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Genovefa

Zu den Frauen, die von ihren Männern unschuldig verfolgt worden sind, gehört auch die tugendreiche und geduldige Genovefa, deren Schicksal ebenso traurig, wie die Erzählung anmutig ist. Diese Geschichte hat sich zur Zeit des Bischofs Hidulfus von Trier zugetragen. Damals lebte im trierischen Lande ein vornehmer Graf namens Siegfried, der mit Genovefa, der reichen und tugendhaften Tochter des Herzogs von Brabant, vermählt war. Das junge Ehepaar lebte in inniger Liebe und Freundschaft zusammen. Es war zur Zeit, als der Mohrenkönig Aberofam mit großer Macht in Spanien einfiel. Nachdem er das Land verheert hatte, wollte er auch in Frankreich einbrechen. Als Martell, der König in Frankreich, die große Gefahr sah, befahl er allen Fürsten und Grafen seines Landes, ihm Hilfe zu leisten und gegen den Mohrenkönig zu kämpfen. Weil aber das Gebiet von Trier zum Frankenreich gehörte, mußte auch der Graf Siegfried ins Feld ziehen. Als er sich mit den Seinigen zum Feldzug rüstete und von seiner Gemahlin Abschied nehmen wollte, wurde die Gräfin von solchem Schmerz ergriffen, daß sie mit ihren bitteren Tränen alle, die zugegen waren, zum Mitleid bewegte. Ja, als ihr der Graf die Hand gab und das letzte Lebewohl sagte, überkam sie ein solches Herzeleid, daß sie vor Ohnmacht halb tot zu Boden sank. Der Graf suchte sie zu trösten, aber alle seine Worte waren vergebens. Endlich befahl er sie dem Schutz der Heiligen Jungfrau Maria. Er sprach: »Auch bleibt bei Euch mein getreuester Diener, der Golo, er wird Euch in meinem Namen aufs beste dienen und für Euch sorgen.« Genovefa konnte vor Tränen kein Wort reden, sondern fiel wieder in die Arme ihrer Dienerinnen. Voll Schmerz wandte sich der Graf Siegfried von ihr ab und ritt davon, ohne weiteren Abschied zu nehmen.

Der Graf Siegfried kam mit seiner Schar rechtzeitig im königlichen Lager an, in dem alle Fürsten und Herren sich allmählich versammelt hatten. Bald zog König Martell mit 60 000 Mann Fußvolk und 12 000 Reitern gegen das Lager der Barbaren, die wohl viermal stärker waren. Dennoch verlieh ihm Gott großes Glück, und seine Krieger schlugen so tapfer auf den Feind ein, daß an die 100 000 Mohren auf dem Platze blieben, während die Christen nur wenig tausend Krieger verloren. Die übriggebliebenen Feinde samt ihrem König flohen in die Stadt Ageon, und sie wehrten sich darin so tapfer, daß die Christen sie dort lange belagern mußten. Dadurch geschah es, daß auch Graf Siegfried länger ausbleiben mußte, als er angenommen hatte, so daß sich seine Rückreise über ein ganzes Jahr verschob. Die Gräfin wurde über sein langes Ausbleiben immer betrübter und hatte keinen anderen Trost in der Welt als Gott und das Gebet. Sie führte ein frommes Leben und hielt auch alle ihre Diener dazu an. Aber der leidige Satan, dem ihre Tugend zuwider war, sann auf jede Weise, wie er sie stürzen und wenigstens vor der Welt zu Schaden bringen könnte. Dies suchte er durch folgendes Mittel zu vollbringen:

Der Graf hatte bei seiner Abreise seine geliebte Frau Genovefa dem Hofmeister Golo anempfohlen, der täglich um sie war und sie bediente. Da entzündete der Böse das Herz dieses jungen Dieners mit einer unlauteren Liebe zu seiner Gebieterin und erfüllte ihn mit solcher Begehrlichkeit, daß er endlich nicht länger schweigen konnte, sondern auf allerlei Weise anfing, der Gräfin seine bösen Gedanken zu offenbaren. Als die Gräfin dies bemerkte, sprach sie mit zornigen Worten zu ihm: »Schämst du dich nicht, leichtfertiger Diener, solche Gedanken zu haben? Und ist dies die Treue, die du deinem Herrn versprochen hast, ist das der Dank, den du ihm für seine Liebe erweist? Wenn dich dein Torheit nicht gereuen soll, so wage nicht mehr, von solchen Dingen zu mir zu reden.«

Der gottlose Golo erschrak über diese Antwort und wagte lange kein zudringliches Wort mehr. Die fromme Genovefa aber glaubte, er hätte seine bösen Gedanken von sich gewiesen und fing wieder an, freundlicher mit ihm umzugehen. Da wurde seine sündige Neigung durch den täglichen Umgang von neuem entflammt. Als sie einst ihr eigenes Bild beschaute, das sie für den Grafen hatte malen lassen, und Golo zufällig hinzukam, fragte ihn die Gräfin, ob er meine, daß diesem schönen Gemälde noch etwas fehle. Da sprach er mit wilder Gier: »Gräfin, diesem Bilde kommt nichts an Schönheit gleich, und doch fehlt ihm eins, nämlich, daß es nicht lebend und mir zu eigen ist.« Bei diesen frechen Worten stieg der Gräfin der rote Zorn ins Angesicht und sie schalt ihn so streng, daß er ganz beschämt davonging. Doch vermochte dieser Tadel das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen nicht auszulöschen. Als einst die Gräfin nach dem Abendmahl allein im Schloßgarten wandelte, trat er ihr immer näher, schmeichelte ihr mit den süßesten Worten und gab ihr endlich deutlich zu verstehen, daß er von großem Liebesbrand verzehrt werde und vor der Zeit sterben müßte, wenn seine Glut keine Gegenliebe fände.

Über solch offene Worte wurde die Gräfin mehr als bisher entrüstet und schwur ernstlich, wenn er noch ein einziges Mal Ähnliches verlangen würde, so werde sie unwiderruflich dies ihrem Herrn und Gemahl berichten. Jetzt merkte Golo freilich, daß er keine Hoffnung habe, sein Ziel zu erreichen. Darum verkehrte sich seine Liebe in grimmigen Hass, und sein einziger Wunsch war, sich an der Gräfin zu rächen. Er lauerte auf all ihr Tun und Lassen und entdeckte endlich, daß sie eine besondere Zuneigung für Drago, einen ihrer Köche, zeigte, weil er in aller seiner Einfalt ein frommer Mann war. Diesem Menschen war die Gräfin mehr gewogen als allen anderen Hofdienern. Sooft sie an ihm vorüberging, redete sie ihn an, und wo sie ihm einen Gefallen tun oder ihn in einer Widerwärtigkeit trösten konnte, tat sie es von Herzen gern. Golo aber legte diese Nächstenliebe nach seiner wilden Liebe aus und fand darin den rechten Grund, seine Gebieterin zu verklagen. Zuerst sagte er zu wiederholtem Male vertrauten Freunden, daß ihm das liebreiche Betragen der Gräfin gegen den Koch sehr verdächtig vorkomme, und daß er fürchte, es würde zu einem üblen Ende ausschlagen. Er bat sie auch, etwas genauer achtzugeben und die Freundlichkeiten der Gräfin zu beobachten. Sie würden dann selbst sehen, was von dieser Vertraulichkeit zu denken sei. Mit solchen Worten wußte er die Tugend der Gräfin bei einigen Dienern zu verdächtigen und erreichte, daß er endlich einige auf seine Seite brachte. Einstmals sagte er dem Koch, die Gräfin, die damals gerade allein auf ihrem Zimmer war, wünsche ihn zu sprechen. Der ehrliche Mensch glaubte dies und eilte zu Genovefa. Da kam Golo herbei, überraschte den Koch bei der Gräfin und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, wieder das Zimmer. Ihm folgte der Koch auf dem Fuße, als er gehört hatte, daß die Gräfin ihn nicht gerufen hätte. Sogleich berief Golo seine Vertrauten und klagte ihnen mit erheucheltem Zorn, daß er den Koch bei der Gräfin im Gemach angetroffen habe. Er sagte: »Meine lieben Freunde, was ist dagegen zu tun? Wenn wir dem Übel nicht abhelfen, wird ein größeres daraus werden, und wir werden bei der Rückkehr unseres Herrn nicht bestehen können. Ich bin gewiß, der elende Koch hat unsere Herrin verzaubert und ihr einen Liebestrank unter die Speisen gemischt. Deswegen kann sie nicht von ihm lassen, wenn es sie auch Ehre und Leben kosten sollte. Darum ist es wohl ratsam, daß man den Koch ins Gefängnis wirft, die Gräfin aber so gut beaufsichtigt, daß ihr der Zugang zu dem Menschen versperrt ist.«

Die Freunde erwiderten dem Hofmeister, weil der Graf ihm die Sorge für die Gräfin aufgetragen habe, so solle er tun, was ihm am besten erscheine. Hierauf ließ Golo den Koch rufen, fuhr ihn mit rauhen Worten an und warf ihm vor, daß er die Gräfin verzaubert und ihr Liebespulver in die Speisen gemischt habe. Darum verdiene er, in Eisen geschmiedet und in den tiefsten Turm geworfen zu werden. Vergebens schwur der erschrockene Drago, daß er eine solche Sünde nie getan habe. Er rief Himmel und Erde als Zeugen an, daß ihm niemals in den Sinn gekommen sei, sich so schändlich an seinem Herrn zu versündigen. Trotzdem wurde er in Bande und Kerker geworfen und ging nicht eher daraus hervor, als bis man ihn tot hinaustrug.

