unverzeihlich fandest, einen jüngern Mann zu lieben.«

»Und dann?« lächelte Majken.

»Majken, wir scherzen nicht.«

»Willst du, daß wir im Ernste reden, so wähle einen andern Gegenstand. Dieser kann nicht anders als scherzhaft behandelt werden.«

»Aber ich bitte dich, Majken, antworte mir ganz ernst; für mich handelt es sich um …« Er schwieg und äußerte nach einer kurzen Pause in minder erregtem Tone: »Hältst du etwas auf mich, Majken?«

»Ich glaube es. Deine Gegenwart, David, ist mir lieb, dein Umgang ist mir angenehm, und ich vermisse dich, wenn du nicht anwesend bist.«

»Aber, Majken, das ist nicht genug; meine Ergebenheit erheischt etwas mehr.«

»David!«

»Höre mich!« bat der Jüngling.

Die Worte wiedergeben, womit David seine Gefühle schilderte, wäre nur eine Wiederholung dessen, was Tausende schon vor ihm gesagt haben, und wir stehen deßhalb gern davon ab.

Mag indessen jede Frau genugsam sich prüfen, bevor sie entscheidet, wie sie an Majkens Stelle die Erklärung, welche nun folgte, aufgenommen und beantwortet haben würde.

Wir wollen nicht über sie urtheilen, da wir zu bekennen genöthigt sind, daß Majken, von dem Glück des Augenblickes beherrscht, ihrer Jahre vergaß, und nur auf die Stimme des Gefühls hörte. Sie liebte, das sagte ihr jeder Schlag ihres Herzens, und so verkündeten es jetzt auch ihre Lippen.

Alles hat einen Anfang und ein Ende. So ging es auch mit Majkens und Davids Verzückung. Dagmars und Georgs Stimmen riefen sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Majken wollte nicht mit ihnen Zusammentreffen; sie entfernte sich also und schloß sich in ihrem Zimmer ein.

In den ersten Stunden ihrer Einsamkeit war Majken glücklich. Sie fühlte mit Freuden, daß es einen Menschen gab, welchem sie Alles war; und in diesem Bewußtsein lag eine große und reiche Quelle reiner und wahrhafter Freude.

Ihre erste Jugend war vergangen, ohne daß irgend eine zärtliche, wenn auch noch so vorübergehende Neigung ihre Seele in Anspruch genommen hätte. Jetzt, da sie eine reife Frau war, hatte die Liebe sich unter der Maske der Freundschaft in ihr Herz eingeschmeichelt. Aber wie viel Seligkeit auch der Augenblick verleiht, so kommt doch immerdar, früher oder später, das ernste Nachdenken, um unsere Freude unter das Urtheil der Vernunft zu stellen.

Auch Majkens Verstand erhob schließlich seine Stimme und rief unbarmherzig: was willst du mit deiner Liebe zu einem Jüngling machen? Willst du sein Schicksal mit dem deinigen vereinen? Hast du vergessen, daß du älter bist, als er?

Majkens Herz bebte. Sie weinte; die kurze Seligkeit war vernichtet.

Sollte sie, die weder jung noch reich war, sich zwischen David und sein zukünftiges Glück stellen? Nein, sie hatte lieben gelernt, um auch entsagen zu lernen. So war es des Schicksals Wille.

 

XV.

Im Garten saßen Majken und Dagmar am folgenden Nachmittag.

Dagmar sang mit frischer und klarer Stimme den ersten Vers eines Volksliedes.

Als sie zu Ende war, antwortete eine männliche Stimme vom Park her mit dem zweiten.

»Georg,« rief Dagmar und sprang dem Sänger entgegen. Sie eilte an David vorüber, welcher in demselben Augenblicke auf Majken zuging.

Die Gelegenheit dieses »Unter vier Augen« benützend, erzählte David in einem Athemzuge, wie unaussprechlich glücklich er sich seit dem gestrigen Tage fühle, so daß er sie sehen und mit ihr reden müsse, damit er zu glauben wage, das Ganze sei kein Traum.

David beugte sich nieder und schaute Majken liebevoll an. Der lächelnde Ausdruck in seinem Angesicht verschwand, als er ihre traurige Miene betrachtete.

»Du bist betrübt, Majken!« rief er.

»Ja, David.«

»Hat ein Kummer dich betroffen?«

»Ein tiefer Kummer, man nennt ihn Reue

»Was hast du zu bereuen?« fragte David.

»Daß ich dich liebe; daß ich es dir gesagt habe. Diese Schwäche werde ich mir niemals vergeben.«

»Du willst somit zurücknehmen, was du einmal mir gegeben hast?!« stammelte David.

»Das kann ich nicht; aber was ich vermag, ist, dich den Werth der Gabe, welche ich dir gewährt habe, recht verstehen zu lehren.«

»Ihren Werth bin nur ich zu beurtheilen im Stande,« fiel David hastig ein. »Wenn du mich ein Tausendstel so innig liebst, als ich dich liebe, so bin ich froh und zufrieden. Ich weiß und fühle es, daß ich auch des geringsten Theils deiner Liebe unwürdig bin.«

»Ich möchte wünschen, daß du mich weniger liebtest,« sagte Majken mit einem Seufzer; »ich werde so sehr von meinem Stolze und meiner Eitelkeit beherrscht, daß ich es niemals dahin bringen werde, vor der Welt anzuerkennen, daß meine Liebe auf einen Jüngling gefallen.«

»Majken!«

»David, laß mich ausreden. Merke wohl, ich werde dich niemals heiraten und mich dem Gelächter der Welt preisgeben. Alle Zukunftsträume, an welchen du mich gestern Theil nehmen ließest, sind Phantasiebilder, welche von der Wirklichkeit nicht einmal den Schein haben.«

»Du willst also meine Gattin nicht werden? Du lässest deinen Stolz unser beider Glück vernichten?« sagte David mit erregter Stimme.

»Sprich nicht so,« bat Majken ganz ernst. »Ich fordere von dir, du sollst die Stärke deiner Ergebenheit dadurch beweisen, daß du mit Ruhe mich anhörst.«

»Du willst es, und da muß ich wohl,« stammelte der Jüngling.

Majken saß schweigend einige Minuten da. Sie bedurfte derselben, um fortfahren zu können. Endlich nahm sie wiederum das Wort:

»Wofern mein Friede dir lieb ist, wirst du jeden Gedanken an die Möglichkeit, daß ich eines Tages deine Frau werden könnte, fahren lassen. Ich werde es niemals. Du bist jung und erst am Beginn deiner Laufbahn; du darfst dich noch nicht an irgend eine Frau binden, am wenigsten an eine ältere. Du sollst hinfort mich nur als eine Schwester betrachten, als eine liebe Freundin, deren Rathschlägen du Folge leistest, wenn sie heilsam sind, und der du gut bleibst, bis dieses dein Herz einen würdigern Gegenstand der Liebe gefunden hat.«

»Ich kann meine Gefühle nicht umschaffen,« fiel David ein, »und meine ganze Zukunft verliert ihren Werth, wenn ich nicht daran denken darf, daß du der Lohn für mein Streben werdest.«

»In diesem Falle müssen wir scheiden, um uns nie mehr zu begegnen.«

»Majken, beraube mich nicht aller Hoffnung! Laß mich von einer Seligkeit träumen, von welcher ich meine Gedanken nicht losreißen kann.«

»Wozu sollte das nützen, da diese Träume niemals verwirklicht werden? Ich habe mir deine Liebe frei von jeder Selbstsucht gedacht. Nun wohl, du hast gesagt, wie hoch du mich auch liebtest, so wäre das nicht genügend im Vergleiche zu dem, was ich verdiente. Beweise mir dieß dadurch, daß du deine Ergebenheit von jeder Voraussetzung fern hältst, wir können jemals für einander etwas Anderes, als Freunde werden; unter dieser Voraussetzung bleibe ich in deiner Nähe.«

Ein langes Stillschweigen erfolgte.

Georgs und Dagmars Stimmen kamen näher.

Endlich erhob David den gesenkten Kopf. Er schloß Majkens Hände in die seinen und sagte mit etwas unsicherer Stimme:

»Es gibt kein Opfer, das du von mir begehren kannst, welches ich dir nicht bringen werde. Alle meine Hoffnungen auf Glück opfere ich, um dieselbe Luft mit dir zu athmen und durch dich deiner würdig zu werden. Bist du zufrieden?«

»Ich bin nicht nur zufrieden; ich bin wieder glücklich,« flüsterte Majken.

 

XVI.

Eine neue Zeit trat ein.

David redete nicht weiter von seinen Gefühlen, er legte sogar eine äußere Ruhe an den Tag, welche Majken vollkommen zufrieden stellte. Er suchte keine Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen, und dieser wurden es sehr wenige, weil der Oberst fast immer seiner Familie Gesellschaft leistete. Des Abends, wenn man sich trennte, pflegte David an Majken die Frage zu richten:

»Wie bist du heute mit mir zufrieden gewesen?«

Der Oberst beschäftigte sich viel mit Dagmar und kam dadurch in beständige Berührung mit Majken. Sie konnten ganze Stunden mit einander sprechen, und der Oberst wählte immer solche Gegenstände, welche Majken dahin brachten, ihre Ansichten auszusprechen. Majken fand diese Gespräche sehr unterhaltend, und erstaunte von Tag zu Tag mehr, wie der Oberst zu dem Namen eines Despoten gekommen wäre. Er zeigte sich allerdings streng und zuweilen ungeduldig gegen seine Diener, aber zugleich immer gerecht und niemals hart. Er war jeder Art von Vertraulichkeit abgeneigt, aber niemals hochfahrend. Alle seine Anordnungen und Handlungen gaben Zeugniß von einem innigen Streben nach dem, was recht war. Wie hatte er also es dahin gebracht, daß man so viel von ihm redete? Majken konnte nur einen Erklärungsgrund finden, nämlich den, daß der Oberst sich ein Vergnügen daraus machte, vor Fremden die menschlichen Vorurtheile anzugreifen und zuweilen die stärksten Paradoxen zu verfechten.

Daß der Oberst ein scharfer Beobachter war, argwohnte Majken zuweilen, aber ohne sich dadurch beunruhigen zu lassen. Sie fürchtete keinen forschenden Blick. Die Anhänglichkeit, welche David und sie einander bewiesen, war frei von Allem, was Mißbilligung erwecken konnte; so schien es wenigstens Majken.

 

XVII.

Eines Sonntags im September fuhr Majken nach Falknäs, um ihren Oheim zu begrüßen.

Als Majken im Hause des Polizei-Inspektors den Saal betrat, wurde die Thüre von dem Zimmer des Oheims hastig aufgerissen, und eine gellende Stimme rief:

»Peter, Peter, warum reitest du nicht nach dem Doktor?«

»Mamsell, der gnädige Herr Oberst ist selbst hingefahren,« antwortete Peter.

Therese gewahrte nun Majken und stammelte unter Schluchzen:

»Was für ein Unglück! Was für ein schreckliches Unglück! Ach! ach! ich glaube, das bringt mir den Tod; der Johann, der Johann!

»Was ist denn geschehen?«

»Er hat umgeworfen, den Arm gebrochen und sich den Kopf zerschlagen. Ach, Herr Jesus, ein solches Elend!«

Therese's Schluchzen ging in Geheul über.

Majken eilte zu dem Oheim hinein, welcher wirklich sehr übel zugerichtet war.

Eine Stunde darauf langte der Doktor an, welchen der Oberst, der mit Ring bei dem unglücklichen Ereigniß zusammengetroffen war, selbst geholt hatte. Der Arzt fand da zwei Patienten, denn Therese hatte sich das Unglück des Bruders so sehr zu Herzen genommen, daß auch sie erkrankte.

Majken wollte und konnte ihre Angehörigen nicht verlassen, sondern blieb bei denselben, und da sie einsah, daß die Genesung des Oheims Monate erfordern würde, unterrichtete sie den Oberst davon, daß sie sich verpflichtet halte, ihre Stelle als Dagmars Lehrerin aufzugeben.

Jedermann in Haraldshof nahm den lebhaftesten Antheil an Rings Unglück, und alle wetteiferten mit einander in dem Bestreben, Majken ihr Mitgefühl aufs Thätigste zu bezeugen. Jeden Abend fand sich David in der Wohnung des Polizei-Inspektors ein, und bisweilen gelang es ihm, Majken zu überreden, daß sie ihn bei Ring wachen ließ, und somit selbst einige Ruhe genießen konnte. David that Alles, was in seinen Kräften stand, um Majkens Unruhe und Kümmerniß zu lindern.

Mit Eintritt des Monats December war der Gesundheitszustand zu Falknäs bedeutend besser. Tante Therese befand sich nun wieder wohl auf, und Ring war so weit wiederhergestellt, daß er das Bett mit dem Sopha vertauschen konnte, obwohl er sich noch nicht im Stande sah, sich selbst Hülfe zu geben. Majken war sein Alles. Sie ersetzte ihm den Gebrauch des rechten Armes, sie las ihm vor und plauderte mit ihm, so daß die endlos langen Stunden verkürzt wurden, und selbst Therese sich zu der Meinung bekannte, Majken sei ihnen in diesen schweren Prüfungen eine große Stütze und Tröstung geworden.

 

XVIII.

Es war nur noch einige Tage bis zu Weihnachten.

Man hatte sich eben in Haraldshof vom Mittagsmahl erhoben.

Der Oberst und David gingen im Saale auf und ab und rauchten ihre Cigarren.

»Was ist es, das du an Majken Ring liebst?« fragte plötzlich der Oberst.

Der Jüngling wurde dunkelroth und schaute den Frager an, als ob derselbe sich eines wahrhaften Frevels schuldig gemacht hätte. Auch der Oberst heftete seine Augen auf den Jüngling und setzte hinzu:

»Kannst du meine Frage nicht beantworten? Daß du sie liebst, wissen Alle, welche dich und Majken beisammen gesehen haben; aber ich wünschte zu wissen, was du an ihr liebst.«

»Finden Sie es so wunderbar, Oheim, daß man dieselbe liebt?«

»Ganz und gar nicht; ich glaube, es muß sehr leicht sein, sich in sie zu verlieben; sie ist eine schöne Frau.«

Der Ton des Obersts hatte etwas Gleichgültiges, das die Empfindlichkeit reizte.

»Ich habe niemals daran gedacht, ob Majken schön ist oder nicht,« antwortete David. »Sie gehört nicht zu den Frauen, welche durch äußere Vorzüge fesseln; dafür ist sie an Herz und Seele zu reich begabt. Wäre Majken häßlich und alt, würde ich sie dennoch ebenso innig lieben und ebenso warm bewundern.

»So, so!«

Der Oberst setzte seinen Gang fort, aber David blieb an einem der Fenster stehen, schaute in die Dämmerung hinaus und horchte auf die Schläge seines Herzens, welche ihm erzählten, wie lieb er Majken hatte.

»Welche Zukunft hat deine Liebe?« begann der Oberst wieder in väterlichem Tone.

»Keine. Majken wird niemals etwas Anderes für mich sein, als sie jetzt ist.«

»Und warum nicht?«

»Darum, weil sie nicht die Frau eines jungen Menschen werden will. Sie steht so hoch in meiner Achtung, daß ihr Wille Alles für mich ist und jeder Traum von eigenem Glück weichen muß, wenn derselbe mit dem, was sie wünscht und von mir fordert, im Widerstreite steht. Ich bin auch zufrieden und dankbar, daß ich nur in ihrer Nähe sein darf.«

»Aber du wirst nicht immerdar in ihrer Nachbarschaft weilen können. Du hast für die Zukunft zu arbeiten; du hast Pflichten, welche du nicht versäumen darfst. Auf Neujahr mußt du nach Stockholm zurückkehren und deinen unterbrochenen Kursus fortsetzen. Majken bleibt dann in Falknäs. Du reisest von dort nach Upsala, und so vergeht ein Jahr, ohne daß du sie wiedersiehst.«

»Ich vermag eine solche Trennung nicht zu ertragen; eher verlasse ich die Laufbahn, welche ich gewählt habe, und werde Pächter auf Falknäs,« sagte David.

»Liegt wohl eine solche Handlungsweise in dem Bereich der Möglichkeit? Du würdest deiner Mutter einen großen Kummer machen, wenn du wegen Befriedigung einer heftigen Leidenschaft ein undankbarer Sohn würdest.«

»Oheim, ich kann nicht helfen. Ich bin nicht im Stande, mir ein Leben ohne sie zu denken. Mein Gefühl ist keine Leidenschaft, sondern mit meiner ganzen Seele verwachsen und läßt sich davon nicht scheiden. Wäre meine Ergebenheit einzig und allein Leidenschaft, so würde sie sich nicht darein finden, daß sie von der Zukunft gar nichts zu hoffen hat. Ich begehre ja von dem Leben kein anderes Glück, als dieselbe Luft mit ihr athmen zu dürfen.«

»Du bist einundzwanzig Jahre alt, mein lieber David, und mußt dann auch einsehen können, daß gerade dieß Einzige unmöglich ist. Ring kann sterben, Majken verläßt die Gegend und … sie kann sich verheiraten.«

»Onkel, wenn Majken eines Andern Frau würde, jagte ich mir eine Kugel durch den Kopf.«

»Mein lieber David, da bleibt nur noch eine Rettung, nämlich – daß du sie bestimmst, deine Frau zu werden. Du bist für jetzt allerdings als ein junger Mann ohne Vermögen zu betrachten, aber wenn deines Vaters Schulden bezahlt sind, gelangt ihr wieder in den Besitz von Aengsberga. Dann kannst du heiraten. Aber bis dahin bedenke, daß, wie auch dein Schicksal sich gestalten mag, du nicht vergessen darfst, was Pflicht und Ehre gebieten. Ehe du verstandest, was Liebe ist, warst du der Gegenstand der Zärtlichkeit deiner Mutter; sie zu vergessen oder aufzuopfern, kann somit nicht in Frage kommen.«

Der Oberst verließ den Saal.

David blieb stehen und lehnte den Kopf an die kalte Fensterscheibe.

Ein undankbarer Sohn wäre der Liebe von Majken unwürdig. Er darf nicht vergessen, was er seiner Mutter schuldig ist, aber unmöglich war es, ohne Majken zu leben. Er mußte nach Falknäs, er mußte Majken das Versprechen abnehmen, daß sie seine Gattin werde, daß sie niemals die Frau eines Andern werde. Sollte sie ihn noch einmal verstoßen? Nein und tausendmal nein. Was bedeutete es, wenn sie alt und häßlich wurde; sie war ja doch immer Majken mit dem reichen Herzen und der erhabenen Denkart. Was berührte es ihn, ob ihre Wangen die Fülle, ihre Augen den Glanz, ihre Haare die Farbe verloren? Ihr Verstand, ihr Gefühl, ihr moralischer Werth blieben ewig dieselben. David liebte die Schönheit ihrer Seele, nicht die körperliche. Er wollte ihr dieß Alles sagen; er wollte Majken beweisen, daß sein Glück und Erfolg von ihrem Besitze abhingen, und sie mußte der Wahrheit seiner Worte nachgeben und ihm ihre Treue verpfänden.

