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Oft wünschte jetzt Nina den Lauf der Zeit aufhalten zu können, so glücklich fühlte sie sich. –
Gibt es denn auch irgend eine Zeit in unserem Leben, welche mit derjenigen verglichen werden kann, wo wir lieben und geliebt werden, – wo diese Liebe, frei von dem Kampfe der Leidenschaften, über alles, was uns umgibt, ein schönes Licht verbreitet? – Nur ganz wenige Menschen wissen, was eine solche Liebe in sich schließt; aber Diejenigen, die sie kennen gelernt haben, rufen gleich einem ausgezeichneten Schriftsteller: Es gibt nur eine reine Liebe! – obgleich die Nachbildungen derselben unzählig sind.
Ninas letztes Auftreten fand gegen Ende Mai statt. – Thora saß in Gesellschaft ihrer Tante und ihres Bräutigams im ersten Rang.
Nach dem Schluß der Vorstellung gingen Thora und Emil hinunter aufs Theater, wo sie mit Gras Hugo und Heinrich zusammentrafen.
»Ich glaube, daß auch Hugo auf unsere ausgezeichnete Sängerin wartet,« bemerkte Thora mit einem feinen Lächeln.
»Nein, ich warte auf meine Braut,« antwortete er.
»Mein Gott! was sagst du, ist es möglich, daß eine zukünftige Gräfin Oernhjelm sich auf dem Theater unter Schauspielerinnen, Lampenputzern und Coulissen aufhält? Das gibt ja einen Flecken an deinem adeligen Wappenzeichen!« rief Thora ironisch.
»Deine Ironie gleitet an meinem Ohr vorbei, ich werde sofort das Vergnügen haben, sie vorzustellen.«
»Auf dem Theater?«
»Gewiß.«
»Da ich jetzt Mitglied deiner stolzen Familie bin, so habe ich Lust – in Ohnmacht zu fallen,« scherzte Thora.
In demselben Augenblick kam Nina aus ihrem Ankleidezimmer heraus. Der Graf eilte auf sie zu, ergriff ihre Hand und trat Thora und Emil mit den Worten entgegen:
»Ich habe die Ehre, meine Braut vorzustellen.«
Thora erbleichte und mit Schmerz begriff sie jetzt den Unterschied zwischen der wahren Liebe und dem verworrenen unzuverlässigen Gaukelspiel der Leidenschaft. – Die erstere macht den Menschen zu einem Ideal von allem Großen und Schönen; die letztere befleckt die Seele und erniedrigt das Herz.
Emil sprach, sich verbeugend, einige Worte; Heinrich aber reichte dem Grafen seine Hand.
Darauf ging man zusammen nach Hause zu Nina, wo Thoras Vater, Kapitän Ahlrot und die Majorin sie bereits erwarteten.
Man soupirte heiter und scherzend, und trank dabei auf das Wohl der neu Verlobten.
Viele bittere und qualvolle Erinnerungen plagten Thora. Wie ganz anders war nicht alles jetzt gegen den Abend, an welchem Nina debütirte; auch damals waren sie bei ihr versammelt; aber damals lächelte das Leben voll anmuthiger Hoffnungen Thora entgegen; – jetzt dagegen war dieses Leben um alles beraubt und das Herz unheilbar verwundet. Während diese Erinnerung Thora peinigte, lächelten doch ihre Lippen und ihre Unterhaltung zeichnete sich durch Witz und Geist aus. – Thora suchte durch eine erzwungene und übertriebene Heiterkeit den Schmerz in ihrem Innern zum Schweigen zu bringen. Aber das unheimliche Feuer in den großen schwarzen Augen glich einer verkörperten Versuchung.
»Thora, du scheinst sehr heiter und glücklich zu sein. Ich würde mich mit meinem Schicksale ausgesöhnt fühlen, falls deine Freude wahr wäre,« bemerkte Heinrich leise.
»Sprich mir nicht von Wahrheit. Was ist mein ganzes Leben anders, als eine Unwahrheit?« antwortete Thora. Ein unheimlicher Blitz schoß aus ihren Augen.
Am Tage darauf ließ Graf Hugo sich bei seiner Mutter anmelden; aber bevor wir über diesen Besuch Bericht abstatten, dürfte es nöthig sein, einige Worte über seinen Charakter zu sagen.
Hugo war das einzige Kind seiner Eltern und einziger Erbe des Oernhjelmschen Vermögens. – Von seiner zartesten Kindheit an suchte die Mutter ihm ihre aristokratischen Ideen einzuprägen; aber ein rächendes Geschick wollte, daß der junge Graf trotzdem Ansichten huldigte, welche den ihrigen entgegengesetzt waren. Er konnte niemals einen Stolz und einen Uebermuth begreifen lernen, welcher einzig und allein seinen Grund in ererbten Auszeichnungen hatte. Seiner Seele waren die Worte unseres humoristischen Dichters eingeprägt:
»Wenig helfen dir die Ehren,
Die den Ahnen nur gebühren;
Von den Thaten, von den hehren
Keine dich zum Ruhme führen.«
Als Hugo zum Manne herangewachsen war, ging er seinen eigenen Weg. Er wählte zu seinen Freunden und Kameraden nur verdienstvolle und ausgezeichnete Männer und dabei war keine Rede von der Geburt. – Hugo hatte niemals eine verschwenderische Geliebte gehabt und niemals große Summen auf Spiel und Schmausereien verwendet; er hatte kein armes Mädchen verführt oder den Frieden irgend einer Familie gestört. Kurz, er hatte nichts von alle dem gethan, wodurch junge reiche Edelleute sich so oft auszuzeichnen pflegen, oder was unter ihnen zur Tagesordnung gehört. Er galt auch bei denselben für einen Pedanten. Die Zeit des jungen Grafen wurde auf Studien, Reisen und auf diejenigen Genüsse verwendet, welche die schönen Künste uns bieten.
Mit wirklichem Aerger betrachtete seine Mutter die Entwickelung dieser Sitten und Gewohnheiten ihres Sohnes. Sie hätte es weit lieber gesehen, wenn er seine Einkünfte auf eine ausschweifende Lebensweise und andere gewöhnliche Vergnügungen in Gesellschaft von Seinesgleichen verschleudert hätte, wenn auch diese Vergnügungen, in moralischer Beziehung, weniger edel gewesen wären. – Aber wir kehren jetzt zum Besuch des Sohnes bei der Mutter zurück.
Die Gräfin blätterte in einem eben angekommenen Modejournal.
»Willkommen, Hugo! – warst du gestern im Theater? – Ich sah dich nicht,« sagte die Gräfin.
»Ich war im Theater, meine Mutter,« antwortete Hugo und küßte ehrerbietig die Hand der Mutter.
»Nun, wie gefiel dir die Sängerin? Sie singt charmant, jenes Mädchen da. Weißt du, ob es wahr ist, daß sie beabsichtigt, von der Bühne abzutreten? Man behauptet sogar, daß du etwas dabei betheiligt sein sollst.«
»Meine Mutter bestürmt mich mit Fragen. Ich werde jedoch versuchen, sie zu beantworten. Ihr Gesang war, wie immer, der Erguß einer schönen Seele.«
»Du bist viel zu hochtrabend. – Solche Personen singen nur fürs Geld, weil sie von der Natur mit Stimme begabt sind; – siehe, das ist Alles!«
»Sie irren sich, meine Mutter. Nina Adler ist nur deshalb Künstlerin und Sängerin, weil sie die Musik liebt. – Sie ist ein wahrer Engel!«
»Ja, ein Theaterengel, s'il vous plaît,« corrigirte die Gräfin mit Ironie.
»Laß uns nicht um Worte streiten, sondern zu der anderen Frage, ihr Abtreten von der Bühne betreffend, übergehen, worauf ich bestimmt antworten kann: daß es gestern das letztemal war, daß sie das Publikum mit ihrem Gesang entzückte.«
»So! – es ist vielleicht auch nicht unbegründet, was man sich von deinen häufigen Besuchen bei ihr zuflüstert.«
»Was flüstert man denn?«
»Daß du jenen bürgerlichen Bastard, die Cousine der Fräulein Thora, zu deiner Geliebten zu machen gedenkst. – Nicht so übel, mein Sohn; das kann als eine gerechte Strafe für meinen ehrvergessenen Bruder gelten.«
»Das ist eine schändliche Verleumdung. – Wohl ist es wahr, daß ich Nina von ganzem Herzen liebe, aber gerade darum ist eine solche Handlung unmöglich. Ich beabsichtige im Gegentheil, ihr meinen Namen zu geben, ich …«
»Hugo! wie kannst du es wagen, ein so unverschämtes Gaukelspiel mit deiner Mutter zu treiben?« rief die Gräfin und sprang auf mit einem vor Zorn flammenden Gesichte.
»Verzeihe mir, wenn meine Rede so wenig den Stempel der Wahrheit an sich trägt, daß du das, welches mein fester, unabänderlicher Entschluß ist, für einen unpassenden Scherz aufgenommen hast.«
»Bist du denn thöricht genug, zu glauben, daß ich es dir erlauben würde, eine öffentliche Sängerin, ein Mädchen aus dem großen Haufen, ein Weib, welches auszuzischen oder hervorzurufen jeder Matrose für zwölf Schillinge das Recht hat, und dessen Ehrgeiz nicht weiter gehen darf, als deine Geliebte zu werden, – kurz ein Wesen ohne Namen und Ansehen – zu heiraten. – Du hast dich grausam getäuscht, falls du einen solchen Gedanken gehegt hast. Nein, als deine Mutter befehle ich dir, solchen Grillen zu entsagen. O, mein Gott! haben wir denn nicht hinreichenden Schimpf dadurch erlitten, daß dein Onkel sein uneheliches Kind adoptirt hat, ohne daß du nöthig hast, denselben noch zu vergrößern?«
»Zum erstenmal in meinem Leben bin ich gezwungen, ungehorsam zu sein. – Ich liebe dieses edle und erhabene Mädchen mit einem Gefühl, welches ebenso stark und warm ist, wie mein Leben und deshalb, meine Mutter, muß ich handeln, wie mein Herz und meine Ehre es gebieten. – Es gibt keine irdische Macht, welche mich bewegen kann, meinen Entschluß zu ändern.«
Die Gräfin erbleichte.
»Du willst also durch diese Ehe deine Ahnen entehren und deine Mutter tödten?«
»Meine Mutter ist eine Frau und wird als solche mit feinem Gefühle und Takt die Sache auffassen. Den Namen meiner Ahnen ehre ich am besten dadurch, daß alle meine Handlungen eines Ehrenmannes würdig sind. Aber niemals wird dieser Name mich daran hindern, die zu meiner Gattin zu wählen, welche mein Herz für würdig hält; möge ihre Geburt noch so gering sein, wenn nur ihr Charakter und ihre Sitten rein sind.«
»Sind dieß deine letzten Worte?« fragte die Gräfin mit zitternder Stimme.
»Ja, das ist mein fester Entschluß,« antwortete der Graf in ruhigem Tone.
»Höre denn auch den meinigen: Wenn du es wagst, jenes elende Wesen zu deiner Gattin zu machen, dann verfluche ich dich.«
Mit emporgehobenem Haupte, mit stolzer Miene und in kaltem Tone sprach die Mutter diese entsetzlichen Worte, welche ihr ein grenzenloser Hochmuth diktirte.
Hugos Gesicht spiegelte einen bitteren Schmerz wieder und ein krampfhafter Seufzer arbeitete sich aus seiner Brust hervor. Er blickte die Mutter ernst an, und sprach dann mit Entschiedenheit:
»Nein, meine Mutter, das können Sie nicht, denn ich habe kein Recht auf den glänzenden Namen Oernhjelm. – Gleich Thora bin ich auch nur ein – Bastard; obgleich ich heimlich dem stolzen Stammbaum eingeimpft worden bin.«
Die Gräfin starrte den Sohn bestürzt an.
»O, meine Mutter, verzeihen Sie mir, daß ich Sie vor Ihrem eigenen Kinde demüthige.«
»Gehe, verlasse mich!« befahl die Mutter mit eisiger Kälte.
»Sage erst, daß du deinem Sohne verziehen hast.«
»Geh, sage ich! – morgen werden wir uns sprechen.«
Hugo entfernte sich.
Als der Graf fort war, rief die Gräfin in Raserei:
»Wie kennt er denn mein Geheimniß? – Ah, ich muß mich an diesem Weibe rächen, welches mir eine solche Demüthigung verursacht hat. – Eine Gräfin Oernhjelm und solches erdulden müssen – wegen einer Schauspielerin. Ich werde sie, eben so gut wie die Amalie Heyse, lehren, meinen Interessen nicht zu nahe zu treten.«
Die Gräfin läutete und befahl, daß ihr Wagen vorfahre.
Ganz unbekannt mit dem Auftritt zwischen Hugo und seiner Mutter, saß Nina in dem kleinen einfachen Salon, welcher für sie und ihren Bruder gemeinschaftlich war, als Dora eine ältere Dame anmeldete, welche sie zu sprechen wünsche; bevor aber Nina antworten konnte, stand sie bereits in der offenen Thüre.
Nina erkannte sofort die Gräfin Oernhjelm, welche sie so oft im Theater gesehen. Bei ihrem Anblick schauderte Nina unwillkürlich zusammen, denn sie sah voraus, daß diese hochmüthige und kalte Dame gekommen sei, um den Gegenstand ihrer Liebe zurückzufordern. Aber Ninas Herz empörte sich gegen ein solches Opfer, welches nur von Standesvorurtheilen diktirt wurde. Sie fühlte sich vollkommen würdig, Hugos Gattin zu werden. In diesem Gefühle begegnete Nina mit erhobener Stirne und mit ruhigem Blicke den verächtlichen Blicken der Gräfin und begrüßte sie in würdevoller und ehrerbietiger Weise.
»Sie sind es also, Mamsell, die Ihren Ehrgeiz nicht dadurch befriedigt finden, die Geliebte des Grafen Oernhjelm zu sein, sondern nähren noch die thörichte Hoffnung, sich seinen Namen erschleichen und die Stelle einer Gattin an seiner Seite einnehmen zu können?« – begann die Gräfin in einem unbeschreiblich verächtlichen Tone.
»Frau Gräfin, Sie irren sich; ich bin nie und kann nie die bloße Geliebte des Grafen werden.«
»Welchen Namen wollen Sie denn Ihrem gegenwärtigen Verhältnisse zu ihm geben? – Doch ich bin nicht hieher gekommen, um mich mit Ihnen in einen Wortstreit einzulassen, sondern um in meiner Eigenschaft als Mutter von ihm zu erklären, daß Sie wahnsinnig sind, wenn sie einen einzigen Augenblick ernstlich den Gedanken gehegt haben, mit Graf Oernhjelm verheiratet zu werden. Wenn es Ihnen auch durch List und Koketterie gelungen ist, meinen Sohn so weit zu bethören, daß er in wahnwitziger Raserei Ihnen ein solches Versprechen gegeben hat, so ist dieses doch nicht mit mir, seiner Mutter, der Fall. Oder glauben Sie wirklich, daß ich es zugeben würde, daß eine Schauspielerin, ein Theatermädchen sich mit meiner Familie verbindet?«
»Frau Gräfin, obgleich ich Schauspielerin und Theatersängerin bin, so findet sich kein Flecken an meiner Ehre; nichts, weder in meinem früheren noch in meinem gegenwärtigen Leben, das mich Ihres Sohnes unwürdig machte. – Nein, Frau Gräfin, in diesem Augenblick fühle ich mich seiner vollkommen würdig,« sprach Nina mit einem so edlen Selbstvertrauen, daß es die Frau Gräfin zum Aeußersten brachte.
» Sie, meines Sohnes würdig!« rief sie mit flammenden Augen. »Sie, welche einer dem Verderben geweihten Klasse angehören. Sie, ein Weib, welches Jedermann das Recht hat, mit entehrenden Anerbietungen zu erniedrigen. Sie sprechen von Ehre; wann haben denn Schauspielerinnen eine solche gehabt? – Ihre Keckheit ist wahrhaft beispiellos.«
»Gnädige Frau, Sie vergessen sich, und ich bitte Sie, mit Ihren Beleidigungen aufzuhören, welche nur diejenige erniedrigen, die sie ausspricht. – Sie haben mich besucht, was wünschen Sie, Frau Gräfin?«
Ninas Sprache war eine ruhige, aber ihre Wangen wurden bleich.
»Und das fragen Sie? – Ist denn nicht mein unglücklicher Sohn so verblendet worden, daß er Sie zu seiner Gattin nehmen will, – und Sie fragen noch, was ich will! – Ich will Ihnen sagen, daß diese Ehe weder stattfinden kann, noch soll, noch darf.« –
» Sie wollen es nicht, Frau Gräfin; aber aus welchen Gründen?«
»Weil mein Sohn damit unserem Namen einen unauslöschlichen Schandfleck anthun würde.«
»Mein Leben ist rein, meine Ehre unbefleckt; ich kann also niemals einen Namen erniedrigen.«
»Mamsell,« fuhr die Gräfin mit künstlicher Ruhe fort. – » Versuchen Sie, mich zu verstehen, Hugo ist jetzt durch Ihre Jugend, durch Ihren Gesang und Gott weiß durch was geblendet, und sein angeborener Stolz ist augenblicklich durch seine Neigung zurückgedrängt worden, wenn Sie aber einmal seine Gattin geworden sind, dann wird er von seiner ganzen Familie so vielen Unwillen erfahren, daß das verletzte Ehrgefühl schließlich seine Liebe verwischen wird. – Sie haben dann sein ganzes Leben der Demüthigung, der Reue und dem Unglücke geweiht. Und es wird der Tag kommen, wo er seiner Verirrung und – Ihnen flucht.«
Nina zitterte, antwortete aber mit Wärme:
»O nein, Frau Gräfin; Sie kennen nicht den edlen und erhabenen Charakter Ihres Sohnes, wenn Sie glauben, daß er aufhören könnte, mich zu lieben, so lange ich seiner würdig bleibe. Hochmuth gedeiht nicht in einer Seele wie die seinige und niemals, Frau Gräfin werde ich aufhören, an seine großmüthige Denkweise zu glauben.«
»Sie bleiben also fest dabei, seine Gattin werden zu wollen?« Die Stimme der Gräfin zitterte.