Mit dieser Grausamkeit war der ruchlose Golo noch nicht zufrieden, sondern stürmte mit einigen seiner Helfershelfer in das Zimmer der Gräfin und rief ihr zu, daß er ihrer verdächtigen Gemeinschaft mit dem Koch Drago nun genug zugesehen habe und dieses Ärgernis nicht länger dulden könne, wenn er vor seinem Herrn bestehen wollte. Darum sollte auch sie, die die Ehe gebrochen habe, dafür im Gefängnis so lange büßen, bis der Graf sein eigenes Urteil gesprochen habe. So wurde die Gräfin vom treulosen Diener Golo, der sie beschützen sollte, nur deshalb als Gefangene in einen festen Turm eingeschlossen, weil sie ihre Unschuld verteidigte.

Genovefa klagte den einsamen Kerkerwänden ihre Unschuld, und die Engel trugen ihre Wehrufe vor Gottes Thron. Niemand besuchte sie in dem finsteren Turm als die Amme des bösen Hofmeisters, die der gefangenen Gräfin täglich eine geringe Menge Nahrung brachte. Endlich erschien auch Golo selbst mehrere Male und wandte alle Mittel an, das reine Herz seiner unlauteren Liebe geneigter zu machen. Er drang mit guten und bösen Worten in sie, er lockte mit Verheißungen und schreckte mit Drohungen. Er schmeichelte ihr als ein erfahrener Liebhaber, und doch richtete er mit allem nichts weiter aus, als die Gräfin immer standhafter zu machen. Als er nun einst gar seinen Arm um sie legen wollte stieß sie ihn mit starker Hand von sich und sprach zu ihm: »Du Bösewicht, ist es dir nicht genug, daß du mich unschuldig in den Kerker geworfen hast, willst du mich auch noch um meine Ehre und meine Seligkeit bringen? Doch sei versichert, daß du dich in mir getäuscht hast. Ich bin bereit, lieber tausendmal zu sterben, als das Geringste wider meine Ehre und meine Frauenunschuld zu begehen.« Durch diese Sprache hätte Golo endlich abgeschreckt sein müssen, dennoch gab er seine Hoffnungen nicht auf, sondern versprach seiner Amme einen hohen Lohn, wenn sie etwas bei der Gräfin ausrichten könnte. Das lose Weib lag nun der Gefangenen in den Ohren, sooft es ihr Speise brachte. Es meinte, sie solle dem Hofmeister doch wenigstens freundliche Worte schenken, um aus ihrer Gefangenschaft herauszukommen oder zum mindesten mit besserer Nahrung versorgt zu werden. Aber die standhafte Frau war entschlossen, lieber im Kerker zu verhungern, als ihren Gott zu erzürnen und ihr Gewissen zu beflecken.

Inzwischen nahte die Zeit ihrer Entbindung heran, und die geängstigte Frau bat ihre Aufwärterin, ihr doch nur ein paar Frauen zu beschaffen, die ihr bei der ersten Geburt beistehen könnten. Das boshafte Weib schlug ihr aber nicht nur dieses aus, sondern gab ihr nicht einmal eine Windel für das Kind. So war Genovefa in der Stunde der Geburt ganz verlassen. Sie bekam einen schönen, kräftigen Sohn und wickelte ihn in ein Handtuch, weil sie keine Windeln hatte. Nun bat sie inständig, daß man das arme Kind zur heiligen Taufe tragen möge. Weil ihr aber auch dieses verweigert wurde, taufte sie es selbst und gab ihm den Namen Schmerzenreich. Darauf nahm sie es auf ihre Arme, drückte es an ihr Herz, begoß es mit ihren Tränen und sprach voll Mitleid: »Ach, du mein armes Kind, du mein einziger Schatz! Mit Recht nenne ich dich Schmerzenreich, denn mit Schmerzen habe ich dich unter dem Herzen getragen und mit Schmerzen geboren, aber mit noch größeren Schmerzen werde ich dich erziehen. Mit unsäglichem Schmerz werde ich dich verschmachten sehen, denn aus Mangel an Nahrung werde ich dich nicht sättigen können. Ich habe ja kaum selbst soviel, mein Leben zu erhalten. Du armer Schmerzenreich, du unglückseliges Kind!«

Die von Golo angestellte Wärterin brachte ihm inzwischen die Nachricht, daß von nun an zwei Gefangene im Kerker seien, daß die arme Gräfin vor Herzeleid fast verschmachte und daß ihr wohl eine bessere Nahrung zu gönnen sei, damit sie sich und das arme Kind ernähren könne. Aber der unbarmherzige Mann hatte weniger Mitleid mit der trostlosen jungen Mutter als mit seinem Hund, der Junge geworfen hatte. Er hoffte durch dieses äußerste Elend sie zu seiner Liebe zu zwingen. Doch damit sie nicht ganz verschmachte, ließ er ihr etwas mehr Brot geben als zuvor, sonst aber neben dem Wasser gar nichts weiter, und anstatt des Trostes speiste der Unmensch sie mit Schmähworten.

Von all dem, was vorgegangen war, hatte der Graf Siegfried noch nichts vernommen, denn aus Furcht vor dem Hofmeister wagte niemand aus dem Schloß, ihm etwas davon zu schreiben. Seine Abwesenheit verzögerte sich auch noch länger, als er gehofft hatte, weil er vor Ageon eine Wunde erhielt, die nur langsam hellte. Golo aber wollte die Mißhandlung bei ihm rechtfertigen. Er sandte zwei Monate nach Genovefas Niederkunft einen Diener ab, der dem Grafen die Botschaft von allem, was sich ereignet hatte, überbringen sollte. Der Inhalt des Briefes, den er an den Grafen schrieb, lautete: »Gnädiger Herr! Wenn ich nicht fürchtete, Euch zu belügen, so wollte ich Euer Gnaden eine Sache, die ich mit vielem Fleiß geheimzuhalten suche, in diesem Brieflein offenbaren. Alle Hausgenossen und insbesondere der Überbringer dieses Schreibens haben sich mit mir die äußerste Mühe gegeben, ein großes Unheil zu verhüten. Dennoch ist alle meine Aufsicht durch die List der Boshaften hintergangen worden. Dafür brauche ich kein anderes Zeugnis, als das, welches mir alle Schloßbewohner geben können, wodurch hoffentlich meine Treue außer Zweifel gesetzt und mein Diensteifer bestätigt werden wird. Belieben dafür Euer Gnaden von dem Boten, den ich sende, ausführlichen Bericht anzuhören und seinen Erzählungen vollen Glauben zu schenken. Ich bitte, mir durch den Diener Eure Befehle kundzutun, wie ich mich in dieser schweren Sache verhalten solle.«

Diesen Brief erhielt der Graf gerade damals, als er in einer Stadt in Languedoc die Wunde, die er erhalten hatte, heilen ließ. Er wurde durch diese Nachricht so entrüstet und verstört, daß seine Wunde sich verschlimmerte. Der Diener erzählte ihm nämlich ausführlich, was für eine verdächtige Gemeinschaft die Gräfin mit dem Koch die ganze Zeit über gehabt und wie der Hofmeister sie allein mit ihm in ihrer Kammer überrascht habe. Weil sie nun beide trotz mehrmaliger Ermahnung nicht voneinander lassen wollten, so habe sich der Hofmeister genötigt gesehen, sie voneinander zu trennen und in zwei verschiedene Gefängnisse sperren zu lassen. Hier im Kerker habe sie einen Sohn geboren. Jedermann im Schloß wisse, wessen Kind es sei. Der Graf fragte, zu welcher Zeit die Gräfin das Kind geboren habe. Da log der Diener, es sei erst ein Monat verflossen, obwohl sie es schon vor zwei Monaten geboren hatte. Der Graf fing an zu rasen, als wollte er wahnsinnig werden und lästerte die Gräfin samt dem Koch Drago, als ob sie die schlimmste Ehebrecherin wäre. Er sprach: »Du verruchtes Weib, sollst du die versprochene Treue so schändlich brechen? Und stellst dich bei mir an, als ob du ganz heilig wärst!« In solchen Worten machte er seinem Zorn Luft, und nachdem er sich lange besonnen, auf welche Weise er den begangenen Ehebruch bestrafen wollte, schickte er den Diener mit dem ausdrücklichen Befehl zurück, Golo solle die Gräfin so eng einschließen, daß niemand mit ihr reden noch zu ihr kommen könne. Den ehebrecherischen Koch solle er aber mit der Marter hinrichten lassen, die seine Missetat verdient habe.

Mit diesem ungerechten Befehl eilte der Bote nach Hause, und Golo belohnte ihn zum Dank dafür, daß er seinen Auftrag so treulich ausgerichtet hatte. Damit nun die Hinrichtung Dragos kein Aufsehen errege, ließ er dem armen, unschuldigen Koch Gift in seine Speisen mengen. Als er daran jämmerlich gestorben war, mußte man ihn samt den Ketten, in denen er gefangen lag, in einer abgelegenen Grube beerdigen. Die Gräfin brauchte aber nicht enger eingeschlossen zu werden, weil ja von Anfang an niemand als Golo und seine falsche Amme zu ihr gekommen waren. Und doch war der Bösewicht mit dieser grausamen Behandlung noch nicht zufrieden, denn er fürchtete immer, seine List und Falschheit könnten durch Genovefa einmal an den Tag kommen. Auch fehlte es nicht an Leuten im Schloß, die über die ungerechte Hinrichtung des Kochs und die schwere Gefangenschaft der Gräfin aufgebracht waren. Dazu lief die Nachricht ein, daß der Graf Siegfried vom König in Frankreich seinen Abschied erhalten habe und bereits auf der Rückreise sei. Als Golo dies hörte, überlief ihn kalter Schweiß. Er mußte sich schnell besinnen, was in dieser schlimmen Lage anzufangen sei. Deswegen setzte er sich eilends zu Pferd und ritt seinem Herrn entgegen, aber er traf ihn erst in Straßburg.