David wollte sogleich nach Falknäs reisen. Er wollte nicht eher Majken verlassen, als bis es ihm gelungen wäre, ihr überzeugend darzuthun, daß sie nicht das Recht hätte, ihn zu verstoßen.

Es war beinahe dunkel, als David seinen Platz am Fenster verließ. In demselben Augenblicke ging die Thüre vom Vorzimmer auf. In dem Halbdunkel unterschied David die Umrisse einer Frau. Die Gesichtszüge vermochte er nicht zu erkennen, aber das war auch nicht nöthig, sein Herz sagte ihm, wer die Eintretende war, und zwar, obwohl er es beinahe unerklärlich fand, daß sie in Haraldshof weile.

»Majken!« rief er und war augenblicklich an ihrer Seite.

»David,« flüsterte Majken; der Ton der Stimme klang traurig, die Hand war kalt.

»Steht es mit deinem Oheim schlimmer?« fragte David.

»Nein, dann wäre ich nicht hier,« erwiderte Majken, tief Athem holend. »Mit dem Oheim geht es ungewöhnlich gut. Aber es war mir Bedürfniß, mit dir zu reden, und darum komme ich hieher.« – Wiederum seufzte sie.

»Du bist hier, um mir eine traurige Mittheilung zu machen!« stieß David heraus.

Es erfolgte keine Antwort; ein Diener trat ein und zündete ein paar Lichter an dem Kronleuchter an.

Majkens Angesicht war blaß. Es trug Spuren von Thränen und hatte ein Gepräge tiefer Betrübniß.

Als der Diener die Lichter anzündete, deutete Majken auf die Thüre zu dem kleinen Salon und sagte:

»Sei so gut und laß auch dort Lichter anzünden.«

Als dieser Befehl vollzogen war und der Diener sich entfernt hatte, reichte sie David die Hand und sagte:

»Folge mir, ich habe Verschiedenes mit dir zu reden.«

»Ich fürchte mich, dir zu folgen,« antwortete David.

»Aber du thust es dennoch?«

»Ja, ich thue Alles, was du willst, selbst wenn der Weg mit Dornen bedeckt wäre.«

»Ich komme ja nur, um die Wahrheit deiner Versicherungen zu erproben,« sagte Majken, nahm seinen Arm und ging in den Salon.

»Vor einer Stunde bin ich in Haraldshof angekommen,« begann Majken. »Dagmar sagte mir, du und der Oberst seien hier, aber ich wünschte dich allein zu treffen und wartete deßhalb, bis er sich entfernt hatte.«

»Wozu diese Einleitung? Warum sagst du mir nicht gleich, was dich hieher geführt hat?« fragte David.

»Sage mir zuerst, David, glaubst du, daß ich mich von Launen oder unedeln Beweggründen leiten lassen kann?«

»Nein, Majken.«

»Ich danke. Es wird mir nun leichter werden, zu reden. Bewahre den Glauben in deinem Herzen, daß Majken niemals ohne mächtige Gründe dir einen Kummer bereitet.«

»Du kommst somit zu diesem Zwecke?«

»Ich muß.«

Es entstand eine Pause. David wagte nicht, sie anzusehen, aus Furcht, in diesen theuren Zügen den Ausdruck des Kummers zu lesen, den sie ihm zu verkündigen im Begriff war.

»Wie bald gedenkst du wieder auf die Universität zurückzukehren?« fragte Majken.

»Ich weiß es noch nicht. Meine schwache Gesundheit hat mich genöthigt, die Studien zu unterbrechen,« antwortete David mit einer gewissen Verlegenheit in Stimme und Miene.

»Und darum bleibst du sieben Monate in Haraldshof?«

»Nein, nicht darum.«

David erröthete; er konnte vor Majken nicht lügen.

»Nun, was ist der Grund davon, daß du eine so lange Zeit in Unthätigkeit verschleuderst, David?«

»Majken, du mußt es wissen! du, die in meinem Herzen liest und versteht, daß ich nicht fern von dir zu leben im Stande bin.«

»Ich war somit die Ursache. Und ich glaubte diejenige zu sein, welche dir Liebe zur Arbeit einflößen sollte. David, es ist bitter, zu denken, daß deine Anhänglichkeit an mich störend auf deine Studien einwirkt.«

Majken weinte.

»Thränen in Majkens Augen, und meinetwegen!« rief David und warf sich vor ihr auf die Kniee.

Worte, von Liebe und Ergebenheit glühende Worte traten über seine Lippen. Worte, die alle die Betrübniß und Reue verdolmetschten, die ihr Kummer ihm verursachte. Allem wollte David sich unterwerfen, nur nicht dem schmerzlichen Bewußtsein, Majken einen bittern Augenblick verursacht zu haben.

Sie hörte seine Versicherungen unter heißen Thränen an. Ach, David ahnte nicht, wie unendlich qualvoll diese Stunde für Majken war; er ahnte nicht, daß diese Bezeugungen seiner Zärtlichkeit eine Tortur bildeten, welche Majkens Seelenstärke auf eine harte Probe stellten. Endlich trocknete Majken ihre Thränen, legte ihre Hände auf seine Schultern und sah ihm mit einem ernsten Blick in die Augen, indem sie sagte:

»Du hast erklärt, du wollest dich allem unterwerfen, nur nicht der Möglichkeit, mir Kummer zu bereiten. Ich glaube es. David, wir müssen uns trennen.«

»Majken!« rief David aufspringend.

»Ich weiß, was ich von dir begehre, ist ein großes Opfer, aber ich weiß auch, daß du es mir bringen wirst. Du wirst unverzüglich Haraldshof verlassen, du wirst nach **köping reisen und die Weihnachtsfeiertage bei deiner Mutter zubringen. Das neue Jahr wird dich in voller Wirksamkeit finden. Unter beständiger Arbeit wirst du deiner Liebe vergessen und an Majken nur als an eine theure Freundin denken, für welche es der Tod wäre, wenn du deine Tage in einer den Mann erniedrigenden Unthätigkeit, nur auf die weichliche Klage des Gefühls hörend, dahin lebtest.«

Mit milder und fester Stimme schilderte ihm Majken ihre Verzweiflung, im Fall er dieser Mahnung nicht Folge leistete, und sie stellte ihm das Opfer, welches sie von ihm begehrte, in möglichst wenig abschreckender Gestalt vor. David ließ sie reden. Als sie zu Ende war, erhob er den Kopf; das Angesicht war ruhig, aber aus den Augen leuchtete tiefer Schmerz, als er äußerte:

»Ich reise!«

Majken begriff, wie viel Liebe in diesen zwei Worten lag. David drückte ihre Hand an seine Lippen, Augen und Stirne.

»Ich reise;« nahm er wieder das Wort; »aber laß mich die Hoffnung mitnehmen, die Hoffnung, daß ich einmal mich des Glückes würdig machen kann, dich meine Gattin zu nennen.«

»David, du darfst durchaus nicht auf mich hoffen,« antwortete Majken.

»Majken, du hast niemals geliebt!«

Keine Antwort.

»Aber,« begann David wieder, »kannst und willst du meine Gattin nicht werden, so wirst du doch niemals die eines andern?«

»Mein armer David,« flüsterte Majken; »Alles muß ich dir rauben, denn es kann geschehen, daß ich einmal meine Hand verschenke, um …«

»Um mich zu tödten,« murmelte David.

»Nicht so,« unterbrach ihn Majken; »ich liebe in dir einen Mann, nicht einen jungen Menschen, welcher an seiner Liebe stirbt. Entziehe mir jetzt nicht diese Ueberzeugung, jetzt, da ich dich bitte, zu gehen, um niemals wiederzukehren.«

David sah Majken an, schlang seine Arme um sie und drückte einen Kuß auf ihre hohe Stirn, indem er flüsterte:

»Lebe wohl; möge Gott dir deine Grausamkeit vergeben!«

Er ließ sie los und eilte aus dem Zimmer.

Majken sank auf den Sopha nieder und stammelte:

»So ist denn mein Schicksal vollendet!«

Da ging leise die Thüre auf. Majken fuhr erschrocken empor. Vor ihr stand der Oberst, welcher sehr ruhig äußerte:

» Noch nicht

 

XIX.

Majken Ring an Frau Amalie K.

»Meine liebe, theure Amalie!

Ein halbes Jahr ist vergangen, seitdem ich dir geschrieben habe; aber ich bedurfte dieser Zeit, um den Muth zu gewinnen, ganz aufrichtig von mir selbst zu reden.

Es sind etwa zwei Jahre, seitdem ich gegen dich über die Einförmigkeit meines Lebens klagte. Ich wünschte damals, irgend eines Glücks für die Erinnerung theilhaftig zu werden, von irgend einem Schmerz als Quelle eines Leidens heimgesucht zu werden. Der Herr des Schicksals hat meine Wünsche erfüllt. Ich bin glücklich gewesen und werde es nie mehr werden.

In diesen zwei Jahren habe ich eine große Erfahrung gewonnen; ich habe gelernt, wie großer Schwäche ich mich schuldig machen kann, aber auch, wie viel Kraft mein Wille besitzt. Das ist mein Gewinn.

Aber nein, ich habe Unrecht; es gibt noch einen größern. Ich habe eine treue Stütze für das Leben gefunden. Den Beweis dafür erhältst du damit, daß ich dir von der Verlobung Majken Rings mit dem Oberst Moritz Björnstam Kunde gebe.

Es war eine Zeit, wo ich mir Reichthum als des Lebens höchstes Gut wünschte; nun scheint es mir, daß ein Minus von zehn Jahren und der Besitz von ihm als Gatten mir selbst die Armuth süß machen könnte; aber vielleicht würde ich anders denken, wenn meine Wünsche erfüllt wären. Es ist somit nicht das Verlangen nach Reichthum, welches mich bestimmte, die Braut des Obersts zu werden.

Aber was ist es wohl dann?

Du, die du niemals einen andern Mann als deinen Karl geliebt hast, das Leben an seiner Seite von deinem achtzehnten Jahre hingebracht hast und die Ehe von dem idealsten Gesichtspunkt der Liebe aus betrachtest, du wirst es schwer begreiflich finden, wie ich so handeln konnte, als es geschehen.

Das Leben, meine Freundin, gleicht dem Meere, wenn Ruhe auf demselben herrscht, da ist es leicht zu bestimmen, welchen Kurs man steuern muß und wo man in den Hafen einlaufen wird; aber schwer hält es, wenn die Stürme rasen.

Als ich dir das letzte Mal schrieb, war Onkel Ring bettlägerig. Ich redete damals von dem Glück, so geliebt zu sein, wie ich es von David wurde. Es war eine Zeit der Freude und Seligkeit; aber sie war kurz; es erforderte nur eine Stunde, um mein Glück zu zermalmen.

Es war in der Weihnachtswoche. Ein Wagen fuhr in den Hof von Falknäs herein. Eine Dame stieg aus und verlangte mit mir zu reden. Sie wurde in das Gastzimmer geführt. Frau Broolind stand vor mir.

Sie ist jünger als ich, diese Frau, welcher Davids erste Liebe gehörte; aber sie ist gleichwohl älter als er.

Sie grüßte verbindlich, redete davon, wie lange es her wäre, daß wir einander gesehen, und beklagte den Unfall, der meinen Oheim betroffen, während sie gleichzeitig mir zu seiner Besserung gratulirte. Sie ließ mir keine Möglichkeit, ihr für ihre Theilnahme zu danken oder ihre Fragen zu beantworten, sondern fuhr unaufhaltsam zu reden fort. Während sie noch von des Oheims Gesundheit sprach, äußerte sie plötzlich mitten hinein:

»Haben Sie neulich meinen Cousin David gesehen?«

»Erst gestern,« lautete meine Antwort.

»Die eigentliche Ursache, warum ich herkomme, ist gerade er.« Sie machte eine Pause und fixirte mich. Mein Herz jagte mir das Blut ins Angesicht.

»Ist es wahr, was das Gerücht sagt, daß David heimlich mit Ihnen verlobt ist?« begann sie dann wieder.

Dieses Gerücht zu widerlegen, fiel mir nicht schwer.

Frau Broolind beliebte sofort, ihre Mißbilligung darüber auszusprechen, daß dem nicht so war. Ich bat sie, sich zu erklären, was sie ungefähr in folgenden Worten that:

»Der Grund, warum David fortwährend in Haraldshof bliebe, seiner Studien und seiner Mutter vergäße, hätte dann keinen für Ihre Ehre verletzenden Charakter angenommen, wenn man nur Ihre Unklugheit zu beklagen hätte, daß Sie durch eine Verbindung mit einem Jüngling störend in dessen Zukunft eingreifen. Nun ist es höchst betrübend zu wissen, daß David sich einer Neigung überläßt, welche Alles gegen sich hat. Sie nehmen seine Besuche an, Sie muntern seine Liebe auf, und sind somit um so tadelnswerther, da Sie bereits ein Alter erreicht haben, wo man mit Recht fordert, daß die Vernunft das Wort führen soll. Daß er, ein unerfahrener Junge, seine Mutter mit Kummer überhäuft, ist beklagenswerth; aber daß Sie sich dieses Fehlers theilhaftig machen, ist mehr als zu beklagen.«

Es war ein bitterer Augenblick, denn in ihren Worten lag ein gewisser Grad von Wahrheit. Ich war selbstsüchtig genug gewesen, zu vergessen, daß sein Aufenthalt in Haraldshof eine Versäumniß seiner Studien mit sich brachte. Ich war somit in schwerer Schuld.

Als Frau Broolind ihre Rede geschlossen hatte, übergab sie mir einen Brief. Er kam, sagte sie, direkt von **köping und von Frau Waldner. Die betrübte Mutter hatte Frau Broolind aufgetragen, das Schreiben mir einzuhändigen.

Nachdem sie diesen Auftrag vollführt hatte, gedachte sie, ihren Worten zufolge, nach Haraldshof zu fahren, um David zu erklären, wie unrecht er handelte.

Davids Mutter drückte sich in milden Worten aus und appellirte an mein Herz und meinen Verstand, indem sie mich auf das Unglück hinwies, daß David in so jungen Jahren sich an eine Frau fesselte. Sie bat mich, den Einfluß, welchen ich über ihn besäße, zu benützen, um ihn zur Arbeit zurückzuführen. Jede Zeile in dem Briefe sprach zu meinem bessern Gefühle. Ich erklärte auch Frau Broolind, ich hoffe, daß David unverzüglich aus der Gegend abreisen werde, bat sie aber zugleich, die Sache ganz und gar mir zu überlassen.

Am Nachmittag fuhr ich nach Haraldshof. Frau Broolind blieb in Falknäs. In derselben Nacht reiste David nach **köping, ohne seine Cousine gesehen zu haben.

Wie ich das Opfer ertrage, welches meine Pflicht mir auferlegte, davon wollen wir nicht reden. Ich glaube, Niemand ahnte, wie viel es mich kostete. Hätte ich eine schwächere Körperkonstitution und reizbarere Nerven gehabt, so ist es wahrscheinlich, daß ich mir eine Krankheit zugezogen haben würde. So blieb ich gesund; aber ich fühlte, daß, wenn Falknäs meine Heimat bleiben müßte, es mir nicht gelingen dürfte, meinen Kummer zu besiegen.

Der Gesundheitszustand des Oheims besserte sich inzwischen mit jedem Tage, und ich war für ihn nicht mehr unentbehrlich. Ich sehnte mich fort aus dieser Gegend, wo Alles mich an meine entflohene Seligkeit erinnerte.

Dagmar besuchte mich täglich, aber mit ihr durfte und konnte ich nicht von meinem Herzenskummer reden.

Der Oberst verreiste sogleich nach Weihnachten. Er hatte während der langen Krankheit des Oheims uns tausend Artigkeiten und eine Theilnahme bewiesen, wofür ich ihm allezeit Rechnung tragen werde.

Zu Ende vom März erzählte Dagmar bei einem ihrer Besuche, daß er zurückgekehrt sei.

Eines Tags, es war der letzte in dem genannten Monat, kam der Oberst nach Falknäs herüber. Er grüßte mich von David.

»Unser junger Kandidat arbeitet mit rastlosem Eifer auf sein Examen,« sagte er.

Ich gab keine Antwort, und der Oberst begann wieder:

»Fährt David so fort, wie er angefangen hat, so muß er schon in drei Jahren Doktor der Medicin sein. Seine Zukunft verspricht sehr glänzend zu werden; mit sechsundzwanzig Jahren ordentlicher Arzt zu sein, gehört wohl zu den Ausnahmen.«

Wiederum schwieg er. Ebensowenig hatte ich ein Wort zu dem, was er sagte, beizufügen. Nach einer Weile ließ er sich also vernehmen:

»Gestatten Sie mir, Mamsell Ring, Ihnen als Freund einen Rath zu geben?«

Wie konnte ich anders als bejahend antworten.

»Ich werde wohl mitleidlos aufrichtig sein,« sprach er. »Sie lieben David Waldner, und er vergöttert Sie. Warum verurtheilen Sie dann sich und ihn zu allen diesen Entsagungen und Leiden? Davids Verstand ist reif, sein Charakter befestigt, und seine Gefühle sind ausschließlich Ihnen gewidmet. Was können Sie mehr begehren? Glauben Sie wirklich, daß diese sechs Jahre, welche ihn und Sie scheiden, störend auf Ihr oder sein Glück einwirken können, wenn Sie seine Frau würden? In diesem Fall kann ich Sie versichern, daß Sie nicht zu den Frauen gehören, welche der Jugend und Schönheit bedürfen, um den Mann, welchen sie lieben, glücklich zu machen.«

Alles zu wiederholen, was er sagte, wäre nutzlos. Der Oberst setzte mein schwaches Herz auf eine harte Probe, und mein Verstand schwieg anfangs still. Wahrscheinlich merkte der Oberst, daß seine Worte Eindruck machten, und mein Beschluß zu wanken begann, denn er faßte meine Hand und setzte hinzu:

»Lassen Sie mich an David schreiben, daß er in Haraldshof willkommen sein werde, sobald er in Stockholm fertig ist, daß der Lohn für seine Anstrengungen die Frau werden soll, welche er liebt. Wenn er in drei Jahren seine Studien geschlossen hat, verheiratet er sich, und das Glück von Ihnen Beiden ist dann begründet.«

In diesem Augenblick war der Zauber gebrochen und die Versuchung verschwunden. Die Stimme der Pflicht rief: » nein, niemals!« Klar und bestimmt stand wiederum vor meiner Seele, wie ich handeln mußte. Ich antwortete auch, nichts könnte mich vermögen, für David etwas mehr zu werden, als ich ihm nun wäre.

Der Oberst bat mich, reiflich mit mir noch einmal zu Rathe zu gehen, ehe ich unwiderruflich das Todesurtheil über Davids Glück ausspräche.

Die Nacht war schwer; aber ich versöhnte mich damit, als ich am folgenden Morgen einen Brief von Frau Waldner empfing, worin sie mir dankte, daß ich ihren Sohn zu den versäumten Studien zurückgeführt hätte. Ihre Hoffnungen auf ihn waren groß, und sie redete davon, wie sie sich seine Zukunft dächte.