»Ja, – er besitzt meine Liebe und meine Treue; nur der Tod, oder er selbst, können mich meines Gelübdes entbinden.«
»Sie wollen unter der Maske der Liebe und der Treue sich in eine der vornehmsten Familien unseres Landes hineindrängen.«
»Wozu nützt es denn, daß ich hierauf antworte, Sie werden mich doch nicht verstehen. – Ich bin sogar bereit, mich der erniedrigenden Beschuldigung auszusetzen, daß ich es aus Ehrgeiz thue; denn ich liebe ihn von meinem ganzen Herzen.«
»Einer solchen erniedrigenden Beschuldigung können Sie entgehen und auch mir einen tödlichen Schimpf ersparen, wenn Sie als die Geliebte Hugos nur Ihrer Liebe leben. Sie werden dann immer auf meine Erkenntlichkeit und Freigebigkeit rechnen können …«
»Halten Sie ein! gnädige Frau, und sprechen Sie nicht einen Vorschlag aus, der Ihre Lippen erniedrigt. Hätte Ihr Sohn mich einer elenden Leidenschaft opfern und mein Leben der Schande weihen wollen, dann, Frau Gräfin, hätte ich ihn niemals lieben können und Sie nie Gelegenheit bekommen, mit Ihren Worten mein Herz zu verletzen. Aber jetzt gebietet mir meine Liebe, daß ich nicht wegen eines unbedeutenden, nichtssagenden Vorurtheils das künftige Glück von Hugo und mir opfere.«
»Ist das Ihre einzige Antwort?«
»Ach! gnädige Frau! mein Herz wünschte eine andere Sprache gegen Sie zu führen, aber Sie wollen es nicht; – ich habe also nichts mehr hinzuzufügen.«
»Nun gut, wenn Sie nicht von dieser Verbindung abstehen, dann werde ich – den Fluch einer Mutter auf das Haupt meines Sohnes schleudern.«
Mit einem Ausruf des Schmerzes verbarg Nina das Gesicht in ihren Händen.
» Den werden Sie nicht aussprechen können, meine Mutter!« tönte Hugos Stimme durch die offene Thüre. Er trat auf Nina zu und sagte in zärtlichem Tone:
»O, du meine treue Nina! welche mit einer so edlen Standhaftigkeit für unsere Liebe gestritten, weine nicht, meine Mutter kann ihren Sohn nicht verfluchen, weil er das edelste Weib liebt, das er je gekannt.«
»Kann ich nicht?« rief die Gräfin.
»Nein!« antwortete Hugo bestimmt; und indem er sich seiner Mutter näherte, flüsterte er ihr zu:
»Ich würde dann dem Namen Oernhjelm entsagen, den meines Vaters annehmen und landflüchtig werden.«
Die Gräfin wurde blaßgelb und verließ schweigend, aber mit stolzer Haltung das Zimmer.
Nina war in einen Fauteuil gesunken; einige langsame, aber bittere Thränen flossen über ihre Wangen; Hugo ergriff ihre Hand, welche er ehrfurchtsvoll an seine Lippen führte, und sagte:
»Geliebte Nina, verzeihe mir, daß ich dir nicht diesen schmerzlichen Auftritt habe ersparen können.«
»Ich weiß sehr gut, daß du, wenn du dem, was vorgekommen ist, hättest vorbeugen können, es auch gethan haben würdest; aber mir war diese Prüfung bestimmt.«
Nina fuhr fort zu weinen.
»Jede deiner Thränen, Nina, brennt mir auf dem Herzen, wie ein Vorwurf; denn es ist um meinetwillen, daß du leidest.«
»Hugo, diese Stunde ist bitter; aber sie würde früher oder später gekommen sein. Höre mich deßhalb ruhig an. Wir müssen uns auf einige Zeit trennen! Unterbrich mich nicht, sondern laß mich bis zum Schluß ausreden, mein Geliebter. Wenn ein Tag kommen sollte, an welchem du mich nicht mehr liebtest, wenn deine Liebe nur eine Geburt deiner Phantasie und nicht ein in deinem Herzen wurzelndes Gefühl wäre, dann würdest du auch eines Tages aus dieser Illusion erwachen und vielleicht es schmerzlich empfinden, daß du mit einer Sängerin verheiratet bist. Dieses Erwachen würde für uns Beide entsetzlich sein. Darum mußt du dein Inneres genau prüfen, während wir einige Zeit getrennt leben. Ich mache eine Reise nach Italien, du bleibst hier, ohne daß wir während dieser Zeit auch nur Briefe mit einander wechseln.«
»Nina, Nina! Welche entsetzliche Rache nimmst du an mir um meiner Mutter willen!« rief Hugo schmerzlich.
»Rache? – Nein, Hugo, du kannst nicht an so etwas denken, denn das Gefühl ist mir gänzlich fremd; aber ich will nicht, daß ein Mißgriff uns einem langen und reuevollen Leben weihen soll. Dieß ist mein einziger Beweggrund.«
»Und wozu eine solche Prüfung, die ja ganz überflüssig ist? Hast du nicht so viel Vertrauen zu mir, daß du weißt, daß ich, bevor meine Lippen die Gefühle meines Herzens aussprachen, es auch genau geprüft hatte? Glaubst du denn, daß ich, welcher nur immer nach meinem eigenen Gutdünken gelebt, mir auf eine Ehre etwas einbilden würde, welche nur eine ärmliche ist und an die ich selbst gar keinen Antheil habe? Oder glaubst du nicht, daß mein Verstand mir sagt, daß du weit mehr meiner Liebe, meiner Bewunderung und meines Namens würdig bist, als irgend ein anderes Mädchen, welches, von aufmerksamen Eltern bewacht, wegen Mangel an Versuchung tugendhaft ist? Nein, Nina, ich kann es nicht bereuen, denn in dir habe ich ein so edles Weib gefunden, daß jeder Mann mit Grund sich glücklich schätzen könnte, dir sein Leben anbieten zu dürfen. Warum denn uns eine zwecklose Entsagung auflegen, welche uns nur lange Zeit unseres Glücks berauben wird?«
»Ich glaube fest und vollkommen an jedes deiner Worte, und darum bin ich auch stark. Aber aus Achtung vor deiner Mutter müssen wir unsere Verbindung verschieben und weit von einander leben. Sie bedarf dieser Zeit, um sich zu beruhigen und an eine Verbindung zu gewöhnen, die ihr so verhaßt ist. Du wärest nicht der Hugo, den ich so hoch liebe, wenn du nicht ein Jahr deines Glückes um deiner Mutter willen opfern könntest.«
Noch lange stritten Hugo und Nina mit einander; aber sie trug den Sieg davon.
Drei Wochen darauf reisten Nina und Kapitän Ahlrot nach Italien.
Ein Jahr war verflossen. Es ist im Frühling, wo wir den Leser wieder in das Haus der Majorin Alm einführen. Wenn man in das Vorzimmer eintritt, blickt man vergebens nach dem Namen der würdigen Dame. An dessen Stelle prangt in vergoldeten Buchstaben: Emil Liljekrona. Würde aber der Leser nach der Majorin fragen, so wohnt sie eine Treppe höher, in einer geräumigen und eleganten Wohnung. Wir unseres Theils machen einen Besuch im Atelier.
Thora saß vor ihrer Staffelei und arbeitete. Die frische Röthe auf ihren Wangen verbreitete einen anmuthigen Glanz über das Gesicht, die Augen strahlten von Begeisterung.
Auf der andern Seite des Ateliers saß Emil ebenfalls vor einem Gemälde; aber er malte nicht. Die Arme über die Brust gekreuzt, betrachtete er seine junge, schöne Frau mit einem Blick, welcher viel einander widerstreitende Gefühle verrieth. Derselbe drückte Zärtlichkeit, Bitterkeit und Neid abwechselnd mit Bewunderung und Schmerz aus.
Thora war so ausschließlich von ihrer Beschäftigung in Anspruch genommen, daß sie gänzlich zu vergessen schien, daß er anwesend war.
Endlich stand Emil auf und trat leise hinter Thora und betrachtete ihre Arbeit.
Ein tiefer, krampfhafter Seufzer arbeitete sich aus seiner Brust hervor.
Thora fuhr zusammen, drehte sich um und fragte:
»Ist es dir unwohl?«
»Nein,« antwortete Emil trocken.
»Was fehlt dir denn, mein Freund?«
Thora stand auf.
»Mir fehlt Alles,« antwortete Emil mit Bitterkeit, »mir fehlen Glück, Frieden und vor allem Ehre. Du hast Alles an dich gerissen und mir nichts gelassen.«
»Wieder diese Sprache, welche ich nicht verstehe. Habe ich dir denn mehr versprochen als das, was ich zu erfüllen im Stande war? Ich glaube es nicht.«
»O nein, du hast im Gegentheil das erfüllt, was du nie versprochen hattest. Wir sind jetzt bald ein Jahr verheiratet und welches Jahr! … Von einer blinden, thörichten Liebe getrieben, verband ich mein Geschick mit dem deinigen. Ich hoffte, an deiner Seite das höchste irdische Glück zu finden; aber was habe ich denn gefunden? – Mein Unglück, mein Verderben. Ich liebte dich bis zur Tollheit, und du schenktest mir eine Neigung, die so launenvoll war, wie dein ganzes Wesen. Ich wollte in dir das Weib, die Gattin anbeten, fand aber ein Wesen, welches sich von seinen Pflichten losgetrennt hatte, und von Selbständigkeit und Emancipation träumte. Wir arbeiteten zusammen; deine Bilder machten Aufsehen und wurden preisgekrönt; aber die meinigen blickte man nicht an. Du wurdest die Meisterin, ich nur der Pfuscher. Ach, Thora, begreifst du denn nicht meinen Abscheu vor einem solchen Leben: Von einem Weibe, von seiner eigenen Frau übertroffen zu werden, das ist die höchste Erniedrigung. Daß ich in meiner Liebe getäuscht wurde, das hätte ich ertragen können; aber daß mein Ruf als Künstler durch dich gelitten hat, das verzeihe ich dir niemals.«
»Emil, du bist hart und ungerecht. Vielleicht haben mich meine Ansichten über die Stellung der Frau geirrt und dieselbe von einem viel zu erhabenen Gesichtspunkt betrachtet. Darin habe ich möglicherweise Unrecht gehabt; obgleich ich es noch nicht einsehe. Was aber unsere Bestrebungen als Künstler betrifft, welche du zum Gegenstand eines Streites gemacht hast, so ist der Fehler gewiß nicht der meinige gewesen, es war ja dein eigener Wunsch, daß wir uns Beide um den Preis bewerben sollten. Warum mir die Folgen von dem vorwerfen, was du selbst vorgeschlagen hast? Und übrigens, was beweist denn der Umstand, daß man mich ausgezeichnet hat? Daß die Forderungen, welche man an eine Frau stellt, geringer sind, während ich, wäre ich ein Mann gewesen, vielleicht niemals bemerkt worden wäre. Deßhalb weder darfst noch kannst du mir zürnen.«
»Dein Bemühen, dein eigenes Talent herabzusetzen, erniedrigt mich nur. Glaubst du denn nicht, daß ich selber einsehe, daß du mir überlegen bist? Betrachte diese Winterlandschaft, die du malst, und diejenige, die ich in der Arbeit habe, und du wirst sofort finden, wie kränkend deine Entschuldigungen sind,« erwiderte Emil heftig.
Thora stellte sich schweigend vor Emils Bild. Sie bemerkte die großen und unverbesserlichen Mängel an demselben, und seufzte:
»Es mißlingt dir nur deßhalb, Emil, weil du ein Genre wählst, welches nicht das deinige ist. Verlasse dasselbe und werde das, wozu dich die Natur bestimmt hat: Porträtmaler. Siehe hier dein Meisterstück,« fügte sie hinzu, und zog einen Vorhang zurück, welcher ein Bild verbarg. Es war ein Porträt von Thora, aber so ähnlich, so gelungen, daß man glaubte, sie selbst zu sehen. Emil betrachtete es schweigend. Seine Züge wurden weich und ein zärtlicher Ausdruck verdrängte für einige Augenblicke das Bittere und Unruhige in denselben.
»Thora! Es ist ja dein Bild, wie wäre es da möglich, daß es mir nicht gelungen wäre?« Darauf fuhr er mit Bitterkeit fort:
»Siehst du nicht, daß du und immer du es bist, welche mir den wenigen Glanz verleiht, der mich umgibt?«
»Emil, ich werde aufhören, zu malen, wenn es eine Quelle von Leiden für dich ist,« und Thora faßte jetzt freundlich die widerstrebende Hand des Mannes.
»Wozu nützt ein solches Opfer? Kann das aus meiner Seele das Bewußtsein entfernen, daß du mir überlegen bist? Kann das den Durst nach Ruhm stillen, welcher mich verzehrt, dessen Befriedigung du aber unmöglich machst? Kann das deine Meisterstücke ungeschehen machen? Kurz, wird das mir jetzt mehr nützen? Nein, Thora, ich bin dazu verurtheilt, in meinem Herzen den unauslöschlichsten Neid, den bittersten Haß gegen dich zu nähren, obgleich ich dich bewundern muß als mein schönstes Modell.«
Thora warf mit einer verächtlichen Bewegung den Kopf zurück. Ueber ihre Stirne glitt eine dunkle Wolke, der Blick wurde kalt und um die Lippen spielte ein bitteres Lächeln.
»Alles das hättest du bedenken sollen, bevor du unsere Verbindung schlossest; der Werth meiner Arbeiten war damals schon so hinreichend bekannt, daß du es hättest müssen beurtheilen können, ob du meinem Talente gewachsen wärest. Unser Leben in einen ewigen Wettstreit zu verwandeln, wäre eine große Ungereimtheit. Dein Modell bin ich nicht gewesen, und habe mich auch nicht als solches verheiratet.«
Thoras Ton war eiskalt.
»Du warst das Ideal meiner Träume, du warst dazu bestimmt, meine Gattin zu werden; aber du wurdest meine Rivalin, und bist jetzt die Feindin meines Rufes. Siehe, das ist die Rolle, die du gespielt, das ist das Schicksal, welches du mir bereitest hast,« antwortete Emil langsam und betonte jedes Wort. »Ich besuche in einer Stunde die Ausstellung und will, daß du mich begleitest,« fügte er hinzu, und ging in den angrenzenden Salon.
Als Thora allein war, drückte sie ihre beiden Hände an ihre Brust und dachte:
»Dein Ehrgeiz hat deine Liebe verjagt, derselbe wird auch das schwache Band der Neigung zerreißen, welches mich an dich gefesselt hat, und dann …«
In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre zum Atelier und ein junger Mann, welcher in einen eleganten Mantel gekleidet war, trat ein.
»Komme ich ungelegen? Störe ich Eure Gnaden?« fragte der Eintretende.
»Durchaus nicht, Herr Baron! Aber bleiben Sie vor allen Dingen einen Augenblick still stehen, ich muß Ihren Mantel zeichnen; derselbe ist vortrefflich drapirt,« sagte Thora lachend. Mit einigen flüchtigen Strichen brachte sie den ganzen Mantel aufs Papier. Als dieses geschehen war, fragte sie:
»Was führt den Herrn Baron heute hieher?«
»Ihre Weigerung gestern gegen mich bei der Majorin, den morgenden Ball bei Oberst ***stjerna zu besuchen. Warum wird meine Tante nicht die Ehre haben, Sie zu sehen? Sie hatten doch versprochen, zu kommen. Ich könnte nicht leben, ohne mich zu vergewissern, daß Ihre Weigerung nur ein Scherz ist.«
»Ich war zwar gestern entschlossen, den Ball nicht zu besuchen, aber ich habe mich eines andern besonnen, und werde mich einfinden. Entschuldigen Sie, Herr Baron, daß ich mich jetzt anziehen muß, um mit meinem Manne die Ausstellung zu besuchen.«
»Auch ich beabsichtige, dorthin zu gehen. Eure Gnaden werden mir doch morgen den ersten Walzer gönnen?«
Der Baron ergriff Thoras Hand und führte sie an seine Lippen.
»Gern! Leben Sie wohl, Herr Baron.«
Thora zog ihre Hand zurück, und der Baron entfernte sich.
Als Thora sich in ihr Toilettenzimmer begab, dachte sie:
Das Schicksal hat also beschlossen, daß ich mein Leben in diesen geistesarmen Zerstreuungen hinschleppe, um meinen Erinnerungen und meiner Heimat zu entfliehen. O Axel! zu welchem traurigen Loose hast du mich verurtheilt? Und ich selbst, ich arme Thörin, welche die aufrichtige Neigung Heinrichs um des Traumbildes der Selbständigkeit willen verschmähte und dabei ganz und gar vergaß, daß die Frau niemals Frieden finden kann, wenn sie mit ihrem eigenen Manne wetteifert. Nachdem ich jetzt um meine Liebe, um meine Ehe betrogen worden bin, was bleibt mir nun noch übrig?«
Diejenigen Zimmer in Prinz Gustavs Palast, welche für die Ausstellung geöffnet waren, wimmelten von Leuten. Besonders zogen zwei historische Gemälde die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Gruppe von Personen hatte sich vor denselben versammelt, als Emil und Thora eintraten; er näherte sich der Gruppe, obgleich Thora ihn bat, nicht hinzugehen und sie beide der Gefahr auszusetzen, ein unsanftes Urtheil über ihre eigenen Arbeiten hören zu müssen.
»Liljekronas Bild ist nicht ohne Verdienst; aber neben dem von seiner Frau verschwindet es gänzlich und hat keinen Werth,« bemerkte einer der Zuschauer.