In dieser Stadt wohnte eine alte Frau, die sich mit einem Schein von Heiligkeit umgeben hatte und für eine gottselige Matrone gehalten wurde. Sie war die Schwester der Amme Golos, daher kannte sie ihn seit vielen Jahren. Zu ihr begab sich der Bösewicht, ehe er zu seinem Herrn ging, und erzählte ihr den ganzen Verlauf der Sache. Zugleich verlangte er von ihr, sie sollte gestatten, daß er den Grafen gegen Abend zu ihr brächte, da sollte sie ihm durch Gaukelei vorspiegeln, daß er glaube, die Gräfin habe mit dem Koch gesündigt. Dafür gab er ihr ein Stück Geld. Dann ritt er zum Grafen, ihn zu bewillkommnen. Nach Gruß und Gegengruß nahm ihn sein Herr beiseite und forderte vollständigen Bericht über den bösen Zustand, in dem sich sein Haus befand. Der listige Golo stellte sich, als könnte er vor Leid kaum reden, und falsche Zähren gaben seinen Lügen einen Schein von Wahrheit. Er erzählte lang und breit, was seine Bosheit der frommen Gräfin angedichtet hatte, und belegte dies mit so wohl ausgesponnenen Beweisen, daß der gute Graf glaubte, es müsse alles wahr sein. Golo setzte auch hinzu, daß er den Koch ohne öffentlichen Prozeß habe hinrichten lassen, damit die Schande der Gräfin verborgen bleibe.

Der Graf hörte alles in tiefem Kummer an und verlangte immer wieder neue Beweise. Als nun der Falsche merkte, daß seinem Herrn Zweifel aufstiegen, und er fürchtete, in seinen eigenen Worten gefangen zu werden, sprach er zu ihm: »Gnädiger Herr, solltet Ihr etwa gegen meine Worte Mißtrauen hegen, so ist in dieser Stadt eine ehrwürdige Frau, die wegen ihrer Gabe berühmt ist, verborgene Dinge zu offenbaren. Wenn ihr sie eingehend befragen wollt, so würdet ihr durch gewiß vollständig von dem Verlauf der Sache unterrichtet werden.« Siegfried ließ sich den Vorschlag gefallen und ging mit einbrechender Nacht, von seinem Hofmeister begleitet, zu der Betrügerin. Ihr erzählte er offen, daß er einen Verdacht gegen seine Gemahlin hege, und bat sie, vermöge ihrer Einsicht in die verborgenen Dinge, ihm zu entdecken, was sich zwischen der Gräfin und dem Koch zugetragen habe.

Die Frau erwiderte mit erheuchelter Demut, sie sei keine Heilige; soviel jedoch Gott ihr in dieser Sache offenbarte, würde sie gern aufdecken. Dann führte sie beide Männer in einen dunklen Keller hinab, in dem ein grünes Licht brannte, das einen schwachen Schein von sich gab. Hier beschrieb sie mit einem kleinen Stab zwei Kreise auf dem Boden und stellte den Grafen in deren Mitte. Hierauf warf sie einen Spiegel in ein Geschirr voll Wasser und murmelte darüber so ungewöhnliche Worte, daß den Grafen ein Schauer ankam und ihm die Haare zu Berge standen. Danach drehte sie sich dreimal vor dem Geschirr um, hauchte dreimal hinein, rührte es mit den Händen um und sprach einen wunderlichen, zauberischen Segen darüber. Auf ihr Geheiß blickte jetzt der Graf in das Wasser. Da glaubte er in dem Spiegel die Gestalten zweier Personen zu entdecken, die zärtlich miteinander sprachen. Je länger er hineinblickte, desto mehr schien ihm, als gliche die Frau seiner Gemahlin Genovefa, die einen Mann mit lächelndem Angesicht liebkoste, und es schien ihm, als wäre der Mann sein Koch Drago. Doch sagte der Graf noch mit freundlichen Worten: »Ich erblicke nichts Unrechtes.« Die Zauberin sprach: »Gut, wir wollen weiter sehen, ob es Gott gefällt, uns mehr zu zeigen.« Sie wiederholte dann die vorigen Zeremonien und hieß den Grafen abermals ins Wasser schauen. Da wurde ihm vorgegaukelt, wie die Gräfin mit ihren Händen die Wangen des Kochs liebkoste und ihn küßte. Darüber wurde der Graf schamrot und wartete mit Angst, was zum drittenmal in dem Spiegel erscheinen würde. Als er nun nach denselben Zeremonien zum letzten Mal in das Wasser sah, wurde ihm zu seinem Entsetzen vorgespiegelt, daß der Koch mit seiner Gemahlin schändlich sündigte.

Da kochte das Herz des Grafen vor Rachgier. Er rief seinem Hofmeister zu: »Golo, reite voran und laß die Ehebrecherin samt dem Kinde eines schimpflichen Todes sterben! Ich will sie nicht mehr lebend treffen, wenn ich ankomme.« Wer war froher denn der rachgierige Golo, als er diesen Befehl vernahm? Er flog auf seinem Ross nach Hause, besprach sich schnell mit der Amme und teilte ihr im geheimsten Vertrauen das Todesurteil mit. Doch sollte sie keinen Menschen etwas davon wissen lassen, damit unter den Freunden der Gräfin und im Schloß kein Aufruhr entstünde. Als Golo dies seiner Amme anvertraute, war die kleine Enkeltochter der Frau in der Stube, vor der sich beide wenig in acht nahmen. Nun war das Mädchen wohl noch ganz klein, aber klug und der Gräfin, die es vom Hörensagen kannte und bemitleidete, mehr zugetan als seiner boshaften Großmutter. Dies Mägdlein schlüpfte sogleich zum Kerker, stellte sich vor das kleine Fenster, durch das der Gräfin Brot und Wasser hineingereicht wurde, und weinte so bitterlich, daß Genovefa es hörte und darüber erschrocken ans Fenster kam. Sie fragte das Mädchen mit freundlicher Stimme, warum es so weine. Da antwortete das Kind: »Gnädige Frau, Euer großes Elend treibt mir diese Zähren aus den Augen, denn es ist mit Eurem Leben aus. Golo hat von unserem Herrn Befehl erhalten, Euch hinzurichten.« Die Gräfin dachte nicht an sich, sondern nur an ihren Schmerzenreich. Sie fragte: »Und wie wird es meinem Kinde gehen?« Das Mädchen erwiderte schluchzend: »Nicht besser als Euch!«

Jetzt erschrak die arme Gräfin so, daß sie fast in Ohnmacht sank. Als sie wieder zur Besinnung gekommen war, fing sie an zu weinen und zu beten. Sie rief: »Ach, mein Gott, hilf mir! Bewahre mein Kind und mich vor dem grimmigen Tode!« Dann sprach sie zum Mägdelein: »Mein liebes Kind, geh schnell in mein Zimmer und bring mir Papier, Feder und Tinte. Für deine Mühe nimm dir von meinen Kleinodien, soviel du willst. Da hast du den Schlüssel zu allem.« Das Mädchen brachte das Verlangte, und nun schrieb Genovefa einen Brief folgenden Inhalts: »Gnädiger Herr, herzgeliebter Gemahl! Da mir zu Ohren gekommen ist, daß ich auf Euren Befehl sterben soll, so wollte ich Euch mit diesen Zeilen noch Lebewohl sagen und einen freundlichen Abschied von Euch nehmen. Ich will gerne sterben, wenn Ihr es befehlt, obgleich es mich bitter kränkt, daß Ihr mich, die Unschuldige, zum Tode verurteilt. Die Ursache, weshalb ich sterben muß, ist die, daß ich meine Euch gelobte Treue nicht brechen und dem schändlichen Hofmeister Golo nicht willfahren wollte. Doch messe ich Euch, meinem Herrn, keine andere Schuld zu, als daß Ihr meinen Anklägern zu leichten Glauben geschenkt und mir zur Verantwortung keine Gelegenheit gegönnt habt. So kann ich nur vor Gott bezeugen, vor dessen strengem Gesicht ich morgen schon erscheinen werde, daß ich mein Leben lang an keinen anderen Mann gedacht habe als an Euch. Mein Trost bleibt, daß dereinst ein Tag aufgehen wird, an dem meine Unschuld ans Licht kommen und die Falschheit meiner Ankläger offenbar werden wird. Lebt wohl, gnädiger Herr, liebster Freund! Ich verzeihe Euch von Herzen, ja, nach meinem Tode will ich Gott bitten, daß mein unschuldiges Blut keine Rache über Euch und über meine Ankläger schreie. Dies schreibe ich mit zitternden Händen und tränenden Augen, denn in meinem Herzen wohnt der Tod und erfüllt mich mit Schrecken. Eure bis in den Tod getreue und um der Treue willen zum Tod verdammte Genovefa.«

Diesen Brief gab sie dem Mägdelein, daß es ihn heimlich in das Gemach der Gräfin legen und keinem Menschen davon sagen sollte. Die ganze folgende Nacht verbrachte sie im Gebet und befahl Gott ihren schweren Seelenkampf und bevorstehenden Tod.