Als der Oberst wiederkehrte, sagte ich ihm, nichts auf Erden vermöchte meinen Entschluß zu ändern. Der Kampf, welchen ich auch dießmal mit ihm zu bestehen hatte, war hartnäckig; aber siegend ging deine Freundin aus dem Streite hervor.

Der Sieg ist süß, auch wenn wir ihn mit blutendem Herzen erringen.

Bei der Abreise des Obersts war mein Gemüth ruhiger, als es seit der Trennung von David gewesen. Ich war versöhnt mit meinem Schicksal.

Eine Woche verfloß, ohne daß ich Jemand von Haraldshof sah. Dieß war so ungewöhnlich, daß ich zu fürchten begann, es sei irgend etwas Unangenehmes vorgefallen. Um mir hierüber Gewißheit zu verschaffen, schrieb ich an Dagmar, aber ehe der Brief abgeschickt wurde, war der Oberst wieder in Falknäs.

Er unterrichtete mich davon, daß Dagmar sich von der nächsten Woche an auf ihre erste Nachtmahlsfeier vorbereiten würde.

»Dagmar hat,« ließ sich der Oberst vernehmen, »eine talentvolle Lehrerin, aber sie ist eine Französin und katholisch, und meine Tochter bedürfte eben jetzt einer mütterlichen Freundin, welche deren Religionslehrer unterstützen könnte. Ich weiß, daß Sie Ihren Oheim nicht verlassen und nach Haraldshof zurückkehren wollen; aber Sie werden sicherlich Dagmar die Gefälligkeit erweisen, dieselbe an den Tagen, da sie zum Probst fährt, dahin zu begleiten und für den Rest des Tags bei sich zu behalten.«

Mit Freude nahm ich diesen Vorschlag an. Es war ein schönes Werk, zugleich mit Dagmars Seelsorger mich ihrer religiösen Erziehung zu widmen. Je verantwortlicher meine übernommene Verpflichtung war, desto größere Aufmerksamkeit auf mich selbst erheischte sie. Ich wollte während des Vollzugs derselben nach Vervollkommnung von mir selbst streben.

Dagmars Vorbereitung dauerte vom Anfang Aprils bis zum Juni. Auf Pfingsten ging sie zu ihrem ersten heiligen Abendmahl. Ich brachte das Fest bei ihr in Haraldshof zu. Am vierten Tage kehrte ich nach Falknäs zurück.

Am Morgen darauf empfing ich von dem Oberst einen Brief, welcher folgendermaßen lautete:

»Beste Mamsell Ring

(Die Anrede gab keinen Grund zu der Vermuthung, daß der Inhalt so bedeutungsvoll sein würde.)

»Dagmar hat nun das Kindesalter verlassen und befindet sich in der Periode des Lebens, wo der Verlust einer Mutter tiefer als je gefühlt wird. Wollen Sie ihr diesen Verlust ersetzen? Wollen Sie, die Sie dem Glück der Liebe entsagt haben, Ihr Leben den heiligen und theuren Pflichten einer Mutter weihen? Ich frage nicht: wollen Sie Ihre Hand einem Manne schenken, welcher Ihnen aufs Innigste ergeben ist? Ich frage nur: wollen Sie die Gattin von Dagmars Vater werden, um auf solche Weise ihr eine mütterliche Freundin zu sichern, welche nicht durch die Ereignisse zu einer Zeit, wo sie deren am meisten bedarf, von ihrer Seite gerissen wird? Wenn Sie es wollen, so werden Sie niemals bereuen, daß Sie Ihr Schicksal mit dem meinigen vereinigt haben. Eine liebevollere und dankbarere Tochter als Dagmar werden Sie niemals finden; ein besserer Freund, ein treuerer Gatte als deren Vater dürfte auch schwer zu finden sein. Wagen Sie darum Ihre Zukunft den Händen desjenigen anzuvertrauen, welcher u. s. w.

Vier Tage, nachdem ich diesen Brief empfangen hatte, langte Dagmar in Falknäs an. Sie kam, um meine Antwort zu holen.

Ich hatte diese Zeit angewendet, um mein Inneres zu prüfen, und ich glaubte recht zu handeln, wenn ich dem Oberst mein Jawort gäbe.

Zwischen Davids Hoffnungen und mir wurde dadurch eine unübersteigliche Scheidewand errichtet, und ich selbst erhielt ein edles Ziel in den neuen Pflichten, welche ich mir auferlegte.

Möglich, daß die Beweggründe für Schließung einer Ehe minder stichhaltig erscheinen, aber mir kamen sie nicht so vor.

Dagmar brachte somit ihrem Vater meine Einwilligung heim, aber damit war noch nicht alles abgemacht. Die des Oheims zu erhalten, hielt beträchtlich schwerer.

Der Oberst übernahm es, mit ihm zu reden. Nach einer Unterredung zwischen Beiden, welche sehr lang dauerte, verkündigte der Oberst, daß meines Vaters Bruder meiner Verheiratung kein Hinderniß in den Weg legte.

Morgen werden wir die Ringe wechseln, und hernach wird die Verlobung bekannt gemacht. Auf Weihnachten ist die Hochzeit bestimmt.

Heute schreibe ich an David und unterrichte ihn von dem Schritte, den ich gethan. Es wird mein erster Brief an den, welchen ich liebe. Es erfordert Muth an ihn zu schreiben. Wird er begreifen, welche Beweggründe mich leiteten, oder wird er in dieser Verbindung Eigennutz und Eitelkeit bei einer armen Frau erblicken, welche zu Unabhängigkeit und Ansehen gelangen will? Ich hoffe, das erstere.

Nun lebe wohl, meine theure, geliebte Amalie; denke ohne Mißbilligung an deine Freundin

Majken.

 

XX.

Der Herbstkursus hatte schon seit Wochen angefangen, und die Vorlesungen waren zu Upsala in vollem Gang.

In der Wohnung des Kandidaten der Medicin, David Waldner, waren einige Kameraden versammelt, aber nicht um unter munterem Geplauder einige Gläser Punsch zu leeren. Ihre Zusammenkunft hatte einen ernsten Zweck.

Das Zimmer, worin sie sich befanden, war groß und hatte ein stattliches Aussehen. Eine offene Thüre führte zu dem Schlafgemach.

Auf einem runden Tische standen Lichter, und rings herum saßen sechs Studenten, junge Männer von drei- bis fünfundzwanzig Jahren. David, der jüngste in der Versammlung, führte das Wort.

»Hörberg, schließe die Thüre zu dem innern Zimmer,« sagte er. Als dieß geschehen war, fuhr David fort:

»Ihr habt es mir, dem Bestohlenen, überlassen, bei dieser Berathung das Wort zu führen. Nun wohl, wie ihr Alle wißt, verlor ich vor etlichen Tagen auf eine seltsame Weise eine Summe von siebenhundert Reichsthalern. Die Banknoten waren größtentheils von höherem Betrag, und ich hatte Werth und Datum u. s. w. mir aufgezeichnet. Der Zufall fügt es, daß eine davon in Bloms Hände fällt, Durch genauere Nachforschungen erfährt er bald, daß Christoph Alm dieselbe vorher gehabt hat. Ohne zu ahnen, daß er hier auf den Dieb getroffen, fragt er denselben in Hörbergs und meiner Gegenwart, wie er zu der Note gekommen. Die ausweichende und unzusammenhängende Antwort gab sogleich Anlaß zum Verdacht gegen ihn. Es war uns wohl bekannt, daß Alm in letzter Zeit ein unordentliches Leben führte und ein Spieler war. Wir vermutheten deßhalb, er habe sie im Spiel gewonnen, und wolle darum von deren Erlangung keine nähere Rechenschaft geben. Erst sein eigenes Bekenntniß verschaffte uns die traurige Kunde, daß der Verbrecher … ein Kamerade war. Das Spiel, diese Alles verschlingende Leidenschaft hatte auch ihn zu Fall gebracht. Er war eines Abends mit einigen Reisenden bekannt geworden, aller Wahrscheinlichkeit nach Spielern von Profession, und nach einigen Gläsern Punsch kam ein Kartenspiel zu Stande. Uhr und Börse waren bald dahin, und ehe sie sich trennten, hatte er zugleich eine ihm selbigen Tag anvertraute Geldsumme verloren. Der Morgen war nun da. Er stürzte fort, um das durchgebrachte Geld anzuschaffen. Wie er wußte, hatte ich von Hause eine größere Summe erhalten. Ich hatte ihm früher mit kleinern Vorschüssen ausgeholfen, warum jetzt nicht mit einem größern? Er war schnell in meiner Behausung: die Thüre war wie gewöhnlich unverschlossen, und er trat ein. Die Verzweiflung des armen Burschen, als er mich nicht zu Hause fand und dadurch seine einzige Hoffnung vereitelt sah, läßt sich leicht denken. Aber es geht über mein Vermögen, die Qual und den Kampf zu schildern, welche er durchgemacht haben muß, ehe die Versuchung die Oberhand über das Gewissen gewann, und das Geld aus meinem Taschenbuch, welches auf dem Tische lag, entwendet wurde. Es war seine Absicht, mir den Betrag in Kurzem wieder zuzustellen.«

David machte eine Pause und begann dann von Neuem:

»Wegen dieses Vergehens gerichtliche Klage zu erheben, wie Blom in der ersten Hitze wollte, hieße nicht allein die ganze Zukunft eines Jünglings vernichten, sondern zugleich einen unverschuldeten Schatten auf die Studentenschaft im Allgemeinen werfen; deßhalb kamen wir überein, zugleich mit euch, seinen ältesten Kameraden, in der Stille Gericht über ihn zu halten.«

»Ich meines Theils muß immer mißbilligen, daß Alm so ungestraft dem Gesetz entgehen soll,« rief Blom. »Das Ansehen des Studentenkorps erfordert nach meiner Auffassung, daß wir einen Dieb dem ordentlichen Gerichte überlassen, um damit unsere Achtung vor der Gerechtigkeit auszudrücken.«

»Und damit der Universität in den Augen des Publikums einen Flecken anzuhängen,« fiel David ein. »Glaubst du, daß die aufgeklärte Menge es unterlassen wird, über das glänzende Exempel zu schreien, das man nunmehr von ›der Sittenverderbniß in Upsala‹ habe? Nein, so lang ich hier noch ein Wort mitreden darf, soll das nicht geschehen.«

Die Diskussion wurde nun allgemein und lebhaft. Es wurde dafür und dagegen gesprochen; aber endlich schienen die meisten David beizustimmen, daß man der Sache keine Oeffentlichkeit geben dürfe. Aber Alm sollte nichts desto weniger seiner wohlverdienten Strafe unterworfen werden. Er hatte selbst versprochen, das gestohlene Geld wieder zu bezahlen, und eine Nachsicht hiebei konnte natürlich nicht in Frage kommen. Indessen wollte es den Richtern nicht gelingen, etwas über die verschiedenen Strafvorschläge, welche im Lauf der Verhandlung gestellt wurden, festzusetzen.

Darüber war man so gut wie einstimmig, daß Alm sogleich die Universität verlassen sollte. Die Berathung schien geschlossen, und die jungen Leute machten sich zum Aufbruch fertig.

Waldner bat sie, noch zu verziehen. Er hatte lange Zeit ihren Reden zugehört, ohne sich selbst zu äußern. David erinnerte sie nun daran, daß sie gesagt hätten, sie werden keinen Beschluß fassen, ehe er seine Meinung ausgesprochen haben würde.

»Nun ja,« fiel Blom ein, »es kann doch zum Teufel nicht deine Meinung sein, daß wir den Gauner fortwährend herumlaufen und für unsern Kameraden gelten lassen sollen?«

»Darüber möchte ich mich eben aussprechen,« entgegnete David.

Beredt und ruhig schilderte er sofort, wie Alm auf Abwege gerathen; wie er dadurch, daß er aus dem Kreise der Kameraden verstoßen würde, alle Neigung zu einem fleckenlosen Wandel zurückzukehren, sofort verlieren und sich so gut wie gezwungen sehen dürfte, auf der Bahn, welche er unter dem Einfluß einer unglücklichen Spielleidenschaft betreten, fortzuschreiten, um früher oder später in irgend einem Kerker zu endigen.

David ging hierauf zu der Wahrscheinlichkeit über, daß Alm wieder ein braver Bursche würde, welcher vollkommen gut zu machen strebte, was er verbrochen hätte, wenn sie nach dem Grundsatze christlicher Milde handelten und Gnade für Recht ergehen ließen. Dazu komme noch, daß er immerdar unter der Aufsicht der Kameraden stehe, was seine Bemühungen, zu einem geordneten Leben zurückzukehren und den Frevel zu sühnen, wesentlich erleichtern würde.

Es war Davids gutes Herz, welches redete, und seine Worte fielen auf einen guten Boden. Nicht Einer unter den Anwesenden wollte Alms verlorene Zukunft auf seinem Gewissen haben; nein, er sollte in ihrer Mitte bleiben, aber unter der besondern Aufsicht von Waldner und den übrigen. Wenn Alms Aufführung den Beweis lieferte, daß es ihm mit seinem Entschluß, das Verbrechen zu sühnen, Ernst wäre, sollte Alles vergessen werden; aber bei dem ersten Versehen, oder dem Versäumniß der Arbeit als des Mittels, sich wieder Achtung zu gewinnen, sollte er aus deren Kreise ausgeschlossen werden.

Um eine weitere Handhabe in Bezug auf seine Person zu haben, trug Blom noch darauf an, von Alm an David eine Verschreibung ausstellen zu lassen, und schlug folgende Fassung vor, welche er alsbald zu Papier brachte.

»Ich, Christoph Alm bekenne hiemit, daß ich von dem Kandidaten der Medicin, Herrn David Waldner, eine Summe von siebenhundert Reichsthalern Reichsgeld unerlaubter Weise mir angeeignet habe, und verpflichte mich hiemit, dieselbe ihm innerhalb – – Tagen (Monaten) von heute an zu bezahlen; außerdem erkenne ich Herrn Waldner das Recht zu, meinen vorerwähnten Diebstahl nach dem Buchstaben des Gesetzes zu bestrafen, wenn er bis dahin durch meine künftige Aufführung sich hiezu veranlaßt finden sollte.

Upsala u. s. w.«

David drückte seine Mißbilligung darüber aus, daß Alm auf diese Weise seine Ehre verschreiben sollte; aber da er fand, daß die übrigen für den Vorschlag waren, so glaubte er sich fügen zu müssen.

Der junge Verbrecher wurde aus dem inneren Zimmer herausgerufen. Blom wandte sich mit folgenden Worten an ihn;

»David Waldner ist so edelmüthig gewesen, daß er deinen Diebstahl nicht vor Gericht gebracht wissen will; und im Vertrauen, daß deine künftige Aufführung uns keinen Grund geben werde, unsere Schonung zu bereuen, sind wir übrigen darauf eingegangen. Aber damit du dich nicht der Einbildung hingeben mögest, daß wir mit diesem Tage dein Benehmen vergessen haben, ist von uns beschlossen, dir eine Verpflichtung folgenden Inhalts abzufordern.

Blom las sofort seinen genehmigten Vorschlag ab. Als dies geschehen war, setzte er hinzu:

»Dort auf dem Tische hast du Papier, Feder und Tinte; schreibe!«

Alm ging schweigend und dem Aussehen nach wie vernichtet an den Tisch. Als das Schreiben fertig war, übergab er es Blom, welcher es sodann an David mit den Worten übergab:

»Wenn Alm die siebenhundert Reichsthaler bezahlt hat, so wirst du ihm diese Verschreibung in unserer Gegenwart zurückgeben; aber macht er sich inzwischen irgend einer Handlung schuldig, welche dem Gebot der Pflicht widerstreitet, so fordern wir dieses Papier von dir, um davon jeden Gebrauch zu machen, welchen wir für gut finden.«

Die fünf Jünglinge verabschiedeten sich hierauf von Waldner und gingen ihres Wegs, um sich am Abend noch ein wenig zu belustigen und ihrer richterlichen Function zu vergessen.

 

XXI.

Alm und David waren allein.

Der erstere, welcher bis jetzt kein Wort gehabt hatte, um seine Dankbarkeit auszudrücken, so lang die Kameraden noch gegenwärtig waren, stürzte nun auf David zu, faßte seine Hand und stammelte mit gerührter Stimme:

»Waldner, wodurch kann ich dir meine Erkenntlichkeit beweisen? Wie kann ich mich deines Wohlwollens würdig machen?«

Thränen der Reue und Demüthigung stürzten dem Jüngling über die Wangen.

»Werde ein braver Bursche, und du hast alles gethan, was wir von dir begehren,« antwortete David. »Schon diesen Abend ziehst du inzwischen zu mir; auf diese Weise wird es dir leichter, zur Arbeit zurückzukehren.«

In demselben Augenblick klopfte es an die Thüre.

»Herein!« rief David.

Ein Mann mittleren Alters in anständiger Kleidung trat ein.

»Wohnt der Kandidat Waldner hier?« fragte er, gewahrte aber in demselben Augenblick Alm und rief:

»Christoph!«

»Mein Vater!« murmelte der Jüngling und ließ den Kopf auf die Brust sinken.

David starrte den Mann an. Er hatte niemals früher davon reden gehört, daß Alm noch einen Vater hatte.

Der, welcher so benannt worden war, trat auf Christoph mit den Worten zu:

»Hier bin ich nun, um dir zu helfen. Ich bekam erst gestern Abend deinen Brief und reiste sogleich ab.«

Christoph verbarg das Angesicht in den Händen und David entfernte sich unbemerkt.

Lars Sjöqvist, Christophs Vater, war Wittwer, fünfzig Jahre alt und ein Mann, welcher in seinen jüngeren Jahren sich nicht durch besondere Gewissenhaftigkeit ausgezeichnet hatte. Er legte jedoch, seitdem er Vater geworden, ein edles Bestreben an den Tag, aus seinem Sohn einen ehrlichen Mann zu machen, im Gegensatz zu dem, was er selbst gewesen. Dem Jungen zulieb opferte er seine bösen Gewohnheiten auf und suchte sich eine geachtete Stellung in der Gesellschaft zu erwerben; aber aus Furcht, die Vergangenheit möchte ihren Spuk noch üben, hatte er bei Christophs Eintritt in die Schule ihm den Namen Alm gegeben.

Sjöqvist hatte seine Laufbahn als Dienstbursche angetreten. Schlau, anstellig, geschmeidig war er stufenweise vom Knecht zum Kammerdiener aufgestiegen und hatte als solcher sich mit einer Haushälterin verheiratet. Als Christoph noch ein Kind war, verließ der Vater seinen Dienst mit so großen Ersparnissen, daß er sich als Kaufmann in der Hauptstadt niederlassen konnte. So lang seine Frau lebte, ging alles gut und recht; aber nach deren Hingang erfolgten für ihn mehrere bedeutende Verluste. Der Handel war nicht mehr, was er gewesen und ein Mißgeschick folgte auf das andere. Der Sohn wurde älter, seine Erziehung kostete immer mehr, und die Noth nahm zu. Dessen ungeachtet wollte der Vater dem Jüngling nichts abgehen lassen, und die Folge war, daß Sjöqvist einige Monate, bevor Christophs Name zuerst in dieser Erzählung erwähnt wird, zur Befriedigung seiner Gläubiger seines Besitzthums sich entäußern mußte.

