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Die Schildbürger

I In dem großmächtigen Königreich Utopien, hinter Kalekutta, liegt ein Dorf oder Bauernstädtchen, Schilda genannt, von welchem mit allem Fug das alte Sprichwort gerühmt werden konnte:

Wie die Eltern geartet sind,
So sind gemeiniglich die Kind'.

Denn auch die Schildbürger waren in ihrer Voreltern Fußstapfen getreten und darin verharret, wenn sie nicht die Not, der kein Gesetz vorgeschrieben ist, oder die Förderung des lieben Vaterlandes nötigte, einen andern Weg zu treten.

Der erste Schildbürger war ein hochweiser und verständiger Mann, und es ist wohl zu erachten, daß er seine Kinder nicht wie die unvernünftigen Tiere herumlaufen ließ. Ohne Zweifel war er ein strenger Vater, der ihnen nichts Arges nachsah; vielmehr unterwies er sie als ein getreuer Lehrer, und sie wurden mit allen Tugenden aufs höchste geziert, ja überschüttet, so daß ihnen in der ganzen weiten Welt niemand vorzusetzen oder auch nur zu vergleichen war. Denn zu derselben Zeit waren die weisen Leute noch gar dünn gesäet, und war es ein seltsam Ding, wenn einer derselben sich hervortat. Sie waren gar nicht so gewöhnlich, wie sie jetzt unter uns sind, wo ein jeder Narr für weise gehalten werden will. Deswegen verbreitete sich der Ruhm von ihrem hohen Verstand und ihrer seltenen Weisheit über alle Lande und ward Fürsten und Herren bekannt; wie sich denn ein so herrliches Licht nicht leicht verbergen läßt, sondern, wo es sich finden mag, seine Strahlen von sich wirft.

 

So kam es oft, daß aus ferne gelegenen Orten von Kaisern und Königen Botschaften an die Schildbürger abgefertigt wurden, um sich in zweifelhaften Sachen Rats zu erholen, der immer überflüssig bei ihnen zu finden war, da sie voll von Weisheit steckten. Auch fand man immer, daß die treuen Ratschläge, die sie gaben, nicht ohne besonderen Nutzen abgegangen. Dadurch schufen sie sich in der ganzen Welt einen großen Namen und wurden mit viel Silber, Gold, Edelstein und andern Kleinodien begabt, weil Geistesgaben damals viel höher geschätzt wurden, als in dieser Zeit. Endlich kam es gar so weit, daß Fürsten und Herren, die ihrer keineswegs entbehren konnten, es viel zu weitläufig fanden, Botschaften zu ihnen zu schicken, sondern jeder begehrte einen der Schildbürger in Person bei sich am Hofe und an seiner Tafel zu haben, damit er sich desselben täglich in allen Vorkommenheiten bedienen und aus seinen Reden, als aus einem unerschöpflichen Brunnen des frischesten Wassers, Weisheit schöpfen und lernen könnte.

Daher wurde täglich aus der Zahl der Schildbürger jetzt einer, bald wieder einer, beschickt und in entlegene Länder von Hause abgefordert. In kurzem kam es dahin, daß fast keiner mehr in der Heimat blieb, sondern alle von Hause abwesend waren. Darum sahen sich die Weiber genötigt, der Männer Stelle zu vertreten und alles zu versehen, das Vieh, den Feldbau, und was sonst einem Manne zusteht; jedoch behauptet man, sie hätten dieses nicht ungerne getan. Wie es aber noch heutiges Tages zu gehen pflegt, daß Weiberarbeit und Weibergewinn gegen das, was Männer erwerben, so viel sie sich bemühen, dennoch sehr gering ist, so ging es auch zu Schilda. Darunter ist freilich nur Männerarbeit zu verstehen. Im übrigen ist die eigentümliche Arbeit der Männer und der Weiber wohl unterschieden; wie denn alle Männer nicht könnten ein einziges Kindlein, wie klein es wäre, zur Welt bringen, sie wollten es denn ausbrüten, wie jener Narr den Käse voll Milben, aus welchem er Kälber aushecken zu können hoffte. So wie man im Gegenteile viel Weiber haben müßte, wenn man die feste Stadt Wien in Oesterreich (welche der Gott der Christenheit lange in seinen Schutz nehmen möge) oder die namhafte Stadt Straßburg mit Gewalt gewinnen wollte.

So fingen zu Schilda aus Mangel an Bebauung die Güter des Feldes an abzunehmen, denn die Fußtritte des Herrn, die den Acker allein gehörig düngen, wurden nicht darauf gespürt. Das Vieh, das sonst durch des Herrn Auge fett wird, wurde mager, verwildert und unnütz; alle Werkzeuge und Geschirre wurden schadhaft, nichts verbessert und zurechte gemacht; und was das Aergste war, Kinder, Knechte und Mägde wurden ungehorsam und wollten nichts Rechtes mehr leisten. Sie beredeten sich selbst, weil ihre Herren und Meister nicht einheimisch seien, und man doch Herren und Meister brauche, so stände es wohl ihnen selbst zu, Meister zu sein. Kurzum, während die frommen Schildbürger jedermann zu dienen begehrten, und richtig machen wollten, was irgendwo in der Welt unrichtig war, nicht um des lieben Geldes willen und aus Geiz, sondern der allgemeinen Wohlfahrt wegen, so gerieten sie dadurch in verderblichen Schaden, und es ging ihnen gerade wie dem, der zwei Leute, die sich prügeln, scheiden will; zuletzt ist es er selber, der alle Schläge davonträgt.

 

Weil denn das Weib nicht ohne den Mann, und dieser nicht ohne jenes bestehen kann, so trat zu Schilda die ganze weibliche Gemeinde, die indessen das Regiment führen und der Männer Amt verwalten mußte, zusammen, um das gemeine Beste zu bedenken und dem drohenden Verderben zu steuern. Nach langem Geschnatter und Gerede wurden endlich die Frauen einig, daß sie ihre Männer abfordern und heimrufen wollten. Um dieses ins Werk zu richten, ließen sie einen Brief aufsetzen und durch eigene Boten nach allen Orten und Enden abschicken, wo sie wußten, daß ihre Männer sich aufhielten. Der Brief lautete folgendermaßen:

 

WWir, die ganze weibliche Gemeinde zu Schilda, entbieten Euch, unsern getreuen, herzliebsten Ehemännern samt und sonders unsern Gruß, und fügen Euch zu wissen: Da, Gott sei Dank, unser ganzer Stamm mit Weisheit und Verstand so hoch begabt und vor andern gesegnet ist, daß auch ferne gelegene Fürsten und Herren solche zu hören und zu allen Geschäften zu gebrauchen eine besondere Lust haben, auch deswegen Euch alle zu sich von Haus und Hof, von Weib und Kindern abfordern, und so lange Zeit bei sich behalten, daß zu besorgen ist, sie möchten Euch irgend mit Gaben und Verheißungen ganz und gar anfesseln und verstricken: so sind wir darum in großen Sorgen. Unseren Sachen zu Hause ist dabei weder geraten noch geholfen; das Feld verdirbt, das Vieh verwildert, das Gesinde wird ungehorsam, und die Kinder, die wir armen Mütter gemeiniglich mehr lieben, als gut ist, geraten in Mutwillen, andern vielen Unwesens zu geschweigen. In Betracht dieser Ursachen können wir nicht unterlassen, Euch hiermit an Amt und Beruf zu erinnern und zur Heimkehr aufzufordern. Bedenket, wie so lange Zeit wir von Euch verlassen gewesen; denket an die Kinder, Euer Fleisch und Blut, welche nun allbereits anfangen zu fragen, wo doch ihre Väter seien. Welchen Dank meinet Ihr, werden sie Euch sagen, wenn sie nun erwachsen sind und von uns vernehmen, daß sie ohne Trost und Hilfe von Euch verlassen worden und dem Untergange preisgegeben sind? Und vermeint Ihr, der Fürsten und Herren Gunst gegen Euch werde allezeit beständig sein? Die alten Hunde, wenn sie sich mit Jagen abgearbeitet und ausgedient haben, so daß sie mit ihren stumpfen Zähnen die Hasen nicht mehr packen können, pflegt der Jäger an den nächsten besten Baum aufzuhängen und belohnt so ihre getreuen Dienste. Wie viel löblicher und nützlicher wäre es daher, wenn Ihr daheim und zu Hause, Eure eigenen Händel auswartend, in guter Freiheit und Ruhe leben, und Euch mit Weib und Kind, Freunden und Verwandten erfreuen wolltet. Auch könnet Ihr fremden Leuten dienen und doch in der Heimat bleiben. Wer Euer bedarf, der wird Euch wohl suchen und finden, oder es tut ihm nicht sonderlich not. Solches alles, liebe Männer, werdet Ihr viel besser erwägen, als wir Euch schreiben können. Deswegen hoffen wir, daß Ihr Euch unverzüglich aufmachen und heimkehren werdet, wenn Ihr nicht bald fremde Vögel in Eurem eignem Neste sehen wollet und hören, daß sie zu Euch sprechen: Vor der Tür ist draußen! Darum seid vor Schaden gewarnt. Beschlossen und gegeben zu Schilda, mit Eurem eigenen Siegel, das Euer wartet.«

 

Sobald den Männern dieses Schreiben eingehändigt worden und sie den Inhalt eingesehen, wurde ihr Herz gerührt, und sie fanden es höchst notwendig, sogleich heimzukehren. Sie nahmen daher von ihren Herren gnädigen Urlaub und kamen nach Hause. Hier trafen sie eine solche Verwirrung in allen Sachen, daß sie, so weise sie waren, sich nicht genug verwundern konnten, wie in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit so vieles sich hatte verkehren können. Aber freilich, Rom, das in so vielen Jahren mit Mühe gebauet worden ist, kann an einem Tage gebrochen und zerstört werden! Die Weiber der Schildbürger wurden über die Zurückkunft ihrer Männer sehr froh; doch empfing nicht jede ihren Mann gleich, wie sie denn gar verschiedener Gemütsart waren. Die einen nahmen ihre Männer ganz freundlich und liebevoll auf, wie eine ehrliche Frau billig tun soll, vermöge der Tugenden, mit welchen das weibliche Geschlecht absonderlich geziert ist; andere aber fuhren die ihrigen mit rauhen und zweigespitzten Worten an und hießen sie in alles Bösen Namen willkommen; wie dies denn auch in unsern Tagen viele Weiber, gegen die Natur, im Brauche haben; so daß diesen Männern besser gewesen, sie wären mit dem Vieh hereingekommen und heimlich in die Ställe geschlüpft. Im übrigen waren sie allzumal fröhlich und begingen ein Freudenfest; dann aber setzten sie ihren Männern auseinander, wie notwendig es gewesen, daß sie wieder heimgekommen, und baten sie, das Versäumte hereinzubringen und fernerhin des Hauswesens und Gewerbes besser wahrzunehmen, welches die Männer ihnen auch bei Treu und Ehren zusagten.

 

Auf dieses traten die Schildbürger zusammen, einen Rat zu fassen, was zu tun wäre, daß sie von ausländischen Herren nicht mehr, wie bisher, geplagt und abgefordert würden. Weil es aber spät am Tage und der Handel wichtig war, so ließen sie es für heute bei einer guten Mahlzeit bewenden, bei der sie sich mit weisen Reden, die süßer als Honig und schöner als Gold und Silber sind, aber auch mit Speise und Trank nach Notdurft, als vernünftige Leute, genugsam ergötzten.

