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Und i ka's net ertrag'n, daß Du alleweil bei die fremd'n Leut bist, da unten am Badersee! Wenn Du Beeren 'nunterträgst, und dann und wann ein'n Busch'n, so will i nix dagegen sag'n, aber daß ma' bald nimmer woaß, wo D' hinghörst, dös tuat mi verdrießn, und wann's net bald anders werd, so schlag doch glei ...«

»Aber Pauli, was kommt Di nur wieder an, daß D' glei so außer Dir bist und s' Haferl mit der Supp'n ausschüttest! Denkst denn net dran, daß i z' groß bin zum Beerenaustragen, daß dazu das Lisl und das Traudel und der Seppel recht sind, die sonst noch nix schaff'n können, und daß i ein schön's Stück Geld dadurch verdean', und was lernen kann i aa – und denk' nur an das guate Essen, was i für die Großmutter hoambring'! – Und i kenn' aa 'n Bua'm, der s'Schimpfen brav bleiben laßt, wann ihm die Vefi ihr Stückerl Braten mitbringt, das sie sich am Mund abg'spart hat, beim Mittagessen, bei die fremden Leut da unten am Badersee!«

Die zwei jungen Menschenkinder, welche so miteinander redeten, saßen vor einer Fischerhütte, hoch oben in den bayerischen Bergen.

Das Mädchen mochte wohl sechzehn Jahre alt sein und seine braunen, schlanken Finger flickten eifrig an einem Netz.

Der Bursche, welcher einige Jahre älter war, lehnte nachlässig in der Bankecke und blies blaue Wolken aus einer kleinen Pfeife in die Luft.

Die Nachmittagssonne brütete heiß in diesem Winkel Erde. Silberflimmernd und die Augen blendend, lag der nahe See in träumerischer Regungslosigkeit, umgrenzt an drei Seiten von viel hundert Fuß hohen Felswänden, über welche der glänzende Schnee der Zugspitze und die filigranartigen Gipfel des Karwendelgebirges herüberschauten. An der vierten Seite, wo die Ufer des Sees sich flach verlaufen und wo unzählige kleine Fische ihr Spiel zwischen den glitzernd reinen Kieseln treiben, liegt eine Anzahl schindelgedeckter, mit Steinen beschwerter Holzhütten, dunkelbraun abgetönt von Rauch, Wetter und Alter. Vom Wind zerzauste Forchen und Kiefern hinter den Hütten bilden den Uebergang zu dem ganz nahe gelegenen Tannenwald, dessen wildverwachsene Dichtheit nur von wenigen, den Jägern und Wilderern bekannten Pfaden durchzogen ist.

Das Geschlecht, das hier oben haust, hat seine eigene Sitten und Vergangenheit. Ursprünglich von zwei Familien – man sagt von Zigeunern – abstammend, haben sich diese Leute im Laufe der Jahrzehnte wenig mit andern Menschen eingelassen.

Schwarze, trotzige, wetterharte Männer, die dem Fischfang oder dem Wildern obliegen, und dunkeläugige Weiber, in der Jugend schlank und scheu, wenn im Sommer die Fremden an den See kommen, später verschlagen und ihren Vorteil kennend und gerne bereit, durch Kahnfahren, Pistolenabschießen – um das Echo auf der Mitte des Sees ertönen zu lassen – und durch Jodeln Trinkgelder zu erlangen und damit dem ärmlichen Haushalt im Winter aufzuhelfen.

Man sagt, daß es in früheren Jahren für den einzelnen Wanderer nicht ratsam war, sich in diese weltabgeschiedene Gegend zu verlieren. Neuerdings mochte das nicht mehr zutreffen. Die Wehrpflicht rief die jungen Burschen auch aus dieser Einsamkeit zur allgemeinen Pflichterfüllung, und wenn sie zurückkamen, hatten sie ein Stück Welt kennen gelernt. Die Mädchen sahen an dem eine Stunde entfernten Badersee, wo sich ein Gasthof befindet, das Leben und Treiben der Fremden und eine oder die andere half wohl auch im Seewirtshaus aus, das seit etlichen Jahren, ganz nahe an den Hütten, hinter einigen erratischen Blöcken verborgen, mit dem Blick auf den See und die Zugspitze erbaut worden war, obgleich sie den Wirt und seine Frau stets mit einigem Mißtrauen als Eindringlinge ansahen.

Bei all' dem hingen aber die Bewohner der Hütten mit großer Zähigkeit aneinander. Es ist selten, daß eines von ihnen aus dem alten Stamme hinausheiratet, und es wäre für einen Forscher auf diesem Gebiete lehrreich, den mehr als verschlungenen Verwandtschaftsbeziehungen dieser Kolonie nachzugehen. –

Die beiden auf der Bank hatten eine Zeitlang stille geschwiegen. Der Bursche verfolgte mit seinen Augen träumerisch einen Raubvogel, der hoch oben in der Luft langsam seine Kreise zog. Das junge Mädchen flocht eifrig an dem Netz weiter.

Es war den alten, schwarzbraunen Holzwänden der Hütte wohl selten vorgekommen, daß sie als Hintergrund dienten für solch helles, glänzendes Haar, wie es in viel feinen Löckchen das Haupt des Dirndls umgab, gleich einem Heiligenschein. Als das Mädchen aber plötzlich horchend den Kopf erhob, da konnte man an seinen braunen, mit tief dunkeln Wimpern umgebenen Augen doch auch ihre Zusammengehörigkeit zu der Familie Reinhard erkennen.

»Vefi!« ertönte zum zweitenmal ein langgetönter Ruf aus einer der Hütten, und das junge Mädchen packte schleunigst seine Arbeit zusammen.

»I kimm' schon, Ahnl, i kimm' schon,« rief sie eifrig und knotete das Netzwerk in Hast zusammen. »B'hüt Di Gott, Pauli,« rief sie im Davoneilen dem Burschen noch zu – »und laß Dir keine Mucken im Kopf wachsen!« – und sie eilte auf die äußerste der Hütten zu, welche dicht am Waldesrand unter einer alten Föhre stand, und verschwand in der engen Türe, auf welcher die Buchstaben C. M. B. mit Kreide geschrieben – gegen den Eintritt böser Geister – sich befanden.

Der Uebergang von dem grellen Sonnenlicht in den rauchgeschwärzten Raum drinnen war so unvermittelt, daß Vefi die Hand einen Augenblick vor die Augen legen mußte, um sehen zu können.

Gleich von der Haustüre aus kam man in die kleine, rußige Küche, wo auf dem Herde ein mächtiges offenes Feuer brannte, dessen Rauch seinen Ausgang nach allen Richtungen suchte.

»I bin schon da, Ahnl,« sagte Vefi eifrig, »was fallt Dir aber nur ein, Feuer anz'machen, wo Du doch Dei Reißen wieder im Rücken hast! I wär' schon kommen und die Abendsupp'n soll g'wiß zur rechten Zeit ferti sein, bis der Ohm aus Lermoos z'ruckkehrt!«

Mit flinker Hand hatte das Mädchen eine irdene Kachel ergriffen, welche auf einem Brett an der Wand stand, hatte sie mit Wasser gefüllt und auf das Feuer gesetzt.

»Im Augenblick, Ahnl,« hatte sie der Großmutter nachgerufen, die inzwischen in die anstoßende Stube gehumpelt war. »Setz' Di nur einstweilen nieder«, und Vefi ging rasch an einen Verschlag, in dem Kartoffeln aufgehäuft waren. Flink wusch sie dieselben draußen am Brunnen, dessen Trog von dem kristallhellen Wasser überfloß und legte sie in die Kachel. Dann nahm sie eine hölzerne Schüssel, welche an einem Nagel beim Herde hing und ging gleichfalls in die Stube, wo sie an den eichenen Tisch trat, die Schublade herauszog und dieser ein Messer und den Rest eines Laibs schwarzen Brotes entnahm, das sie mit bedenklichen Blicken musterte.

Das Ahnl, welches sich inzwischen auf der vor Alter und vielem Benütztwerden wie glatt polierten Bank niedergelassen hatte, die sich um den mächtigen Kachelofen herumzog, beobachtete des Mädchens Tun.

»Wirst die Bröckerln wohl siebenmal fein schneiden müss'n«, sagte die Alte. »So ist's alleweil, bis die drei Kinder sich ihr Teil 'runterg'schnitten hab'n, und wenn der Wastl heut' net frisches Brot mitbringt, so täten wir eh' g'scheiter, wir würden unsre Supp'n glei draußen am Brunnen frisch essen; dann hätten wir wenigstens die Müh' und das Feuer sparen können!«

»I tät' mi net grämen, Ahnl«, sagte Vefi, während sie sich neben die alte Frau setzte, die Schüssel auf die Kniee nahm und anfing, das Brot in Scheiben zu schneiden.

»Der Ohm wird schon seinen Verdienst g'funden haben; es kraxeln ja jetzt eh' so viel Leut' von den Fremden in den Bergen herum. Das Traudel und Lisel werden wohl auch was vom Beerenzupf'n mit hoambringen und bis unser Rest Kartoffeln vollends gar ist, so gibt's neue. Und morgen ist's Sonntag, da hat die Frau Gräfin drunten am Badersee g'sagt, ich soll mein' Lohn holen für die Zeit, wo i ihr beim Kinderhüten ausg'holfen hab'. – O mein, 's ist mir schier schanierlich, für so was ein Geld anzunehmen, denn i bin bei der guaten Frau und den goldigen Kinderln so glückli g'wesen, wie noch gar nie in mei'm Leben und i mag net dran denken, daß, wenn s' morgen fort gehen, alles für mi aus sein soll, und daß i die guaten Menschen mei Lebtag nimmer sehen werd'!« – Vefi ließ einen Augenblick ihre Arbeit sinken und wischte sich mit der Kehrseite der Hand über die Augen.

Die Alte auf ihrem Sitz fing an, unruhig zu werden; sie rutschte hin und her, die gichtgekrümmten Finger bewegten sich, und die kleinen, rot unterlaufenen Aeuglein sahen das Mädchen beobachtend von der Seite an.

»Grad wie die Zenz«, murmelte die Alte vor sich hin; da wurde sie in ihrem Sinnieren durch ein langgezogenes »Juchu« unterbrochen: ein kleiner, barfüßiger Bursche von etwa sechs Jahren stürmte herein und schrie, was er schreien konnte: »Der Vater kimmt, der Vater kimmt, macht's Essen ferti; er sieht aus, als ob er 'n Riesenhunger hätt', und fuchti ist er obendrein!«

Unter der Stubentür erschien gleich darauf eine Mannesgestalt. Alles an ihm, Bart, Gesicht und Ausdruck, schien dunkel und finster zu sein, gleich dem Raume, in den er trat, und er warf ohne Gruß seinen Rucksack auf den Tisch und den Bergstock mit der eisenbeschlagenen Spitze in die Ecke.

 

Vefi war bei den Worten des Buben erschrocken aufgesprungen und in die Küche geeilt. Die alte Frau hatte ihren Stock ergriffen und etwas mühsam gehend, stellte sie das Salzfaß auf den Tisch und legte einige Löffel auf denselben. Der Mann zog seine Joppe aus und hing sie hinter den Ofen; dann warf er sich schwer auf einen Stuhl an dem Tisch.

»Warum ist's Essen net ferti, wann m'r hoam kimmt? Sakra! Muß m'r sich net nur drauß'n, sondern a no in sei'm eigenen Haus ärgern? Wo sind die Madeln? Willst 'reingehen, Seppel!« und er machte eine drohende Gebärde gegen das offene Fensterchen hin, an dem die Kindergestalt sich sofort duckte, um gleich darauf in allen möglichen Schlangenwindungen in der Stube und am Tisch zu erscheinen.

»Warum bist so granti, Wastl?« sagte das Ahnl und stellte sich, die alte, zusammengedrängte Gestalt auf den Stock stützend, vor den Mann. »Wie kannst Du denn verlangen, daß das Essen fertig ist, wenn Du eine ganze Stund' früher kimmst, als daß D' g'sagt hast? – Die Madeln sind beim Erdbeerensuchen – wir haben eh' nix mehr zum Essen im Haus – und jetzt schieß los, warum Du so fuchti bist – und halt'n Frieden in der Hütten, sonst muß i Dir zeigen, daß Du no lang net der Herr bist – aber i!«

Die alte Frau stieß bei diesen Worten den Stock auf den Boden. Die grauen Haare fielen ihr wirr über die Stirne, und ihre versunkenen Aeuglein blitzten so energisch unten vor, daß der Mann knurrend seine Gegenrede verbiß, während der Seppel sich unter die Bank duckte, von wo ihn erst ein Fußtritt seines Vaters und ein ärgerliches: »An Dein Platz setz'st Dich hin!« auf seinen Schemel unten am Tisch beförderte.

Veferl hatte in möglichster Eile die Suppe und die Kartoffeln fertig gemacht und trug sie nun mit rotglühendem Gesicht auf. Schweigsam schälten die Tischgenossen ihre Kartoffeln und ebenso schweigsam führten sie die Löffel von der Suppe in den Mund und wieder zurück, wobei der Seppel jedesmal sich duckte, als fühle er sich in steter Gefahr, eine »zu fangen«.

Als halb gegessen war, ging die Tür wieder auf, und zwei Mädchen von etwa zehn und fünfzehn Jahren traten ein, mit Körben am Arm, hemdärmelig in dunklem Mieder. Das ältere hatte ein schwarzes Hütchen auf dem Kopf und einen Busch Alpenrosen in der Hand, das kleinere trug ein Tüchelchen umgeknüpft; beide waren die echten Eibseekinder –schwarzhaarig und mit schlanken, braunen Gliedern.

»Was ist denn heut' los, daß schon so frua z' Abend 'gessen wird?« sagte die ältere, erstaunt mit ihren schwarzen Augen von einem zum andern blickend. »Und d'r Vater ist auch schon da, und ich hab' doch denkt, daß er erst in ein paar Stunden von Lermoos z'ruckkommen wird?«

»Hat uns der Vater ein Brot mitbracht!« und das Traudel setzte sich her und versuchte mit Gier, noch ein paar Brocken aus der Schüssel zu fischen.

»Den Teufel hab' i mitbracht!« fuhr da Wastl auf. »Schinden und plagen muß ma sich, und danach ist's g'rad' recht nix mit dem Verdeanst! Wo i nachg'fragt hab', sind die Fremden schon mit Führern aus Garmisch und Partenkirchen versehen g'wesen, und i' hab' das Nachsehen g'habt, und wenn unser Herrgott net no a Wild im Wald wachsen ließ, und wenn i mei Büchs'n net hätt, dann könntet ihr seg'n, wo ihr euer Essen herkriagen tätet!«

»Dös war' schö', Vater, wenn's so aussehen tat',« sagte Traudl und stemmte die Hand in die Hüften. »Denkt der Vater net dran, das i jetzt groß bin? Und wenn der Vater net so eigensinnig wär' und tät mich jetzt die Fremden im Kahn fahr'n lassen, so wär' net Hungermuck Trumpf in der Hütt'n. Erst kürzli haben ein paar Herrn g'sagt: Wenn Du uns fahrst, Dirndl, so soll's Dich nicht reuen, und wenn Du uns ein Busserl ...«

»Halt' Dein Maul, Dirn, und mach' mi net wild,« schrie Wastl und nahm einen tiefen Schluck Enzian aus der Flasche, die er sofort wieder in seine Tasche steckte.

»Aber i mog net so leb'n,« sagte Traudl trotzig und ließ die dunkeln Augen durchs Fensterchen hinausvagabundieren. »Und daß i mi so plagen tät am Badersee drunten, mit G'schirraufspülen und fremde Leut' Kinder bedeanen, wie die Vefi, der sie bis jetzt noch nicht 'mal was dafür geben hab'n – dös wär' scho gar net mein Schenieh,« und Traudl warf den kirschroten Mund auf und machte eine entsprechende Bewegung mit dem Kopfe.

»Sei still, Traudl, sei still, i bitt' Di,« sagte das Lisl, und schaute dabei furchtsam auf den Vater, der eben wieder einen Schluck aus der Flasche nahm.

»Siagst, wie er die Falten auf der Stirn macht, und s'Ahnel selber wagt sich schier net z'schnaufen. Wenn Du ihn noch ärgerst, so kriagen mir heut' abend noch allesamt Prügel,« und sie machte Seppel ein verstohlenes Zeichen, worauf die beiden Kinder nach draußen verschwanden.

Vefi war die ganze Mahlzeit über nur still auf ihrem Stuhl gesessen; sie hatte kaum ein paar Schübchen Suppe genossen und sich die kleinsten Kartoffeln ausgesucht. Sie war wohl die täglichen Streitereien in der Hütte gewöhnt, aber ein Unbehagen ergriff sie doch jedesmal dabei. Bei Traudels Reden war sie aufgestanden, und während sie die blechernen Löffel und die leeren Schüsseln zusammen räumte, sagte sie ruhig:

»Der Ohm braucht si net weiter z' ärgern; i werd' morgen mein' Lohn schon kriagen, und wenn i in der Fruh' in die heilig' Mess'n nach Oberkrainau geh', so kann i auf'm Ruckweg dann glei ein großes Brot mitnehmen und für die Ahnl einen Wecken. Und was i no an Geld hoambring', g'hört natürli dem Ohm und der Ahnl!«

»Das versteht sich von selbst,« brummte Wastl, »Du brauchst net so dumm z' reden – hab' Di doch eh' wie einen jungen Kuckuck auffüttern müssen!«

Vefi's Gesicht war wie mit Purpur übergossen, als sie das Geschirr in die Küche trug. Wie oft schon hatte sie solche Redensarten hören müssen und jedesmal gabs' ihr einen Stich ins Herz.

»Alleweil heißen s' mich einen Kuckuck, und s' ist wahr, i sitz' in ihrer Stub' drinnen und g'hör' doch net zu ihnen«, dachte sie, nachdem sie nach dem Abspülen einen Augenblick auf dem dreibeinigen Schemel saß und mit verschränkten Armen vor sich hinsah. »Hereing'setzt bin i ihnen worden und bliaben bin i ihnen, wie mei liabs Mutterl g'storben ist, und i hab's alleweil zu hören kriagt, obgleich 's meine Anverwandten sind. – Wenn's net so schön hier oben wär' und i den Pauli net g'habt hätt', so wär' mir's, woaß Gott, schon lang entleidet, und der Kuckuck hätt' seine Flügerln g'regt und wär' aus dem Nest g'flogen – hinaus, über die Berge hinüber, in die weite, sonnige Welt!« und Vefi stützte den Kopf in die Hände und sah in das langsam verglimmende Feuer.

Während Vefi diesen Gedanken nachhing, stieg eine kleine Gesellschaft keuchend den letzten Stich hinan, ehe man dann beim Heraustreten aus dem Wald den See vor sich liegen sah.

»Hätte ich gewußt, wie heiß es heute ist, ich hätte nicht erlaubt, daß Du diese anstrengende Wanderung machst«, sagte ein hochgewachsener, etwas magerer Herr in ausgesucht feinem Sommeranzug zu einer Dame, die, sichtlich ermüdet, versuchte, mit den andern Schritt zu halten. Sie mochte anfangs der dreißig sein, eine hohe, schlanke Erscheinung mit einem gütigen, aber matten Ausdruck in den schönen, regelmäßigen Zügen.

»Gehen wir Dir zu rasch, Ruth?« sagte – sich umwendend – ein junges Mädchen in kurzem, durch seine ausgesuchte Einfachheit sehr elegantem Lodenkleid, mit ebensolchem Hute mit Spielhahnenfeder, das gut zu dem Köpfchen mit der kleinen, kecken Nase und dem kurzgeschnittenen Haar paßte.

Ihr Begleiter, welcher gleichfalls stehen geblieben war, und dem man sofort den Offizier in Zivil ansah, ging eiligst die paar Schritte zurück und sagte mit eifriger Dienstbeflissenheit, auf eine Reisedecke deutend, welche er auf dem Arme trug:

»Wünschen gnädige Gräfin vielleicht auszuruhen?«, was diese aber mit einem freundlichen Schütteln des Kopfes verneinte.

»Es ist nicht so schlimm, Baron, ich danke Ihnen«, sagte sie lächelnd, »so viel ich mich erinnere, steigen wir nur noch ein paar Minuten, und dann ist unser Ziel bald erreicht.«

»Will sehen, was die Genovefa für ein Gesicht macht, wenn wir so plötzlich dastehen«, sagte die jüngere Dame. »Wollen wir wetten, Baron Tettau, sie sagt: >O mei< und wird rot bis unter die Haarwurzeln! Da erinnert mich ihr Gesichtchen jedesmal an einen Pfirsich und die braunen Augen an zwei glänzende Kastanien.«

Der Graf hatte inzwischen seiner Frau den Arm angeboten, und es war in seiner stets gleichmäßigen, etwas gedämpften Sprechweise, als er fragte: »Bist Du nun sicher, Ruth, daß Du Dir mit dem Mädchen keine Last aufladest? Willst Du's riskieren und glaubst Du, daß dasselbe sich in die Stadtverhältnisse gewöhnt, so habe ich nichts dagegen, wenn Du dir diesen Spaß erlaubst und Dich mit volksverbessernden Erziehungsversuchen abgeben möchtest.«

»Ich bin Dir dankbar, Gerhard«, erwiderte die Gräfin, indem sie wieder, einen Augenblick aufatmend, stehen blieb. – »Das Mädchen hat so nett die mademoiselle ersetzt, als diese rasch zu ihrer kranken Mutter heim mußte. Ich habe sie wirklich lieb gewonnen, und von den Kindern weißt Du ja selbst, wie sie für das Veferl schwärmen. Jutta hat gestern abend noch lange in ihrem Bettchen geweint, weil die Vefi nicht bei ihr geblieben, und Alex hat beim Auskleiden noch gehörig gescholten auf den bösen, schwarzen Mann vom Eibsee, der gesagt habe, die Genovefa müsse jetzt wieder heim.

Ich hoffe, dieser Ohm, oder was er ist, sieht die Vorteile ein, wenn wir Genovefa mit uns nehmen. Sie ist gescheit und anstellig: wenn sie will, kann sie in Zukunft mitlernen, wenn die Kinder Stunden bekommen, und sie hat etwas so merkwürdig Feines, Nettes an sich, daß ich sicher bin, sie findet auch mit der mademoiselle den richtigen Ton!« –

»Mutti, Mutti«, ließen sich in diesem Augenblick zwei Kinderstimmen vernehmen. Ein Knabe und ein Mädchen von 6 und 5 Jahren kamen in großen Sätzen dahergesprungen. Sie waren vorangeeilt, und liefen nun der Gesellschaft wieder entgegen.

Eben hatte diese die Anhöhe und den Rand des Waldes erreicht. Vor ihnen lag nun der übrige Weg, der über Matten leicht abwärtsführend, in kurzem sich an den See und zu den Hütten hinschlängelte. Eine herrlich erquickende Luft kam ihnen entgegen. Der See lag schon halb im Schatten; hüben und drüben am Weg waren kleine, mit würzigen Kräutern oder einer zerzausten Tanne bewachsene Felshügelchen, auf denen dann und wann eine Ziege – aus der Ferne wie eine Gemse aussehend – stand. Die Berge hinter den Felsen zeigten sich schon in violetter Färbung.

»Mutter, bitte, komm' schnell«, drängten die beiden Kinder, indem sie ihre Hand erfaßten. »Da vorne gibt es Erdbeeren, und die mußt Du uns kaufen, denn wir sind so furchtbar durstig«, und wieder waren sie die paar Schritte vorausgesprungen. Seppl und Liserl hatten eben den Rest ihres Körbchens gefüllt und standen verlegen beieinander, als die Stadtkinder kamen. Sie selbst hatten noch wenig mit Fremden verkehrt, weil die Traudel meistens die Beeren austrug.

Jutta in ihrem weißen Kleidchen, den Finger im Mund, und Alex, sehr verlangend und doch nicht wissend, was er sagen sollte, standen vor den beiden braunen, nur mit dem Nötigsten bekleideten Kindern.

»Sehen Sie, Baron, diese Gegensätze! Kultur und Natur in den reizendsten Exemplaren einander gegenüberstehend«, sagte die junge Dame, Komteß Westernberg, Schwester der Gräfin Ruth, indem sie lachend auf die kleine Gruppe wies. »Aber vorderhand gleichen sie hübschen, steingemeißelten Figuren. Wir wollen einmal Leben in die Sache bringen«, und mit ein paar raschen Schritten war sie bei den Kindern und hatte sich zu den kleinen Gebirgsbewohnern niedergekniet. Im reinsten Gebirgsdialekt, den sie sich angeeignet hatte, sagte sie:

»Oes habt's g'wiß die Beeren für uns g'sammelt und habt's g'wartet, bis wir kommen, daß wir 's essen können, – ös kloans Zigeunervolk, ös«, und sie zog scherzhaft das Körbchen an sich. Seppl hatte mit blitzenden Augen der Rede und den Bewegungen des Fräuleins gefolgt.

»Laß Du mir meine Beer'n Du!« sagte er zornig und sah ihr mit seinen schwarzen Augen furchtlos ins Gesicht. »Die Beeren san unser und die Vefi tragt's morgen zu der guaten Herrschaft am Badersee!«

»Und a frisch's Brot bringt 's nachher mit«, setzte das Lisl hinzu.

Der Graf und die Gräfin waren inzwischen auch herbeigekommen, und hatten die letzten Worte gehört. »Mutti, es ist der Seppl und das Liserl, von denen uns die Genovefa so viel erzählt hat!« jubelte Alex. »Wo ist die Vefi, wir wollen sie besuchen«, und er nahm den Seppl bei der Hand und rannte mit ihm davon.

Liserl hatte sorgfältig das Erdbeerkörbchen wieder an sich genommen und ging nun neben den fremden Herrschaften her, von Zeit zu Zeit staunend und scheu die schöne Frau und das Kind betrachtend, das zwar gar zu gerne von den Beeren gehabt hätte, sich aber mit dem Gedanken tröstete: »die Genovefa wird mir schon welche geben, wenn wir bei ihr sind.«

Die letztere trat eben aus der Türe der Hütte, als sie die kleinen Buben und dahinter die bunte Gesellschaft über die Matten herkommen sah.

»Jessas, da san ja die gnädigen Herrschaften vom Badersee – wer aa an so was denkt hätt', wo 's doch morgen frua schon abreisen! Ahnl!« rief sie in großer Erregung in die Hütte hinein, »Ahnl, i bitt' Di, hör zu! Die Grafenleut' vom Badersee sind scho ganz nah' und wollen uns b'suachen! Stell' den Schemel an den Platz und häng' dem Ohm sein'n Rucksack an den Nagel!« und indem sie noch rasch mit den Händen über ihren Scheitel strich und ihr Halstuch fester zusammenknüpfte, ging sie den Fremden entgegen.

»Ich bin zuerst bei Dir!« rief Alex, der quer über die Matten gesprungen war, und er umfaßte atemlos ihre Röcke. »Jetzt gehörst Du mir, böse Vefi, und darfst nimmer fortlaufen, und wir nehmen die Genofeva nun mit uns in die Stadt«, sagte er in kindischem Trotze zu Seppl, der nicht wußte, was er aus der ganzen Geschichte machen sollte.

»O mei, aber die Freud'«, sagte jetzt Vefi zu den andern, indem sie errötend rasch ihre Hand an der Schürze abputzte, ehe sie dieselbe treuherzig den Damen hinbot.

»Gewonnen«, flüsterte die Komtesse leise lachend dem jungen Herrn zu.

»Wir wollten doch auch gerne sehen, wo Du wohnst, Genovefa«, sagte die Gräfin freundlich und trat in die Hütte ein. Da schoß etwas wie ein Pfeil zwischen ihr und dem Türpfosten durch und klammerte sich an die Ahnl an, die, auf die Krücken gestützt, die Hereinkommenden erwartete.