Um das Maß des Mißgeschicks voll zu machen, empfing er nun aus dem Munde seines eigenen Sohnes das Bekenntniß des Diebstahls, den er begangen hatte. Das war eine vernichtende Mittheilung. Doch die Liebe ist langmüthig und versöhnlich, auch in der Brust eines noch so unmoralischen Menschen. Sjöqvist verzieh dem Verirrten und erklärte, er werde keine Ruhe finden, bis die übernommene Verpflichtung eingelöst. Koste es was es wollte, dieses Geld müßte angeschafft werden, und der Vater sagte sich zu, daß er es zu Stande bringen könnte.

Nach Verfluß von ein paar Stunden kam David zurück, völlig überzeugt, daß der Mann, welchen Christoph Vater nannte, fort sein würde; aber er fand ihn noch in seiner Wohnung. Sjöqvist hatte auf David gewartet, um ihm zu danken und ihn zugleich zu bitten, von seiner verwandtschaftlichen Beziehung zu Christoph nichts zu erwähnen. Dabei gab er David die heiligsten Versicherungen, daß er niemals vergessen würde, was Christoph seinen edelmüthigen Kameraden schuldig wäre.

 

XXII.

Die Vorlesungen waren zu Ende. David verließ Upsala einige Tage vor Weihnachten, um sich nach Hause zu begeben, und hatte Christoph eingeladen, ihn zu begleiten. Der Jüngling nahm das Anerbieten dankbar an.

David wollte ein paar Tage in Stockholm bleiben, um Georg zu erwarten, welcher jetzt an der Bergbauschule in Fahlun war und gleichfalls die Weihnachten daheim zubringen wollte.

Am zweiten Abend nach seiner Ankunft in Stockholm wohnte David einer Vorstellung im königlichen Theater bei. Als er von dort sich wieder entfernte, nahm er den Weg über die Friedensstraße, um nach der Wohnung der Oberlandrichterin Björnstam zu gelangen, wo er während seines Aufenthalts in der Hauptstadt sein Absteigequartier hatte. In Gedanken versunken, marschirte er dahin und stieß so an eine Person an, welche vor ihm stand und eben mit Jemand redete. Der Gestoßene gab sein Mißfallen durch einen Fluch zu erkennen. Der Lichtschein fiel auf Arvid Broolinds Angesicht.

»Wie, du in der Stadt?« stieß David hervor und warf dabei einen Blick auf denjenigen, mit welchem Broolind im Gespräch begriffen. Es war ein Mann in einem Pelz.

»Vor einigen Stunden bin ich angekommen,« antwortete Broolind und machte dabei eine unmerkliche Bewegung mit dem Kopf gegen den Mann in dem Pelze, welcher alsbald den Rückzug antrat. Davids scharfe Augen hatten jedoch denselben erkannt. Es war Christophs Vater.

»Wer ist der Mann, mit dem du gesprochen hast?« fragte David.

»Ein Landwirth aus der Gegend, wo ich wohne,« antwortete Arvid und nahm Davids Arm, indem er hinzusetzte: »wir machen wohl denselben Weg, da wir beide bei Tante Björnstam wohnen.«

David und Arvid wanderten auf der Straße weiter.

»Bist du völlig gewiß, daß der Mann in dem Pelze aus derselben Gegend ist wie du?« fragte David.

»Welche Frage! Ich kenne ihn sehr wohl.«

»Ich auch,« versetzte David. »Er heißt Sjöqvist und ist ein vormaliger Kaufmann hier in der Stadt.«

»Ein Irrthum, sein Name ist Körnberg. Du hast dich durch eine zufällige Aehnlichkeit täuschen lassen.«

Broolind begann darauf von des Oheims bevorstehender Verheiratung auf eine für den Oberst nicht sehr schmeichelhafte Weise zu reden.

Auf der Hausflur der Oberlandrichterin kam ihnen eine Magd entgegen und meldete dem Lieutenant, die gnädige Frau wünsche ihn zu sprechen. Arvid reichte David die Hand zum Abschied; aber unser Kandidat meinte, da die Tante noch auf wäre, so wolle er ihr gute Nacht sagen.

Im Saale trat die Oberlandrichterin auf Arvid zu und rief, ohne auf David Acht zu geben:

»Was hatte er dir mitzutheilen?«

Broolind gab ihr ein Zeichen; sie gewahrte nun David.

»Oh, ich habe dich nicht gesehen, lieber David; Arvid hat ein Geschäft für mich übernommen, und ich war neugierig, zu erfahren, ob er es ausgerichtet.«

»Es geht gut,« erwiderte Arvid, »der Mann kauft das Getreide.«

Nach einer Weile begab sich David auf sein Zimmer. Broolinds Benehmen fiel ihm sehr auf. Was war es wohl, das David eine solche Vorstellung beibrachte? Vielleicht das von Jugend auf gefaßte Vorurtheil gegen Arvid, das sich geltend machte, oder lag in der That hiefür ein gültiger Grund vor? So flüchtig wie David den Mann im Pelze gesehen hatte, konnte ein Irrthum leicht stattfinden; auch war es höchst wahrscheinlich, daß Arvid eine Kommission zum Verkauf von Getreide für Rechnung der Oberlandrichterin hatte. Dieß erkannte David wohl, und dennoch zerbrach er sich den Kopf damit, herauszugrübeln, was Arvid eigentlich in Stockholm zu thun hätte.

Schon frühe am folgenden Morgen begab er sich zu Christoph. Er hatte seit seiner Ankunft in der Hauptstadt Sjöqvist noch nicht gesehen, und auch jetzt war er fort. Christoph meinte, derselbe sei ausgegangen, um mit einer den Björnstams verwandten Person zusammenzutreffen; aber dieß sollte ein Geheimniß bleiben. David fragte, in welchem Verhältniß Sjöqvist zu der Familie stände, und da erzählte Christoph, sein Vater sei Kammerdiener bei Wilhelm Björnstam gewesen. Erst nach dessen Tod wurde er Kaufmann. David bekam durch diese Aufklärungen neue Nahrung für seinen Argwohn, daß Broolind irgend eine Intrigue angezettelt habe.

Christoph sprach überdieß die Vermuthung aus, daß sein Vater die Hoffnung hege, die Oberlandrichterin Björnstam werde ihn mit Geld unterstützen; darum habe er einen Verwandten derselben angegangen, bei der alten Dame für ihn das Wort zu führen.

Das war ja auch ein sehr gewöhnliches Ereigniß.

David kehrte nach Hause zurück, um der gnädigen Frau Tante aufzuwarten, welche ihn sehr freundlich empfing. Sie erzählte, Broolind habe bereits nach nur eintägigem Aufenthalt Stockholm verlassen. Während des Gespräches fragte David, ob die Tante einen Mann Namens Lars Sjöqvist kenne?

Die Oberlandrichterin runzelte die Stirne und antwortete in etwas rauhem Tone:

»Mein verstorbener Sohn hatte einen Diener dieses Namens, so viel ich mich erinnere. – Warum machst du diese Frage?«

»Darum, weil ich den Mann auch kenne,« sagte David. »Sind Sie, Tante, letzterer Zeit mit diesem Manne in Berührung gekommen?«

»Nein!« entgegnete die Oberlandrichterin, indem sie auf ihre Uhr sah. »Es ist Zeit, sich zum Mittagsmahl anzukleiden,« setzte sie hinzu; »ich werde bei H. diniren. Du kannst Georg empfangen, wenn er kommt; ich bleibe bis spät zum Abend fort. Du reisest ja morgen bei Zeiten ab? Ich fahre erst in zwei oder drei Tagen nach Haraldshof. Es ist zum ersten Mal, daß ich diesen Ort besuche, seitdem mein geliebter Wilhelm starb, und ich soll nun auf eine Hochzeit dorthin.«

Die Augen der alten Dame blitzten. – »Meine Mission ist jedoch nicht, an dem Freudenfeste Theil zu nehmen, sondern ganz anderer Natur. Adieu, mein bester David; glückliche Reise, und grüße deine Mutter.«

Die Oberlandrichterin entfernte sich. David wiederholte:

» Sondern eine ganz andere

Auf der Hausflur begegnete er Georg. Derselbe war zeitiger angekommen, als man erwartet hatte.

Die beiden Brüder gingen am Abend in das Theater. Als sie heimkehrten, übergab der Portier David einen Brief mit den Worten:

»Ein Fremder ist hier gewesen und hat den Herrn Kandidaten gesucht. Er gab mir dieses, als er hörte, daß Sie nicht zu Hause wären.«

David erbrach den Umschlag und fand darin zw 

ei Briefe; der eine war von Christoph und lautete folgendermaßen:

»Nach den Fragen, welche du heute Vormittag an mich stelltest, vermuthe ich, daß du meinen Vater zu sprechen wünschtest, und ich will dich deßhalb unterrichten, daß er verreist ist, ohne mich davon in Kenntniß zu setzen, wohin. Einen auf seinem Tische liegen gebliebenen offenen Brief sende ich dir, im Fall dessen Inhalt dir einige Aufklärung über meines Vaters Geschäfte mit der Björnstam'schen Familie geben könnte.

Dein dankbarer
Christoph

 

Der beigeschlossene Brief war von Broolind geschrieben, ermangelte aber sowohl der Ueber- als Unterschrift.

 

 

»Wenn Sie,« hieß es darin, »beweisen können, daß sich ein gesetzlicher Erbe in absteigender Linie zu dem Gut findet, welches der überlebende Bruder nunmehr in Besitz hat, so verpflichtet sich die Oberlandrichterin, Ihnen die ganze Summe, welche Sie von ihr begehren, auszubezahlen. Sie bringt dieses große Geldopfer, um dem Kinde des Abgeschiedenen sein Eigenthum zurückzugeben und denjenigen zu strafen, welcher auf ungesetzliche Weise sich in den Besitz davon gesetzt hat. Treffen Sie nach der Abrede mit mir zusammen, dann wollen wir weiter darüber reden, und seien Sie bereit, mich zu begleiten.«

 

David begriff sogleich, daß es sich hier um den Oberst Björnstam handelte.

Dieß war somit die Mission der Oberlandrichterin. Was konnte David hiebei machen? Durchaus nichts. Die Ereignisse mochten ihren Gang nehmen, und der, welcher unredlich handelte, mußte seine Gefahr bestehen. Was hatte auch David mit dem Oberst zu schaffen? David konnte und durfte sich nicht in die Sache mischen.

Welcher Schmerz konnte wohl Björnstam treffen, der demjenigen sich vergleichen ließe, welchen David empfunden hatte, als er die Nachricht von Majkens Verlobung erhielt? Bei der Erinnerung daran meinte David, er müßte mehr als Mensch sein, wenn er derjenige wäre, welcher den Oberst warnte.

David nahm aus seinem Taschenbuch einen Brief, schlug ihn auseinander und las ihn. Sein Angesicht nahm jetzt einen milden Ausdruck an. Als er mit dem Lesen fertig war, legte er den Brief wieder mit einer Ehrerbietung zusammen, als ob es ein heiliges Schreiben gewesen wäre, und murmelte: »Majken, ich kann dich niemals verkennen, niemals vergessen, wie du liebtest, niemals mich deiner Achtung und Liebe unwürdig machen. Nein, fort mit allen selbstsüchtigen und gemeinen Empfindungen! Möge ich mich hinfort nur erinnern, daß seine Ehre die deinige ist, daß jeder Flecken an seinem Namen auf dich zurückfällt, und ich will darüber wachen, daß deines Mannes Ansehen unangetastet bleibe. Der Weg, welchen ich gehen muß, liegt offen vor mir. Oberst Björnstam ist in einigen Tagen Majkens Gatte; er ist überdieß derjenige, welcher meiner Mutter dazu beistand, ihr Vermögen zu retten: er ist unser Wohlthäter. Ich habe somit Pflichten gegen ihn, auch wenn er sich gegen mich verfehlt hätte.«

Am folgenden Tag reisten die drei jungen Männer von Stockholm nach **köping.

 

XXIII.

Zu Aengstberga herrschten Leben und Bewegung. Frau Waldner hatte wieder von ihrer schönen Wohnung daselbst Besitz genommen. Vier Jahre war sie davon entfernt gewesen; vier Jahre war das Gut verpachtet gewesen, und während dieser Zeit hatte sie sich alle möglichen Entsagungen auferlegt, um eines Tags das Ziel ihres Strebens zu erreichen, ihres Mannes Schulden bezahlt zu sehen. Als sie nach **köping zog, hatte sie nicht gehofft, so bald wieder das Gut ihr eigen nennen zu dürfen. Daß es so geschah, hatte sie einzig den klugen Anordnungen des Obersts zu verdanken.

Im Herbste nach Davids Abreise von Haraldshof waren die Schulden des verstorbenen Waldners bezahlt, die Pfandverschreibungen eingelöst, und seine Wittwe hatte die hohe Genugthuung, in ihre geliebte Heimat zurückkehren und dort, umgeben von ihren Söhnen, welche zu kommen und an ihrer Freude Theil zu nehmen versprochen hatten, die bevorstehenden Weihnachten zu feiern. Den älteren, David, hatte sie das ganze Jahr nicht und Georg nur ganz flüchtig gesehen.

Man befand sich in der Weihnachtswoche, und es waren nur noch ein paar Tage zu dem heiligen Abend.

Frau Waldner ging ab und zu; bald war sie in der Küche, bald in der Wohnstube, bald im Salon. Die Dämmerung brach ein, die Lichter wurden angezündet, und sie machte nur noch einen Gang nach den Zimmern der jungen Leute, um zu sehen, ob es dort auch warm wäre, ob das frische Bettzeug auch trocken wäre u. a. m., wovon sie sich schon zwanzig Mal überzeugt hatte. Ein Feuer wurde im Salon angezündet und der Kaffeetisch gedeckt. Bei allen diesen Anordnungen lächelte die glückliche Mutter vor Vergnügen.

In den vorangehenden Tagen war Schnee gefallen, so daß es eine gute Bahn gab, und die jungen Leute auf die bestimmte Zeit eintreffen mußten.

Die Schellen klingelten auf dem Hofe; die Uhr in der Wohnstube schlug fünf.

Frau Waldner eilte auf die Hausflur, um desto bälder ihre Söhne zu empfangen.

»Guten Abend, geliebte Tante,« ertönte es aus dem Munde einer in Pelz gehüllten Dame, welche sich ihr in die Arme warf. »Wir kommen einen Tag früher als bestimmt war,« setzte sie hinzu; »aber ich hoffe, Tante, du wirst deßhalb nicht unzufrieden sein.«

Frau Waldners Angesicht drückte einen hohen Grad vereitelter Erwartung aus, als sie anstatt der »jungen Leute« Mathilde Broolind mit Mann, zwei Kindern und Magd vor sich sah. Sie waren allerdings zur Weihnachtsfeier nach Aengstberga eingeladen worden, aber Frau Waldner erwartete sie erst am Tage vor dem heiligen Abend, und sie hatte sich so sehr gefreut, einige Stunden mit ihren Söhnen allein zu sein. Sie hatte Mathilde herzlich gern, denn diese war von ihr erzogen worden, aber natürlich stand die Schwestertochter ihr nicht so hoch wie ihre eigenen Kinder. Sally Waldner war inzwischen eine allzu feinfühlende Frau, um Mathilde merken zu lassen, was in ihrem Innern vorging; sie hieß also ihre Gäste auf das freundlichste willkommen.

Als die Reisenden sich aus ihren Pelzen herausgewickelt hatten, versammelten sich alle in dem gemüthlichen Salon um den Kaffeetisch.

Mit einem erstickten Seufzer servirte Frau Waldner ihren Verwandten den Kaffee, welcher für ihre Söhne bestimmt gewesen war.

Mathilde und Broolind hatten viel von **köping zu erzählen, aber als sie damit in vollem Zuge waren, wurden sie unterbrochen. Die Schellen klingelten von Neuem auf dem Hofe, und die sehnsüchtige Mutter eilte hinaus. Dießmal wurde ihre Erwartung nicht getäuscht.

Der warme Kaffee blieb uneingeschenkt, und Frau Waldner trat wieder ein, gefolgt von ihren stattlichen Söhnen und neben ihnen Christoph Alm. Das Angesicht der glücklichen Mutter strahlte vor Freude. Georg sah blühend frisch aus und war sich ziemlich gleich geblieben. David dagegen hatte sich bedeutend verändert. Er war bleich und hatte einen so ernsten Gesichtsausdruck bekommen, daß jede Spur von Weichlichkeit daraus verschwunden. Dieses einzige Jahr hatte ihn um deren zehn älter gemacht. Er war mit einem Mal zum Mann gereift, während er zuvor ein schwärmerischer Jüngling gewesen.

Artig aber kalt war sein Gruß gegenüber von Mathilde und Broolind. Sein Benehmen gegen die Mutter war herzlich und liebevoll, und mit einem freundlichen Lächeln gehorchte er deren Aufforderung, am Kaffeetische Platz zu nehmen. Georg versicherte, daß er sich recht gütlich zu thun gedenke.

Frau Waldner, welche sich erinnerte, wie die beiden Brüder sonst darüber zu scherzen pflegten, welcher von ihnen am meisten äße, warf einen bekümmerten Blick auf den ältern, welcher kaum von dem leckern Kaffeebrode kostete.

»Du bist doch wohl nicht krank, mein lieber David?« forschte sie.

»Nicht im Mindesten,« versicherte David. »Ich befinde mich vollkommen wohl und bin, soweit ich mich erinnern kann, nicht krank gewesen, seitdem ich Student wurde. Das heißt seit fünf Jahren.«

»Aber, mein Kind, du bist bleich und mager geworden.«

»Wenn dem so ist, so kommt es von der Arbeit her und darf dich nicht beunruhigen, Mama; es beweist ja, daß dein lässiger David fleißig geworden ist. Mathilde wird nicht länger Grund haben, mir ›meine entsetzliche Faulheit‹ vorzuwerfen, wie sie sonst zu thun pflegte. – Du erinnerst dich wohl, daß ich gar viele Verweise von dir zu hören bekam, als wir noch Bräutigam und Braut spielten?« setzte er hinzu.

»Du bist auch in deinen Jünglingsjahren recht faul gewesen,« antwortete Mathilde.

Nach einer Weile äußerte David:

»Wenn ich mich recht erinnere, so schrieb mir Mama, du seiest, Mathilde, kurz vor meiner Abreise von Haraldshof vergangenes Jahr in **köping gewesen. Du hast ja gleichzeitig einen Besuch in Haraldshof gemacht?«

»Ja, ich erinnere mich, daß ich es that,« sagte Mathilde etwas verlegen über die Frage. »Wie steht es mit dem alten Ring?« äußerte sie gleich darauf gegen Frau Waldner gewendet.

»Er ist vollkommen wiederhergestellt.«

»Das ist recht erfreulich,« fiel Broolind ein. »Der Vorfall bei der Fahrt über den Hügel lautet sonst etwas mystisch; es scheint, als ob Jemand ihm nach dem Leben getrachtet hätte.«

»Und wer sollte das sein?« fragte David.