Am folgenden Tage verfügten sich unsere Herren, Rat zu halten, unter die Linde. Denn dort pflegten sie sich von alters her zu versammeln, so lang es Sommer war. Winters über war das Rathaus der Versammlungssaal, und der Richterstuhl stand hinter dem Ofen. Als sie zuvörderst den großen Schaden, der ihrem Hauswesen erwachsen war, erwogen und mit dem Nutzen verglichen, der ihnen aus dem Dienste bei den fremden Herren erwuchs, so fanden sie, daß der Nutzen den Schaden bei weitem nicht ersetzen konnte. Es wurde daher eine Umfrage getan, wie doch den Sachen zu helfen wäre. Da hätte einer sollen die weisen und hochverständigen Ratschläge hören, die so gar vernünftig vorgebracht wurden! Einige meinten, man sollte sich der auswärtigen Herren gar nicht mehr annehmen; andere, man sollte sie nicht ganz abtun, sondern nur ihnen so kalte Ratschläge geben, daß sie von selbst abständen und die Schildbürger unbekümmert ließen. Zuletzt trat ein alter Schildbürger auf und brachte sein Bedenken vor, dieses Inhalts: »Da doch ihrer aller hohe Weisheit und großer Verstand die einzige Ursache sei, warum sie von Hause abgefordert und da und dorthin beschickt würden, so dünke ihm das Beste zu sein, wenn sie sich durch Torheit und Aberwitz vor künftiger Zudringlichkeit beschirmten. Wie man sie früher ihrer Klugheit wegen in fremde Lande berufen hätte, so würde man sie jetzt ihrer Dummheit halber zu Hause lassen. Deswegen sei er der Meinung, daß sie alle einhellig, niemand ausgeschlossen, Weiber und Kinder, Junge und Alte, die abenteuerlichsten und seltsamsten Sachen anfangen sollten, die nur zu ersinnen wären; ja was jedem närrisches in den Sinn käme, das sollte er tun. Dazu brauche man aber gerade die Weisesten und Geschicktesten; denn es sei keine geringe Kunst, Narrenamt recht zu verwesen. Wenn nämlich einer die rechten Griffe nicht wisse, und es ihm so mißlinge, daß er gar zum Toren werde, der bleibe sein Leben lang ein Narr; wie der Kuckuck seinen Gesang, die Glocke ihren Klang, der Krebs seinen Gang behält.«

Dieses Bedenken wurde von allen Schildbürgern mit dem höchsten Ernst erwogen, und weil der Handel gar schwer und wichtig war, noch manche Umfrage darüber getan. Am Ende beschlossen sie, daß eben jene Meinung in allen Punkten aufs Genaueste festzusetzen und dann ins Werk zu richten sei. Hiermit ging die Gemeinde auseinander mit der Abrede, daß jeder sich besinnen sollte, bei welchem Zipfel die neue Narrenkappe anzufassen wäre. Freilich hatte gar mancher ein heimliches Bedauern, daß er, nachdem er so viele Jahre voll Weisheit gewesen, jetzt erst in seinen alten Tagen ein Narr werden sollte. Denn die Narren selbst können es am wenigsten vertragen, daß ihnen ihre Torheit, über der es ihnen selbst ekelt, durch einen Narren vorgeworfen werde.

Jedoch, um des gemeinen Nutzens willen, für den jeder ja selbst sein Leben mit Lust aufopfern soll, waren sie allzumal willig, sich ihrer Weisheit zu begeben: und damit hat in unserer Geschichte die Weisheit der Schildbürger ein Ende.

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D Da sie nun forthin ein anderes Regiment, anderes Wesen und Leben anzunehmen und zu bestellen entschlossen waren, so sollte zu einem recht glückhaften Anfange zuerst ein neues Rathaus auf gemeinschaftliche Kosten erbaut werden, ein solches, das auch Raum für ihre Narrheit hatte, und dieselbe wohl ertragen und leiden könnte. Da sie sich nun ihrer Weisheit noch nicht ganz verziehen hatten, und sie nicht mit ihrer Narrheit auf einen Stoß hervorbrechen wollten, weil dadurch leicht erraten worden wäre, daß ihre Torheit nur eine angelegte sei: so beschlossen sie, fein gemächlich zu Werke zu gehen. Doch schien ihnen der Bau eines neuen Rathauses immerhin das dringlichste zu sein. Sie nahmen sich dabei ihren eigenen Pfaffen zum Exempel. Dieser war so eifrig, daß er, so oft er läuten hörte, allezeit meinte, er müßte mit seiner Postille auf die Kanzel rumpeln. Deswegen begehrte er, als er zuerst von den Schildbürgern angenommen wurde, daß sie ihm, noch ehe er predigte, eine neue Kanzel von guten, starken, eichenen Brettern, mit Eisen wohlbeschlagen, machen lassen sollten, die seine gewichtigen Worte, so er jederzeit vorbringen wolle, auch recht dulden könne. Ebenso nun dachten die Schildbürger vor allen Dingen an ein geduldiges Rathaus.

Und wie nun alles verabredet war, was zu einem so wichtigen Werke notwendig erfordert wird, fand sich's, daß nichts mehr mangelte, als ein Pfeifer oder Geiger, der mit seinem lieblichen Sang und Klang, wie ein Orpheus oder Amphion, Holz und Steine herbeigeholt hätte, um sie in feiner Ordnung zu diesem Bau aufeinander zu legen. Da aber ein solcher nirgends zu finden war, so vereinigten sie sich, gemeinschaftlich das Werk anzugreifen, jeder dem andern zu helfen und nicht eher aufzuhören, als bis der ganze Bau aufgeführt und vollendet wäre. Offenbar waren die Schildbürger, deren Weisheit nur allmählich, wie ein Licht, ausgehen sollte, noch viel zu weitsichtig, da sie wußten, daß man zuvor Bauholz und andere Sachen mehr haben müsse, ehe man mit Bauen anfangen könne. Denn rechte Narren würden wohl ohne Holz, Stein und Kalk zu bauen sich unterstanden haben. Deswegen zogen sie samt und sonders einmütig miteinander ins Holz, das jenseits des Berges in einem Tale gelegen war, und fingen an, nach dem Rate ihres Baumeisters, das Bauholz zu fällen. Als es von den Aesten gesäubert und ordentlich zugerichtet war, da wünschten sie nichts anders zu haben, als eine Armbrust, auf der sie es heim schießen könnten; durch solches Mittel, meinten sie, würden sie unsäglicher Mühe und Arbeit überhoben sein. So aber mußten sie die Arbeit selbst verrichten, und schleppten die Bauhölzer nicht ohne viel Schnaufen und Atemholen den Berg hinauf und jenseits wieder mit vieler Mühe hinab; alle bis auf eines, das nach ihrer Ansicht das letzte war. Dieses fesselten sie gleich den andern auch an, brachten es mit Heben, Schieben und Stoßen vor und hinter sich, rechts und links den Berg hinauf, und auf der andern Seite zur Hälfte hinab. Sei es nun aber, daß sie es übersehen hatten, oder daß Stricke und Seile zu schwach waren: kurz, das Holz entging ihnen, und fing an, von selbst fein allgemach den Berg hinab zu rollen, bis es zu den andern Hölzern kam, wo es wie ein anderer Stock stille hielt. Solchem Verstände dieses groben Holzes sahen die Schildbürger bis ans Ende zu, und verwunderten sich höchlich darüber. »Sind wir doch alle,« sprach endlich einer unter ihnen, »rechte Narren, daß wir uns solche Mühe gegeben, bis wir die Bäume den Berg hinabgebracht; und erst dieser Klotz mußte uns lehren, daß sie von selbst besser hätten hinuntergehen können!« »Nun, dem ist Rat zu schaffen,« sagte ein anderer; »Wer sie hinabgetan hat, der soll sie auch wieder hinauftun! Darum, wer mit mir dran ist, spute sich! Wenn wir erst die Hölzer wieder hinaufgeschoben, so können wir sie alle miteinander wieder hinunterrollen lassen; dann haben wir mit Zusehen unsere Lust, und werden für unsere Mühe ergötzt!«

Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern über die Maßen wohl; sie schämten sich einer vor dem andern, daß er nicht selbst so witzig gewesen, und wenn sie zuvor, als sie das Holz den Berg hinabgebracht, unsägliche Mühe gehabt hatten, so hatten sie jetzt gewiß dreifache Arbeit, bis sie dasselbe wieder hinaufbrachten. Nur das eine Holz, das von selber die Hälfte des Berges hinabgerollt war, zogen sie nicht wieder hinauf, um seiner Klugheit willen. Nachdem sie sich so überschafft hatten, und alle Hölzer wieder oben waren, ließen sie dieselben allmählich, eins nach dem andern, den Berg hinabtaumeln, standen droben und ließen sich den Anblick wohl gefallen. Ja, sie waren ganz stolz auf die erste Probe ihrer Narrheit, zogen fröhlich heim und saßen ins Wirtshaus, wo sie kein kleines Loch in den Beutel der Stadt hinein zehrten.

 

Das Bauholz war gefügt und gezimmert, Stein, Sand, Kalk herbeigeschafft, und so fingen die Schildbürger einmütig ihren Bau mit solchem Eifer an, daß, wer nur immer zusah, gestehen mußte, es sei ihr bitterer Ernst gewesen. In wenig Tagen hatten sie die drei Hauptmauern von Grund aus aufgeführt; denn weil sie etwas Besonderes haben wollten, so sollte das Haus dreieckig werden. Auch aller Einbau ward wohl vollendet, doch ließen sie nebenzu an einer Seite ein großes Tor in der Mauer offen, um, wie sie dachten, das Heu, das der Gemeinde zuständig wäre, und dessen Erlös sie miteinander vertrinken durften, hineinzubringen. Dies Tor kam denn auch – woran sie nicht gedacht – ihrem Herrn Schultheißen wohl zu statten, sonst hätte dieser, samt Gerichts- und Ratsherren, wenn sie in den Rat gehen wollten, über das Dach hineinsteigen müssen, was freilich wohl ihrer Narrheit ganz angemessen, aber doch allzu unbequem und dazu halsbrechend gewesen wäre.

Hierauf machten sie sich an das Dach. Dieses wurde nach den drei Ecken des Baues dreifach abgeteilt, der Dachstuhl auf die Mauer gesetzt, und so das ganze Werk, nach ihrer Meinung, bis auf den Giebel untadelig hinausgeführt. Das Dach zu decken verschoben sie auf den folgenden Tag und eilten dem Hause zu, wo der Wirt den Reif aufgesteckt. Am andern Morgen wurde mit der Glocke das Zeichen gegeben, vor welchem bei Strafe niemand arbeiten durfte. Da strömten alle Schildbürger zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und fingen an, ihr Rathaus zu decken. So standen sie hintereinander, die einen zuoberst auf dem Dache, die andern unten, wo sie an den Latten besserten; etliche noch auf der Leiter, wieder andere auf der Erde zunächst der Leiter, und so fort bis zu dem Ziegelhaufen, der einen guten Steinwurf vom Rathause entfernt war. Auf diese Weise ging jeder Ziegel durch aller Schildbürger Hände, vom ersten der ihn aufhob, bis auf den letzten, der ihn auf seine Statt legte, daß ein Dach daraus würde. Wie man aber willige Rosse nicht übertreiben soll, so hatten sie die Anordnung gemacht, daß zu einer gewissen Stunde die Glocke geläutet würde, zum Zeichen des Ausruhens. Sowie nun derjenige, der zunächst am Ziegelhaufen war, den ersten Streich der Glocke hörte, ließ er den Ziegel, den er eben aufgehoben hatte, fallen, und lief dem Wirtshause zu. So geschah es, daß diejenigen, die zuletzt ans Werk gekommen, die Ersten im Wirtshause und die Obersten hinter dem Tische wurden. Dasselbe taten auch die Zimmerleute. Sobald ihrer einer den ersten Glockenstreich gehört, ließ er die Axt, die er schon zum Streich aufgehoben, fallen, und lief dem Trünke zu, welches alles zur Narrheit der Schildbürger trefflich paßte.

Endlich, nach vollendetem Werke, wollten sie in ihr Rathaus gehen, um dasselbe zu aller Narren Ehre einzuweihen, und in aller Narren Namen zu versuchen, wie es sich darin raten lasse. Kaum aber waren sie in Ehrbarkeit hineingetrelen – siehe, da war es ganz finster, so finster, daß einer den andern kaum hören, geschweige denn sehen konnte. Darüber erschraken sie nicht wenig, und konnten sich nicht genugsam verwundern, was doch die Ursache sein möchte; ob vielleicht irgendwo ein Fehler beim Bauen gemacht worden, wodurch das Licht aufgehalten würde. So gingen sie denn zu ihrem Heutor wieder hinaus, um zu sehen, wo sich der Mangel befinde. Da standen alle drei Mauern gar vollkommen da; das Dach saß ordentlich darauf; auch an Licht mangelte es draußen nicht. Sobald sie aber wieder hereinkamen, zu forschen, ob der Fehler drinnen liege, da war es wieder finster wie zuvor. Die wahre Ursache aber war, daß sie die Fenster an ihrem Rathause vergessen hatten; die konnten sie nicht finden noch erraten, so sehr sie sich auch ihre närrischen Köpfe darob zerbrachen.