In aller Frühe des nächsten Morgens berief Golo zwei seiner treuesten Diener und eröffnete ihnen den Befehl seines Herrn. Er hieß sie deshalb die Gräfin mit dem Kind in einen Wald hinausführen, dort töten und zum Zeichen des vollbrachten Befehls ihre ausgestochenen Augen mitbringen. Wenn sie dies tun würden, wollte er ihre Treue reichlich belohnen, widrigenfalls sie mit Weib und Kindern umbringen lassen. Die Diener unterwarfen sich dem Befehl und gingen alsbald zur Gräfin Genovefa ins Gefängnis. Hier legten sie ihr ein schlechtes Kleid an, bedeckten ihr Angesicht, damit man sie nicht erkennen sollte, und befahlen ihr, in tiefster Stille ihnen zu folgen. Da ging die arme Genovefa wie ein unschuldiges Schaf zur Schlachtbank und tat ihren Mund nicht auf, um sich mit einem einzigen Wörtlein zu beklagen. Sie trug ihr kleines Lamm, ihr Söhnlein, auf dem Arm und drückte es ohne Unterlaß an ihr Herz und flüsterte über ihm: »Ach, du mein herzliebstes Engelein, dürfte ich dich nur so lang noch auf meinen Armen tragen, als ich dich unter meinem Herzen getragen habe. Nun aber mußt du sterben, ehe du weißt, was schuldig sein heißt, und mußt als schuldig leiden, obwohl du niemals eine Schuld begangen hast.« Die Diener hörten diese leisen Worte, und ihr Herz wurde von Mitleid gerührt, so daß es ihnen schwerfiel, den Befehl ihres Herrn zu vollstrecken.

Nachdem sie den Wald und einen geeigneten Ort erreicht hatten, sagten sie der Gräfin, ihr Herr habe befohlen, sie wegen vollbrachten Ehebruchs hinzurichten, und der Hofmeister Golo habe sie geheißen, dieses Gebot zu vollbringen. Darum sollte sie dieses grausame Schicksal nicht ihnen zuschreiben und sich zu einem seligen Tode vorbereiten. Dem Befehl ihres Herrn gehorsam, kniete Genovefa demütig nieder und betete zu Gott aus dem Innersten ihres Herzens. Inzwischen ergriffen die Diener das unschuldige Kind, zogen ihre Messer hervor und wollten es töten. Als die erschrockene Mutter dies sah, sprang sie von ihrem Gebet auf, fiel den Dienern in die Arme und rief mit gebrochener Stimme: »Haltet ein, haltet ein, ihr lieben Leute, schont das unschuldige Blut! Wenn ihr das arme Kind töten wollt, so bringt mich zuvor um, damit ich nicht gezwungen werde, zweimal zu sterben.« Die Diener erhörten diese Bitte und befahlen ihr, den Hals zu entblößen und zum Streich zu beugen. Genovefa erschauerte bei diesen Worten und zitterte an allen Gliedern. Doch sprach sie tränenden Auges: »Ich bin bereit zu sterben, aber glaubt mir, gute Männer, daß ihr euch gröblich an mir versündigt, denn ich bezeuge euch vor Gott, daß ich unschuldig bin, daß ich fälschlich vom Hofmeister verklagt worden bin, weil ich seinen bösen Willen nicht tun wollte. Glaubt mir auch, wenn ihr mich schont, so wird es Gott euch und euren Kindern vergelten. Bringt ihr mich aber um, so wird mein unschuldiges Blut über euch und eure Kinder Rache schreien.«

Durch diese Worte wurden die Herzen der Diener so bewegt, daß es ihnen unmöglich war, der Gräfin ein Leid anzutun. Beide sprachen deswegen mit freundlichen Worten zu ihr: »Gnädige Frau, uns ist zwar bei Lebensgefahr befohlen, Euch hinzurichten, wenn Ihr uns aber versprechen wollt, nimmermehr unter die Menschen zu gehen, sondern Euch in dieser oder einer anderen Gegend verborgen aufzuhalten, so mögt Ihr in Gottes Namen hingehen und unser in Eurem Gebet gedenken.« Die Gräfin hob ihre Augen zum Himmel, stand freudig auf, versprach den Dienern, was sie verlangten, und dankte ihnen von ganzer Seele für die erzeigte Barmherzigkeit. Die Diener stachen nun einem Windspiel, das mit ihnen gelaufen war, die Augen aus und überbrachten sie ihrem Herrn als Beweis ihrer unseligen Mordtat. Golo grauste es jedoch, die Augen der Frau zu sehen, die er geliebt hatte. Er sprach daher abgewandt, sie sollten die Augen der Ehebrecherin den Hunden vorwerfen.

Von allen Menschen verlassen, ging die gerettete Genovefa in dem wilden Wald umher und suchte einen Ort, an dem sie, vor Unwetter geschützt, sich aufhalten könnte. Sie fand aber den ganzen Tag keinen, sondern wurde genötigt, unter einem Baum ihre Nachtherberge zu nehmen. So brachte sie die kalte Nacht ohne allen Schlaf, fröstelnd und in großer Furcht zu, die weinenden Augen und die zitternden Hände zum Himmel gerichtet. Als der Morgen anbrach, stand sie auf und nahm ihr Kind, das auf ihrem Schoß geruht hatte, auf den Arm. Dann ging sie abermals den ganzen Tag im Wald umher, eine geeignete Höhle oder einen hohlen Baum zu suchen, um darin zu wohnen. Aber es war wieder vergebens. Da sie nun zwei Tage nichts gegessen und getrunken hatte, waren ihr Hunger und ihr Durst so groß, daß sie die rohen Wurzeln der Kräuter auszuraufen anfing, um sich daran zu erfrischen. Die zweite Nacht brachte sie wieder ohne Schlummer und voll Angst unter einem Baum zu. Endlich am dritten Tage fand sie im Felsgestein eine Höhle und nahe dabei eine kleine Quelle, als sie noch tiefer in die Wildnis hineingegangen war. Die Gräfin nahm diese Wohnung als ein Geschenk Gottes an und beschloß, ihr übriges Leben in der Höhle zuzubringen. Sie machte sich ein Bett aus Baumzweigen und Laub und suchte sich täglich frische Wurzeln zur Nahrung. Weil sie aber ein so kümmerliches Leben führen mußte, konnte sie ihr Kind nicht mehr ernähren, und es fing an zu verschmachten. Sein klägliches Wimmern schnitt der Mutter so tief ins Herz, daß sie meinte, vor Leid sterben zu müssen. Voller Verzweiflung legte sie das Kind unter einen Baum und ging weit weg, wo sie es nicht hören und sehen konnte. Dort kniete sie mit aufgehobenen Händen nieder und rief den guten Gott so inbrünstig an, daß er sie erhören mußte. Sie sprach: »Mein Gott und Erlöser, können deine gnädigen Augen ohne Mitleid ansehen, wie dieses unschuldige Kind verschmachten muß? Sieh doch an, barmherziger Gott, wie das arme Lamm vor deinen Augen liegt und mit seinem kläglichen Weinen dich innig um die nötige Nahrung bittet. Ach, erbarme dich über die Waise, deren Vater so hart ist und deren Mutter nicht helfen kann. Ich habe ja keinen Trost mehr auf Erden als dies mein einziges Söhnlein. Nimmst du es mir, so muß ich mein Leben in dieser öden Wildnis vertrauern. Darum gib es mir wieder, barmherziger Gott, ich will es gewiß dir zur Ehre und zu deinem Dienst aufziehen.«

Kaum hatte die weinende Mutter dieses Gebet beendet, da lief eine Hirschkuh auf sie zu. Sie benahm sich wie ein zahmes Tier und strich zutraulich um sie herum, als wollte sie sagen: »Siehe, mich hat Gott gesandt, dein Kindlein zu ernähren.« Genovefa erkannte mit freudigem Erstaunen die Vorsehung Gottes. Sie eilte zu ihrem Kind zurück, und da die Hirschkuh ihr nachlief, so ließ sie das Kind die Milch der Hirschkuh trinken, bis es gesättigt war. Durch diese himmlische Wohltat wurde die gute Gräfin so erfreut, daß sie sich auf die Knie warf und mit vielen Tränen dem gütigen Gott dankte und in Demut flehte, die Hilfe fortzusetzen. Ihr Gebet wurde erhört. Die Hirschkuh kam täglich zweimal, um das Kind zu nähren, solange beide in der Wildnis waren. Dies war die einzige Hilfe, die das schuldlose Kind sieben Jahre lang von dem Tier empfing, während seine Mutter von Wurzeln und Kräutern leben mußte. Ihre Grafenwohnung hatte sie mit der wilden Einöde vertauscht, ihr schönes Zimmer mit einer finsteren Höhle, ihre reichbeladene Tafel mit wilden Kräutern. Ihre Kammerjungfern waren die unvernünftigen Tiere. Statt auf ihr weiches Ruhebett legte sie sich des Nachts auf Laub und harte Reiser. Anstatt ihrer kostbaren Perlen hatte sie bittere Tränen und statt Freude und Spiel nichts als Leid und Traurigkeit. Im Sommer war ihr Elend noch erträglich, aber im Winter quälte sie die Kälte. Die Nahrung aus der Erde war kaum zu beschaffen. Wenn sie trinken wollte, mußte sie das Eis so lange im Munde halten, bis es schmolz. Wenn sie Wurzeln suchen wollte, mußte sie den tiefen Schnee wegscharren und mühselig mit einem Holzstück die gefrorene Erde aufgraben. Wollte sie sich erwärmen, so mußte sie die eiskalten Hände so lange zusammenschlagen und reiben, bis das Blut wiederkam. Und die langen Winternächte, die kein Ende nehmen wollten, mußte sie mit ihrem Knaben in der dunklen Höhle zubringen. Doch waren ihre eigenen Schmerzen gering gegen den Kummer, den ihr mütterliches Herz über dem Elend ihres Kindes empfand.