»Laß net eini, Ahnl, laß net eini!« schrie eine Kinderstimme in den höchsten Tönen. »Sie wollen die Vefi mit sich in die Stadt nehm'n und der Vater und das Ahnl dürfen's net leiden!« und der kleine Seppl blickte die Gräfin mit feindselig blitzenden Augen an.

»Nun fängt die Geschichte schon an tragisch zu werden, ehe sie nur eigentlich begonnen hat«, sagte die Komtesse, die mit dem Baron unter der Türe stand und neugierig den dunkeln Raum überschaute. »Puh, die Luft, die da herauskommt, und das alte Weib mit den wirren Haaren und der schwarze Mensch dort in der Ecke! Will sehen, wie Ruth mit all' diesen Umständen zurechtkommt und ob es ihr gelingt, das blonde Täuberl aus diesem Habichtsnest herauszubringen. – Kommen Sie, Baron, wir beide können doch nichts dabei helfen«, und sie schlugen den Weg zu dem Wirtshause ein, wo der Graf eben bei der Wirtin eine Erfrischung bestellte.

»Wenn's nur auch gut ausfällt«, murmelte der gutmütige Baron, während er die Decke dienstbeflissen auf die Bank breitete und der Komtesse ein Tuch um die Schultern legte, welches dieselbe aber im nächsten Augenblick in ihrer lebhaften Art wieder fallen ließ.

Alex und Jutta kamen nun auch herbeigelaufen – ersterer mit etwas gekränkten Mienen – die Mutter habe ihn hierhergeschickt und er habe Angst, daß der böse Mann der Genovefa etwas tue.

Bald saßen aber beide Kinder lustig schmausend über einer Schüssel saurer Milch und Jutta meinte: »Die Mama ist ja dabei, die läßt unserer Vefi nichts geschehen und nachher verteilt sie uns die Beeren.«

Inzwischen hatte Gräfin Ruth Villingen dem alten Ahnl die Hand gereicht und sich auf die Bank am Ofen gesetzt. Wastl hatte sich erhoben und wollte mit einem kurzen Gruße hinausgehen, als die Gräfin ihn bat, noch ein wenig zu bleiben: sie habe mit ihnen allen zu reden.

»Setze Dich auch an den Tisch, Genovefa, denn was wir zu besprechen haben, geht Dich am meisten an und Du mußt sehr wohl aufpassen und Dich besinnen über das, was ich Dir sagen will.«

Und nun suchte sie in möglichst klaren Worten ihren Zuhörern begreiflich zu machen, was ihre Absicht sei, und daß sie alle die Genovefa so lieb gewonnen hätten, daß sie dieselbe in ihre Heimat mitnehmen möchten, wo es das Mädchen gut haben solle und lernen dürfe und wo es vielleicht einmal ihr Glück machen könne usw.

Das Ahnl saß mit dem Rücken gegen das Fenster, wie immer tief gebückt auf den Stock, den ihre knöcherigen Finger fest umklammert hielten. Während der ganzen Rede der Gräfin blitzten die kleinen Aeuglein unten vor und sie hatte kein Wort verloren.

»Also furtnehmen wollt 's ös das Madel«, sagte sie endlich, als die Gräfin inne hielt und einer Antwort entgegensah, »furtnehmen in die Stadt, weil 's enk g'fallt und weil 's die Dirn brauchen könnt«, und sie wackelte dabei beständig mit dem Kopfe und kicherte in den seltsamsten Tönen. »Ja, ja, das tat enk scho g'fallen, dös glaub' i! Aber mir net!« sagte sie mit erhöhter Stimme und das Kichern ging in ein heiseres Husten über, – »aber mir net, i will enk sagen warum – darum!« sagte die Alte und stieß in der heftigsten Erregung den Stock nach ihrer Gewohnheit auf den Boden.

Wastl hatte inzwischen schweigend und dichte Wolken rauchend, dem Reden zugehört. Nun nahm er einen Augenblick die Pfeife aus dem Mund und sagte:

»Da hab' ich aa ein Wort dreinz'reden, denn i bin der Ohm! Daß die Herrschaften die Dirn brauchen können, dös wissen m'r eh schon und ist nix Neues! Das mit dem Glücklimachen und dem Guathaben ist hernach dem Madel sei Sach und geht uns nix an. Was uns aber angeht, ist dös, daß wir die Dirn aufzogen haben und daß wir sie guat g'halten haben« – Wastl schluckte bei diesen Worten – »und daß die Dirn jetzt groß und stark ist, und daß wir sie nicht so ohne weiteres hergeben – allein bloß fürs Guathaben und Glücklisein!«

Die Gräfin hatte nach und nach verstanden, wo Wastl hinauswollte, darum sagte sie:

»Es versteht sich von selbst, daß Genovefa für die Dienste, die sie uns leisten soll, gut und reichlich belohnt wird. Sie kann davon, wenn sie will, die Ihrigen unterstützen, wodurch Ihr keinen Schaden hättet. Das Mädchen wird Euch allen eine warme Anhänglichkeit bewahren, so wie ich es kenne, und wenn es einige Jahre bei uns ist und Lust zum Heiraten bekommen sollte, so werden wir's an einer kleinen Ausstattung nicht fehlen lassen! Hier, Genovefa, habe ich Dir den Lohn für Deine Aushilfe in den letzten Wochen mitgebracht,« und die Gräfin holte bei diesen Worten ihre Börse aus der Tasche und zählte einige Goldstücke auf den Tisch.

Genovefa war während der Rede der Gräfin hochklopfenden Herzens, bald rot, bald blaß werdend, dagesessen.

Es war ihr, als täte sich statt der rußigen Hütte der Himmel vor ihr auf und sie sah Englein in lauter rosigen Wolken fliegen.

Hatte sie denn recht gehört? Für immer sollte sie bei der guten, gnädigen Gräfin bleiben und bei den herzigen Kindern? Und lernen wollte man sie lassen, und hinaussehen sollte sie dürfen in die weite Welt, hinter den Bergen, von der sie schon so lange gerne gewußt hätte, wie sie ausschaue. Es war ein nur mühsam unterdrückter Jubelruf, den sie ausstieß, als die Gräfin sich jetzt an sie wandte und sagte:

»Nun müssen wir aber doch vor allem wissen, ob Genovefa selber mit dem Vorschlag einverstanden ist? Sage es mir und den Deinen offen und klar, ob Du mit uns reisen willst, liebes Kind?«

Bei dieser Frage konnte sich Genovefa nicht mehr halten: »Ob ich mit Ihnen reisen möcht'? O, mein Gott, das ist ja grad', als wenn mi eins fragen tät', ob i einmal selig werden möcht'! I woaß nur gar net, ob i wach' oder ob das ganze net bloß ein schöner Traum ist, aus dem nix wurd'!« und sie sah auf einmal mit ängstlichen Blicken zu der Ahnl und dem Ohm hinüber.

Erstere nickte noch immer mit dem Kopfe, aber das seltsame Kichern hatte plötzlich ganz aufgehört bei den Worten des Mädchens. Es schien, als ob die Aeuglein allen Glanz verloren hätten und statt nach außen, nach innen blickten.

»G'rad wie die Zenz«, murmelte sie wieder vor sich hin, »g'rad wie die Muatter! Von außen ist's kommen, nach außen muß es wieder ziag'n, – da hilft kein Herrgott nichts und kein Bet'n und kein Aufhalt'n«, und der wirre Kopf sank noch tiefer auf die verschlungenen Hände hernieder.

Wastl hatte sich die Sache überlegt und war nun näher herbeigerückt. Nach längerem Hin- und Herreden und Festsetzen des Lohnes, meinte er, so könne man die Dirn schon ziehen lassen. Dieselbe werde schon wissen, was sie ihnen schuldig sei und es habe jetzt nur noch das Ahnl seine Meinung über die Sache zu sagen.

Diese war lange nicht aus ihrem Hinsinnen zu bringen. Erst als Genovefa ängstlich bei ihr niederkniete, den Arm um sie schlang und sagte:

»Ahnl, ihr sollt sagen, was g'schehen soll, ob i dableiben soll oder ob i gehen darf«, da schoß ein fast feindseliger Blitz aus ihren Augen:

»Was fragst, wenn D' doch vorher woaßt, was Du tun willst? 's ist das zweierlei Bluat, was Di aus dem heimischen Nest treibt und da laßt si nix machen. Aber g'rad so, wie's Di von uns fort treibt, so wird's Dir in der Fremd' koa Ruah nach der Hoamat lass'n. ... Der Vogel ka' furtfliegen, aber wenn er wiederkommt, so ist er z' groß woren für sei' Nest, und wo es ihm eh' wohl g'wes'n ist, da ist's ihm jetzt z'eng und es wird ihm sein Lebtag an dem alten Ort nimmer g'fallen.«

»Ahnl, i bitt' Di, laß das Veferl nit furt«, schrie da auf einmal in die Verhandlungen hinein aufs neue der Seppl, welcher ungesehen seither in einer Ecke am Boden gesessen und dem Gespräch zugehört hatte.

»Halt's Maul, dalketer Bua«, sagte Wastl und gab dieser väterlichen Ermahnung wieder durch den Schuhabsatz eine Verstärkung, worauf Seppl schreiend zur Tür hinausflog und sich am Brunnentrog niederkauerte.

»Was woanst, Seppl?« fragte ihn eine Stimme, und es war Pauli, welcher noch vor Sonnenuntergang das Heu oben auf der Wiese gewendet hatte und nun auch zum Abendessen nach Hause ging.

»I woan, weil mi der Vater g'schlagen hat, weil i's nit leiden will, daß die Stadtleut' das Veferl mit sich furtnehmen«, grunzte Sepp und wischte sich mit der Kehrseite der Hand über die Nase und Augen.

»Dös tat' mir g'fallen, sakra noch einmal,« sagte Pauli und packte den Seppl bei den Ohren, daß dieser von neuem kreischte. »Jetzt, ist dös wahr, Buab, was Du mir sagst, oder machst mir a Flausen vor?« und er wollte schon wieder nach Seppl's Ohr greifen, was dieser durch einen behenden Satz hinter den Brunnentrog vereitelte.

»Freili ist's wahr«, sagte Seppl in kläglichem Tone, »und das Veferl soll no lernen dort, so alt, als wie es ist, und viele Jahr soll's furtbleiben und heiraten soll's aa dort, hat die Stadtfrau g'sagt«, und er rieb sich bei dieser Rede abwechselnd die Schulter und das Ohr.

»Oha!« sagte da Pauli und lüftete den kleinen, schwarzen Filzhut, um ihn gleich wieder aufzusetzen, diesmal aber – zum Streite herausfordernd – die Feder nach vorn. »Oha, Veferl, da hab' i auch ein Wörtel dreinz'reden« und der Bursche verschwand trotzigen Schrittes um die Ecke der nächsten Hütte.

Es war spät abends geworden und der Mond kam eben wie eine rote Kugel hinter dem Schneefeld der Zugspitze hervor und Stille und Ruhe herrschte an dem träumenden See, drüben im Wirtshaus und hier in den Hütten.

Nur Genovefa war noch beschäftigt, ihre Sachen zusammenzupacken, denn morgen in der Früh' sollte sie sich am Badersee zur Weiterreise einfinden.

Die Verhandlungen hatten zu dem von ihr so ersehnten Ergebnis geführt. Der Ohm erklärte sich einverstanden; das Ahnl sagte gar nichts mehr. Die herbeigerufenen Kinder hatten Veferl vor Liebe und Jubel beinahe erdrückt, und auch die andern Herrschaften waren gütig und freundlich gewesen.

Genovefa gab ihnen noch ein Stück Wegs das Geleite und war dann geschwind in die paar Hütten und zu der Wirtin gelaufen, um ihr Glück zu verkünden und in Eile Abschied zu nehmen. Sie hatte dabei den Pauli, den sie doch immer so gern gehabt, vermißt und auch nach ihm gefragt, aber niemand wußte, wo er gerade sei.

Der Ohm war bei Dunkelwerden fortgegangen und hatte seine Büchse mitgenommen.

Das Ahnl hatte den ganzen Abend kein Wort mehr gesprochen und lag schon seit einer Stunde auf seinem Lager, zu dem man vermittelst einer kleinen Treppe hinter dem Ofen gelangte und das Vefi mit ihr teilte; des Ohms Kammer lag auf der andern Seite der Küche.

Nun war das Packen zu Ende und es blieb nur noch das Zusammenschnüren des Bündels übrig, was erst morgen früh geschehen sollte. Es war nicht viel, was Vefi besaß, außer dem guten Anzug, den sie morgen zur Reise tragen sollte: ein derber Schaffrock, ein älteres Mieder, ein paar ristene Hemden und Bergstiefel. Oben drauf lag ihr Gebetbüchl und ein weißseidenes Tuch mit Rosen draufgedruckt, was ihr der Pauli noch nicht lange vom Jahrmarkt in Garmisch mitgebracht hatte. Der Pauli – wo mochte er wohl stecken? –

Auf der Ofenbank lagen die beiden Kinder in unruhigem Schlummer, all' das ungewohnte, was heute auf sie eindrang, hatte sie aufgeregt. Vefi sah nach ihnen hinüber, denn sie bewegten sich unruhig im Schlaf.

»Laßt's net fortgehen, Ahnl ... dableib'n soll's«, murmelte Seppl im Traum und wälzte sich auf die andere Seite.

Genovefa wurde es auf einmal so bang und beklommen zumute. Es überkam sie jetzt zum erstenmal, an was sie in all' dem Jubel der letzten Stunden und in der Sorglosigkeit ihrer sechzehn Jahre gar nicht gedacht hatte, – daß es nun scheiden heiße von all' dem, was seither ihr Leben ausgemacht, von den Menschen, der Hütte, dem See und auch von den Bergen, die so trotzig und finster heute abend hereinschauten, als wollten sie zürnen, daß ein junges Menschenkind da unten sich aus ihrem Schutze zu begeben im Begriffe stand.

Dem Veferl war's bei dem ungewohnten Denken ganz heiß geworden. Sie stand auf und reckte sich, wie jemand, der sich von einer unbequemen [Last] befreien will und strich sich mit der kleinen, harten Hand die blonden Haare aus der Stirn.

»Jetzt, was ist dös«, sagte sie, indem sie, um Luft zu schöpfen, die Türe der Hütte öffnete und hinaussah. »Was ist dös, daß mir auf einmal so kurios zumut' wird, wo i mi die ganze Zeit über so g'freut hab' und wo i doch in ein paar Jahr'ln wieder hier bin!« und sie trat unwillkürlich noch ein paar Schritte weiter hinaus in das volle, glitzernde Mondlicht.

Vor ihr lag der See, so schön, wie sie ihn noch selten gesehen hatte. Auf der silbernen Fläche blitzte es wie Millionen leuchtender Funken. Stille lag der Kahn, in dem sie so oft hinausgefahren, am Ufer, und das Netz, an dem sie vor ein paar Stunden noch geflickt hatte, lag unvollendet zu ihren Füßen. Unwillkürlich bückte sie sich und legte es sorgsam auf die Bank, auf die sie sich müde niederließ. Es kamen ihr auf einmal allerlei Gedanken.

»Wenn i nur das Netz noch hätt' flicken können,« sagte sie halblaut vor sich hin. »'s Ahnl kann's net tun, weil ihre Augen z'schwach sind und die Traudel wird net mög'n,« und sie dachte mit Unbehagen an das Mädchen, das heute Abend wieder so spät nach Hause gekommen war und sich voll Neid gezeigt hatte, als sie ihr von ihren Aussichten erzählte. »Wenn's Traudl nur g'wiß auch sorgen tuat und anders wird, wenn i furt bin,« sagte sie wieder mit einem Seufzer.

Da hörte sie vom andern Ende der Bank her, die im Schatten lag, einen unterdrückten Ton und wie sie schärfer hinsah, erkannte sie den Pauli, der die ganze Zeit über schon dagesessen hatte.

»Das hättest Dir bälder überlegen sollen,« sagte dieser grollend. »'s ist ja recht schön und leicht, mit fremden Leut'n fortlaufen und der Gaude nachgehen und einstweilen kann's dahoam werden, wie's will, und die Seinigen können verkommen im Hunger und sich abrackern, so viel, als sie mög'n!«

»Sprich net so, Pauli, sprich net so!« sagte das Mädchen erregt und setzte sich zu ihm auf das untere Ende der Bank. »I bitt' Di, sag' so was net, denn Du tust mir Unrecht. Schau, das ist wahr, daß i mi von jeher hinausg'sehnt hab' in die Welt, und daß i gar gern zu den braven Herrschaften geh', und daß was in mir ist, was in die Ferne mi zieht, mit einer Gewalt, die i net verstehen kann. Und doch woaß i wohl, daß es meinem armen Mutterl da draußen gar schlecht ergangen ist, wenngleich sie mir's nie g'sagt haben, was eigentli mit ihr gescheg'n ist?

»Aber daß i kein Herz für die Meinen hab', das glaubst Du selber net und i kann mi jetzt schon freuen, wann i das viele Geld, was i da draußen kriagen werd', hoamschicken darf und wann's für die Ahnl hernach ein Weißbrot langt und für den Seppl ein Paar Lederhosen. Und Dir, Pauli, vergeß i's auch net, daß Du mir so ein gar schönes Tücherl gekauft hast und wann i in der Stadt bin, so suach i Dir die schönst'n Hosenträger und Krawatt'n aus, die i finden kann und ...«

»Laß mi aus, mit Deinen Krawatt'n und Hosenträgern, i brauch' koane und Du wirst gar bald einen andern Schatz g'funden haben, den Du mit Deinen Präsenten beglücken kannst!« sagte Pauli in erregtem Tone und sah grimmig vor sich hin.

»O mei', Pauli«, erwiderte Veferl in einiger Verlegenheit, »wie kannst Du nur so dalket schwatzen! Mit dem Schatzkriagen hat's no sein guat Teil Zeit, wann maa so jung ist, wie i, und i kunnt' mir au so was gar net vorstellen«, und dabei nestelte sie unruhig an ihrer Miederkette herum.

»Aber i bin net z'jung und i kann mir's vorstellen! Mein Schatz bist schon g'wesen in meinem Herzen, so lang als i mir denken kann, und jetzt muaßt Du's wissen, ob Du jung bist oder net«, und er zog das erschreckte, zitternde Mädchen an sich.

»I bitt' Di, Pauli, was fallt Dir jetzt nur auf einmal ein«, sagte sie ängstlich und versuchte sich loszumachen.

»Was mir einfallt, möchtest wissen? Daß i Di liab g'habt hab' mei' ganz's Leben lang, wie meinen Augapfel, daß Du mir mei' höchstes bist in der ganzen Welt und daß i glei narrisch werden möcht im Gedanken, daß Du einen Andern gerner haben könntest, als mi.« Der starke, kräftige Bursche bebte bei diesen Worten am ganzen Körper.

Genovefa war diese Liebeserklärung völlig unerwartet gekommen.

Wohl war sie von klein auf am liebsten mit dem Pauli gewesen. Mit ihm war sie zuerst auf den See gefahren; er hatte sie auf dem Rücken hinauf zu den Felswiesen getragen, wo es den blauen Enzian und die roten Nelken gab. Zu ihm war sie am öftesten gegangen, wenn der Ohm sie geschlagen hatte; er teilte sein Stück Brot mit ihr, wenn sie oft hungrig war und in den letzten Jahren war er ihr erst recht lieber gewesen, als die paar anderen Burschen aus den Hütten und aus der Umgegend und sogar lieber, als der Holzhauerhiesl, der doch ein braver und sauberer Bursche war und der sich ihr in diesem Sommer manchmal in den Weg gestellt hatte, um mit ihr zu plauschen. Ja, gerne hatte sie den Pauli, das mußte sie sich gestehen, aber ...

»Kannst mir net antworten, Dirndl, auf das, was i Dir g'sagt hab'?« fragte der Bursche mit heiserer Stimme, und preßte ihre Hand fest in der seinen, so daß Veferl fast hätte schreien können.

»I mag Di schon aa«, sagte das Mädchen zagend und wagte dabei kaum den Blick zu erheben. Da aber schloß sie der Bursche voll stürmischen Jubels in seine Arme.

»Dös laß Dir guat sein, Veferl, dös laß Dir guat sein«, sagte er in der hellsten Freude, indem er das Mädchen immer wieder von neuem küßte. »Du und i, wir g'hören in Zukunft z'sammen, wie die zwei Sternle da oben, die alleweil eins ums andere herumlaufen. Manchmal sind sie ein bisserl auseinander und so müssen wir halt auch ein paar Jahrln voneinander scheiden, i zum Militär und Du in Dein'n Deanst. – Aber i sag's noch einmal – z'sammeng'hören wir jetzt und einander treu bleiben tuan mir und mein g'hörst Du jetzt und keinem andern mehr, von heut' an bis in alle Ewigkeit!«

Flüsternd sprach der Bursche noch lange auf das Mädchen ein, das den Kopf an seiner Brust verborgen hatte.

Drüben vom Waldessaum drang die klagende Stimme eines Käuzleins durch die Luft, der Nachtwind trieb ein paar Wolken über die flimmernden Sterne und es fiel ein Schatten über den See und die Hütte.

Fröstelnd hatte sich Genovefa endlich losgemacht und war leisen Schrittes zu ihrem Lager geschlichen. Die Ahnl war noch wach und hatte sie erwartet.

»Kimmst endli?« sagte sie in ihrer rauhen Weise zu dem sich auskleidenden Mädchen. »Ko' mir's scho' denk'n, wo Du g'steckt bist! 's ist heut' Johannisnacht, da hat die Liab' ihr G'spiel mit den jungen Herz'n – und der Pauli.«

»O Ahnl, i woaß gar net, wie dös auf oamal so komm'n ist«, schluchzte Veferl, verbarg ihr Angesicht in dem Kissen neben der Großmutter und weinte zum Herzbrechen. Diese war schon wieder in ihren halbwachen Zustand verfallen und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. – Veferl war das Herz so voll, daß sie meinte, es könnte zerspringen und sie hatte das Gefühl, als müsse sie noch mit jemanden reden.

»Ahnl«, fing sie nach einiger Zeit von neuem an, »mir ist so bang – wollt's net no a wen'g mit mir plauschen?« und sie richtete sich halb auf und sah die Alte von der Seite an.

Diese sprach eben wieder mit sich selbst, aber diesmal auf verständlichere Weise. »Was willst von mir, Zenz? ... i hör' schon ... na, na, i ka' nix mach'n ... Die Veferl ... s' ist das zwoaerlei Wes'n, Du woaßt's ja ... na, na!«

Genovefa war es schon oft des Nachts unheimlich neben der Großmutter gewesen, meist aber war sie aus Müdigkeit gleich wieder eingeschlafen. Heute aber war es etwas anderes. Mit weitgeöffneten Augen beugte sie sich über die Alte und sagte:

»Ahnl, horch' auf ... was ist das mit dem zwoaerlei Bluat, von dem Du immerzu red'st und was ist mit mein'm armen Muatterl g'wesen? Morgen um die Zeit bin i über alle Berg' – wer woaß, auf wie lang – und no immer habt ihr mir net g'sagt, wer mein Vater war und warum mein armes Muatterl immer so trauri' g'wesen ist?«

Die Ahnl schaute bei diesen Worten rasch auf, dann aber gleich wieder wie in weite Ferne.

»Was wird's b'sonders g'wesen sein?« brummte sie in ihrer gewöhnlichen Art. Dann aber ermannte sie sich doch einigermaßen, legte sich auf die Seite, wo Veferl war und sagte: »Hast recht, bist jetzt alt g'nuag, um alles z' wissen. Also! Bildsauber ist meine Zenz g'wesen, Haar und Augen hat's g'habt wie ein schwarzes Eichkatzerl und Zähn' wie lauter Nußkern. Und ein Maler ist kommen – der ist alleweil um die Hütt'n rumg'strichen und g'malt hat er sie nachher von allen Seiten, – g'rad wie's ihm paßt hat! Und wie er im Herbst hat furt müassen, da hat er bittet und g'fleht, daß die Zenz mit ihm auf Münka geh'n sollt; mir haben's aber net g'litten. Da ist sie denn umherg'laufen wie ein G'spenst, die Augen sind immer größer worden, das G'sicht immer blasser, und auf oamal ist's furt g'wesen, und es sind schier zwoa Jahr' vergang'n, daß wir sie nimmer g'sehen haben. Aber nachher ist's wieder hoamkehrt. –

»Herrgott, i woaß no, wie heunt! Draußen bin i g'standen und hab' g'waschen, da ist's die Matt'n runter'kommen, langsam, wie ein Zerrbild von dem, was 's g'wesen ist, und a kloans Kind hat's auf dem Arm 'tragen.

»›Kimmst?‹ hab' i g'sagt, und hab' weiterg'waschen. Wie i ferti g'wesen bin, ist's in der Hütt'n drin g'hockt und hat vor sich hing'stiert. Ein schwarzes G'wand hat 's ang'habt und ein'n Huat, wie sie's in der Stadt tragen. I hab' weiter nix g'sagt und hab' mein Spinnrad vorg'holt. Da ist's zu mir herg'rutscht und hat bitterli g'woant und stoßweis ist's 'rauskommen, wie's ihr 'gangen ist. Beim Maler ist's g'wesen und glückli waren s' mit 'nander, wie zwei Täuberln im Himmel, und er hat's guat g'moant mit ihr. Er hat sie zur Frau g'nommen. Aber schlecht ist's ihm g'gangen; die Bilder, wo er g'malt hat, hat niemand woll'n und essen haben 's do' müassen.

»Und wie er dann krank 'worden ist, hoben's koa Geld g'habt und wie Du auf d' Welt 'kommen bist, ist er im Sterben g'legen. Genovefa haben's di g'hoiß'n, weil Du so schöne, helle Haarl'n g'habt hast, wie selbige Heilige, und Walther, so wie si Dei Vater g'schrieben hat! Deine Muatter hat's Stadtleben und ihre Liab' net vergessen können, und nach etli'en Jahren ist sie auch g'storben – am Herzload! Schaff'n hat sie nimmer könn'n, dem Ohm ist sie eine Last g'wesen, und so ist's ihr guat 'gangen!«

Die Alte hatte lange keine so große Rede gehalten und erschöpft hielt sie inne. Veferl saß aufrecht auf dem Lager und hatte mit heißen Tränen die Erzählung mit angehört.

»O mein Mutterl, mein armes Mutterl«, hatte sie stets von neuem mit Schluchzen wiederholt.

»Ja«, sagte die Alte und lag dabei schon wieder mit halboffenen Augen auf dem Rücken ... »ein armes Hascherl ist's g'wesen, mei' Zenz ... und mei' Veferl wollen's jetzt aa holen ... und i ka' nix machen ... na, na – i ka' net! ... 's Vögerl fliegt furt ... Juchhu!«

Schrill und doch fast schluchzend klang der Jauchzer in die Nacht, um dann nach und nach wieder in dem unheimlichen Kichern zu ersterben. Veferl aber weinte sich noch lange ihr erregtes Herz aus, ohne recht zu wissen, ob die Tränen der toten Mutter galten oder ihrer jungen Liebe, bis sich endlich der Schlaf bei ihr einstellte, der ihr einen neuen Tag und ein neues Leben bringen sollte.

Das dumme verbe«, sagte Alex Villingen an einem heißen Sommernachmittag, indem er lernend vor seiner Grammatik saß, die Arme auf den Tisch gestemmt, und beide Daumen in den Ohren. » J'eus und j'avais und j'aurai und j'aurais, da werde einer klug daraus!« und er reckte und streckte sich, und gähnte sich aus tiefstem Herzensgrund, daß die dabei sitzende mademoiselle, welche eben an ihrem Häkelmuster zählte, erschreckt auffuhr.

»Welche Manieren, Alex, – fi donc – ich fürchte, Du wirst nie lernen, Dich ordentlich zu benehmen«, sagte sie in reinem Pariser Französisch. »Wenn ich da an die kleinen französischen Jungen denke, wie die gesittet und anständig waren, wenn ich sie unterrichtete.«

»Gähnen die kleinen französischen Jungen nie?« fiel hier Jutta in die Rede, welche auf einem niederen Stuhle neben dem Lerntische saß, und an einem Körbchen von Papierstramin nähte, und sie sah dabei fragend zu der mademoiselle auf.

