Arthur Schurig
Der Roman von Tristan und Isolde
Arthur Schurig

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Kein Feind ahnte Tristans Nähe. Es hieß am Hofe, er sei noch immer krank. Niemand lauerte, niemand lauschte. Zehn, zwanzig, dreißig Mal erfreuten sich die beiden Glücklichen des heimlichen Wiedersehens. Es träumte der weite Park. Die grün und blauen Quader des hohen Schlosses schimmerten hinter den Büschen und Bäumen. Der Wache haltenden Brangäne leise Schritte knirschten fern im Kies des Weges.

Die alte Linde raunte und rauschte, und der muntere Brunnen sang seine ewiggleiche Melodie.

Wonnesam waren die Nächte im Mai und Juni.

Der Vollmond ward der Verräter. Eines Abends sah Melot seine Herrin in den Baumgarten schlüpfen. Zum Glück erspähte ihn Brangäne. Ein kurzer Ruf warnte den Wartenden.

Der böse Zwerg hatte nicht das Geringste erschaut, aber sein durchtriebener Geist verriet ihm die Wahrheit. Für ihn gab es fortan keinen Zweifel: Frau Isolde empfing nachts im Baumgarten den tagüber fern weilenden Liebsten!

Es fiel ihm nicht ein, sich wiederum an den plumpen Audret zu wenden, aber am andern Morgen bei der ersten Gelegenheit flüsterte er seinem Herrn und Gebieter zu: König Marke, wißt Ihr, daß ich in den Sternen zu lesen verstehe?

Und was kommt bei der Narretei heraus? brummte Marke mißlaunig.

Allerlei! versetzte der Zwerg. Zum Beispiel weiß ich, was Ihr nicht wißt, nämlich daß Euer Weib, die Frau Königin; heute in der Stunde vor Mitternacht mit Euerem gewesenen Kämmerer, dem Herrn Tristan, ein Stelldichein haben wird, hinten im Baumgarten unter der alten Linde am Brunnen. So wahr ich hier stehe! Sollte es aber nicht eintreffen, was da droben geschrieben steht, wohlan, dann laßt Euern Zwerg um Mitternacht im Burghofe noch um einen ganzen Kopf kürzer machen. Es soll ihm recht und gerecht sein. Ich rate Euch: reitet auf die Jagd, kehrt am Abend heimlich zurück und setzt Euch beizeiten in die Linde. Dort werdet Ihr zur Genüge sehen, was Ihr mir nicht zur Genüge glauben wollt!

König Marke war maßlos erregt und bewegt. Auf der Stelle befahl er den Knechten, den elenden Bösewicht bei Wasser und Brot ins Burgverließ zu werfen.

Nicht um zu tun, wie ihm angeraten, sondern um Kopf und Herz vom üblen Verdacht zu befrein, ritt König Marke nach dem Mahle, das ihm nicht recht hatte munden wollen, mit nur einem, seinem vertrautesten Knappen, in die Weiße Haide. Er fand weder Vergnügen noch Zerstreuung. Aus Unruhe und Ungeduld machte er sich bald wieder auf den Heimweg. Und als die Nacht anbrach, schlich er sich wie ein Dieb in seinen Baumgarten. Es schlug zehn vom Turm, da kletterte er, sich selbst verlachend in bitterer Ironie, schon hinauf in die buschige alte Linde und lauerte droben wie der Habicht auf die Maus.

Wunderbar leuchtete der Mond. Eine Nachtigall begann ihr Lied. Lauschend vergaß der König, was ihn auf seinen sonderbaren Sitz geführt.

Da kam jemand an den Brunnen.

Tristan!

Marke beobachtete, kaum noch atmend, jede seiner jugendfrischen Bewegungen.

Wie frohgelaunt, sorglos, verführerisch er aussah!

Horch!

Mit einem Male sangen zwei Nachtigallen.

Die erste verstummte.

Und die zweite krächzte unvermittelt wie ein alter Uhu.

Tristan vertrieb sich die Zeit mit derlei kindlichem Spiel.

Ach, noch einmal möchte ich jung und übermütig sein wie dieser da drunten! seufzte der König. Eines entging ihm bei seiner Klage.

Tristan hatte plötzlich auf dem silbernen Wasserspiegel seines Oheims lauerndes Gesicht erkannt.

Im Moment erbebte er bis ins Mark.

Rasch faßte er sich.

Verrat! Verrat! rief er sich im Geiste zu.