»Es ist ein lächerlicher Egoismus von ihm, welcher nur ein mittelmäßiges Talent besitzt, seine Arbeit in eine Reihe mit der ihrigen stellen zu wollen. Er müßte doch einsehen können, daß er ihr gegenüber eine untergeordnete Stellung einnimmt,« sagte ein Anderer.
»Er ist ein Narr, daß er auch nur den Versuch macht, mit ihr zu wetteifern,« ließ sich ein Dritter vernehmen. »Und übrigens, meine Herren, wer weiß, ob nicht die Frau seiner Pfuscherei noch gehörig nachgeholfen hat; denn bevor sieLiljekrona zum Manne nahm, hörte man niemals von ihm als Künstler sprechen. Das ist mehr als wahrscheinlich. Von diesem künstlerischen Paare kann man also sagen:Daß sie ihn, und nicht er sie genommen hat. Denn in Beziehung auf Geist, Talent und Fähigkeiten steht sie weit über ihm,« bemerkte ein kleiner Herr, welcher ganz nahe bei Emil stand.
»Hörst du? Komm ich will fort von hier.«
Beim Ausgehen begegneten sie dem Baron Linden, demselben, welcher kurz vorher Thora in ihrem Atelier besucht hatte. Er grüßte.
»Wollen der Herr Baron die Güte haben, meine Frau zu begleiten? Ein plötzliches Unwohlsein zwingt mich, sie für kurze Zeit zu verlassen,« sagte Emil in aufgeregtem Tone.
»Mein Freund, ich begleite dich und enthebe den Herrn Baron der Mühe, mein Begleiter zu sein,« antwortete Thora.
»Mein Wunsch ist, daß du hier bleibst,« fiel Emil in einem fast befehlenden Tone ein.
Thora wandte sich langsam gegen den Baron, sie heftete dabei einen so schmerzvollen Blick auf ihren Mann, daß derselbe Emil eine Sekunde zurückhielt; darauf stürzte er aber hinaus.
Als er verschwunden war, sprach Thora zum Baron:
»Haben Sie die Güte, mich nach Hause zu begleiten?«
»Aber meine Gnädige, wir haben heute die letzte Ausstellung; es wäre doch Schade, wenn Sie dieselbe versäumten. Gönnen Sie mir das Glück, während einer Stunde Ihr Cavalier sein zu dürfen.«
»Heute nicht, aber morgen auf dem Ball.«
Thora näherte sich der Thüre mit raschen Schritten.
Binnen wenigen Minuten stand Thora in ihrem Hauseingang wo sie den Baron dankend verabschiedete. Leicht wie ein Geist schlich sie ins Atelier, wo sie ihren Mann vor ihrem Porträt stehen sah. Leise legte Thora ihre Hand auf seine Schulter. Emil wandte sein bleiches, entstelltes Gesicht gegen sie.
»Was willst du? Ist es deine Absicht, mich zu verfolgen und zu verhöhnen, um sogar in meiner Einsamkeit die Triumphe zu feiern, welche du auf meine Kosten genossen hast?« fragte Emil mit einem bittern Lächeln.
»O nein, ich komme, um als Freundin mit dir zu theilen …«
»Meine Freude!« fiel Emil hohnlachend ein. »Ach, ich begreife vollkommen deine edle Theilnahme. Du sagtest ja, daß dieses Bild mein Meisterstück sei?«
Emil deutete auf Thoras Porträt.
»Dasselbe wiederhole ich noch! Gewiß hätte das Publikum deinem wirklichen Talente Gerechtigkeit wiederfahren lassen, wenn du das Bild auf die Ausstellung gebracht.« – »Willst du von mir hören, was man dann gesagt haben würde? Man hätte es natürlich gefunden, daß es mir gelungen sei, weil diese schönen Züge die Deinigen sind. Ich will nicht einem Weibe, und am allerwenigsten einem solchen Weibe wie du, irgend einen Dank schuldig sein, und darum mache ich es jetzt mit meinem Meisterwerke so,« schrie Emil und schlug in demselben Augenblick mit der geballten Faust so heftig gegen das Bild, daß die Leinwand zersprang.
»Mein Gott, Emil! was thust du?« rief Thora, indem sie sich zwischen ihn und das Bild warf.
»Ich mache diesem verhaßten Bilde und dem Zauber ein Ende, welcher mich noch heute an dich fesselte. O! das ist mehr, als ein Mann ertragen kann, um einer ehrgeizigen Frau willen so gekränkt und beschimpft zu werden. Dieser elende Haufen, welcher dich blind bewundert und von deinen lumpigen Bildern entzückt wird, weiß nicht, daß ich mich mit einem Weibe verheiratet habe, welches, nachdem es zwei Gatten von einander getrennt, aus Liebe zu einem verheirateten Manne wahnsinnig geworden ist.«
Ein Ausruf grenzenlosen Schmerzes entschlüpfte Thora und sie stürzte aus dem Zimmer hinaus. Emil hatte die immer blutende Wunde ihres Herzens getroffen.
Ich bin doch ein elender Mensch, daß ich mich auf eine solche Weise räche, dachte Emil, als er allein dastand und wieder zur Besinnung gekommen war.
Thora hielt sich den ganzen Tag auf ihrem Zimmer eingeschlossen.
Als Emil am folgenden Morgen in ihr Atelier eintrat, saß Thora bereits dort und malte. Sie war bleich wie Marmor; aber auch ruhig und kalt wie dieser.
»Verzeihe mir, Thora, daß ich, von meinem Schmerze hingerissen, dich so tief verletzte,« sprach Emil und ergriff ihre Hand.
»Du hast nichts abzubitten. Du sprachst nur eine Wahrheit aus! Das war alles.«
»Deine kalte Sprache bringt mich zur Verzweiflung. O! wenn du wüßtest, was ich leide, dann würdest du mich beklagenswerth finden.«
»Lieber Emil, laß uns nicht davon sprechen. Ich weiß, daß du von deinem unbefriedigten Ehrgeize viel leidest und leiden wirst; – dem ist nicht mehr zu helfen. – Begleitest du mich heute Abend auf ***stjernas Ball?«
»Nein, ich würde doch nur mitleidigen Blicken begegnen, welche deine Vorzüge hervorrufen. – Statt dessen gedenke ich unserm gemeinschaftlichen Leiden ein Ende zu machen. – Ich weiß jetzt, was mir fehlt: es ist Schule; darum trete ich am Donnerstag eine Reise nach Italien an, und werde eifrig arbeiten und studieren, um mich zu einem ausgezeichneten Künstler auszubilden. Als ein solcher gehöre ich später nach Hause zurück, um Freude und Ruhm zu ernten. Ich werde dadurch wenigstens deinesgleichen, und brauche nicht, wie jetzt, zu dir hinaufzublicken, was immer in einer Ehe ein Unglück ist, wo die Frau in dem Manne ein überlegenes Wesen besitzen sollte.«
»Du willst mich also nicht einmal mit dir nehmen?«
»Deine Gegenwart wird mich nur stören und mich an deinen Erfolg und an meine Niederlage erinnern. – Außerdem, liebe Thora, was bin ich denn für eine so selbstständige und von allen häuslichen Pflichten emancipirte Frau, tüte du bist?«
»Emil, du bist der Mann, dessen Namen ich trage, dessen aufrichtige Freundin ich immer habe sein wollen. – Du könntest etwas mehr sein, aber du willst es nicht. – Nun gut, reise und werde glücklich; ich denke weder daran, dich daran zu hindern, noch dir zu folgen.«
Es lag in Thoras Ton ein Anstrich von Bitterkeit. – Es that ihr leid, so gar nichts für ihren Mann zu sein, und sie erkannte mit Schmerzen, obgleich zu spät, daß sie viel glücklicher gewesen wäre, wenn sie sich auf die schönste und edelste Bestimmung eines Weibes, aus die nämlich, eine zärtliche Gattin zu sein, beschränkt, und nicht auf eine Selbstständigkeit Anspruch gemacht hätte, welche die Natur selbst ihr verweigert zu haben schien.
Warum träumen die Frauen von Emancipation, welche sie ihrer schönsten Eigenschaften als Gattin und Mutter berauben? Haben sie denn nicht in den Verhältnissen Gelegenheit genug zu einer reichen und edlen Wirksamkeit? Kann denn das Weib der Nachwelt schöner dargestellt werden, als durch das Ideal der Mutterliebe, wovon Raphael uns in seiner Madonna ein so ausdrucksvolles Bild gegeben? Gewiß wird es sich niemals mit Schwert, Feder oder Bleistift einen ehrenhafteren Ruf erwerben, denn es ist als Amazone, Dichterin oder Künstlerin doch nicht das, wozu eine höhere Macht es bestimmt hat.
Oberst ***stjernas Haus war festlich eingerichtet und vor dem Thore drängten sich eine Menge Equipagen, welche Ballgäste dorthin brachten. Das Entrée war mit Dienerschaft angefüllt und die Zimmer wimmelten von eleganten Damen und parfümirten Cavalieren.
Im ersten Salon befand sich Baron von Linden in einem Gespräch begriffen mit einigen andern Löwen des Tages.
»Weißt du, Bruder Linden, ob Frau Liljekrona kommt?« fragte ein schlanker Kammerjunker.
»Ganz sicher! – ich habe ihr Versprechen,« antwortete der Baron mit einem bedeutungsvollen Lächeln.
»Man wird sehen, daß Linden uns Andern das Herz der schönen Dame entfremdet,« fiel ein junger Lieutenant ein.
»Bah, da verschießt er sein Pulver vergebens,« sprach ein junger Mann mit keckem und stolzem Blick. –
»Sei nicht gar zu sicher, mein Bruder,« fuhr der Baron fort. »Mein geringes Aeußere ist dergestalt nach ihrem Geschmack, daß sie mich porträtirt hat; – ich habe sie nur deßhalb überredet hieherzukommen, weil sie bereits beschlossen hatte, es nicht zu thun. – Gestern war ich ihr Cavalier aus der Ausstellung und heute Abend tanze ich den ersten Tanz mit ihr.«
Der Baron blickte die Umstehenden mit selbstzufriedener Miene an.
»Er ist ein Teufel in seinem Glück bei Damen,« bemerkte der Lieutenant.
»Geschwätz – eine so schöne und geistreiche Frau, wie Frau Liljekrona, verliebt sich nicht in Linden,« versicherte der Herr mit dem kecken Blick.
»Stille, da haben wir sie! ich habe niemals ein schöneres Wesen gesehen!« betheuerte der Kammerjunker.
»Der Mann ist nicht mit,« flüsterte der Baron; »sie ist eben so schlau wie hübsch.«
Thora war wirklich blendend schön. Mit einem weißen Atlaskleide, mit weißen Spitzen und mit einer Garnitur von Juwelen angethan, während das üppige schwarze Haar in reichen Locken herabfiel und nur mit einer rothen Granatblume geziert war, glich sie einer idealen Erscheinung aus dem Reiche der Dichtung. Sie wurde von Doktor Adler begleitet.
Der erste Walzer war zu Ende und Thora saß von Cavalieren umringt, welche sie mit Einladungen zum Tanze bestürmten, als der Baron plötzlich fragte:
»Haben Euer Gnaden bereits bemerkt, daß mein Onkel heute Abend durch die Anwesenheit eines ausgezeichneten Fremden geehrt wird?«
»Der Name solcher Seltenheiten sollte gleich einem Programm mit der Einladungskarte folgen. Es ist vermutlich ein grundgelehrter Professor von irgend einer deutschen Universität, dessen Ruf dadurch gewinnt, daß man ihn nicht zu sehen bekommt,« antwortete Thora lachend.
»Mit dem, von welchem hier die Rede ist, glaube ich, daß das Verhältniß ein ganz entgegengesetztes ist.
»Sie wollen also behaupten, daß der gelehrte Professor ein angenehmes Aeußere hat. Erlauben Sie jedoch, daß ich an ihren Worten zweifle. Vor meiner Phantasie schwebt schon etwas à la Kant.«
Alle Umstehenden lachten und der Baron fragte, ob er die Ehre haben dürfte, die muthmaßliche Copie von Kant vorzustellen.
»Unendlich gern, meine Neugierde ist aufs Höchste gespannt!« versicherte Thora.
»Wenn Euer Gnaden die Augen aufschlagen, so steht er schon in der Thüre gegenüber und betrachtet Sie mit Blicken, welche beweisen daß die Schönheit auch auf ihn einen lebhaften Eindruck macht,« fiel der Kammerjunker ein.
Thora blickte auf und begegnete den Augen des Fremden. – Jeder Blutstropfen schwand aus ihren Wangen und ein nervöses Zittern schüttelte ihre Glieder; das Herz hörte auf zu klopfen und gleich einer steinernen Bildsäule stand Thora da, ihren Blick fest auf ihn geheftet. Langsam ging er auf sie zu und stand bald an Baron Lindens Seite. – Ganz instinktmäßig und ohne zu wissen, was sie that, stand Thora auf und führte, verwirrt aussehend, die Hand an ihren Kopf.
Der Baron präsentirte:
»Frau Liljekrona – Oberst Heyse!«
Ob Thora seine Worte hörte, wissen wir nicht; denn in demselben Augenblick sank sie ohnmächtig in den Chaiselongue.
Ohne an die Umstehenden zu denken, eilte der Oberst zu ihr hin, hob sie in die Höhe und trug sie nach einem angrenzenden Kabinet, indem er nur folgende Worte sprach:
»Schaffen Sie einen Arzt her, meine Herren!«
»Frau Liljekrona ist krank geworden!« ertönte es von allen Lippen, und einen Augenblick darauf stand Heinrich zugleich mit der Oberstin ***stjerna an ihrer Seite.
Mit einer stummen Verbeugung verließ der Oberst das Kabinet.
Im Salon plagte man sich damit, das plötzliche Unwohlsein von Thora beim Anblick des Obersten zu errathen.
Indessen schickte Heinrich nach dem Wagen und ließ Thora nach Hause führen.
Die ganze Nacht jagte ein starkes Fieber das Blut mit gesteigerter Raschheit durch Thoras Adern und verscheuchte den Schlaf von ihren Augen. Axels Bild und die Erinnerung an ihr unvermuthetes Zusammentreffen riefen alle stürmischen Gefühle in ihr wach.
»Er liebt mich noch!« sagte sie während der Fieberphantasie zu sich selbst; »ich las es in seinen Augen! – O Gott! Wie soll ich einer Schwäche entfliehen, welche eine Erniedrigung in sich schließt?«
Am nächsten Morgen war das Fieber noch stärker. Thora wünschte eine Unterredung mit ihrem Manne: er war aber bereits ausgegangen.
Schweigend und bekümmert saß die Majorin an Thoras Krankenbett. Manche unbemerkte, aber bittere Thräne rollte über ihre Wangen hinab, während sie die lieben, aber von inneren Leiden und starkem Fieber angegriffenen Gesichtszüge Thoras betrachtete.
Heinrich besuchte die Kranke und verschrieb ihr ein beruhigendes Mittel.
»Hast du Emil gesehen?« fragte Thora.
»Nein,« antwortete Heinrich lakonisch; aber es lag etwas Ausweichendes in seinem Tone, welches nicht das Gepräge der Wahrheit an sich trug.
Erst um die Mittagszeit trat Emil in Reisekleidern zu seiner kranken Frau herein.
»Es war recht unangenehm, Thora, daß du dich gestern erkältetest, besonders da ich gezwungen bin, abzureisen; aber du bist in so guten Händen – in denen der Tante und des Heinrich – daß du mich gewiß nicht vermissen wirst,« sprach Emil und küßte Thora auf die Stirne.
»Emil, du reisest doch jetzt nicht von mir fort, wo ich krank bin?« rief Thora angstvoll.
»Obgleich ungern, so muß ich es doch; denn das Billet ist gekauft und meine Sachen sind an Bord; das Schiff geht in einer halben Stunde ab.«
»Ist es denn möglich, daß du daran denkst, von deiner kranken Frau fortzureisen?« fiel die Majorin ein.
»Thoras Krankheit, beste Tante, ist ein vorübergehendes katarrhalisches Fieber. Darum lebe wohl, meine geliebte Thora! – Werde bald gesund und amüsire dich dann recht gut. Von Ystad aus schreibe ich dir,« sagte der unbesonnene Ehemann, welcher jetzt nur von seinem unbefriedigten Ehrgeiz beherrscht wurde.
Ein schmerzliches Lächeln glitt über Thoras Lippen, als er sie küßte. Sie schlang ihren Arm um seinen Hals und flüsterte mit sichtbarer Anstrengung:
»Du weißt wahrscheinlich nicht, daß Axel in Stockholm ist und daß ich gestern mit ihm bei Oberst ***stjernas zusammengetroffen bin.«
»Heinrich hat mir diesen Morgen etwas Derartiges gesagt,« antwortete Emil leicht erröthend.
»O mein Gott! Du reisest doch von mir fort? Du wartest nicht, und lässest mich dich nicht begleiten?«
Thora schaute bestürzt in den kalten Blick des Mannes.
»Ich habe volles Vertrauen zu deinem hervorragenden Verstande und deinem Ehrgefühl, welche auch in meiner Abwesenheit dir sagen müssen, was deine Pflicht dir gebietet,« und damit stand er auf.
Thora ließ ihren Arm herabsinken und hielt ihn nicht mehr zurück.
»Du beträgst dich sowohl herzlos als leichtsinnig,« sagte die Majorin und zog ihre Hand zurück, welche Emil ergreifen wollte.
»Ich vertraue ja Thora der umsichtigen Pflege der Tante an,« antwortete Emil mit einem höhnischen Anstrich und entfernte sich.
Thora verfiel in ein heftiges, fast krampfhaftes Weinen.
Etwas über eine Woche war verflossen und Thora noch nicht hergestellt. Heinrich saß bei ihr im Boudoir in lebhafter Unterhaltung.
»Du willst also nicht meinem Rathe folgen, aufs Land zu gehen, und auch nicht mir das Versprechen geben, ihn unter keiner Bedingung in deinem Hause zu empfangen?« sprach Heinrich.