»Nein, die gähnen nie, Jutta«, sagte Alex mit komisch gespieltem Entsetzen, indem er die Redeweise des Fräuleins nachmachte, »und wenn sie einmal gähnen müssen, so machen sie nicht den Mund dazu auf, sondern sie tun es nach innen, siehst Du, so«, und Alex verzog, schluckend, seinen Mund in der possierlichsten Weise.

»Du bist wirklich der unartigste Knabe, den ich je gesehen habe, und wenn Du Dich nicht gleich hinsetzest und lernst, und mir in einer Viertelstunde endlich einmal das verbe avoir ohne Fehler konjugieren kannst, so gehe ich zur Frau Gräfin, so leidend sie ist, und sage ihr ...«

»Was müssen Sie denn meiner Schwester so Schreckliches erzählen, mademoiselle Margot«, sagte in diesem Augenblick Komtesse Westernberg, welche bei den letzten Worten ins Zimmer getreten war, und sah belustigt die aufgeregte kleine Gesellschaft durch ihre Lorgnette an.

»Tante Lori«, rief Alex, sichtlich froh über die kleine Unterbrechung, »sage – aber ganz aufrichtig – hast Du die französischen verbes geliebt und hast Du nie dabei gegähnt?«

»Das könnte ich nicht behaupten«, sagte die Komtesse lachend, »aber dran glauben hab' ich eben doch auch müssen. Wo steckst Du denn gerade, armer Kerl?« und sie beugte sich über Alex' Heft, wo in schiefen Strichen die schlimmen Zeitwörter mit den herrlichsten Krakelfüßen eingeschrieben waren.

»Puh, Lex, das sind böse Dinger, diese verbes! Da wird mir jetzt noch ganz übel, wenn ich wieder dran erinnert werde«, und sie schüttelte sich in komischer Weise bei diesen etwas unüberlegten Worten.

»O, nun sagst Du es selber«, brach Alex in vollem Jubel aus. »Und kein Kind auf der weiten Welt mag die Grammatik«, fuhr er, durch der Tante Worte ermutigt, fort, »und wenn die kleinen Franzosen so tun, als ob sie so etwas gern hätten, so sind sie keine rechten Buben, und« fügte er noch rasch mit einem Seitenblick auf die Erzieherin zu: »ein deutscher Junge täte so etwas nicht!«

Das Fräulein war mit flammrotem Gesichte aufgestanden und packte in erregter Hast ihre Arbeit zusammen. Die Komtesse hatte sich aber schleunigst aus dem Staube gemacht und war zu ihrer Schwester gegangen; sie mochte nicht weiter in die Schulstubengeschichten sich einlassen, denn ihrer ganzen sorglosen Natur war das Wesen der ältlichen, pedantischen Gouvernante zuwider.

Alex, der ein gutes Herz hatte, räumte mit einem etwas schlechten Gewissen die Bücher in den Schrank, dessen Türe die Französin dröhnend zuschlug, nachdem sie das große Wörterbuch, welches immer vor ihr lag, gleichfalls in ein Fach gelegt hatte. Sie sah nun die Arbeit der kleinen Jutta durch und tadelte eben die krummen Stiche an derselben, als ein junges Mädchen in das Zimmer trat.

Sie hatte ein hellfarbenes, frisches Waschkleid an, in knapper, einfacher Weise gemacht. Ueber diesem war eine zierliche schwarze Schürze gebunden, und um den schlanken Hals schmiegte sich ein leichtes, weißes, ins Dreieck gelegtes Tüchelchen. Zwei prächtige blonde Zöpfe lagen festgeknotet am Hinterkopf und überall strebten unter ihnen die krausen, lichten Härchen hervor, die sich nicht einzwängen lassen wollten.

»Die Genovefa kommt, räum' schnell Deine Sachen zusammen, Jutta, – ist Herr Gruber schon im Hause?« sagte Alex, der auf einmal ganz eifrig geworden war.

»Freust Du Dich auf die Stunde, Vefi? Heut' ist zuerst Geographie, da zeigt er uns auf der Karte die Berge, die man von der Brücke aus sieht, und sagt uns, wie sie heißen.«

»Und den Eibsee will er uns auch zeigen, Genovefa«, sagte Jutta mit großer Wichtigkeit, und beide Kinder schossen hin und her, um das Lernzimmer vollends in Ordnung zu bringen für den deutschen Lehrer.

Genovefa half mit, und als Herr Gruber, ein freundlich aussehender Mann mit blondem Vollbart ins Zimmer trat, setzte sich das Mädchen mit den Kindern auch an den Tisch und nahm an der Stunde teil, wie nun schon seit langer Zeit. Da Genovefa erwachsen war und hellen Geistes, so hatte sie die Kleinen in vielem schon längst überholt.

Der Lehrer wußte es geschickt einzurichten, ihre Aufgaben nach ihrem zunehmenden Verständnis zu erteilen, und er mußte wohl einen erfreulichen Erziehungsgegenstand an dem jungen Mädchen gefunden haben, dem Eifer nach zu urteilen, den er bei ihrer Belehrung zu Tage legte.

Die mademoiselle saß unterdessen in einer Fensternische an einem Arbeitstischchen und steckte sich ein Band und Blumen auf ihren neuen Sommerhut. Es mochte sie wohl verdrießen, daß sie nicht deutsch verstand, oder fiel ihr der Gegensatz mit der vorhergehenden Stunde auf, nun sie die Kinder so frisch und freudig lernen sah; ihr Gesicht wurde jedesmal recht ärgerlich bei den lebhaften, angeregten Fragen und Antworten der Viere dort drüben am Tisch und sie zog lange Fäden durch den krachenden Strohhut, auf dem die Schleifen durchaus nicht nach ihrem Geschmack sitzen wollten.

 ... Ja, es waren nun bereits zwei Jahre vergangen, seit das Veferl einstens mit ihrem Bündel in der Hand die heimischen Berge und den See verließ.

Sie hatte an jenem Morgen die Traudel noch bei Seite genommen und ihr ans Herz gelegt, doch ja gewiß für das Ahnl und die Kinder zu sorgen, und sie versprach ihr eine schöne Kette ans Mieder, wenn sie's tun würde. Die Großmutter hatte damals wenig mehr gesprochen, auch beim Abschiednehmen.

Nur als Vefi schon einige Schritte auf dem Weg gegen die Anhöhe hin gemacht hatte, da hob das Ahnl plötzlich den Arm, wies auf den Pfad hinauf und rief mit lauter Stimme: »Geh' furt, wenn D' mußt, ... aber dort 'runter wirst wieder kommen ... ins alte Nest ... ja, ja ...« und sie hatte sich bei diesen Worten umgedreht und war mit gebücktem Rücken in der Hütte verschwunden.

Pauli hatte oben an der Waldecke auf das Veferl gepaßt und wollte ihr noch das Geleite geben. Der Seppl aber und das Liserl liefen laut weinend rechts und links von dem Mädchen, und waren nicht wegzubringen, weder durch Drohen, noch Versprechen von seiten des Pauli.

»Ich trag' dem Veferl noch ihren Pack und i geb' ihn net her«, beharrte Seppl, und das Liserl hatte der Base Rock fest mit einer Hand gepackt und ließ sich ordentlich daran nachziehen, je mehr sie sich dem Badersee näherten.

Als die Häuser des Hotels schon in Sicht waren, wollte Pauli die beiden mit Gewalt fortschicken. Da brachen sie aber in ein solches Zetergeschrei aus, daß er ingrimmig einsah, daß da nichts zu machen sei. Da man sie alle nun schon von den Fenstern aus sehen konnte, so blieb ihm nichts anderes übrig, als Vefi eben einfach die Hand zu geben – nicht einmal zu einem Bussel reichte es mehr – sakra – und sie sagte:

»B'hüt di Gott, Pauli«, und er erwiderte: »B'hüt di Gott, Veferl!« Nur leise und rasch konnte er noch dem Mädchen zuflüstern:

»Sag' mir bloß oamal no, daß Du mir treu bleib'n willst!«

»I will, Pauli«, sagte Vefi freundlich nickend, während ihre Augen suchend vorwärts blickten.

»Also Dein Wort hast mir geb'n, das vergiß fei net!« so schieden sie voneinander und bald darauf war das Veferl in der Türe des Hotels verschwunden. ... –

Genovefa, wie sie nun meistens geheißen wurde, hatte sich bald in die neuen Verhältnisse gefunden. Die Reise und die verschiedenen Eindrücke vertrieben ihr schnell die doch etwas bangen Gedanken, die sie beim Fortgehen beschlichen hatten, und die Kinder wetteiferten und kamen sich äußerst wichtig vor, der Vefi alles zu erklären.

Die Wagenfahrt auf den schönen Polstern, dann die Eisenbahn und zuletzt der Anblick des Bahnhofs und der beleuchteten Stadt, in die man gegen Abend einfuhr, hatten Vefi zu den verschiedensten, oft urwüchsigen Ausrufen und Bemerkungen Veranlassung gegeben, bei denen sich die Komtesse herrlich unterhielt und die auch Baron Tettau und sogar dem Grafen manchmal ein herzliches Lachen entlockte.

Genovefa sah dabei einigemale ängstlich von einem zum andern, denn sie war sich nicht bewußt, etwas Dummes gesagt zu haben. Wenn ihr Blick aber dann auf das stets gleich freundliche, gütige Gesicht der Gräfin fiel, so war sie wieder beruhigt, und sie freute sich, wie die Bäume und die Häuser nur so an den Fenstern vorbeiflogen, – heidi – und sie durfte doch keinen Fuß dabei rühren und saß so weich, wie in einem Heuhaufen drinnen.

Als Genovefa am andern Morgen in ihrem guten, saubern Bette erwachte, wußte sie erst gar nicht, wo sie war, und sie meinte, das Ahnl müsse neben ihr liegen.

Viel Anlaß zum Lachen gab es, als sie vor das Haus lief und ängstlich nach dem Brunnentrog suchte, zum Waschen und wie sie erstaunte, daß man das in der Stube abmachen könne und daß hier das Wasser sozusagen durch das ganze Haus floß.

Am Abend ihrer Ankunft hatte das Villingen'sche Ehepaar noch eine längere Unterredung zusammen, Genovefa betreffend.

»Wie denkst Du Dir nun das weitere Leben des Mädchens, und welche Stellung willst Du ihm geben, Ruth?« hatte der Graf nach dem Nachtessen gefragt, während er sich eine Zigarre anzündete, sich in einem Schaukelstuhl niederließ und die während der Reise eingelaufenen Zeitungen und Briefe einer oberflächlichen Besichtigung unterwarf.

Die Gräfin hatte sich müde auf dem mit rehfarbenem Leder überzogenen Diwan des Eßzimmers ausgestreckt, während die Komtesse – welche, frühverwaist, ihr Heim bei den Geschwistern gefunden hatte –, noch am Eßtische saß und sich eine Orange schälte.

»In erster Linie möchte ich Genovefa einen Platz bei den Kindern anweisen, soweit sich dies machen läßt, wenn die mademoiselle wieder zurückgekehrt sein wird.«

»Freut mich für die dürre, gelbe Person, wenn sie mit jemand bei den Kindern rivalisieren muß«, warf die Komtesse ein und zerlegte die Orange behutsam in feine Schnitze.

»Die mademoiselle ist nicht so schlimm«, schaltete der Graf ein, »und wenn das Mädchen sich ihr so unterordnet, wie sich's gehört ...«

»Eigentlich soll sie das nicht«, sagte die Gräfin in etwas ängstlichem Ton und spielte mit den Quasten ihres weißen Hauskleides. »Eigentlich möchte ich Genovefa weniger die Stellung eines Dienstboten geben, als ...«

»Doch nicht die einer Dame oder gar einer Angehörigen des Hauses?« fragte der Graf, diesmal etwas ungeduldig. »Ich habe von Anfang an gefürchtet, Ruth, daß Du Dir die Sache nicht klar gemacht hast, – was sagst denn Du dazu, Lori?« und er sah über die feinen Rauchringe seiner Zigarre fragend zu der Schwägerin hinüber.

»Was ich dazu sage, wollt ihr wissen?« erwiderte die Komtesse und wischte sich ihre Hände an der kleinen, befransten Serviette ab, welche in der Ecke ein großes, gesticktes Monogramm mit Krone trug. »Mir kommt die Vefi vor wie eine junge Amsel, die man in ein Käfig setzen will. Manchmal singt so ein Vogel und gewöhnt sich dran, und vergißt, wo er gewesen ist, weil das Futter gut und der Käfig hübsch gebaut ist und er lernt Lieder nach der neuen Weise. Manchmal aber mag das Waldvögelein auch nichts wissen von dem neuen Singsang und es stößt seinen Kopf gegen das Gitter. Nun kommt es eben drauf an, zu welcher Sorte die Genovefa gehört. Im großen ganzen bin ich schon mehr dafür, die Vögel auf ihrem Zweig zu lassen.«

Die Gräfin hatte unruhig dem geführten Gespräch zugehört. »Ich glaube, ihr versteht mich beide nicht so ganz, wie ich möchte«, sagte sie ein wenig nervös. »Ich habe ja nur die allerbesten Absichten mit dem Mädchen und wünsche es glücklich zu machen. Ihr habt nicht – wie ich – mit angehört, wie reizend es mit den Kindern spielte, welch warmes und reines Gemüt sich da offenbarte und welch merkwürdig feiner Takt in diesem Naturkinde steckt.

»Und wenn ich dann sah, in welch unwürdiger Umgebung die Vefi lebte und wenn ich fühlte, mit welcher Liebe sie in Bälde an uns hing, so ist's doch kein Wunder, wenn ich versuchen möchte, dem Schicksal dieses seltenen Geschöpfes eine ganz andere Richtung zu geben. Genovefas eigener, sehnlicher Wunsch ist zu lernen. Den Kindern wird's eine Aneiferung sein, wenn sie an den Stunden teil nimmt.

»Dann aber möchte ich sie gerne persönlich um mich haben. Wenn sie weiter so willig ist, wie in den letzten Wochen, so kann sie Mina noch manches absehen, ehe diese im Herbst heiratet und sie kann dann an deren Stelle meine Bedienung übernehmen. Sie hat geschickte Finger und ohne eigentliche Anweisung hat sie mich in der letzten Zeit recht gewandt frisiert und mir beim Anziehen geholfen. Da denke ich, sie wird sich im Nähen auch rasch die nötige Fertigkeit aneignen.«

Wie die Gräfin es sich gewünscht und ausgedacht hatte, so war es auch mit der Zeit gekommen. So merkwürdig Genovefa im Anfang die Einrichtung und der ganze Gang des Hauses vorgekommen war, so daß sie sich zur Belustigung ihrer Umgebung nicht genug darüber verwundern konnte, so rasch wußte sie das Neue zu erfassen und mit sich selbst in Einklang zu bringen. All das Schöne um sie her versetzte sie in eine Art Entzücken, und sie, deren inniges Empfinden ihre ganze Kinderzeit hindurch unbewußt so tief unter der rohen Art des Ohm und der andern gelitten hatte, fühlte sich instinktiv glücklich in der feinen Art ihrer neuen Umgebung.

»Ich mein' alleweil, der Ohm müßt' mit etli'en Donnerwettern zur Stubentür' 'reinkommen, wenn es hier im Haus so still zugeht und alles so gut und liebreich miteinander spricht,« sagte sie einmal abends zu der Komtesse, die oft in der Dämmerung noch zu den Kindern herüberkam und dann gerne auch mit Genovefa sich unterhielt.

»Glaub' Du nur nicht, daß deshalb die Menschen besser sind, als bei Euch droben am See, weil sie eine feinere Redeweise haben,« sagte diese. »Wirst bald merken, daß ein Donnerwetter oft nicht das Schlimmste ist, dagegen eine schwüle Luft, die einen drücken kann, ohne daß man recht weiß, warum!«

Das sollte Genovefa recht bald im Verkehr mit den Dienstboten inne werden. Solange sie noch ihre Tracht trug und durch ihre Bemerkungen so viel Anlaß zum Lachen gab, belustigten sich dieselben über sie. Man rief sie in die Küche, und der alten Köchin machte es Spaß, ihr was Gutes zuzuwenden. Der Zimmerjungfer schmeichelte es, daß Genovefa ihr weißes Häubchen und ihre zierliche Schürze, auf die sie sich viel zu gut tat, unverholen bewunderte, und Jean, der Kammerdiener des Herrn Grafen, nannte sie Fräulein und bot ihr gleich am ersten Sonntag an, er wolle ihr die Stadt zeigen und den königlichen Park. Genovefas Herz war ganz gerührt von so viel Freundlichkeit und sie erzählte es am andern Morgen beim Ankleiden der Gräfin.

»Ich weiß nicht, was das ist, daß alle Menschen so gut gegen mich sind, und der Herr Jean will mich sogar in die Kamedi führ'n, hat er g'sagt – und nichts kosten soll's mich, hat er weiter g'sagt.«

Von da an suchte die Gräfin der Genovefa ihren ganz bestimmten Platz im Hause anzuweisen. Sie übergab ihr die körperliche Pflege der Kinder und ernannte sie zu deren Lern- und Spielgenossin; auch schlief dieselbe mit den Kleinen.

Da die Gräfin sie nicht mit den Dienstboten gleichgestellt sehen wollte, so verbot sie ihr den Aufenthalt in der Küche und im Gesindezimmer und ordnete an, daß sie mit der mademoiselle auf deren Stube zu essen habe.

Als nach einigen Monaten Genovefa in die Stelle der seitherigen Jungfer, welche neidlos gewesen und sie mit Gutmütigkeit noch einlernte, eingerückt war, da mußte Genovefa ihre Tracht ablegen und hatte sich in Zukunft einfach und geschmackvoll nach städtischer Weise zu kleiden.

Den Leuten im Hause wurde bedeutet, sie gleich der früheren Jungfer »Fräulein« anzureden; auch wünschte die Gräfin, ob der Kinder willen, daß Genovefa sich mehr und mehr den heimischen Dialekt abgewöhne. All' das kam allmählich, und des Mädchens willige, sich anpassende Natur hatte ohne zu große Mühe sich in die Wünsche ihrer Dame gefunden.

»Das Amserl singt ja bereits recht artig nach der neuen Weise«, hatte Komtesse Lori lachend gesagt, als sie Genovefas Versuche, hochdeutsch zu reden, hörte.

Aber nun begann das Mädchen auch bald etwas von dem zu fühlen, was die Komtesse einstens unter »Schwüle« verstanden hatte. – –

»Ich weiß nicht, was das ist, gnädige Komtesse«, sagte Genovefa einmal – es war nach längerer Zeit, seit sie in das Haus gekommen, – »ich geb mir doch alle Mühe, es der Frau Gräfin recht zu machen und die Herrschaften sind auch so gütig gegen mich. Aber die Leute im Hause sind anders geworden, als im Anfang. Ich mein' immer, daß sie mich nicht mögen, obgleich sie ins Gesicht ganz freundlich mit mir tun; aber ich spür's, daß es ihnen nicht so recht ernst ist. Ich mein', es wär' nicht so, wenn ich so recht tüchtig schaffen tät', aber so mag sie's wohl verdrießen, daß so ein armes Bauernmädel es gar so gut hat. Die mademoiselle versteht mich ebenso wenig, wie ich sie; doch ich merk's, daß sie bös' ist, wann die Kinder zu mir wollen. Nur der Herr Jean ist der einzige, der sich gleich geblieben ist«, schloß Genovefa und sah etwas bekümmert von ihrer Näharbeit zur Komtesse auf.

Diese hatte sich, wie sie gerne tat, auf die Seitenlehne des Kanapees im Kinderzimmer neben Genovefas Arbeitstischen gesetzt, hatte ein dort liegendes Scherchen ergriffen und zerschnitt in Gedanken ein daneben liegendes Nestchen Litze in kleine Stücke.

»Mach' Dir nichts aus den dummen Leuten, Veferl, und geh' Deiner Wege«, sagte sie dann plötzlich, und legte die Schere wieder weg. »Aber auf dem Jean seine Freundlichkeit würde ich an Deiner Stelle am wenigsten geben; halt' Dir den ferne, für den bist Du zu gut! Was ich Dir, Veferl, einmal für einen Schatz wünschen soll, das ist mir freilich unklar und muß sich erst mit der Zeit zeigen, wie das Amserl sich auswächst.« Die Komtesse hatte letzteres ernster, als sonst gesagt, und war rasch hinausgegangen.

Genovefa hatte ihre Arbeit in den Schoß sinken lassen und saß erschrocken da. Warum gab's ihr nur auch immer solch einen Stich ins Herz, wenn die Leute von einem Schatz sprachen? Hatte sie selbst denn wirklich schon einen und wie war das damals doch so rasch gekommen?

Das weiße Röckchen für Jutta, an dem Genovefa arbeitete, war ihren Händen entglitten. Sie bückte sich darnach und nähte dann wieder eifrig darauf los, wobei sich ihre Wangen immer röter färbten. –

Ja, der Pauli, wo mochte er jetzt auch nur sein und wie es ihm wohl in der fernen Garnison ging? Zweimal hatte er ihr geschrieben; das einemal, als er zur Aushebung mußte, nur kurz, nachdem Vefi selbst fortgegangen war.

Er richtete ihr Grüße vom Ahnl, das immer einschichtiger werde, und von den Kindern aus und berichtete, der Ohm komme immer seltener und »schiacher« nach Hause; er habe drum neulich dem Ahnl Holz in den Schuppen gebeugt, weils' der Ohm nicht tue – Genovefa hatte sich über diese Stelle gefreut – und dann schloß der Brief mit Versicherungen seiner: stets treuen und heißen Liebe.

Genovefa hatte hierauf nicht antworten können, da der Pauli vergessen hatte, seine Adresse beizufügen. Der andere Brief begann darum mit bittern Vorwürfen, warum ihm die Vefi nicht schreibe? Er sei nun im Regiment eingetreten und müsse tüchtig daran glauben.

»Und dabei muß ich auch immer daran herummachen, ob Du auch meiner gedenkest, geliebtester Schatz, bei den vornehmen Leuten; ich habe keine Ruhe und ich könnt' auf und davonlaufen, wenn ich denke, daß ein anderer Dir schön tun könnte, aber ich hab' Dein Wort und daran halt ich mich und bleibe Dein ewig getreuer Paul Reinhard. – N.-Schrift: Hier ist mein Bild, wie ich als Soldat aussehe, und Du mußt Dich auch bald für mich abphotographieren lassen.«

Genovefa öffnete die Schublade ihres Tischchens und holte das Bild, wie schon manchmal, hervor. Es stellte Pauli in der Uniform der Jäger dar; sein Gewehr hatte er angefaßt und sah so keck und trotzig darein, als wenn er am Eibsee zum Wildern ginge.

Genovefa seufzte – sie wußte selbst nicht warum – und legte das Bild wieder an seinen Ort. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie nicht gehört hatte, daß jemand eingetreten war, und sie fuhr erschreckt zusammen, als Lehrer Gruber ihr einen guten Tag wünschte. Dann aber stand sie rasch auf und sagte:

»Jesses, Marie, jetzt bin ich aber erschrocken! Ich glaub', ich hab' vor lauter Sinnieren auf die Stunde vergessen«, und schleunigst richtete sie die Lernsachen zusammen.

»Es sind noch einige Minuten, bis der Unterricht beginnt, und die kleinen Herrschaften sind wohl noch mit dem Fräulein spazieren gegangen«, sagte Herr Gruber, indem er sich in einiger Verlegenheit die Hände rieb. »Da reicht es gerade noch, daß ich Ihnen, Fräulein Genovefa, einen Gruß von meiner Mutter ausrichte. Ich habe ihr schon von Ihnen erzählt – Sie wissen ja, sie ist leidend – und sie nimmt so warmen Anteil an Ihnen. Weil Sie nun doch eigentlich gar keine Bekannten hier haben und weil Sie vielleicht am Sonntag doch nicht so recht wüßten, wohin, so läßt Ihnen meine Mutter sagen, es wäre ihr eine große Freude, wenn Sie einmal sie besuchen wollten.«

Herr Gruber hatte zuerst hastig, dann mit etwas stockender Stimme gesprochen und Genovefa stieg es ganz heiß auf, – wohl von dem schleunigen Ordnen und Richten. Sie hatte sich dann bei Herrn Gruber herzlich bedankt und ihm gesagt, daß sie gar gerne seine Mutter kennen lernen würde. –

Der erste Besuch wurde zaghaft ausgeführt, und etwas ängstlich von der andern Seite empfangen. Aber ein gegenseitiges Wohlgefallen trat ein, und so war es gekommen, daß Genovefa nun – nach zweijähriger Anwesenheit in der Stadt – immer heimischer ward in dem reinlichen, behaglichen Hinterstübchen der verwitweten Frau Reallehrer Gruber, wo ihr Kommen bei der kranken Frau stets große Freude hervorrief und wo Genovefa zum erstenmal in ihrem Leben einen geordneten, kleinbürgerlichen Haushalt kennen lernte.

Dem jungen Geschöpf war eine Erholung von Zeit zu Zeit wohl zu gönnen. Seit fast einem Jahre nun war die Gräfin leidend; sie mußte meistens liegen und Genovefa hatte die Pflege übernommen. War sie schon früher ihrer Herrin sympathisch gewesen, so hatte dieses Gefühl, seit das Mädchen ihr mit hingebender Liebe alles tat, noch zugenommen.

Genovefa's frische und doch ruhige Art tat den kranken Nerven wohl. Von ihr ließ sich die Leidende am liebsten vorlesen, was Genovefa nun mit Ausdruck und Verständnis vermochte.

Des Nachts, wenn die vielen schlaflosen Stunden kamen, so sprach sie nun auch manches mit dem Mädchen, das so treu und innig an ihr hing, und es tat ihr wohl, jemand zu haben, dem gegenüber sie sich offen und rückhaltlos geben konnte. Und für Genovefa waren diese Zeiten auch von manchem Segen begleitet. –

Wie viele Fragen, angeregt durch den Unterricht, durfte sie ihrer Herrin da vorlegen, wie klar und verständlich wußte ihr diese alles zu erklären, und wenn Genovefas Bildung eine gediegene, durchgearbeitete in solch kurzer Zeit geworden war, so verdankte sie dies auch dem Umgang mit ihrer Herrin.

Aber auch in seelischer Hinsicht konnte die Gräfin ihr als Vorbild dienen. Mit der rührendsten Geduld und christlicher Ergebung trug sie ihre Schmerzen und Leiden und die mancherlei inneren Anfechtungen, die solche mit sich brachten.

Es konnte Genovefa nicht verborgen bleiben, daß die Ehe des Grafen und der Gräfin keine sehr glückliche war, und mehr noch, als die körperlichen Schmerzen, quälte es die Kranke, ihrem Gatten so wenig sein zu können.

Mit der äußersten Anstrengung nahm sie sich deshalb in den seltenen Stunden, wo er an ihrem Lager erschien, zusammen, um sie ihm möglichst erträglich zu machen, und nur Genovefa allein wußte es, was nachher dieses mühsame Aufraffen kostete. Auch die Kinder hatte sie – so viel es sein konnte – bei sich, und nur, wenn sie gar zu lebhaft wurden, durfte Genovefa mit ihnen ins Nebenzimmer gehen.

»Ich meine, die Frau Gräfin tut zu viel«, sagte einmal Genovefa zu der Komtesse, als die Kranke nach einer Teestunde, in der sie aufs lebhafteste ihren Mann zu unterhalten suchte, fast ohnmächtig zusammenbrach. »Wenn's nur der Herr Graf auch wissen tät', wie furchtbar die Frau Gräfin sich um ihn abplagt. Aber so geht er fort und glaubt, daß alles in Ordnung ist, und da könnt' ich mich schon grad' genug drüber ärgern, wenn's auch nicht recht ist.« Genovefa nahm den kleinen silbernen Teekessel von dem Tischchen, um ihn hinauszutragen.