In Gefahr fühlte er stets die volle Lust am Leben. Jeden Augenblick mußte Isolde zum Stelldichein kommen. Vor einer Stunde hatte er ihr den schwimmenden Spahn mit dem Stern geschickt Schon näherte sie sich.

Tristan saß auf dem Rande des marmornen Brunnenbeckens. Nicht wie sonst stürmte er der Erwarteten fröhlich entgegen. Unbeweglich starrte er auf das Wasser.

Ein Feind ist nah! sagte sich Isolde, indem sie langsam unter die Linde trat.

Verzeiht mir, Königin, begann der Freund, daß ich es gewagt habe, Euch zu bitten, mich anzuhören.

Halb nur hörte sie Tristans leise zitternde Worte. Ihr spähender Blick hatte ihres Ehemannes verzerrte Züge, umrahmt vom Lindenlaub, auf dem glatten Wasser erfaßt.

Es gilt, klug und weise zu sein! rief sie sich zu. Fürwahr, Herr Tristan, erwiderte sie, ohne lange zu zögern, in einem Tone, dessen Kälte und Härte den Geliebten aller Furcht und Angst ledig machte, unerhört kühn ist es von Euch, mich zu dieser Stunde an diesen Ort zu locken. Nur um Euren weiteren Bitten zu entgehen, bin ich gekommen, und weil es der Zufall fügt, daß König Marke, mein hoher Gemahl, nicht im Hause weilt. Unmöglich hätte ich sonst kommen können. Beeilt Euch! Sagt, was wollt Ihr von mir! Sagt es kurz und bündig!

Königin, verzeiht mir meine Verwegenheit! wiederholte Tristan. Ich ertrage meine Verbannung nicht länger, und ich bitte Euch: versöhnt mich mit meinem König und Oheim!

Barsch erwiderte die Königin: Das liegt nicht in meiner Macht. Ihr habt seine Gunst und Gnade verscherzt. Und mit Recht. Erinnert Euch Eurer tollen Narrenspossen! Muß Herr Marke nicht überzeugt sein, wir seien zwei sich schnäbelnde Turteltauben? Daß Ihr noch immer ein Kindskopf seid, trotz Eurer sechsundzwanzig Jahre, wie sollte er, der ernste Mann, dies wissen und verstehen?

Es fehlte nicht viel, so wäre König Marke von seinem Ast heruntergesprungen und hätte seiner Frau vor unbändiger Freude den holdseligen Mund geküßt.

Indeß spann sich das ergötzliche Zwiegespräch unter ihm weiter. Als ob du vernünftiger wärst denn ich! ließ sich Tristan, wenig galant, hören. Kein Wunder, daß dich König Marke nicht ernst nimmt. Wenn eine so schöne Frau ihren Ehegatten bittet: Nimm dies Kind in Gnaden wieder auf! – so müßte dies genügen, meine ich. Aber, wahrlich, du verstehst den Oheim nicht zu nehmen! Er grollt mir, ohne daß er rechten Anlaß dazu hat. Du hättest ihn längst aufklären können. Aber ich weiß ja, Ihr wollt beide, daß ich das schöne Land Cornouaille verlasse, das ich mehr liebe als meine väterliche Heimat.

Rede nicht so töricht! sprach Isolde. Wenn ich vor König Marke für Euch spräche, käme ich da nicht von neuem in den unwürdigen Verdacht, Euch sündhaft zu lieben? Kleinmütig mißtraut er mir. Ich gebe zu, ich war dir im Herzen hold, weil du sein Blutsfreund und ein erprobter Held bist, und weil wir in jeder Gefahr auf dich rechnen können, aber meine Ehre geht mir über alles. Wenn du in die Welt ziehen willst, ich halte dich nicht zurück. Ach, ich Unselige! Mit Leib und Seele gehöre ich ewiglich dem Manne, der zuerst mich als Jungfrau in seine Arme genommen hat. Dies schwöre ich bei meiner Seele Seligkeit! Laßt mich, Herr Tristan! Wendet Euch an einen glücklicheren Vermittler!

Tristan seufzte laut und vernehmlich.

Es sei! sagte er sodann traurig und trübselig. Ich werde mit Freund Kurwenal in die Welt ziehen. Vielleicht schätzen mich fremde Könige mehr. Das Eine aber richtet für mich aus! Meine Waffen hängen in meiner Kammer. Ich habe sie als Pfand meiner Treue zu Herrn Marke dagelassen. Ich bitte ihn, mir Schwert und Schild, Panzerhemd und Lanze nach Dinan zu schicken. Lebt wohl, schöne Frau Isolde! Möget Ihr und Euer Gatte einen besseren Diener als mich finden!