Schmerzenreich wuchs heran und spürte bald sein eigenes Elend. Wie oft drückte die Mutter ihren Schatz an die Brust, um seine kleinen vorn Frost erstarrten Glieder zu wärmen. Wenn sie dann sah, wie sein ganzer Leib vor Kälte zitterte, konnte sie sich vor Trauer nicht halten und mußte unaufhörlich weinen, und das arme Kind weinte mit, als es seine Mutter so traurig sah. Allmählich gewöhnte sie sich an solch große Not, und auch der Knabe wurde abgehärtet und stark. Da dankte sie Gott, daß er sie und ihn aus der Gefahr der Welt errettet und in die Einöde geführt hatte. Die meiste Zeit brachte sie im Gebet zu und übte sich immer mehr in der Andacht und der himmlischen Liebe.

Als sie einst vor ihrer Höhle kniete und betete, dabei ihre Augen zum Himmel emporhob, sah sie mit Staunen ein Wunder sich ereignen. Ein Engel flog aus der Höhe herab. Er trug ein schönes Kreuz in seinen Händen, an dem der sterbende Heiland aus Elfenbein hing, kunstvoller geschnitzt, als Menschenhände es vermögen. Dieses Kruzifix reichte ihr der Engel und sprach mit liebreichen Worten: »Nimm dieses heilige Kreuz, Genovefa, das dein Erlöser dir zum Trost vom Himmel herabsendet. In ihm sollst du dich beschauen und bespiegeln, vor ihm dein Gebet verrichten. Tröste dich mit diesem Kreuz, wenn du betrübt bist, fliehe zu ihm, wenn du angefochten wirst. Wenn dich die Ungeduld überfällt, so erinnere dich an die Geburt dessen, der an diesem Kreuz hing.« Als der Engel dies gesprochen hatte, legte er das Kreuz vor ihr nieder und verschwand vor ihren Augen. Das Kreuz aber blieb zurück. Genovefa nahm es und entdeckte bald in ihrer Höhle einen natürlichen Felsenaltar. Dort stellte sie es auf und warf sich mit andächtiger Demut vor ihm nieder, betrachtete ihren gekreuzigten Erlöser vom Haupt bis zu den Füssen, vergaß so ihr eigenes Leid und wurde von so großem Mitleid gerührt, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte. An dem Kreuz hatte sie ihren größten Trost, dem Kreuz klagte sie ihr Leid. Im Sommer zierte sie es mit blühenden Maien und kleinen Waldblümlein, im Winter umschlang sie es mit Tannenreisern und immergrünen Wacholderstauden.

Inzwischen wurde ihr lieber Sohn Schmerzenreich größer und lernte allmählich gehen und reden. Genovefa unterrichtete ihn, so gut sie es in der Einsamkeit konnte, und hatte mancherlei Unterhaltung und herzlichen Trost durch das Kind. Gott und die Natur hatten den Knaben mit besonderem Verstand ausgerüstet, so daß er vor der Zeit klug wurde und alles leicht begriff, was die Mutter ihm sagte. Nur war es jammervoll anzusehen, wie das arme Kind zuletzt ganz nackt und barfuß einherging, denn die schlechten Tücher, in welche die Mutter es von Kindheit an eingewickelt hatte, waren zerrissen, und auch die Stücke Tuch, welche die Mutter von ihren eigenen Kleidern abtrennte, wurden bald zu Fetzen. Am Ende kam es soweit, daß Mutter und Kind ihre Blöße mit Moos und Zweigen bedecken mußten. Da erbarmte sich Gott und sandte einen Wolf daher, der die Haut eines zerrissenen Schafes im Rachen trug und sie dicht vor dem Kind niederwarf. Die Mutter nahm dieses Geschenk mit großem Dank von Gott an, trocknete das Fell und band es ihrem Schmerzenreich um.

Zu dieser Zeit fingen auch die wilden Tiere an, zutraulich gegen die Waldbewohnerin zu werden. Sie kamen täglich vor die Höhle und spielten mit dem Kind. Der Wolf, der das Schaffell gebracht hatte, ließ den Knaben auf sich reiten, und oft speiste der Kleine mitten unter den Hasen und anderem Wild, das um ihn herumlief. Die Vögel flogen ihm auf die Hand und auf das Haupt und erfreuten Mutter und Kind mit ihrem lieblichen Gesang. Wenn das Kind ausging, Kräuter für die Mutter zu suchen, liefen allerlei Tiere mit ihm und scharrten mit den Füssen, um ihm zu zeigen, wo die besten Kräuter wären. Die fromme Mutter hatte auch große Freude an dem Gespräch des Knaben und wunderte sich oft über seine klugen Fragen und Antworten. Sie lehrte ihn auch das Vaterunser und andere Gebete, niemals aber sagte sie ihm, von welchem Geschlecht er abstamme, damit sie sein Leid nicht noch vermehre oder die Weltlust in ihm erwecke.

Als sie einst ein freundliches Gespräch mit ihm hielt, sagte Schmerzenreich zu ihr: »Mutter, du befahlst mir oft zu sagen: Vater unser, der du bist im Himmel. So sage mir doch, wer ist denn mein Vater!« Die Mutter antwortete: »Dein Vater ist Gott, der droben wohnt, wo Sonne und Mond scheinen.« Das Kind sprach: »Kennt mich denn mein Vater auch?« Die Mutter sprach: »Freilich kennt er dich. Ich habe dich ja von ihm.« Das Kind sagte: »Wie kommt es denn, daß er mir nichts Gutes tut und mich in der Not schmachten läßt?« Genovefa erwiderte: »Lieber Sohn, wir sind hier auf der Erde in einem Jammertal und müssen vieles leiden. Wenn wir aber in den Himmel kommen, dann werden wir alle Freuden haben.« Schmerzenreich fragte weiter: »Liebe Mutter, hat mein Vater noch mehr Söhne neben mir?« Sie sprach: »Ja freilich!« Er aber sagte: »Wo sind sie denn? Ich dachte, du und ich, wir sind nur allein auf der Welt.« Genovefa antwortete: »Obwohl du in deinem Leben nie aus diesem Wald herausgekommen bist, sollst du doch wissen, daß draußen noch viele Menschenhäuser sind; darin wohnen allerhand Leute. Einige von ihnen tun Gutes, andere Böses, und die Böses tun, die kommen in die Hölle, in der sie ewige Pein dulden.« Der Knabe sprach endlich: »Mutter, warum gehen wir nicht zu den anderen Leuten, was tun wir denn in diesem Wald allein?« Genovefa erwiderte: »Wir tun es, um unserem himmlischen Vater desto besser zu dienen und um so sicherer in den Himmel zu kommen.« Solche Reden führte das kluge Kind gar viele mit seiner Mutter und lernte durch seine Wißbegier mancherlei.

Im siebenten Jahre ihres Einsiedlerlebens wurde die fromme Gräfin todkrank und glaubte, daß sie sterben müsse. Die Not und der Mangel an allen Dingen hatten ihren Leib so abgezehrt, daß sie sich nicht mehr ähnlich sah, sondern ein Schatten des Todes zu sein schien. Ein heftiges Fieber ergriff sie, und sie wurde an allen Gliedern kraftlos und voller Schmerzen. Als nun der arme, verlassene Schmerzenreich seine Mutter allmählich dahinsiechen sah, warf er sich über ihren kranken Leib und rief in Verzweiflung aus: »Was fange ich an, geliebte Mutter, wo soll ich hin, wenn du stirbst? In dieser Wildnis bin ich allein, und in der Welt kenne ich keinen Menschen. Mutter, bitte doch den lieben Gott, daß er dich länger leben läßt, denn ohne dich muß ich verkümmern.« Die sterbende Genovefa suchte nach einem Trost für ihr Kind. Darum sagte sie ihm, was sie bisher verschwiegen hatte, und sprach: »Betrübe dich nicht wegen meines Todes und klage nicht so sehr über deine Verlassenheit. Du sollst wissen, daß du neben dem himmlischen Vater auch noch einen Vater auf Erden hast. Er wohnt nicht weit von diesem wilden Wald in der Stadt Trier. Zu ihm gehe nach meinem Tode hin und sage ihm, daß du sein Kind bist. Er wird dich leicht erkennen, denn du siehst ihm ganz ähnlich. Ja, alle Leute dort werden dich erkennen.« Und dann erzählte sie ihm ihr ganzes Unglück, soweit es der Knabe erfahren durfte und fassen konnte. Dennoch ließ sie sich von ihm versprechen, das Unrecht, das ihnen geschehen war, nicht zu rächen. Dann legte die müde Genovefa ihr Haupt zum Schlummer auf die Seite und erwartete den Tod. Da war ihr, als träten zwei glänzende Engel in die Höhle und einer beugte sich über ihre Lagerstatt. Er rührte ihre Hand an und sprach: »Du sollst leben, Genovefa, und jetzt nicht sterben, denn das ist der Wille Gottes.« Mit diesem Wort verschwanden die Engel, und die Kranke erwachte gestärkt und mit neuer Lebenskraft. Der kleine Schmerzenreich sah dies. Er fuhr fort, seine Mutter zu pflegen und erkannte mit seliger Freude, wie sie von Stunde zu Stunde neue Kräfte gewann und endlich völlig gesund wurde.