»Will sehen, wie's das Veferl einmal macht, wenn sie Frau Lehrerin oder so etwas geworden ist«, sagte Komtesse Lori mit absichtlicher Betonung und blickte Genovefa freundlich prüfend von der Seite an.

Diese war errötend hinausgegangen – wie konnte die Komtesse sie nur auch immer auf diese Weise necken! Sie ging auf ihr Zimmer, um geschwind eine Arbeit zu holen, an der sie im Dämmerlicht der Krankenstube weiternähen konnte.

Da sah sie auf ihrem Tischchen einen Brief liegen und das Herz klopfte ihr bei den bekannten Schriftzügen. Rasch riß sie ihn auf und las. Er enthielt nur die wenigen Worte:

»Ich habe heute meine feste Anstellung als Lehrer in H. erhalten. Es drängt mich, Ihnen, liebes Fräulein, dies mitzuteilen. Da meine Abberufung nun bald erfolgen kann, so bitte ich Sie, meiner Mutter und mir noch die Freude zu machen, den kommenden Sonntag Nachmittag mit uns zuzubringen. Wir möchten Ihnen erzählen von dem rosenumwachsenen Häuslein, das unser dort wartet und ich möchte Ihnen sagen dürfen, daß ich nur mit sehr schwerem Herzen an eine Trennung von Ihnen denken könnte. Ihr Georg Gruber.«

Atemlos hatte Genovefa den Brief durchflogen und ihr war kalt und heiß dabei geworden. Welch' warmen Anteil hatte sie in den letzten Monaten an Herrn Gruber's Vorbereitungen zur Prüfung genommen; wie hatte die Mutter fast von nichts anderem mehr gesprochen.

Sie wußte, daß er – nach Erteilung seiner Privatstunden – noch halbe Nächte lang aufgeblieben war, und sie hatte sich mit der Mutter gesorgt um sein schlechtes Aussehen.

Und dann war die neue Beunruhigung gekommen, – die vielen Mitbewerber, und ob es wohl auch reichen würde, – und nun war all' das glücklich vorüber, und sie hätte sich jetzt doch wohl mitfreuen müssen. Aber statt dem war ihr so bange und weh ums Herz, wie noch selten in ihrem Leben.

An was sie vorher kaum gedacht hatte, das war nun plötzlich in erschreckender Weise ihr klar geworden. Grubers zogen von hier fort, und zwar bald. Die traute Hinterstube, in der sie solch' fröhliche, glückliche Stunden erlebt hatte, würde sich zuschließen, und von der lieben, alten Frau in derselben, die ihr so gute Worte gesagt, sollte sie in den nächsten Tagen Abschied nehmen, wer weiß, auf wie lange – wer weiß, ob nicht für immer?

Und Gruber! Genofeva überkam's wie ein Schwindel und sie mußte sich an der Stuhllehne halten. Nun würden in Zukunft die Stunden bei ihm aufhören, die lieben Stunden, auf die sie sich von einem Tag zum andern freute. Nun konnte sie nimmer auf seinen Schritt horchen, den sie so gut kannte; nun sollte ein anderer an seinem Platze sitzen, von dem sie nichts wußte, und niemand würde ihr in Zukunft mehr so innig und warm einen guten Tag und Segen zur Arbeit wünschen, wie er.

Wie sollte das nur werden – Genofeva war's ja auf einmal, als ob es ganz dunkel um sie her würde. Mechanisch nahm sie den Brief noch einmal auf und las, Herr, mein Gott, was war nur das, am Schluß, daß Gruber davon sprach, daß auch ihm eine Trennung schwer fallen würde – Genovefa hatte das ja am Anfang ganz übersehen.

Immer und immer wieder las sie die Worte, und als sie zur Gräfin hinübermußte, steckte sie den Brief sorglich in die Tasche und als sie endlich, spät in der Nacht, einschlief, da sah sie in ihren Träumen, in milder, sonniger Gegend ein freundliches Häuschen, über und über umwachsen von Rosen. Und ein blonder Mann reichte ihr die Hand und sagte: »Willst Du zu mir kommen, Genovefa, hier ist's gut sein, ich hab' dich lieb!« ...

Heute war Sonnabend und in dem gräflich Villing'schen Hause wurde ein Fest gefeiert: die Verlobung der Komtesse Lori mit Baron Tettau, der nach langem, treuem Werben endlich das Jawort bekommen hatte. Die Komtesse war eine rasch denkende, selbständige Natur; der Baron hatte etwas Langsames, Schwerfälliges, aber sein Charakter war zuverlässig und echt bis in den tiefsten Grund hinein.

Der Gräfin war die Verbindung schon lange ein Herzenswunsch gewesen; konnte sie da doch ruhig in die Zukunft blicken, wenn für Lori früher oder später der Aufenthalt hier im Hause aufhören würde. Diese selbst war sehr rasch zu diesem Entschlusse gekommen, nachdem sie noch einige Wochen vorher von dem »guten Tettau« in etwas mitleidigem Tone gesprochen hatte.

Sei es, daß die plötzliche Abberufung eines jungen Gardeoffiziers, der sehr brillant, aber wohl nicht so »gut« war, hier hereinspielte, sei es, daß die Komtesse wirklich zu der Einsicht kam, daß des Barons Güte und gleichmäßiges, festes Wesen doch auch etwas wert seien: kurz, sie überraschte die Ihrigen eines Morgens mit der Nachricht, sie könnten nun ihrethalben Tettau mitteilen, daß er heute kommen dürfe. Der Graf, dem die Sache auch paßte, hatte geschrieben. Tettau hatte sich zur festgesetzten Stunde eingestellt, trotz seiner hünenhaften Gestalt bebend vor Erregung, und die Komtesse mochte wohl auch durchgefühlt haben, daß es um solch' langjährige, treue Liebe etwas Großes sei, denn es war mit beinahe ängstlichem, ungewohntem Ernste, daß sie ihre kleine Hand in die ihres künftigen Gatten legte.

Es waren zum Verlobungsessen die nächsten Freunde des Hauses eingeladen worden. Die Gräfin hatte alle ihre Kräfte zusammengenommen, um zu dem Feste aufzustehen, – die Freude hielt sie aufrecht. Genovefa hatte ihr in einem kleinen silbernen Becher Tokayer gereicht und nun war sie damit beschäftigt, ihre Herrin anzukleiden, und sie wieder einmal nach langer Zeit zu schmücken. Genovefa tat dies frohen Mutes.

In dem eleganten Ankleidezimmer lag die blaßgrüne, mit alten Familienspitzen besetzte Toilette bereit. Auf dem Perlmuttertisch mit dem silbernen Spiegel und den vielen kleinen, silbernen Büchsen war neben dem Schmuck, den die Gräfin anlegen wollte, ein geöffnetes Kästchen zurechtgestellt, das ein Armband aus lauter feinen, goldenen Kettchen enthielt.

Genovefa hatte der Gräfin eben das kostbare Kleid angelegt und freute sich im stillen, wie schön diese mit den etwas geröteten Wangen aussah, als die Komtesse den Kopf zur Türe hereinstreckte.

»O Ruth – endlich einmal wieder herausgerappelt und in voller Toilette – siehst Du, zu was Dich die Lori noch alles bringen kann«, und die jugendliche Braut, in duftiges Rosa gehüllt, trat in das Zimmer und hielt der Gräfin einen Strauß Rosen unter die Nase.

»Also, heut' wird verlobt«, sagte sie darauf in leichtem Ton und befestigte einige der Rosen an ihrem Gürtel. »'s ist eigentlich unverantwortlich, wieviel Mühe und Unruhe ich Euch mache. In der Küche geht's drunter und drüber, Gerhard hat mir seinen Klub opfern müssen und bespricht mit Jean im Eßzimmer die wichtige Weinfrage, und die armen Kinder drüben werden mit weißgewaschenen Kleidern und unbequemen Schärpen gequält und die mademoiselle lehrt sie einen französischen Glückwunsch für mich.«

Lori hatte sich, unbekümmert um die feinen Falten ihres Kleides, in einen Stuhl geworfen. Sie schien, trotz ihres frischen Wesens ein wenig müde zu fein und die Gräfin sah etwas besorgt die dunklen Ringe unter den Augen, die sonst so lustig blitzten. Ein paar Minuten war es stille im Zimmer. Genovefa eilte geräuschlos hin und her und befestigte mit geschickter Hand den Schmuck am Haar und Kleid ihrer Herrin. Diese ließ sich hierauf von Genovefa das Kästchen mit dem Armband reichen und übergab es dann ihrer Schwester.

»Laß Dir zum heutigen Tage ein Andenken von uns schenken«, sagte sie mit bewegter Stimme. »Du bist ja nicht nur mein Schwesterlein, sondern von klein auf mein liebes Kind gewesen, das Gott segnen möge immer und ewiglich!« Die Gräfin war bei diesen Worten aufgestanden und hatte die Schwester mit tiefer Bewegung ans Herz gedrückt. Komtesse Lori hielt den Kopf gesenkt auf das Schmuckstück in ihrer Hand und es zuckte ein verräterisches Etwas über ihr Gesicht. Dann aber richtete sie sich rasch in die Höhe und gab der Gräfin einen herzlichen Kuß.

»Ihr seid alle viel zu gut gegen mich, und Ihr müßt mir auch verzeihen, wenn ich das nicht so recht aussprechen kann, wie ich sollte. Heute in aller Frühe hat mich auch mein Bräutigam beschenkt, siehst Du«, und sie nestelte ein an einer Perlenkette sich befindendes Schmuckstück ab, und bot es der Gräfin hin. »Es ist alte Arbeit und ein Familienstück«, sagte sie und wies auf ein Spruchband, das quer über einen Wappenschild lief. »Es ist der Wahlspruch der Tettaus!«

»Zusammen für immer!« entzifferte die Gräfin und bewunderte den schönen Schmuck.

Genovefa hatte inzwischen den atlasgefütterten Umhang zurechtgelegt – die Gräfin fror ja so leicht, und während das Mädchen hin- und herging, sah es immer wieder von neuem seine liebe Komtesse an und dachte: »Wenn sie nur auch gewiß so recht von Herzen glücklich wird – nun ist sie eine Braut, eine wirkliche, richtige Braut« – und Genovefa sagte dieses Wort mehreremale leise und mit Ausdruck vor sich hin, indem sie das Taschentuch ihrer Herrin ergriff, um es mit der belebenden Essenz zu tränken, deren die Leidende so oft bei ihren Schwächeanfällen bedurfte.

»Zusammen für immer!« Warum war's der Vefi plötzlich, als habe sie ein Blitzstrahl getroffen, aber mitten ins Herz hinein? Warum zitterte das Fläschen in ihren Händen, daß sie es schleunigst niedersetzen mußte, und warum waren ihre Hände eiskalt und ihr Gesicht totenblaß, als sie der Gräfin fast geistesabwesend den Mantel um die Schultern legte? –

Und wie im Traume war's ihr den ganzen Abend, als sie helfend im Nebenzimmer stand, die blumen- und silbergeschmückte Tafel sah und die Reden hörte. Und wie sie später zuerst die vom Freuen müden Kinder, dann ihre Herrin zu Bette brachte, die, um das Fest nicht zu stören, sich ritterlich aufrechterhalten hatte, nun aber, mit glühenden Rosen auf den Wangen, fast zusammenbrach vor Erschöpfung.

Genovefa war noch lange im Krankenzimmer sitzen geblieben und erst spät in der Nacht suchte sie totmüde ihr Lager auf. Und es waren wirre Bilder, die sie verfolgten und ihr keine Ruhe gönnten! ... Draußen am See schien der Mond und ein Bursche sagte immer und immer wieder: »Du und ich gehören in Zukunft zusammen ... für immer« ... und das Mädchen, das dabei saß, sagte nichts, aber es ließ alles geschehen ... und der Bursche schwor ihr Treue ... und zwei Sternlein oben am Himmel sahen zu ... und er sagte wieder: »Mein g'hörst für immer und in alle Ewigkeit!« – Und der Bursche hatte sich seither darauf verlassen! Genovefa schauerte zusammen. –

Auf die zwei Briefe von Pauli war nur noch ein einziger gefolgt – sein Dienst nahm ihn in Anspruch und das Schreiben fiel ihm schwer – Genovefa seufzte auf, wenn sie an jenes Schriftstück dachte, wie mangelhaft und ungewandt war es gewesen. Es fiel Genovefa plötzlich wieder ein, daß es am Schluß hieß: »Mein Hauptmann ist mit mir zufrieden und ich kann hoffen, daß ich mit zwei Jahren wegkomme. Wenn ich dran denke, so könnte ich juchzen, und ich mein', ich könnt's schier nimmer abwarten, bis ich dich holen kann bei die fremden Leut'.« –

All' das war in den Hintergrund getreten vor anderm; es schien ja noch so lange bis dahin. Nun sprang Genovefa vom Lager auf und kramte in ihren Sachen. Hier war der Brief, – sie begann zitternd im Mondlicht das Datum zu lesen ... es war Herbst vorigen Jahres gewesen und jetzt war wieder Spätherbst und damit die zwei Jahre um!

Genovefa tanzten feurige Funken vor den Augen und sie lag wie im Fieber, ob des inneren Zwiespaltes. Hatte sie denn wirklich Treue gelobt? War ihr denn nicht das Gelöbnis eigentlich entrissen worden? Galt das, was sie im Unverständnis als halbes Kind noch beim Abschiede versprochen? Wie wäre es möglich, daß sie jetzt, mit ihrem veränderten Denken, ihren ganz andern Ansichten wieder in die alten Verhältnisse zurückkehren würde?

Wohl hatte sie manchmal eine Art Sehnsucht nach dem See und den Bergen überkommen; sie hatte treu und redlich dem Ahnl ihr Geld heimgeschickt und sie empfand sogar manchmal ein herzliches Verlangen, einen Besuch bei den ihrigen zu machen. Aber wieder ganz für immer bei ihnen zu sein, deren Anschauungen und Begriffe nun völlig andere als die ihrigen waren. Nein, Nein tausendmal Nein! – Das war nicht möglich, das wäre Sterben gewesen, und das Leben war doch gerade jetzt so besonders hell und schön und das junge Herz verlangte so heiß nach dem sonnigen Glück, das ihm winkte.

»Ich will morgen an den Pauli schreiben offen und klar, und ihm sagen, wie's mir ist, und ihm dartun, daß auch er nun und nimmer mit mir glücklich werden könnte, dann wird er mich freigeben!« Dieser Entschluß beruhigte Genovefa ein wenig.

Bis in den Morgen hinein dachte sie sich in Gedanken die Worte, die sie ihm schreiben wollte und als der Tag anbrach, stand sie auf und hatte angefangen zu schreiben; aber da war sie vor lauter Denken wieder darüber eingeschlafen und als sie mit müdem Kopf erwachte, war es die höchste Zeit, zu der Frau Gräfin hinüberzugehen.

Eine mild wärmende, bis ins Herz hinein wohltuende Oktobersonne leuchtete über die Stadt. Es war Sonntagnachmittag. Genovefa war am Morgen mit dem Kindern in der Kirche gewesen, was stets ihr Amt war, da die mademoiselle kein Deutsch verstand.

Die Stille und Sammlung ihres Gemüts in den hohen, feierlichen Hallen tat ihr wohl. Sie hatte im Umgang mit der Gräfin gelernt, ihre Sorgen vor den himmlischen Vater zu bringen, und sie glaubte nun getrost und mit gutem Gewissen heute abend ihren Beschluß ausführen zu können. »Dauern tut er mich schon, der gute Pauli,« sagte sie sich, »aber er wird sich mit der Zeit schon trösten – vielleicht ist's ihm inzwischen auch anders gekommen, – und wird's einsehen, wenn ich ihm so aufrichtig alles sag'!« und damit brachte sie ihre Gedanken endlich zur Ruhe.

Nun war Genovefa auf dem Wege zu Frau Gruber und alle Sorgen der Nacht und des Morgens waren in den Hintergrund getreten, wie sie in die liebe, wohlbekannte Stube eintrat und von der alten Frau so herzlich bewillkommt wurde.

Draußen auf den Straßen war es heute so lebhaft und bewegt gewesen, denn jedermann wollte den schönen Herbsttag noch benützen, um ins Freie zu eilen; Genovefa hatte sich auf dem Gehweg fast durchdrängen müssen.

Hier innen wirkte die Ruhe am zierlich hergerichteten Kaffeetisch um so wohltuender. Genovefa war auf das alte, mit großgeblümtem Kattun überzogene Kanapee genötigt worden; sie hatte Frau Gruber ihre herzlichsten Glückwünsche zur gut bestandenen Prüfung ihres Sohnes, wenn auch etwas befangen, ausgesprochen, wobei ihre Augen mit einigem Befremden auf den nur mit zwei Tellern und Tassen gedeckten Tisch fielen.

»Ja, denken Sie nur, Kindchen, mein Sohn hat sich heute vergeblich auf den Nachmittag gefreut und er ist vorhin so ärgerlich fortgegangen, wie ich's gar nicht von ihm gewöhnt bin.« – Genovefa kam's auf einmal vor, als ob die Stube lange nicht mehr so nett aussähe und der Kaffee nicht mehr so behaglich dampfe und dufte, wie noch vorhin.

»Es wurde von seinen Kollegen für heute nachmittag ein kleiner Abschied für ihn veranstaltet«, fuhr Frau Gruber fort, »und dem konnte er sich natürlich ohne triftigen Grund nicht entziehen.«

Genovefa fiel es auf einmal wie Zentnerlast aufs Herz, daß dies der letzte Sonntagnachmittag in diesen Räumen sei, daß sie auf solche Weise Herrn Gruber, der bereits bei der Gräfin seine Stunden abgesagt hatte, nur noch beim allgemeinen Abschied sehen würde, den er wohl im gräflichen Hause nahm, und sie war sehr blaß geworden.

Frau Gruber machte sich mit Einschenken des Kaffees aus der blank geputzten Blechmaschine zu schaffen und legte dann dem Mädchen in fürsorglicher Weise ein Stück von dem frischen, selbstgebackenen Kranz auf den Teller. Erst nach einigen Minuten, als auch die eigene Tasse gefüllt war, und die kleine, weiße Katze sich schnurrend auf ihrem Lieblingsplatz hinten am Kanapee niedergelassen hatte, sah Frau Gruber Genovefa mit ihrem lieben, alten Gesicht so mütterlich an und sagte:

»Sie müssen nun eben mit der alten Frau fürlieb nehmen, Vefi, und sich's gefallen lassen, daß diese Ihnen recht von Herzensgrund dankt für die viele Freude und Sonnenschein, die Sie in den vergangenen Jahren ihr ins Haus gebracht haben! Wenn ich dran denk', was Sie mir gewesen sind in meinem langen Kranksein! Und in der letzten Zeit, wo mir wieder wohler geworden ist, hab' ich mich erst recht gefreut, wenn ich Ihre liebe, frische Stimme draußen hörte ... Wie herzlich vergnügt waren wir doch oft zusammen, gelt? Ich mag mir's nicht verstellen und kann's auch nicht glauben, daß das alles so auf einmal ein Ende haben soll«, und sie blickte, ein bißchen ängstlich forschend, über die Brille hinüber nach dem jungen Mädchen.

Genovefa saß mit verschlungenen Händen neben ihr und senkte die Augen. Tiefschwarz hoben sich die Wimpern von dem bleichen Gesichtchen und um ihren Mund lag ein fremder, fast herber Ausdruck. Die alte Frau schien davon nicht gerade beunruhigt zu sein.

»Genovefa!« begann sie wieder nach einer kleinen Pause, und sie strich dabei mit ihrer alten, runzligen Hand über das rot und weiß gewürfelte Kaffeetuch, das doch schon vorher kein Fältchen aufzuweisen hatte. »Genovefa, mein Sohn hat mir aufgetragen, Sie zu fragen, ob er Sie wohl heute abend gegen 6 Uhr zu Hause treffen würde? Von seinen Freunden wird er wohl um 5 Uhr fortgehen können; morgen hat er sich zu melden und sonstiges zu tun, da möchte er sich heute noch bei der Frau Gräfin und den Kindern verabschieden.«

»Aber ich soll Ihnen sagen«, fuhr Frau Gruber fort, und das ängstliche Hinüberschielen nach des jungen Mädchens Gesicht begann von neuem, »daß mein Sohn Sie noch allein sprechen müsse, und daß es von Ihnen abhänge, Genovefa« – und die Stimme der alten Frau zitterte bei diesen Worten, »ob die ganze Prüfung und die gute Stelle und das Lehrerhäuschen mit dem Blumengarten davor, ihn so recht von Herzen freuen könnten, oder ob er betrübten Sinnes und heimwehkrank mit der alten Mutter allein in das neue Heim einziehen müsse!«

Genovefa hatte bei der Wendung des Gesprächs ihren Ohren kaum getraut, und als Frau Gruber ihre beiden Hände erfaßte, und ihr so mütterlich gut und fragend in die Augen schaute, da war eine Glückseligkeit über sie gekommen, wie noch nie.

Mit geröteten Wangen und strahlenden Auges beugte sie sich über die alten Hände, sie zu küssen; Frau Gruber wußte nun genug. Sie zog ihr dieselben weg und drückte das ganze Mädchen aber dafür um so inniger an sich, daß das weiße gefältete Häubchen, das sonst so tadellos saß, nachher ganz zerknittert und schief war.

»Nicht wahr, Kindchen, ich habe eigentlich noch nichts gesagt, die Hauptfrage, die muß der Georg tun. Nein, wie wird's dem zu Mute sein, wenn er heute abend heimkommt! Wenn ich an sein ernsthaftes Gesicht denke, wie er fortgegangen ist.

»›O Mutter‹, hat er gegrübelt, ›ich kann nicht dran denken, wenn die Genovefa mich nicht wollte!‹ Aber ich sage ihm nichts, wenn er kommt, nein bewahre, – nur ein ganz klein bißchen laß' ich ihn merken, was Du für ein Gesicht gemacht hast!« so plauderte Frau Gruber in der hellen Glückseligkeit durcheinander.

»Siehst Du, Kindchen«, sagte sie weiter, und nahm das kleine Kätzchen, das sich miauend zwischen sie und Genovefa gedrängt hatte, auf den Schoß, um es zu streicheln, »siehst Du, was der Georg für ein Prachtsmensch ist, das kann ich Dir erst später so recht von Herzen sagen. Von sechs Kindern ist er mir allein übrig geblieben, und es war gerade, als ob er von klein auf wüßte, was er mir zu ersetzen hat.

»Und als mein Mann starb und alles so dunkel vor mir lag, da sagte er: ›Mutter, ich will schon für Dich sorgen‹, und er hat's nach Kräften getan, obgleich er dazumal erst 14 Jahre alt war. Und glaub' Du nur, wer ein solch' treues Herz für seine Mutter hat, bei dem bekommt es eine Frau auch einmal gut«, und Frau Gruber schob das Kätzchen auf die Seite, um ihr Tuch holen zu können, denn die dicken Tränen liefen ihr herab.

Genovefa hatte mit tief bewegtem Herzen zugehört; vor ihr stieg ein Glück auf so schön und so licht, wie sie es kaum zu träumen gewagt. Ein Mann, dessen Liebe sie selig machte, an dem sie hinaufsehen und von dem sie zeitlebens lernen konnte, gute, geordnete Verhältnisse in Frieden und Eintracht, und noch dazu ein goldiges Mutterherz, das sie so lange Jahre entbehrt hatte! Eine Mutter! Genovefa atmete tief auf und sagte dann, fast heftig:

»Wenn ich Euch nur auch mehr bieten könnte, Mutter, das ist's, was mich drückt! Euer Sohn hätte ja die beste Frau verdient, die es gibt, und in jedem rechten Bürgerhause wäre er hochwillkommen gewesen. Und nun denkt er an solch' eine arme Dirn', die keine Verwandtschaft und sonst nichts auf der weiten Welt hat, als ihren guten Willen. Aber so wahr, als ich wünsch', daß mein armes Mutterl selig ist, und so gewiß, als ich glaub', daß sie mir dies Glück im Himmel erbittet hat, so gewiß will ich Euch die Händ' unter die Füß' legen und Euch mein Leben lang danken, daß Ihr so gut gegen mich seid!«

Als Genovefa gegen Abend sich von Frau Gruber getrennt und heimwärts ging, war der schöne blaue Himmel von Wolken umzogen. Der Wind hatte sich gedreht und ein feiner Sprühregen kam ihr entgegen. Genovefa nahm sorgfältig ihr feines blaues Sonntagskleid, das sie erst kürzlich von der Gräfin bekommen, zusammen und hielt ihren Sonnenschirm schützend über den runden Strohhut, unter dem die dicken, blonden Flechten kaum Platz hatten.

Mit frisch geröteten Wangen strebte sie erwartungsvoll vorwärts; mußte sie sich ja doch beeilen, um zur rechten Stunde zu Hause zu sein. In der Nähe desselben begegneten ihr die Villing'schen Kinder, welche zur Schokolade bei kleinen Freunden geladen waren, und sie flogen sofort auf Genovefa zu.

»Seid Ihr denn allein?« fragte diese erstaunt, indem sie Jutta auch noch zu sich unter ihr Schirmchen zog während Alex tapfer im Regen nebenher lief.

»Die mademoiselle hat uns abgeholt, aber sie ist noch nebenan zu ihrer Freundin gegangen und hat gesagt, wir sollten nur einstweilen vorausgehen«, sagte Jutta und schmiegte sich enge an Genovefa.

»Ich bin froh für jeden Augenblick, wo sie weg ist«, sagte Alex und trat dabei mit Nachdruck und sichtlichem Vergnügen mitten in eine kleine Wasserpfütze hinein, die gerade nicht an seinem Wege gelegen war.

Genovefa mußte lachen, sie nahm sich aber zusammen und sagte in freundlicher Weise: »Vielleicht ist's der mademoiselle auch wohl, ihren bösen Buben auf ein klein bisserl los zu haben!« Sie blickte Alex aber dabei trotz eines schelmischen Zuges sehr liebreich in die Augen.

»Das kann sein«, brummte Alex und spähte dabei wieder nach einem kleinen Wassertümpel aus, »aber warum schimpft sie auch immer über alles, was deutsch ist, und setzt fortwährend mich und meine Kameraden herunter?« –

Bums war er bei diesen Worten wieder in eine Pfütze getreten, so daß ein Mann mit einer Soldatenmütze, der ein Bündel trug und wie etwas erwartend oder suchend auf dem Gehweg stand, sich schnell an das Haus hindrücken mußte, um nicht bespritzt zu werden.

Sie waren inzwischen an der Villing'schen Haustüre angekommen. »Du tätest Dich auch wehren, Vefi, wenn jemand Dir Deine Eibseekinder schlecht machen wollte«, sagte Alex noch im Hineingehen, wärmend Genovefa sich und Jutta noch pünktlich die Sohlen reinigte, ehe sie hinter dem Portal mit den Löwenköpfen, das sich dröhnend hinter ihnen schloß, verschwanden.

»Jetzt möcht i nur glei wissen, ob mi der Teufel reitet oder ob das wahr ist, daß das Fräul'n mit dem schönen G'wand das Veferl war und keine andere«, murmelte der Bursche mit dem Bündel in der Hand, der noch immer dastand und die letzten Worte der Kinder auch gehört hatte. »Vom Eibsee haben 's g'sprochen und die Augen und die Stirn und die widerspenstigen Haar'ln von dem Veferl sind's g'wesen, aber das sonstige Aussehen paßt net. Aber ›Villingen‹ hat sich der Graf g'schrieben, wo sie deant und der nämliche Nam' steht da an der Glock'n. I mein' schier, ich könnt' sicher gehen, daß das das richtige Haus ist! – Herr Gott, wann ich mir die Freud' ausmal', die das Veferl haben wird, wann's mi so plötzli und unerwartet dastehen sieht – und i kann's schier selber nimmer erwarten.