»Wozu würde das nützen? Wo ich auch hinreisen möchte, würde er mich aufsuchen, falls es seine Absicht ist, mich zu sehen. – Ein Versprechen, das ich heute gäbe, würde ich morgen brechen. – Lieber Heinrich, mein Leben ist ein für allemal verloren, und was hat es denn zu bedeuten, ob ich einen Tag früher oder später von dem Schicksal erreicht werde, das mir bestimmt ist? Hätte Emil mich nicht rücksichtslos in dem Augenblick verlassen, wo er sah, daß mir eine Gefahr drohte, welche zu bekämpfen mein schwaches Herz nicht die Kraft hat, dann würde ich mich zu ihm geflüchtet haben, als zu meiner Stütze, zu meiner Schutzwehr; aber jetzt …«
»Jetzt gedenkst du jenen Mann wieder zu sehen, welcher in seinem infernalischen Egoismus mit deinem Herzen sein Spiel getrieben, und dich betrogen hat.«
»Ich denke weder daran, ihn zu suchen, noch ihn zu fliehen; möge der Zufall mein Schicksal entscheiden. Bemerke wohl, Heinrich, er liebt mich noch; aber Emil – verabscheut mich sowohl wie – das Band, welches uns mit einander verbindet.«
»Aber doch hast du ihn aus freier Wahl vorgezogen und selbst dieses Band geknüpft, welches jetzt nicht mehr gelöst werden kann; darfst du denn deine Schwüre mit Füßen treten, und Pflicht und Ehre verrathen?«
»Ich verrathe nicht meinen Mann, weil ich da bleibe, wo er mich gelassen hat. – Fragte er nach mir und seinen eigenen Pflichten, als er von einer kranken und leidenden Frau fortreiste? – Willst du vielleicht behaupten, daß ich es allein bin, welche Verpflichtungen gegen ihn, er aber nicht gegen mich, zu erfüllen hat. – Er hat erst die seinigen vergessen, und ich bin ihm nichts schuldig.«
»O Thora! warum besitze ich nicht das Recht, dich gegen dein eigenes Herz zu beschützen?
»Jetzt sind meine Rathschläge und Warnungen unzureichend, und – meine Hingebung ist in deinen Augen so wenig werth, daß du keine Rücksicht daraus nimmst.«
Es lag in Heinrichs Stimme ein Ausdruck des Schmerzes. Er stand auf, um zu gehen.
»Sprich nicht so, Heinrich; denn wie ich auch handeln mag, so werde ich mich doch niemals deiner Freundschaft unwürdig machen,« sprach Thora und reichte ihm die Hand.
»Dank für dieses Gelübde,« antwortete Heinrich, und beugte sich über die kleine, bildschöne Hand, welche er in der seinigen hielt. Als aber seine Augen auf dieselbe fielen, strömte ihm das Blut zum Herzen und beschleunigte den Pulsschlag; – er ließ sie los und stand mit Anstrengung auf. – Heinrich fühlte dabei die ganze Gefahr dieses vertraulichen Gesprächs mit ihr, welche er so hoch und heiß liebte.
»Leb wohl, ich muß dich verlassen,« sagte er in einem Tone, der viel zu kalt war, um natürlich zu sein.
»Hast du Briefe von Nina gehabt? – Wann kommt sie nach Hause?« rief Thora ihm nach, als er in der Thüre stand.
»Ende Juli reist sie von Rom ab,« antwortete Heinrich, ohne Thora anzublicken.
»Du trinkst wohl Thee bei mir heute Abend?«
»Ich weiß es nicht gewiß, ob meine Zeit es mir erlaubt.«
Damit ging Heinrich.
Ein paar Stunden darauf kam die Kammerjungfer mit einer Visitenkarte, und übergab sie Thora mit folgenden Worten:
»Der Herr wartet selbst auf die Antwort, Euer Gnaden.«
Auf der Karte stand: Oberst Heyse und in einer der Ecken in französischer Sprache mit Bleistift geschrieben: Gönne ihm einen Augenblick! Thoras ganzer Körper zitterte, und die Wangen nahmen eine höhere Röthe an. Sie hielt die Karte schweigend in der Hand.
»Derselbe Herr hat sich jeden Tag nach dem Befinden Eurer Gnaden erkundigt,« erdreistete sich die Kammerjungfer zu sagen, als ihre Herrin wegen einer Antwort verlegen zu sein schien.
Bei diesen Worten fuhr Thora zusammen, warf einen scharfen Blick auf das Mädchen und antwortete:
»Sage dem Herrn Obersten, daß ich nicht die Ehre haben kann, ihn zu empfangen.«
Lisette wandte sich um und ging, obgleich sichtlich unzufrieden.
Als Thora allein war, stand sie auf, strich die Locken mit einem unendlich leidenden Ausdruck von der Stirne, und führte dann die Hand heftig an das Herz. Einen Augenblick blieb sie so stehen; sank aber dann ins Sopha zurück, schloß die Augen, und stützte ihren Kopf gegen die Sophalehne.
Ueber die bleichen Wangen flossen Thränen, ohne daß eine einzige Muskel des Gesichts sich bewegte, oder irgend ein Seufzer ihre Brust hob. So verging eine ziemliche Zeit.
Der Thürvorhang zum Vorgemach wurde vorsichtig bei Seite geschoben, und ein junger Mann von ungefähr 30 Jahren, und ganz schwarz gekleidet, stand auf der Schwelle. Er ließ den Vorhang hinter sich wieder fallen und blieb mit über die Brust gekreuzten Armen stehen, indem er aufgeregt Thora betrachtete.
Es waren vier Jahre her, seit er sie gesehen hatte; sie war aber schöner, als früher. Je länger er Thora ansah, desto heftiger klopfte sein Herz und desto mehr flammte das Feuer in seinen Blicken. Endlich arbeitete sich ein Seufzer aus seiner Brust hervor. Als Thora denselben hörte, blickte sie auf. Wie von einer Schlange gebissen, stand sie bei seinem Anblick hastig auf und blieb stehen. Die Hand verblieb noch fest gegen das Herz gedrückt.
Beide schwiegen.
Thoras Augen lächelten nicht mehr voll Liebe und Unschuld, sondern es brannte in denselben ein düsteres Feuer, welches das Herzklopfen Axels vermehrte und ihm einen schmerzlichen Seufzer auspreßte.
Thora sah vor sich denjenigen Axel, den sie ausschließlich geliebt, ebenso männlich schön, aber von dem Glanze umgeben, welchen ein durch Tapferkeit ausgezeichneter Name verbreitet; und auch sie seufzte unwillkürlich.
Axel brach zuerst das Schweigen und sprach:
»Thora! Warum willst du mir auf eine so grausame Weise eine Unterredung verweigern, nachdem du deinem Schwure untreu geworden und mich so unglücklich gemacht hast? Erinnerst du dich deiner Worte: Dir oder Niemanden werde ich gehören. Wie hast du sie gehalten?«
»Ja, zu gut erinnere ich mich jener Worte, welche zu dem gesprochen wurden, dessen Versprechungen ich blind vertraute; aber, Herr Oberst, ich kaufte mich frei von diesem Gelübde mit dem Verlust meines Verstandes!« antwortete Thora mit einem Blick voll Schmerz und Stolz.
»Derjenige, gnädige Frau, welcher einst schwur, daß Thora seine Gattin werden sollte, steht jetzt hier, um sein Versprechen zu halten. – Einst schrieb ich: frei – oder niemals wirst du mich wieder sehen. Nun gut, mein Anzug muß Thora sagen, daß ich Wort gehalten.«
» Frei?« wiederholte Thora, sprang auf ihn los und ergriff seinen Arm. » Frei?« wiederholte sie in herzzerreißendem Tone. »Nein, du betrügst mich wieder,« fügte sie hinzu und ließ seinen Arm zugleich los.
»Nein, meine Thora, nein, meine geliebte Gattin, nein!« rief Axel leidenschaftlich, schlang seinen Arm um Thoras Leib und drückte sie an sein heftig pochendes Herz. »Ich bin frei, frei wie der Vogel in der Luft, und du bist jetzt mein, mein, wenn auch alle Mächte des Himmels und der Hölle sich zwischen uns stellen würden, du bist …«
»Verheiratet!« antwortete Thora und riß sich von ihm los.
»›Ich bin verheiratet,‹ sagtest du mir einmal und mir brach dabei das Herz. – Jetzt bin ich es, welche diese Worte gleich einer Scheidewand zwischen uns stellt.«
»Du solltest also jenen Mann lieben, welcher dich so gleichgültig verlassen hat?«
Axel erbleichte vor Eifersucht.
»Ich liebe Niemanden. – Ich bin um Alles und – von Allen betrogen worden.«
Der Ton war eiskalt.
»Thora, es ist nicht so! – In demselben Augenblicke, in welchem du aufhörst, zu lieben, würde auch dein Herz aufhören, zu schlagen. – Deine Augen reden eine wahrere Sprache, als deine Lippen. Ich habe in ihnen gelesen, daß du mich noch ebenso heiß liebst, wie ehemals.«
Während Axel so sprach, heftete er seine Augen auf sie; Thora wandte sich aber heftig weg von ihm und eilte nach der Thüre des Kabinets.
Axel stürzte ihr nach und ergriff mit einem unendlich schmerzlichen Ausdruck ihre Hand.
»O, nimm deine Worte zurück und glaube nicht, daß ich mich durch dieselben irre leiten lasse. Eine Liebe wie die meinige ist unerschütterlich; sie stirbt nie, sondern kann nur in Haß übergehen. Thora! lege deine Hand auf mein treues Herz und zähle dessen Schläge. Es hat von dem Tage an, an welchem ich dich zum ersten Male sah, ausschließlich für dich geschlagen. Im Wachen oder im Traume, in Europa oder in Afrika, überall trug ich dein Bild und meine alles Andere verdrängende Liebe mit mir. Sage, kannst du noch die deinige verleugnen? Sei, ich bitte dich darum, wahr! – Laß mich nach so vieler Jahre Treue und nach so rasenden Leiden zu deinen Füßen die Worte hören, welche alle die Qualen verwischen werden, die ich ausgestanden habe. O! einen Blick, ein einziges Zeichen des Mitleids zum Trost für den marternden Gedanken, der mir fast den Verstand geraubt hat; der Gedanke, daß du, der theuerste Schatz meines Lebens, einem Andern gehörst.«
Axel hatte Thoras Hände ergriffen und kniete zu ihren Füßen.
Arme Thora! Du warst einem solchen Kampfe nicht gewachsen. In seinen Anblick versunken stand Thora da. Alle Vorsätze, sich wegen des Bösen, das er gethan, an ihm zu rächen, wankten und nur die Liebe blieb zurück, um ihr Herz zu erfüllen. Zur Antwort auf seine Bitten beugte Thora sich unwillkürlich herab und drückte ihre Lippen auf seine Stirne. Bevor er es aber verhindern konnte, war sie durch die Thüre des Kabinets verschwunden und hatte dieselbe hinter sich verschlossen. Dieses geschah so plötzlich, daß Axel mit sammt seiner Bestürzung sich allein auf der Schwelle knieend befand.
Er küßte das Schloß und sprach so laut, daß Thora es hören konnte:
»Dank, ewig Dank, angebeteter Engel!«
Darauf verließ er das Zimmer.
In ein Sopha hingesunken, lauschte Thora mit zurückgehaltenem Athem den Worten Axels und dem Schalle seiner Tritte. Als diese verhallten, brach Thora in ein heftiges Weinen aus. Sie rief ihn bei den zärtlichsten Namen. – Sie drückte ihre glühende Stirne gegen die Sophalehne und wiederholte unter Freude und Schmerz seine Worte.
So verging die Zeit.
Gegen Abend ließ sie sich anziehen. Es war an einem jener Tage, an welchen, einem Uebereinkommen gemäß, einige Freunde sich bei Thora zu versammeln pflegten.
Als Lisette die letzte Hand an ihre Toilette legte, wandte sich Thora an sie und fragte:
»Wie konntest du es wagen, den Obersten hereinzulassen, nachdem ich erklärt hatte, ihn nicht empfangen zu wollen?«
»Eure Gnaden, ich war gänzlich unschuldig; ich leistete lange Widerstand, aber endlich schob er mich bei Seite und drang mit Gewalt ein.«
»So,« entgegnete Thora, blickte dabei gedankenvoll in den Spiegel und hatte keinen Muth das Mädchen zu schelten, sondern fügte hinzu: »aber lasse so etwas nicht ein andermal passiren,« und damit ging sie hinaus in den Salon.
Lisette lächelte vor sich hin und dachte: »meine zehn Reichsthaler waren leicht verdient; ich werde es nicht versäumen, mir noch zehn zu verschaffen; ich sah es der Gnädigen an, obgleich sie sich natürlich unzufrieden stellte. Es hat keine Gefahr, sie war durchaus nicht böse. – Nun, davon sage ich auch nichts, denn hübsch war er. – Wollen mal sehen, ob er nicht heute Abend hieherkommt …
Axel hatte Thora bereits in ein zweideutiges Licht gestellt und vor ihrer Dienerschaft einen schlimmen Schatten auf sie geworfen.
Es fanden sich bald einige Bekannte ein; aber Axel erschien noch nicht; man sprach von Thoras plötzlicher Krankheit auf dem Balle, von Emils Abreise u. s. w. Baron Linden war auch dort, sah aber schwermüthig aus. Er hatte für diesen Besuch seine Locken in eine eigene melancholische Unordnung gebracht.
Etwas später fand Heinrich sich ein.
Thoras anfänglich lebhafte und exaltirte Gemüthsstimmung wich indessen bald einer kränklichen Mattigkeit, die sich vermehrte, je weiter der Abend vorrückte und je schwächer die Hoffnung wurde, Axel wiederzusehen. In einem Fauteuil zurückgelehnt, hörte sie nur der Conversation zu, als der Bediente anmeldete:
»Die Frau Oberstin ***stjerna und der Herr Oberst Heyse!«
Thora erhob sich mit Heftigkeit, begegnete aber dabei dem vorwurfsvollen Blicke Heinrichs und es gelang ihr durch eine kräftige Anstrengung sich einigermaßen zu beherrschen.
Einen Augenblick darauf trat die Obristin unter einem Schwall von theilnehmenden Worten ein.
»Meine süße Thora,« sprach sie weiter, »du mußt verzeihen, daß ich ohne deine Erlaubniß Oberst Heyse mitbringe; aber er hat mich so dringend gebeten, ihn dir nach jenem traurigen Ereignisse vorzustellen, welches mir dasselbe auf dem Balle unmöglich machte, so daß ich, auf alle Gefahr hin, die Verantwortung dafür übernommen habe. Er ist jetzt hier.«
Der Oberst verbeugte sich tief vor Thora und sagte mit einer Stimme, welche von Gefühlen vibrirte, die nur sie allein zu verstehen vermochte:
»Ich wagte nicht, ohne eine so beredte Fürsprecherin, wie die Frau Oberstin, mich selbst Ihnen in Erinnerung zu rufen, gnädige Frau; obgleich das Andenken an meinen frühern Besuch in Schweden und an die Gastfreundschaft, welche ich damals genoß, niemals in meinem Herzen erlöschen wird.«
Erröthend antwortete Thora mit einigen verbindlichen Worten. Die Conversation war bald allgemein und recht lebhaft, nur Heinrich blieb verschlossen und still.
»Den eigentlichen Zweck meines Besuches, süße Thora,« begann Oberstin ***stjerna, »war, dich zur Theilnahme an einer Lustpartie zu überreden, welche wir morgen nach Skokloster unternehmen wollen.
»Es werden nur einige Verwandte, Oberst Heyse und wir selbst sein.«
»Dazu sage ich gleich ja.«
»Mir, in meiner Eigenschaft als dein Arzt, erlaubst du wohl, daß ich mich in die Sache mische und dagegen protestire,« fiel Heinrich ernst ein.
»Warum das? Ich bin ja vollkommen gesund,« antwortete Thora; aber ohne es zu wagen, die Augen zum Doktor aufzuschlagen.
»Nein, Thora, du kannst nicht an einer solchen Lustpartie Theil nehmen, ohne dein Leben und deine Gesundheit zu gefährden.«
»Es scheint mir, daß der Herr Doktor etwas zu strenge ist, da die Patientin sich selber wohl fühlt. Sind die Aerzte in Schweden solche Tyrannen?« fiel Axel ein.
»Mein Beruf, Herr Oberst, gebietet mir, wenn Sie so wollen, ein unbeweglicher Despot zu sein, wenn der Patient sein eigenes Wohl vergißt. Gewiß wird man meinem Rathe gehorchen.«
Heinrich sprach in einem bestimmten Tone; als er schloß, begegneten Thoras Blicke den seinigen. In denselben lag etwas, das das Lächeln von ihren Lippen verscheuchte und eine flammende Röthe auf ihren Wangen hervorrief.
»Nun, Thora, was thust du?« fragte die Oberstin.
»Ich muß wohl gehorchen, da mein Arzt darauf besteht, mich für krank zu halten,« antwortete Thora.
»Wir werden uns also nicht deiner Gesellschaft zu erfreuen haben?«
»Gute Julie, der Fehler liegt nicht an mir, sondern am Doktor.«
Thora wandte sich hierauf an den Baron.
Axel wurde wortkarg und Thora verstimmt.
Kurz darauf stand sie auf und ging hinaus in den Saal, während die andern Damen sich von den Moden der Sommersaison unterhielten.
Thora stellte sich an eins der Fenster, in welchem ein hoher Oleander seinen Platz hatte und gleich einem Baume seine Aeste über ihrem Haupte ausbreitete.
»Thora!« flüsterte eine Stimme auf der andern Seite der Blume und jede Fiber in Thoras Herz zitterte. Sie blickte auf und begegnete Axels Auge.
»Thora, du gehst also morgen nicht mit?«
Ein Blitz schoß aus den Augen Axels hervor.
»Nein.«
Thora blickte nieder.
»Du wagst es nicht?«
Thora schwieg.
»Nein, du wagst es nicht wegen Heinrich.«
Axels Stimme verrieth einen unterdrückten Zorn.