 

Als der festgesetzte Ratstag gekommen, stellten sich die Schildbürger zahlreich ein, denn es hatte allen gegolten, und nahmen ihre Plätze ein. Einer von ihnen hatte auch einen brennenden Lichtspan mitgebracht, und ihn, nachdem sie sich niedergesetzt, auf seinen Hut gesteckt, damit sie in dem finsteren Rathause einander sehen könnten, auch der Schultheiß bei der Umfrage einem jeden seinen Titel und Namen zu geben im Stande wäre. Hier ließen sich nun über den vorgefallenen Handel gar widersprechende Meinungen vernehmen. Die Mehrheit schien sich dahin zu neigen, daß man den ganzen Bau wieder bis auf den Boden abbrechen und aufs Neue aufführen sollte: da trat einer hervor, der, wie er früher unter allen der allerweiseste gewesen, so jetzt sich als den allertörichtesten zeigen wollte, und sprach, er habe, so lange seine Weisheit gewährt, manchmal vernommen, daß man durch Beispiel vieles klarer machen könne; solchem nach wolle auch er den Schildbürgern eine schöne Geschichte erzählen: »Meiner Großmutter Großvaters Bruders Sohn,« hub er darauf an, »hörte eines Tages einen sagen: ei, wie sind die Rebhühner so gut! Hast du denn schon welche gegessen, fragte meiner Großmutter Großvaters Bruders Sohn, daß du es so gut weißest? Nein, sagte der andere, aber es hat mir's einer vor fünfzig Jahren gesagt, dessen Großmutters Großvater sie in seiner Jugend von einem Edelmann hatte essen sehen. Ueber diese Rede bekam meiner Großmutter Großvaters Bruder Sohn ein Kindbetteringelüste, daß er gern etwas Gutes essen möchte, und sagte darum zu seinem Weib, sie solle ihm Küchlein backen, denn Rebhühner könne er doch nicht haben. Sie aber, die besser wußte, als er, was der Butterhafen vermöge, entschuldigte sich, sie könne ihm diesmal keine Küchlein backen, weil ihr die Butter oder das Schmalz ausgegangen. Sie bat ihn deshalb, er möchte mit den Küchlein bis auf eine andere Zeit sich gedulden. Damit hatte aber meiner Großmutter Großvaters Bruders Sohn keine Küchlein gegessen und sein Gelüste nicht gebüßt. Er wollte sich mit einem so trockenen Bescheide ohne Salz und Schmalz nicht abweisen lassen, und bestand darauf, die Frau sollte ihm Küchlein backen, und hätte sie nicht Butter oder Schmalz, so sollte sie es mit Wasser versuchen. Es tut's nicht, sagte die Frau, sonst wäre ich selbst nicht so lang ohne Küchlein geblieben, weil ich mich das Wasser nicht hätte dauern lassen. Er aber sprach: du weißt es nicht, weil du es noch nie probiert hast. Versuch es einmal, und erst wenn es nicht geraten will, kannst du sagen, es tu' es nicht. Wollte die Frau Ruhe haben und zufrieden sein, so mußte sie dem Mann willfahren; sie rührte also einen Kuchenteig an, ganz dünn, als wollte sie Sträublein backen, setzte eine Pfanne Wasser über das Feuer, und nun mit dem Teig darein. Der Teig zerfloß im Wasser und es wurde ein Brei daraus, darüber die Frau zornig, der Mann leidig ward. Denn jene sah Arbeit, Holz und Mehl verloren; meiner Großmutter Großvaters (seligen) Bruders Sohn aber stand dabei, hielt den Teller hin, und wollte die erstgebackenen Küchlein, so warm sie aus der Pfanne kamen, essen, ward aber betrogen. Seine Frau verwünschte das Kuchenbacken mit Wasser; er jedoch sagte langmütig: »Laß dich's nicht gereuen, man versucht ein Ding auf so viel Weise, bis es zuletzt gelingen muß. Ist es diesmal nicht geraten, so gerät's ein andermal. Es wäre ja doch eine feine nützliche Kunst gewesen, wenn es von ungefähr geglückt wäre!« »Ich meine ja wohl, sagte meiner Großmutter Großvaters Bruders Sohns Frau; dann wollt' ich selbst alle Tage Küchlein essen!«

»Und nun« – so schloß der Schildbürger – »diese Geschichte auf unser Vorhaben zu beziehen: wer weiß, ob das Licht oder der Tag sich nicht in einem Sacke tragen läßt, gleichwie das Wasser in einem Eimer getragen wird. Unser keiner hat es jemals versucht; darum, wenn es euch gefallt, so wollen wir dran gehen; gerät's, so haben wir's um so besser, und werden, als Erfinder dieser Kunst, großes Lob damit erjagen! Geht es aber nicht, so ist es doch zu unserem Vorhaben, der Narrheit halber, ganz willkommen und bequem!«

Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern dermaßen, daß sie beschlossen, demselben in aller Eile nachzuleben. Deswegen kamen sie nach Mittag, wo die Sonne am besten scheint, bei ihrem Eide gemahnt, alle vor das neue Rathaus, ein jeder mit einem Geschirr, in das er den Tag zu fassen gedachte, um ihn hineinzutragen. Einige brachten auch Schaufeln, Kärste, Gabeln mit, aus Fürsorge, daß ja nichts verabsäumt werde.

Sobald nun die Glocke Eins geschlagen, da konnte man Wunder sehen, wie sie zu arbeiten anfingen. Viele hatten lange Säcke, darein ließen sie die Sonne scheinen bis auf den Boden; dann knüpften sie den Sack eilends zu und rannten damit in das Rathaus, den Tag auszuschütten. Andere taten dasselbe mit verdeckten Gefäßen, als Hafen, Kesseln, Zubern und was dergleichen ist. Einer lud den Tag mit einer Strohgabel in einen Korb, der andere mit einer Schaufel; etliche gruben ihn aus der Erde hervor. Eines Schildbürgers soll besonders gedacht werden, welcher den Tag in einer Mausefalle zu fangen gedachte, und ihn so, mit List bezwungen, ins Haus tragen wollte. Jeder verhielt sich, wie es sein Narrenkopf ihm eingab. Und solches trieben sie den langen, lieben Tag, so lang als die Sonne schien, mit solchem Eifer, daß sie vor Hitze fast erlechzten und unter der Müdigkeit fast erlagen. Sie richteten aber so wenig damit aus, als vor Zeiten die Riesen, da sie Berge aufeinander türmten, um den Himmel zu erstürmen. Datum sprachen sie zuletzt: »nun, es wäre doch eine feine Kunst gewesen, wenn es geraten wäre!« Und daraus zogen sie ab, und hatten doch so viel gewonnen, daß sie auf gemeine Kosten zum Wein gehen, und sich so wieder erquicken und laben durften.

 

Die Schildbürger waren mitten in ihrer Arbeit, als von ungefähr ein fremder Wandersmann durch die Stadt und an ihnen vorüber reiste. Dieser stand lange still, sah ihnen mit offenem Maule zu, und vergaß es wieder zuzumachen; ja bald wäre er auch zu einem Schildbürger geworden, so sehr zerbrach er sich den Kopf darüber, was denn das bedeuten sollte. Abends in der Herberge, wo er des Wunders willen sich niedergelassen, um das Abenteuer zu erfahren, fragte er nach der Ursache, warum er sie denn so eifrig in der Sonne habe arbeiten sehen, ohne begreifen zu können, was sie eigentlich täten. Die umstehenden Schildbürger antworteten ihm ohne Bedenken, daß sie versucht hätten, ob sie das Tageslicht in ihr neugebautes Rathaus tragen könnten.

Der fremde Geselle war ein rechter Vogel, genetzt und geschoren wie es sein sollte, nur daß er weder Federn noch Wolle hatte. Er war nicht gesinnt, den Raub, der sich ihm hier anbot, aus den Händen zu lassen: deswegen fragte er sie ernsthaft, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten? Da sie mit Kopfschütteln antworteten, so sagte der Geselle: »das macht, daß ihr die Sache nicht so angegriffen habt, als ich euch wohl möchte geraten haben!« Dieser Tagesschimmer von Hoffnung machte die Schildbürger sehr froh, und sie verhießen ihm von Seiten des ganzen Fleckens eine namhafte Belohnung, wenn er ihnen seinen Rat mitteilen wollte. Dem Wirt befahlen sie, ihm tapfer aufzutragen und vorzusehen, so daß der gute Geselle diese Nacht ihr Gast war und redlich ohne Geld zechte; wie das billig war, da er forthin ihr Baumeister sein sollte.

 

Am folgenden Tage, als die liebe Sonne den Schildbürgern ihren Schein wieder gönnte, führten sie den fremden Künstler zum Rathaus, und besahen es mit allem Fleiße von oben und unten, vorn und hinten, innen und außen. Da heißt sie der Geselle, der indessen mit der Schalkheit Rat gepflogen, das Dach besteigen, und die Dachziegel hinwegnehmen, welches auch alsogleich geschah. »Nun habt ihr«, sprach er, »den Tag in eurem Rathause; ihr mögt ihn darin lassen, so lang es euch gefällig ist. Wenn er euch beschwerlich wird, so könnet ihr ihn wohl wieder hinausjagen.« Aber die Schildbürger verstanden nicht, daß er damit meinte, sie sollten das Dach nicht wieder darauf decken, sonst würde es wieder so finster werden, wie zuvor, sondern sie ließen die Sache gut sein, saßen in dem Hause zusammen und hielten den ganzen Sommer über Rat. Der Geselle nahm die Verehrung, zählte das Geld nicht lange, sondern zog hinweg und schaute oft hinter sich, ob ihm niemand nacheile, den Raub wieder von ihm zu nehmen. Er kam auch nie wieder und noch heutigen Tages weiß niemand, woher er gewesen und wohin er gekommen; nur dies sagten die Schildbürger von ihm, daß sie ihn am Rücken das letztemal gesehen hätten.

 

Nun hatten sie mit ihrem Rathause solches Glück, daß es den ganzen Sommer über, so oft sie zu Rate saßen, nie regnete. Inzwischen aber begann der liebliche Sommer sein lustiges Antlitz zu verbergen, und der leidige Winter streckte seinen rauhen Schnabel hervor. Da merkten die Schildbürger bald, daß, wie einer unter einem großen Wetterhut, wie die sind, welche junge Lassen gewöhnlich aus fremden Landen mitbringen, sich vor dem Regen sicher stellt, so auch sie sich mit dem Dache, wie einem Hute, gegen Schnee und Ungewitter schirmen müßten. Sie hatten daher nichts eiligeres zu tun, als das Dach mit gemeinschaftlicher Handreichung wieder zu decken. Aber, siehe da, wie das Dach wieder eingedeckt war, und sie ins Rathaus gehen wollten, da war es leider wieder ebenso dunkel darin, als es zuvor gewesen, ehe sie von der Ersparungskunst des Wanderers die Erfindung gelernt hatten, Tag in dem Hause zu machen, ohne ihn hinein zu wagen. Und jetzt erst merkten sie, daß er sie häßlich hinter das Licht geführt habe. Sie mußten aber zu der geschehenen Sache das Beste reden, setzten sich wieder mit ihren Lichtspänen auf den Hüten zusammen und hielten geschwind einen Rat darüber, der sich weit in den Tag hinein zog. Endlich kam die Umfrage auch an einen, der sich nicht den Ungeschicktesten dünkte. Dieser stand auf und sagte: »er rate eben das, was sein Vater raten werde.« Nach diesem weisen Rate trat er aus der Versammlung, sich zu räuspern, wie denn die Bauern oft einen so bösen Husten haben, daß niemand um sie bleiben kann. Wie er nun in der Finsternis (denn sein Lichtspan war ihm erloschen) an der Wand hin und her krabbelte, wird er von ungefähr eines kleinen Risses in der Mauer gewahr. Auf einmal erinnert er sich mit großem Seufzen seiner ersten Weisheit, deren sich alle verziehen hatten; daher tritt er wieder hinein und spricht: erlaubet mir ein Wort zu reden, liebe Nachbarn!« Als ihm dies vergönnt wurde, sprach er weiter: »nun, ich frage euch alle darum, sind wir nicht alle doppeltgebohrte Narren? Wir haben so ängstliche und üble Zeit mit unserem Rathaus, wenden Unkosten dran und geraten noch dazu in große Verachtung. Und dennoch ist keiner von uns so gescheidt gewesen, daß er gesehen hätte, daß wir in das Haus keine Fenster gemacht haben, durch die das Licht herein fallen konnte. Das ist doch gar zu grob, zumal im Anfänge unserer Torheit; da sollten wir nicht so auf einmal und mit einem Satz hineinplumpen, so daß es auch ein rechter, geborner Narr merken könnte!«

Ueber diese Rede erschraken und verstummten die andern alle. Sie sahen einander an, und schämten sich einer vor dem andern wegen der gar zu plumpen Narrheit. Ohne die Umfrage abzuwarten, fingen sie darauf miteinander an, aller Orten die Mauern des Rathauses durchzubrechen, und da war kein Schildbürger unter allen, der nicht sein eigenes Fenster hätte haben wollen. Also wurde das Rathaus vollführt, bis auf den Einbau, von welchem sogleich Meldung getan werden soll.