»Der, welcher Grund haben mochte, Rings Kenntniß von diesem oder jenem zu fürchten.«

»Das heißt bei dem einfachsten Ereigniß geheime Beweggründe suchen,« meinte David. »Der alte Ring hat eine Vorliebe für feurige Pferde. Er fährt mit einem Fohlen aus, das kaum noch ein Gebiß im Maule getragen hat; ein paar Wanderer begegnen ihm, die eben einen großen Lärm machen, das Pferd wird scheu, macht einen Seitensprung, wodurch der Wagen an einen Stein anstößt und umgeworfen wird. Der Fußsack ist zugeknöpft, und Ring wird ein Stück weit fortgeschleppt. Der Zufall fügt es dabei so glücklich, daß Oberst Björnstam daher gefahren kommt. Er hält das Pferd an, führt Ring nach Hause und holt dann selbst den Arzt. Das sind lauter Dinge, von welchen du keine Kunde zu haben scheinst.«

»Höchst seltsam, höchst seltsam,« murmelte Broolind. Davids Wangen färbten sich bei diesen Worten mit einer lebhaften Röthe. Er trank seinen Kaffee aus und stand mit einer ungeduldigen Bewegung auf.

»Findest du auch, Mama, etwas Besonderes in dem Ereigniß?« fragte er.

»Nein, mein Junge, gewiß nicht, und es ist sehr zu bedauern, daß man sogleich mit Geschichten fertig ist, welche doch sammt und sonders seltsam, zum Mindesten gesagt, unwahrscheinlich sind.«

»So, so! Man ist wohl wiederum niederträchtig genug gewesen, den Namen von Oberst Björnstam in die unglückliche Begebenheit einzumischen. Es würde mich sehr interessiren, den Urheber von allen diesen Gerüchten zu erfahren.« – Davids Augen hefteten sich auf Broolind. – »Erhalte ich Kunde von dem Verleumder, so will ich ihm die Hölle schon heiß machen.«

»Ich glaube, ihr habt euch vorgesetzt, recht langweilig zu werden,« rief Georg. »Was lohnt es sich der Mühe, bei der Verleumdung zu weilen? Onkel Björnstam ist über dergleichen erhaben, das weiß Jedermann, der ihn kennt. Nun sind wir daheim, um Weihnachten zu feiern und vergnügt zu sein, aber nicht, um von unangenehmen Dingen zu reden.«

»Georg hat Recht,« versicherte Mathilde, »besonders da wir am dritten Weihnachtfeiertag auf eine Hochzeit sollen.«

Dabei warf sie im Vorbeigehen einen raschen Blick auf David, konnte aber nicht sehen, welche Wirkung ihre Worte hervorbrachten. Er hatte sein Angesicht von ihr abgewendet.

»Mamsell Ring macht eine glänzende Partie,« ließ sich Arvid vernehmen, »und es war eine große Ueberraschung für uns Alle, als wir hörten, daß der Oberst von Neuem in den Ehestand treten wollte.«

»Die Gouvernante hat ihre Karten gut gespielt, daß sie Gebieterin auf Haraldshof wird,« fiel Mathilde ein. »Das beweist sehr viel Schlauheit und Berechnung. Sie soll von ihrer frühesten Jugend den Wunsch gehabt haben, reich zu werden.«

David trat an ein Fenster.

»Liebe Mathilde, ich kenne dich nicht mehr,« platzte Georg heraus; »du hast einen häßlichen Fehler angenommen, nämlich andere zu verleumden. Würdest du Majken Ring kennen, so dürftest du sicherlich dein Urtheil bereuen. Sie heiratet nicht aus Eigennutz, das kann ich versichern.«

»Aus Liebe also?«

»Höchst wahrscheinlich,« antwortete Georg.

Damit waren alle weiteren Aeußerungen über Majken für den Abend abgethan.

 

XXIV.

Schon frühe am folgenden Morgen fuhr Georg nach Haraldshof.

Dagmar war nun ein erwachsenes Mädchen, und seit mehr als einem halben Jahre hatte er sie nicht gesehen.

Im Gastzimmer zu Aengsberga stand Mathilde an einem der Fenster und schaute dem Schlitten nach, welcher mit Georg und Arvid hinwegeilte. Der letztere hielt es gleichfalls für seine Schuldigkeit, in Haraldshof einen Besuch zu machen.

David trat ein, und Mathilde wandte sich zu ihm mit lächelndem Angesichte.

»Ein herrlicher Wintertag,« äußerte sie.

»Ja, ich glaube, es ist sehr schön Wetter,« antwortete David. »Ich möchte beinahe wünschen, daß die Sonne nicht so hell schiene.«

»Und warum?«

»Weil ich dir etwas zu sagen habe, was mit einem klaren Himmel und einer strahlenden Sonne nicht zusammenstimmt.«

»Du erschreckst mich! Gedenkst du mir traurige Mittheilungen zu machen?«

»Falschheit und Trug sind immer traurige Gegenstände für eine Verhandlung.«

»Behalte sie noch für dich, bis wir einen umwölkten und stürmischen Tag haben.«

»Auf morgen verschieben, was man heute thun muß, ist einer meiner frühern Fehler, von welchen ich mich jetzt frei gemacht habe.«

»In diesem Fall werden wohl die Sonne und ich unserem Schicksal uns unterwerfen müssen; denn ich nehme an, daß dein Eigensinn nicht zu den Fehlern gehört, welchen du entsagt hast.«

»Nun für jetzt bin ich eigensinniger als je,« antwortete David, »und dazu habe ich ein sehr gutes Gedächtniß bekommen, etwas das mir früher abging.«

»Sind es einige Erinnerungen von ehemals, womit du mich zu erbauen gedenkst?«

»Gewissermaßen allerdings. Ich wollte dir für dein Wohlwollen vom vergangenen Jahre danken.«

Das Blut schoß David in die Wangen.

»Wirklich, darauf habe ich nicht gerechnet,« versetzte Mathilde lachend.

»Davon bin ich überzeugt; aber du solltest vorausgesehen haben, daß ich ausfindig machen würde, wer es gewesen, der meine gute Mutter in Schrecken versetzte, so daß sie in meiner Liebe zu Majken eine Gefahr erblickte. Du solltest weiter berechnet haben, daß ich mir Kenntniß davon verschaffen würde, warum du einen Besuch in Haraldshof machtest. Ich weiß jetzt auch, daß du es eigentlich thatest, damit dein Weg dich an Falknäs vorbeiführen mußte. Mathilde, ich werde es dir nicht so bald verzeihen, daß du dich in meine Herzensangelegenheiten eingemischt hast.«

»Sagst du mir das, um mich zu erschrecken?« fragte Mathilde in spottendem Tone.

»Ja.«

»Was sollte ich wohl zu fürchten haben?

»Daß ich möglicherweise mich an dem rächen könnte, welcher dich zu allem dem verleitet hat. Du hast dich sehr verändert, seitdem du Broolinds Frau geworden bist. Ich warne dich davor, in seinen Aufträgen zu handeln. Melde ihm von mir, daß er hinfort mich zum Widersacher hat, und daß es ihm wenig helfen wird, die Oberlandrichterin auf seiner Seite zu haben. Ueberredet von deinem Mann, welcher mich von Haraldshof weg zu haben wünschte, hast du meiner Mutter Schrecken eingejagt, und Gott allein weiß, was du Majken aufgetischt hast. Dein Mann glaubte nach meiner Entfernung wiederum den Oheim besuchen zu können, ohne besorgen zu müssen, daß er von meinen wachsamen Augen durchschaut würde. Er ist dießmal nicht sehr schlau gewesen, denn so lange ich in Majkens Nähe war, gab es nur ein Interesse für mich. Entfernt von ihr, suchte ich die Ursache von ihrem Benehmen herauszubringen, und ich fand sie ohne Schwierigkeit. Du bist das Werkzeug gewesen, dessen man sich bediente, um die Fäden zu gewissen eigennützigen Intriguen anspinnen zu können.«

»Ich begreife nicht, was du mit allem dem sagen willst,« entgegnete Mathilde, »und ich wünsche auch gar nicht, es zu begreifen. Du bist indessen in einem großen Irrthum befangen, wenn du glaubst, Arvid habe mit deiner Entfernung von Haraldshof etwas zu thun gehabt. Ich bin es allein, welche du anklagen mußt.«

»In diesem Fall wünsche ich deine Beweggründe zu erfahren.«

»Und wenn ich sie dir nicht sage?«

»So nehme ich an, daß du auf deines Mannes Befehl gehandelt hast.«

Mathilde beobachtete einige Minuten Stillschweigen, nahm aber dann wiederum das Wort:

»Ich weiß nicht, warum ich die Wahrheit verschweigen sollte. Du bist treulos genug gegen mich gewesen, daß ich wohl ein Recht gehabt hätte, Rache zu nehmen.«

Sie gab nun eine kurze Schilderung von der Art und Weise, wie ihrer Ansicht nach David sich gegen sie benommen hatte.

Er war schon bei Majkens erstem Auftreten in der Gegend in sie verliebt geworden, obwohl er leugnete, Mamsell Ring auch nur gesehen zu haben. Der Beweis dafür war der verlorne Ring, um welchen er, Mathilde's Behauptung zufolge, gekommen war, als er hinging, um Majken bei ihrer und Dagmars Reise nach Schonen noch einmal zu sehen. Weiter hatte er dessen ungeachtet betheuert, daß er Mathilde lieb habe, und sie in diesen Glauben eingewiegt, bis ihr endlich die Augen aufgingen, und sie im Verdruß über seine Treulosigkeit Arvid heiratete. Mathilde war beinahe vier Jahre glücklich verheiratet gewesen, als das Gerücht von Davids Liebe zu Majken ihr zu Ohren kam, und sie erfuhr, daß er um dieser Neigung willen seine Studien versäumte und ein unthätiges Leben zu Haraldshof führte, indem er für eine ränkevolle Kokette alles aufopferte.

»Meine Anhänglichkeit an die Tante,« schloß Mathilde, »bestimmte mich, nach **köping zu reisen und sie darüber aufzuklären, wie du deine Zukunft wahrtest. Die Tante schrieb an dich, erhielt aber keine Antwort, und ich erbot mich nun, mit Mamsell Ring zu reden und einen Brief von der Tante an sie zu überbringen. Nun wohl, was liegt darin Tadelnswertes? Ich erfüllte meine Pflicht. Nur Unglück und Kummer wären die Folgen einer Verbindung mit einer Frau von Mamsell Rings Charakter und Alter gewesen. Sie muß mir überdieß danken, daß ich ihr den Dienst leistete, ihr den Weg zu einer reichen Heirat zu bahnen!«

»Ein für alle Mal, Mathilde, schweige mit allen den boshaften Anspielungen auf Majken. Sie ist eine edle Frau, und jedes Wort über ihr Thun und Benehmen bringt mein Blut in Wallung. Wir haben nun genug über den Gegenstand gesprochen. Ich will dich nur bitten, daß du deinen Mann vor dem Versuche warnest, dem Oberst Schaden zu thun.«

»Dem Oberst!« wiederholte Mathilde. »Bist du auch sein Ritter? Wenn es um und um kommt, bist du ihm noch innig dankbar dafür, daß er sich verheiratet mit …«

»Mathilde!« rief David.

Die junge Frau schwieg. Sie wagte nicht weiter zu gehen.

Es entstand eine Pause.

David ging mit hastigen Schritten auf und ab. Er befand sich in einem Zustande großer Aufregung. Plötzlich blieb er stehen und zeigte Mathilde einen Ring, welchen er an seinem Uhrgehänge trug.

»Weiß dein Mann, daß du mir diesen gegeben hast?«

Mathilde erbleichte.

»Ich bin erst zweiundzwanzig Jahre alt,« fuhr David fort, »aber ich habe doch in diesem letzten Jahr eine sehr traurige Erfahrung eingethan. Du hast mich der Treulosigkeit angeklagt. Mich zu vertheidigen, wäre überflüssig; ich will dich nur an etwas erinnern, was du vergessen zu haben scheinst. Erinnerst du dich des Tages, da Arvid hier war, um Abschied zu nehmen, und du ihn den Ring, welchen er gefunden hatte, behalten ließest? Ich sehe, daß du dich darauf besinnst, wie auf das, was du ihm damals versprochen hast. Ich will indessen dein Gedächtniß etwas auffrischen, indem ich dir jenes Versprechen vorhalte, welches dahin lautete, daß du mir anstatt des verlorenen keinen andern Ring geben würdest. Du gabst mir jedoch diesen. Arvid war als Bräutigam eifersüchtig, und er ist es noch. Er fragte dich, ob ich ein Andenken von dir hätte; du verneintest es. Merke dir jetzt: äußerst du dich im Mindesten unvortheilhaft über Majken, so sende ich deinem Mann diesen Ring und den Brief, welchen du an mich geschrieben. Der letztere ist acht Tage vor deiner Verlobung datirt. Nun, Mathilde, weißt du, wornach du dich zu richten hast.«

David verließ das Zimmer. Mathilde sah ihm nach. Ihr Herz schlug heftig.

Sie hörte David nach Christoph rufen und in sein Zimmer gehen.

Frau Waldner war mit der Haushälterin und den Mägden im Brauhaus durch Zurüstungen auf die Weihnachtfeiertage in Anspruch genommen. Mathilde war demnach mit ihren bittern Gefühlen allein gelassen.

Es trat Jemand in das Wohnzimmer, und eine Stimme äußerte:

»Ich werde es sogleich dem Herrn Kandidaten melden.«

Oberst Björnstam trat ein.

Mathilde grüßte ihn mit einnehmender Verbindlichkeit und wünschte ihm zugleich Glück. Der Oberst dankte mit einem Lächeln, welches etwas Ironisches hatte. Es sah aus, als zweifle er an der Aufrichtigkeit ihrer herzlichen Aeußerungen. Mathilde brachte das Gespräch sogleich auf Majken und ließ sich zu deren Lob des breitern vernehmen.

»Sie sind, Onkel, ein augenscheinlicher Feind von der Behaglichkeit des Polizei-Inspektors,« bemerkte Mathilde scherzend; »erst rauben sie ihm seine Bruderstochter, um sie zu Dagmars Lehrerin zu machen, und nachdem er die Nichte wieder bekommen hat, entführen sie ihm dieselbe zum zweiten Mal und auf immer.«

»Das ist des Lebens Gang,« antwortete der Oberst. »Du verließest Tante Waldner, um Broolinds Frau zu werden; Tante Waldner hat ihre Eltern verlassen, um ihrem Mann zu folgen, und Majken thut dasselbe, was viele andere Frauen vor ihr gethan haben.«

»Zugegeben, aber vor einem Jahr hieß es allgemein, Majken Rings Neigung sei auf einen ganz jungen Mann gefallen.«

»Davon habe ich nichts gehört.«

Wiederum lächelte der Oberst.

Mathilde fühlte sich dadurch gereizt und wußte nicht, wie sie dieses Lächeln verdolmetschen sollte. Sie empfand ein unwiderstehliches Verlangen, den Oberst dafür zu strafen.

»Sie spielen den Unwissenden, Onkel!« rief sie munter; »es ist Ihnen sicherlich bekannt, daß David in Mamsell Ring ganz verschossen war, und daß sie nicht gefühllos gegen seine Huldigungen blieb.«

Zu ihrem Verdruß konnten Mathilde's lebhafte Augen nicht die geringste Bewegung in des Obersts Miene wahrnehmen.

»Möglich, daß dem so war,« versetzte der Oberst. »Die Ungleichheit des Alters bewirkte dann wohl, daß eine Partie zwischen ihnen nicht in Frage kommen konnte. Du weißt selbst, daß die Jahre, welche du vor David voraus hattest, dich bestimmten, Broolind zu nehmen. David hat einen großen Verlust erlitten, ich einen Gewinn davon getragen.«

»Sie hätten ihm wohl nicht gern gerathen, Onkel, sich mit Mamsell Ring zu verbinden.«

»Ja, wenn er mich um Rath gefragt hätte, würde ich es gethan haben.«

»Aber bedenken Sie doch, wie jung er ist.«

»Dieser Fehler bessert sich mit der Zeit.«

Mathilde konnte nicht begreifen, wie es möglich war, gleich dem Oberst zu sprechen.

Davids Ankunft unterbrach inzwischen jedes weitere Gespräch. Mathilde wurde Zeugin von der Begegnung der beiden Nebenbuhler. Davids Angesicht zog sich in heftigem Schmerz zusammen, als er den Oberst begrüßte.

»Ich habe dir etwas zu sagen,« äußerte der Oberst; »es ist deßhalb am besten, wir gehen auf dein Zimmer.«

Er verabschiedete sich von Mathilde, wünschte ihr vergnügte Weihnachtfeiertage und verließ mit David das Gemach.

 

XXV.

»In vier Tagen findet meine Hochzeit mit Majken statt,« sagte der Oberst, als er und David allein waren.

»Ich weiß es.«

David sprach diese Worte mit einiger Anstrengung aus.

»Majken hat dich selbst von unserer Verbindung unterrichtet?«

»Ja.«

»Du weißt somit auch, daß weder Ueberredung noch Zwang auf ihren Entschluß eingewirkt haben, und daß sie diesen wichtigen Schritt aus freiem Willen gethan hat.«

»Auch das hat Majken mir mitgetheilt.

Davids Brust hob sich sehr bemerklich.

»Mit welchen Empfindungen hast du diese Nachricht aufgenommen?«

»Mit Erbitterung.«

»Gegen Majken?«

»Nein, gegen sie hegt mein Herz keine andere als liebevolle und milde Gefühle. Ich begreife allerdings nicht recht klar, warum Majken so gehandelt hat, wie sie that, aber mein Glaube an sie ist so groß, daß ich versichert bin, sie hat nach ihrer Ueberzeugung wahrhaft und recht gehandelt.«

»Deine Erbitterung war somit gegen mich gerichtet?«

»Ja; Sie haben mich, Oheim, wie ein Dieb um des Lebens höchstes Glück bestohlen.«

»Bestohlen!« wiederholte der Oberst.

»Ja, so nenne ich wirklich Ihr Benehmen, Oheim,« rief David. »Sie haben meiner Mutter Vermögen gerettet und dadurch meine und meiner Mutter Dankbarkeit sich gewonnen; aber dieß hindert mich nicht, zu erklären, Oberst Björnstam ist mit unvergleichlicher Schlauheit und Beharrlichkeit zu Wege gegangen, um sich der Beute zu bemächtigen, welche er in seinen Besitz zu bringen wünschte.«

Der Oberst stand ruhig vor dem jungen Mann.