»Glaubst du nicht, daß ich vollkommen die Blicke begriff, welche ihr mit einander gewechselt habt? Sie enthielten ein ganzes Bekenntniß. O Thora, ich habe also vier Jahre geliebt und gewartet, um zu meinem Schmerz dich erst verheiratet zu sehen, und dann …«
»Und dann?« wiederholte Thora, leicht zusammenschaudernd.
»Daß Heinrich das ist, was ich gewesen und was dein Mann für dein Herz sein sollte.« Bei diesen Worten blickte Thora ihn bloß an.
Axel war bleich und seine Augen ruhten düster auf ihr.
»Glaube doch nicht, daß ich vergessen oder verzeihen kann; ich kann nur hassen und mich rächen,« fügte er hinzu.
»Du, – mich hassen? …«
»Ja, falls du – einen Andern liebtest.«
»Du täuschest dich, ich habe niemals Heinrich geliebt.«
»Und der Beweis dafür?«
»Welchen forderst du?«
Thoras Gesicht drückte jetzt so viel Hingebung aus, daß Axel sich vorbeugte, um sie zu betrachten.
»Gehe morgen mit.«
Thoras Brust bewegte sich hastig; sie schwieg und spielte mit den Blättern des Oleanders.
»Thora, liebst du mich?«
Sie sah ihn mit einem Blick an, so warm wie die Sonne des Südens.
»Dann gehst du mit?«
»Aber meine bereits ausgesprochene Weigerung,« stammelte Thora.
»Nun gut, ich bleibe auch zu Hause.«
Axel faßte hinter den Blumen ihre Hand … »und ich sehe dich morgen?«
Thora schwieg; ließ aber ihre Hand in der seinigen ruhen.
»Morgen um zwölf Uhr, nicht wahr – dann darf ich kommen?«
In demselben Augenblick trat Heinrich in den Saal. Axel ließ Thoras Hand los, fügte aber leise hinzu:
»Gib mir ein Zeichen, daß du einwilligst. Laß die Blume aus deiner Schärpe fallen und ich bin zufrieden.«
»Thora, du vergißt deine Gäste,« ertönte Heinrichs Stimme plötzlich hinter ihr.
Thora fuhr dabei zusammen und steckte die Blume, welche sie bereits aus der Schärpe genommen, wieder an ihren Platz, dann eilte sie zu ihren Gästen.
Axel und Heinrich blieben einander gegenüber stehen, während sie Blicke wechselten, die von allem, nur nicht von Freundschaft zeugten.
»Herr Oberst, haben Sie den Herbst vor vier Jahren vergessen?« begann Heinrich bitter.
»Gerade weil ich denselben nicht vergessen kann, finden Sie mich hier. – Ich bin Wittwer.«
»Aber jetzt ist Thora verheiratet.«
» Ihre Ehe kann aufgelöst werden.«
»Sie gehen ziemlich weit, Herr Oberst, gibt es denn nichts Heiliges für Ihren Egoismus? – Seien Sie zufrieden mit dem Unglück, das Sie bereits angerichtet, und glauben Sie mir: Auf die Ruinen eines Ehebruchs kann nicht das Glück irgend eines Menschen gegründet werden.«
»Den Herrn Doktor brauche ich wohl nicht darüber zu belehren, daß die Natur und die Liebe keine conventionelle Vorurtheile kennt,« antwortete Axel mit einem verächtlichen Lächeln.
»Wie glauben Sie, daß Thoras Tante Sie empfangen würde, falls sie heute Abend hier gewesen wäre?«
»Als einen Gast in Thoras Hause.«
»Bedenken Sie, Herr Oberst, was Sie jetzt thun wollen; denn ich werde Thoras Ehre mit meinem Leben vertheidigen.«
Das Blut stieg Axel in den Kopf, es schwoll seine Stirnader und jede Muskel in seinem Gesicht verrieth einen inneren Sturm. Er trat Heinrich einen Schritt näher und sprach mit gedämpfter Stimme:
»Stellen Sie sich nicht zwischen Thora und mich, denn dann ist Ihr Leben verloren. – Vor vier Jahren schwur ich, daß sie die meinige werden soll, und nicht einen Augenblick im Laufe dieser Zeit bin ich von meinem Vorsatze abgestanden. Jetzt würde keine Macht der Welt mir sie entreißen können, und wenn ich um ihres Besitzes willen über eine Reihe von Leichen gehen müßte. – Ich will und sie wird mir gehören.«
»Nicht so lange ich lebe,« antwortete Heinrich mit flammenden Augen.
»Sie lieben Thora, Doktor; aber sie liebt mich. Mein Spiel ist bereits gewonnen, bevor ich es anfange, Sie werden das Ihrige nie gewinnen.«
Axel sprach dieß in kaltem Tone und verließ Heinrich.
Kurz darauf brach die Gesellschaft auf.
»Du bist also nicht zu überreden, dem Doktor ungehorsam zu werden?« fragte die Oberstin.
»Zeigen Sie, daß der Doktor Unrecht hat, wenn er behauptet, daß Frau Liljekrona krank ist,« fiel Axel ein und heftete einen sprechenden Blick auf die Blume in Thoras Gürtel.
»Ich bin überzeugt, daß Thora mir Recht gibt,« sprach Heinrich.
»Ich muß wohl zu Hause bleiben, um mich nicht der Gefahr auszusetzen, daß ich, wenn ich krank werde, ohne die Hilfe Heinrichs liegen bleibe,« antwortete Thora mit etwas unsicherer Stimme.
Noch war die Blume an ihrem Platze.
»Sie sind grausam, gnädige Frau,« sprach Axel, nachdem die Oberstin Abschied genommen und er im Begriff war, sich zu verbeugen und zu entfernen.
»Mich oder Heinrich,« flüsterte er mit aufgeregter Stimme und einem glühenden Blick auf die Rose im Gürtel.
Thora blickte ihn an und ließ die Blume fallen.
Als Axel dieselbe aufnahm, strahlte seine Stirne. Er entfernte sich siegestrunken. Doch war sein Jubel zu voreilig; denn er hatte einen Feind, der gefährlicher war, als Heinrich und weit schwerer zu besiegen.
Diese kleine Scene hatte sich so rasch zugetragen, daß Niemand dieselbe bemerkte.
An einem hübschen Julitage und sechs Wochen nach Emils Abreise von Schweden promenirte Nina und Kapitän Ahlrot in Rom auf dem Corso, als sie Stimmen von Landsleuten, welche hinter ihnen gingen, vernahmen. Onkel Anton und Nina wandten sich um und riefen beide überrascht:
» Emil!«
»Onkel! Nina!« antwortete Emil heiter und eilte auf sie zu.
»Wann seid ihr angekommen? wo ist euer Logis? – Das wird eine wirkliche Freude, Thora umarmen zu dürfen,« bemerkte Onkel Anton.
Etwas verlegen antwortete Emil:
»Ich kam gestern nach Rom und bringe herzliche Grüße von Thora aus Schweden.«
»Was? bist du allein hier?« fiel Nina und der Kapitän zu gleicher Zeit ein.
»Ja, ich bin nur nach Italien gereist, um mich auszubilden und meine Kunst zu studieren und beabsichtige wenigstens ein Jahr hier zu bleiben.«
»Was bedeutet denn das, daß du nach einer zehnmonatlichen Ehe von deiner Frau wegreisest? Hätte sie dich nicht begleiten können? Das sieht ziemlich sonderbar aus,« brummte der Kapitän, ohne aus Emils Begleiter acht zu geben.
»Ja, das kommt mir wunderlich vor, besonders da Thora oft gewünscht hat, noch einmal dieses schöne Land besuchen zu dürfen,« stimmte Nina ein.
»Es mag sich ausnehmen, wie es will, so ist die Hauptsache die, daß sie zu Hause geblieben ist,« unterbrach Emil sie ungeduldig. »Aber ich vergesse, euch unsern ausgezeichneten Landsmann, Professor B., vorzustellen,« fügte er hinzu und wandte sich an diesen, welcher in einiger Entfernung stehen geblieben war.
Die beiden Herren begleiteten Nina und den Kapitän bis zu ihrer Wohnung, wo man sich trennte.
»Was sagst du davon, Nina?« fragte der Kapitän, als sie allein waren.
»Ich kann mir Emils Benehmen nicht anders erklären, als daß irgend eine Mißhelligkeit zwischen den Gatten entstanden ist,« antwortete sie gedankenvoll.
»Das Sonderbarste ist, daß er uns nicht aufgesucht und keinen Brief von Hause mitgebracht hat; da doch Gustav weiß, daß wir hier bis zum August bleiben. Ich werde, hol mich der T–, dem gnädigen Herrn heute Abend zu Leibe gehen.«
Der sonst so fromme Onkel war jetzt ganz aufgebracht.
Alle Erklärungen wurden indessen überflüssig; denn gerade in demselben Augenblick kam ein Brief an Nina aus Schweden an.
Sie erkannte sofort die Hand Heinrichs und erbrach denselben sehr eifrig. Hieraus erfuhr man die Ursache zu Emils schleuniger Abreise, sowie zu seiner Abneigung gegen Thora, Axels Ankunft und alles, was der Leser bereits weiß. Heinrich schloß diesen Abschnitt seines Briefes mit folgenden Worten:
… »Du mußt suchen, Emil zu sehen, denn seine Reise ging nach Rom. Wende alle Mittel an, welche ihn zur Vernunft und zum Bewußtsein dessen bringen können, was seine Ehre fordert, damit er ohne Verzug hieher zurückkehrt, bevor es gänzlich vergebens ist. Nur ein Thor opfert das, was der Mensch für heilig hält, den Anforderungen eines kleinlichen Ehrgeizes. Er wäre doch niemals als Künstler den hervorragenden Talenten Thoras gewachsen gewesen, und wenn er diesem zwecklosen Streben sein ganzes Leben widmete. Dagegen überläßt er jetzt Thoras Frieden und seinen eigenen Namen dem alles verzehrenden Egoismus Axels und setzt die blinde Hingebung, welche Thora zu einem schwachen Rohre macht, das von den Stürmen der Leidenschaften leicht gebeugt und vielleicht gänzlich geknickt wird, allen Gefahren aus.
»Ach Nina, betrachte das Leben der Menschen und du wirst bei einer unparteiischen Prüfung finden, daß unser Charakter der wahre Grund all unseres Unglücks ist. Denke dich hinein in Thoras, Axels und Emils Leben, und sage mir, was hat denn bei jedem von ihnen die Ereignisse hervorgerufen, die ihnen widerfahren sind, wenn nicht ihre eigenen Leidenschaften und der Umstand, daß sie Gott und die Religion vergessen? Du wirst auch aus der Vergangenheit schließen, wie ihre Zukunft sein wird …«
Nina wandte alle Mittel an, um Emil zu zeigen, welch hohes Spiel er mit seiner Ehre und seiner Zukunft wagte, sie stellte ihm vor, wie unverantwortlich seine Handlungsweise und wie nothwendig es sei, daß er unverzüglich wieder abreise; aber – alles vergebens. Nina konnte ihn nicht einmal dazu bewegen, an Thora zu schreiben.
Unter diesen vergeblichen Bemühungen von Seiten des Kapitäns und Ninas vergingen Wochen.
Als Nina und Emil eines Tages allein saßen und davon sprachen, brach er erbittert aus:
»Höre auf, Nina! – Ich werde niemals jenes Weib wieder sehen, bevor ich, weit von ihr entfernt, der Welt zeigen kann, daß ich ein größerer Künstler bin, als sie! – Es gibt Augenblicke, wo mein Haß gegen Thora mich zu dem Wunsch verleitet, daß sie ihre Pflichten vergessen und sich so tief erniedrigen möchte, daß sie für immer in der allgemeinen Meinung verloren wäre; denn weder Talent noch hervorragende Vorzüge können den Ruf einer in sittlicher Hinsicht gefallenen Frau wieder herstellen.«
»Du bist unverzeihlich schlecht, weil du aus verletzter Eitelkeit solche abscheulichen Gefühle hegen kannst, da du ihr als Gattin nichts vorzuwerfen hast. Sie hätte mit ihrem Geiste und ihrem reichbegabten Herzen ein besseres Loos verdient, als mit dir verbunden zu werden!«
»Das meinst du wirklich? Aber laß uns die Sache ruhig prüfen. Ich habe nichts gegen sie als Frau zu bemerken, sagst du. Und doch Alles: Ist sie denn meine Gattin gewesen? Niemals. Nein, frei und unabhängig vernachlässigt sie die häuslichen Pflichten einer Frau und lebt ausschließlich in ihrem Atelier, während sie es vergißt, daß es ihre Bestimmung ist, durch ihre Zärtlichkeit das häusliche Leben zu verschönern, statt die Welt durch ihr Talent in Erstaunen zu setzen, oder sich mit mir auf einen Wettkampf einzulassen. Haben wir Männer nicht auf der Bahn des Ruhms Rivalen genug, ohne daß wir es nöthig haben, sie in unserem Familienleben, in unseren Frauen, wiederzufinden? Du vergißt auch, daß die geistreiche und heißblütige Thora aus Liebe zu einem verheirateten Mann irrsinnig gewesen ist.«
Emil warf dabei einen höhnischen Blick auf Nina.
»Es ist verächtlich, solche Sachen aufs Tapet zu bringen; machte denn Thora vor dir irgend ein Geheimniß aus ihrer Liebe und ihrem Unglück? Gab sie dir nicht volle Freiheit, über dein Schicksal zu bestimmen, als sie dir ehrlich ihre Vergangenheit anvertraute und dir sagte, auf welche Weise sie als verheiratete Frau zu leben gedächte. Bethörtest du sie nicht selbst mit der Vorspiegelung eines von euch der Kunst gewidmeten Lebens? Und jetzt wirfst du die ganze Schuld auf sie.«
»Möglich, daß ich es that, weil sie schön und ich verliebt war; nachdem ich aber gleich einem gehetzten Krieger mit Thora um Ruhm gekämpft, habe ich während des Kampfes meine Liebe verloren. Die Verblendung ist verschwunden, und ich sehe jetzt, nachdem ich aufgewacht bin, ein, daß solche Weiber unverheiratet bleiben sollten. O! wenn Thora deinen Sinn und wahrhaft tugendhaften Charakter besessen hätte, wie hoch würde ich sie nicht noch in dieser Stunde lieben!«
»Das Lob, welches du auf Kosten deiner Frau mir spendest, enthält eine Beleidigung, die ich mir verbitte. Bei Thora würde weit mehr wirklicher Edelsinn und weibliche Entsagung zu finden sein, als bei mir, wenn sie einen Gatten hätte, der ihr mit Liebe entgegen käme, und nicht wie jetzt, einen eitlen Egoisten.«
Die Zeit verstrich und brachte für Nina den Tag näher, an welchem ihre freiwillige Landflüchtigkeit aufhören sollte.
Emil brachte fast ausschließlich seine Zeit bei Nina zu, und das trotz all der Kälte, welche sie sowohl, wie der Kapitän, der äußerst erbittert auf ihn war, ihm gegenüber an den Tag legten. Auf alle Mahnungen des Kapitäns, daß Emil nicht nach Rom gekommen sei, um ihm Gesellschaft zu leisten, sondern um zu arbeiten, entgegnete er, daß er Zeit genug habe, wenn sie abgereist sein würden.
Emils Phantasie, welche unaufhörlich nach Traumbildern jagte, machte jetzt sein leicht entzündliches Herz von einer neuen Neigung klopfen, deren Gegenstand Nina war. Sein glühender Ehrgeiz war etwas abgekühlt; und je eifriger er sich seiner neuen Leidenschaft hingab, desto mehr wuchs sein Haß gegen Thora. Diese war jetzt die Fessel, welche, seiner Ueberzeugung gemäß, ihn daran hinderte, Nina seine Hand und sein gar zu unbeständiges Herz anzubieten. Emil dachte in seinem Leichtsinn keinen Augenblick daran, daß Nina bereits mit Hugo verlobt sei. Er betrachtete im Gegentheil ihre Verbindung als aufgelöst, nachdem Nina so plötzlich Schweden verlassen hatte.
Zwischen Nina und Hugo war das Uebereinkommen getroffen, daß sie, falls Hugos Gefühle nach einer Trennung von fünfzehn Monaten dieselben geblieben, sich gegen Ende August im Hotel *** in Hamburg treffen wollten.
Als Nina am Tage vor ihrer Abreise aus Rom mit Packen beschäftigt war, trat Emil ein.
»Die Abreise geht also morgen vor sich?« fragte er und warf sich in einen Stuhl.
Der Onkel Anton war ausgegangen.
»Eine sonderbare Frage, da du es doch die ganze Zeit über gehört hast,« antwortete Nina.
»Nina, ich begleite euch; es ist für mich nicht mehr möglich zu leben, ohne dich zu sehen; ich liebe dich aus meiner ganzen Seele, ich …«
»Höre auf, falls du dich nicht in meinen Augen wirklich verächtlich machen willst,« fiel Nina heftig ein.