Derweil war Isolde hinweggeeilt.

Tristan blieb am Brunnen, in tiefes Sinnen versunken.

Endlich entfernte auch er sich, und König Marke sprang von seinem unköniglichen Throne herab. Am Morgen fragte König Marke: Sage mir, Isolde, wann hast du Herrn Tristan zum letzten Male gesehen?

Sie gab die Antwort: Marke, frage mich nicht nach dem Manne, der mir dein Vertrauen genommen! Ich will ihn nimmer wieder sehen.

Da sprach der König: Weib, du sahst ihn in dieser Nacht im Baumgarten am Brunnen. Ich saß über Euch, wie Ihr geredet habt, und ich habe es Wort um Wort gehört.

Wir schieden im Zorn von einander! erwiderte Isolde.

Ich habe ihm verziehen, fuhr Marke fort, und es soll mich freuen, wenn auch du ihm verzeihest. Ich will ihn wieder aufnehmen im Schlosse und vor aller Welt ehren.

Wer weiß, sagte Isolde, ob es nicht besser wäre, wir ließen ihn in die Welt ziehen. Seine Feinde werden ihn nun erst recht verlästern und verdächtigen. Sie wollen seinen und meinen Tod.

König Marke beharrte bei seinem Willen.

Schicke Paranis, deinen Kämmerer, nach Dinan mit der Botschaft, Herr Tristan möge ohne Verzug wiederkehren! Ihr aber sollt Freunde sein und bleiben. Ihr sollt bei einander stehn und gehn nach Herzenslust. Ich vertraue seiner Freundschaft und deiner Treue.

So zog Herr Tristan wohlgemut wieder ein im Schlosse Tintagol.

Paranis und Tristan, die beiden Kämmerer, hatten ihr Schlafgemach neben dem des Königs und der Königin. Eine Tür verband und trennte die Räume.

Marke war Frühaufsteher. Jeden Morgen ging er zu seinen Pferden, Hunden und Falken. Dies war die Stunde, in der Frau Isolde den Geliebten des öfteren bei sich hatte.

Zumeist verließ auch Paranis die Kammer.

Melot war vom Könige begnadigt worden. Von neuem schlich er auf verräterischen Wegen, und Tristans Morgenbesuche blieben ihm nicht verborgen.

Drei volle Wochen war er hinter Schloß und Riegel halbverhungert. Das vergaß er sein Leben lang nicht, und um derenwillen er geschmachtet, die sollten das Nämliche erdulden. Während seiner Haft hatte er tausend Rachepläne ausgebrütet.

Eines Tages zur Zeit des Mittagsmahles nahm der Zwerg die abgeschnittene Schneide einer scharfen Sense und fügte sie in die Schwelle, die Tristan überschreiten mußte, wenn er sich des Morgens seiner Herrin heimlich näherte. Nur wenig ragte der Stahl aus dem Holz hervor, genügend gerade, um einen nackten Fuß blutig zu verletzen.

Und so geschah es auch, als Tristan am Morgen in freudiger Eile sein Gemach verließ. Weder er noch die Geliebte gewahrte den Blutfleck in Isoldens weißem Bett.

Melot hatte auf der Lauer gestanden, bis er gewiß war, daß Tristan und Isolde in Liebe bei einander lagen. Alsbald eilte er hinunter in den Hof zum Könige, ihm das Geschehnis zu melden.

Als Marke plötzlich erschien, stellte sich Tristan, als sei er eben eingetreten. Ich hörte lauten Lärm im Hause, sagte er. Besorgt bin ich herbeigeeilt. Entschuldigt mein Nachtkleid!

Angesichts des verräterischen Blutes verstummte der Überführte.

Gesteht Euer Verbrechen, schamlose Verräter! schrie König Marke, beinahe von Sinnen vor Zorn und Wut.

Der Schein ist wider uns, erwiderte Isolde tonlos, während Brangäne ihr das Gewand reichte.

Macht mit mir, was Ihr wollt! stöhnte Tristan, ergrimmt über sein Mißgeschick. Nur vergreift Euch nicht an Frau Isolden!

Ich werde tun, was mir beliebt, lautete Markes verächtliche Antwort.

Schon stürzten, vom triumphierenden Zwerge herbeigeholt, Audret und seine Gesellen ins Gemach.

Die Treulosen sind dem Tode verfallen! sprach der König. Bindet sie! Werft sie in den Turm! Heute noch wird das Urteil gefällt.