 

Nachdem also ihrem Rathause sein großes Laster abgewöhnt und Hz endlich sehend geworden war, fingen die Schildbürger an, auch das Eingeweide des Hauses zurecht zu machen, und die Gemächer zu verschlagen. Unter anderm machten sie drei abgesonderte Stuben, eine Witzstube, eine Schwitzstube und eine Badestube; diese mußten vor allen Dingen fertig gemacht werden, damit die Schildbürger, wenn sie über wichtige Sachen ratschlagen sollten, nicht behindert wären. Nun, meinten sie, sei das ganze dreieckige Rathaus aufs vortrefflichste fertig gemacht, und weihten es zu aller Narren Ehre feierlich ein.

Inzwischen war der Winter ganz hereingebrochen und es war kalt geworden. Nun sollten sie an einem Ratstage Gericht halten, und der Kuhhirt hatte mit seinem Horn den Ratsherren die Losung gegeben. Da brachte denn jeder, damit das gemeine Wesen nicht beschwert würde, sein eigenes Scheit Holz mit, um die Stube zu wärmen. Aber, als sie sich nach der Heizung umsahen, siehe, da fand sich's, daß sie den Ofen vergessen hatten, ja nicht einmal Raum gelassen, wo man einen hinstellen könnte. Darüber erschraken sie abermals heftig bei sich selbst, und schalten sich über ihre Torheit. Als sie nun anfingen, den Handel zu erwägen, da fielen gar mancherlei Meinungen. Einige waren der Ansicht, man sollte ihn hinter die Tür setzen. Da es aber herkömmlich war, daß der Schultheiß den Winter über hinter dem Ofen seinen Sitz haben mußte, so schien es schmählich zu sein, wenn er hinter der Tür säße. Zuletzt riet endlich einer, man sollte den Ofen vors Fenster hinaus setzen, und ihn nur zur Stube hereingucken lassen. Zu Zeiten dann, wenn es not täte, könnte er bei Abzählung der Stimmen auch mit gerechnet werden, denn, riete er schon nicht zur Sache, so sei er doch auch nicht dawider. Dem Schultheiß sollte man den nächsten Ort dabei einräumen. Diesem Rate ward von allen Bänken her einhelliger Beifall zugerufen. Doch sagte ein Alter unter ihnen, welcher schon länger Narr war, als die andern: »Aber, lieber Freund, die Hitze, die sonst in die Stube gehört, wird zum Ofen hinausgehen! Was hilft uns dann der Ofen?« – »Dafür weiß ich ein Mittel,« rief ein Dritter. »Ich habe ein altes Hasengarn, das will ich der Gemeinde zum besten geben. Wir wollen es vor die Ofentüre hängen, daß es die Hitze im Ofen beschließe! Dann haben wir nichts Arges zu besorgen, nicht wahr, lieber Nachbar? Dann wollen wir tüchtig sieden und braten, und die Aepfel in der Kachel umkehren!« Dieser Schildbürger wurde wegen seines so weisen Rates hoch gepriesen, und ihm mit allen seinen Nachkommen der allernächste Sitz hinter dem Ofen zunächst bei der Aepfelkachel vergönnt.

 

So schloß der Handel; der Ofen wurde gemacht, und bei einer zweiten Ratswahl das Rathaus aufs neue mit Narren besetzt. Die neuen Ratsherren berieten sich vornehmlich darüber, wie man einen Vorrat anlegen könnte, dessen man sich bedienen dürfte, wenn einmal eine Teuerung einfiele. Besonders aber hörten sie vom Salze, dessen Kauf ihnen wegen der obwaltenden Kriege abgeschnitten war, und an dem sie eben darum großen Mangel litten; man riet ihnen, sie sollten es doch so weit bringen, daß sie eigenes Salz hätten, das sie in der Küche so wenig entbehren könnten, als den Dünger auf dem Acker. Da faßten sie nach langer Ratschlagung den Beschluß: »Weil es doch offenbar sei, daß der Zucker, der ja dem Salz so ähnlich sehe, erwachse, so müsse wohl daraus folgen, daß das Salz gleichermaßen aus dem Felde hervorwachse; wie denn das Salz so gut Körnlein habe, als der Weizen, und man eben sowohl sage: ein Salzkorn, als: ein Weizenkorn; darum beschließe ein wohlweiser Rat, daß man ein großes, der Gemeinde zustehendes Feld umbrechen solle, und darauf in Gottes Namen Salz säen. Es sei kein Zweifel, daß sie dann ihr eigen Salz bekommen würden und nicht andern zu Füßen fallen dürften, um Salz zu erhalten.«

Der Acker ward gepflügt und nach dem Beschlusse Ihrer Wohlweisen mit Salz besäet. Sie selbst und alle Schildbürger waren in bester Hoffnung, und zweifelten nicht, Gott werde seinen Segen im Ueberfluß zu der Arbeit geben, weil sie ja in seinem Namen gesäet hätten; auch wäre ein solcher Gewinn, als ein Erdwucher, nicht schändlich, sondern von jedermann gebilligt. In diesem Vertrauen stellten sie auch Hüter und Bannwarte auf, die, mit einem langen Vogelrohr in der Hand, die Vögel schießen sollten, wenn sie etwa das ausgesäete Salz wie andern Samen auffressen oder auflecken wollten.

Es währte nicht lange, so fing der Acker an aufs allerschönste zu grünen und die frechsten Kräuter herauf zu schicken. Die Schildbürger hatten eine unsägliche Freude darüber und meinten, diesmal wäre ihnen die Sache wohl geraten. Sie gingen alle Tage hinaus, zu sehen, wie das Salz wüchse; ja, sie beredeten sich selbst, sie hörten das Salz wachsen, wie jener das Gras. Und je mehr es wuchs, desto mehr wuchs in ihnen die Hoffnung, und da war keiner unter ihnen, der nicht im Geiste schon ein ganzes Simri Salz gegessen hätte. Deswegen befahlen sie den Bannwarten, wenn etwa eine Kuh, ein Pferd, ein Schaf oder eine Gais auf den Salzacker sich verirrte, so sollten sie diese Tiere auf alle Weise und ohne Schonung fortjagen. Dessen ungeachtet kam das unvernünftige Vieh auf den wohlbebauten und besäeten Salzacker, und fraß nicht nur die herrliche Aussaat von Salz, sondern auch das, was noch hätte wachsen sollen. Der Hüter, der dieses sah, wußte wohl, was ihm auferlegt sei. Aber er verlor den Kopf, denn er war ein Schildbürger, und anstatt das Vieh hinauszutreiben, lief er in die Stadt und meldete das Unheil dem Schultheißen und Rat. Dieser sah auch bald ein, daß dem Bannwart sein Vogelrohr gegen die vierfüßigen Tiere nichts helfen konnte; sie faßten daher, nachdem sie sich lang die Köpfe zerbrochen hatten, den weisen Beschluß: ihrer Viere des edlen Rates, vor denen die Tiere sich vielleicht mehr als vor schlechten Leuten scheuen würden, sollten den Bannwart auf eine geflochtene Truhe sehen, ihm eine lange Rute in die Hand geben, und ihn so auf dem Salzacker herumtragen, bis er das lose Vieh hinausgetrieben hätte. Dies geschah, der Bannwart hielt seinen Umzug, als wäre er der Papst zu Rom, und die vier Ratsherren wußten mit ihren breiten Füßen so zart einherzugehen, daß durch sie dem kostbaren Acker kein allzugroßer Schaden widerfuhr.

Wirklich blühte und zeitigte das Salzkraut nicht anders als ob es Unkraut gewesen wäre, auf das eher ein fruchtbarer Regen fällt, ehe denn es verdirbt. Wie nun ein ehrlicher Schildbürger über den herrlich grünenden Acker ging, konnte er es nicht lassen, ein weniges von dem edeln Salzkraut auszuraufen und es, bescheiden kostend, an den Mund zu führen. Nun ist es wahr, es bissen ihn die Brennesseln auf die Zunge, daß er hätte schreien mögen; aber eben das machte ihn ausnehmend fröhlich, er rannte, als wäre er ein rechter Narr, vor Schmerz und Freuden auf und ab, und schrie mit heller Stimme: »Es ist Leckerwerk; Leckerwerk ist es!« Darauf lief er recht eilig, damit ihm niemand das Botenbrod abgewänne, nach dem Flecken Schilda, und stürmte mit der großen Glocke, damit alle Schildbürger zusammenkämen und die gute Mär vernähmen. Als sie versammelt waren, zeigte er ihnen vor Freude zitternd an: »sie sollten fröhlich und guten Mutes sein; das Kraut sei schon so scharf, daß es ihn auf der Zunge gebissen habe; es sei hieraus abzunehmen, daß gewißlich ein recht gutes Salz daraus werde.«

Dadurch veranlaßte er die Schildbürger, alle miteinander auf den Acker zu gehen, den Schultheiß an der Spitze. Dieser raufte ein Krautblatt heraus, reckte die Zunge und kostete es; und ihm taten es alle nach, und alle fanden es so, wie der Bote ihnen verkündet hatte. Sie waren sehr froh, und jeder dachte sich in seinem Sinne schon als einen mächtigen Salzherrn. Und als endlich die Zeit der Ernte gekommen war, da kamen sie herbei mit Roß und Wagen, um mit Sicheln das Salz abzuschneiden und heimzuführen. Etliche hatten gar ihre Dreschflegel gerüstet, um es gleich an Ort und Stelle auszudreschen. Als sie aber Hand anlegen und ihr gewachsenes Salz abschneiden wollten, da war es so herb und hitzig, daß es ihnen allen die Hände verbrannte. Dies hatten sie auch, von der großen Kraft des Salzkrautes unterrichtet, wohl überlegt, jedoch es nicht gewagt, sich mit Handschuhen zu versehen, weil der Sommer so gar heiß war, und sie fürchteten, man möchte ihrer spotten. Nun meinten einige, man sollte es abmähen, wie das Gras; andere, weil es so gar hitzig wäre, so sollte man es mit der Armbrust niederschießen, wie einen tollen Hund. Das letzte gefiel ihnen am allerbesten. Weil sie aber keinen Schützen unter sich hatten und befürchteten, wenn sie nach einem fremden schickten, möchte ihre Kunst verraten werden, so ließen sie es bleiben. Kurzum, die Schildbürger mußten das edle Salzkraut auf dem Felde stehen lassen, bis sie einen besseren Rat fänden. Und hatten sie zuvor wenig Salz gehabt, so hatten sie jetzt noch weniger, denn was sie nicht verbraucht hatten, das hatten sie ausgesäet. Deswegen litten sie großen Mangel an Salz, zumal am Salze der Weisheit, das bei ihnen ganz dünn geworden war. Daher zerbrachen sie sich auch den Kopf darüber und sannen nach, ob etwa der Acker nicht recht gebaut worden, und hielten viele Ratssitzungen darüber, wie man es ein andermal besser machen könnte.

 

N Nun weiß jedermann, daß vor Zeiten die Weisheit der Schildbürger weit und breit durch alle Lande gerühmt war, sodaß jedermann etwas davon zu sagen wußte. Doch war dies schon lange her. Aber das Gerücht von ihrer Torheit verbreitete sich in kurzer Zeit noch viel weiter, sodaß bald niemand auf der ganzen Welt war, der nicht alles gewußt hätte, was sich bei ihnen zugetragen hatte.

So geschah es, daß dem Kaiser des großen Reiches Utopia, als er wegen Reichsgeschäfte in diejenige Gegend seines Landes kam, in welcher der Flecken Schilda lag, vieles von den abenteuerlichen Schildbürgern erzählt wurde. Darüber wunderte sich der Kaiser um so mehr, weil er sich früher auch in wichtigen Sachen ihrer Weisheit bedient und sich Rates bei ihnen erholt hatte. Weil er nun doch in jener Gegend verziehen mußte, bis sich die Stände des Reiches, die er dorthin beschieden, versammelt hätten, so verlangte ihn, einen persönlichen Besuch in Schilda zu machen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es sich mit der Torheit seiner dortigen Untertanen verhielte. Er fertigte daher einen Gesandten ab, um ihnen seine Ankunft anzuzeigen, damit sie ihre Zurüstungen treffen könnten. Dabei ließ er ihnen anzeigen, daß er sie bei allen ihren althergebrachten Privilegien und Freiheiten schirmen, auch mit weiteren begnaden wolle, unter der Bedingung, daß sie ihm auf die erste Rede, die er an sie richten werde, so antworten könnten, daß sein Gruß und ihre Antwort sich reime.