»Wie ungerecht wäre trotzdem deine Verachtung. Ist es denn mein Fehler, daß ich, von Thoras Schönheit geblendet, auch gegen deinen höheren Werth blind war? Ist es denn mein Fehler, daß ich gezwungen bin, in dir das Edle und Vollkommene anzubeten, oder ist es nicht eher ein entsetzliches Geschick, welches mich mit der gefährlichsten Feindin eines geträumten Ruhms verbunden und mir dadurch das Glück geraubt hat, dich mein nennen zu dürfen?«
»Gleich allen andern schwachen Naturen schiebst du die Schuld für dasjenige auf das Schicksal, was du dir selber zugezogen hast. Nachdem du, von verletzter Eitelkeit getrieben, eine Gattin verlassen hast, auf welche du hättest stolz sein müssen, haderst du mit dem Schicksal; und endlich glaubst du wohl, daß ich, selbst wenn mein Herz frei wäre, einen Mann ohne Charakter und Grundsätze sollte lieben können, welcher unbedachtsam den Eindrücken des Augenblicks nachgibt, sie mögen nun gut oder bös sein; welcher liebt und haßt ohne Beständigkeit, und ehrgeizig ist, ohne die Kraft und die Fähigkeit zu besitzen, sich selbst einen Namen zu schaffen; ein Mann, dessen Gefühle alle ein Produkt einer überreizten Einbildung und Phantasie sind? Nein, du hättest bei mir nie irgend welche Achtung, sondern höchstens Mitleiden erwecken können.«
»Du verhöhnst mich? Nun gut, ich werde dir zeigen, daß meine Liebe nicht ein leeres Nebelbild einer überschwenglichen Phantasie, sondern eine tiefe Leidenschaft ist. Ich werde dich begleiten, wohin du auch deine Schritte lenken wirst.«
»Lieber Emil, höre auf mit dergleichen Phrasen, welche mich nur ermüden und langweilen. Du kannst doch mich nie dazu bewegen, dir eine andere Aufmerksamkeit zu schenken, als diejenige, welche man einer lächerlichen Person schenkt, weil ich noch immer die Braut des Hugo Oernhjelm bin. Solltest du trotzdem thöricht genug sein, mich zu verfolgen, dann werde ich darin nur einen Schimpf sehen, welchen ich Thoras Mann nie verzeihen werde.«
Am Tage darauf reiste Nina mit dem Kapitän ab, und Emil blieb weislich in Rom.
Ein Jahr nach Ninas Abreise von Schweden saß die Gräfin Oernhjelm an einem hübschen Juniabend in ihrem Salon auf der niedlichen Villa am Thiergarten.
Ein junges, armes Mädchen von adeligem Geschlecht leistete ihr Gesellschaft. Das Fräulein las der Gräfin laut vor aus Memoires des Contemporains.
»Ich habe niemals Jemanden mit so schlechter Betonung wie Constanze vorlesen hören. Ich fühle mich durch ihre Aussprache gänzlich ermüdet,« bemerkte die Gräfin mit einem deutlichen Anstrich von übler Laune.
»Meine gnädige Gräfin …« stammelte das Fräulein.
»Sie braucht sich nicht zu entschuldigen, lege das Buch weg; ich will nichts mehr hören.«
Das Fräulein legte das Buch weg und nahm eine Handarbeit.
»Welche Zeit ist es?« fragte die Gräfin.
»Es ist sieben Uhr, Frau Gräfin.«
In demselben Augenblick hörte man einen Wagen vor das Haus fahren und an der Treppe anhalten.
»Irgend ein Besuch,« bemerkte die Gräfin, und ihre stolzen Züge klärten sich ein wenig auf, denn all ihr Hochmuth konnte doch nicht die Langeweile verscheuchen, welche sie dabei empfand, selbst ein täglicher Gast in ihrem eigenen Hause zu sein.
Ein Bedienter meldete den Grafen Oernhjelm, und gleich darauf stand Hugo, sich ehrfurchtsvoll verbeugend, vor der Mutter. Ueber ihr Gesicht glitt ein Schimmer von Röthe.
Graf Hugo war es seit dem Auftritt bei Nina verboten gewesen, sich vor der Mutter zu zeigen, sofern er nicht seiner Liebe zu der ersteren entsagte.
»Wie befindet sich meine Mutter?« fragte Hugo und küßte die Hand der Gräfin.
»Gut, wie du siehst; aber was führt dich hieher, da du meinen Willen kennst?«
»Wenn es meiner Mutter gefällig ist, mir eine Privatunterredung zu gewähren, so wird alles erklärt werden,« antwortete Hugo.
»Verlaß uns, Constanze,« befahl die Gräfin; und mit sichtbarem Vergnügen kam diese der Aufforderung nach.
»Jetzt sind wir allein,« fuhr die Gräfin kalt fort.
»Meine Mutter! warum jetzt diese kalte Sprache gegen Ihren Sohn, wo er kommt, um Sie zu bitten, das zu vergeben und zu vergessen, was zwischen uns passirt ist. Ich brauche nicht zu sagen, wie tief dieses Mißverhältniß mich geschmerzt hat!«
»Es freut mich, daß es dich reute; denn es liegt darin eine stillschweigende Anerkennung, daß auch du die Unmöglichkeit einer Verbindung mit jener Schauspielerin einsiehst.«
»Meine Mutter belieben, mich mißzuverstehen. Ich stehe hier vor Ihnen, um Sie demüthig um Verzeihung für das zu bitten, was zwischen uns vorgefallen ist; aber nicht dafür, daß ich ein Weib zur Frau nehme, welches ich meiner würdig halte.«
»Du gedenkst also? …«
Die Gräfin stand auf, um das Zimmer zu verlassen.
»Bleibe, meine Mutter, ich bitte, wir müssen uns jetzt recht verstehen. – Während meines Verweilens in Paris vor drei Jahren empfing ich von Marquis Dagincourt, bei welchem ich durch eine Empfehlung von Ihnen eingeführt war, am Sterbebette desselben diese Briefe.
»Es würde überflüssig sein, ihren Inhalt zu wiederholen, da sie von Ihnen geschrieben sind.
»Genug, sie beweisen meine uneheliche Geburt. Ich bin nicht Graf Oernhjelm, sondern Marquis Dagincourts Sohn. – Dieses Geheimniß würde mit mir gestorben sein, wenn Sie nicht, meine Mutter, mich selbst gezwungen hätten, dieses Thema zu berühren, um das Unrechtmäßige von Standesansprüchen zu beweisen, welche nicht einmal die Wahrheit für sich haben. – Als Sie durch eine moralische Tyrannei mich zwingen wollten, gleich einem elenden Betrüger gegen diejenige zu handeln, welche ich von ganzem Herzen liebe, da schmerzte es mich tief, es nöthig zu haben, eine solche Waffe zur Vertheidigung meiner heiligsten Interessen zu gebrauchen; aber nicht zufrieden mit den Wunden, welche Sie aufgerissen hatten, besuchten Sie Nina. – Ich will nicht bei jenem Auftritte verweilen, nicht mehr daran denken, daß Sie selbst, meine Mutter, ihr einen entehrenden Vorschlag machten. – Ich will alles vergessen, und stehe jetzt vor Ihnen als ein ergebener Sohn, mit der Bitte, das zu vergessen, was ich Ihnen zu Leide gethan, und übergebe in Ihre eigenen Hände jene unglücklichen Briefe, welche ich auch, in diesem Augenblick wünschte, nie gelesen zu haben. Meine Mutter, meine geliebte Mutter, auf den Knieen zu Ihren Füßen flehe ich um den Segen zu der Ehe, welche ich zu schließen im Begriff bin. – Nur noch einige Worte und ich bin zu Ende. – Nina verlangte um Ihretwillen – merken Sie sich das wohl – daß unsere Verbindung um ein Jahr verschoben werden sollte. Sie wünschte, daß ich, von ihr getrennt, die Gefühle meines Herzens prüfen sollte. – Ich habe ihr Verlangen erfüllt; aber jetzt, – jetzt gibt es nichts in der Welt, das mich sollte bewegen können, meinen Entschluß zu ändern. – Meine Gefühle haben während dieses Jahres nur an Stärke zugenommen. Meine Mutter, machen Sie aus der Nothwendigkeit eine Tugend, und verfolgen Sie nicht meine Gattin mit einem unverdienten Haß. Das ist die heiße Bitte meines Herzens.«
In dem Sopha zurückgelehnt, und den Kopf auf die Hand gestützt, hörte die Gräfin Hugo an. Es wäre unmöglich gewesen, in den kalten Zügen zu lesen, welche Gefühle ihre Brust bewegten; nur ein leises Zucken der Augenbrauen zeigte, daß sie nicht so gefühllos war, wie die unbeweglichen Gesichtszüge andeuteten.
Nachdem Hugo geschlossen, betrachtete sie ihn eine Weile und sprach dann mit unerschütterlicher Kälte:
»Meinen Fluch hast du durch deine Drohung von dir abgewendet; glaube jedoch nicht, daß du deßhalb durch deine Bitten meinen Segen zu jener verhaßten Ehe erhalten kannst, oder daß ich, so lange mein Herz schlägt, aufhören werde, jenes Weib zu hassen, das sich in meine Familie hineingedrängt hat. – Das ist jetzt mein unerschütterlicher Entschluß, mein letztes Wort.«
Die Gräfin stand auf, um den Salon zu verlassen.
»O, meine Mutter, warum diese Härte gegen dein Kind – und dieser Haß gegen ein tugendhaftes Mädchen?« rief Hugo.
»Ihre Tugenden sind mir gleichgültig; aber ihre Geburt und gesellschaftliche Stellung erregen meinen Abscheu. – Ich sollte eine frühere Schauspielerin meine Tochter nennen? – Nein, niemals; – behalte du meine Briefe; sie beweisen nichts; eine edle Geburt verhüllt Manches.«
Die Gräfin entfernte sich, und Hugo stürzte aus dem Zimmer.
In ihr Kabinet eingeschlossen, hörte jetzt die stolze und unbeugsame Mutter den Wagen von dannen rollen. Die Hand auf das stolze Herz gedrückt, flüsterte sie:
»O, mein Sohn, du bist jetzt todt für mich, und das durch Amaliens Familie!«
Heiße Thränen flossen über die bleichen Wangen.
Einige Tage darauf reiste Graf Hugo nach Hamburg, um dort Nina zu begegnen, – und die Gräfin unternahm vollkommen in Trauer gekleidet, wie wenn ein Verwandter gestorben wäre, eine, Reise nach Kopenhagen.
Eines Tages im September befand Thora sich allein in. einem kleinen Pavillon, welcher in dem Garten der Villa am Thiergarten lag, die sie während der schönen Jahreszeit bewohnte.
Thora lag halb ausgestreckt auf einem Sopha. Das üppige schwarze Haar wallte frei herab über Hals und Schulter. Mit einem melancholischen Ausdruck betrachtete sie eine Copie von Leonardo da Vincis Abendmahl, welche ihr gegenüber an der Wand hing.
Es war einer jener Augenblicke, wo der Mensch zum ruhigen Nachdenken aufgelegt ist; wo die Leidenschaften und Illusionen vor ernsthaften Reflexionen schweigen; wo die Vergangenheit in ihrer ganzen Wahrheit vor unsern inneren Blick tritt, und wir mit Beben, Schmerz und Reue uns selbst fragen: Wie habe ich die Schätze angewendet, welche die Vorsehung mir zu meinem eigenen und anderer Glück gegeben hat? – Wie viele Mißgriffe, Verirrungen und Fehler haben wir nicht zu beweinen: und wie schlecht haben wir nicht meistentheils das Gute begriffen, das Gott an uns verschwendet hat!
Thora war so in Gedanken versunken, daß sie nicht bemerkte, wie die Thüre sich öffnete, und Axel eintrat. Er stand stille und betrachtete sie. So wunderbar sind die Wirkungen unserer inneren Natur, daß es kaum Jemanden gibt, er möge noch so leichtsinnig sein, welcher nicht durch ein Gesicht, das in tiefe Gedanken versunken ist, ergriffen wird, – stehen bleibt, und womöglich in die Mysterien eindringen will, die sich im Inneren jener Welt bewegen, welche wir die Seele nennen; in diese Welt, welche von Natur die unbegrenzteste, obgleich durch Gewohnheit und Vorurtheile oft eine sehr beschränkte ist.
Auch Axel wurde von einem solchen Gefühl ergriffen, als er Thora in ihr Inneres versunken fand; er hätte einen Blick in ihr Herz werfen und lesen mögen, was darin vorging. Ein tiefer Seufzer Thoras veranlaßte ihn indessen, näher zu treten.
»Woran denkst du, meine Thora?« fragte Axel und küßte mit Wärme ihre Hand.
»An das Bild dort, – an die Versöhnung, – an die wahre Liebe,« antwortete Thora und ließ ihre Hand in der seinigen ruhen.
Ihre Stimme zitterte vor Schmerz und Sanftmuth.
»Was dachtest du dabei?«
Axel setzte sich an ihre Seite.
»Du wirst mich gewiß nicht verstehen; als ich aber den himmlischen Ausdruck in dem Antlitz des Erlösers betrachtete, da kam es mir vor, als wenn ich nun erst recht begriffen, was Liebe sei. – Werde nicht böse, aber ich zweifelte an der deinigen. – Es drängte sich mir der Gedanke auf: daß die Liebe uns veredeln und nicht verschlechtern muß, – daß, wenn man wahr und aufrichtig liebt, es unmöglich sei, den Gegenstand unserer Neigung erniedrigen, oder dazu verleiten zu wollen, Ehre und Pflicht mit Füßen zu treten. – Dann dachte ich an mich selbst, an meine Leiden und meine Fehler; an meinen Mann und an die Treue, welche ich ihm schuldig bin. Mein Gewissen fragte, ob meine Handlungen sich mit dem Eid vereinigen ließen, den ich vor Gott abgelegt?«
Thoras Stimme war aufgeregt.
»Wozu diese Phantasieen und diese unnöthigen Zweifel an meinen Gefühlen? Lege die Hand an mein Herz und zähle die stürmischen Schläge desselben, und du wirst dich von der Stärke meiner Liebe überzeugen. – Aber ich, Thora, wie viel mehr Grund habe ich nicht zu Zweifel, Schmerz und Raserei? – Während der jüngst verflossenen Monate, wo ich, durch eine nie erlöschende Liebe an dich gefesselt, dich um Gegenliebe gebettelt, was hast du mir da gegeben? – Nur Hoffnung und Ungewißheit. – Nicht eine Sekunde hast du um meinetwillen die Welt vergessen, welche dich umgibt. – Wenn du einen Augenblick, von dem Feuer meines Herzens hingerissen, soweit zu sein schienest, meine Treue zu belohnen, und ich dann die Arme ausstreckte, um meine ganze Welt zu umarmen, dann – flohst du mich und ich stand da von deinem Eigensinn zum Besten gehalten. Wahnsinnig vor Schmerz stürzte ich fort, um dich nie wieder zu sehen; aber am nächsten Tage fandest du mich wieder treu und anbetend zu deinen Füßen. So sind Tage, Wochen und Monate unter einem fortwährenden Kampfe vergangen, der mich fast wahnsinnig gemacht hat. – Wann, o wann wirst du mein? – Was ist das für eine Macht, welche, wenn deine Liebe am heißesten ist, dich fliehen macht, sowie ich dich an meine Brust drücken und dankbar zum Himmel rufen will: jetzt ist sie mein! Was ist es, das, obgleich dein Herz an das meinige gefesselt zu sein scheint, dich fortjagt und mir das Glück raubt, von welchem ich Jahre lang träume? – O! nenne mir jenen Feind, welcher uns trennt.«
»Er heißt Mißtrauen!« antwortete Thora ernst.
»Wenn ich, von deiner Liebe und deinen Worten hingerissen, nahe daran bin Alles, außer dir, zu vergessen, dann, Axel, tritt plötzlich, wie der Schatten eines Todten, die grausame Täuschung vor mein Gedächtniß, die du einst an mir begangen, und ich rufe: Verrätherei! – Meine Entzückung verschwindet und ich fliehe dich, wie mein böses Geschick. Du sprichst von Leiden. O, Axel, was empfinde ich denn in solchen Augenblicken, wo ich, nachdem ich von dir geflohen, auf meinem Zimmer eingeschlossen, es bedenke, daß du jetzt wieder mich verleiten wolltest, meine Pflichten als Gattin zu vergessen; wie du ehemals wolltest, daß ich sie als Tochter und Mädchen vergessen sollte.«
»Wie kannst du davon sprechen, Pflichten zu vergessen, welche die Vorurtheile der Menschen geschaffen, wenn die Liebe spricht, welche von Gott geschaffen ist? Weißt du nicht, daß die Natur der Liebe egoistisch und gebieterisch ist, daß sie Alles fordert, wie sie auch Alles opfert. Sie gleicht einem starken Strome, welcher, allen Hindernissen trotzend, sich dadurch den Weg bahnt, daß er Alles verschlingt, das sich ihm entgegenstellt. Ich weiß wohl, daß es Naturen gibt, welche entsagen können, aber ihre Liebe ist lau und ihre Gefühle Traumgebilde ohne Leben und Kraft; sie fühlen nicht wie ich. – Die Liebe ist bei ihnen eine stille, bleiche Flamme, nicht ein wilder, verzehrender Brand. Siehst du, mein guter Engel, das Schicksal führte uns zusammen, damit ich in dir mein geträumtes Ideal anbeten durfte. Es war nicht möglich, daß der Eid, welcher mich an eine andere band, für meine ganze Lebenszeit ein bindendes Gesetz für die Forderungen meines Herzens sein konnte. Ich sah und liebte dich, und betrog dich, weil ich nicht mehr ohne dich leben konnte. Das Schicksal hielt mich in dem Augenblick zum Besten, wo ich mich deines Besitzes und meines Glückes sicher glaubte. Wenn ich jetzt, nach jahrelangem Warten, verlange, daß du um meinetwillen einen elenden Narren verlassen sollst, so ist das ganz natürlich. – Wenn man treu und warm liebt, so hat man alles gesühnt; man hat sich das Recht erkauft, selbst vom Fuße des Altars das Weib wegzureißen, um dessenwillen man das gelitten, was ich gelitten! – Thora, zweifle an allem, an Gott, wenn du willst, aber nicht an den Gefühlen meines Herzens für dich. O, sage doch, wann soll dieses Herz den Lohn bekommen, von welchem es so viele Jahre geträumt? – Siehe mich an, Thora, und antworte wann …?«
Axel beugte sich über Thora herab, sie athmete kurz und unruhig; seine Augen ruhten voll Liebe und flehend auf ihr.