»Ich bin neugierig, zu erfahren, was dich zu diesem Urtheil berechtigt. Ich erwarte auch, daß du dafür Rechenschaft gibst.«

»Das kann ich,« fiel David immer in derselben erregten Gemüthsstimmung ein. »Von dem ersten Zusammentreffen mit Majken waren Sie entschlossen, Oheim, sie zu Ihrer Frau zu machen. Drei Jahre vergingen, welche Sie auswärts zubrachten. Diese Jahre waren darauf berechnet, den gegen Sie übel gesinnten Polizei-Inspektor zu beruhigen. Sie spielten den Uninteressirten; aber Sie waren es gleichwohl, Oheim, der zuerst durch das Gespräch über Herrn und Frau D. ihre Aufmerksamkeit darauf richtete, daß sie älter war als ich. Sie waren es, der am letzten Abend, da ich in Haraldshof verweilte, mit väterlichem Wohlwollen mir die Nothwendigkeit bewies, einen entscheidenden Schritt zu thun. Sie thaten es, weil Sie erkannten, daß es das sicherste Mittel wäre, mich von Majken zu trennen. Sie kamen sodann nach Stockholm, versprachen bei Majken mir das Wort zu reden und bewirkten so, daß dieselbe Ihre Braut wurde. Sie gewannen den Schatz, für dessen Besitz ich Alles gern aufgeopfert hätte, und ich durfte schicklicher Weise nicht einmal mich beklagen; aber in diesem Augenblick wäre ich versucht, die Verpflichtung der Dankbarkeit gegen Sie zu verwünschen, welche mich hindert, meinem Hasse Luft zu machen.«

Als David schwieg, äußerte der Oberst mit einem gewissen Nachdruck:

»David Waldner, ich verzeihe dir, was du jetzt sagst. Ich werde es vergessen, wie ich den Schimpf vergessen habe, welchen dein Vater mir einmal angethan hat. Nur wenn eine Anklage wahr ist, erzürnt man sich darüber. Sieh mir in die Augen, Junge, und sage dann, sehe ich wie ein Mann aus, welcher durch List und Ränke sein Ziel zu erreichen sucht?«

Einige Sekunden betrachteten sie einander. David fuhr mit der Hand über die Stirne und murmelte:

»Ich kann an Majken nicht zweifeln und will an Den nicht glauben, welcher sie mir geraubt hat.«

»An ihr zu zweifeln, hieße an dem Guten selbst zweifeln.«

»Aber,« rief David, »wie Majkens Benehmen sich erklären? Sie verheiratet sich mit Ihnen, Oheim, und sie …«

»Liebt dich,« fiel der Oberst ein. »Das letztere hat Majken zugegeben.«

»In diesem Fall, wie kann sie …«

»Meine Frau werden?« ergänzte der Oberst indem er seine Hand auf Davids Schulter legte. »Da wir die Beweggründe nicht kennen, welche hinter den Handlungen liegen, so wollen wir uns hüten, Vermuthungen darüber anzustellen und vor allem anzunehmen, daß sie verwerflicher Art sind. Einmal wird dir Majkens Benehmen klar werden.«

Wiederum entstand eine Pause. Der Oberst betrachtete den jungen Mann mit theilnehmenden Blicken. Nach langem Stillschweigen begann er wieder:

»Kommst du mit auf die Hochzeit?«

»Ja.«

»Du weigerst dich wohl nicht, Marschall zu werden?«

»Nein, auch dem werde ich mich ihr zulieb unterwerfen.«

Der Oberst reichte ihm die Hand, indem er beifügte:

»Und nun, lebe wohl!«

David schob die dargebotene Hand zurück und sagte in mehr traurigem, als erbittertem Tone:

»Jetzt ist es mir unmöglich, Majkens Bräutigam die Hand zu drücken.«

»Wie du willst.«

Der Oberst ging. David lehnte sich an den Thürpfosten, als ob er nicht im Stande wäre, ohne diese Stütze sich aufrecht zu halten. Bitter war die Qual, welche seine Brust erfüllte.

Nach einigen Augenblicken richtete David sich auf. Er warf einen Blick im Zimmer rings umher. Hier hatte er den ersten Schmerz, der ihm von einer Frau zugefügt worden war, durchlebt. Hier hatte er gesehen, wie Mathilde einst Arvid zulächelte. Wie unglücklich war er sich damals nicht vorgekommen! Fünf Jahre lagen zwischen jener Zeit und der Gegenwart; David hatte seitdem tief und ernst geliebt; er war glücklich gewesen und hatte auf die Zukunft gehofft; aber jetzt, jetzt stand er da, beraubt der Liebe, des Glückes, der Hoffnung. David hatte Thränen für seinen ersten Schmerz gehabt; für das, was er jetzt empfand, stand ihm nicht einmal eine Klage zu Gebot.

Einige Minuten später kehrte David in den Salon zurück, wo er seine Mutter, Mathilde und Christoph fand.

»Was wollte der Oberst?« fragte Frau Waldner.

»Mir zumuthen, Marschall bei der Hochzeit zu werden,« antwortete David.

»Du schlugst es ab, wie ich mir denken kann?«

»Gewiß nicht. Warum sollte ich es auch wohl thun?«

Frau Waldner sprach die Vermuthung aus, dieser Ehrenposten würde ihm nicht sonderlich angenehm sein.

»Wir wollen doch sehen, ob David nicht unwohl wird, wenn der Hochzeittag kommt,« sagte Mathilde bei sich. »Mich kann er mit seiner gut gespielten Gleichgültigkeit nicht täuschen.«

 

XXVI.

Die Tage, welche zwischen dem Besuche des Obersts und seiner Hochzeit lagen, waren von Gästen und von Einladungen in Anspruch genommen.

Am vierten Weihnachtstage wurde die Hochzeit gefeiert. Die Trauung sollte in Haraldshof statt finden.

Zwischen sieben und acht Uhr nahm der Geistliche seinen Platz hinter den bedeutungsvollen Brautstühlen ein. Die Thüre zur Rechten des großen Salons ging auf und der alte Ring trat heraus, die Braut an der Hand führend. David war bleich wie der Tod.

Er hätte sich Majken zu Füßen werfen und mit verzweiflungsvoller Stimme ihr zurufen mögen:

»Wie kannst du dich an einen Andern verheiraten! Dieser Trauungsakt ist das Todesurtheil über mein Glück.«

Jetzt stand sie an der Seite des Obersts und der Geistliche begann die heilige Handlung.

Das Blut stürzte David so heftig nach dem Kopfe, daß er einige Minuten eigentlich nicht recht wußte, was vorging; erst als das Wort »Amen« ausgesprochen wurde, kam er wieder zum Bewußtsein seiner selbst. Nur halbverständlich und wie im Fiebertraume schlugen die Glückwünsche an sein Ohr. Endlich, als alle diese Ceremonien vorbei waren, hatte er auch den vollen Gebrauch seiner Sinne und seines Verstandes wieder gefunden.

Majken hatte einmal gewünscht, reich zu werden. Aber wie war es nun? Hatte sie mit dem gewonnenen Reichthum es noch dahin gebracht, auch dem Gefühle Stillschweigen aufzuerlegen, so daß sie sich jetzt froh und zufrieden wußte? Ihr Aeußeres strafte wenigstens diese Voraussetzung nicht Lügen. Man konnte allerdings sehen, daß sie den Schritt, welchen sie gethan, in seiner vollen Bedeutung erfaßte; die Stirne war jedoch wolkenfrei und der Blick ruhig.

Von Dagmar hieß es allgemein, daß sie mit den Jahren sich ungemein zu ihrem Vortheil verändert hätte. Sie war jetzt wirklich ein hübsches, einnehmendes Mädchen, und versprach allem Anschein nach eines Tages eine schöne Frau zu werden. Dagmar und Georg waren auch sehr vergnügt. Ihnen waren die Sorgen und Kämpfe des Lebens noch fremd.

Im blauen Salon saß die Oberlandrichterin auf dem Ehrenplatz. Ein Ausdruck von Bitterkeit lag in ihrem Angesichte. Von Zeit zu Zeit flog ein Blick hinüber zu Broolind.

Der Oberst stand mitten im Salon, mit einigen Herren im Gespräch begriffen, und David näherte sich der Braut, um sie anzureden.

»Glaubst du, Majken, es sei Jemand hier, der wärmere Gebete für dein Glück zum Himmel gesendet hat, als ich?« fragte David.

»Nein, David.«

»Mag jetzt …«

Hier wurde David von einer Stimme an der Thür unterbrochen, welche rief:

»Es hilft nichts, mich hindern zu wollen; ich muß hinein.«

David sah es und eilte von Majken hinweg nach der Thüre, indem er murmelte:

»Das darf nicht geschehen.«

Broolinds Angesicht hatte sich erhellt, die Augen der Oberlandrichterin blitzten, und der Oberst sammt allen im Salon versammelten Gästen schaute nach der Thüre.

Auf der Schwelle stand ein Mann mit graugesprenkeltem Haare und in einen Oberrock gekleidet. Des Obersts Gesichtsfarbe veränderte sich beim Anblick des Mannes.

Es herrschte völlige Stille in dem überfüllten Saale. Jedermann erwartete, der Mann würde eintreten oder irgend eine weitere Aeußerung machen. Davids plötzliche Dazwischenkunft hatte indessen den Fremden zum Verstummen gebracht.

»Suchen Sie mich, Herr Sjöqvist?« fragte David, indem er den Mann stark fixirte; »dann seien Sie so gut und folgen Sie mir; hier ist nicht der Ort zum Sprechen.«

David verließ den Salon und nahm den Mann mit sich.

Eine Viertelstunde war David fort; als er wieder eintrat, suchte er Christoph auf und sagte ihm einige Worte in's Ohr, worauf dieser verschwand. David war eben im Begriff, mit Dagmar und den jungen Mädchen sich in ein Gespräch einzulassen, als die Oberlandrichterin Björnstam ihre Hand auf seinen Arm legte.

»Laß uns einen Gang durch den Salon machen,« sagte die alte Dame.

David bot ihr den Arm; sie wanderten der ganzen Länge nach durch den Salon und die anstoßenden Gemächer und blieben endlich in einem kleinen Eckzimmer stehen. Die Oberlandrichterin hatte bis jetzt nicht ein Wort gesprochen; aber hier unterbrach sie das Stillschweigen mit der Frage:

»Du kennst den Sjöqvist?«

»Ja, ich glaube dessen schon gegen Sie erwähnt zu haben, Tante,« antwortete David.

»Weißt du, was er in früheren Tagen gewesen?«

»Sie klärten mich selbst darüber auf, Tante, daß er im Dienste von Wilhelm Björnstam gestanden.«

»Warum hast du ihn entfernt?« fragte Frau Björnstam.

»Aus dem einfachen Grunde, weil er nicht zur Hochzeit geladen war.«

»Nun, wo ist er jetzt?«

»In meinem Zimmer, in Gesellschaft von Christoph Alm.«

»Schicke den Jüngling fort; ich muß unter vier Augen mit dem Mann sprechen.«

»Beste Tante, ich habe Alm versprochen, ihn ungestört mit Sjöqvist reden zu lassen.«

Die Augen der Oberlandrichterin sprühten Feuer.

»Es beliebt dir, Spaß mit mir zu treiben?« rief sie.

»Durchaus nicht; aber ich halte mich durch mein Versprechen gebunden. Wünschen Sie mir etwas Anderes zu sagen, Tante?«

»Nein, du kannst gehen.«

David verbeugte sich und eilte fort.

Die alte Dame warf sich auf einen der Sopha's, indem sie murmelte:

»Es gibt nichts, was mich abhalten kann, den Verbrecher zu strafen.«

 

XXVII.

Mehrere von den Hochzeitsgästen, welche keine Aufforderung erhalten hatten, in Haraldshof zu übernachten, waren abgereist und wollten sich am folgenden Tage wieder einfinden, um den Ball mitzumachen, welchen die Neuvermählten gaben. Frau Waldner und ihre Söhne waren jedoch unter denen, welche blieben; der Oberst hatte Frau Waldner überredet, bis über Neujahr in Haraldshof zu Gast zu bleiben.

David war am folgenden Morgen frühzeitig in Bewegung und begegnete, als er sein Zimmer verließ, Dagmar, welche ihm mit unruhigem Aussehen entgegenkam.

»Gott sei gelobt, daß ich dich treffe,« rief sie; »ich befand mich in großer Sorge.«

»Was hat diese veranlaßt, meine gute Dagmar?« fragte David.

»Ein Billet, welches ich heute Nacht, da ich zur Ruhe gehen wollte, auf meinem Nachttische fand.«

Dagmar reichte David einen kleinen, mit Bleistift beschriebenen Streifen Papier. David brachte nur mit Mühe Folgendes heraus:

 

»Unterrichten Sie Ihren Cousin David davon, daß gestern Abend trotz aller Vorsicht ein Paket Briefe dem Lieutenant Broolind übergeben worden ist. Durch diese Briefe ist Oberst Björnstam bedroht. Ihr Cousin ist der Einzige, welcher der Gefahr vorbeugen kann.«

 

David betrachtete mit großer Aufmerksamkeit die veränderte Handschrift. Er irrte sich nicht, das Billet war von Christoph geschrieben; aber warum wandte er sich an Dagmar, da er wohl David, was geschehen war, hätte sagen können? Die Zeit gestattete jedoch nicht, sich mit Vermuthungen aufzuhalten; hier galt es zu handeln.

»Nun, David,« rief Dagmar, »was sagst du dazu?«

»Ich sage, Dagmar, daß du dich deßhalb durchaus nicht zu beunruhigen brauchst. Wird dein Vater wirklich von einer Gefahr bedroht, so hoffe ich sie abwenden zu können.«

David und Dagmar trennten sich. Dagmar begab sich wieder auf ihr Zimmer.

Um elf Uhr war David beim Frühstück und begrüßte die Neuvermählten.

Trotz aller Anstrengungen war sein Aussehen düster; auch Dagmar strengte sich vergeblich an, ihr gewöhnliches frohes und munteres Wesen anzunehmen. Im Vorbeigehen fragte sie David:

»Nun, ist etwas vor der Hand zu befürchten?«

»Nein, du kannst vollkommen ruhig sein.«

 

XXVIII.

Der Ball in Haraldshof war zu Ende und der Morgen begann zu grauen, als David bleich und verstört in Christophs Zimmer trat.

Auf dem Bette lag ein völlig angekleideter Mann und schlief.

»Aufgewacht!« rief David und schüttelte ihn. Sjöqvist schlug die Augen auf. Als er David gewahrte, sprang er vom Bette empor.

»Haben Sie die Briefe?« fragte David.

Sjöqvist zog ein Paket Briefe hervor, welches er unter dem Kopfkissen verborgen hatte.

»Sind alle hier?«

»Alle!«

»Wie haben Sie dieselben wieder bekommen?«

»Ich habe sie aus der Schatulle der Oberlandrichterin genommen, während alle in dem großen Salon versammelt waren.«

»War die Schatulle unverschlossen?«

»Nein, aber sie hatte meinem frühern Herrn angehört, und ich besaß zu derselben einen Nachschlüssel.«

David wandte sich mit nachdenklicher, düsterer Miene zu dem Paket, ohne daß er es der Mühe werth hielt, weiter zu fragen, wie er den Nachschlüssel in frühern Tagen benützt hätte.

Nach einem langen Stillschweigen äußerte David:

»Sie wünschen, daß Ihr Sohn ein ehrlicher Mann werden soll?«

»Ja, mein Herr, das wünsche ich, und den Beweis davon haben Sie hier,« antwortete Sjöqvist. »Wäre meines Sohnes Ehre nicht in Ihren Händen gelegen, und hätte ich nicht die Ueberzeugung, daß Sie allein ihn zu einem braven Mann machen können, so würde es Ihnen nicht gelungen sein, mich zur Wiederergreifung der Briefe zu nöthigen, welche ich gemäß dem Uebereinkommen mit dem Lieutenant der Oberlandrichterin übergab.«

»So, so? Und doch war es erst gestern Abend, als Broolind Sie besuchte und Sie ihm dieselben übergaben, daß Sie ihm das Versprechen entlockten, mir nichts davon zu sagen. Und doch hatten Sie sich verpflichtet, nichts ohne mein Wissen vorzunehmen. Welches Beispiel von Treulosigkeit und Unredlichkeit haben Sie hiedurch nicht Ihrem Sohn gegeben? Sie haben ihm bewiesen, wie leicht es geht, sein Wort zu brechen. Thun Sie sofort das nicht, was ich von Ihnen verlange, so übe ich durchaus kein Erbarmen gegen Ihren Sohn. Enthalten Sie sich jeder Berührung mit der Oberlandrichterin und dem Lieutenant Broolind. Verlassen Sie diese Gegend, siedeln Sie sich fern von hier an, damit Sie nicht in Versuchung geführt werden, weitere Streiche zu begehen, und Ihr Sohn soll dann wohl werden, was Sie in ihm zu sehen wünschen. Findet sich Jemand, der durch den Oberst zu Schaden gekommen ist, so soll das wieder gut gemacht werden, aber ohne Skandal oder Ihre Einmischung. Geben Sie wohl auf Ihr Thun Acht und reisen Sie sogleich von hier ab.«

Eine Stunde nach dieser Unterredung hatte Sjöqvist Haraldshof verlassen.

Am Morgen gab es große Aufregung im Schlosse. Der Oberlandrichterin waren einige wichtige Briefe gestohlen worden. Sie hatte sich mit dem Oberst nach der Entdeckung des Diebstahls eingeschlossen. Die Unterredung zwischen Mutter und Sohn dauerte zwei Stunden, und schloß damit, daß die Oberlandrichterin Haraldshof verließ.

Als der Oberst sich seinen Gästen wieder zeigte, war er ruhig und sah aus, als ob nichts geschehen wäre.

 

XXIX.

Am Neujahrstage war zu Aengsberga großes Gastgebot zu Ehren der Neuvermählten.

David hatte bereits am vorangehenden Tage sich unwohl gefühlt, und als das Mahl vorüber war, konnte er nur mit Mühe so viel Kräfte sammeln, daß er von dem Tische aufstehen und Dagmar den Arm zu bieten vermochte. An der Thüre des Vorzimmers wankte er und fiel darauf besinnungslos zu Boden.

Endlos lang waren die Tage, welche nun folgten. Die arme Mutter wachte mit Verzweiflung im Herzen an ihres Sohnes Krankenlager. David hatte sich ein schweres Nervenfieber zugezogen. Er phantasirte während seiner ganzen Krankheit; aber nicht ein einziges Mal sprach er Majkens Namen aus. Er rief oft nach Dagmar; was er von ihr wollte, sagte er jedoch nicht. Dagmar war mehrere Tage nach einander zu Aengsberga; aber ungeachtet sie an sein Bett trat, wenn er sie rief, erkannte er sie dennoch nicht.

Der Oberst und Majken kamen auch täglich. Die letztgenannte sah sehr bleich aus.

Eines Morgens – es waren zwanzig Tage, seit David sich gelegt hatte, und noch zeigte sich keine Besserung – kamen Majken und der Oberst wie gewöhnlich, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Der Oberst trat in das Krankenzimmer. David schlummerte, aber seine Lippen bewegten sich von Zeit zu Zeit. Zu hören, was er sagte, war unmöglich, aber nach der Bewegung der Lippen konnte man schließen, daß er einen Namen flüsterte.

Der Oberst verließ das Zimmer.

»Bewillige mir eine Bitte, Majken,« sagte er; »geh' zu David hinein!«

Majken erfüllte sogleich ihres Mannes Wunsch.