Die armen Schildbürger erschraken über diese Botschaft, wie eine Katze, wenn sie sich unversehens vor dem Kürschner, oder eine Ziege, wenn sie sich vor einem Schneider findet. Obwohl sie nur Bauersleute waren, welche, wie man meint, das Recht haben, einfältig zu sein, so fürchteten sie doch, der Kaiser – der mit seinen Augen, obschon sie nicht größer sind, als anderer Leute Augen, doch viel weiter sehe und mit seinen Händen länger reiche – möchte merken, daß ihre Narrheit nur eine angelegte sei, und sie selbst möchten nicht nur seine allerhöchste Ungnade erfahren müssen, sondern vielleicht gar gezwungen werden, wieder witzig und verständig zu sein. Denn freilich wohl ist es kein Geringes, sich selber zum Narren zu machen und seinen Verstand mutwillig dem allgemeinen Nutzen zu entziehen. Man sollte wenigstens warten, bis man entweder von selbst ein Narr oder durch andere zum Narren gezimmert wird. Dann kann man sich mit gutem Gewissen einen Narren schelten lassen von jedermann, und wäre dieser auch gleich ein zehnmal größerer Narr. Die Schildbürger nun suchten in solchem Schrecken bei ihrer alten, hinterlegten Weisheit Rat und Hilfe. Sie ordneten alles, was in Stall und Küche notwendig war, aufs fleißigste, um den Kaiser so stattlich als möglich zu empfangen. Unglücklicher Weise aber hatten sie damals gerade keinen Schultheißen, denn der im Anfang ihrer Torheit gewählte war, aus Kummer über seine aufgegebene Kunst und Weisheit, zu einem rechten völligen Narren und daher zu seinem Amte unbrauchbar geworden. Nachdem sie sich nun lange über eine neue Wahl beraten, kamen sie endlich darin überein, weil sie ja dem Kaiser auf seine ersten Worte in Reimen antworten müßten, so sei es wohl am besten, daß derjenige Schultheiß werde, der auf den folgenden Tag den besten Reim hervorbringen könnte. Darüber wollten sie die Nacht schlafen. Nun zerbrachen sich die weisen Herren die ganze Nacht den Kopf, denn da war keiner von allen, der nicht gedacht hätte, Schultheiß zu werden. Aber am unruhigsten schlief derjenige Schildbürger, der bisher einer andern Gemeinde vorgestanden, das heißt, der die Schweine gehütet hatte. Er warf sich so wild hin und her, daß seine Frau endlich erwachte und ihn fragte, was ihm fehle. Der Schweinehirt aber wollte nicht aus dem Rate schwatzen, und nur mit vieler Mühe konnte ihn sein Weib bewegen, ihm zu sagen, was sich Wichtiges begeben habe. Als er ihr aber endlich anvertraut, womit die Schildbürger umgingen, da wäre des Schweinehirten Frau ebensogern Schultheißin geworden, wie der Schweinehirt Schultheiß. »Kümmere dich über diesen Handel nicht, lieber Mann,« sagte sie. »Was willst du mir geben, wenn ich dich einen Reim lehre, daß du Schultheiß werdest.« – »Wenn du das kannst,« sprach der Schweinehirt vergnügt, »so will ich dir einen schönen, neuen Pelz kaufen.« Damit war die Frau sehr zufrieden, besann sich eine Weile und fing an, ihm folgenden Reim vorzusprechen:

Ihr lieben Herrn, ich tret' herein,
Mein feines Weib, die heißt Katrein,
Ist schöner, als mein schönstes Schwein,
Und trinkt gern guten, kühlen Wein.

Diesen Reim sprach die Schildbürgerin, die sich nicht wenig auf ihre Dichtkunst zu gute tat, ihrem Hauswirt neun und neunzig Mal vor und er ebenso oft ihr nach, bis er ihn ganz gekaut und verschluckt zu haben meinte. Aber auch die andern Schildbürger hatten nicht gerastet, vielmehr hatten alle vom eifrigen Reimen größere Köpfe gekriegt, und da war ihrer keiner, der nicht die ganze Nacht über Schultheiß gewesen wäre.

Als nun der angesetzte Tag erschien, an welchem ein weiser Rat zusammentrat, um zur Wahl eines Schultheißen zu schreiten, da hätte man Wunder hören können, welch zierliche, wohlgeschlossene Reime von ihnen vorgebracht wurden. Freilich war es schade, daß die edlen Ratsherren samt und sonders, in langer Ausübung ihrer verstellten Narrheit, zu einem so schwachen Gedächtnisse gekommen waren, daß ihnen allemal das rechte Schlagwort des Reimes beim Hersagen ausging, so daß zum Beispiel der fünfte, (denn der ersten vier vortreffliche Reime sind leider verloren gegangen) seinen Reim also vorbrachte:

Ich heiße Meister Hildebrand
Und lehne meinen Spieß an die – Mau'r.

worüber dann jedesmal die andern alle lachten, jeder, bis das Reimen an ihn selber kam. Der Schweinehirt stand weit hinten und wegen seines niedrigen Standes kam die Reihe unter den Letzten an ihn. Er war in tausend Aengsten, denn er fürchtete immer, es möchte ein anderer seine Reime vorbringen und dadurch Schultheiß werden. Und so oft ein anderer nur ein einziges Wörtchen sagte, das auch in seinem Reime vorkam, so erschrak er, daß ihm das Herz hätte mögen entfallen. Da nun die Ordnung endlich auch an ihn kam, stand er auf und sprach mit kühner Stimme:

Ihr lieben Herrn, ich tret' – hieher,
Mein feines Weib, das heißt Kathrein,
Ist schöner, als mein schönstes – Ferk'l,
Und trinkt gern guten, kühlen – Most!

»Das ist einmal ein Reim!« riefen die Ratsherren von Schilda einmütig und verwundert; »das lautet, wie etwas! Das möcht's heben und ausrichten!« Und bei der Umfrage fiel die Wahl einhellig auf den Schweinehirten, denn sie waren fest überzeugt, er würde dem Kaiser wohl reimweise antworten können und ihm würdige Gesellschaft leisten. So war der Schweinehirt von Schilda über Nacht Schultheiß geworden.

Diese Ehre und Würde tat dem Hüter der Schweine so wohl, daß er alsbald beschloß, seinen Hirtenschweiß und Staub abzuwaschen und in die Nachbarschaft ins Bad zu gehen, denn zu Schilda war kein Bad. Unterwegs begegnete ihm ein anderer, der vor Jahren mit ihm Schweine gehütet, und begrüßte ihn als alten Mithirten und Gesellen mit einem freundlichen Du. Jener aber verbat sich dieses feierlich und fügte hinzu: »Wisse, daß wir nicht mehr sind, der wir zuvor waren; wir sind jetzt unser Herr, der Schultheiß zu Schilda!« Da wünschte ihm der andere Glück zu seinem neuen Amte bei dem ungezogenen Volk der Schildbürger und ließ ihn ziehen.

Also zog unser Herr, der Schultheiß, fort und kam in das Bad. Hier stellte er sich gar weise, saß in schweren, tiefen Gedanken, zählte von Zeit zu Zeit seine Finger ab, sodaß alle, die ihn zuvor kannten, sich über diese Veränderung verwunderten und ihn für melancholisch hielten. Indessen fragte er einen, der neben ihm saß, ob dies die Bank sei, auf welcher die Herren zu sitzen pflegen? »Ja!« ward ihm geantwortet. »Ei wie fein habe ich es getroffen,« dachte da der Schultheiß, »ist es doch, als habe mir's die Bank angerochen, daß ich Schultheiß zu Schilda sei!« Wie er nun lange so sitzt und vor lauter Nachdenken tüchtig schwitzt, kommt der Bader, sieht, daß fein Kopf naß ist und meint, er habe schon gebadet. »Guter Freund,« sprach er, »Ihr habt den Kopf gewaschen, aber Ihr habt Euch noch nicht reiben und kratzen lassen! Ist dies nicht geschehen, so will ich Lauge herlangen und euch ausreiben!« Der Schultheiß, der in tiefen Gedanken geschwitzt, antwortete: »Lieber Bader! Ich weiß wahrlich eigentlich nicht, ob ich gebadet habe, aber gerieben bin ich noch nicht! Unser einer hat gar viel zu sinnen und zu denken, sonderlich ich, der ich dem Kaiser reimweise antworte. Denn versteht mich recht: ich bin der Schultheiß von Schilda.« Ueber diese Rede des Schweinehirten, die doch sein bitterer Ernst war, fingen alle, die im Bade waren, zu lachen an, ließen ihn jedoch bei seinen Ehren bleiben und noch eins darauf schwitzen.

Als er wieder nach Hause kam, vergaß unsere gnädige Frau, die Schultheißin, nicht, den verheißenen Pelz, den sie wohl verdient hatte, recht oft zu fordern, und als der Schultheiß wieder einmal, wichtiger Geschäfte halber, in die Nachbarschaft gehen wollte, unterließ sie nicht, ihn an den Pelz zu mahnen. Ehe noch der Schultheiß die Stadt betrat, fragte er schon den Torwart nach dem Hause des Kürschners; als dieser ihm solches wies, fragte er ferner, ob es auch der sei, bei welchem die Schultheißenfrauen ihre Pelze kaufen. Da merkte der Torwart erst, daß der Mann verrückt sein müsse, deswegen wies er ihn nun zu einem Kübler, einem lustigen Gesellen, bei diesem sollte er nach Schultheißenpelzen fragen. Der gute Schultheiß geht in aller Ehrbarkeit, wohin er gewiesen war, sagt dem Kübler, er sei der Schultheiß von Schilda und wolle Schultheißenpelze kaufen. Der Kübler merkt bald, woran er ist, und erwidert: »Es sei ihm sehr leid, seine Wohledeln nicht fördern zu können, wie er wollte; aber gestern sei Markttag gewesen, da habe er alle vorrätigen Pelze abgegeben.« Damit ihm aber geholfen würde, so weiset er ihn in eine andere Vorstadt, zu einem Wagner; dort werde er Pelze finden nach seinem Begehren. Nun brachte er sein Anliegen bei dem Wagner vor. Dieser aber, der auch ein Spottvogel war, weist ihn zu einem Schreiner, der Schreiner zu einem Sporer, der Sporer zu einem Sattler, der Sattler zu einem Orgelmacher, der zu einem Studenten, der zu einem Buchbinder, der zu einem Druckergesellen, der zu einem Buchhändler; der Buchhändler endlich zu einem Lebküchner: dort finde er sie, wie er's nur haben wollte, zum Fressen schön.

Als nun der Schultheiß auch hier nach Pelzen fragte, da antwortete ihm der Lebküchner: Er habe diesmal keine; wenn er aber eine kleine Zeit Geduld haben wolle, so werde er ihm einen feinen Pelz von Lebkuchen anmessen, anschneiden und backen; den könnte er, wenn er seinem Weibe nicht gefiele, selber essen, alle Morgen einen Mund voll. Der Herr Schultheiß bedankte sich aufs höchste, erklärte aber, daß er nun so lange nach einem Pelze herumgelaufen sei und keine Zeit mehr habe, zu warten; er müsse heim, seinem Amte wieder obzuliegen, denn er sei Schultheiß zu Schilda. Der Lebküchner, der etwas gutmütiger war, als die andern, dachte, der Schultheiß sei genug zum Narren gehalten, und wies ihn deswegen recht, zu einem Kürschner, wo er nun Pelze aller Gattung fand, wie er nur begehrte. Und hier kaufte er endlich einen prächtigen Pelz, dessen sich eine Schultheißin auch in der Stadt nicht hätte schämen dürfen. Als er heim kam, empfing die Frau den Pelz mit Freuden, bekleidete sich mit ihm auf der Stelle, drehte sich nach allen Seiten, und ließ sich sagen, wie er ihr stehe. Der Schultheiß aber verlangte, jetzt sollte sie für seinen Dienst ihm auch Küchlein backen; er wollte eine Wurst, die er aus der Stadt mitgebracht, dazu geben und eine Maß Wein bezahlen. Da begann seine Frau, wie vor Zeiten, grobe, dicke Schnitten zu backen; er aber stieß die ersten, die aus der Pfanne kamen, voll Unmuts zurück. »Wofür hast du mich angesehen,« sagte er, »meinst du nicht gar, ich sei ein Schweinehirt? Weißest du nicht, daß ich der Herr Schultheiß allhier zu Schilda bin?« Da mußte die Frau ihm Sträublein backen, die zehrten sie miteinander auf, und tranken einen guten Schluck Weins dazu.