Thora schwieg; aber der Wechsel der Farbe ihrer Wangen verrieth einen inneren Kampf. Axel schlang zärtlich seinen Arm um Thoras Leib. Sanft schob Thora ihn von sich und flüsterte:
»Wenn du aufhörtest mich zu lieben, wie du mich jetzt liebst, dann würde ich sterben; aber doch kann ich, Axel, nie dein werden, bevor ich deinen Namen trage.«
Axel sprang auf, ergriff und drückte mit krampfhafter Heftigkeit Thoras Hand und sagte:
»Warum glaube ich armer Thor noch daran, daß es ein Herz in deiner Marmorbrust gibt? – Warum will ich nicht einmal begreifen, daß es nur ein grausames Spiel ist, welches du mit meiner wahnsinnigen Leidenschaft treibst. Leb wohl, Thora, und sei überzeugt, daß ich morgen nicht zurückkehre; dieses abscheuliche Gaukelspiel mit meinen Gefühlen muß ein Ende haben.«
Axel eilte nach der Thür.
»Axel, bleib!« ertönte Thoras Stimme hinter ihm.
Er wandte sich um.
Auch Thora war aufgesprungen und stand jetzt mitten im Zimmer, bleich, aber schön, und mit einem Blick »ein Königreich werth.«
Zu ihren Füßen stürzend, schlang Axel seinen Arm um ihren Leib und sprach leidenschaftlich:
»O Thora, du machst mich wahnsinnig!« und dabei drückte er seine brennend heiße Stirne an ihre Brust.
Ein Klopfen an die Pavillonsthüre veranlaßte Axel aufzustehen; eine Wolke des Mißvergnügens sammelte sich auf seiner Stirne, als er in einem Fauteuil Platz nahm. Thora rief dem Klopfenden ein Herein zu. Es war Lisette.
»Hier ist ein Bries aus Rom; die Frau Majorin hat ihn mit Friedrich hierher geschickt,« sagte das Mädchen, und übergab ihn Thora, worauf sie sich entfernte.
Axel war wieder an Thoras Seite und ergriff den Brief.
»Du gedenkst doch wohl nicht in deiner Verträglichkeit so weit zu gehen, diesen Brief zu lesen. Bedenke, daß er dich verlassen, als du krank warst, und sich später mit keinem Wort nach dir erkundigt hat.«
»Axel, gib mir den Brief. Der, der ihn geschrieben, ist in allen Fällen mein Mann.«
»Dein Mann? Er, der Elende?«
»Still; weder du noch ich haben ein Recht, ihn zu schimpfen; gib den Brief her, ich will und muß sehen, was er schreibt.«
Mit einer hastigen Bewegung nahm Thora den Brief zurück.
»Aber ich will es nicht,« rief Axel heftig und ergriff die Hand, in welcher sie denselben hielt.
»Wozu diesen zwecklosen Streit, du solltest doch einsehen, daß ich wissen muß, was er zu sagen hat. Vielleicht fordert er seine Freiheit zurück und schenkt mir die meinige.«
Axel ließ Thoras Hand los und küßte sie.
Thora las laut:
»Meine ewig geliebte, tiefbeleidigte Thora!
»Vergebens versuche ich es, mit Worten meine Reue zu beschreiben und meine Handlungsweise zu entschuldigen. Ich würde doch keine finden, mit welchen ich mich rechtfertigen könnte, und ich will es nicht einmal, weil ich dann gezwungen wäre, von der Wahrheit abzuweichen. Ich muß oft eingestehen, daß, wenn du streng wärest, ich jede Hoffnung aus Verzeihung verwirkt hätte; aber im vollen Vertrauen zu deinem Edelmuth bitte ich dich, das, was ich gewesen bin, zu vergessen; denn ich will suchen, es wieder gut zu machen. Wie soll ich auch dir meine Dankbarkeit darbringen für die großmüthige Art und Weise, auf welche du alles erlittene Unrecht zu rächen versucht hast. Ach, Thora! gewiß wohnt ein Engel in deinem Herzen.
»Ich erhielt von dem Grafen Oernhjelm einen Brief, in welchem er mir mittheilte, daß es dir gelungen sei, eine von mir gemalte Winterlandschaft an die Dresdener Gallerie zu verkaufen, und daß dieselbe allgemein gefallen habe. Er sandte mir auch eine deutsche Zeitung, in welcher mein Name erwähnt wird als der eines eben erst aufgetretenen, aber ungewöhnlich viel versprechenden Talents.
»Meine Verwunderung beim Empfange dieses Briefes und der Zeitung läßt sich nicht denken; aber einige Augenblicke des Nachdenkens reichten hin, um mir den ganzen Zusammenhang zu erklären. Du warst es, du allein, welcher ich die Glückseligkeit zu danken hatte, die beim Lesen der Lobesworte, die man an mich verschwendete, meine Brust höher hob. Wie und wann soll ich dir dieses mein Glück vergelten?
»Ich sehe jetzt klar ein, daß ich, ohne dich an meiner Seite zu haben, immer ein unbemerkter und mittelmäßiger Künstler bleiben werde.
»Voll Hoffnung kehre ich deßhalb zurück, und das Leben lacht mir mit den Freuden der Ehre und der Liebe entgegen. Ich weiß jetzt, daß du mich liebst; denn sonst hättest du nicht für die Förderung meines Glückes gearbeitet. Nur die Liebe kann den Menschen so voll zarter Rücksicht machen. Fast gleichzeitig mit diesem Briefe hoffe ich persönlich zu deinen Füßen meine Liebe und meine Bewunderung aussprechen zu können.
Ewig dein
Emil.«
Als Thora mit dem Lesen dieses Briefes zu Ende war, saß sie stumm da.
Axel maß den Fußboden mit hastigen Schritten und eine dunkle Wolke nach der andern lagerte sich auf seiner Stirne. Endlich blieb er, die Arme über die Brust gekreuzt, und mit blitzenden Augen vor Thora stehen.
»Thora, du hast mich grausam betrogen; denn, wie er selbst schreibt, so muß man denjenigen lieben, dessen Schwäche man mit so ausgesuchter Zuvorkommenheit befriedigt. Es waren keine traurigen Erinnerungen, welche mich von dir scheuchten, es war Liebe zu diesem Narren, welcher sich glücklich fühlte bei einer geliehenen Ehre, die dich meiner Zärtlichkeit entfliehen machte. Wahrlich, ich muß den Geschmack der geistreichen Thora bewundern. Dadurch, daß sie seiner Eitelkeit schmeichelt, erbettelt sie sich ein klein wenig von seiner Neigung. Ach, meine Gnädige, Sie sind unübertrefflich.«
»Höre auf mit diesem Hohn,« rief Thora heftig. »Die geistreiche Thora, wie du dich ausdrücktest, trägt jetzt Liljekronas Namen, und sie weiß auch, wie schlecht sie die Pflichten einer Frau erfüllt hat. War ich es nicht, welche sein Leben durch meinen Ehrgeiz verbitterte. Wen ich liebe, das weißt du zu gut; jeder Zweifel daran, der von deinen Lippen ausgesprochen wird, ist eine deiner Stellung zu mir unwürdige Spötterei.«
»Du hast recht,« antwortete Axel in düsterem Tone; »aber, Thora, wenn ich bedenke, daß dieser Mann Rechte über dich besitzt, die ich niemals gehabt habe, daß du ihm gehört hast, während ich meine Zeit mit Reue und Hoffnung vergeudet habe, dann erfaßt mich ein grenzenloser Haß gegen ihn, und eine tiefe Erbitterung gegen dich.«
Es entstand eine Pause.
In Thoras Zügen spiegelten sich Schmerz und Unruhe. Axel ging einigemal im Zimmer auf und ab, worauf er wieder vor Thora stehen blieb.
»Gedenkst du seine Rückkunft abzuwarten?« fragte er.
»Was soll ich denn sonst thun?«
»Du wolltest dich ja von ihm scheiden lassen; wenigstens hast du es mir versprochen. Was ist denn einfacher, als daß du sofort mit mir abreisest? Er läßt dich öffentlich aufrufen, und wenn du nicht binnen einem Jahr dich einfindest, so ist eure Ehe aufgelöst und du bist mein für Zeit und Ewigkeit.«
»Du willst also, daß ich gleich einem verbrecherischen und leichtsinnigen Weibe mit meinem Liebhaber von dannen fliehen soll!« rief Thora und sprang auf, indem sie stolz den Kopf zurückwarf. »Es ist jetzt das zweitemal, Axel, daß du mir vorschlägst, durch eine solche Handlung meine Ehre zu brandmarken. Kannst du denn diejenige lieben, welche du so tief erniedrigen willst? Gehe, Axel, gehe, ich werde mir niemals durch einen entehrenden Schritt das Recht erkaufen, deine Gattin zu werden.« Die Thränen stürzten aus Thoras Augen und erstickten ihre Stimme.
»Ach, du furchtsames und leicht zu erschreckendes Kind!« sagte Axel mit sanfter Stimme, und zog sie zärtlich neben sich aufs Sopha hinab. »Wäre ich, meine Thora, ebenso mißtrauisch gegen dein Herz, wie du es gegen das meinige bist, so würde ich mit vollem Grunde an deiner Treue zweifeln können. Man denkt nicht an das Urtheil anderer Menschen, und opfert sich nicht leeren, nichtssagenden Vorurtheilen, wenn man liebt. Die ganze übrige Welt ist dann verschwunden; es gibt nur ein einziges Wesen, und dieses allein istunsere ganze Welt. So, Thora, liebe ich. Was frag ich denn nach der Ehre ohne dich; und was hat selbst die Schande zu bedeuten mit dir? Wie kannst du denn unsere Zukunft einem so unsichern Würfelspiel aussetzen wollen, wie das der Laune eines exaltirten und eitlen Thoren, dessen Interesse es jetzt geworden ist, dich in seiner Gewalt zu behalten. Ist es möglich, daß du unsere Liebe und Wiedervereinigung einem so unsichern Resultate aussetzen willst?«
Mit zurückgehaltenem Athem lauschte Thora diesen gefährlichen Worten, welche ihren Ohren schmeichelten wie Zaubermusik. Als Axel schwieg, that sie einen tiefen Seufzer. Thora fühlte sich in den Wirbel der Leidenschaft hineingezogen und von seinen verbrecherischen Sophismen beherrscht; aber noch leistete die Stimme der Ehre Widerstand, obgleich dieselbe matter zu ertönen begann. Thora ergriff lebhaft die Hand Axels, schloß sie in die ihrige und sprach in einem flehenden Tone:
»Sei großmüthig und edelmüthig, Axel; mache nicht Gebrauch von der gefährlichen Macht, welche du über mein schwaches Herz besitzest, um mich, gegen alles bessere Gefühl, dazu zu bringen, schlecht und elend zu handeln. Laß mich Emil ehrlich sagen, daß ich nicht ohne dich leben kann, daß er und ich geschieden werden müssen. Es wird dann ein freundliches Uebereinkommen, und unsere Scheidung kann ohne allen Skandal stattfinden. Nur unter der Bedingung wage ich es, mit Hoffnung der Zukunft entgegenzusehen. Erinnere dich, was ich bereits gelitten, und daß ich noch rein und fleckenlos bin. O! raube mir nicht diesen meinen letzten und einzigen Trost.«
»Bitte mich nicht um ein Opfer, das wahnsinnig wäre! Was ist es denn eigentlich, das dir so gefährlich vorkommt? Nur den Augenblick beschleunigen, wo du meine Gattin werden wirst. Daß du mich begleitest, was liegt denn eigentlich darin? Nur, daß du mich über alles Andere liebst! Wenn du nachher meinen Namen trägst, muß jeder Tadel verstummen. Jetzt bin ich es, Thora, welcher zu deinen Füßen um Gnade für unsere Liebe bettelt,« fügte Axel mit hinreißender Wärme hinzu.
»Axel, stehe auf, ich kann unmöglich eine Betrügerin werden,« antwortete Thora, beugte sich über ihn und weinte.
»Mache mich nicht wahnsinnig, Thora, mit deiner Halsstarrigkeit. Ich wäre geneigt, eher uns beide zu tödten, als seine Rückkunft abzuwarten,« rief Axel wild und stand auf.
Thora streckte die Hand gegen ihn aus und flüsterte mit weicher Stimme:
»Sei nicht hart, Axel! Weiß ich denn selbst, wozu meine Schwäche und meine Liebe mich verleiten könnten?«
Des langen Zwistes müde, begann Thora schon zu wanken, und in diesem Kampfe würde gewiß Axels unerschütterlicher Wille über ihr schwaches und exaltirtes Gemüth den Sieg davon getragen haben, wenn nicht Stimmen aus dem Garten sie unterbrochen hätten.
»Hast du dich nicht abwesend melden lassen?« fragte Axel und verzog die Augenbrauen, als die Sprechenden näher kamen.
»Ja, ich erwartete ja dich,« antwortete Thora und warf einen Blick durch die Sprossen der Fensterläden.
»Ach, mein Gott, Nina!« rief sie und flog hinaus.
»Verdammt! Dem Siege so nahe zu sein und ihn doch verlieren; aber bei meiner Ehre, sie muß mit mir gehen. Ah, Nina, dießmal sollst du nicht meine Pläne durchkreuzen!« murmelte Axel.
Gleich darauf traten Nina, Graf Hugo, Kapitän Ahlrot und Heinrich in den Pavillon, wo Axel sie kalt und stolz begrüßte.
Thora zeigte so viel Anmuth und Freundlichkeit, daß sie dadurch einigermaßen die Spannung, beseitigte, welche das Zusammentreffen mit Axel bei ihren Verwandten hervorrief. Eine ziemlich ungezwungene Conversation kam auch bald in Gang. Graf Hugo, welcher mit Axels und Thoras früheren Verhältnissen gänzlich unbekannt war, betrachtete diesen nur als einen ausgezeichneten Fremden und unterhielt sich deßhalb lebhaft mit ihm. Der Abend verging dem Anscheine nach heiter, und man trennte sich erst nach dem Souper.
Als Heinrich Abschied nahm, sagte er zu Thora:
»Nina nimmt Nachtquartier bei dir, und ich glaube, daß du am klügsten daran thust, sie morgen nach der Stadt zu begleiten.«
»Warum das?« fragte Thora mit kalter Zurückweisung.
»Weil Graf Falkenhjelm heute von Wien ankommt und dich wahrscheinlich morgen besucht. Er wird gewiß nicht dieselbe Begegnung wünschen, die wir heute Abend gehabt.«
Thora antwortete erröthend, sie würde mit nach der Stadt fahren.
Axel fuhr von Thora mit dem Omnibus und befand sich bald in seinem Zimmer im Hotel de Russie. Bei seinem Eintritt in den Salon außerhalb des Schlafgemachs befand sich dort in einem Lehnstuhl liegend ein junger Bursche in Jockeylivrée. Seine Gesichtszüge hätte man hübsch nennen können, wenn sie nicht einen harten und düstern Ausdruck gehabt hätten. In den dunkeln Augen wohnte eine ganze Welt von unterdrückten, aber unheilverkündenden Leidenschaften. Um die dünnen Lippen spielte ein Zug bitteren Hohnes.
Als Axel hereintrat, erhob der Bursche den Kopf, änderte aber nicht seine Stellung, sondern blickte ihn nur an. Ueber sein Gesicht zog eine Wolke von Unzufriedenheit.
»Warum bist du hier? Warum wartest du aus mich?« fragte Axel in einem etwas harten Tone.
»Weil ich dich sehen wollte; weil ich jeden Abend dasselbe thue,« war die Antwort.
»Aber du weißt ja, daß es mir mißfällt, mich peinigt und ärgert, dich unaufhörlich auf meinem Wege zu finden.«
»Ich bin ja dein Diener,« antwortete der Bursche spottend.
»Ja, aber gegen meinen Willen.«
»So!«
»Laß doch die Komödie endlich einmal ein Ende nehmen. Warum übernahmst du diese Rolle und erzwangst dir die Erlaubniß, mich begleiten zu dürfen?«
»Weil ich dich liebte! – Du wendest dich weg von mir, du bist mit dieser Erklärung nicht zufrieden, welche ich dir tausendmal gegeben. – Kann ich denn dafür, daß meine Liebe stärker ist, als dein Widerwillen, daß sie mich zu diesem Schritte zwingt; obgleich ich ganz gut weiß, daß du sie niemals getheilt hast oder theilen wirst. Ich verlange ja auch nichts von dir; – wenn ich nur in deiner Nähe sein darf.«
Axel betrachtete den Burschen prüfend.
»Nein, es wohnt keine Liebe, es wohnt Haß in deinem Blick. Du kommst mir wie ein Geist des Unglücks vor. Eine innere Ahnung sagt mir, daß du etwas im Schilde führst. Wir müssen uns trennen.«
» Müssen, sagst du. – Nein, nicht eher, als mit dem Tode,« antwortete der Bursche langsam und stand auf.
»Und warum müssen wir? – Hab ich dir nicht treu gedient? – Laß uns das, was seit der Zeit, daß unsere Wege sich berührten, passirt ist, ins Gedächtniß zurückrufen. Als du nach deinem Auftreten in Lübeck von mir wegreistest, folgte ich dir nach, und holte dich in München ein. – Warum that ich das?«
»Nun, weil ich seit unsrem ersten Begegnen geschworen hatte, nur für dich zu leben. Ich habe dich treu wie ein Schatten begleitet und deine Schritte bewacht, weil ich für dich die glühendsten Gefühle empfand. Du nahmst meine ganze Seele in Anspruch, du beschäftigtest alle meine Gedanken. Durch Trotz und Drohungen erzwang ich mir eine Stelle bei deiner Frau. Nun, warum that ich das? Nur um deines künftigen Glückes willen! Ich sah im Voraus ein, daß sie dich mit Leidenschaft lieben mußte, und ich wußte auch, wie ich sie dann würde tödten können. O, erbleiche nicht, – höre mich an bis ans Ende! Ich wiederholte ihr so oft, wie hoch du Thora liebtest, wie schön sie sei, wie ausschließlich sie dich beherrschte, und daß deine Liebe zu ihr dich bewogen hatte, im Getümmel des Krieges Vergessenheit oder Tod zu suchen. Ich zeigte ihr klar, daß du niemals, so lange sie lebte, von Algier zurückkehren würdest. Kurz, ich schilderte es mit so lebhaften Farben, daß ich mir sagen könnte, jede solche Schilderung habe ihr ein Jahr ihres Lebens geraubt. Drei und ein halb Jahr darauf war sie auch todt!«
»Es ist entsetzlich!« rief Axel schaudernd.