Nun kehren wir zum Grafen Siegfried zurück. Als er von Straßburg wieder in seinem Schloß zu Trier angekommen war, berichtete ihm sein Hofmeister Golo, daß er die Ehebrecherin in einem Wald habe heimlich umbringen lassen. Der Graf war damit zufrieden, lobte die Vorsicht seines Dieners und kehrte zu seiner früheren Lebensgewohnheit zurück. Aber nach einigen Tagen fing sein Gewissen an, ihn zu ängstigen, und die Erinnerung an Genovefa erfüllte ihn mit bitterer Sehnsucht. Er dachte, es sei doch möglich, daß ihr Unrecht geschehen wäre. Er sah ein, daß er sich sehr versündigt habe, weil er ihre Sache nicht auf dem richtigen Weg habe untersuchen lassen. In der folgenden Nacht hatte er einen schweren Traum. Ihm war, als risse ein Drache seine geliebte Gemahlin hinweg, und niemand war da, der ihm in dieser Not Hilfe leistete. Dieser Traum vermehrte seine Angst, und er erzählte ihn am anderen Morgen seinem Schloßhofmeister Golo. Der aber war arglistig genug, ihn sogleich nach seinem Sinne auszulegen. Er erwiderte: »Herr, der Drache bedeutet den Koch, der ja Drago hieß. Das ist gedolmetscht 'Drache'. Er hat seine Treue gebrochen und die Gräfin ihrem rechtmäßigen Herrn entrissen.« Golo beredete auch seinen Herrn, solchen schwermütigen Träumen fernerhin keine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern fest überzeugt zu sein, die Gräfin und der Koch hätten wohl noch einen übleren Tod verdient. Um den Grafen zu zerstreuen, veranstaltete Golo auch mancherlei Gastereien, Tänze, Besuche bei Freunden und was er sonst wußte, das den Grafen erheitern konnte. All diese Dinge erfreuten nun freilich seinen Sinn, aber die Wunden seines angstvollen Herzens konnten sie nicht heilen, sie wurden nur größer und unheilbarer.

Eines Tages kam der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin und fand unter anderen Schriften den Brief, den Genovefa im Kerker geschrieben und den das Kind dort gut versteckt hatte. Er las ihn in höchster Spannung und konnte keinen Augenblick länger an der gänzlichen Unschuld seiner Gemahlin zweifeln. Da wurde er von solcher Reue und solchem Mitleid bewegt, daß er bitterlich weinte und vor Herzeleid sterben zu müssen meinte. Golo aber schalt er einen Verräter, der voller Falschheit sei, und nannte ihn einen gewissenlosen Mörder. Er verfluchte ihn den Abgrund der Hölle. Ja, wenn jener bei ihm gewesen wäre, hätte er ihn auf der Stelle durchstochen. Aber der Arglistige sah von ferne an der Miene seines Herrn, was ihn erwartete. Er mied deswegen den Hof für einige Tage, bis der Zorn des Grafen sich gelegt hatte. Dann kam er wieder und wußte dem Grafen so triftig scheinende Gründe entgegenzuhalten und den Brief der Gräfin so lügenhaft zu verdrehen, daß jener seinen Worten mehr als dem Brief glaubte. Er sprach: »Genovefa bezeugt in ihrem Schreiben, sie sei unschuldig und habe nimmermehr solch eine Tat begangen. Ei, eine schöne Rechtfertigung! Wenn das Leugnen als Beweis der Unschuld genug ist, dann sind alle Diebe und Ehebrecher unschuldig.« So wiegte er das Gewissen seines Herrn in Schlaf und brachte sich selbst wieder in Gnaden. Aber die innere Ruhe des Grafen dauerte nicht lange. Die alten Zweifel kamen wieder und nagten immer mehr an seinem schuldigen Gewissen. Es war ihm so, als raunte ihm eine Stimme in die Ohren: »Du hast dein Weib Genovefa umbringen lassen. Du hast das unschuldige Kind töten lassen. Du hast den frommen Koch hinrichten lassen.« So lief er umher wie einer, der keine Ruhe findet.

Golo merkte dies alles wohl. Er sah, daß der Gemütszustand des Grafen immer bedenklicher wurde, und er glaubte sich bald nicht mehr sicher. In aller Stille verließ er den Hof und das Land, denn er fürchtete, sein Herr möchte ihn zuletzt ergreifen lassen. Einige Zeit darauf entdeckte man an einem entlegenen Ort im Felde Spuren eines verscharrten Leichnams. Man öffnete die Erde, grub tiefer und stieß endlich auf den Körper des hier vergrabenen Kochs, den Golo hatte vergiften und dorthin schaffen lassen, und den man an verschiedenen Merkzeichen erkannte. Der Graf sah den Leichnam selbst, und von da an nahmen seine Zweifel über den unverschuldeten Tod des Kochs zu.

Nach einigen Jahren wurde die Frau zu Straßburg, die den Grafen durch ihre Vorspiegelung belogen und betrogen hatte, eingekerkert und als schändliche Betrügerin vom Gericht zum Feuertod verurteilt. Vor ihrem Ende bekannte sie auch diesen Betrug und erklärte, daß die Gräfin und der Koch unschuldig seien. Auch bat sie, dem Grafen zu berichten, daß sie auf Anstiften des Hofmeisters Golo jenes Gaukelspiel angestellt habe.

Dies wurde dem Grafen Siegfried in aller Eile gemeldet. Jetzt erst erkannte er ganz klar, daß er von Golo umstrickt und umnebelt worden war und er seine arme Gemahlin mit ihrem Kind unschuldig hatte töten lassen. Zorn, Mitleid, Reue, Verzweiflung durchwühlten sein Herz. Sein ganzes Trachten ging fortan dahin, den Verräter zu suchen. Endlich erfuhr er seinen Aufenthaltsort. Zwei Jahre war Golo schon vom Hofe weg, und der Graf wußte nicht, wie er den Fuchs fangen sollte. Da entschloß er sich endlich zu einer List. Er schrieb dem Bösewicht einen freundlichen Brief, in dem er sich scheinbar darüber wunderte, warum er den Hof verlassen habe, an dem er doch nichts als Liebe und Ehre genossen hatte. Golo antwortete ausweichend und zur Entschuldigung seiner Abwesenheit mit unvermeidlichen Abhaltungen und Familiengeschäften. Der Graf wiederholte seinen Brief, verbarg allen Widerwillen und gab zu erkennen, wie sehr er seinen freundlichen Umgang brauche. Dieser Briefwechsel dauerte eine geraume Zeit, bis endlich Golo wirklich glaubte, der Graf sei ihm wieder gewogen.

Da veranstaltete der Graf Siegfried gegen den Heiligendreikönigstag eine herrliche Jagd und festliche Mahlzeit, wozu er alle seine Freunde einlud. Unter diesem Vorwand erging auch an Golo eine Einladung, und er rannte arglos in das gestellte Netz. Golo war vor den übrigen Gästen eingetroffen. Der Graf hieß ihn willkommen und freute sich wirklich sehr über seine Ankunft. Beide führten einige Tage lang allein die freundlichsten Gespräche, als wäre gar nichts zwischen ihnen vorgefallen.

Sieben Jahre waren verflossen, die Genovefa in der Wildnis zugebracht hatte; von aller Welt wurde sie für tot gehalten. Der Dreikönigstag und die Feste des Grafen nahten heran. Um den geladenen Gästen eine bessere Tafel zu bereiten, ritt Herr Siegfried selbst zuvor hinaus, um zu jagen, und nahm unter anderen Dienern auch Golo mit sich. Da rannten sie in der Wildnis umher, der eine dahin, der andere dorthin, und jeder bemühte sich, ein Stück Wild einzutreiben. Dabei erblickte der Graf eine schöne Hirschkuh. Er setzte ihr zu Ross durch Hecken und durch Sträucher nach und verfolgte sie so lange, bis sie sich in eine Höhle rettete, die sich den Augen des Grafen zwischen Sträuchern und Gestein auftat. Er warf einen Blick hinein und sah neben dem Wild eine unbekleidete Frau stehen. Er erschrak und meinte nichts anderes, als daß es ein Gespenst oder ein Spuk der Hölle sei. Deswegen bezeichnete er sich mit dem Kreuz und sprach mit Entsetzen: »Wenn du von Gott bist, so komm zu mir heraus und sage mir, wer du bist.« Genovefa - denn ihre Höhle war es - erkannte den Grafen auf den ersten Blick und sprach mit zitternder Stimme: »Ja, ich bin von Gott her. Ich bin ein unglückliches, nacktes Weib. Wollt Ihr, daß ich zu Euch herauskomme, so werft mir ein Kleid her, meine Blöße zu bedecken!« Der Graf zog den Mantel vom Leibe und warf ihn in die Höhle. Sie wickelte sich hinein und trat aus der Höhle hervor, die unerschrockene Hindin an ihrer Seite. Schmerzenreich aber war gerade nicht zugegen, sondern hinaus in den Wald gegangen, um Kräuter und Wurzeln zu suchen.