»Jetzt laß i's bloß noch ein weng dunkler werden und trink' einstweilen ein Bier da drüben im Wirtshaus und hernach werd' i schon jemand finden, der mir's herunterruf'n tuat, mei Veferl«, schloß der Bursche, und seine rauhe Stimme klang bei diesen Worten ordentlich weich, während er quer über den Platz auf ein Wirtshaus zuschritt, das ein wagrecht heraushängender Tannenbaum als ein solches kennzeichnete.

Genovefa war inzwischen mit den Kindern die mit breiten roten Plüschläufern belegte Treppe hinaufgegangen. Sie half ihnen beim Ausziehen, hängte das schöne hellblaue Sammetmäntelchen der kleinen Jutta sorglich in den Schrank und band ihr über das ausgeschnittene, gestickte Kleid eine frische weiße Schürze.

Die Kinder so recht schmuck und sauber zu sehen, war Genovefas größte Freude. Dann brachte sie die Kleinen zu der Gräfin, die seit dem Verlobungstag wieder meist liegen mußte, meldete sich bei dieser als heimgekommen und dann erst konnte sie in Ruhe noch ein Stündchen auf ihr Zimmer gehen.

Was war alles geschehen, seit sie zuletzt in diesem Raum gewesen und war's denn möglich, daß Georg jetzt kommen sollte und ihr selber sagen ... – Genovefa war's, als müsse sie einen Juchzer ausstoßen, wie einstens in der Heimat, hoch oben in den Bergen.

Ihr Blick, als sie ordnend umherging, fiel auf ihr Schreibbuch und auf den heute früh angefangenen Brief. Jetzt, in diesem Augenblick, konnte auch er ihr Glück nicht stören und es war nur in weichem, mitleidigem Tone, als sie vor sich hin sagte: »Armer Pauli! Ich kann Dir nicht helfen, heut' ist's jetzt zu spät, aber morgen muß der Brief fort, daß mein Herz und Gewissen frei sind«, und dabei nahm sie das Schreiben und verschloß es fest in ihrer oberen Schublade.

Unterdessen war Herr Gruber gekommen – er hatte die Gräfin vorher fragen lassen – und sie empfing ihn mit den Kindern, müde auf einem Ruhesofa in ihrem Zimmer liegend. Sie, die den tüchtigen Mann sehr schätzte, dankte ihm in den herzlichsten Worten für die große Mühe, die er sich mit seinen Zöglingen gegeben und ließ sich von seinen neuen Aussichten erzählen.

Herr Gruber seinerseits hatte auch seinen Dank für alle erwiesene Güte dargebracht. Die Kinder hatten ihm als Andenken ihre Bilder in hübschen Rahmen »und das der Vefi, die da doch auch dazu gehörte«, wie sie sagten, übergeben und er hätte gehen können, aber er stand noch einen Augenblick verlegen mit dem Hute in der Hand da.

»Haben Sie mir noch etwas zu sagen, lieber Herr Gruber?« fragte die Gräfin. Dann, als ob sie ahnte, was kommen könne, schickte sie die Kinder unter irgend einem kleinen Vorwand hinaus.

Gruber nahm seinen Mut zusammen. »Es ist nur, daß ich Euer Gnaden um Erlaubnis bitten möchte, ein paar Worte mit Fräulein Genovefa allein sprechen zu dürfen«, und sein ehrliches, echt deutsches Gesicht mit den guten blauen Augen sah so fest und männlich aus, wenn auch die Stimme bei seinen Worten etwas zitterte.

»Sie werden Genovefa in ihrem Zimmer finden«, sagte die Gräfin und reichte dem vor ihr stehenden Mann herzlich die Hand. »Gehen Sie zu ihr und versuchen Sie in Gottes Namen Ihr Glück. So ungern ich meine Genovefa entbehren würde, so wüßte ich sie doch bei niemand lieber, als bei Ihnen. Es ist schon lange ein Herzenswunsch von mir, daß es so kommen möchte!« –

Die Gräfin legte sich bewegt und erschöpft in ihre Kissen zurück, denn alles machte sie müde und griff sie an. Herr Gruber ging. Vor der Türe des Nebenzimmers hörte er Stimmen und hielt einen Augenblick inne. Es waren die Kinder, die, wie so oft, zu Genovefa gelaufen waren, mit der sie sich am besten unterhielten. Und diese wußte aus Erfahrung, daß es nicht so leicht war, die kleinen Quälgeister loszukriegen, besonders an einem langweiligen Sonntagabend. Genovefa trat deshalb rasch entschlossen, als es klopfte, heraus und schloß die Türe wieder hinter sich, während sich die Kinder innen mit einem Legspiel unterhielten.

»Ich möchte gern auch von Ihnen Abschied nehmen, Fräulein Genovefa«, sagte der junge Lehrer mit bewegter Stimme und reichte ihr die Hand. »Leider sehe ich, daß mein Wunsch nicht erfüllt wird, Sie allein sprechen zu können«, fuhr er fort, und machte dabei ein Zeichen nach der Türe.

Genovefa sah sich in dem Vorplatze um. Er war wie eine Stube eingerichtet, mit alten geschnitzten Möbeln, und dort in der Ecke stand zwischen grünen Blattpflanzen eine eichene Bank, fast wie zu Hause in der Hütte.

»Wir können uns dort setzen, wenn Sie es wünschen«, sagte sie mit klopfendem Herzen, und bedeutete Herrn Gruber, ihr zu folgen. Sie wußte, daß sie da ganz allein waren, denn die Dienstmädchen hatten ihren Ausgang und Jean kam des Sonntags nie vor sieben nach Hause.

»Meine Mutter hat Ihnen heute nachmittag von meinen Wünschen gesprochen, Genovefa?« sagte Herr Gruber mit mühsam gedämpfter Stimme und sah dem jungen Mädchen dabei ängstlich fragend in die Augen.

Beide waren in großer Befangenheit stehen geblieben. Des Mädchens eine Hand stützte sich auf den eichenen Tisch, während die andere verlegen mit den Blättern einer Zimmerpflanze spielte. »Sie hat mir erzählt, daß sie es getan hat, Genovefa, als ich vorhin in Eile vorüberkam«, fuhr Herr Gruber fort. »Und nun möchte ich Ihnen selber sagen, wie teuer Sie mir sind und wie lieb ich Sie habe! ...

»Meine Jugend war ernst und sorgenvoll – seit ich Sie, Genovefa, habe kennen lernen, weiß ich, was Glück und Sonnenschein ist! Aus ihren lieben Augen habe ich herausgelesen, daß es noch etwas anderes, als strenge Arbeit und Pflichterfüllung gibt, und es war meine Herzenswonne, zu sehen, wie sich Ihre Seele immer mehr dem Schönen und Edlen erschloß.

Ihre Fragen regten mich zum Denken an und Ihr frommer Kinderglaube, in dem Sie sich Kraft zur täglichen Arbeit holten, tat mir so wohl in Stunden des Zweifels! ... Ich soll nun von hier scheiden, Genovefa, und in ein neues Leben treten und mein Herz und meine Gedanken bleiben doch zurück! Wollen Sie dieses Leben mit mir teilen, Genovefa, und meine Hilfe und mein Augentrost sein?«

Durch Grubers Stimme klang eine mächtige, innere Bewegung, während er Genovefas beide Hände ergriffen hatte und ihr fragend in die Augen sah.

Das Mädchen bebte vor innerem Glück und Seligkeit. Ja, das war es, wonach ihr ganzes Wesen verlangt hatte. Hier, bei dem Mann, den sie liebte und verehrte wie keinen anderen, fand ihre Seele Halt und Genügen und eine Friedensheimat für Zeit und Ewigkeit. Genovefa rang noch nach dem rechten Wort, aber ihre mit Tränen gefüllten Augen sprachen um so beredter und Gruber zog sie in tiefster Glückseligkeit an sich und küßte sie auf die Stirn.

In diesem Augenblicke war die Flurtür ganz leise aufgegangen und im Ausgehanzug, die kleinen schwarzen Augen starr auf sie gerichtet, stand die mademoiselle vor dem erschreckten, wie bei einem Unrecht ertappten Paar und sah es von oben bis unten erstaunt an und hinter ihr erschien Jeans aufdringliches Gesicht.

»Ah, ick kommen 'ier sehr ungeschickt«, und ihre Blicke durchbohrten fast die beiden, »'ier ist, glaube ick, eine Privatlektion und mademoiselle Genovefa werden kein sehr großen Freude 'aben, wenn ick ihr ausrichte, daß unter dem 'aus ein swarze Mann auf sie wartet, der sagt, er sein ihr Schatz und sie solle nur kommen zu ihm an die nächste Straßenecke! Aber die Mann wird wohl gewiß sein in die Irrtum«, sagte sie und zog in bedauernder Weise die Augenbrauen in die Höhe, »und monsieur Jean wird sick gewiß macken ein Vergnügen daraus, diese freche, swarze Herrn Pauli, wie er sich 'eißt, davonzujagen.«

Jean trat bei diesen Worten diensteifrig vor und es lag ein teuflischer Ausdruck um seinen Mund, als er sagte: » Fräulein Genovefa«, – er betonte stets das Fräulein in spöttischer Weise – » Fräulein Genovefa wird wohl am besten wissen, ob sie nicht vorzieht, mit dem Mann, der scheint's keinen Spaß versteht, selbst zu verkehren. Für eifersüchtige Wilderer sind mir meine Knochen zu lieb«, und er spielte nachlässig mit den Talmi-Anhängern an seiner Uhrkette.

»Genovefa, was soll das alles heißen«, sagte Herr Gruber in großer Bestürzung und sah voll Schrecken das junge Mädchen an, das totenblaß geworden und sich kaum mehr an der Tischkante halten konnte. »Wenn Du willst, so gehe ich hinab und stelle den Mann zur Rede, der ...«

»Nein, o nein«, schrie Genovefa bei diesem Anerbieten beinahe auf und hielt Gruber in sichtlicher Angst an dem Arm. »Aber so will ich ihn heraufrufen. Es ist wahrscheinlich ein Mann aus Deiner Heimat, der Dich besuchen will, vielleicht ein Jugendbekannter?« sagte er fragend und mit einigem Kummer auf seinem Gesicht. Genovefa gab keine Antwort, denn sie horchte mit qualvoll geschärften Sinnen auf eine Stimme, die sich im Hausgang erhob und auf die der Pförtner erregt antwortete.

»Wollt 's Oes mi' reinlass'n oder net?« hörte sie in den alten bekannten Tönen. »Wenn das schiache, kuriose Frauenzimmer mit der spitzigen Nas'n net ausrichten ka', um was i' sie bitt' hab', so muaß i schon selber schaug'n, wo mein Veferl steckt. I bin koa Schatz net, den's freut, wenn er eine halbe Ewigkeit lang warten muaß!« und die Stimme näherte sich, trotz der Gegenrede des Hausmeisters, der Treppe.

Genovefa, fassungslos wie sie war, überfiel ein jähes Entsetzen. Sie kannte Pauli in seiner stürmischen Art. Wenn er hier heraufkam, unvorbereitet und in dieser Stimmung, so war alles verloren! Er würde sofort seine Rechte geltend machen; sie müßte ihn den Anwesenden vorstellen und was würde er sagen, wie würde er sich benehmen – das konnte, das durfte nicht sein!

»Bleib' unten, Pauli, i kimm scho!« rief sie angstvoll über das Treppengeländer und bediente sich unwillkürlich wieder des alten Dialekts. »Grüßen Sie Ihre Mutter«, sagte sie noch in verlegener Hast zu Herrn Gruber und war dann die Treppe hinuntergeflogen, die verdutzt Dreinschauenden hinter sich lassend.

»Das sein eine ganz kuriose Affaire mit diese monsieur Pauli und es ist sehr, sehr sonderbar von mademoiselle Genovefa, zu laufen an die Abend, wenn es dunkel ist, 'inaus zu die 'aus, mit ein fremde Mannsleut«, und die Französin hob mit sittlicher Entrüstung ihre Hände, als wolle sie etwas ungewohnt Schreckliches von sich abwehren.

»Sie hören ja, mademoiselle, daß das kein fremder Unbekannter für die Fräulein Genovefa ist«, sagte Jean und rieb sich dabei kichernd seine kurzen fetten Hände. »Das ist so einer, den man wohl vom Fensterln her kennt und ...« ein zornerfüllter Blick Herrn Grubers machte Jean mitten in seinem Satze verstummen.

»Wählen Sie Ihre Worte«, sagte dieser mit drohender Gebärde, »und vergessen Sie nicht, daß Fräulein Genovefa unter meinem Schutze steht«, und der junge Mann ging, bebend vor innerer Aufregung, aber festen Schrittes die Treppe hinab.

Er hoffte, Genovefa noch unten zu treffen und eine Lösung ihres rätselhaften Benehmens zu bekommen; aber weder unten im Hauseingang, noch auf der Straße war eine Spur von dem Mädchen zu entdecken und mit eigentümlich beklommenem Herzen lenkte Herr Gruber seine Schritte heimwärts.

Es war ein dunkler, nasser Oktoberabend. Leise und melancholisch träufelte der Regen auf die gelbgewordenen Blätter der kleinen städtischen Anlagen, welche unweit des Villingschen Anwesens sich befanden und wohin Genovefa in fieberhafter Hast Pauli gezogen hatte – nur fort, hinweg – möglichst weit weg von dem Hause.

Krampfhaft hatte sie Pauli bei der Hand gefaßt und dieser hatte alles mit sich anfangen lassen. Jetzt aber hielten sie beide hochaufatmend inne und des Burschen ganze, lang verhaltene Liebe und Leidenschaft brach durch, als er Genovefa in die Arme schloß und sie zu sich nieder auf eine Bank zog. Das Mädchen widerstrebte, aber sie mußte es leiden und sie war überdies starr vor Schrecken und Erregung.

»Endli' ist's wahr worden, mei' Veferl, daß i Di wieder hab' und das ist ein Glück, daß mir's das Herz schier auseinanderdruckt! Jesses, hab' i heut' früh gedacht, wie i die Montur auszogen hab', wie ist's auch mögli, daß Du den ganzen Tag herumbringst, denn auf den Abend, hab' i mir denkt, kann's Veferl am besten von der Arbeit weg und dunkel hat's aa wer'n müassen, daß i mei Schatzerl doch einmal wieder so recht fest abbusseln ka'!«

Genovefa rückte bei diesen Worten möglichst von Pauli weg, was er aber nicht beachtete und ihn nicht hinderte, sie mit weiteren Liebkosungen zu überschütten.

»Siagst Veferl, an die Stund' hab' i denkt, all die lange Zeit her, wo s' mi' 'plagt haben und schikaniert beim Militär. Aushalten will i, hab' i mir g'sagt, und einen guaten Abschied verdeanen will i mir, weil's mei' Veferl freuen wird, und brav bin i aa bliab'n um Deinetwillen, und das will viel heißen unter die Soldat'n«, sagte er und lüftete seine Mütze, um sich die nassen, schwarzen Haare aus der Stirne zu streichen, denn der Regen rieselte beharrlich nieder.

Genovefa war es zumute, als träfen sie all diese Worte wie Pfeile ins Herz.

»O Pauli«, sagte sie ängstlich, indem sie vergeblich versuchte, die eine Hand des Burschen loszumachen, die sich um ihre Hüfte gelegt hatte, »ich bitt' Dich, hör' auf«, und sie schauerte zusammen unter einem Sprühregen, der von einem der überhängenden Zweige sich über sie ergoß.

»Aufhör'n soll i und hab' doch grad erst ang'fangen, mit Dir zu plauschen, dalkete Dirn Du? Dös war' schö, wo mei' Herz doch so voll ist, daß i die ganze Nacht durch von nix andrem, als von unserer Liab reden möcht'. Und wenn glei' Du mir nimmer g'schrieben hast – und Dei' Bild hast m'r aa net g'schickt – so woaß i doch felsenfest, daß Du mi' magst und daß mei' Deandl mir treu blieb'n ist, wie's mir versprochen hat. Und wenn i die Patrull und die Schandarmen net fürcht'n tät, so wollt i einen Juchzer toa, daß m'r bis an Eibsee von mei'n Glück hör'n kunnt!

»Was zitterst denn, Veferl, als wie ein Lammbl, das si' von Herde verlaufen hat? I kann mir's schon denken, daß das Stadtleb'n Dir aa entleidet ist, und dem wird bald ein End' g'macht sein. Morgen in der Fruah packst Dein Bünderl und auf den Abend sind mir dahoam und in vier Woch'n wird geheirat't! Was i beim Abschied g'sagt hab', gilt aa beim Wiedersehen ... mein bist und z'samm'n g'hör'n mir ... i und Du ... mit Leib und Seel' bis in alle Ewigkeit!« und Pauli wollte das Mädchen wieder mit vollster Leidenschaftlichkeit an sich ziehen.

Genovefa war's entsetzlich zumute. All' diese Worte mußte sie über sich ergehen lassen! Auf ihre Treue wurde gebaut und sie hatte sie verraten! Auf ihr Versprechen hatte man felsenfest gerechnet und sie glaubte, es so einfach lösen zu können! Alte Rechte wurden als selbstverständlich geltend gemacht und ihr Inneres erkannte sie nicht mehr an. Sie glühte wie im Fieber.

»Was hast denn, mei' Veferl, daß Du so still bist und die Zähn' schlag'n Dir z'samm'n vor lauter Frier'n in dem Reg'n? Wart' nur a wengerl, i will schon bald helfen«, und er nestelte sich schleunigst sein schwarzes Halstuch ab und wollte es Genovefa über den Kopf binden. Diese aber hatte endlich einigermaßen ihre Fassung wieder gefunden. Mit einer hastigen Bewegung riß sie das Tuch wieder herunter und reichte es Pauli hin.

»Ich bitt' Dich, Pauli«, sagte sie mit bebender Stimme, »laß das sein, es tut mir von Herzen weh, wenn Du gar so viel gut gegen mich bist!«

»Das wär' doch kurios«, sagte dieser und war einen Augenblick betroffen von dem so ernsten Ton des Mädchens. »Net guat soll i gegen Di sein und i könnt' mir doch g'rad das Herz aus'n Leib reißen lassen, so tausendmal gern hab i Di«, sagte der Bursche und wollte seine Liebkosungen von neuem beginnen. Nun mochte es gehen wie es wollte: Genovefa konnte nicht länger schweigen, es mußte gesprochen sein.

»Wenn Du doch endlich auf mich hören wolltest, Pauli«, sagte sie und raffte sich gewaltsam zusammen. »Sieh, das, was Du sagst, ist so lieb und gut, daß mir die Tränen dabei kommen, aber ich bin nicht wert, daß Du so zu mir sprichst!«

»Vefi!«

»Laß mich weiterreden, Pauli! Siehst Du, all' das, was ich Dir jetzt mit so schwerem Herzen sagen muß, hab' ich in einem Brief an Dich niederlegen wollen! Der Brief ist halb geschrieben und liegt oben in meiner Schublade. Daß Du so bald kommst, hab' ich nicht gewußt und es wär', weiß Gott, besser für Dich und für mich gewesen, wenn Du den Brief vorher hättest lesen können, ehe wir uns gesehen hätten!«

»Vefi?« –

Der Name klang fast drohend aus des Burschen Mund – »Vefi, was soll i von dem Red'n denk'n? Daß i komm', hast Du net g'wußt und i hab' Dir doch in meinem letzt'n Briaf g'schriab'n, daß i im Herbst mein'n Abschied kriag'. Und was Du da von einem Brief z'samm'nredst, den i von Dir hätt' lesen soll'n und den i net 'kriagt hab' und den i g'scheiter g'lesen hätt', als auf Dei' Reden z' hör'n – dös ka' i mir net z'samm'nreim'n und Du muaßt Di' schon ein bisserl deutlicher ausdrück'n, wenn i kapier'n soll, was Du eigentli' willst!«

»Das kann ich dem Herrn Pauli schon auseinandersetzen, wenn er Lust hat, auf mich zu hören«, ließ sich da auf einmal eine Stimme hinter den beiden vernehmen. Es war Jean, den die Ereignisse der letzten Stunde so sehr in Spannung hatten, das er seine Wißbegierde nicht zügeln konnte und nachspüren mußte, wie sich die Sache weiter entwickle.

»Der Fräulein Genovefa wird's eben schwer fallen, zu sagen, daß ihr das Abwechseln gefällt zwischen schwarz und blond, zwischen Militär und Zivil und daß es langweilig ist, zwei Jahre lang ohne Schatz zu sein! Und wenn man gerade den blonden Liebhaber im Arm hat, wenn der andere wieder auftaucht, so ist das ein bischen viel auf einmal, und es wäre freilich angenehmer gewesen dies in einem Briefe zu erzählen, als ...«

»Jetzt möcht' i bloß grad wissen, ob i traam' oder ob i den nixnutzigen, falschen Lumpenkerl in Grundserdsbod'n 'nein hauen soll für seine entfamigte Lüag'n!« rief Pauli, indem er rasch aufsprang und Jean packen wollte. Dieser aber hatte sich vorgesehen und war verschwunden, indem er nur noch höhnisch zurückrief: »Laßt Euch von Eurer Vefi versichern, daß es Lügen sind, die ich gesagt habe!«

Einen Augenblick war alles still und man hörte nur die Schritte des sich eilig Entfernenden und das stets gleichmäßige Plätschern des Regens auf den Blättern. Langsam kam Pauli wieder zu der Bank zurück, auf der Genovefa zitternd, in Erwartung dessen, was da kommen mußte, sitzen geblieben war. Paulis Brust arbeitete heftig und er nahm sich mit Mühe zusammen, als er sich schwer wieder niederließ und sagte:

»Jetzt, Dirn, sollst red'n und sollst endli sag'n, was das alles zu bedeut'n hat, sakra no emol!«

Genovefa war wieder näher zu Pauli hingerückt und legte die Hand auf seinen Arm.

»Ich bitt' Dich tausendmal, Pauli, sei nicht so wild, sonst vergeh' ich vor Angst, nur anzufangen!«

»Also Angst mußt vor mir hab'n? Ja, ja, da schaut's guat aus! Schiaß los, in Teufels Nam'n, oder i werd' no' narrisch!«

Wie geistesabwesend begann nun Genovefa zu erzählen, alles von Anbeginn an und wie sie selber nicht wisse, wie das so gekommen sei. Sie sprach von ihrer großen Jugend und wie sie etwas versprochen, aber nicht verstanden habe, wie der Mann, den sie hier habe kennen lernen, gerade die Eigenschaften besitze, die zu ihrem Glück notwendig seien und das habe sie ihm, dem Pauli, schreiben wollen!

»Sei nicht so starr, Pauli, und antwort' mir doch etwas«, sagte sie endlich angstvoll. »Schau, ich sehe ja ein, daß ich ein Unrecht begangen habe und seit ich weiß, wie ernst Du's genommen, liegt mir's wie eine Zentnerlast auf meiner Seele!«

Pauli hatte scheinbar ruhig zugehört, den Blick auf den Boden geheftet. Nun aber fuhr er mit einem Ruck in die Höhe und es klang wie ferner Donner, als er sagte:

»So so, also so schaugt's aus und g'wundert hast Du Di', daß i mei' Wort ernst g'nommen hab' und der Lumpenkerl vorhin hat also die Wahrheit g'sagt und koa Recht hab' i, ihn in Boden 'neinzusteck'n? Und im Glauben hast Du mi' g'lassen, die ganze Zeit her, daß Du mei' Deandl bist und mittlerweil hast Du mit einem andren scharmuziert und hast mei' Liab' und mei' Treu' verraten?« Paulis Stimme wurde bei diesen Worten ganz heiser.

»Aber i sag' Dir, Dirn, so leichten Kaufs laß i Di' doch net los! Koa Jager laßt die Gambs lauf'n, wenn er sie endli' nach langer Zeit aufg'funden hat! Um Dei' Liab' mag i net betteln, aber mei' Recht will i hab'n!« Pauli hatte bei diesen Worten die Schulter des Mädchens ergriffen und sie geschüttelt.

»Jetzt laß Dir no' sag'n – i will annehmen, daß Dir die ganze G'schicht' net so ernst ist, denn sonst – dös woaßt Du wohl, tat i den andern bald auffind'n und was das bedeut't, und daß i mei' Ziel nie net verfehl, dös woaßt Du scho lang!«

Genovefa begann von neuem an Leib und Seele zu zittern ... »Und jetzt geh hoam und b'sinn Di'«, sagte er wieder ruhiger, indem er aufstand. »Mei' Freud' hast mir auf lang 'nein verdorb'n und das glückselige G'fühl, was i g'habt hab', wird eine Weil' auf sich wart'n lassen, bis 's wieder kommt. Aber daß i wart'n ka', dös woaßt Du aa! Morgen Fruah um siebeni bist an dem Platz da, zum Hoamreisen! – Herr Gott«, sagte er in etwas weicherem Ton und reckte dabei die Glieder, als wolle er eine ungewohnte Last von sich wälzen – »wenn i vergess'n könnt', was i hab' hör'n müass'n ... und wenn morg'n Fruha mei' alt's Veferl wieder da wär'!« ...

Dabei nahm er sein Bündel vom Boden auf und verschwand, ohne noch einmal sich umzusehen, mit raschen Schritten in der Dunkelheit.

Genovefa wußte nicht, wie sie heimgekommen war. Totmüde, die Glieder wie zerschlagen, das blaue Kleid triefend vor Nässe und die Haare wirr und unordentlich um den Kopf hängend, so schlich sie die Treppe hinauf und wollte eben in ihre Stube treten, als Graf Villingen aus der Zimmertür seiner Frau trat und sie von oben bis unten durchdringend ansah.

»Ihr mehr als unordentliches Aussehen beweist mir«, sagte er mit ausgeprägter Schärfe, »daß Jean in dem, was er mir von Ihnen erzählte, leider recht hat! Ich sehe, daß wir uns in Ihnen getäuscht haben! Es ist nicht meine Sache, Ihnen über Ihren Lebenswandel Vorwürfe zu machen«, setzte er hochmütig hinzu. »Hingegen werden Sie begreiflich finden, daß ich nicht mehr wünsche, Sie in der Umgebung meiner Frau und meiner Kinder zu wissen. Wer so, wie Sie, auf zwei Achseln Wasser trägt, hat sich dazu das Recht verwirkt! Meine Frau hat eben wieder, während Sie Ihrem nächtlichen Vergnügen nachgingen, einen ihrer Anfälle gehabt. Sie verlangt nach Ihnen und selbstverständlich darf sie in keinerlei Weise beunruhigt werden. Sie werden ihr auf möglichst schonende Art mitteilen, daß Sie genötigt seien, morgen aus irgend einem Grund, den ich Ihnen überlasse, heimzureisen und das weitere wird sich zeigen! Ihren Lohn werde ich Ihnen noch bis Weihnachten ausbezahlen. Von ferneren Verpflichtungen kann natürlich jetzt nicht mehr die Rede sein«, und mit diesen in der vernichtendsten Kälte gesprochenen Worten ging der Graf in sein Zimmer.

Genovefa war es, als ob sie zu Eis erstarre. Es war zu viel, was alles über sie hereinstürmte und ganz mechanisch nur strich sie die zerzausten Haare aus dem Gesicht, als sie die Gräfin nach ihr fragen hörte, und trat in das mit einer Nachtlampe nur spärlich beleuchtete Gemach.

Die Kranke lag so bleich und müde in den Kissen. Es war nicht zum erstenmal, daß sie Blut hustete und auch heute Abend hatte sich dieses Uebel in erhöhtem Maße eingestellt. Der Doktor, der dagewesen, verordnete die größte Ruhe. Die mademoiselle machte sich in geschäftiger Weise zu schaffen und sie warf einen vielsagenden, triumphierenden Blick auf Komtesse Lori, als Genovefa, noch verstört und gegen ihre sonstige Gewohnheit, so unordentlich in der Kleidung an das Lager trat.