Eilboten ritten durch das Land, um alle Edelleute zum Gerichtstage zu rufen. Der König selbst traf mit den Rittern seines Gefolges als erster in der sieben Wegstunden entfernten Stadt Antrain ein, dem Orte, wo seit alter Zeit Gericht abgehalten ward. Audret war als Befehlshaber der Wächter in Tintagol zurückgeblieben.

Jedermann wußte alsbald, daß die Königin und ihr Kämmerer des Ehebruches angeklagt waren. Frau Isolde war als Wohltäterin der Armen und als Ärztin der Kranken weit und breit verehrt und gerühmt, und Tristan von Leonnois galt als Retter des Reiches. Und so wehklagte das Volk in den Gassen und auf dem Markte, wie König Marke durch die sich drängende Menge ritt.

Mitleidig murrte so mancher:

Tristan, tapfrer Ritter, daß Ihr durch so schändlichen Verrat in den Tod gehen müßt! Wie hoch wäret Ihr geehrt, als Ihr dem Riesen Morold kühn entgegentratet. Keiner der Ritter von ganz Cornouaille wagte den Kampf wider den schlimmsten Feind des Landes. Ihr allein habt mit ihm gefochten, ihn besiegt und niedergestreckt. Und heute sollen wir das vergessen und zuschauen, wie Ihr den Tod erleidet? Isolde, edle Königin, herrlichste aller Fürstinnen, verehrt und geliebt von jedermann, durch Euch ward die hundertjährige blutige Fehde mit dem Erbfeind über dem Meere geendet, indem Ihr König Markes Weib wurdet und ihm Eure Jugend und Schönheit schenktet! Was Ihr auch getan habt, Ihr bleibt uns wert und teuer! Verfluchter Zwerg, das ist das Werk deiner Wahrsagerei! Wehe, wehe, dreimal wehe jedem Freien, der Euch begegnet und Euch nicht niederschlägt wie einen tollen Hund!

Also klagten die Besten.

Auf dem Markt aber wurden zwei Scheiterhaufen gebaut für die beiden Verklagten.

Und als die Barone des Landes beisammen waren, sprach König Marke: Edle Herren, diese Scheiterhaufen habe ich errichten lassen für Tristan und Isolde, meinen Neffen und meine Gemahlin die Königin. Sie sind des Ehebruches überführt, und sie sollen ihre Schuld mit dem Tode büßen, wie Gesetz und Sitte es erheischt.

Tristans Feinde murmelten Beifall.

Tynas, der Seneschall, trat aus der Reihe.

Mein König und Herr, sprach er in Würde. Fürwahr, Gesetz und Sitte müssen gehalten werden. Aber eines erfordern sie zunächst, ein regelrechtes Gericht: Anklage, Beweis, Verteidigung, Urteil! Ohne Urteil einen Beschuldigten töten, ist Unrecht, Schande, Mord, Barbarei. Also, König Marke, lasset das Gericht walten!

Herrn Markes Zorn und Grimm flammten von neuem wild auf.

Keinen Verzug! Es bedarf keines Urteils.

Abermals sprach der Seneschall: Mein König und Herr, gedenket der Dienste und der Treue des Herrn Tristan! Übt Gerechtigkeit und Milde! Im Namen der Ritter, die auf Herkommen und Brauch halten, ich bitte für Tristan, ich bitte für Isolde.

Der König erwiderte in hartem Ton: Ehe die Mittagssonne heute über uns steht, haben beide Sünder ihren Lohn dahin. Gegen meinen hohen Willen hilft keine Bitte. Wer es noch wagt, zuwider zu reden, der geht als erster auf den Holzstoß!

Da wandte sich Tynas unwillig und verächtlich von ihm ab.

König Marke aber befahl, Herrn Tristan aus der Burg Tintagol herbeizuholen.

Unterdessen hatten zwölf Knechte Herrn Tristan aus dem Burgverließ, wo er gefesselt lag, herausgezerrt. Herr Audret, aufgeblasen und anmaßlicher denn je, befehligte die Rotte.

Es war schmählich anzuschauen, wie die Gemeinen den edlen Ritter, die gebundenen Hände auf dem Rücken, die Straße dahintrieben.

Eine Menge Volks folgte dem Haufen.

Zwei Wegstunden vor der Stadt stand wartend Herr Kurwenal. Ohne Audret die geringste Achtung zu schenken, hielt er mit einer Geste des Befehls die Knechte auf, die Herrn Tristan führten, und zerschnitt die Stricke des Gefesselten mit seinem blanken Dolche.