Der Graf wunderte sich über die abgemagerte Gestalt des Weibes, die er vor sich sah, und fragte, wer und woher sie sei. Genovefa sprach: »Mein Herr, ich bin ein armes Weib und aus Brabant gebürtig. Aus Not bin ich hierher geflohen, denn man hat mich, die ich nichts verschuldet hatte, mit meinem armen Kind umbringen wollen.« Der Graf zuckte zusammen, doch fragte er weiter, wie lange es her sei und wie es zugegangen war. Genovefa faßte Mut und sprach: »Ich war mit einem edlen Herrn vermählt, der hatte einen Argwohn gegen mich und übergab mich seinem Hofmeister, daß er mich mit dem Kind, das ich meinem Herrn geboren hatte, umbringen lassen sollte. Die Diener aber schenkten mir aus Erbarmen das Leben, und ich versprach ihnen, daß ich nimmermehr vor meinen Herrn kommen, sondern in diesem Wald leben wolle, und das sind schon sieben Jahre her.« Siegfried zitterte am ganzen Leibe, denn Genovefas Bild stieg vor seiner Seele auf, aber in dieser abgezehrten Gestalt konnte er sie nicht wiedererkennen. Darum sprach er weiter zu ihr: »Liebe Freundin, ich bitte Euch um Gottes willen, sagt mir, wie ist Euer Name und wie der Name Eures Eheherrn?« Da sprach sie seufzend: »Mein Eheherr heißt Siegfried, ich Armselige aber nenne mich Genovefa.«

Diese wenigen Worte durchzuckten den Grafen mächtiger, als wenn ihn ein Blitz getroffen hätte. Er bäumte sich in seinen Bügeln und stürzte vom Pferd auf den Boden herab. Da lag er lange wie tot, mit dem Angesicht auf der Erde. Als er wieder zur Besinnung kam, hob er sein Haupt, kniete nieder und sprach: »Genovefa, ach Genovefa, seid Ihr es?« Sie sprach: »Lieber Herr Siegfried, ja, ich bin die arme Genovefa.« Dem Grafen rollten die Tränen über das Gesicht. Er fiel wieder wie tot nieder und konnte kein einziges Wort vorbringen. Nach langem, heißem Weinen sprach er endlich, noch immer kniend: »Oh, daß Gott im Himmel sich erbarme! In solchem Elend muß ich Euch antreffen. Ich gottloser Bösewicht bin nicht wert, daß mich die Erde trage. Ja, ich verdiene, daß sie sich auftue und mich der Abgrund der Hölle verschlinge. Bin doch ich allein schuld an all Eurem Unheil, ich, der boshafte Mann, der sein unschuldiges Weib aus falschem Argwohn umbringen hieß. Verzeiht mir, geliebte Genovefa, nicht um meinetwillen, nein, um des Gekreuzigten willen, der dort auf Eurem Felsen steht! Ich stehe nicht eher auf vor Euren Füssen, bis ich Gnade erlangt habe.« Die Gräfin hörte auf zu weinen und sprach mit halberstickter Stimme: »Betrübt Euch nicht, mein Herr Siegfried, betrübt Euch nicht so sehr! Nicht durch Eure Schuld, sondern durch Gottes Zulassung ist es geschehen, daß ich in diese Wildnis versetzt worden bin. Ich verzeihe Euch von Herzen und habe Euch schon von Anfang an verziehen. Der barmherzige Gott verzeihe uns beiden unsere Sünden und mache uns seiner Gnade würdig.« Darauf reichte sie dem Grafen die Hand und zog ihn zu sich empor. Da stand nun der betrübte Graf und blickte in das abgezehrte Angesicht seiner Gemahlin. Er meinte, das Herz im Leibe müßte ihm vor Mitleid zerspringen, als er das holdselige Antlitz, das einst den Engeln glich, jetzt so grausam entstellt sah. Er fühlte eine solche Ehrerbietung gegen Genovefa, als ob er vor einer Heiligen stünde, und wiewohl sie ihm alle Freundlichkeit erwies, wagte er doch kaum mit ihr zu reden. Nach einigen tiefen Seufzern sprach er endlich: »Und wo ist denn das arme Kind, das Ihr im Kerker geboren habt? Ist es denn nicht mehr am Leben?« Genovefa erwiderte: »Freilich ist es ein großes Wunder von Gott, daß es noch lebt. Ich allein hätte es nicht ernähren können, aber Gott hat mir diese Hindin geschickt, und das treue Tier hat mein Kind zweimal des Tages genährt.«

Als sie noch redete, kam der kleine Schmerzenreich, mit seinem Schaffell bekleidet, barfuß dahergelaufen. Beide Hände hatte er voll wilder Wurzeln. Als er den Grafen bei seiner Mutter sah, erschrak er sehr und rief: »Mutter, was ist das für ein wilder Mensch, der bei dir steht? Ich fürchte mich vor ihm.« Die Mutter sprach: »Fürchte dich nicht, lieber Sohn! Komm nur ohne Furcht her! Der Mann tut dir nichts.« Da waren bei dem Grafen Leid und Freude so groß, daß er nicht wußte, was von beiden mächtiger war. Als das Kind näher trat, nahm es die Mutter bei der Hand und sagte zu ihm: »Siehe, mein Sohn, das ist dein Vater. Geh hin, nimm seine Hand und küsse sie!« Das Kind gehorchte. Der Graf aber nahm es auf seine Arme, drückte es an sein entzücktes Herz, küßte es innig ohne Unterlaß und brachte nichts weiter hervor als: »O mein herzliebster Sohn, o mein herzgüldnes Kind!«

Als der Graf sich an der Umarmung seines Sohnes gesättigt hatte, blies er stark in sein Jägerhorn und rief die Jäger und die Knechte zusammen. Eilfertig kam einer nach dem anderen, und alle wunderten sich, als sie die wilde Frau bei dem Herrn und das Kind auf seinen Armen sahen. Der Graf sprach: »Kennt ihr diese Frau?« Da sie die, Frage verneinten, sprach er weiter: »Kennt ihr denn meine Gemahlin Genovefa nicht mehr?« Da wunderten sie sich so sehr, daß sie nicht wußten, was sie sagen oder denken sollten. Einer nach dem anderen ging zu ihr hin, hieß sie freundlich willkommen und freute sich von Herzen, daß diejenige noch lebte, um die alle im Schloß sieben Jahre lang getrauert hatten. Zwei von ihnen ritten eilig nach Hause und kamen mit einer Sänfte und Gewändern zurück, um die Gräfin schön zu kleiden und heimzutragen.

Unter allen Dienern, die auf den Jagdruf des Grafen herbeikamen, war Golo der letzte, da er ahnte, daß ihn nichts Gutes erwarte. Der Graf hatte ihm zwei Diener entgegengeschickt mit dem Befehl, er solle eilen, es sei ein seltsames Wild gefangen worden. Als er nun hinzukam, sprach Herr Siegfried: »Golo, kennst du dieses Weib?« Er schreckte zusammen, doch sagte er: »Nein, ich kenne es nicht.« Weiter sprach der Graf: »Du ruchlosester aller Bösewichte, die unter Gottes Sonne wandeln, kennst du Genovefa nicht, die du fälschlich bei mir verklagt und unschuldig in den Tod geschickt hast? Du Mörder, wie soll ich dich genug strafen, welche Qualen soll ich ersinnen, mit denen ich dich martern kann?« Golo lag indessen auf der Erde und wälzte sich und bat um Barmherzigkeit. Der ergrimmte Graf aber befahl, ihn festzubinden und als den größten Übeltäter gefangen abzuführen.

Hierauf bat Siegfried, Genovefa möge mit ihm in das Schloß zurückkehren. Sie aber betrat zuvor noch einmal ihre Höhle und fiel vor dem Kruzifix nieder, um Gott für alle an diesem Ort empfangenen Wohltaten zu danken. Alsdann nahm sie der Graf bei der Hand, und ein edler Ritter trug den jungen Grafen nach. Muntere Vöglein flogen über Genovefas Haupt und zeigten mit dem Flattern ihrer Flügel an, wie ungern sie die Frau und das Kind von sich ließen. Die Hirschkuh folgte der Gräfin wie ein sanftmütiges Lamm und wollte keinen Schritt von ihr weichen. Endlich kam man zur Sänfte, in die sie gesetzt wurde, und nun bewegte sich der Zug dem Schloß zu.

Hier war das große Wunder schon bekannt geworden. Jeder wollte die Wiedergefundene sehen. Freunde und geladene Gäste kamen scharenweise auf das Schloß, wo sie voll Freude die teure Verwandte wie von den Toten auferstanden fanden und hörten, wie wunderbar Gott ihre Unschuld geoffenbart hatte. Als das gräfliche Ehepaar angekommen und begrüßt worden war, begannen die Feste und dauerten die ganze Woche. Mahl folgte auf Mahl, aber Genovefa konnte von keiner Speise genießen und den Freudenwein nicht kosten. Aus Wurzeln und Kräutern mußte man ihr die Speisen bereiten, die sie allein essen konnte.

Als die Freudenwoche vorüber war, wurde auch über Golo Gericht gehalten. Der Graf ließ ihn aus seinem Gefängnis holen und allen Gästen vorführen. Er erzählte ihnen seinen Frevel und ließ sie urteilen, welche Strafe ein so teuflischer Bösewicht verdient habe. Die ganze Verwandtschaft schrie Rache über den boshaften Verräter und verurteilte ihn zum grausamsten Tode. Da warf sich der Bösewicht zu Genovefas Füssen, und sie bat ihren Herrn inständig, dem armen, gedemütigten Sünder zu verzeihen. Der Graf hätte ihr diese Gunst bewilligt, er wagte aber nichts ohne seine versammelten Verwandten zu tun. Diese gewährten jedoch keine Gnade, damit nicht in künftigen Zeiten gesagt werden könne, Golo sei unschuldig gewesen, und darum habe man ihm das Leben nicht nehmen können. So wurde er abgeführt und litt, was er verschuldet hatte. Auch alle diejenigen, die es mit Golo gehalten hatten, wurden mit dem Schwert gerichtet. Alle dagegen, die der Gräfin treu geblieben waren oder ihr einen Dienst erwiesen hatten, wurden reichlich belohnt, darunter auch das Mägdlein, das der Gräfin Feder und Tinte in das Gefängnis gebracht hatte, sowie einer der Diener, die ihr das Leben geschenkt hatten. Der andere war schon gestorben, dafür erhielten seine Kinder die Wohltat.