»Ist die Vefi da? Warum ist sie nicht gleich gekommen ... laßt mich jetzt mit ihr allein,« sagte die schwache Stimme der Kranken und sie streckte ihre durchsichtige Hand verlangend nach Genovefa aus, welche sich auf diese niederbeugte und dabei selber so totenblaß und schwankend war, daß Komtesse Lori, noch einen Augenblick zögernd, kopfschüttelnd stehen blieb.

Auch ihr war in den krassesten Farben von Genovefas Benehmen erzählt worden und sie hatte ihres Schwagers Worte durch die halbgeöffnete Tür mit angehört. Sie schaute noch einmal prüfend in die zerstörten Züge, dann aber trat sie rasch zu Genovefa, als diese auf die Seite gegangen war, um einen Umschlag für die Gräfin zu erneuern, und es war in immerhin freundlichem Tone, als sie sagte:

»Mir scheint, die Wildlingsnatur ist wieder über Dich gekommen? Geh' Du heim, Vefi, – es wird wohl das Beste sein, wenn das Amserl in sein Nest zurückkehrt, wo es hingehört, und besser wär's vielleicht gewesen, man hätte es von Anfang an dort gelassen!«

»O Komtesse!« Genovefa hatte diese Worte hilfeflehend ausgerufen, aber diese war schon aus dem Zimmer gegangen.

»Ja, besser wäre es gewesen, ich wäre nie gekommen!« – Genovefa saß mit schmerzendem und wirrem Kopf Stunde um Stunde neben dem Bett der Gräfin, die fiebernd dalag, und erneute die auf Eis gekühlten Umschläge und reichte die Arznei. Die Nacht war vorgeschritten und noch immer war ihr kein rettender Gedanke gekommen.

Die Gräfin verlangte zu trinken und ihre Augen ruhten liebevoll auf dem Mädchen, das so bleich und angsterfüllt neben dem Lager stand.

»Meine Genovefa ist selbstlos und treu«, sagte sie mit schwacher, kaum hörbarer Stimme. »Laß Dir in Deinem Leben die Pflichterfüllung immer die Hauptsache sein, so wird Gottes Segen Dich begleiten, auch wenn es gegen das eigene Wollen geht«, und die Gräfin schloß wieder müde die Augen.

»Pflichterfüllung – was ist Pflicht?« Genovefa atmete tief aus und versuchte die Hände zu falten. Pflicht los hatte sie heute abend Pauli geheißen – sie schauerte wieder zusammen. – Ja es war so, sie hatte sich innerlich gelöst von dem, was ihr unbequem geworden, und sie hatte sich zugewendet dem, was ihrem Herzen fein und lieblich deuchte, unbekümmert darum, ob sie ihr Wort breche und einem Jugendgenossen, der ihr nur Liebes erwiesen hatte, sein Glück zerstöre.

Und nun war plötzlich Weh und Schmach über sie gekommen, und in wenig Stunden mußte sie von diesem Hause fort, mit Spott und Schande beladen, verkannt von den Menschen, die sie so innig liebte ... Und er, was mußte er von ihr denken nach den heutigen Vorkommnissen und gab es je ein Mittel, ihn aufzuklären, es wieder gut zu machen? –

Genovefa mußte ans offene Fenster treten, ihr war so beklommen und ihre Seele war in tiefster Finsternis.

»Es gibt kein Mittel, als zu entsagen«, sprach eine Stimme tief in ihrem Innersten und Genovefa sank nieder auf einen Stuhl und rang die Hände.

Genovefa war es, als ob sie die linde Luft eines kleinen Gartens umspielte, und sie glaubte, den Duft von Rosen zu empfinden.

»Es kann nicht sein – mein Gott, ich mache ihn und mich elend, wenn ich's tue«, drang's aus ihrer Seele empor.

... »Laß mich den andern nur finden – Du weißt, daß ich mein Ziel nicht verfehl'!« hörte sie wieder in drohendem Ton sagen.

»Das gib nicht zu, Herr, mein Gott, das verhüte, und wenn ich mein eigenes Herzblut tropfenweise dafür hergeben müßte – das laß nicht zu. Du blutiger Heiland und Du heilige Mutter Gottes ...«

»Dann gib' Dein eigenes Wollen dran, mach' wenigstens den glücklich, der jahrelang auf Dich gebaut hat. Mach' gut, was er Dir vorzuwerfen hat, tu' Deine Pflicht, so hast Du eben gehört, dann wird der Segen Gottes auf Dir ruhen!«

Genovefa war es plötzlich, als ob sich eine weiche, kühlende Hand auf ihr brennendes Herz lege und als ob in all der Finsternis um sie her in weiter Ferne ein ganz kleines Lichtlein auf ihren Lebensweg fiele.

Noch einmal faltete sie die Hände, aber diesmal in frommer Ergebung, und ihre Seele rang im Gebet. Leise stand sie dann auf und trat entschlossen an das Lager der Gräfin, die eingeschlummert war.

»Ich will's Dir nachmachen«, sagte Genovefa mit zuckenden Lippen. »Bei Dir hab' ich gesehen, was Pflichterfüllung und Selbstüberwindung ist, und Du sollst nicht umsonst mit der armen Dirn Dich abgemüht haben!«

Genovesa zog sachte die Schuhe von den Füßen und ging geräuschlos in ihr Zimmer. Dort holte sie sich ihr Schreibgeräte zusammen – schlich sich wieder in das Krankenzimmer zurück und beim Scheine der Nachtlampe schrieb sie in fliegender Eile und ohne abzusetzen:

 

»Verzeiht mir, Mutter, aber ich kann nicht anders! Ich habe einer neuen Liebe Gehör gegeben und hatte alte Verpflichtungen nicht gelöst! Ich wollte es tun – bei Gott, ich wollte es tun – aber es war zu spät und nun muß sich mein Geschick erfüllen und ich muß einen andern Weg gehen – den Weg der Pflicht! Gott wolle mir helfen und mir gnädig sein! Verzeiht mir, wenn Ihr durch mich Betrübnis habt, und für das Gute, was Ihr mir erwiesen, segnet Euch in Zeit und Ewigkeit

Eure Genovefa Walther.«

 

Nun noch rasch die Adresse: Frau Reallehrer Gruber und dann den Brief in den Umschlag – Genovefa sah ihn mit brennenden Augen an, ehe sie ihn schloß und in die Tasche steckte. Nun trat sie wieder an das Lager der Gräfin, die Ruhe gefunden hatte und sanft schlummernd dalag.

»Alles Erdenleid nimmt ein Ende«, murmelte Genovefa vor sich, »auch Deines und das meinige!« Dann wandte sie sich, um das Zimmer zu verlassen, denn die Frühdämmerung sah zu den Fenstern herein.

»Ach, Komtesse«, sagte Genovefa erschrocken, als diese in einem übergeworfenen Morgenkleid sachte aus der Tür ihres anstoßenden Schlafzimmers trat und so plötzlich vor ihr stand.

»Was brauchst Du denn zu erschrecken, Vefi, wenn ich nach meiner Schwester seh'? Wie steht's?« fragte sie in besorgtem Tone und beugte sich leicht über die Kranke. »Nun gottlob, sie schläft, – so wird's wohl bald besser werden und ich kann mich jetzt noch einmal beruhigter hinlegen. Schlaf' Du auch, Genovefa, Du hast's nötig«, und sie wollte rasch vorübergehen, als diese sie mit einer flehenden Gebärde zurückhielt.

»O gnädige Komtesse, wenn Sie wollten bei der Frau Gräfin bleiben, ... ich kann sie nicht allein lassen, der böse Anfall könnte wieder kommen ... Und daß ich nicht bleiben darf ... gnädige Komtesse wissen ja! ... Und noch eine Bitte! Wollen Komtesse der Frau Gräfin sagen, daß ich notwendig heim müsse – gerade heute ...« Genovefa stockte ... »weil mein Ahnl krank sei – nein, nicht das, – weil ich heiraten müsse – und weil ich treulos gewesen sei ... und weil ich meine Pflicht tun wolle ... und mir doch beinahe das Herz darüber bricht! ... O Komtesse!« nach all der Wirrnis kamen die Tränen! Das arme, gequälte junge Herz konnte sich Luft machen und stoßweise, unterbrochen von Jammer und Selbstanklagen, erzählte Genovefa der Komtesse ihre Geschichte. Diese wollte sie trösten und meinte, alles könnte noch gut werden, sie solle doch nichts überstürzen, sie selbst wolle mit Herrn Gruber reden usw. Genovefa taten die guten Worte wohl, aber bei ihrem gefaßten Entschlusse blieb sie fest.

»Was Sie da sagen, Komtesse, ist, wie wenn eine arme Seele einen Blick in den Himmel tun darf, aber sie hat gefehlt und darf nicht hinein, dabei bleibt's! Und gelt, Sie sagen der Frau Gräfin, wie so viel lieb ich sie gehabt hab' und wie unser Herrgott es ihr vergelten möcht', was sie an mir getan hat ... und grüßen Sie die Kinderln, Komtesse ... und Ihnen selber wünsch' ich auch so viel tausendmal Glück. Und wenn ich noch um was bitten dürft – denken Sie nicht zu schlecht von dem Veferl!«

Bei diesen Worten war das Mädchen rasch aus dem Zimmer verschwunden, packte ihre Sachen zusammen – die ihr von der Gräfin geschenkten Stadtkleider ließ sie zurück – warf ihren Brief in den nächsten Postschalter und Schlag sieben stand sie – in der alten Tracht, mit zerrissenem Herzen, aber äußerlich gefaßt und ruhig an dem von Pauli gestern abend bezeichneten Platz.

Mit strengem Frost und Kälte hatte sich heuer der Winter eingestellt und bälder als sonst bedeckte frischer Schnee den Boden und verwehte die Wege, die hinauf zu den Eibseehütten führten, die nun, monatelang von fast allem Verkehr abgeschnitten, einsamer als je dalagen. Dann und wann ein Holzhauer, ein Jäger, der aber die Behausungen aus guten Gründen möglichst mied, oder einer jener Touristen, die auch im Winter die Bergwelt genießen wollten, das waren die einzigen Menschen, welche die Stille unterbrachen und nur alle vier Wochen einmal unternahm einer der Männer einen Gang nach Garmisch oder Partenkirchen, um die wenigen, groben Schnitzereien, die hier verfertigt werden, abzuliefern und Lebensmittel dafür einzuhandeln. –

Auf dem schindelgedeckten Dache der uns wohlbekannten Hütte lag, wie auf den andern, eine dichte, glänzende Schneedecke und auch die schmalen Gesimse und die Hausbank hoben sich in glitzerndem Weiß von dem braunen Gebälke ab.

Hinten, vom Schuppen her drang der gleichmäßige Ton von Holz, das gespalten wurde und das schon in einem ordentlichen Haufen den Sägeblock umgab. Jetzt noch ein Hieb und die zwei letzten knorrigen Stücke flogen rechts und links zu den andern, während der Mann, der das Beil handhabte, es mit einem festen Schlag in den Block eintrieb und sich dann, trotz der Kälte, die Schweißtropfen abwischte.

»Ferti«, sagte er mit befriedigter Stimme. »Jetzt hab' i aber mein Mittagessen verdeant und das Veferl kann mi net so kurios anschauen, wie's tut, wenn i emol einen Tag lang nix schaff'! Mein Gott, zu was wär' eigentli der Winter da, wenn m'r net e weng länger schlaf'n und ausruh'n könnt – im Sommer ist's eh ein Gehatz mit dem Schiffahren und Fischfang«, und Pauli, denn er war es, ging bei diesen Worten um die Ecke des Hauses. Er trat durch die dort befindliche Hintertür unmittelbar in einen Raum, der, gleichfalls mit schwarzem Getäfer und Kachelofen versehen, geradeso ausgestattet war, wie all die Gebirgsstuben in der dortigen Gegend. Nur da und dort ein kleiner Schmuck – ein Heiligenbildlein und ein paar billige Vasen auf der Truhe – und der gegen die herrschende Gewohnheit mit einem weißen, wenn auch groben Tuch gedeckte Tisch – verrieten einigen Schönheitssinn der Bewohner.

»Veferl! i bin da«, rief Pauli jetzt in die nebenanliegende Küche hinein und gleich darauf trat diese mit der dampfenden Suppenschüssel ein und stellt sie mit freundlichem Gruß auf den Tisch.

»Gott seg'ns! und jetzt laß Dir's schmecken, Pauli«, sagte sie und setzte sich an den Tisch und sie tauchten gleichmäßig die Löffel in das Gericht. Schweigsam verzehrten sie dasselbe bis auf den Grund – viel sprechen während des Essens ist nicht Gewohnheit bei dem Volke.

Genovefas Hunger war entschieden kleiner als der Paulis und manchmal hielt sie im Essen inne und ihre Augen wandten sich nach dem kleinen Fenster und blickten hinaus auf den festgefrorenen See und es war, als ob sie noch weiter blickten, obwohl gleich dahinter die riesigen Bergwände den Blick eng begrenzten.

Genovefas Gesicht war schmäler geworden als früher und die Bewegungen etwas langsamer. Sie trug wieder die alten Kleider, im Hause die blaue Schaffschürze und wegen der Kälte hatte sie eine wollene Jacke über das Mieder gezogen. Nur die blonden Haare waren noch nach der Stadtweise geordnet, nicht in Flechten um den Kopf gelegt, sondern in einem festen Knoten im Nacken befestigt. Die Komtesse hatte es ihr einmal in lustiger Laune selbst so gesteckt und es hatte den Beifall auch von andern gehabt ...

Als Genovefa vor sechs Wochen an jenem Morgen sich in dem Parke eingefunden hatte, war Pauli langsam von der andern Seite auf sie zugekommen. Mißtrauisch und forschend sah er sie an und gab ihr nur zögernd die Hand, die sie ihm hingestreckt hatte.

»Da bin ich, Pauli«, sagte sie einfach, aber mit zitternder Stimme. »Ich hab' Dir ein Unrecht angetan und es tut mir leid! Ich bin anders geworden und mein Herz ist noch krank ... besinn' Dich wohl, Pauli, ob Du mich so haben willst; es ist nimmer die alte Vefi, die Du Dir zum Weibe begehrst!«

»Und doch und trotz alledem ist's mein Veferl«, brach Pauli in hellen Jubel aus, nachdem er die Tracht wieder erkannt und die Worte gehört hatte. »Das G'wand und das G'sichtl und das Herzl ist's auch von meinem alten Schatz, sonst wärst net kommen, wenn das von gestern abend so gar tief 'gangen wär'! Und siagst, jetzt ist's mir auch grad' so zumut, wie wenn mir die ganze Zugspitz' mitsamt dem Karwendelgebirge von mei'm Herzen runter g'wälzt wär'! Und was i noch sagen will, Veferl: A Stub'n finden m'r aa schon, wenn m'r heimkomm'n.

Der Ohm ist nach Amerika ausg'wandert, weil's ihm nimmer g'fallen hat und weil er sein Glück versuchen will. So wär' bereits fürs Unterkommen g'sorgt und ein Kuchel ist in ein paar Tag'n baut. Und mit dem Ahnl sind wir dann unter einem Dach, – das wird Dir doch aach recht sein? Und was den Verdienst anbelangt – Himmelelement – i könnt' jetzt einen ganzen Wald umreiß'n«, und er reckte seine Arme weit aus, wie im Vollgefühl seiner Kraft und seines Glücks.

»Du bist brav, Pauli«, sagte Genovefa und versuchte dabei matt zu lächeln. Wie war ihr so weh geworden beim Gedanken an des Ohms Stube und an die ganzen alten Verhältnisse. »In Gottes Namen denn«, sagte sie nach einigen Augenblicken und ein fester, beinahe herber Ausdruck legte sich über ihr Gesicht – »und hab' Du Geduld mit mir, Pauli«, und damit waren sie in der Morgenfrühe zusammen zum Bahnhof gewandert. – ...

... »Guat ist's g'wesen, Veferl«, sagte Pauli, indem er den Löffel bedächtig ableckte und sich dann noch ein großes Stück Brot mit dem Taschenmesser herunterschnitt. »Und besser ist's eh schon, was das Weib kocht, als was die Mutter z'samm'nmacht«, setzte er hinzu und zog Genovefa an sich.

»Vefi!« scholl es durch die Seitenwand der Hütte in den kreischenden, langgezogenen Tönen, die Genovefa so gut von der früheren Zeit her kannte.

»Das Ahnl ruft«, sagte Genovefa und sprang schnell auf. »Sie wird wohl vom Bett herunter wollen und nicht können«, und sie eilte hinaus, während Pauli brummend sich in die Ofenecke setzte, um ein wenig zu dosen.

Das Ahnl! Ja, es war so eingetroffen, daß auch Genovefa den alten Weg zurückkam, und daß auch sie blaß und vergrämt aussah – gar nicht wie eine Hochzeiterin, als die sie sich doch selber bezeichnete, und als welche sie von Pauli den Verwandten und den andern allen vorgeführt wurde.

Still und herzlich begrüßte sie die alten Genossen und als der Seppl und das Liserl, nichts ahnend, von der Schule in Krainau des Abends heimgekommen und in den größten Jubel ausgebrochen waren, das Veferl wieder zu finden, da fühlte auch sie etwas wie Freude im Herzen und sie drückte die Kinder mit nassen Augen an sich.

Nur die Traudel, welche sich schön und kräftig ausgewachsen hatte, und die aus ihren schwarzen Augen kecker als je in die Welt blickte, bezeugte kein großes Vergnügen bei der Rückkehr der Base. Wohl hatte sie bitter ungern das Ahnl und das Hauswesen versorgt, aber sie war doch frei in ihrem Tun und Treiben und dann waren ja Genovefas regelmäßige Geldsendungen auch ihr zugut gekommen.

Es war ein gewisser Wohlstand in den zwei letzten Jahren gegen früher in der Hütte. Das Brot war nie ausgegangen, den Kindern konnten Kleider angeschafft werden, und das Ahnl hatte sein Weißbrot und dann und wann einen Schluck Bier aus dem Seewirtshaus. Daß das nun aufhörte, war für Genovefa ein Kummer und für die Traudl ein Aergernis.

»Wenn D' einmal furt warst, hätt'st aa furtbleib'n können!« sagte sie mürrisch, »das hätt' meinoad net pressiert mit dem Heirat'n – alleweil denkst bloß an Dich! Aber i hab's jetzt satt, mi abz'schinden für die ganze Sippschaft, und wenn Du im Haus wohnen willst, so kannst auch wieder fürs Haus schaff'n.«

Und von dort an ging Traudel wieder ihre eigenen Wege, die Ahnl und die Kinder fast ganz der Fürsorge Genovefas überlassend. –

Diese hatte sich von dem Lohn, den der Graf ihr gleich in den ersten Tagen nachschickte, in Garmisch eine ganz kleine, notdürftige Ausstattung angeschafft und Vorräte für den Winter, da erst im Frühjahr Paulis Verdienst anging mit Fischen und Fremdenführen. Ein Notpfennig war ihr noch zurückgeblieben.

Sie selbst hoffte mit Anfertigen von feinen Arbeiten etwas verdienen zu können, die sie im Sommer den Fremden zum Verkauf anbieten wollte.

Die ersten Wochen war Genovefa nicht so recht zur Besinnung gekommen; sie richtete und ordnete alles mechanisch in der Stube, während Pauli mit großem Eifer Holz bearbeitete und mit grob gehauenen Stämmen eine kleine Küche anbaute.

Der Hütten sind wenige in der Kolonie, bei seinen Eltern und vielen Geschwistern war kein Platz, und so hatte Pauli recht, wenn er das Leerwerden von des Ohms Stube als ein wahres Glück betrachtete.

Wenn Genovefa ihn so lustig arbeiten sah und dabei pfeifen und jodeln hörte, und wie er sie dann so glückselig als sein Weib in die ihn gar prächtig dünkende Behausung einführte, da hatte sie wohl Stunden, wo einige Lichtstrahlen in ihr Inneres fielen und ihr ihre selbstgewählte Aufgabe nicht gar so entsetzlich schwer dünkte, aber sie waren selten, und meistens fühlte sie einen beengenden Druck auf dem Gemüt. –

Wohl war es ja die alte Umgebung, in der sie aufgewachsen, aber Genovefa selbst war eine andere geworden. Wie oft fielen ihr die Worte des Ahnl ein: »der Vogel kann fortfliag'n, aber wenn er wiederkommt, ist er zu groß für sein Nest, und wo es ihm ehdem wohl g'wesen ist, da ist's ihm jetzt zu eng, und es wird ihm sein Lebtag nimmer g'fall'n!«

Ja, so war's, nicht zu enge im Nest, aber enge und bang ums Herz, und enge bei dem Wesen der Andern. Die Freude am Dasein war dahin, und wo sonst die Vögel sangen und die Blumen blühten, da war jetzt auch alles unter einer starren Decke begraben, wie draußen in der Natur. –

Geduldig folgte Genovefa dem Rufen der Alten und hob sie von ihrem Lager herunter.

Die Ahnl war nun vollends ganz gichtbrüchig geworden, aber der unstäte, lebhafte Geist ließ ihr nie lang Ruhe und sie wollte beständig von einem Platz zum andern gebracht werden. Trotzdem Traudel dies nur mit unwirschen Reden tat, und Genovefa stets mit Freundlichkeit, so war auch die Ahnl eher gegen sie, und sie hatte viele ungute Reden in Kauf zu nehmen.

»Die paar Jahr'ln, die i no z'leben hab', hätt'st Di schon noch draußen plagen könn'n! – Aber so ist's – alleweil nur grad dös tuan, was einem behagt, und ob die alte Großmutter Luftnockerln essen kann oder net, dös ist Dir egal!«

Genovefa nahm die unfreundlichen Reden hin, sie blieben auf der Oberfläche ihrer Seele haften, wie fast alles, was jetzt ihr Ohr und ihr Leben berührte. Ihr einzig ernstliches Sinnen und Trachten war das, die Pauli gegenüber übernommenen Pflichten zu erfüllen. –

Sie hatte ihm damals noch einmal gesagt, er müsse Geduld mit ihr haben, aber das machte bei Pauli's leichtlebiger, sich dem Augenblick hingebender Natur wenig Eindruck. Er selber war glücklich und zufrieden. Das Veferl war freundlich und sorgte gut für ihn und er dachte, die dumme Geschichte in München ist vergessen.

Mehr als die Erinnerung hieran beunruhigte ihn manchmal ein gewisses Etwas in der Art seines jungen Weibes, das er sich nicht erklären konnte. All' die Spässe, die er machte und über die sie früher so herzlich gelacht, nötigten ihr jetzt kaum ein erzwungenes Lächeln ab. Den Tag und die Zeit teilte sie so ängstlich ein, und in der Stube hielt sie auf solch pünktliche Reinlichkeit und Ordnung, daß in ihm all' diese Dinge manchmal ein leises Unbehagen hervorriefen. Und dann war die Art ihres Sprechens gegen früher eine andere geworden, und oft brauchte es lange, bis er sie und sie ihn verstanden hatte.

Nun wurden die Abende länger und es mußte von vier Uhr an schon Licht gebrannt werden. Sonst hatte Pauli dieselben, gleich den andern Burschen, auf der Ofenbank verträumt und dabei Pfeife nach Pfeife geraucht. Für Genovefa, die selbst fleißig feine Spitzen häkelte für den Verkauf, war dieses Herumlungern schwer zu ertragen. Sie überlegte sich's ein paar Abende, bis sie mit ihrem Vorschlag herausrückte.

»Pauli«, begann sie zögernd, »Du hast in der Schule gut lesen lernen – wie wär's, wenn Du mir in diesen langen Abenden etwas vorlesen würdest, dann hättest Du und ich eine Freude.« Dabei zog sie ein Buch hervor, das sie bereit gelegt hatte.

Es war eine hübsche aus dem Englischen übersetzte Erzählung, die sie damals mit Vorliebe gelesen und von der Gräfin geschenkt bekommen hatte. Pauli stand nach einigem Gähnen und Strecken auf und legte mit sichtlichem Widerstreben seine Pfeife neben sich auf den Tisch.

»Wann d' willst, so muß i's halt probieren, aber das Lesen is nie so recht mein Pläsier g'wes'n.«

Mit einem Gesicht, in dem geschrieben stand, ich tät' lieber einen Baum fällen, als so was, machte er sich hinter die Arbeit.

Mit laut schallender Stimme und stoßweise las er den ersten Abend vor, bei jedem Umdrehen der Seite mächtig den Finger netzend und dabei sehnsüchtig nach seiner Pfeife schielend.

»Hast jetzt g'nuag?« fragte er, nachdem er etwa eine halbe Stunde gelesen hatte, mitten in einem Abschnitt.

Genovefa hätte gerne noch weiter gehört, aber sie wollte nicht noch mehr verlangen; auch tat ihr die Art des Vortrages ordentlich weh in den Ohren. Am andern Abend ging es nicht besser. Mit einem Gesicht wie ein Opferlamm setzte sich Pauli wieder an den Tisch und das Gehacke ging von neuem an, unbekümmert über Komma und Punkte hinüber.

Es war allerdings ein Buch, das mehr fromme Gedanken als Handlungen enthielt und Genovefa fühlte bald selbst, daß sie nicht die richtige Wahl getroffen hatte. Und doch war's so schön und die Gräfin hatte damals so begeistert und eingehend mit ihr darüber gesprochen. Genovefa seufzte und ließ die Arbeit einen Augenblick sinken.

»Freut's Dich gar nicht, Pauli?« fragte sie ängstlich, als dieser nach einem der schönsten Aussprüche laut aufgähnend das Buch einen Augenblick hinlegte und sich dehnte, daß die Knochen krachten.

»Ob's mi freut?« erwiderte er hierauf ganz erstaunt. »Jetzt woaß i do gar net, was da zum freu'n wär? I les' und les' und alleweil passiert nix und das andere könnt' g'rad so guat der Kaplan auf der Kanzel sag'n und i brauchet mi dabei net abz'plag'n mit dem Buchstabier'n!«

Was war da zu machen? Genovefa nahm stillschweigend das Buch wieder an sich, und Pauli kehrte in seine Ofenecke zurück, aber er konnte nimmer so recht das behagliche Gefühl des vor sich Hinduselns finden, wie vorher. Genovefas Stillesein bedrückte ihn.

Und er hatte immerhin recht, sich vereinsamt zu fühlen, denn wohl saß die Gestalt seines jungen Weibes neben ihm, aber weit hinaus gingen deren Gedanken und Fühlen, fernab von den seinigen. Manchmal, da war es, als ob sie plötzlich gewaltsam von weiter Ferne zurückkehrte und sich ihrer häuslichen Pflichten erinnerte. Dann sprang sie auf, legte wohl Holz in das verglimmende Feuer oder sie holte aus dem braunen Wandschrank ein Päckchen Brasil, wenn Pauli's Pfeife am Ausgehen war und sie sprach auch stets dabei einige freundliche Worte. Es war aber nichts Lustiges, Aufheiterndes, wie es Pauli gern gehabt hätte und wenn er sich dann aufraffte und irgend einen Scherz machte, so war das vollends verfehlt und es wollte kein richtiges Lachen mehr zustande kommen. So wenig dem Pauli das Wesen der Traudel von je angenehm war, es dünkte ihm wahrhaftig jetzt manchmal eine Erlösung, wenn sie abends ein bisserl hereinkam und drauf losplauschte.

Noch einmal hatte es Genovefa mit dem Lesen probiert. Lange hatte sie überlegt, was wohl Pauli gefallen könne und sie war schließlich auf einen Auszug von Schiller's Tell verfallen, dessen Vorlesen in der Stunde ihr und den Kindern so viel Freude gemacht hatte. Mit zitternder Hand hielt sie das Buch aufgeschlagen und es dünkte ihr fast zu schwer, wieder daraus zu hören, aber sie überwand sich tapfer und gab es ihrem Mann mit den Worten:

»Paß' auf, Pauli, diesmal wird's Dir besser gefallen, wenn Du mir vorliest. Das ist eine schöne Geschichte von Fischern und Bauersleuten und das allerschönste daran ist das, wie sich der Tell in gar viele Gefahren begibt und sich für sein Vaterland aufopfert!«

»Dös laßt si' schon eher hör'n« sagte Pauli, der anfangs mißtrauisch das neue Buch betrachtet hatte und nicht so ungern als das letzemal begann er an einem der folgenden Abende vorzulesen.