Freunde, rief er den bestürzten Leuten zu, ich will nicht, daß Ihr einen Ritter und Helden in Fesseln führt. Es ist weder Eurer noch seiner würdig. Wenn Herr Tristan Euch entflieht, Ihr tragt ja Schwerter und Lanzen!

Tristan traten die Tränen in die Augen. Kurwenal drückte ihm stumm die Rechte.

In ohnmächtiger Wut schaute Audret dem Vorgange zu.

Er wagte es nicht, Kurwenals Befehl zu widerrufen, denn er zweifelte, ob ihm die Knechte gehorchen würden. Ohne es dazu kommen zu lassen, machte er kurz kehrt, trabte seine Rosinante an und ritt zurück nach Tintagol.

Geliebter Kampfgenosse, sprach Tristan zu dem Getreuen, wie soll ich dir diesen Dienst danken?

Kurwenal erwiderte bedeutsam: Mein edler Freund, betet in der Kapelle, an der Ihr vorüberkommt, zur Madonna, und wenn sie Euch nicht helfen kann, zu den großen Göttern unsrer Väter!

Sodann küßte er den Freund, schwang sich in den Sattel und trabte mit seinem Knechte voraus.

Kurwenal war sich klar, daß es seine ritterliche Pflicht sei, Herrn Tristan vor dem schmählichen Tode zu retten und ihm beizustehen, die Königin dem Scheiterhaufen zu entreißen. Aber wie er dies zuwege bringen könne, das wußte er nicht, so sehr er auch nachgrübelte.

Seufzend beschloß er, den Freund zum mindesten nicht aus den Augen zu lassen.

Eine Stunde vor der Stadt, auf einem bewaldeten Hügel an der Straße, stand die Kapelle der Heiligen Jungfrau, dicht an den steilen felsigen Abgrund gebaut, in dessen Tiefe der Fluß glänzte. Bei der Kapelle versteckte sich Herr Kurwenal samt seinem Knechte und den beiden Pferden im Gebüsch, um seinen Freund unbemerkt vorbeiziehen zu sehen.

Wie Tristan die Kapelle erblickte, von der er wußte, sie war vom Fluß aus unzugänglich, da kam ihm ein glücklicher Einfall.

Leichthin sagte er zu den Knechten: Ihr wißt, ich gehe meinen letzten Gang. Gestattet mir, in der Kapelle zu beten. Haltet Wacht an der Pforte!

Die Knechte hielten Rat.

Wir können es ihm erlauben, meinte der Älteste. Seht den Abgrund unter den Felsen! Herr Tristan ist uns sicher.

Da ließen sie ihn eintreten.

Herr Tristan verriegelte die Tür, erkletterte behend das einzige Fenster, das über dem Abgrund war, zerschlug es und schwang sich hindurch.

Lieber den freiwilligen Tod als die Hinrichtung vor versammeltem Volke.

Wunderbar! Wie Herr Tristan den Abhang übersprang, fing sich der Wind in seinem Mantel und trug ihn hinab in den Fluß.

Kurwenal sah aus seinem Versteck im Walde den kühnen Sprung. So rasch er konnte, ritt er mit dem Knechte auf einem Umwege hinab ins waldige Tal.

So fanden sich die Freunde.

Herr Tristan nahm des Knechtes Pferd und empfing von ihm sein Schwert und sein Panzerhemd. Der fürsorgliche Kurwenal hatte ihm beides mitgegeben.

Eilends trabten sie weit seitwärts der Straße dahin, sich eifrig beratend, was nun zu tun sei.

Den Knecht sandten sie zu Fuß aus, er solle sich bemühen, der Königin Kunde von Tristans Befreiung zu geben.

Den Knechten, die vor der Kapelle auf des Gebetes Ende warteten, kam es schließlich wunderlich vor, als mehr denn eine halbe Stunde verrann, ohne daß Herr Tristan wieder erschien. Einer klopfte vernehmlich an die Pforte. Drinnen blieb es stumm und still. Da brachen sie die Tür auf und sahen das zerschlagene Fenster.

Herrn Tristan hatte das Gebet zu Gott errettet.

Verstört kamen die Knechte nach der Stadt.

Als König Marke von der sonderbaren Flucht vernahm, packte ihn großer Zorn. Und er sprach:

Wer mein wahrer Freund ist, mache sich auf und suche den Verräter! Wer ihn mir bringt, den will ich zum reichsten Manne meines Reiches machen.