Frau Waldner beabsichtigte ihr zu folgen; aber der Oberst faßte die Hand der verweinten Mutter mit den Worten:

»Bleiben Sie hier! Lassen Sie Majken allein hineingehen!« Der Oberst schloß die Thüre hinter Majken.

Innen bei dem Kranken herrschte Dämmerung. Majken blieb einen Augenblick stehen und drückte die Hand auf das Herz. Sie war so bleich, daß sie mehr einem Todten als Lebenden glich. Einige Augenblicke darauf trat sie zu dem Bett vor und sank auf die Kniee nieder. Sie weinte nicht beim Anblick seines abgezehrten Gesichtes; Majken flüsterte nur seinen Namen und diesen beinahe lautlos.

Eine schwache Röthe färbte Davids Wangen; die Augen öffneten sich langsam und hefteten sich auf sie.

»Majken!« murmelte er und versuchte ihre Hand zu erreichen, aber vermochte es nicht. Sie ergriff dieselbe und schloß sie in die ihrigen.

»Danke,« stammelte David.

Nur wenige Worte wurden gewechselt, und nur eine kurze Weile blieb Majken im Krankenzimmer. Als sie aus demselben herauskam, war ihr Angesicht ruhig, obwohl von Thränen feucht.

»David ist vollkommen beim Bewußtsein,« sagte sie, »und wir können das Beste hoffen.«

Majken sprach die Wahrheit. Die Gefahr war vorüber. David kehrte zu Leben und Gesundheit zurück.

Er war jung, und als das Fieber aufgehört hatte, ging es schnell mit der Genesung.

Christoph war während der ganzen Krankheit desselben außer sich gewesen und hatte in unermüdetem Eifer mit Frau Waldner und Georg die Sorge für David getheilt. Seine Freude, als es mit David sich zur Besserung wandte, war ebenso groß als sein Kummer zur Zeit der Krankheit.

Es war ein allgemeines Freudenfest zu Aengsberga, als David zum ersten Mal den Salon mit dem Krankenzimmer vertauschte. Dagmar war da und nahm Theil an der Freude, welche sich auf jedem Angesicht wiederspiegelte. Sie war nicht die am mindesten Beglückte.

 

XXX.

Die angehäuften Schneemassen begannen vor den milden Strahlen der Sonne zu schmelzen.

An einem wirklichen Frühlingstage im Monat März langte David in Haraldshof an, wo er mit unverstellter Freude von Dagmar empfangen wurde. Sie wollte ihn im Triumph zu Majken führen; aber David erklärte bestimmt, seine Zeit gestatte dieß nicht; er war nur gekommen, um den Oberst zu sprechen.

Dagmar mußte ihm somit sagen, daß der Vater in seinem Zimmer wäre.

David begab sich sogleich dahin.

»Ah, du bist es,« rief der Oberst, als der Jüngling eintrat. »Willkommen wieder zum Leben!«

»Ich habe Ihnen für alle Theilnahme zu danken, Oheim, welche Sie meiner Mutter während meiner Krankheit bewiesen haben,« sagte David mit einer leichten Verbeugung.

»Du bleibst doch heute in Haraldshof?« fuhr der Oberst fort, indem er ihn bat, sich auf dem Sopha niederzulassen.

»Nein, ich reise von hier ab, sobald ich mit Ihnen gesprochen habe, Onkel. Morgen begebe ich mich nach Upsala.«

»Fühlst du dich so stark, daß du das zu thun wagst?«

»Der Doktor hat es gestattet.«

»Das ist sehr erfreulich.«

Es trat eine Pause ein.

An dem Wechsel der Farbe auf Davids Angesicht erkannte man, daß es ihm schwer fiel, das Gespräch einzuleiten, wegen dessen er nach Haraldshof gekommen war. Nach Verfluß einiger Minuten äußerte der Oberst:

»Du hast mir etwas Besonderes zu sagen?«

»Ja.«

»Und es steht wohl im Zusammenhang mit dem Mann, welcher an meinem Hochzeittag hier auftrat, und welchen du sodann in Verwahrung nahmst? Du hindertest ihn, einen saubern Auftrag zu vollziehen. Du hast unrecht daran gethan. Meiner Mutter Wunsch, daß der Bursche vor der ganzen Versammlung mir zurufen sollte: ›Kain, wo ist dein Bruder?‹ hättest du in Vollziehung gehen lassen sollen. Es würde Anlaß zu einer effektvollen Scene gegeben haben, und meine Mutter liebt dergleichen.«

Der Oberst redete mit Bitterkeit.

»Ich glaube nicht,« fiel David ein, »daß er gefragt hätte: Wo ist dein Bruder? wohl aber: Wo ist deines Bruders Kind?«

»Wirklich? Und warum sollte er denn diese Frage stellen? Siebzehn Jahre sind vergangen, seitdem mein Bruder starb. Sein Kind muß nun nach dem hier herrschenden Gesetze volljährig sein, somit selbst etwas von sich hören lassen. Es wäre inzwischen meiner Mutter leicht gewesen, an meinem zweiten Hochzeittage mich wegen des verschwundenen Kindes zur Rede zu stellen, von dessen Existenz man erst jetzt Nachricht erhält. Mein Bruder starb, wie alle Umstände ausweisen, ohne daß er auch nur verheiratet gewesen.«

»Sind Sie dessen so gewiß, Oheim?« fragte David.

»Ich habe wenigstens keinen Grund, das Gegentheil anzunehmen.«

»Nicht!«

David sprang auf.

»Wenn du glaubst, daß mein Bruder Erben hinterlassen hat, warum hindertest du dann jenen Mann, von mir Rechenschaft wegen derselben zu fordern?« fragte der Oberst stolz.

»Ich that es, weil ich Ihrer zu schonen wünschte.«

»Du glaubtest jedoch an die Anklage?«

»Damals argwohnte ich nur; jetzt habe ich Gewißheit.«

»Wirklich?«

Der Oberst riß die Augen weit auf.

David zog ein Paket Briefe aus der Tasche.

»Diese Korrespondenz zwischen Ihnen, Oheim und Wilhelm, hat mich über das Verhältniß aufgeklärt.«

»Ah, die Briefe, wegen deren Entwendung meine Mutter mich im Verdacht hatte!« rief der Oberst.

»Ja, dieselben, sie sind jetzt in meinen Händen, und werden in einigen Augenblicken in die Ihrigen übergehen.«

Der Oberst hielt sich an der Lehne des Fauteuils.

»Durch welche teuflischen Ränke sind diese Briefe zuerst in meiner Mutter Hände und hernach in die deinigen gekommen?« fragte der Oberst.

»Ah, Wilhelm Björnstam's Kammerdiener war das Werkzeug hiezu. Nach dem Tode des erstern eignete sich Sjöqvist die Briefe desselben an, und er war es, welcher Sorge trug, daß sie in die Gewalt der Oberlandrichterin und hernach in die meinige gelangten. Ich habe sie gelesen. Ich glaubte mich dazu berechtigt, um Gewißheit zu erlangen, wie weit Sjöqvist's Angaben wahr oder falsch wären.«

»Meiner Mutter Absicht war somit, einen gerichtlichen Prozeß oder etwas dergleichen gegen mich einzuleiten, vermuthe ich?«

Der Oberst machte einen Gang durch das Zimmer und blieb dann vor David stehen.

»Und du beabsichtigst sie mir zu übergeben?«

»Ja.«

»Nun wohl, wenn sie in meinen Händen sind, werde ich sie zerstören; du beraubst dadurch die bestohlene Person jeglicher Aussicht, das zu erlangen, was ihr zukommen sollte, und ich bleibe fortwährend im Besitze des mit Unrecht an mich gebrachten Eigenthums.«

»Sie sollten bedenken, Oheim, daß die Briefe noch in meiner Hand sind. Die Bedingungen für deren Uebergabe habe ich noch nicht genannt.«

»Du knüpfst somit Bedingungen daran? Nun, wie lauten dieselben?«

»Aus diesen Briefen erfährt man, daß Wilhelm Björnstam in England verheiratet gewesen, und daß er dort Frau und Kind hinterlassen hat, was bisher für Alle, außer seinem Bruder und Kammerdiener ein Geheimniß blieb. Sjöqvist erhielt bei seines Herrn Tod seinen Abschied von Ihnen und eine sehr ansehnliche Geldsumme. Er hat auch eine lange Reihe von Jahren über das geschwiegen, was er von der Sache wußte. Aber man kann sich doch niemals auf ein erkauftes Stillschweigen verlassen. Als die Noth kam, verkaufte auch Sjöqvist das Geheimniß an die Oberlandrichterin, welche nicht geneigt war, es fernerhin gleichsam begraben sein zu lassen. Sie hatte nicht einmal im Sinn, ihren eigenen Namen zu schonen, sondern wollte unter dem Beistand des Gesetzes Sie, Oheim, zwingen, dem rechtmäßigen Besitzer oder Wilhelms Kinde das, was ihm zugehörte, zu überlassen. Dieß war Tante Björnstams Absicht; meine weicht etwas davon ab. Man kann auf verschiedenen Wegen zu demselben Ziel gelangen. Sjöqvist mußte somit die Briefe wieder von derjenigen herschaffen, welche durch einen Skandal dem vaterlosen Kinde zu seinem Rechte verhelfen wollte. Ich glaube, dieses Recht läßt sich erlangen, ohne daß man die Sache der Oeffentlichkeit preisgibt.«

»Und wie willst du, daß dieß zugehen soll?«

»Ganz einfach; Sie erfüllen nur Ihre Pflicht, Oheim.«

»Gut; und diese Pflicht besteht darin, daß ich meinem Eigenthum entsage. Das, mein lieber David, bin ich nicht geneigt zu thun. Behalte du deine Briefe; ich will sie nicht haben. Mir können sie nicht schaden, wie du sogleich sehen sollst, da du dich für die Sache so sehr zu interessiren scheinst.«

Der Oberst öffnete eine Schublade und nahm einige Papiere heraus.

»Ehe ich dir Einsicht hievon gestatte, will ich dir in der Kürze die Geschichte von Haraldshof mittheilen und dir nachweisen, wie dasselbe in Björnstams Hand kam. Du weißt ja bereits vorher, daß es lange Zeit dem berühmten **schen Geschlecht angehörte. Hernach gelangte es an die Brandstorm. Der letzte männliche Inhaber dieses Namens war Kanzleirath, und in Folge eines genehmigenden Artikels in der Fideicommiß-Urkunde ging Haraldshof bei dem Tode des Kanzleiraths auf dessen einziges überlebendes Kind über, wiewohl dasselbe eine Tochter war.

»Obgleich Besitzerin eines ansehnlichen Vermögens und dabei schön, starb Ingeborg Brandstorm unverheiratet. Sie und mein Vater waren mit einander aufgewachsen, und man behauptete, Ingeborgs unerwiderte Liebe zu dem Jugendfreunde sei die Ursache gewesen, daß sie sich nicht entschließen konnte, in den Ehestand zu treten. Warum mein Vater ihre Neigung nicht theilte, kann nicht hieher gehören, auch glaube ich dir eine verläßliche Aufklärung darüber nicht geben zu können. Genug, als mein Vater mit Tod abging, nahm sich Ingeborg meiner Erziehung an. Ich wuchs hier in Haraldshof auf, getrennt von meiner Mutter, ein Umstand, welcher nicht geeignet war, deren schon vorher nur geringe Zuneigung zu mir zu erhöhen. Bei Ingeborgs Abscheiden war Wilhelm der nächstberechtigte zu dem Fideikommiß, welches er auch erhielt. Wilhelm starb und Haraldshof wurde mein.

»Meine Mutter konnte sich unmöglich mit dem Gedanken versöhnen, daß Wilhelms Hingang mir einen so großen ökonomischen Vortheil bringen sollte; anders kann ich mir den Ursprung zu ihrem Argwohn, daß ich einigen Theil an meines Bruders Tod hätte, nicht erklären. Aus meiner Erinnerung kann keine Zeit es verwischen, wie sie, meine Mutter, es war, welche nach dem traurigen Ereigniß auf solche Untersuchung hinarbeitete, daß man in Folge davon auf mich gerade wie auf meines Bruders Mörder hindeutete. Den Flecken, welcher dadurch auf meine Ehre geworfen wurde, hat die Zeit nicht zu verwischen vermocht. Nicht zufrieden damit, beginnt sie jetzt, nachdem so viele Jahre vergangen sind, neue Geschichten aufzubringen, um dadurch an mir Rache zu nehmen, daß ich Wilhelm überlebte und beerbte. Mag sie meinetwegen eine ganze Familie aufstellen, welche meinem Bruder gehören soll, ich fürchte dennoch nicht, es werde ihr der Beweis gelingen, daß er einen einzigen Abkömmling hinterlassen hat, welcher mir mein Recht streitig machen kann.«

Der Oberst übergab David ein kleineres Papierstück.

David durchging das Schreiben. Der junge Mann war sehr bleich, als er äußerte:

»Hieraus ergibt sich indessen, daß Wilhelm Björnstam eine Tochter hinterlassen hat, und obwohl Sie, Oheim, sicherlich zu dem Fideikommiß berechtigt waren, sollte …«

»Sollte Wilhelms Tochter dennoch einen gewissen jährlichen Unterhalt davon genießen, so lang sie unverheiratet ist. Das war es, was du sagen wolltest. Aber dazu ist erforderlich,« setzte der Oberst hinzu, ohne Davids Antwort abzuwarten, »daß sie in gesetzlicher Ehe geboren war, und das ist noch nicht an den Tag gebracht. Hier redet mein Bruder nur von seinem kleinen Mädchen. Der Brief ist, wie du an Jahreszahl und Datum finden kannst, den Tag vor Wilhelms Tod und zwar an eine Mrs. Dowson geschrieben, in deren Pflege das Kind übergeben worden war.«

»Gestatten Sie mir eine Frage: ist Wilhelm Björnstam verheiratet gewesen oder nicht?«

»Laß uns annehmen, daß er es gewesen, aber unter solchen Verhältnissen, daß die Ehe sich nicht beweisen läßt.«

»In diesem Fall bleibt es eine moralische Pflicht, welche …«

»Ich nicht erfüllt habe? – Du kannst dich darüber aus dem Inhalt dieses Schreibens belehren,« fuhr der Oberst fort, und überreichte David ein weiteres Papier; »dann glaube ich, daß wir von diesem unangenehmen Gegenstand ablassen können.«

Der Oberst ging aus dem Kabinet und blieb vor dem Ofen im nächsten Zimmer stehen. Hier brannte ein Feuer und warf einen röthlichen Schein auf sein Angesicht. Es war düster.

Mehrere Minuten verflossen. Endlich vernahm man eine Bewegung innen im Kabinet. David trat heraus. Er gab dem Oberst das Schreiben mit den Worten zurück:

»Sie haben mir gestattet, Oheim, mit Wilhelm Björnstams Briefen anzufangen, was mir beliebt.«

»Allerdings,« lautete die Antwort des Oberst.

Er hatte diese Worte noch nicht ganz ausgesprochen, so lag das Briefpaket mitten in dem Feuer. Die Flammen verzehrten augenblicklich das vergelbte Papier. Als nur die Asche noch übrig war, äußerte David:

»Und nun will ich Ihnen Lebewohl sagen, Oheim. Unsere Rechnungen dürften beinahe abgeschlossen sein. Sie haben sich herbeigelassen, meiner Mutter, meinem Bruder und auch mir beizustehen. Ich habe der Unannehmlichkeit eines Skandals vorgebeugt, welcher nur die Fehler und Schwächen eines bereits Abgeschiedenen aufgedeckt hätte. Wir können uns somit als quitt ansehen, was Dienste und Gegendienste anbetrifft. In Einem sind und bleiben Sie noch mein Schuldner. Diese Rechnung kann nicht ausgeglichen werden, denn wie wären Sie wohl im Stande, mir Das wiederzugeben, was mir geraubt worden ist? Was mich jedoch mit meinem Schicksal versöhnen könnte, wäre die eines Tags mir zugehende Kunde, Oheim, daß Sie das Glück von ihr besser in Acht nehmen, als das von Dagmars Mutter. Jahre werden vergehen, ehe unsere Wege sich wieder begegnen. Möge Gott Majken beschützen!«

Mit diesen Worten entfernte sich David.

Der Oberst blieb stehen und starrte in das Feuer. Der Ausdruck des Stolzes in seinem Angesicht war verschwunden und hatte einer Empfindung des Schmerzes daselbst Platz gemacht.

»Nimm ihr Glück besser in Acht als das von Dagmars Mutter!« murmelte er. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust.

»Lieber Papa, laß die Todten ruhen,« äußerte eine schmeichelnde Stimme ganz nahe bei ihm, und eine kleine Hand streichelte seine Wange.

»Du bist es? Wer hat dich hieher gerufen?«

»Mein Herz,« antwortete Dagmar, welche sich durch den strengen Ton nicht abschrecken ließ. »Weißt du, was es sagte?«

Dagmar schaute zu dem Vater auf.

Der Oberst gab keine Antwort, sondern wandte sich von ihr ab.

»Ja, es rief: geh sogleich hinein zu deinem Vater. Er ist nicht froh, das sah man an David, als er von ihm herauskam. Er bedarf deiner Gesellschaft, und du darfst es dich nicht verdrießen lassen, wenn er streng aussieht. Ich gehorchte sogleich dem, was das Herz befahl, und nun bin ich hier. Du kannst mich nicht fortweisen.«

Wiederum streichelte die kleine Hand des Vaters Wangen. Der Oberst wandte sich nicht mehr ab; seine Stirne erheiterte sich. Er sah liebevoll zu ihr herab und lächelte halb traurig.

»So darfst du nicht lächeln,« rief Dagmar. – Jetzt legten sich beide Arme um des Vaters Hals. – »Du könntest mich sonst dazu bringen, daß ich weine, rothe Augen bekomme und dann noch häßlicher werde, als ich bereits bin. Du glaubst ja doch, daß ich recht häßlich bin? Nicht wahr?«

»Ja, mein Kind, du bist wirklich recht häßlich,« sagte der Oberst, aber lächelte dabei auf eine Weise, welche zu erkennen gab, daß dieß nicht wörtlich zu nehmen sei. Dagmar war in diesem Augenblick nicht häßlich, sondern eher schön.

»Nun bist du wieder gut,« rief Dagmar und drückte ihre Lippen auf des Vaters Wange. »Zum Lohne dafür sollst du mich jetzt zu Majken begleiten.«

Der Vater schien nicht geneigt dazu, aber es half nichts; man wurde Dagmar nicht so leicht los, wenn sie sich etwas fest vorgenommen hatte.

Sie begaben sich also zu Majken.

 

XXXI.

Später im Frühjahr trat der Oberst mit seiner jungen Frau eine Reise ins Ausland an.

Während ihres Aufenthalts daselbst schrieb Dagmar lange, lange Briefe an Georg. Sie mußte ihm schildern, was sie sah und auch was sie erfuhr. Georg war für das sechzehnjährige Mädchen dasselbe, was eine geliebte Schulkamerädin für andere Mädchen zu sein pflegt. Was sie dachte und fühlte, mußte sie ihm erzählen, und der zwanzigjährige Jüngling nahm all dieses Vertrauen an und bezahlte es mit derselben Münze. In seinen Briefen lag vielleicht etwas mehr Herzenswärme; aber im Ganzen war ihre Correspondenz von der Art, daß wenn ein Unbekannter diese Briefe gelesen hätte, er auf den Glauben gerathen wäre, sie rühren von zwei einander lieben Geschwistern her.