Die Feste waren zu Ende, und die Gäste hatten das Schloß des Grafen verlassen. Fortan lebte Genovefa mit ihrem Gemahl in großer Heiligkeit, und er wußte nicht, wie er ihr genug dienen und aufwarten sollte. Er liebte sie, wie die Engel im Himmel sich lieben, und ließ ihr alle Ehre erweisen, die man einer durchlauchtigsten Fürstin erweist. Aber die Gräfin freute sich irdischer Ehre nicht mehr, und ihr Körper war von dem langen Elend so schwach, daß ihr keine Pflege mehr helfen konnte. Kaum hatte sie drei Monate aufs neue mit ihrem lieben Herrn verlebt, wurde sie eines Tages beim Gebet entrückt und sah eine herrliche Erscheinung. Eine Schar heiliger Frauen und Jungfrauen nahte sich ihr, und mitten unter ihnen ging die Mutter Gottes glorwürdig einher. Jede dieser Heiligen reichte der Gräfin eine himmlische Blume, die Himmelskönigin aber hielt eine mit köstlichen Edelsteinen besetzte Krone in der Hand und sprach: »Geliebte Tochter, betrachte diese Krone! Du hast sie erworben durch die Dornenkrone, die du in der Wildnis getragen hast. Empfange sie aus meinen Händen, denn es ist Zeit, daß du ewige Freuden erhältst.« Mit diesen Worten setzte sie ihr die Krone auf das Haupt und entschwand mit ihren Begleitern wieder in den Himmel.

Über diese Erscheinung war Genovefa sehr froh, denn sie wußte dadurch, daß ihr Elend bald ein Ende nehmen werde. Doch sagte sie ihrem Gemahl nichts davon, damit er sich nicht vor der Zeit betrübe. Aber die Erfüllung blieb nicht lange aus. Denn bald darauf überfiel die fromme Gräfin ein Fieber, das sie aufs Krankenbett warf. Gegen diese Krankheit fruchtete kein Mittel, so daß Siegfried und sein Sohn Schmerzenreich bald in trostloses Leid versanken. Der Graf rief an ihrem Lager aus: »Ach, geliebte Genovefa, wollt Ihr denn, kaum daß ich Euch gefunden habe, wieder von mir scheiden und mein Herz aufs neue betrüben? Habt Mitleid mit meinem Jammer und bittet den lieben Gott, daß er Euch noch eine Weile bei mir lassen wolle.« Genovefa sprach darauf freundlich: »Betrübt Euch nicht so sehr wegen meines Todes, lieber Gemahl. Ihr richtet damit nichts anderes aus, als daß Ihr mich mit Euch betrübt. Ihr seht ja wohl, daß es nicht anders sein kann, darum ergebt Euch freiwillig in den göttlichen Willen. Mich bekümmert es am meisten, daß ich Euch und meinen lieben Schmerzenreich in solcher Traurigkeit sehen muß. Wenn ihr beide getrost wärt, so wollte ich freudig sterben und dies elende Leben mit einem besseren vertauschen.«

Von da an brachte die Gräfin ihre ganze Zeit in inniger Andacht zu. Sie ließ alle, die im Schloß waren, zu sich rufen, und gab ihnen ihren mütterlichen Segen, besonders segnete und tröstete sie ihren geliebten Sohn Schmerzenreich, dessen Verlassenheit ihr am meisten zu Herzen ging. Und so entfloh endlich ihr seliger Geist dem schwachen Leib und ging ein in das ewige Leben. Siegfried und sein Söhnlein warfen sich jammernd über den Leichnam. Alle Diener und Frauen im Schloß wehklagten. Der Graf lag Tag und Nacht auf den Knien vor der Leiche und weinte mit gefalteten Händen so herzzerreißend, daß man meinte, er müsse die Verstorbene mit seinen heißen Zähren wieder lebendig machen. Die Hirschkuh, die der Gräfin aus der Wildnis in das Schloß gefolgt war und hier zahm umherging, fing an zu trauern, als ihre Herrin gestorben war. Und als man endlich den Leichnam bestattete, ging sie mit gesenktem Kopf der Leiche nach und schrie so herzergreifend, daß es die Menschen erbarmte. Nach dem Begräbnis legte sie sich auf das Grab und wich nicht mehr von ihm. Dort starb sie vor lauter Trauer.

Mit der heiligen Genovefa war alle Freude des Grafen begraben worden, und nichts mehr in der Welt genügte ihm fernerhin. In der Kirche war er allezeit kniend an ihrem Grab, und im Schloß verriegelte er sich täglich in seiner Kammer. Da war ihm, als hätte er sie vor Augen, und er führte ein klagendes Zwiegespräch mit ihr und bat ihr unter Tränen ab, daß er sie im Leben so hart verfolgt hatte. Auch zur Höhle, in der Genovefa gelebt hatte, ging er hinaus, und als er vor dem Kruzifix auf den Knien lag, sprach er zu sich selbst: »Dies ist die Höhle, die mit den Seufzern der verlassenen Unschuld angefüllt war. Hier hat deine treue Gemahlin fremde Sünden abgebüßt. Warum solltest du hier nicht deine eigenen Sünden abbüssen?« Als er dies bei sich selbst gesprochen hatte, faßte er, wie durch Eingebung, den Vorsatz, in jener Höhle ein Einsiedlerleben zu führen. Er kehrte aus der Stille nach Trier zurück, begehrte und erhielt vom Bischof Hidulf die Erlaubnis, eine Kapelle an dem Ort zu erbauen.

Als nun eine schöne Kirche in der Wildnis fertig war, mit zwei oder drei Einsiedeleien für Menschen, die dort Busse tun wollten, wurde der Leichnam der frommen Genovefa dorthin gebracht, um da zu ruhen, wo sie so lange ein strenges und ruheloses Leben geführt hatte. Da konnte man Wunder sehen. Denn obwohl der Leichnam in einem marmornen Sarg lag, den kaum sechs Ochsen hätten fortbewegen können, zogen ihn doch zwei Pferde so leicht, als wenn sie gar keine Last hätten. Und wo der Trauerwagen vorübergeführt wurde, da neigten sich die Hecken des Waldes, als würden sie vom Winde bewegt. Ja, selbst die höchsten Bäume bogen ihre Äste tief gegen ihn herunter. So wurde der Leichnam der heiligen Frau beigesetzt und das himmlische Kreuz auf den hohen Altar gestellt.

Der Graf bestellte nun seine Sachen im Schloß und ordnete alles so an, wie er es vor seinem Ende hätte tun müssen. Dann rief er seinen Bruder und sprach in Gegenwart seines Sohnes: »Lieber Bruder, Ihr habt schon seit geraumer Zeit an mir bemerken können, daß mir auf Erden nichts mehr genügen kann als nur die Trauer um meine geliebte Genovefa. Darum habe ich mich entschlossen, die Welt gänzlich zu verlassen und an dem Ort, wo meine Gemahlin gelebt hat, zu leben und zu sterben. Deswegen setze ich Euch zum Vormund meines Sohnes Schmerzenreich ein und bitte Euch, Ihr wollt ihn erziehen, als ob er Euer leiblicher Sohn wäre. Ich bin gewiß, auch er wird Euch Gehorsam und Ehrerbietung bezeigen, wie ein Kind es seinem Vater schuldig ist.« Dann sprach er zu seinem Sohn: »Hörst du es, mein herzliebstes Kind, daß ich die Welt verlassen will und dir meine ganze Grafschaft übergebe? Dein Herr Oheim soll hinfort dein Vater sein.« Da sprach Schmerzenreich: »Ei, lieber Vater, meint Ihr auch, daß es recht sei, daß Ihr für Euren Teil den Himmel erwählen wollt und mir für meinen Teil nur ein wenig Erde hinterlaßt? Nein, Vater, das tu' ich nicht. Ich will, wie Ihr, den Himmel haben. Wo Ihr leben wollt, will auch ich leben. Wo Ihr sterben wollt, will auch ich sterben.« Alle wunderten sich über die Sprache des Knaben. Der Graf brachte ihn weinend davon ab und sprach: »Mein lieber Sohn, das strenge Leben dort wird dir schwerfallen. Dein zarter Leib wird es nicht aushalten können.« Der junge Schmerzenreich antwortete: »Ei, besser als Ihr, mein Vater, habe ich doch viele Jahre lang die Probe ausgehalten.«

So überließ Schmerzenreich die Grafschaft seinem Oheim. Dieser und der Vater umfingen das Kind in herzlicher Liebe. Vater und Sohn legten Pilgerkleider an, nahmen von der Verwandtschaft schmerzlichen Abschied und zogen in die rauhe Wildnis, um dort Gott bis an ihr Ende zu dienen. Als der kleine Schmerzenreich hier ankam, erkannten ihn seine alten Gespielen, die wilden Tiere, wieder, kamen in großer Menge herbei und freuten sich seiner Ankunft. Da bezogen Vater und Sohn die Einsiedelei, brachten darin ihr Leben im Andenken an die fromme Genovefa heilig zu und sind auch dort gottselig im Herrn entschlafen.


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