»Dös g'fallt mir guat, von dem Buam und dem Alpenjäger und auch der Fischer und der Hirt verstehen ihr Handwerk und was sie da von dem Vieh sag'n so hab'n s' ganz recht, daß a Kuah aa ihre Vernunft hat«, sagte er befriedigt, nachdem er die paar ersten Seiten gelesen hatte und mit Eifer ging er nun an die nächsten Abschnitte. Genovefa hörte wohl den Sinn des Gelesenen, aber die Art des Lesens glitt diesmal an ihrem Ohr vorüber.

Es war eine wohlgebildete, volltönende Männerstimme, der ihre Seele in der Erinnerung lauschte, welche mit tiefem Verständnis dieselben Worte vortrug, die hier eintönig von Pauli's Lippen fielen und die ferne Stimme hatte so viel Abwechslung, daß man meinte, die einzelnen Personen sprechen zu hören. Einmal klang sie weich und freundlich, dann konnte sie hallen wie weiter Donner und dann wieder schwoll sie an in höchster Begeisterung, und das Auge des Mannes, der das Buch in den Händen hielt, strahlte.

Draußen vor der Hütte heulte der Sturm und trieb die Flocken in dichtem Gewimmel vor sich her. Für die junge Frau drinnen in der Hütte war es Frühling – linde Lüfte wehten durch die weitgeöffneten Fenster und so blau draußen der Himmel war, so tiefblau und freundlich sahen sie zwei Männeraugen an und die Stimme fragte: »O, nicht wahr, wie schön, Fräulein Genovefa!« – Ein Fall von einem Gegenstand und ein Zusammenschrecken als wie bei einer bösen Tat und Genovefa war wieder in die Wirklichkeit versetzt und sie sah, wie Pauli, vor sich hinfluchend, das entfallene Buch mühsam vom Boden aufhub.

»Kruzitürken, jetzt bin i wahrhafti' wieder über dem Lesen eing'schlafen! Aber i woas net, was in dem Buach für 'a Durcheinander ist! Wenn ma' g'rad moant, jetzt fahr'n 's bei dem Donnerwetter glückli' über 'n See 'nüber, so kommt ein Strich und das G'red' kommt wieder von ganz anderi Leut und von all' den vielen Nam'n wird's einem ganz damisch im Kopf und i könnt' von koam anzigen erzähl'n, was er eigentli' tan hat. Das G'scheiteste ist, ich geh' ins Bett, – dös G'les' alleweil is mer eh' z' fad worden«, setzte Pauli hinzu, und mißmutig stolperte er zur Stubentüre hinaus. Genovefa aber saß noch lange an ihrer Arbeit und so trübe ihre Lampe brannte, so trübe sah's in ihrem Herzen aus.

Als Weihnachten herannahte, fertigte Genovefa aus Wollresten von ihren Arbeiten kleine Geschenke für die Bewohner der Hütte an. Es war zwar nicht Sitte, daß die Erwachsenen sich gegenseitig beschenkten, aber Genovefa war es, eingedenk der letzten Weihnachtsabende, ein Bedürfnis, den andern eine wenn auch noch so bescheidene Freude zu machen.

Befanden sich auch keine ganz kleinen Kinder in der Hütte, denn nur für solche wurden manchmal ein paar Lichtlein angezündet, so wollte sie doch einen kleinen Weihnachtsbaum richten und da der Weg in das Bergkirchlein nach Oberkrainau gänzlich zugeschneit und darum keine Möglichkeit vorhanden war, zur Christmesse zu gelangen, so wollte sie mit Liserl und Seppl ein Weihnachtslied singen und dann das Bäumchen anzünden.

Alles lag dazu bereit, – für die Ahnl und die Kinder warme Stutzerln, für Traudel ein Bröschchen, das dieser schon lange in die Augen gestochen, und für ihren Mann hatte sie einen guten Schal gestrickt aus grüner und brauner Wolle. Pauli trieb sich in letzter Zeit viel im Wald herum, da konnte er wohl etwas Warmes brauchen.

Genovefa überkam etwas wie Freude, als sie in der Dämmerung des heiligen Abends ihre Schätze noch einmal überschaute und sich dann an das kleine Fenster setzte, um von da den Weg zu übersehen, der von der Waldlichtung herunterführte.

Der Holzhauerhiesl, der seit Martini mit der Küchen-Nandl vom Badersee verheiratet war, hatte ihr versprochen, ein kleines Bäumchen für sie zu besorgen und es im Rückweg abzugeben. Er war auch dieser Tage in Garmisch gewesen und wollte ihr einige Lichtlein mitbringen.

Es war jetzt an der Zeit, daß die Arbeiter da oben feierten und auch Pauli, der noch außen auf dem See war und nach eingefrorenen Fischen ausschaute, mußte bald kommen. Genovefa beugte sich vor und sah durch die enge Fensteröffnung am Himmel ein Sternlein nach dem andern auftauchen.

»Mir ist's immer, als hörte ich in der Christnacht die Engel singen«, hatte die Gräfin voriges Jahr zu ihr gesagt, als sie nach der Bescherung noch einen Augenblick unter das Fenster getreten war. Ihr selbst war's damals gewesen, als hörte sie das Halleluja und Gloria und dazu stimmte auch das festliche Geläute der Glocken auf allen Türmen.

Heute war es stille um Genovefa und ihre Seele war doch voll Andacht.

»Ob meine Gräfin wohl mit mir zufrieden wäre«, sagte sie nach einiger Zeit vor sich hin, und sie sehnte sich, wie schon so oft, nach einer Nachricht, die bis jetzt immer noch ausgeblieben war, obgleich ihr die Komtesse versprochen hatte, einmal zu schreiben.

»Und ich dank' Dir und ich dank' Dir auch alle Tag' von neuem, was Du mir Gutes getan hast, für den Leib und die Seele«, sagte Genovefa wieder mit Innigkeit, und ihre Gedanken waren noch immer mit ihrer Herrin beschäftigt. Sie überhörte dabei die Schritte der Holzhauer, die sich der Hütte näherten.

»Hier ist Euer Bäumerl, Reinhardin«, sagte die Stimme des Hiesl und er trat einen Augenblick unter die Tür. »I hab's Euch glei' ein bisserl herg'stutzt und hier san die Lichterln und ein Brief aa, den mir der Postmeister vo' Garmisch für Euch mitgeben hat«, und er suchte in seiner Rocktasche die genannten Gegenstände zusammen. »D'Lichterln kosten 20 Pfg.«, sagte er und gab sie Genovefa, die in größter Hast den Brief an sich genommen und im Zwielicht die Handschrift der Komtesse erkannt hatte. So rasch wie möglich bereinigte sie ihre Schuld und wünschte dem Hiesl und »seinem jungen Weib auch« eine gesegnete Festzeit. Dann entzündete sie eiligst die Lampe, um zu lesen, denn ihr Herz brannte vor Begierde. Aber als sie schon den Umschlag öffnen wollte, kam es ihr anders.

»Erst will ich alles herrichten, daß es bereit liegt, dann erst kommt's Brieferl an die Reih'. Hab' so lang gewartet, da muß ich zum Lesen auch meine Ruh' haben.«

In kurzem stand die kleine Tanne, mit bunten Lichtern besteckt, auf dem weißgedeckten Tisch und die Gaben waren herumgelegt. Mit glücklichem Gesicht übersah Genovefa ihr Werk. Es war nun noch etwa eine Viertelstunde, bis Pauli heimkommen konnte. Zum erstenmal seit lange strahlten Genovefas Augen wieder und ihre Wangen färbten sich wie einst, als sie mit ihrem Briefe sich zur Lampe setzte und zu lesen begann:

 

»Liebes Veferl! Ich habe Dir versprochen, bald zu schreiben, ich habe aber mein Versprechen schlecht gehalten. Es ist fast nur Trauriges, was sich ereignet hat, seit Du von hier fortgegangen bist, und ich dachte, warum soll ich Dir armem Ding auch damit das Herz noch schwer machen. Aber nun muß es doch sein. Meine Schwester hat Dich damals sehr vermißt und wir konnten sie nur damit beschwichtigen, daß wir ihr sagten, Du habest zur Pflege Deiner Großmutter heimgemußt, – zu der andern, langen Geschichte wäre sie zu schwach gewesen. ›Genovefa ist sich stets klar, was sie zu tun hat‹, sagte sie zu mir, als ich die nächste Nacht bei ihr wachte, ›aber es ist schwer, sie gerade jetzt entbehren zu müssen!‹

Meinem Schwager habe ich tüchtig Deinetwegen die Meinung gesagt und ich glaube, es tat ihm bald leid, denn ich hörte, wie er sich in ärgerlichem Tone Jeans und der mademoiselle Klatschereien für künftig verbat. Ich habe versucht, Dich ein bißchen zu ersetzen, Veferl, und habe meine Schwester gepflegt. Zum Glück wurde es bald besser, denn Du weißt, ich habe keine Anlage zur Diakonissin.

Die Kinder waren damals ganz außer sich, als sie Dich beim Erwachen nicht vorfanden und als es hieß, Du seiest für immer fortgereist. Die mademoiselle hat ihre Plage mit ihnen gehabt, wochenlang, und ich könnte mich jetzt noch über ihre Fassungslosigkeit freuen, wenn mich nicht der Jammer der Kinder erbarmt hätte.

Meine Hochzeit, die im November stattfand, hat sie zum Glück auf andere Gedanken gebracht. Mein Mann und ich reisten auf einige Wochen nach Italien und dann kamen wir zurück und hatten uns einzurichten und viele Besuche zu machen und zu empfangen. Dann wäre es ruhig geworden, sehr ruhig, denn mein Mann liebt die Gesellschaften nicht.

Da plötzlich, vor etwa 14 Tagen, bekam die Gräfin wieder einen ihrer Anfälle, aber diesmal so stark, daß der Arzt bald keine Hoffnung mehr hatte und vorgestern haben wir sie begraben. Eine Diakonissin verpflegte sie gut, aber noch in den letzten Stunden hat sie nach Dir gefragt, Vefi. Mein Schwager will nun den Haushalt auflösen, Alex soll in ein Kadettenhaus kommen und Jutta in ein Institut; er selbst will den Winter im Süden zubringen.

Das Leben ist schal und öde, Veferl, und es gibt wenig Dinge, die einem Freude machen. Vielleicht, wer wie Du und die liebe Verstorbene einfach seine Pflicht tut, ist glücklicher. Mir selbst erscheint aber dieser Weg noch der allerschwerste. Es kann sein, daß wir im Sommer ins Gebirge kommen. Ich werde Dich dann besuchen, und es wird ein Lichtblick sein, wieder in Dein gutes, ehrliches Gesicht blicken zu können.

Mit herzlichem Gruß

Lori von Tettau.

N. S. – Mit Frau Gruber hatte ich damals eine lange Unterhaltung; sie gehört zu den Menschen, die alles aus Gottes Hand nehmen können. Sie sind kurz darauf fortgezogen, die alte Frau soll wieder leidend sein.« –

 

Mit steigender Spannung und dann unter vielen Tränen las Genovefa den Brief und als sie ihn gelesen hatte, war ihr so sterbensweh zumute. Ja, die Komtesse hatte recht, nichts als Trauriges stand in den Zeilen – gab es denn überhaupt noch etwas Anderes in der Welt?

Ihre Gräfin, ihre liebe, teure Gräfin war tot und sie hatte noch nach ihr gefragt und ihre Vefi, die ja ihr Herzblut tropfenweise für sie hergegeben hätte, hatte in der letzten Todesnot nicht um sie sein dürfen und nie mehr im Leben würde sie ihr liebes Angesicht sehen und ihr für alles danken können.

Und die Kinderln, die armen, verlassenen, mußten nun so früh schon unter fremde Menschen! Und die Komtesse, das sah man wohl, die war auch nicht glücklich und doch hatte sie solch' braven Mann und keine Nahrungssorgen.

Und in der Nachschrift der Name, von dem sie nichts mehr hören, an den sie nicht mehr denken wollte! Auch dort Leid und die kranke Mutter dazu. Wie war mit einem Schlage alles Herzweh in Genovefa wieder aufgerührt und wo war die fröhliche Weihnachtsstimmung von vorhin geblieben? – Lag denn da nicht eine lange Zeit dazwischen?

Vefi, wo steckst? I hab' 'nen Hecht g'fang'n«, ertönte Pauli's Stimme vor dem Hause und Genovefa sprang eilig auf, damit er erst in die Küche und nicht gleich in die Stube komme.

»Sie sollen doch heute abend ihre Freude haben«, dachte sie und trocknete sich rasch die Augen. Genovefa war nun gottlob gewöhnt, ihre Stimmungen zu beherrschen.

»Das ist ja ein Prachtskerl«, sagte sie, als Pauli seinen Fang auf den Tisch legte. »Das ist gerade recht, den back' ich noch für heute abend und wir sitzen dann gemütlich zusammen und wissen auch, daß Christnacht ist. Ich hab' mir eh' was ausgedacht«, fügte sie freundlich lächelnd hinzu, »mußt nur noch für ein paar Augenblick' in der Küche bleiben, Pauli«, und sie wollte rasch in die Stube gehen, um die Weihnachtslichtlein anzuzünden und dann die andern zu holen. Doch Pauli schien heute abend nicht aufgelegt zu sein, etwas zu erfahren und es war auch in sichtlicher Eile, als er sagte:

»Was d' mir zu sag'n hast, kannst mir auch morg'n sag'n und zum Fischess'n hab' i heut' aa koa Zeit. I hab' ein paar Haserln g'seg'n und in einer Viertelstund' kommt der Mond über die Berg'. Gib den Stutz'n her, daß i furt ka« und er wollte schnell in die Stube eintreten.

Genovefa war es von Jugend an nicht anders gewöhnt, als daß die Männer in ihrer Umgebung das Wild als ihnen von Rechts wegen angehörig betrachteten, daß jeder seinen eigenen Stutzen hatte und daß es sich nur darum handelte, möglichst geschickt zu sein und mit den Grünröcken nicht in Berührung zu kommen. Nun waren aber ihre Begriffe andere geworden und es war ihr ein schrecklicher Gedanke, daß ihr Mann hierin die alte Ansicht hegte.

»Ich bitt' Dich, Pauli, Du wirst mir doch das nicht antun und wildern gehen und dazuhin in der heiligen Nacht«, sagte Genovefa erregt und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. Aufgeregt, wie Pauli war, schob er diese nicht eben sanft von sich.

»Dei' G'schwätz hat koa Hoamat!« sagte er unwirsch. »'s Wild fragt net danach, ob die heilig' Nacht is' oder eine andere und wenn d' mir vorher no' was z'sagen hast, so schiaß los, aber mach's kurz«, fügte er ungeduldig hinzu.

Das war eine ungute Stimmung für Genovefas Bescherung.

»Hab' nur ein klein wenig Geduld«, bat sie und eilte um die Hausecke herum, das Ahnl und die Kinder zu holen.

»Was soll's denn? Laß mi' in Ruh'!« sagte erstere unwirsch auf Genovefa's Bitte, möglichst rasch zu ihr hinüber zu kommen; sie ließ sich aber dann doch führen und Traudel und die Kinder folgten voll Neugierde. Schnell war Genovefa wieder vorausgeeilt und hatte die Lichter angezündet und Pauli folgte den andern, wenn auch etwas widerstrebend, in die Stube.

»Setz' Dich nieder, Ahnl, schau, die Stutzerln sind für Dich und das gehört Dir und das Dir«, so redete Genovefa und gab einem jeden das, was ihm zugedacht war. »Und Dir, Pauli, hab ich den warmen Schal gemacht; trag ihn gesund«, sagte sie mit ihrer herzlichen Freundlichkeit und legte ihm die Arbeit um seinen sehnigen Hals.

Pauli wußte anfangs nicht recht, was er für ein Gesicht machen sollte. Der Aufenthalt war ihm zuwider; auch hatte er noch nie gesehen, daß man für Erwachsene einen Baum anzünde. Aber der weiche Schal und die Art des Gebens gefiel ihm doch und er sagte: »I hab' aber nix für Di, Veferl!«

»Das tut nichts, Pauli, das ist nicht nötig. Wenn Du nur vielleicht heute abend bei uns bleiben würdest, statt in den Wald zu gehen«, ... setzte sie zögernd hinzu, »das würde mich freuen.« Einen Augenblick schien Pauli bei den Bitten seines Weibes in seinem Innern zu schwanken, aber es war nur kurz. Wenn auch fast etwas verlegen, so doch sehr bestimmt sagte er, als eben der Mondschein auf die Dielen fiel:

»Dös ka'st d' do' im Ernst net vo' mir verlang'n, daß i 's Wild lauf'n laß, wenn i's grad aufgespürt hab'? Wenn du aa in viel'm anders denkst, als i, seit d' in der Stadt gwes'n bist, für so dumm hätt' i Di' do' net g'halten,« und er nahm rasch das Gewehr von der Wand und wollte fort.

»'s ist ein Unrecht, Pauli, 's ist eine Sünde, ich bitt' Dich, bleib' da,« rief Genovefa ängstlich und versuchte nochmal, ihn zurückzuhalten. Das war diesem aber zu viel und ärgerlich riß er sich los.

»Laß mi' aus, sonst werd i wild! Dös tat m'r g'fallen, wenn i nimmer in Wald gehen und schiaßen dürft. Dös laß i mir von niemand verbiaten, und aa von Dir net« und damit war er im Unmut fortgestürmt. Genovefa kehrte traurig zum Tisch zurück.

»Sakra, halt' n' Friad«, sagte das Ahnl mürrisch und Traudel warf die Lippen spöttisch auf und indem sie vor dem Stückchen Spiegel, das an der Wand hing, ihre neue Brosche versuchte, da und dort zu stecken, sagte sie leichtfertig:

»Der Pauli ist ein dalketer Bua, daß er si' so was biat'n laßt. I glaub' gar, Veferl, Du bist überg'schnappt, daß Du's Jagen für a Sünd' erklärst. Wann's nach Deinen Ansicht'n ging, da holet uns alle der Teufi – aber damit hat's no sei' Zeit!« Und hellauf lachend drehte sich die Traudel herum und sang:

Sag'n alleweil vom Sündsein
Die narreten Leut;
Und dös kann ja net Sünd sein,
Was oin gar a so freut!

Wo war Genovefas geträumte Weihnachtsfeier geblieben? Wohl hatten Seppel und Lisl sich an dem Bäumchen gefreut und ihr Lebkuchenherz aufgegessen, aber das war auch alles gewesen – die andern dankten ihr kaum und die Ahnl hatte noch lange im Bett fortgeschimpft und geflucht, weil sie sich mit dem Fuß an der Ofenecke gestoßen hatte.

Totmüde und traurig legte sich Genovefa auf ihr Lager, – so elend und verlassen hatte sie sich noch nie gefühlt. Langsam, wie vorhin die Lichter am Baum, so war auch bei ihr in ihrem Innern ein Lichtlein des Glaubens und der Hoffnung nach dem andern erlöscht.

Niemand war da, der sie verstand, nirgends ein Herz wo sie sich hätte aussprechen können und ihr Mann ging nach außen und innen seine eigenen Wege. Wozu war das Opfer, das sie gebracht hatte, o Herr, wozu?

»Das Leben ist schal und öde, Veferl«, so hatte ihr ja auch die Komtesse geschrieben. Ja heute vor einem Jahr, da gab es Glockengeläute und helle Räume und glückliche Herzen und eine liebe Stimme hatte zu ihr gesagt:

»Welch lichten Schimmer wirft doch das Christfest auf unsern Lebensweg, Fräulein Genovefa!« – Das Christfest? Genovefa warf sich unruhig von einer Seite zur andern. – Ja, das Christfest! Das war dasselbe geblieben, ob in der Stadt und beim Glücklichsein, oder hier oben am See, in der Einsamkeit und bei wehem Herzen.

»Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!« Leise faltete Genovefa ihre Hände und Träne um Träne liefen ihr aus den Augen.

»Herr, gib Frieden und schenk' uns einmal die ewige Ruhe, o Herr, hilf weiter!« so betete sie inbrünstig und als Pauli mitten in der Nacht in schlimmer Laune nach Hause kam – denn er hatte nichts geschossen – da konnte sie doch stille bleiben und seine stichelnden Reden von »dummem Geplausch« ruhig über sich ergehen lassen.

Der Winter ging vorüber und der Frühling war gekommen und in Genovefas Leben hatte sich wenig geändert. Voll guten Willens, aber schon müde, ehe sie anfing, so begann sie alle Morgen ihr Tagewerk und die innere Arbeit war dabei die größte. Je mehr sie sich Mühe gab, Paulis Wesen in Einklang mit dem ihrigen zu bringen, desto mehr Unterschiede machten sich fühlbar und ihre Grundsätze befanden sich in stetem Widerspruch mit seinen Ansichten und Gewohnheiten.

Wohl glimmte in seinem Herzen noch die alte Liebe, und sie wäre wohl hoch aufgeflammt, wenn das Veferl »nicht so apart und so ganz anders, wie sonst« gewesen wäre. Aber so war sie ihm so unbequem und überlegen, sie mochte sich Mühe geben, wie sie wollte, und sein Unbehagen und sein Verdruß äußerte sich gar bald in rauhem und unwirrschem Wesen.

Mit dem Frühjahr begann die Fischerei. Pauli war viel auf dem See draußen, und als der Schnee auch auf den Bergen geschmolzen war, da kamen erst einzelne und dann in Scharen die Touristen, die bald größere, bald kleinere Berge bestiegen. Pauli war oft tagelang fort, sei es als Träger oder als Führer, wobei er ein schönes Stück Geld verdiente.

Wenn er dann heimkam, konnte er manchmal guter Laune sein und er übergab Genovefa stets redlich einen Teil des Erworbenen zum Führen des Haushalts. Auch schmeichelte es ihm, wenn sein Weib so sicher und richtig mit den Fremden zu sprechen wußte und wenn diese über ihre Art und Weise erstaunt waren. Blieb er aber wieder ein paar Tage zu Hause, so machten sich für beide Teile die alten beengenden Verhältnisse fühlbar und er suchte so rasch als möglich einen Vorwand, um wieder fortzukommen.

Genovefa suchte, wenn auch mit Ueberwindung, ihre im Winter angefertigten Arbeiten an die Fremden zu verkaufen, aber mit wenig Glück: sei es daß die Verkäuferin zu zaghaft mit dem Anbieten derselben war, sei es, daß man solche Dinge hier oben nicht suchte. Genovefa hatte gehofft, einen Notpfennig für den Winter dadurch zu bekommen; auch half ihr das Arbeiten über manche Gedanken hinweg, und nun mußte sie auch hierin eine Enttäuschung erfahren.

Es war Anfang August; die Alpenrosen hatten schon abgeblüht und Enzian und die silberweißen Disteln bedeckten die Matten rings umher. Es war noch voller, heißer Sommer, aber doch fingen die Schatten der Berge an, länger zu werden und die Luft durchzitterte ein leises Mahnen an Herbst und an Vergänglichkeit.

Genovefa hatte die letzten Tage wieder schwer mit sich zu kämpfen gehabt. Pauli war einige Tage zu Hause gewesen und erst morgen früh sollte er als Führer bei einer Besteigung der Zugspitze mitgehen. Verdrossen und ohne Beschäftigung im Hause sich herumtreibend, hatte ihn alles noch mehr geärgert, als sonst und auch Genovefa war reizbar und verstimmt gewesen. Sie fühlte jetzt manchmal solche Anwandlungen über sich kommen und sie vermochte ihnen nicht mehr so recht Widerstand zu leisten.

Wieder war ein Abend wie damals, wo die Sternlein am Himmel zugesehen hatten, wie zwei Menschenkinder in Blindheit und Unverstand sich fürs Leben banden. Wieder saß Genovefa wie damals vor der Hütte, aber diesmal allein und sie gedachte müde und matt der vergangenen Tage.

»Der Pauli hat einst recht gehabt«, sagte sie wehmütig und blickte nach dem Himmel hinauf, »ihr zwei Sternl'n da oben, die ihr bald nah und bald fern voneinander steht, seid so recht das Bild von uns beiden. Anziehen und forttreiben tut's uns voneinander, aber es ist eine Macht da, die uns zusammenhält, ob wir wollen oder nicht«, setzte sie bitter hinzu und schloß dann einen Augenblick die Augen, um ihren unerquicklichen Gedanken nachzuhängen.

Da hörte sie hinter sich die Haustüre gehen und jemanden leise hinausschleichen. Es war Pauli, mit Rucksack und Stutzen, der sie wohl bei der Ahnl wähnte und nun sichtlich unangenehm berührt war, sie hier zu treffen. Mit einem kurzen Gebrumme wollte er an ihr vorüber, aber das mochte Genovefa doch nicht leiden.

»Noch so spät fort, Pauli?« fragte sie, gegen ihren Willen in etwas gereiztem Tone. Es war seit langem das erstemal, daß sie ihn wieder mit dem Stutzen fortgehen sah.

»Geht's Di' was an?« sagte Pauli grob und wollte weiter.

»Freilich geht's mich was an, Pauli«, sagte Genovefa erregt. »Morgen früh auf 4 Uhr bist von den fremden Herrn an die Kapelle beim Krainerbauern bestellt und es wäre jetzt besser, Du tätest auch schlafen, als ...«

»Halt Dei' Maul, i woaß scho, was i z' tuan hab'! Einen Kapitalbock hab' i aufg'spürt, – wenn i den kriag, so reicht's grad, daß i ihn mit mei'm Stutz'n dem Loisl an der Wurzelhütt'n bring'; dort ist er guat aufg'hob'n, der Loisl b'sorgt ihn über die Grenz' und um 4 Uhr bin ich an der Kapell'n.«

Genovefa entnahm dem ganzen nur das eine, daß es sich wieder um wildern, um hehlen, in ihren Augen um Diebstahl handle. Mochte nun Pauli sonst sein, wie er wollte: das konnte, das durfte nicht mit ihrem Willen geschehen. Er war schon ein paar Schritte weiter gegangen und sie lief ihm nach.

»Ich bitt' Dich, Pauli«, sagte sie in heller Aufregung, »bleib' zu Hause und tu' mir das nicht an, ich darf's nicht leiden. Der Rehbock gehört nicht uns; es kommt der Unsegen über Dich und mich, wenn wir uns mit unrecht Gut abgeben ...«

Der Unseg'n ist schon eh' da, da brauchst net erst drum z' flennen. Kreuzdonnerwetter«, schrie er in größter Aufregung. »Dös war' m'r was neu's, daß i an das Wild im Wald koa Anrecht hätt'! Aber das sind die lumpig'n Ansicht'n die Du von der Stadt mitbracht hast und die Dei'm Mann sein Leb'n verbittern und ihn aus dem Haus treiben.«

»Drum hättest Du mich in der Stadt gelassen, es wäre Dir und mir besser gewesen«, entschlüpfte es Genovefas Lippen und sie zitterte am ganzen Körper.

Einen Augenblick war's stille und Genovefa hörte nur das keuchende Atmen in ihrer Nähe. Plötzlich aber stand Pauli dicht vor ihr und hatte mit eiserner Faust ihre Schulter gepackt und sie geschüttelt. Genovefa preßte vor Angst die Zähne zusammen. Aber gleich darauf ließ er sie wieder los und der Zorn war aus seiner Stimme verschwunden, als er sagte:

»'s ka' sein, daß Du recht hast, aber daß d' mir das so ohne weiteres sagst, dös kaa i Dir net vergess'n, denn die Liab da drinn war no net ganz abg'storben!« und damit war er im Wald verschwunden.