Erst im Herbst kam der Oberst wieder mit seiner Familie nach Haraldshof. Es war seine Absicht gewesen, den Winter in Stockholm zuzubringen, aber er begegnete bei diesem Vorschlag einem entschiedenen Widerstand, nicht blos von Seiten Dagmars, sondern noch heftiger von Majken selbst. Sie wünschten beide nach Haraldshof zurückzukehren und erklärten, sie würden alles, nur nicht glücklich sein, im Fall er sie zwänge, den ganzen Winter in der Hauptstadt zu verweilen. Dagmar meinte, sie sei zweimal in ihrem Leben recht unglücklich gewesen; das erste Mal, als sie der Großmutter in Schonen einen Besuch gemacht, das zweite Mal, als sie sieben Monate in Stockholm zugebracht habe.

»Aber, liebe Dagmar,« wandte der Oberst ein; »für dich wäre ein Winter in der Hauptstadt noch sehr nützlich; du hast noch viel zu lernen, bis du die Talente und Gesellschafts-Gewohnheiten, welche nothwendig sind, dir angeeignet hast.«

»So magst du reden,« rief Dagmar, »und ich habe doch mich so lang im Auslande aufgehalten, und muß wohl ausgezeichnet angenehme Manieren besitzen. Was die Talente antrifft, so verschreiben wir Lehrerinnen von Stockholm, wenn du glaubst, daß es vonnöthen sei.«

»Du meinst somit in den Salons auftreten zu können, ohne dich gegen die Gesetze der guten Lebensart zu versündigen?«

»Ja, in den Salons zu Haraldshof, wenn auch nicht in der Hauptstadt. Die Schuld liegt an dir, lieber Papa, an dir, wenn ich niemals für das Stadtleben taugen werde. Du hast mich wie einen freien Vogel aufwachsen lassen, welcher im Käfig sich nicht wohl befindet, wäre dieser Käfig auch so groß, wie Schwedens erste Stadt.«

»Du wirst eines Tags dich verheiraten, und da bekommst du vielleicht einen Mann, welcher dort wohnhaft ist,« wandte der Oberst ein.

»Das möge Gott verhüten,« deklamirte Dagmar. »Aber für's Erste ist es überhaupt sehr ungewiß, ob ich jemals heirate; für's Zweite nehme ich niemals einen Stadtbewohner zum Mann, und drittens will ich in dem lieben Haraldshof leben und sterben.«

 

XXXII.

Zu Falknäs hatte Therese mit dem Einschlachten im Herbste vollauf zu thun. Sie zankte und brummte wie gewöhnlich, während sie umgeben von Mägden, im Brauhause stand.

Es regnete draußen, wie es gewöhnlich im Oktober der Fall ist; aber trotz Sturm und Nässe fuhr doch ein Reisewagen bei dem Polizei-Inspektor vor und wandte Therese's Aufmerksamkeit von Fleisch und Speck den Reisenden zu. Sie stürzte an das Fenster, um Fuhrwerk und Personen in Augenschein zu nehmen. Das erstere war ein bedeckter Reisewagen; aber das sah Therese deutlich, daß er keinem der Bewohner des Kirchspiels angehörte; zudem saß ein Postknecht neben dem livreebekleideten Kutscher. Eine Dame stieg aus dem Wagen; aber Wetterhaube und Flor hinderten Therese, die Gesichtszüge zu unterscheiden. Daß sie alt war, erkannte man indessen aus ihren Bewegungen. Therese mußte sich jedoch Kunde verschaffen, wer es war, und Kajsa wurde deßhalb abgeschickt, sich darüber zu unterrichten. Sie kehrte mit dem Bescheide zurück, es sei die Oberlandrichterin Björnstam.

Wir überlassen es Therese, ausfindig zu machen, was die Oberlandrichterin Bruder Johann zu sagen haben möchte, und beeilen uns statt dessen, zu erfahren, was zwischen der alten Dame und dem Polizei-Inspektor des Bezirks verhandelt wurde.

Die ersten Höflichkeitsbezeugungen wurden ausgetauscht; die Oberlandrichterin hatte ihren Mantel abgelegt und in dem bequemen Lehnstuhl des alten Ring Platz genommen.

»Die Ursache zu meinem Besuch,« begann sie, »ist mein verstorbener Sohn. Sie waren derjenige, welchem die Untersuchung der nähern Umstände bei seinem Tode anvertraut wurde; Sie waren es gleichfalls, dem ich meine schmerzlichen Verdachtsgründe mittheilte.«

Ring verbeugte sich. Die Oberlandrichterin fuhr fort:

»Ich komme nun zu Ihnen, um mich Raths zu erholen und vielleicht einige Aufklärungen zu erhalten. Die Sache ist einfach die, daß ich während meines Aufenthalts zu Haraldshof vergangene Weihnachten in den Besitz eines Briefwechsels gelangte, aus welchem sich ergab, daß mein Sohn Wilhelm in England Frau und Kind hinterlassen hatte. Meine Absicht ging dahin, einen Prozeß gegen den Oberst einzuleiten, aber eines schönen Tags waren die Briefe aus meiner Schatulle verschwunden. Der Dieb konnte nicht wohl ein anderer sein, als derjenige, für welchen ein Grund vorlag, den Prozeß zu fürchten. Er hatte auch den ehemaligen Kammerdiener Wilhelms, welchen wir als Zeugen bei der Sache vorzuführen beabsichtigten, auf die Seite geschafft. Ich sagte meinem Sohn dieß Alles geradezu in's Gesicht und verließ darauf Haraldshof, fest entschlossen, nicht zu ruhen, bis ich über das Kind mir Nachricht verschafft hätte. Meine und meines Tochtersohns erste Bemühungen gingen dahin, Sjöqvist – dieß war, wie Sie sich erinnern werden, der Name des Kammerdieners – wieder aufzufinden, aber dieß wollte uns nicht gelingen. Er war und blieb verschwunden.«

»Vielleicht waren die Briefe falsch.«

»O nein, sie waren von meines jüngern Sohnes eigener Hand und an Wilhelm gerichtet. Da nun alle meine Anstrengungen, von Sjöqvist Kunde zu erlangen, vergeblich waren, unternahm ich eine Reise nach England. In London, wo mein älterer Sohn während seines langen Aufenthalts im Auslande vorzugsweise verweilte, besuchte ich die Familien, mit welchen er, so viel ich wußte, Umgang gehabt hatte; aber von seiner Verheiratung war ihnen nichts bekannt. Eine Person, mit welcher er durch innige Freundschaft verbunden gewesen, klärte mich endlich darüber auf, daß Wilhelm ein Verhältniß mit einer Frau gehabt habe; doch über die Art und Weise desselben wußte auch er nichts Näheres anzugeben. Er wußte nicht einmal, wo dieselbe sich gegenwärtig aufhielt. Als der Oberst bald nach des Bruders Tod in England ankam, war Mr. Scott ihr dazu behülflich gewesen, daß sie eine jährliche Leibrente von dem Oberst bekam, welche sie bei einem der Londoner Bankiers zu erheben hatte. Mein Sohn reiste kurz darauf ab, und als Mr. Scott, welcher es auf sich genommen hatte, nach der Frau und dem Kinde zu sehen, eines Tages ihre Wohnung aufsuchte, welche in der Gegend von London gelegen war, hatte sie dieselbe verlassen und, wie es hieß, sich nach einer der kleinern Städte Englands übergesiedelt; welche, war ihm unbekannt, und er vermochte mir nur den Namen des Bankiers anzugeben, der ihr die Leibrente ausbezahlte. Der Bankier nannte mir die Stadt, wo sie wohnte, und ich verließ London, um Mrs. Dowson aufzusuchen. Ich fand sie auch ganz richtig. Die Frau war etliche fünfzig Jahre alt, und von stolzem Aussehen. Mrs. Dowson gab ohne Zögern zu, daß sie meinen ältesten Sohn gekannt hatte, und daß sie von dem Oberst eine Leibrente bezog; gerieth aber bei der geringsten Andeutung, daß zwischen ihr und Wilhelm ein Verhältniß bestanden haben möchte, in förmlichen Zorn. Ich mußte England verlassen, ohne daß ich sie vermocht hatte, mir die geringste Aufklärung über die Vergangenheit oder auch nur eine Erklärung zu geben, aus welchem Grunde sie das Geld empfing. Was ich auch that, um sie umzustimmen, blieb fruchtlos, und ich kehrte nach Schweden zurück, ohne eine Spur von Wilhelms Kinde entdeckt zu haben. Ist es todt wie der Vater, und vielleicht mit ihm auf eine unnatürliche Weise umgekommen?«

Die Oberlandrichterin war nicht leicht zu erregen; aber nun fuhr sie mit dem Taschentuch nach den Augen und weinte. Ring fühlte sich verlegen und unschlüssig und sagte endlich:

»Ich kann an die Behauptung nicht glauben, daß Wilhelm Björnstam heimlich verheiratet war. Wir leben nicht in Romanen, sondern in der Wirklichkeit. Man geht heut zu Tage nicht heimliche Ehen ein, und was sollte außerdem Herrn Björnstam auch dazu veranlaßt haben? Ich meinestheils bin der Meinung, daß man Sie betrogen hat, gnädige Frau, als man Ihnen vorschwatzte, Ihr verstorbener Sohn habe Frau und Kind hinterlassen.

»Man hat mich in diesem Fall nicht betrogen,« rief die alte Frau; »ich habe ja die Briefe in meiner eigenen Hand gehabt. Sie sprachen nur allzu deutlich von Wilhelms Familie. Nein, Herr Kommissär, man hat achtzehn Jahre mich betrogen, als man dieses Kindes Dasein mir verbarg, und mein Sohn betrügt mich zu dieser Stunde. Glauben Sie, daß ich Moriz all seine Niederträchtigkeit verzeihen kann? Nein, ich will und werde ihn strafen.«

»Ich glaube, Frau Oberlandrichterin, Sie müssen Ihrer Sache sehr gewiß sein, ehe sie Oberst Björnstam eines so schweren Verbrechens anklagen, wie dasjenige ist, welches Sie ihm jetzt zur Last legen.«

»Ich bin es auch. Als ich nach der Entdeckung des Briefdiebstahls ihn aufforderte, mir Alles, was seines Bruders Heirat betraf, mitzutheilen, zog er in Abrede, daß Wilhelm verheiratet gewesen, und bat mich blos, alle Mittel aufzubieten, welche in meiner Macht ständen, um die Wahrheit hievon an's Licht zu bringen. Er verließ mich mit den Worten: Reisen Sie nach England, Mutter; suchen Sie dort in jedem Hause, und Sie werden keine Frau finden, welche Ihres Sohnes Gattin gewesen, so wenig, als ein Kind, welches ihm das Leben zu danken hat.«

Die Oberlandrichterin schwieg.

»Ich habe selbst die größten Vorurtheile gegen den Herrn Oberst gehegt,« äußerte der Kommissär; »ich habe in Folge von dem, was Sie gegen mich erwähnten, ihn im Verdacht gehabt, als trüge er eine Mitschuld an des Bruders Tode, und wäre der Urheber von dem traurigen Ende seiner Frau, aber …«

»Seine Frau,« fiel die Oberlandrichterin, ihn unterbrechend, ein. »Sie hatte ich vergessen. Auch sie war eine Engländerin. Ich habe sie niemals gesehen; ich konnte es damals nicht über mich gewinnen, mit meinem Sohn zusammenzutreffen. Ich werde nie vergessen, wie erbittert ich wurde, als ich erfuhr, daß er sich verheiratet hatte, und zwar drei Monate nach seines Bruders Hingang.«

»Die Oberstin Björnstam war keine Engländerin,« bemerkte Ring; »sie war aus Frankreich.«

»Aber er verheiratete sich mit ihr in England und schrieb von dort an mich, daß er eine Frau gefunden, für welche er gern seine Freiheit aufopfere.«

»Sie erinnern sich wohl noch ihres Geschlechtnamens, Frau Oberlandrichterin?« fragte Ring.

»Nein, ich wurde so aufgebracht über seine Keckheit mir zu schreiben, daß ich sogleich den Brief in's Feuer warf. Ich wollte niemals diese Frau sehen, welche den meinem geliebten Sohne abgenommen Raub mit ihm theilte. Erst als die Tochter ein Alter von elf Jahren erreicht hatte, gelang es Moriz, eine Versöhnung zwischen ihm und mir zu Stande zu bringen.«

»In diesem Fall kann ich Sie darüber aufklären, daß die verstorbene Frau Oberstin eine geborne Marquisin d'Aveyron war.«

»Und der Oberst zeigte sich ja so bösartig gegen sie, daß sie geisteskrank wurde, und sich das Leben nahm? Ah, Herr Kommissär, er wird seine Verbrechen schwer zu büßen haben! Sie, als ein erfahrener Mann, sollen mir einen Rath geben, wie ich ihn zu dem Geständniß zwingen kann, was aus meines Sohnes Kind geworden ist. Sie müssen ihn hassen; er hat Ihnen Ihre Bruderstochter entrissen, um sie zu Tode zu plagen, wie er es mit seiner ersten Frau gethan hat.«

»Frau Oberlandrichterin, ich hasse den Oberst nicht. Ich glaube vielmehr, daß er von mir, von Ihnen und von vielen Andern schwer verkannt worden ist. Daß er ein guter Mann gegen Majken sein wird, davon habe ich die vollste Ueberzeugung. Wäre der Oberst der Verbrechen schuldig, welche seine Mutter ihm zur Last legen will, so wird die Strafe auch ohne Sie nicht ausbleiben; aber ich halte dieß im höchsten Grad für unwahrscheinlich.«

Die Oberlandrichterin schaute Ring scharf an.

»Ihre Bruderstochter hat einen reichen Mann, und der Reichthum hat Ihnen den Geist verblendet. Darum sind Sie in Bezug auf den Oberst andern Sinnes geworden.«

»Und wenn ich, als der Oberst um Majken sich bewarb, dieselben Gedanken von ihm wie früher gehabt hätte, so wäre Majken wahrscheinlich seine Frau nicht geworden. Alles was ich inzwischen Ihnen rathen kann, gnädige Frau, ist, daß Sie sich nicht übereilen, sondern die Vorsicht das Wort führen lassen.«

Die Oberlandrichterin erhob sich.

»Ich kam hieher,« sagte sie, »in der Hoffnung, Ihr Gerechtigkeitssinn würde Sie geneigt machen, mir zu helfen, und ich reise von hier ab, dieser Hoffnung beraubt. An wen soll ich mich jetzt wenden, um den Schlüssel zu dem Räthsel zu finden, so daß meines geliebten Sohnes Kinder, wenn sie noch am Leben sind, nicht Mangel leiden dürfen, sondern in ihre legitimen Rechte eingesetzt würden? Vielleicht werden sie im Elend sterben, während ihres Vaters Bruder im Ueberfluß schwelgt.«

»Haben Sie, Frau Oberlandrichterin, noch nie mit Frau Thorén geredet,« fragte Ring, gerührt von dem betrübten Aussehen der alten Dame. »Sie ist die einzige, außer dem Oberst selbst, welche die Vergangenheit kennt.«

»Frau Thorén,« wiederholte die Oberlandrichterin. »Sie haben Recht, ich danke Ihnen für diesen Rath.« – Sie reichte Ring die Hand. – »Meine Reise hieher ist also doch nicht ganz vergeblich gewesen.«

Einige Minuten später sah Therese den Wagen hinwegrollen.

Ring stand auf der Schwelle und murmelte ihr nachsehend: »Die Frau hat eine furchtbare Hartnäckigkeit. Sie wird nicht eher aufhören, als bis es ihr gelungen, Schimpf und Schande über ihren Sohn und sich selbst zu bringen.«

 

XXXIII.

Es war ein finsterer Herbstabend, als Frau Thorén den Oberst mit seiner Familie nach der Reise ins Ausland wieder in Haraldshof willkommen hieß. Der erste Blick auf sie sagte dem Oberst, daß etwas Widerwärtiges ihm daheim in den Weg kommen würde. Er reichte darum Frau Thorén die Hand mit den Worten:

»Was ist geschehen?«

»Die Frau Oberlandrichterin ist gestern angekommen und …«

»Ist hier,« unterbrach sie der Oberst mit gerunzelter Stirne. »Sie haben wohl die Güte gehabt und dafür Sorge getragen, daß meine Mutter wohl aufgenommen wurde und die Zimmer, welche sie wünschte, erhielt.«

»Die Frau Oberlandrichterin war von der Reise unpäßlich und wünschte mein Schlafzimmer zu benützen; sie hielt es für das wärmste,« antwortete Fran Thorén.

»Und Sie haben in Wilhelms ehemaliger Wohnung einheizen lassen, damit sie morgen dieselbe beziehen kann?«

»Nein, das Befinden der Frau Oberlandrichterin hat sich sehr verschlimmert; sie ist jetzt ernstlich krank. Der Doktor ist hier gewesen und hat ihren Zustand bedenklich gefunden.«

»Meine Mutter schwer krank!« rief der Oberst. Das war ihm kaum begreiflich. Er konnte sich nicht erinnern, daß sie jemals unpäßlich gewesen war. Um so wunderbarer klang es in seinen Ohren.

Der Oberst warf seinen Reisepelz von sich und folgte Frau Thorén zu der Kranken.

 

XXXIV.

Drei Wochen kämpften Leben und Tod um die beinahe siebzigjährige Frau. Sie hatte allzu sehr auf ihren starken Körper vertraut, da sie vom Mai bis Oktober ununterbrochen auf Reisen begriffen war und ohne Rücksicht auf Jahreszeit oder Witterung sich allen möglichen Anstrengungen unterwarf, und dieß alles, um Licht in dem Dunkel zu suchen, welches die Familienverhältnisse ihres verstorbenen Sohnes umgab. Man stürmt jedoch nicht ungestraft auf seine Kräfte ein, wenn man ihr Lebensalter erreicht hat. Die Oberlandrichterin hatte sich eine schwere Erkältung zugezogen, welche mit dem Tod enden sollte.

Sie wurde von ihrem Sohn auf das liebevollste verpflegt. Die zwei letzten Tage war sie beinahe ununterbrochen mit dem Oberst allein. Frau Björnstam schloß ihre Tage mit einem warmen Segenswunsch für den, welchen sie zuvor beinahe verflucht hatte, und mit einer innigen Bitte um Vergebung für all das Unrecht, welches durch sie ihrem Sohn zugefügt worden war.

Der Oberst betrauerte aufrichtig seine Mutter zu nicht geringem Erstaunen von allen, welche das gespannte Verhältniß zwischen ihnen gekannt hatten. Das Begräbniß war, wie man zu sagen pflegt, würdig der Verstorbenen und des Vermögens von ihrem Sohne. Die Oberlandrichterin Björnstam wurde in derselben Gruft, wo ihr verstorbener Sohn bereits schlummerte, beigesetzt.



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