Die folgende ganze lange Nacht lag die neue Frau Schultheißin in tiefsinnigen Gedanken, auf welche Weise sie doch den neuen Pelz anlegen und in demselben ihrem Mann und seinem Amte zu Ehren vor den Schildbürgern prangen möchte. Deswegen stand sie früh auf, und weil es eben Sonntag war, fing sie mit allem Eifer an, sich zu putzen, um sich von allen Nachbarn beschauen zu lassen. In diese Gedanken war sie so verirrt, daß sie sogar das Läuten in die Predigt überhörte. Ihr Herr, der Schultheiß, stand vor ihr und mußte ihr den Spiegel halten, und wohl hundertmal fragte sie ihn, ob sie auch von vorn und von der Seite recht wie eine Schultheißin aussehe; und als er dies bejaht, ging sie endlich aus dem Hause der Kirche zu. War sie aber nun zu lang vor dem Spiegel gestanden, oder hatte der Meßner zu frühe geläutet: – siehe, als sie mit ihrem neuen Pelz zur Kirche hinein rauschte, war eben die Predigt aus, sodaß jedermann aufstand. Die gute Frau aber legte dieses ganz anders aus: sie beredete sich selbst, weil ihr Mann Schultheiß und sie Frau Schultheißin sei, zudem weil sie einen nagelneuen Pelz anhabe, so stehen die Nachbarn ihr und ihrem Kleide zu Ehren auf. Sie sprach deshalb so sittig und tugendlich, als sie es in der kurzen Zeit gelernt haben konnte, indem sie sich gar gnädig nach beiden Seiten mit Verneigung kehrte: »Liebe Nachbarn, ich bitte euch, wollet doch stille sitzen; denn ich denke wohl noch an den Tag, wo ich ebenso arm und zerlumpt zur Kirche hineingegangen bin, wie ihr; darum so sehet euch doch wieder!« Bald darauf kam auch der Herr Schultheiß, welcher bis auf diesen Augenblick an seinem Barette gestriegelt hatte, in die Kirche hineingetreten; als er aber die andern Schildbürger alle die Kirche verlassen sah und nur seine Frau, die Schultheißin, noch in Erwartung der Predigt in ihrem Stuhle sitzen, nahm er sie an dem Arm und führte sie heim.

 

Endlich war der Kaiser auf dem Wege nach Schilda. Das wußten die Schildbürger und berieten sich aufs eifrigste, wie sie ihn würdig empfangen sollten. Am Ende beschlossen sie, dem Kaiser zuvorzukommen und das erste Wort an ihn zu richten. Deswegen sollte der Schultheiß ihn zuerst anreden und mit den Worten: »Seid uns willkommen!« empfangen. Dann mußte der Kaiser notwendig antworten: »Und du auch!« Und darauf hatte der Schultheiß schon einen Reim bereit: »Der witzigste unter uns ist ein Gauch!« Mit dieser Erfindung hielten sie ihre Freiheiten und Privilegien für gesichert. Ueber die Frage aber, wie man dem Kaiser entgegenziehen sollte, waren die Meinungen geteilt: Einige wollten zwei Haufen haben, der eine sollte reiten, der andere zu Fuße gehen, je ein Reiter und ein Fußgänger in einem Glied. Andere vermeinten, es sollte ein jeder den einen Fuß im Stegreif haben und reiten, und mit dem andern auf dem Boden gehen; das wäre ja auch halb gegangen und halb geritten. Wieder andere meinten, man sollte dem Kaiser auf hölzernen Pferden entgegengehen, denn man pflege auch im Sprichwort zu sagen: Steckenreiten sei halb gegangen; zudem seien solche Pferde fertiger, hurtiger, geduldiger, und bald gezäumt und gestriegelt. Dieser letzten Meinung fielen alle bei und es wurde beschlossen, daß jeder mit seinem Rosse gefaßt sein sollte. Dies geschah von seiten aller mit großer Bereitwilligkeit; denn da war keiner so arm, der sich nicht beim Tischler um ein weißes, schwarzes, graues, braunes, rotes, auch gesprenkeltes Pferd umgesehen hätte; dieselben tummelten sie und richteten sie meisterlich ab.

Als nun der festgesetzte Tag herbeigekommen und der Kaiser mit seinem Gefolge heranrückte, sprengten die Schildbürger hinaus mit ihren Steckenpferden, ihm entgegen. Wie der Schultheiß den Kaiser gewahr wurde, sprang er im Eifer von seinem Gaul auf einen Misthaufen und band sein hölzernes Roß vorsichtig an einen daneben stehenden Baum. Und weil er dazu beide Hände brauchte, nahm er den Hut zwischen die Zähne, behielt ihn auch darin, nachdem das Steckenpferd angebunden war, und murmelte zwischen den Zähnen: »Nun seid uns willkommen auf unserm Grund und Boden, fester Junker Kaiser!« Der Kaiser erkannte zwar auf den ersten Blick und auf das erste Wort, wie es mit den Schildbürgern beschaffen sei, und hatte Mühe, den Gruß zu verstehen, doch merkte er, was der Schultheiß sagen wollte, und erwiderte: »Hab Dank, mein lieber Schultheiß! und du auch!« Aber der Schultheiß hatte seinen Hut, den er halb losgelassen, wieder fest mit den Zähnen gefaßt und konnte nicht antworten. Schnell besann sich sein Nebenmann, warf den verabredeten Reim in seinem Kopf herum, konnte aber über das Endwort nicht bei sich einig werden, ob es hieße Narr oder Gauch oder etwas anderes, und platzte endlich heraus mit den Worten: »Der Schultheiß ist ein Narr!«

Auf diese Weise wurde der Kaiser empfangen und als er noch zuguterletzt den Schultheiß lächelnd befragte: »Warum stehst du denn auf dem Mist?« so erwiderte dieser mit einem Funken seiner alten Weisheit: »Ach, Herr, ich armer Tropf bin nicht wert, daß mich der Erdboden vor euch trage!« Hierauf geleiteten sie den Kaiser in die Wohnung, die für ihn zugerichtet war. Und weil der Tag noch lang war, so baten sie ihn um Erlaubnis, ihn auf ihren Salzacker führen zu dürfen, und zeigten ihm hier ihr vortreffliches Gewächs; auch brachten sie die untertänigste Bitte vor, wenn ihnen diese Kunst geraten sollte, sie mit gnädigem Privilegium dafür auszustatten. Welches alles ihnen der Kaiser mit lachendem Munde gewährte.

Am andern Tage luden die Schildbürger den Kaiser zu Gaste, und dieser, dem ihre Schwänke und Possen wohl gefielen, erzeigte sich, um der Kurzweil willen, so ihn erwartete, willig dazu. Nachdem sie ihn daher in Schilda herumgeführt und ihm ihre Misthaufen gezeigt, geleiteten sie ihn in ihr merkwürdiges Rathaus und hießen ihn an dem frischgedeckten Tische Platz nehmen. Das vornehmste Gericht, das aufgetischt wurde, war eine frische, kalte, saure Buttermilch; auf diese Seltenheit taten sich die Schildbürger am meisten zu gute. Der Schultheiß setzte sich mit dem Kaiser zu Tische; die übrigen Bürger standen aus Ehrfurcht vor beiden um sie herum und langten von oben herab in die Schüssel. Sie hatten aber weislich zweierlei Brod in die Milch gebrockt. Vor des Kaisers Platz schwammen weiße Semmelwecken in der Sahne, vor den Bauern lagen die schwarzen Brocken in der Grundsuppe. Während sie nun aßen, der Kaiser das weiße, die Schildbürger das Haberbrod, erwischt von ungefähr ein derber Bauer einen Brocken von dem weißen Brode. Kaum hatte der Schultheiß diesen groben Verstoß gegen den Kaiser wahrgenommen, als er den Bengel auf die Hände schlug und ihn zornig anfuhr: »Flegel, willst du des Kaisers Brod essen?« Der Schildbürger erschrak, zog den Löffel schleunig zurück und legte den gekosteten Bissen fein bescheidentlich wieder in die Schüssel. Der Kaiser, der dieses wahrgenommen, hatte des Mahles genug und schenkte den Schildbürgern die saure Milch mit samt dem weißen Brot.

 

Im übrigen blieb der Kaiser länger bei den Schildbürgern, als er sonst willens gewesen war, denn ihre Narrheit gefiel ihm über die Maßen. Als aber die Reichsgeschäfte ihn nötigten, heimzukehren, erbot er sich zur Abhilfe aller Beschwerden, die sie etwa vorzubringen hätten, und wollte sich ihnen als einen recht gnädigen Herrn erweisen. Da war ihre einzige Bitte, daß es ihnen vergönnt sein möge, ihrer schädlichen Weisheit fernerhin überhoben bleiben zu dürfen, dagegen in ihrer heilsamen Narrheit durch ein kaiserliches Privilegium für ewige Zeiten gesichert zu werden, so daß niemand sie hinfort darin hindern oder darüber anfechten dürfte. Diese Bitte gewährte ihnen der Kaiser willig und unter vielem Lachen, und es wurde ihnen ein förmlicher Freiheitsbrief für ihre Narrheit mit des Kaisers Unterschrift und Siegel ausgestellt und eingehändigt. Und so zog der Kaiser von dannen, nachdem er den Schildbürgern eine gute Mahlzeit, sich zu letzen, hinterlassen.

Diesen war es jetzt erst, nachdem der Kaiser fort war und sie im sicheren Besitz ihrer Narrheit belassen hatte, recht wohl in ihrer Haut. Sie sprengten mit ihren Steckenpferden in das nächste Dorf, wo ihnen das kaiserliche Mahl angerichtet war. Als sie satt und trunken waren, kam sie das Verlangen an, auf eine grüne, schöne Aue hinauszuspazieren, wie andere Junker, hier sich zu erlustigen und der Verdauung zu pflegen; doch vergaßen sie einige gute Flaschen Weines nicht und fuhren fort, im grünen Gras gelagert, bis in den Abend hinein zu zechen. Nun hatten sie aber alle Beinkleider von einerlei Farbe an, und im Zechen die Beine durcheinander geschränkt. Wie es nun an dem war, daß sie heim gehen sollten, siehe, da war eine große Not: Keiner konnte mehr seine Füße oder Beine erkennen, weil sie alle gleich gefärbt waren; saßen da, guckte einer den andern an, und fürchtete Jeder, ein anderer möchte ihm seine Füße nehmen, oder er einem andern seine Beine; waren deswegen in großer Angst. Während sie einander so angafften, ritt von ungefähr ein Fremder vorüber; den riefen sie und klagten ihm ihren Jammer, mit flehentlicher Bitte, wenn er ein Mittel wüßte, einem jeden wieder zu seinen eigenen Beinen zu verhelfen, möchte er es um des Himmels willen anwenden, sie wollten sich gewiß mit guter Bezahlung dankbar erweisen. Der Fremde sprach, das könnte wohl sein, stieg ab, und nachdem er sich vom nächsten Baum einen guten Prügel gehauen, fuhr er unter die Bauern und fing an, die nächsten, die besten auf die Beine zu schlagen; und welchen es traf, der sprang schnell auf und mit Streichen hatte ein jeder auch seine Füße wieder, denn der Geselle hatte sie ihm gefunden. Zuletzt blieb einer ganz allein sitzen, der sprach: »Lieber Herr, soll ich meine Beine nicht auch haben? Wollt ihr das Geld nicht auch an mir verdienen? Oder sind vielleicht diese Beine mein?« Der Fremde sprach: »Das wollen wir gleich sehen!« und zog ihm einen Streich darüber, daß es flammte. So sprang auch dieser letzte auf, und alle waren froh, daß sie ihre Beine wieder hatten. Sie schenkten dem Reiter ein gutes Trinkgeld und nahmen sich vor, ein andermal fürsichtiger mit ihren Füßen zu sein.

 

AAllmählich hieß es bei den Schildbürgern: die Gewohnheit ist eine zweite Natur. Sie trieben ihre Narrheit nicht mehr aus purer Weisheit, sondern aus rechter, erblicher, angeborener Torheit. Sie konnten nichts mehr tun, was nicht närrisch gewesen wäre; Alles, was sie dachten, geschweige erst, was sie anfingen, war lauter Torheit und Narreteidung.

So waren zwei unter ihnen, die hatten einmal gehört, daß die Leute zu Zeiten durch Tauschhandel viel gewonnen hätten, und dies bewog sie, auch gegen einander ihr Heil zu versuchen. Sie wurden deswegen einig, ihre Häuser mit einander zu tauschen. Und dieses geschah beim Wein, als sie des Kaisers Letze verzechten. Denn solche Sachen pflegen gerne zu geschehen, wenn der Wein eingeschlichen und der Witz ausgewichen ist.

Als nun jeder dem andern sein Haus einräumen sollte, ließ der eine, der zu oberst im Dorfe wohnte, sein Haus abbrechen und führte dasselbe stückweise in das Dorf hinab; der andere aber, der bisher zu unterst im Dorfe gewohnt hatte, tat dasselbe und führte das seinige dagegen hinauf. Auf diese Weise hatten sie redlich gegen einander getauscht.