»Entsetzlich, sagst du? – Ah, und doch weiß ich etwas, das noch entsetzlicher ist,« fiel der Bursche düster ein. »Sie gehörte einem Geschlechte, das …« Hier hielt er an sich und fuhr mit der Hand über die Stirne.
»Das …?« wiederholte Axel, indem er den Burschen aufmerksam fixirte.
»Mit welchem verbunden zu sein dein Unglück war,« fuhr Letzterer ruhig fort. »Ich wollte nur dein Glück, das war die Triebfeder zu meinen Handlungen.«
»Ohne der Natur irgend eine physische Gewalt anzuthun, habe ich deine Fesseln gelöst, und war auch der Erste, welcher dich davon in Kenntniß setzte, daß du – frei seiest, – daß der Weg zu Thora dir jetzt geöffnet sei, – und doch mußte ich zuletzt durch Drohungen mir das Recht erzwingen, dich wieder begleiten zu dürfen. Siehe, das ist der Lohn für meine Bemühungen, dir dein Glück zu bereiten, dessen Zeuge zu sein, und welches mit zu genießen ich geschworen habe.«
»Stille, Geist der Hölle, du bringst mich wieder auf Gedanken, welche mich rasend machen. Du wolltest Zeugin meines Glückes sein, und du wußtest doch, daß sie bereits – verheiratet sei. Elender, du betrogst mich nur,« rief Axel, und faßte den Burschen heftig am Arme. »Begreifst du, daß ich bei der Erinnerung daran dich verabscheuen muß, und daß du mir aus den Augen fort mußt?«
»Niemals! – Ich würde mich dann dadurch rächen, daß ich dich um Thoras Liebe brächte; denn ich brauche nur zu ihr zu gehen, und ihr zu sagen, daß du, nachdem sie wahnsinnig geworden, mich verführtest mit dir durchzugehen, weil du, während der ganzen Zeit, wo sie glaubte ausschließlich von dir geliebt zu werden, in einem intimen Verhältniß zu mir gestanden hättest. Als Zeuge für die Wahrheit meiner Worte würde ich mich auf deinen eigenen Bedienten berufen, welcher mich bei Nachtzeit deine Zimmer verlassen sah. Ich benützte dann die Waffe, von welcher du einst gegen mich Gebrauch machen wolltest. Begreife also, daß wir bis zu dem Tage unzertrennlich sind, an welchem Thora dein ist, und du nicht nöthig hast, mich mehr zu fürchten.«
Axel ging in aufgeregter Gemüthsstimmung einigemal im Zimmer auf und ab.
Der Bursche folgte ihm mit den Augen.
»Aber wozu dieses ewige Mißtrauen zu mir,« fuhr er fort, »da alle meine Handlungen dir beweisen müssen, daß ich nur für dein Glück und deinen siegreichen Erfolg lebe?«
»Sage mir, warum verschwiegst du mir in München, daß Thora verheiratet sei? – Warum unterhieltest du und schürtest du meine ungestüme Freude darüber, daß ich frei war, und ihr mein Leben und meinen Namen anbieten konnte, da du doch wußtest, daß sie einem Andern gehörte? Sage mir, wozu diese Schweigsamkeit?«
»Ich wußte durchaus nicht, daß sie verheiratet war.«
»Du vergißt dann Lauras Auftreten bei der Verlobung, welche sie dir gegenüber bei ihrer Rückkehr nach München erwähnte.«
»Der General hat mir das Ergebniß mitgetheilt.«
»Aber Verlobung ist ja keine Heirat.«
»Wenn ich an dein ganzes Benehmen denke, dann werde ich fast wahnsinnig vor Raserei. Als ich von Oberst ***stjernas Ball zurückkam, kam es mir vor, als wenn du an meinen Qualen einen Genuß hättest.«
»Du täuschtest dich, ich litt dagegen dabei. Axel! befehle, und ich werde gern für die Förderung deiner Liebe mein Leben hingeben.« Als jener sonderbare Bursche dieses geäußert hatte, stützte er seinen Kopf auf die Hand.
»Vielleicht Ihne ich dir Unrecht,« fuhr Axel fort. »Die Zukunft wird es zeigen.«
»Ja, der Tag wird bald kommen, wo ich nach jahrelangem Warten dir zeigen werde, wie ich dich liebe!« Hätte Axel jetzt den kleinen Jockey angesehen, dann würde er über den von Haß flammenden Blick entsetzt gewesen sein.
»Gute Nacht, Axel; wann reisen wir?«
»Ich weiß es nicht,« antwortete Axel gedankenvoll.
Eine Woche verging, ohne daß Thora mit Axel zusammentreffen konnte. Graf Falkenhjelm brachte den ganzen Tag bei seiner Tochter zu, und abends wurden Lustpartieen unternommen. Hierzu kam, daß die Majorin und Nina sich ununterbrochen bei Thora im Thiergarten aufhielten, so daß sie keine einzige unbewachte Stunde hatte.
Thora litt darunter. Jeden Abend schrieb sie an Axel, und jeder dieser Briefe bewies, daß selbst die Trennung, mehr als irgend etwas anderes, Axel dem Siege über ihr Herz näher brachte. Sie meinte jetzt alles überleben zu können, nur das nicht, von ihm getrennt zu sein.
So standen die Sachen am Tage vor der Abreise des Grafen nach Schonen.
Als Thora um die Mittagszeit von einem Ausflug mit ihrem Vater, der Tante und Nina, zurückkehrte, theilte Lisette ihr mit, daß der Bediente des Obersten mit einem Briefe warte. Thora eilte in ihr Kabinet und befahl, dorthin den Diener zu schicken.
Einige Augenblicke darauf las sie Folgendes:
»Thora! Wozu dieses Spiel mit meinem Herzen? Wozu diese leeren Worte und Phrasen, da du mir doch keine einzige Stunde widmest? Sage es ehrlich, daß du mich nicht sehen willst, und ich kehre ins Feld zurück, um – zu sterben. Liebst du mich aber noch, dann muß ich dich, wenn auch nur auf einen Augenblick, heute Abend sprechen. Bewilligst du mir nicht diese Zusammenkunft, dann reise ich ab, um niemals mehr zurückzukehren.
Dein unglücklicher Axel.«
Hierauf antwortete Thora in einem Billet:
»Auch ich vermag nicht länger getrennt von dir zu leben. Tod und Schande lieber, als das Leben ohne Axel! Komm heute Abend in den Pavillon.
In einiger Entfernung von der Villa, in welcher Thora wohnte, wartete Axels Jockey auf den Bedienten.
»Gieb mir den Brief,« sagte er zu dem Letzteren.
»Aber der Oberst befahl mir, ihm selbst denselben zu übergeben,« antwortete dieser.
»Gotthard, er hat mich hieher geschickt, um dir zu begegnen, und gab mir den Befehl, daß du mit diesem Brief zum Baron X… gehen solltest.«
Obgleich etwas zögernd, so überreichte Gotthard doch Thoras Antwort dem Burschen, und dieser schwang sich auf ein Pferd, welches an einem Baume angebunden stand, und ritt spornstreichs von dannen.
Früh am Abend sagte der Graf seiner Tochter Lebewohl, weil er am andern Morgen abreisen wollte. Die Majorin und Nina blieben jedoch bei Thora. Diese schützte aber ein heftiges Kopfweh vor, so daß man sich früher als gewöhnlich trennte und zur Ruhe begab.
Um elf Uhr abends schlich Thora sich still aus dem Hause hinaus in den Garten. Es war ein dunkler und stürmischer Abend, der Wind prasselte in dem abgefallenen Laub und jagte es wirbelnd um Thoras Haupt. Kein Stern schimmerte herab von dem wolkenbedeckten Himmel, und nur das Licht, welches sie im Pavillon hatte anzünden lassen, zeigte ihr den Weg. Während sie den kurzen Weg zurücklegte, bemächtigten sich eine düstere Angst und traurige Ahnung ihres Herzens. Die Vernunft flüsterte ihr ein warnendes kehre um! zu; die Liebe aber und die Schwäche trieben sie vorwärts. Es kam ihr vor, als wenn Jemand hinter ihr herschliche; wenn sie aber stehen blieb, um zu lauschen, so hörte sie nur das Brausen des Windes in dem dürren Laube. Unruhig, und von ihrer Einbildung geängstigt, erreichte Thora endlich das Ziel und fand zu ihrer unbeschreiblichen Freude Axel bereits dort.
Thora warf sich an seine Brust mit den Worten:
»Gottlob, mein Axel, daß ich dich wieder sehe!«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, und schmiegte sich zitternd an ihn.
»O! was ich gelitten habe, wie ich diese ewig langen Tage, die wir getrennt waren, mich unglücklich gefühlt habe,« sprach Axel, und drückte sie fest an sein Herz.
»Auch ich habe jetzt klar begriffen, daß nur der Tod uns trennen kann; ohne dich zu sehen, kann ich nicht länger leben.«
»Du gehst mit mir, ist es nicht so, mein angebeteter Engel?« Und Axel bedeckte dabei Thoras Hände mit seinen glühenden Küssen.
»Ich gehe mit dir, wohin es auch sein mag,« antwortete Thora, ohne sich zu besinnen.
»Treuloses und meineidiges Weib, du sollst ihm in den Tod folgen!« erscholl eine zornige Stimme.
Erschrocken rissen Thora und Axel sich aus ihrer Umarmung, und richteten ihre Blicke bestürzt dorthin, woher die Stimme kam. Was sahen Sie? – Emil! mit bleichen, von Raserei entstellten Zügen, und neben ihm stand – Cordula mit einem vor Rachgier strahlenden Antlitz. Bei ihrem Anblick fuhr Axel zusammen.
Sie ging einige Schritte auf Axel zu und sagte:
»Jetzt, mein Herr, ist der Augenblick gekommen, wo ich zeigen kann, wie sehr ich Sie liebe. Emil wird auf eine würdige Weise meine Gefühle aussprechen, und darum übergebe ich meine Rache in seine Hände. Sollten Sie zufälliger Weise wissen wollen, wer ich bin, und warum ich Ihnen Jahre lang gefolgt, um eines Tages die zermalmende Waffe der Strafe mit Sicherheit gegen Sie schleudern zu können, – so wissen Sie, – daß ich die Tochter des unglücklichen Weibes bin, welche Ihre Mutter als Giftmischerin anklagen und verurtheilen ließ. Ich bin Amalia Heyses Kind mit Ihrem Onkel, demselben Onkel, dessen Vermögen es euch dadurch gelang an euch zu reißen, daß er ermordet, meine Mutter unschuldig verurtheilt und ich fälschlich für ein uneheliches Kind erklärt wurde. Nimm jetzt den Lohn, welchen das Verbrechen erzeugt. Dieser Augenblick gibt mir Ersatz für Alles, was Sie mir geraubt haben; denn Sie werden sterben, sterben weg von Liebe, Ehre, Tugend und Reichthum; sterben gerade, wo ein Leben voll Genuß, Glück und Glanz Ihnen entgegenlacht. Ah! in diesem Augenblick gäben Sie gern für Thora und Ihr Leben das ganze Vermögen hin, um welches Sie mich bestohlen haben; aber Sie werden sich nicht retten können. Verstehen Sie? Nichts vermag mehr Sie oder Thora zu retten!« rief Cordula mit wilder Freude und stürzte hinaus.
Emil schloß die Thüre ab und steckte den Schlüssel in die Tasche, worauf er sich an Thora mit folgenden Worten wandte:
»Es ist also auf eine solche Weise, daß du meine Ehre und deine Pflichten wahrnimmst, – so entsprichst du also meinem Vertrauen? Konntest du aber nicht begreifen, daß ich einst meine gekränkte Ehre und deinen Eidbruch blutig rächen würde?«
»Aber was gibt Ihnen denn ein Recht, diejenige Frau, die Sie selbst verlassen haben, auf eine solche Weise anzureden? Sie sprechen von Rache, Sie!« sprach Axel in einem unbeschreiblich verächtlichen Tone.
»Was mich dazu berechtigt – fragen Sie? Nun, das Recht, welches das Gesetz mir über jenes Weib gibt …«
»Das haben Sie durch Ihr elendes Betragen schon längst verwirkt,« unterbrach ihn Axel. »Thora steht noch in diesem Augenblick vollkommen rein und schuldlos vor Ihnen; aber sie sowohl wie ich haben keinen höheren Wunsch, als daß sie durch eine gesetzliche Scheidung von den Banden befreit werde, welche sie an einen solchen Mann, wie Sie es sind, fesseln.«
»Rein und schuldlos? – Welche unvergleichliche Schamlosigkeit! Sie haben viel zu große Eile gehabt, als Sie Ihre Rechnung machten und dabei mich – vergaßen. Ich werde indessen nicht die passive Rolle spielen, welche Sie mir zugetheilt haben,« antwortete Emil mit fürchterlicher Kälte und Spott. In demselben Augenblick zog er zwei Pistolen hervor. »Betrachten Sie diese Waffen, mit denselben werde ich Recht sprechen und Rache fordern. Ich gehöre nicht zu jenen frommen Seelen, welche sich ungestraft um ihre Frau und Ehre bestehlen lassen, und nachher stumme Zuschauer des Glückes werden, das man ihnen geraubt hat. Nein, mögt ihr beide den mir angethanen Schimpf und meine zerstörte Zukunft mit eurem Leben entgelten. – Stille, Thora! das erste Wort, das über Ihre Lippen kommt, kostet sein Leben. – Bleiben Sie stehen, Oberst, die geringste Bewegung, und ich tödte sie. – Sie sind beide in meiner Gewalt; höret deßhalb ruhig die Worte an, welche ich hinzuzufügen habe, denn nachher ist es vorbei zwischen uns.«
»Ich will und werde Sie nicht anhören!« schrie Axel und trat einen Schritt auf Emil zu.
»Zurück!« rief dieser und erhob die Pistole gegen Thoras todtenbleiches Gesicht; »noch einen Schritt, und ich drücke ab.«
Axel stieß einen Schrei ohnmächtiger Raserei und der Verzweiflung aus. Sein Gesicht wurde blaßgelb, der Blick wild; er biß sich so heftig in die Lippen, daß diese bluteten.
»An demselben Tage, an welchem ich meinen Brief an Sie, meine Gnädige, von Rom absandte, erhielt ich einen andern von unbekannter Hand aus Schweden. Ich wurde darin davon in Kenntniß gesetzt, daß Sie, Herr Oberst, nachdem Sie die schöne That vollbracht, meine Frau zu verführen, es jetzt beabsichtigten, sie zur Flucht zu verlocken. Mich, der ich einige Augenblicke vorher durch die Komödie Thoras mit deren Bilde überschwenglich glücklich und vollkommen getäuscht war, versetzte jener Brief in einen rasenden Zorn. Ich begriff jetzt klar, daß Sie dadurch, daß Sie mich erst empfinden ließen, was Sie für mein Glück und meinen Ruf hätten sein können, mich den ganzen Verlust fühlen lassen wollten, den ich an Ihnen in dem Augenblicke erlitt, in welchem ich Ihre Unentbehrlichkeit einsah; aber ich schwur, mich zu rächen! – Ich bin Tag und Nacht gereist, um hieher zu kommen, bevor es zu spät und es Ihnen gelungen war, mir zu entkommen. Ich kam endlich gestern hier an. Als ich ans Land stieg, begegnete mir ein kleiner Jockey, welcher mich darum ersuchte, mir einige Worte sagen zu dürfen. Der Bursche war Cordula. Ich nahm ein Zimmer in einem Hotel und wartete dort den Augenblick ab, in welchem mein Zorn, gleich einem zermalmenden Donner, euch treffen würde. Heute um die Mittagszeit erhielt ich von Cordula die Nachricht, daß Thora heute Abend hier mit Ihnen Zusammentreffen würde.« – Emil fuhr mit der Hand über die Stirne. »In diesem Augenblicke, Thora, wo keine Macht der Erde dein Leben retten kann, siehst du gewiß ein, daß du mit deiner warmen und treuen Liebe, wie du sie an ihn verschwendet hast, mich mit unauflöslichen Banden an dich gefesselt haben würdest; während du mir dagegen nie eine wahre Zärtlichkeit gewidmet, sondern mich durch deine Lauheit und durch deinen Ehrgeiz in Landflüchtigkeit gejagt und mein Leben zu einer Plage gemacht hast. Hättest du mich wenigstens meinen Haß und meinen Neid behalten lassen, so würde deine Treulosigkeit mir ein willkommener Vorwand gewesen sein, dich los zu werden; aber jetzt, nachdem dein geheuchelter Edelmuth mich wieder auf Liebe und Glück hat hoffen lassen, jetzt gibt es keine Strafe, die groß genug für dich ist. – Nimm mit dir ins Grab meinen ganzen Abscheu und den Lohn, welchen dein unbesonnenes Leben verdient.«
In demselben Augenblicke wurde der Schuß abgefeuert und Thora fiel, in der einen Seite getroffen, in ihrem Blute gebadet, zu Boden.
Beim Abfeuern des Schusses hörte man heftige Schläge an der Pavillonsthüre, aber Niemand im Innern gab Acht darauf; denn als Thora von Emils Kugel fiel, stürzte Axel mit wahnsinnigem Gebrülle auf diesen los, wurde aber dabei von Emils zweitem Schuß in den Kopf getroffen. Beim Knalle desselben wurde die Thüre gesprengt und zu gleicher Zeit, wo Axel rücklings fiel, stürzte – General Behrend, Cordula mit sich schleppend, herein. Er blieb bei dem Anblicke, der ihm hier begegnete, wie versteinert stehen, und rief Cordula, deren Arme er faßte, voll Entsetzen zu:
»Unglückliche! was hast du gethan? er war – dein Bruder!«