Etliche der Ritter und Barone brachen auf, den Entflohenen zu suchen, froh, der Königin Feuertod nicht anzuschauen, denn es sehen, dünkte sie wie Billigung.

Der König befahl, Frau Isolden herbeizuführen.

Noch vor der Stadt erfuhr die Königin, die auf ihrem Zelter ritt, da sie sich geweigert hatte, als arme Sünderin zu Fuß zu pilgern, das Geschehene. Audret, der sie bewachte, wagte es nicht zu verhindern.

Als Kurwenals Knecht sich an ihr Roß drängte und ihr zuflüsterte: Euer Herr Tristan hat sich befreit! – da rief sie voller Freude bei sich: Dank Euch, den großen Göttern meiner Heimat! Ihr habt ihn mir gerettet. Ob ich Ärmste gefangen oder frei bin, ob man mich tötet oder mich begnadigt, ob ich fortan in Schmach oder in Glück leben soll: es kümmert mich nicht mehr, denn der geliebte Mann hat sein Leben und seine Freiheit.

Lächelnd sah sie auf ihre Handgelenke, an denen die Stricke, die sie in der Nacht getragen, blutige Male hinterlassen hatten.

Ich will nicht klagen, nicht weinen, mich mit keinem Wort rechtfertigen. Stolz werde ich den Scheiterhaufen besteigen. Mögen sie mich morden oder wegjagen, höhnisch will ich es hinnehmen. Nachdem der Gott der Sonne mir den Freund aus der Verräter Gewalt errettet, wäre ich meiner Freude nicht wert, wenn ich kleinmütig wäre.

Als die Edlen an der Richtstätte sahen, daß sie frei und froh wie die Königin Helena heranritt, waren sie voll Bewunderung und Herzeleid.

Abermals trat Tynas der Seneschall vor die Andern und sprach: Mein König und Herr, schonet Euer Weib! Ihre Schuld ist nicht bewiesen. Wir haben ihre Rechtfertigung nicht gehört. Ein gerechtes Urteil ist nicht gefällt. Lasset Milde walten! Begnadigt Frau Isolden!

König Marke erwiderte böse mißmutige Worte.

Wohlan, Herr Marke, sprach da der Seneschall, tut, was Ihr nicht lassen könnt! Ich habe Euch lange Jahre in Treue und in Ehren gedient. Es ist kein Armer, kein Kranker, kein Hilfloser im Lande, dem ich in meinem mir von Euch verliehenen Amt nicht ein oder viele Male Beistand gewährt. Meiner Königin verbietet Ihr mir die Hilfe. Ich gehe nach meiner Burg Dinan. Wenn Ihr Frau Isolden tötet, werdet Ihr mich nie wieder sehen. Eines noch sage ich Euch und den Herren, die seine Widersacher sind. Herr Tristan lebt, und ihm wird der Allmächtige die Rache in die Hände legen!

Isolde grüßte den edlen Fürsprecher mit freundschaftlicher Gebärde. Der aber bestieg seinen Streithengst und ritt mit seinen Knechten, die Stirn gesenkt, traurigen Sinnes und voll Leid, zum Nordtore der Stadt hinaus.

Auf den Wink des Königs ergriffen rotwamsige Henker die Königin, zerrten sie auf den Holzstoß und banden sie mit der Kette an den Holzpfahl.

Isolde ließ es stumm geschehen.

Aufrecht in ihrem grauen Gewände stand sie da. Loser herab denn sonst fiel ihr das dichte blonde Haar, über dem ein goldenes Netz glänzte. Kaum waren die feinen Goldfäden von den blonden Strähnen zu unterscheiden.

Markes Grimm und Grausamkeit hielten diesem Anblicke nicht stand. Die alte Liebe machte ihn beinahe zum Narren.

Kein Erbarmen! rief er sich zu und zwang sich daran zu denken, daß dies schöne Weib einem Andern inniger zu eigen war als ihm, dem Ehemann und Gebieter.

Kein Erbarmen mit dieser listenreichen Ehebrecherin!

Durch die Reihe der aufgestellten Knechte drängte das Volk, schaulüstern und mitleidig zugleich. Etliche sanken in die Knie und beteten. Etliche flüsterten miteinander, murmelten erregt, fluchten leise den Verrätern. Der Bretone ist seit Jahrhunderten gewohnt, sich dumpf zu fügen; gegen seinen Fürsten empört er sich am allerwenigsten.


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