Ein andermal gingen die Schildbürger, die gar ernstlich auf den allgemeinen Nutzen bedacht waren, hinaus, eine Mauer zu besehen, die noch von einem alten Bau übrig geblieben war, ob sie nicht die Steine mit Vorteil anwenden könnten. Nun war auf der Mauer schönes, langes Gras gewachsen, das dauerte die Bauern, wenn es verloren sein sollte, deswegen hielten sie Rat, wie man es etwa benutzen könnte. Die einen waren der Meinung, man sollte es abmähen; aber niemand wollte sich dem unterziehen und auf die hohe Mauer wagen; andere meinten, wenn Schützen unter ihnen wären, so dürfte es das Beste sein, wenn man es mit einem Pfeile herabschösse. Endlich trat der Schultheiß hervor und riet, man sollte das Vieh auf der Mauer weiden lassen; das würde mit dem Gras wohl fertig werden; so dürfte man es weder abmähen, noch abschießen. Diesem Rate neigte sich die ganze Gemeinde zu, und zur Danksagung wurde erkannt, daß des Schultheißen Kuh die erste sein sollte, die den guten Rat zu genießen hätte. Darein willigte der Schultheiß mit Freuden. So schlangen sie denn der Kuh ein starkes Seil um den Hals, warfen dasselbe über die Mauer und fingen auf der andern Seite an zu ziehen. Als nun aber der Strick zuging, wurde, wie vorauszusehen, die Kuh erwürgt, und reckte die Zunge aus dem Schlunde. Als ein langer Schildbürger dies gewahr wurde, rief er ganz erfreut: »Ziehet, ziehet nur noch ein wenig!« und der Schultheiß selber schrie: »Ziehet, sie hat das Gras schon gerochen! Seht, wie sie die Zunge darnach ausstreckt! Sie ist nur zu tölpisch und ungeschickt, daß sie sich nicht selbst hinaufhelfen kann! Es sollte sie Einer hinaufstoßen.« Aber es war vergebens; die Schildbürger konnten die Kuh nicht hinaufbringen und ließen sie daher wieder herab. Und jetzo wurden sie erst inne, daß die Kuh schon lange tot war.

 

Den Schildbürgerinnen erging es nicht anders, als den Schildbürgern. Sie gebärdeten sich so närrisch, als wenn sie es von jeher gewesen wären. Eine Witwe, die nur eine einzige Henne hatte, welche ihr alle Tage ein Ei legte, hatte einst so viele Eier gesammelt, daß sie hoffen durfte, drei Groschen dafür zu lösen. Sie nahm deswegen ihr Körbchen und zog damit zu Markte. Unterwegs, da sie keine Gefährten hatte, fielen ihr allerlei Gedanken ein; und so dachte sie unter anderem an den Kram, den sie zu Markte trug; den ganzen Weg über redete sie mit sich selbst, und machte sich folgende Rechnung: »Siehe,« sagte sie zu sich, »du lösest auf dem Markte drei Groschen. Was willst du damit tun? Du willst damit zwei Bruthennen kaufen, die zwei, samt denen, die du hast, legen dir in so und so viel Tagen so und so viel Eier. Wenn du diese verkaufest, kannst du noch drei Hennen kaufen; dann hast du sechs Hennen. Diese legen dir in einem Monat so und so viel Eier; die verkaufst du und legst das Geld zusammen. Die alten Hennen, welche nicht mehr legen, verkaufst du auch; die jungen fahren fort, dir Eier zu legen, und brüten dir Junge aus; diese kannst du zum Teil ziehen und deine Hühnerzucht dadurch mehren, zum Teil Geld daraus lösen, endlich auch rupfen, wie man die Gänse rupft. Aus dem zusammengelegten Gelde kaufst du dir darnach etliche Gänse, die tragen dir auch Nutzen mit Eiern, mit Jungen, mit Federn. So kommst du in acht Tagen so weit, daß du eine Ziege kaufen kannst; die gibt dir Milch und junge Zicklein. Auf diese Weise hast du junge und alte Hühner, junge und alte Gänse, Eier, Federn, Milch, Zicklein, Wolle. Vielleicht läßt sich gar die Ziege auch scheren; du kannst es wenigstens versuchen, darauf kaufst du ein Mutterschwein; da hast du Nutzen über Nutzen, von jungen Spanferkeln, von Speck, Würsten und anderem. Daraus lösest du so viel, daß du eine Kuh kaufen kannst; die gibt dir Milch, Kälblein und Dünger. Was willst du aber mit dem Dünger anfangen? Wahrhaftig, du mußt auch einen Acker kaufen; der gibt dir Korn genug; dann brauchst du keins mehr einzukaufen! Darnach schaffest du dir Rosse an, dingst Knechte, die versehen dir das Vieh und bauen dir den Acker. Alsdann vergrößerst du dein Haus, daß du Hausgesinde beherbergen und dein Geld aufheben kannst. Darnach kaufst du noch mehr Güter, denn es kann dir nicht fehlen; du hast ja den Nutzen von Hühnern, von Gänsen, von Eiern, von Geismilch, von Wolle, von Zicklein, von Milchlamm, von Spanferkeln, von Kühen – denen kannst du noch dazu die Hörner absägen und sie an den Messerschmied verkaufen; – du hast ferner den Nutzen von Kälbern, von Aeckern, von Wiesen, von Hauszins und anderem. Darnach willst du einen jungen Mann nehmen, mit dem kannst du in Freuden leben und eine reiche stolze Frau sein! O wie wohl willst du es dir sein lassen, und niemand ein gutes Wörtchen geben! Juchhe, Juchheisa, Hopsasa!« So jubelte die junge Witwe, warf dazu einen Arm in die Höhe und tat einen Sprung. Aber als sie sich so aufschwang und dazu jauchzte, da stieß sie von ungefähr mit ihrem Arm an den Eierkorb, daß dieser ganz ungestüm zu Boden fiel und die Eier alle zerbrachen. Da waren alle ihre Wünsche mit zerbrochen, nur der Junggeselle nicht, den sie sich zum Manne erkoren hatte. Der konnte ja noch immer kommen. So stand sie nun auf dem Wege zum Markte und wartete sein.

 

Die Schildbürger hatten eine Mühle gebaut, zu der sie auf einem hohen Berge in einer Steingrube einen Stein ausgehauen; dieser war von ihnen mit großer Mühe und Arbeit den Berg herabgebracht worden. Als sie ihn drunten hatten, fiel ihnen ein, wie sie vor Zeiten die Bauhölzer, welche sie zu ihrem Rathause brauchten, mit so geringer Mühe und Arbeit den Berg hinuntergebracht, indem sie dieselben von selbst hinablaufen ließen. »Sind wir doch große Narren,« riefen sie, »daß wir uns abermals so viele Mühe gegeben haben!« Und nun trugen sie auch den Mühlstein mit größester Anstrengung den Berg wieder hinauf. Wie sie ihn aber eben wieder abstoßen wollten, fiel es einem Schildbürger ein, zu fragen: »Wie wollen wir aber wissen, wo er hingelaufen sei? Wer da drunten kann uns das sagen?« – »Ei,« sagte der Schultheiß, welcher den Rat gegeben hatte, »diesem ist leicht abzuhelfen; es muß einer von uns sich in das Loch stecken und mit hinablaufen.« Das war gut, und alsobald ward einer ausgewählt, welcher den Kopf in das Loch stoßen und mit dem Stein hinunterrollen mußte. Nun war zu unterst an dem Berge ein Fischweiher; in diesen fiel der Stein mit samt dem Schildbürger, und beide sanken zu Grunde, sodaß die Schildbürger Mann und Stein verloren und nicht wußten, wo beide hingekommen seien. Da fiel ihr Verdacht auf den armen Gesellen, der mit und in dem Stein gelaufen war, als wäre derselbe mit dem Mühlstein davongegangen. Sie ließen daher in allen umliegenden Städten, Dörfern und Flecken offene Briefe anschlagen: »Wo einer kommen würde mit einem Mühlstein am Halse, den sollte man einziehen und über hin als einen Gemeindedieb Recht ergehen lassen.« Der arme Narr aber lag tief im Weiher und hatte zuviel Wasser getrunken, daher er sich nicht verteidigen und rechtfertigen konnte. –

 

Nicht ferne von Schilda floß ein Wasser vorüber, an dessen Gestade ein mächtiger Nußbaum Haus hielt. Von diesem hing ein großer Ast hinab bis über das Wasser, und es fehlte wenig, so hätte er es berührt. Die Schildbürger sahen solches, und weil sie einfältige, fromme Leute waren, wie man heutzutage der Bauern nur wenige mehr findet, so hatten sie herzliches Erbarmen mit dem guten Baum, und gingen darüber zu Rate, was denn dem armen Nußbaum fehlen möge, daß er sich so schwermütig zum Wasser neige. Als darüber mancherlei Meinungen laut wurden, sagte letztlich der Schultheiß: ob sie nicht närrische Leute wären! Sie sähen doch wohl, daß der Baum an einem dürren Orte stünde, und sich deshalb nach dem Wasser beuge, weil er gerne trinken möchte. Er denke auch gar nicht anders, als daß der niedrigste Ast der Schnabel des Baumes sei, den er nach dem Trunke ausstrecke. Die Schildbürger saßen ganz kurz zu Rate, sie dachten ein Werk der Barmherzigkeit zu tun, wenn sie ihm zu trinken gäben; deswegen legten sie ein großes Seil oben um den Baum, stellten sich jenseits des Wassers und zogen den Baum mit Gewalt herunter, indem sie glaubten, ihn auf diese Weise tränken zu können. Als sie ihn ganz nahe bei dem Wasser hatten, befahlen sie einem ihrer Mitbürger auf den Baum zu steigen und ihm den Schnabel vollends ins Wasser zu tunken. Indem nun der Mann hinaufsteigt und den Ast hinunter zwängt, so bricht den andern Bauern das Seil; der Baum schnellt wieder über sich, und ein harter Ast schlägt dem Bauer den Kopf ab, daß er ins Wasser fällt, der Körper aber purzelt vom Baume herab und hat keinen Kopf mehr.

Darüber erschraken die Schildbürger und hielten auf der Stelle eine Umfrage: Ob er denn auch einen Kopf gehabt habe, als er auf den Baum gestiegen sei? Aber da wollte keiner etwas wissen. Endlich sagte der Schultheiß: »Er sei so ziemlich überzeugt, daß derselbe keinen gehabt habe. Denn er habe ihm drei oder vier Mal gerufen, aber nie eine Antwort von ihm gehört. Mithin müsse er keine Ohren gehabt haben, folglich auch keinen Kopf. Doch wisse er es nicht so ganz eigentlich. Darum sei sein Rat, man sollte jemand heim zu seinem Weibe schicken und sie fragen lassen: »Ob ihr Mann auch heute morgen den Kopf gehabt hatte, als er aufgestanden und mit ihnen hinausgegangen sei.« Die Frau erwiderte: »Sie wisse es nicht, nur soviel sei sie sich bewußt, daß sie ihn noch letzten Sonnabend gestriegelt; da habe er den Kopf noch gehabt. Seitdem habe sie nie so recht Achtung auf ihn gehabt. Dort an der Wand,« sagte sie, »hängt sein alter Hut; wenn der Kopf nicht darin steckt, so wird er ihn ja wohl mit sich genommen haben, oder hat er ihn anderswohin gelegt, was ich nicht wissen kann.« So sahen sie unter den Hut an der Wand; aber da war nichts. Und im ganzen Flecken konnte niemand sagen, wie es dem Schildbürger mit seinem Kopfe ergangen sei. –

Auf eine Zeit verbreitete sich im Lande die Sage von einem großen Kriege. Die Schildbürger wurden für ihre Habe und Güter besorgt, es möchten ihnen dieselben von den Feinden weggeführt werden; besonders angst war ihnen für eine Glocke, die auf dem Rathause hing. Auf diese, dachten sie, könnte das Kriegsvolk ein besonderes Auge haben und Büchsen daraus gießen wollen. So wurden sie denn nach langem Ratschlagen eins, dieselbe bis zu Ende des Krieges in den See zu versenken, und sie, wenn der Feind abgezogen wäre, wieder heraufzuziehen und aufzuhängen. Sie bestiegen also ein Schiff und fuhren mit der Glocke auf den See. Als sie aber die Glocke hineinwerfen wollten, da fiel es einem unter ihnen ein: ob sie den Ort denn auch wieder finden könnten, wo sie die Glocke ausgeworfen hatten? »Da laß dir keine grauen Haare darüber wachsen,« sagte der Schultheiß, und schnitt mit dem Messer einen Kerf in das Schiff, an dem Ort, wo sie die Glocke in den See versenkten; »hier bei dem Schnitt,« sprach er, »wollen wir sie wieder erkennen.« So ward die Glocke hinausgeworfen und versenkt. Lange nachher, als der Krieg vorüber war, fuhren sie wieder auf den See, ihre Glocke zu holen. Den Kerfschnitt an dem Schiffe fanden sie richtig wieder, aber den Ort, wo die Glocke war, zeigte er ihnen nicht an. So mangelten sie forthin ihrer guten Glocke.