»Pauli!« rief ihm Genovefa noch angstvoll nach, denn der Ton seiner Stimme hatte sie so seltsam berührt. Aber nur das Echo von den Bergen antwortete ihr und der Nachtwind strich klagend über den See, als sie wieder in die Hütte zurückkehrte.

Und der dumpfe Druck auf ihrem Gemüt wich auch den ganzen andern Tag nicht von ihr. Es lag nicht nur Gewitterschwüle in den Bergen, sondern auch auf ihrem Herzen war's wie ein Gewicht, dem sie sich schweigend beugte. Mochte kommen, was wollte, sie konnte nicht mehr dagegen ankämpfen. Und gegen Abend brach es mit Macht herein, ein Unwetter, wie es nur im Gebirge toben kann. Dicht war dieses in Nebel eingehüllt. Gelbe Feuermassen zuckten über den Himmel, das Grollen und Knattern des Donners schien die Grundfesten erbeben zu machen und ganze Wildbäche stürzten die Abhänge hinab. Es war ein Toben der Elemente und ein Ringen der Urkräfte miteinander ...

Als die Dunkelheit des Gewitters langsam in die Nacht übergegangen war, die Wolken sich zerrissen und die Wasser begonnen hatten, sich zu verlaufen, da kroch ein Häuflein Menschen mit Fackeln mühselig und aufs äußerste erschöpft, den letzten Abstieg von der Zugspitze hinter dem Seewirtshaus herab. Sie trugen etwas Schwarzes, Schweres, das noch atmete und sie sprachen von »Fehltritt im Nebel« und von »losgebrochenem Geröll.«

Und es gab ein Gewirr von Stimmen vor Genovefas Hütte und einen Schrei und sie legten die Last auf dem rot und weiß gewürfelten Bette nieder. Feucht klebten wirre, schwarze Haare auf der Stirne, über die querüber ein Tuch gebunden war; ein Paar Augen öffneten sich schwer und mit Anstrengung und eine Hand fuhr tastend über die Decke.

»Veferl«, brachten zwei trockene Lippen mühsam hervor, aber dann schlossen sie sich wieder wie im Krampf, und als die Morgensonne glitzernd und alles vergoldend in die Ecke der Stube schien, da war Genovefa zur Witwe geworden ... ...

Fernab, da wo der Rhein seine sanften Bogen macht, die grünen Rebengelände sich an den Hügeln hinaufziehen und hellblinkende, freundliche Ortschaften zwischen gelben Feldern und früchtebeladenen Obstgärten liegen, führt der Weg auf ein einzelnes Häuschen, weiß angestrichen, mit grünen Läden, zu. Goldgelbe Birnen und rotbackige Aepfel hängen an den Bäumen und im Grase darunter scharrt und ergötzt sich eine Anzahl Hühner, von dem Blumengarten durch einen Bretterzaun sorgsam abgehalten, der vorne an dem Häuschen sich befindet.

Sauber und gerade sind die Beete eingeteilt und nach alter Sitte sorgfältig mit Buchs umrändert. Hinter ihm blühen in üppiger Fülle Nelken und Astern, Levkoien und Gretchen im Busch. Die Blumen alle bilden einen dichten Kranz um die Küchengewächse, den bläulichen Kohl und die festen Salathäuptchen, die Bohnen und Petersilie, die hier in seltener Güte und Schönheit gedeihen und den inneren Teil der Beete einnehmen. Hochgewachsene Rosenstämmchen stehen an den Ecken und zwei knorrige Stämme von Kletterrosen rechts und links vom Hauseingang senden ihre Blätter und Blüten hinauf an den Wänden, umschlingen die Rahmen der Fenster und einige lose Zweige wiegen sich in der goldenen Sonne und im Abendwinde. –

In der Laube von wildem Wein, rechts unten, auf einem Bänkchen mit bequemer Lehne sitzt eine alte Frau und schält Erbsen aus. Sie ist leidend und ihre Füße sind in einen dicken wollenen Schal gewickelt, aber die Hände können sich noch fleißig bewegen, und die blauen Augen sehen so freundlich aus dem alten, runzligen Gesicht.

»Bist Du bald fertig, Georg?« ruft sie einem jungen Manne zu, der eifrig mit Okulieren eines Rosenstockes beschäftigt ist und der Mutter den Rücken kehrt. Er macht eben die letzten Schlingen mit dem Bast und klappt dann das glänzende, feine Messer, mit dem er gearbeitet hatte, zusammen.

»Ja, Mutter«, sagt er und tritt gleich darauf zu ihr in die Laube und läßt sich ihr gegenüber an dem Tischchen nieder, das zwischen beiden steht. Die alte Frau hat eben auch die letzte der Schoten entbröckelt und stellt die Schüssel mit dem Gemüse befriedigt neben sich auf die Bank. Sie streift die Schalen sauber vom Tisch herunter in ihre Arbeitsschürze und reicht sie dann einem Mägdlein, das gerade ein Brett absetzt, auf dem sich die dampfende Abendsuppe, ein Eierkuchen und kräftiges Hausbrot befinden, sowie in einem Glaskrug der gelbe Pfälzerwein, dessen Perlen anzeigen, daß er eben erst frisch aus dem Keller geholt wurde.

Durch einen Ausschnitt in der Laube sieht man den blauen Strom und die untergehende Sonne und alles atmet Ruhe und Frieden.

Nur auf der Stirne des Mannes liegen Falten und ein Ausdruck der Sorge, wie er in solche Umgebung nicht paßt; aber er versucht, sich gewaltsam zusammenzunehmen.

»Die Marschall Niel-Rosen blühen doch prächtig, Mutter, das freut mich«, sagte er, und nahm sich dabei ein Stück von dem Kuchen, ließ es aber gleich darauf wieder achtlos liegen. »Freilich«, stimmte die alte Frau eifrig bei, »es sind wahre Prachtstücke und ich denke, wir bringen morgen dem Herrn Pfarrer einen Strauß davon, denn von ihm stammen ja die Setzlinge«.

Da Georg nicht antwortete, so entstand eine Pause im Gespräch. Die alte Frau sah ihn besorgt von der Seite an, dann sagte sie wieder:

»Weißt Du denn, daß des Fuhrmanns kleiner Daniel heute da war und nach Dir frug? Er hat dem Lenchen unter Weinen in der Küche gestanden, er sei es gwesen, der in der Schule beim Herumbalgen die Scheibe zerschlagen habe. Er sagte, daß er es mit den andern geleugnet, aber Du habest nachher in der biblischen Geschichtsstunde so ernsthaft über das Lügen gesprochen. Da habe es ihm keine Ruh' mehr gelassen, besonders weil der Herr Lehrer sonst so freundlich sei, und nun wolle er's eingestehen und der Herr Lehrer möchte es ihm doch verzeihen. Geld habe er keines, aber hier, sein Kaninchen, und er bot unter Schluchzen dem Lenchen ein klein' winziges Häslein an, was diese aber natürlich nicht nahm.«

Ueber Georg Grubers Antlitz flog ein Lächeln der Befriedigung, aber gleich nachher kam wieder der alte Ausdruck.

»Ich halt's beinahe nimmer aus, Mutter«, sagte er dann plötzlich und schob den Teller mit Speiseresten von sich. »Jetzt sind's acht Tage, daß ich geschrieben, und die Antwort muß doch endlich kommen!« Er stand auf und sah über den Zaun hinüber nach der Straße, die vom Dorfe hinaufführte, dann blickte er auf seine Uhr.

»Der Briefträger kann noch kommen«, sagte sie und er setzte sich wieder auf seinen alten Platz.

»Mutter!« begann er nach einiger Zeit von neuem und sah voll in deren liebes, besorgtes Gesicht. »Mutter, nicht wahr, ich habe doch das Aeußerste getan, und Genovefa kann mir in nichts zürnen? Vorige Woche war's ein Jahr, daß wir in der Zeitung lasen, daß der Führer Paul Reinhard vom Eibsee infolge Loslösens von Gestein bei einem Unwetter auf der Zugspitze abgestürzt und seinen Verletzungen erlegen sei. Du weißt, Mutter, wie ich mit mir redlich gekämpft habe, den jubelnden Gedanken, daß Genovefa nun frei ist, zu unterdrücken.

Ein ganzes, volles Jahr habe ich gewartet, ehe ich ihr geschrieben, aber nun meine ich, es sei auch nimmer zum Aushalten, bis ich endlich Genovefa wiedersehe. Durch die Baronin weiß ich, wie schwer die Arme an ihrer Ehe getragen hat; sie hat es ihr zwar nicht ausgesprochen, aber die Baronin konnte es zwischen den Zeilen lesen. O Mutter, wenn ich mir denke, daß Genovefa endlich zu uns käme, daß es möglich werden könnte, daß sie hier in der Laube bei uns sitzt, mit ihrem lieben, freundlichen Gesicht, daß meine Rosen für sie blühen ...«

»Herrn Lehrer Georg Gruber in Weindorf«, unterbrach hier eine Stimme den Redenden, und der Briefträger reichte ein Schreiben über den Zaun hinüber, um mit kurzem Gruß dann sofort weiter zu gehen. Da lag er, der Brief, der so sehnsüchtig erwartete, ein Brief von außen wie so tausend andere, und doch enthielt er ein ganzes Lebensschicksal.

»Mach' Du ihn auf, Mutter«, sagte Georg, und seine Lippen bebten vor Aufregung. Als aber Frau Gruber mit zitternden Händen erst die Brille suchte und sie dann verkehrt aufsetzte, da nahm Georg den Brief doch selbst zur Hand und las:

 

»Eibsee im August! Ihr Brief, verehrter Herr Gruber, liegt vor mir, und immer, wenn ich ihn wieder lese, treten mir die Tränen in die Augen! Womit habe ich verdient, daß Sie so treu meiner gedenken und mich auch jetzt noch zu Ihrem Weibe begehren? Daß das so ist, tut meinem Herzen wohl, aber auch wehe. Ich habe von neuem gekämpft und gerungen, und es hat ein paar Tage gebraucht, bis ich das hier habe niederschreiben können.

Ich muß zum zweitenmal dem Glücke entsagen, und wenn Sie es überwunden haben, so ist es besser, nicht mehr an die arme Genovefa zu denken, die Ihnen soviel Herzeleid gemacht hat.«

 

Georg's Gesicht wurde leichenblaß bei diesen Worten.

 

»Es gibt Dinge, die man so schwer klar machen kann, Dinge, über die man nicht hinüberkommt. Ich hab' damals, als wir uns trennten, hart am Leben getragen. Ich habe meine Pflicht tun wollen, aber ich bin müde daran geworden, und nicht nur ich selber bin elend gewesen. Ich glaube nicht, daß man das hätte ändern können, das zweierlei Wesen war zu verschieden, aber es wäre erträglicher gewesen, wenn ich nicht zu sehr den alten Gedanken nachgehängt hätte.

Als sie mir meinen Mann blutüberströmt ins Haus brachten, da kam es riesengroß über mich: ich habe wohl meine Pflicht äußerlich getan, aber mein Herz war starr, und ich habe der Liebe, die alles trägt und alles duldet, keinen Raum gegeben.

Was mein Mann zuletzt gesprochen, war eine Klage hierüber, und das ist's, was zwischen mir und meinem Glücke steht. –

Es sind ein paar Menschen hier, die mich brauchen können, und so bleibe ich, wohin mich Gott geführt hat.

Er walte auch über Ihnen und Ihrer Mutter und schenke uns allen Frieden!

Genovefa Reinhard«.

 

Das war der Inhalt des so ersehnten Briefes. Es war dunkel in der Laube geworden. Lange noch saßen die beiden beisammen und in die Seufzer eines betrübten Mutterherzens mischte sich dann und wann das mühsam unterdrückte Schluchzen aus einer Männerbrust und die immer wiederholte Klage: »Nun ist alles aus, Mutter, alles!« ...

So, wie Genovefa schrieb, so war es gewesen!

Tagelang nach dem erschütternden Ereignis hörte sie in ihren Ohren nichts anderes als Paulis letzten Ausruf:

»Dös ka i Dir net vergessen, Veferl, dös net, – denn mei Liab' da drinnen, dia ist no net ganz ab'storb'n.« –

Er hatte sie trotz seines rauhen Wesens noch lieb gehabt, und sie war neben ihm hergegangen, ehrbar und pflichttreu, aber kalt und verschlossen, und nun wars zu spät zum Wiedergutmachen, und sie konnte nimmer die Hand in die seine legen und sagen: »Wir wollen's noch einmal miteinander versuchen, Pauli, aber in Liebe!« –

Nun begann auch für Genovefa der Kampf mit dem Leben, und sie mußte sich gewaltsam aufraffen und einen Verdienst suchen. Jetzt erst wurde ihr klar, wie gut doch Pauli für sie gesorgt hatte.

Niemand nahm ihr nun mehr die schwere Arbeit im Hause ab, niemand legte ihr das Geld für den Haushalt auf den Tisch. Selber mußte sie im Herbst die drückenden Lasten Holz auf dem Rücken heimtragen und das Beil und die Säge gebrauchen, um es klein zu machen. Endlos und fast zum Fürchten erschienen ihr nun die Abende, wo die leere Ofenbank so lange Schatten warf und der Wind in dem Kachelofen heulte.

Dann holte sie sich wohl manchmal die Kinder herüber, die bei dem Ahnl ein gar trauriges Leben führten, und sie half ihnen bei ihren Schulaufgaben oder flickte ihre zerrissenen Kleider zusammen. Aber das waren nur kurze Stunden, und dann war es wieder öde und traurig. –

Im Herbst hatte ihr die Baronin einen kurzen Besuch gemacht. Aber sie hatte wenig mit ihr sprechen können, denn sie hatte sich einer großen Gesellschaft angeschlossen, so lange ihr Mann im Manöver war.

Forschend und besorgt sah Genofeva in die veränderten, nicht eben glücklichen Züge ihrer einstigen Komtesse, und sie dachte mit Schmerzen: auch hier fehlt's vielleicht an der richtigen Liebe?

»Warum siehst du mich so an, Veferl?« sagte die Baronin erzwungen lachend, als sie aus Genovefas Hütte trat, um wieder zu den andern zu gehen.

»Weil ich Sie so gar viel lieb hab', Komtesse ... bitt' um Verzeihung, Frau Baronin, und weil ich so gern möcht', daß Sie so recht glücklich wären. Und, – Frau Baronin, wenn ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben dürft', – die Vefi hat's unter viel viel Tränen gelernt: das Glück besteht nur im Lieb-Erweisen,« die Baronin zuckte zusammen, »und das Leben ist so kurz!« fügte Genovefa unter Tränen hinzu, indem sie die beiden Hände der Baronin ergriff und sie küßte.

Genovefas kleiner Sparpfennig und ein ansehnliches Geldgeschenk, das die Besuchende stillschweigend hinterlassen hatte, reichten über die ersten Monate hinüber, dann aber mußte Genovefa ernstlich an einen Verdienst denken. Wie gerne hätte sie ihre Stube geschlossen und wäre in einen Dienst in die Stadt gegangen, wie es ihr auch die Baronin dringend geraten hatte, aber sie fühlte jetzt nimmer die Freiheit in sich, ihre Heimat zum zweitenmal freiwillig zu verlassen.

Das Ahnl war nun vollständig bettlägerig geworden und die Traudel trug sich seit kurzem mit dem Gedanken, dem Vater nach Amerika nachzufolgen. Sie wollte im Sommer als Kellnerin nach Garmisch gehen, um das nötige Geld dazu zu verdienen und was sollte dann aus dem Ahnl und den Kindern werden?

Genovefa dachte daran, wie gutmütig Pauli stets für dieselben besorgt war und sie wollte ihm nicht nachstehen. Durch was aber nun Geld verdienen? Genovefa hatte in der Stadt manchmal mit den Kindern gezeichnet oder kleine Bildchen gemalt und die Komtesse hatte ihr dieselben gelobt und gesagt:

»Du hast Talent, Veferl, es ist schade, daß Du's nicht ausbilden kannst; man merkt, es steckt Malerblut in Dir.«

Genovefa hatte in ihrem Gebetbuch ein kleines Heiligenbild auf Goldgrund gemalt und sie besaß noch einige Farben und Pinsel von einst.

»Wenn ich das nachmachen könnte,« dachte sie und es gelang ihr nicht übel. Mit einigen rohen Tannenzweigen – als Rahmen – umgeben, sah es sogar recht hübsch aus und im Spätherbst fand sie in einem Reisenden sofort einen Käufer dafür. Mit mehr Uebung gelang die Sache noch besser und ein Händler in Partenkirchen wurde ihr ständiger Abnehmer. So hübschen Gewinn er auch durch die eigenartigen kleinen Dinger hatte, so dürftig bezahlte er Genovefa. Aber diese war zufrieden, der dringensten Not dadurch enthoben zu sein.

Manche Stunde des Tages, die sie dem Ahnl und den Kindern und den Hausgeschäften widmen mußte, brachte sie des Nachts durch mühselige Arbeit wieder herein.

Als im Frühjahr die Matten draußen grünten, und die Vögel zwitscherten und jubelten, da sah sie wohl sehnend hinaus in die schöne sonnige Welt. Sie war ja noch ein junges Menschenkind, das so gerne glücklich gewesen wäre, über welches es aber anders beschlossen war und die fleißigen Hände arbeiteten nach solchen Stunden umso rascher und emsiger darauf los.

Was für Genovefa im Herbste der Empfang des Briefes und seine Beantwortung war, das ahnte niemand, denn sie war von jeher gewöhnt, mit sich selber fertig zu werden.

Mehrere Tage aber war es ihr nicht möglich, stille zu sitzen und sie lief ruhelos stundenlang in den Wald hinein, oder sie setzte sich auf einen Felsblock, hoch oben, einsam, wo keine Menschenseele sie sehen konnte und weinte zum Herzbrechen, bis sie fast keine Tränen mehr hatte.

»Das Veferl hat den Pauli doch mehr mög'n, als es den Anschein g'habt hat«, sagten die Eibseeleute untereinander, wenn sie Genovefa so verstört herumlaufen sahen, »aber ein kurioses ›Leut‹ ist es eineweg, seit's aus der Stadt hoamkommen ist« und ein jedes ging seiner Wege. –

So war nun auch der zweite Winter seit Paulis Tod vorübergegangen, ohne daß er viel neues gebracht hätte. Nur mit dem Ahnl hatte Genovefa jetzt noch mehr Mühe und die Traudel war wirklich im Herbst nach Amerika abgereist.

Manche Stunde mußte nun Genovefa am Lager der Alten zubringen und die Pflege wurde immer schwerer. Halbe Tage vermochte das Ahnl oft nicht zu Atem zu kommen, denn die Gicht hatte sich ihr aufs Herz gesetzt. Wenn die Anfälle aber vorüber waren, so konnte die Alte jetzt so milde und gut reden, wie nie in früheren Zeiten und es tat Genovefa wohl, wenn sie sagte:

»Du bist brav, Veferl. Dir wird's no' amol guat geh'n im Leb'n.« – Gut gehen, du mein Gott, jetzt gerade hatte es den allerwenigsten Anschein dazu. –

Nach strenger Kälte war plötzlich der Föhnwind gekommen. Der Schnee war in eine schmutzige Masse verwandelt und des Morgens und Abends setzte sich ein dicker und feuchter Nebel zwischen den Bergen fest. Liesl war von der Schule heimgekommen und hatte über den Hals geklagt und Seppl den andern Tag auch und bald war eine Seuche daraus geworden und es gab fast keine Familie, wo nicht ein Krankes zu finden war.

Liesl lag jetzt neben der Großmutter, wie einst das Veferl, und das Kind war schwer krank. Genovefa konnte sich's nicht verhehlen, daß schon am zweiten Tage das Ende bevorstand und auch das Ahnl mußte so was durchfühlen, denn sie murmelte manchmal Bruchstücke vom Vaterunser leis vor sich hin und strich von Zeit zu Zeit der Kleinen mit der Hand über die fieberglühende Stirne.

»Veferl, hilf mir«, sagte das Kind immer wieder von neuem in seiner Angst und Genovefa kniete an dem Lager und kühlte die heißen Händchen und sprach ein Gebet nach dem andern. Unverwandt schaute sie die Kleine dabei an und es ging eine Veränderung über ihr Gesichtchen.

»Die heiligen Engerln kommen ... Veferl ... i hör's singen«, sagte sie noch mit schwacher Stimme und dann war die Kindesseele entflohen.

Bitterlich weinend hatte Genovefa die kleine Leiche in die Kammer gebettet und war dann zum Ahnl zurückgekehrt, die in großer Aufregung und Phantasien dalag.

»Himmi« und »Teufi«, die guten und schlimmen Geister stritten sich an diesem Bette und es war Genovefa geradezu eine Wohltat, zwischen hinein den Seppl zu pflegen, der auf seinem alten Platz, unten auf der Ofenbank lag und schon wieder auf dem Wege der Besserung war.

Daß sein Liesl nicht mehr da war, konnte der Bub noch gar nicht fassen. Es war ihm so wohl in der Genesung und daß Veferl sich so viel mit ihm abgab. Als es noch besser wurde, setzte ihn Genovefa manchmal zu der Großmutter hinein und sie half in den andern Hütten, wo auch die Krankheit war und ihre Ruhe und Umsicht taten wohl.

Sie hatte bei der Gräfin manches von Krankenbehandlung gelernt, was sie hier anwenden konnte und waren die Mittel auch bei ihrem armen Liesl vergeblich gewesen, so taten sie bei andern Kranken doch gute Dienste und Genovefa war glücklich, wenn wieder eines von den Kindern sich erholte.

Wenn sie dann darauf die Nächte halb wachend, halb träumend bei der Ahnl zubrachte, so war sie wohl totmüde, aber im Innern war ihr so leicht, wie seit lange nimmer und auch die Spukgestalten bei der Alten wichen jedesmal freundlicheren Bildern, wenn Genovefa mit leiser Stimme ihre alten Kirchenlieder vor sich hinsang.

Einmal, als die junge Frau sie frisch gebettet hatte, war die Ahnl wieder ganz helle geworden und sie sagte, als sie nachher so weich und gut in den geschüttelten Kissen lag:

»Wann i 'nüberkomm, Veferl, no sag i's dem Pauli, wie guat als daß Du gegen Dein alt's Ahnl g'wesen bist ... Kruzitürken no' amol« und sie wollte in ihr altes Kichern verfallen, es endigte aber in einem heftigen Anfall von Atemnot und Weinen.

Trotz des Nachsatzes taten die Worte Genovefa so unbeschreiblich wohl und es war ihr eine Erquickung, sich derselben immer wieder zu erinnern.

Genovefa fühlte sich jetzt oft so müde. Es war das kein Wunder, nach den Anstrengungen und seelischen Eindrücken, die sie in letzter Zeit gehabt und darum war es ein Segen von Gott, daß des Ahnls Leben zu Ende ging.

Nach einem scheinbar ruhigen Tage fand sie Genovefa in der Dämmerung an dem Fußende ihres Lagers zusammen gekauert: der Tod hatte sie überrascht, als sie nach dem Weihbrunnen am Türpfosten greifen wollte und die knöchernen Finger hielten krampfhaft den abgerissenen Teil eines verstaubten Rosenkranzes ...

Wieder sind Wochen vergangen und Genovefa ist von einer schweren Krankheit erstanden. Verlassen und einsam wäre sie wohl dagelegen, aber sie hatte Liebe gesät und durfte dafür auch die Früchte ernten.

»Das Veferl hat uns g'holfen, jetzt lassen wir's aa net liag'n«, sagten die Leute und auch der Seppl, den Genovefa nun zu sich genommen hatte, tat, was in seinen Kräften stand. Einmal, als das Fieber vorüber war, aber Genovefa noch schwach in ihrem Bette lag, hatte sie wieder einen Besuch von der Baronin bekommen, die einige Wochen am Badersee zubrachte, aber diesmal mit ihrem Mann. Lange war die vornehme Dame an dem ärmlichen Lager in der Hütte gesessen und es standen Tränen in ihren Augen, als sie endlich aufstand und zum Abschied Genovefas Hände mit Innigkeit erfaßte.

»... Und so dank ich's eben Dir, mein Veferl, daß Du mich auf den rechten Weg gebracht hast. Ich hab's versucht mit dem Lieb-Erweisen und nun ist auch in mein Herz das Glück gekommen und die Torheiten daraus fortgezogen. Mein Mann läßt Dich schön grüßen und das nächste Jahr kommen wir mit unserm Buben, wenn es Gottes Wille ist,« sagte sie errötend ... »und, – wenn eine Genovefa dann noch da oben in den Bergen ist,« setzte sie im Fortgehen hinzu. »Ich hab' getan, was Du mir gesagt hast; jetzt mußt Du auch mir folgen. Ein Briefel ist heute an den Rhein geflogen, worin steht, daß das Amserl am Eibsee jetzt genug traurige Lieder gesungen hat und daß es an der Zeit ist, daß es die Flügel wieder hebt und ...«

»Komtesse!« rief Genovefa mit erschrockener Stimme, aber die Baronin war lachend schon vor der Türe draußen, durch die eine Flut von goldenem Sonnenlicht und herzerquickender Bergluft in die dumpfe Krankenstube drang.

Das Heu von den Bergen wurde heruntergebracht und der Andrang der Fremden nahm zu, denn die großen Ferien hatten begonnen.

Genovefa war wieder genesen, aber nun waren's wieder die Nahrungssorgen, die mit Macht an sie herantraten. Monatelang hatte sie nichts gearbeitet und nun sie hätte verkaufen können, war kein Vorrat vorhanden.

Seppl suchte redlich das Seine beizutragen mit Pflanzen- und Beerensuchen, und auch heute früh war er fortgegangen.

Genovefa hatte eifrig auf goldenem Grund einen heiligen Georg gemalt, und erst um die Mittagszeit legte sie den Pinsel beiseite, um die Suppe geschwind zu kochen und trat nun unter die Tür der Hütte, um nach Seppl auszuschauen. Die eine Hand stützte sie in die Hüfte und mit der andern bedeckte sie schützend die Augen gegen die Sonne.

Herr Gott, war's ein Traumbild, was sie da neckte, oder war die Malerei schuld, von der sie eben herkam? ...

In goldigem Hintergrund, grad' wie auf dem Bildchen, stand einer auf blumigen Matten. Er kam ihr vor, wie ihr Bild, doch er schritt auf sie zu. Er hatte aber kein buntes Gewand an, sondern einen schwarzen Rock. Seine Augen strahlten so blau, wie der Himmel, und sein Gesicht dünkte Genovefa das Liebste, was sie in der Welt wußte.

»Genovefa,« klang es jubelnd von seinen Lippen. Ach, diese Stimme, die sie nie mehr zu vernehmen glaubte! Genovefa schwindelte und sie mußte sich auf der Bank niederlassen.

Endlich!« sagte der fremde Mann, indem er neben ihr Platz nahm und ihre beiden Hände in die seinen nahm.

»Nun aber bist Du mein und niemand auf der Welt kann Dich mir wieder streitig machen!« Er drückte sie an sein Herz und küßte ihr die Tränen von den Augen.

»Geh net furt, Veferl, geh net furt, i leid's net«, schrie da wieder, wie einstens, eine Kinderstimme in ihrer nächsten Nähe, und Seppl, der die Worte Georgs mit angehört hatte, gebärdete sich so verzweifelt, daß Genovefa ihn trotz aller Liebesversicherungen nicht beruhigen konnte.

»Er steht allein auf der Welt, wenn ich ihn verlasse!« sagte sie zu ihrem Verlobten und ein ängstlicher Zug flog über ihr Gesicht.

»Dann nehmen wir ihn mit«, sprach Georg, »und wir wollen einen tüchtigen Menschen aus ihm machen. Ist Dir's recht so?« Er strich die letzte Sorgenfalte aus ihrer Stirne und sah ihr so liebreich in die dunkeln Augen.

»Wenn das Veferl Di' mog, no mog i Di' aa!« sagte Seppl und er legte ernsthaft und vertrauensvoll seine braune Kinderhand in die Rechte Georg Grubers.


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