 

In dieser gefährlichen Zeit hatte sich ein unschuldiger armer Krebs verirrt, und als er vermeinte, in ein Loch zu kriechen, kam er zu allem Unglück gen Schilda ins Dorf. Als ihn hier einige Bürger gesehen hatten, daß er so viele Füße habe, daß er hinter und für sich gehen könne, und was ein ehrlicher Krebs dergleichen Tugenden mehr an sich hat, gerieten sie in großen Schrecken, denn sie hatten noch nie zuvor einen Krebs gesehen. Sie schlugen deswegen Sturm, kamen alle über das ungeheure Tier zusammen, und zerquälten sich mit Nachsinnen, was es denn wohl sein möge. Niemand konnte es wissen, bis zuletzt der gelahrte Schultheiß sagte: es müsse wohl ein Schneider sein, dieweil er zwei Scheren bei sich habe. Um dies herauszubringen, legten die Schildbürger den Krebs auf ein Stück niederländisches Tuch, und wo der Krebs hin und her kroch, da schnitt ihm einer mit der Schere hinten nach, denn sie dachten nicht anders, denn der Krebs, als ein rechtschaffener Meisterschneider, entwerfe das Muster eines neuen Kleides, welches sie dann sofort nachäffen wollten. So zerschnitten sie am Ende das Tuch ganz, daß es zu nichts mehr nütze war und merkten endlich den Betrug. Da trat einer unter ihnen auf und sagte, daß er einen erfahrenen Sohn habe, der sei drei Tage lang auf der Wanderschaft gewesen, und auf zwei Meilen Weges weit und breit gereiset, habe viel gesehen und erfahren; er zweifle nicht daran, dieser werde dergleichen Tiere mehr gesehen haben und wissen, was es sei. So wurde der Sohn in den Rat berufen. Dieser besah das Tier lang von hinten und vorn; er wußte gar nicht, wo er es anfassen sollte, und wo es den Kopf hätte; denn weil der Krebs hinter sich kroch, so meinte er, der Kopf wäre da, wo der Schwanz ist. Endlich sprach er: »Nun habe ich doch meine Tage viele Wunder hin und her gesehen, so etwas ist mir aber noch nicht vorgekommen! Wenn ich aber sagen soll, was es für ein Tier sei, so spreche ich nach meiner Einsicht: wenn es nicht eine Taube ist, oder ein Storch, so ist es gewiß ein Hirsch, denn es scheint ein Geweih zu haben. Aber unter diesen dreien muß es eines sein. Jetzt wußten die Schildbürger so viel wie zuvor, und als ihn einer anfassen wollte, erwischte ihn der Krebs mit der Schere dermaßen, daß er Hilfe zu rufen und zu schreien anfing: »Ein Mörder ist's, ein Mörder!« Als die anderen Schildbürger dies sahen, hatten sie daran genug, setzten sich eilig auf der Stätte selbst, wo der Bauer gebissen worden, zu Gerichte und ließen folgendes Urteil über den Krebs ergehen: »Sintemal niemand wisse, was es für ein Geschöpf sei, es aber sich befinde, daß dasselbe sie betrogen und sich für einen Schneider ausgegeben, während es doch offenbar nur ein Leute betrügendes und schädliches Tier sei, ja ein Mörder sei: so erkennen sie, daß es solle gerichtet werden als ein Betrüger und Mörder, und zwar, zu mehrerer Schmach, im Wasser ersäuft werden.«

Demzufolge ward einem Schildbürger der gefährliche Auftrag gegeben: den Krebs zu fassen und auf ein Brett zu legen; dieser trug ihn dem Wasser zu, und die ganze Gemeinde von Schilda ging mit; da ward er, in Beisein und Zusehen jedermänniglichs, ins Wasser geworfen. Als der Krebs sich wieder in seinem Elemente fühlte, da zappelte er und kroch hinter sich. Die Schildbürger aber sahen dies nicht ohne großes Mitleid an. Einige huben an zu weinen, und sprachen: »Schauet doch, wie tut der Tod so wehe!«

 

Das Geschrei von einem Kriege, weswegen die Schildbürger ihre Glocke in den tiefen See versenkt hatten, war nicht so nichtig, daß sie nicht selbst in der Tat etwas davon empfunden hätten. Denn innerhalb weniger Tage kam ihnen der Befehl zu, eine Anzahl Knechte zur Besatzung in die Stadt zu schicken, dem sie auch nachlebten. Einer dieser abgeordneten Schildbürger, nicht der geringste, begegnete, als er in die Stadt einzog, dem Kuhhirten, der eben seine Untertanen, Ochsen, Kühe und Kälber, austreiben wollte; und eine der Kühe berührte den Kriegsmann aus Schilda ein wenig mit ihrem Horn. Erzürnt und mutig zog der Schildbürger den Dolch aus seinem Gürtel, trat gegen die Kuh und sprach: »Bist du eine ehrliche und redliche Kuh, so stoße noch einmal!« Womit er diesen Feind glücklich aus dem Wege schlug.

Einige Zeit darauf taten die Städter einen Ausfall, um auf den Feind zu streifen und den Bauern Hühner und Gänse abzunehmen. Nun hatte jener Schildbürger kurz zuvor ein Panzerstück, eine Hand breit gefunden, und, weil er sich gerade eine neue Kleidung machen ließ, so befahl er dem Schneider, dieses Blech unter das Futter ins Wams zu vernähen und gerade vor das Herz zu sehen, damit er desto sicherer wäre und auch einen tüchtigen Puff aushalten könnte; denn schon früher sei ihm ein solches Glück widerfahren, daß, als er ein halbes Hufeisen gefunden und dasselbe unter den Gürtel gesteckt, er damit einen Schuß aufgefangen, welcher ihm sonst wohl das Leben gekostet hätte. Der Schneider versprach, es ihm nach Willen zu machen; setzte lächelnd hinzu, er wolle den rechten Fleck mit dem Panzerstücke schon treffen. Wie die Kleidung fertig war, lief der Schildbürger getrost unter den andern hinaus, gute Beute zu erjagen; aber ehe er sich versah, waren die Bauern über ihn hergefallen und jagten ihn. In der Angst wollte er über einen Zaun sehen, blieb aber mit den Hosen, welche hinten einen Zug hatten, an einem Zaunstecken hängen. Da stach einer der Bauern nach ihm mit der Hellebarde, so daß er vollends über den Zaun hinüber flog. So lag er drüben lange in Todesangst und seiner Meinung nach schwer verwundet. Als aber die Feinde vorüber gezogen waren, und er nichts von einer Wunde spürte, verwunderte er sich sehr und beschaute seine Hosen, ob nicht diese wenigstens durch und durch gestoßen seien. Da befand sich's, daß der Schneider den rechten Fleck für das Panzerstück ausersehen, und es hinten in die Hosen gesetzt und hier ins Futter vernäht hatte. »Ei nun danke ich Gott,« sprach der Kriegsmann, »und dem klugen Manne, der dieses Kleid gemacht hat. Wie fein hat er gewußt, wo einem braven Schildbürger das Herz sitzen muß!«

 

D Der Krieg war glücklich vorüber, aber die Stunde der Schildbürger hatte geschlagen, obgleich sie keine Glocke mehr besaßen. In ihrem Flecken gab es nämlich keine Katzen, wohl aber so viel Mäuse, daß vor denselben auch im Brotkorbe nichts mehr sicher war. Was sie nur neben sich stellten, ward ihnen gefressen und zernagt. Darüber waren sie in großen Aengsten. Da begab es sich, daß wieder ein fremder Wandersmann durch Schilda zog, der trug eine Katze auf dem Arm und kehrte bei dem Wirt ein. Der Wirt fragte ihn, was doch dieses für ein Tier sei? Er sprach: es sei ein Maushund. Nun waren die Mäuse in Schilda so einheimisch und zahm, daß sie vor den Leuten gar nicht mehr flohen und am hellen Tage ohne Scheu hin und her liefen. Darum ließ der Wandersmann die Katze laufen; und diese erlegte vor den Augen des Wirts nicht wenig der Mäuse. Als der Gemeinde dies durch den Wirt angekündigt wurde, fragten die Schildbürger den Mann: ob ihm der Maushund feil wäre; sie wollten ihm denselben gut bezahlen. Er antwortete: der Hund sei ihm zwar nicht feil, weil sie aber seiner so gar bedürftig wären, wollte er ihnen denselben angedeihen lassen, und das um einen billigen Preis. Und so forderte er hundert Gulden dafür. Die Bauern waren froh, daß er nicht mehr verlangt hatte, und wurden mit ihm des Kaufs eins in der Art, daß sie ihm die Hälfte der Summe bar darlegen sollten, das übrige Geld sollte er nach Verfluß eines halben Jahres abholen. Der Kauf ward eingeschlagen; der Fremde trug den Schildbürgern den Maushund in ihre Burg, in der sie ihr Getreide liegen hatten und wo es auch am meisten Mäuse gab. Der Wandrer zog eilend mit dem Gelde davon; er fürchtete sich, der Kauf möchte sie gereuen, und sie möchten ihm das Geld wieder abnehmen. Im Gehen aber sah er oft hinter sich, ob ihm nicht jemand nacheile.

Nun hatten die Bauern vergessen zu fragen, was der Maushund esse. Darum schickten sie dem Wandersmann in Eile einen nach, der ihn deshalb fragen sollte. Als nun der mit dem Gelde sah, daß ihm jemand nachlaufe, eilte er nur desto mehr. Der Bauer aber rief ihm von ferne zu: »Was isset er? Was isset er?« Jener antwortete: »Wie man's beut! Wie man's beut!« Der Bauer aber verstand: »Vieh und Leut! Vieh und Leut!« Er kehrte in großem Unmut heim und zeigte das dem Rate, seinen gnädigen Herren, an. Diese erschraken sehr darüber und sprachen: »Wenn er keine Mäuse mehr hat, so wird er unser Vieh fressen und endlich uns selber, ob wir schon ihn mit unserem guten Gelde an uns gekauft haben!« Sie hielten deswegen Rat über die Katze und wollten sie töten. Es hatte aber keiner das Herz, sie anzugreifen. Endlich beschlossen sie einmütig, die Burg, in welcher die Katze sich befand, mit Feuer zu vertilgen; denn ein geringer Schaden wäre besser, als daß sie alle um Leib und Leben kommen sollten. Und somit zündeten sie ihr eigenes Schloß an.

Als aber die Katze das Feuer roch, sprang sie zu einem Fenster hinaus, kam davon und floh in ein anderes Haus. Das Schloß aber brannte vom Boden hinweg. Niemand war in größerer Angst als die Schildbürger, da sie des Maushundes nicht los werden konnten. Sie hielten aufs neue Rat, kauften das Haus, in dem die Katze jetzt war, und zündeten es auch an. Aber die Katze entsprang auf ein Dach; da saß sie eine Weile und putzte sich nach ihrer Gewohnheit mit der Tatze den Kopf; die Schildbürger aber meinten, der Maushund hebe die Hand und schwöre, daß er solches nicht ungerächt lassen wolle. Da nahm einer einen langen Spieß, um damit nach der Katze zu stechen. Sie aber ergriff den Spieß und fing an, an demselben herabzulaufen. Darüber entsetzten sich die Bürger und die ganze Gemeinde, liefen davon und ließen das Feuer brennen. Dieses verzehrte den ganzen Marktflecken bis auf ein einziges Haus; die Katze aber kam gleichwohl davon.

 

Die Schildbürger waren mit Weib und Kind in einen Wald geflohen. Damals verbrannte auch ihr dreieckiges Rathaus und ihre Kanzlei, so daß von ihren Geschichten nichts ordentliches mehr zu finden ist und ihre Taten nur vom Gerüchte aufbewahrt werden. Die armen Bürger waren in großer Not: Hab und Gut waren dahin; dazu fürchteten sie den Eid und die Rache des Maushundes. Sie fanden deswegen nichts besseres, als andere Wohnungen zu suchen, wo sie vor dem Untier sicher bleiben könnten. So verließen sie ihr Vaterland mit Weib und Kind, und zogen von einander, der eine da, der andere dort hinaus, ließen sich an vielen Orten nieder und pflanzten ihre Zucht weit und breit fort. Und seit dieser Zeit gibt es Schildbürger in der ganzen Welt.


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